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Die »Ansichten der Natur« bieten eine Zusammenfassung von Alexander von Humboldts naturwissenschaftlicher Weltsicht. Der Band basiert auf Reisetagebüchern, aus denen Alexander von Humboldt einige zentrale Episoden ausgewählt hat. Die Sprache des Buches von 1808 ist klar, modern und trotz der wissenschaftlichen Inhalte sehr gut verständlich. Auf seinen Reisen stößt Alexander von Humboldt in völlig unberührte Natur vor. Um seine Erkenntnisse darzustellen, richtet von Humboldt gleichsam ein Vergrößerungsglas auf bestimmte Teilausschnitte der Natur, vor allem den tropischen Regenwald. Alexander von Humboldt erklärt anhand dieser Detailausschnitte die Vielfalt und Komplexität der Wirkungszusammenhänge der Natur, die heute als Ökosystem und ökologisches Gleichgewicht bezeichnet werden. Der genaue Blick auf den einzelnen Teilausschnitt zeigt, dass »auch die verborgensten Räume der Schöpfung mit Leben erfüllt« sind. Besonders aktuell sind die Passagen, in denen Alexander von Humboldt über den Klimawandel spricht. Humboldt beobachtet schon zu seiner Zeit massive Klimaveränderungen in einzelnen Landstrichen, die vom Menschen, vor allem durch Baumfällungen für den Schiffsbau, verursacht wurden. Alexander von Humboldt weist aber ebenfalls darauf hin, dass es auf der Erde unabhängig von menschlicher Aktivität schon immer das Phänomen des Klimawandels gegeben hat. So sind »in den großen Revolutionen unseres Planeten die Klimate, wie die durch sie bestimmte Physiognomie der Natur, vielfach verändert worden.«
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Seitenzahl: 167
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Alexander von Humboldt
Seinem teuren Bruder
in Rom
Berlin, im Mai 1807
Der Verfasser
Über die Steppen und Wüsten
Küstenkette und Bergtäler von Caracas. Der See Tacarigua. – Kontrast zwischen der üppigen Fülle des organischen Lebens und der baumlosen, pflanzenarmen Ebene. – Räumliche Eindrücke. Die Steppe als Boden eines alten Binnenmeeres. Gebrochene, etwas höher liegende Schichten, Bänke. – Allgemeinheit der Erscheinungen, welche die Bodenfläche darbietet: Heideländer von Europa, Pampas und Llanos von Südamerika, afrikanische Wüsten, nordasiatische Steppen. – Verschiedener Charakter der Pflanzendecke. Tierleben. Hirtenvölker, welche die Welt erschüttert haben.
Naturgemälde der südamerikanischen Ebenen und Grasfluren. – Ihre Ausdehnung und ihr Klima, letzteres bedingt durch den Umriß und die hypsometrische Gestaltung des Neuen Kontinents. – Vergleichung mit Afrikas Ebenen und Wüsten. – Ursprünglicher Mangel des Hirtenlebens in Amerika. – Nahrung, welche die Palme Mauritia darbietet; schwebende Hütten auf Bäumen. Guaraunen.
Die Llanos sind seit der Entdeckung von Amerika bewohnbarer geworden. Außerordentliche Vermehrung wilder Rinder, Pferde und Maultiere. – Schilderung der Zeit der Dürre und der Regenzeit. Anblick des Bodens und des Himmelsgewölbes. Leben der Tiere; ihre Leiden, ihre Kämpfe. Biegsamkeit, mit welcher die aneignende Natur gewisse Tiere und Pflanzen begabt hat. – Jaguar, Krokodile, elektrische Fische. Ungleicher Kampf der Gymnoten und der Pferde.
Rückblick auf die Erdstriche, welche die Steppen und Wüsten begrenzen. – Wildnis der Waldregion des Orinoco und Amazonenstromes. – Menschenstämme durch wunderbare Verschiedenheit der Sprache und der Gesittung getrennt, ein mühevoll lebendes, immer entzweites Geschlecht. In Felsen eingegrabene Bilder beweisen, daß auch diese Einöden einst der Sitz untergegangener Kultur waren.
Über die Wasserfälle des Orinoco bei Atures und Maipures
Der Orinoco, allgemeiner Überblick seines Laufes. – Ideen, die der Anblick seiner Mündung in Kolumbus erregt. – Östlich vom hohen Duida und von den Gebüschen der Bertholletia liegt das unbekannte Quellenland. – Ursach der Hauptkrümmungen des Flusses. – Die Wasserfälle. Raudal von Maipures, durch vier Bäche begrenzt. – Ehemaliger Zustand der Gegend. Inselform der Felsen Keri und Oco. Großartiger Anblick, wenn man von dem Hügel Manimi herabsteigt. Eine meilenlange schäumende Fläche bietet sich auf einmal dem Auge dar. Eisenschwarze Felsmassen ragen burgartig aus dem Flußbette hervor; durch die dampfende Schaumwolke dringen die Gipfel der hohen Palmen.
Raudal von Atures, wieder eine Inselwelt. – Felsdämme, welche Insel mit Insel verbinden. Sie sind der Aufenthalt der streitsüchtigen, goldfarbigen Klippenhühner. – Einzelne Teile des Flußbettes in den Katarakten sind trocken, weil die Wasser sich einen Weg durch unterirdische Höhlen gebahnt haben. Besuch dieser Teile bei einbringender Nacht und starkem Gewitterregen. Unvermutete Nähe von Krokodilen. Die weitberufene Höhle von Ataruipe, Gruft eines vertilgten Völkerstammes.
Das nächtliche Tierleben im Urwalde
Verschiedenartiger Reichtum der Sprachen in scharf bezeichnenden Wörtern für Naturerscheinungen, den Zustand der Vegetation und Pflanzenformen, den Umriß und die Gruppierung der Wolken, den Anblick der Bodenfläche und die Berggestaltung. Verlust, welchen die Sprachen an solchen bezeichnenden Wörtern erleiden. Die Mißdeutung eines spanischen Wortes hat Bergketten auf Landkarten vergrößert und neue geschaffen. – Urwald. Häufiger Mißbrauch dieser Benennung. Mangel an Einförmigkeit in der Zusammengesellung der Baumarten charakterisiert die Tropenwaldungen. Ursachen ihrer Undurchdringlichkeit. Die Schlingpflanzen (Lianen) bilden oft nur eine sehr kleine Masse des Unterholzes.
Anblick des Rio Apure in seinem unteren Laufe. – Rand der Waldung durch eine niedrige Hecke von Sauso (Hermesia) gartenartig geschlossen. Die wilden Tiere des Waldes treten mit ihren Jungen durch einzelne Öffnungen an den Fluß. – Herden von großen Wasserschweinen (Capybara). – Delphine der süßen Wasser. – Wildes Tiergeschrei durchtobt die Forst. Ursach des nächtlichen Unfriedens. – Kontrast mit der Stille, welche unter den Tropen an sehr heißen Tagen in den Mittagsstunden herrscht. – Schilderung der Felsenge des Orinoco am Baraguan. – Schwirren und Sumsen der Insekten; in jedem Strauche, in der gespaltenen Baumrinde, in der aufgelockerten, von Hymenoptern durchfurchten Erde regt sich hörbar das Leben.
Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse
Allverbreitete Fülle des Lebens am Abhange der höchsten Berggipfel, im Ozean und im Luftkreise. Unterirdische Flora. Kieselschalige Polygastren in Eisschollen am Pole. Podurellen in den Eisröhren der Alpengletscher; der Gletscherfloh (Desoria glacialis). Kleine Organismen der Staubnebel. – Geschichte der Pflanzendecke. Allmähliche Ausbreitung der Vegetation über die nackte Felsrinde. Flechten, Moose, fette Pflanzen. Ursach der jetzigen Vegetationslosigkeit gewisser Länderstrecken.
Jede Zone hat einen eigentümlichen Charakter. Alle tierische und vegetabilische Gestaltung ist an feste, ewig wiederkehrende Typen gebunden. Physiognomik der Natur. Zerlegung des Totaleindrucks einer Gegend. Einzelne Elemente dieses Eindrucks. Umriß der Gebirge, Himmelsbläue, Wolkengestalt. Das Hauptbestimmende ist die Pflanzendecke. Dem tierischen Organismus fehlt es an Masse; die Beweglichkeit der Individuen und oft ihre Kleinheit entzieht sie unseren Blicken.
Aufzählung der Pflanzenformen, welche hauptsächlich die Physiognomie der Natur bestimmen und welche vom Äquator gegen die Pole hin nach schon ergründeten Gesetzen ab- oder zunehmen.
Palmen; Bananenform; Malvazeen; Mimosen; Erizeen; Kaktusform; Orchideenform; Kasuarinen; Nadelhölzer; Pothos- und Aroideenform; Lianen, Schlingpflanzen; Aloëgewächse; Grasform; Farren; Liliengewächse; Weidenform; Myrtengewächse; Melastomen; Lorbeerform.
Genuß, welcher aus der natürlichen Gruppierung und dem Kontraste dieser Pflanzenformen entsteht. Wichtigkeit des physiognomischen Studiums der Pflanzen für den Landschaftsmaler.
Über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in den verschiedenen Erdstrichen
Einfluß von Reisen in ferne Erdstriche auf Verallgemeinerung der Ideen und die Fortschritte der eigentlichen physikalischen Gebirgskunde. Einfluß der Gestaltung des Mittelmeers auf die frühesten Ideen über vulkanische Erscheinungen. – Vergleichende Geognosie der Vulkane. Periodische Wiederkehr gewisser Naturveränderungen, welche ihre Ursach tief in dem Innersten des Erdkörpers haben. Verhältnis der Höhe der Vulkane zu der ihrer Aschenkegel, am Pichincha, Pic von Teneriffa und Vesuv. – Höhenveränderungen des Gipfels der Vulkane. Messungen der Kraterränder des Vesuvs von 1773 bis 1822; des Verfassers Messungen begreifen die Periode von 1805 bis 1822. – Spezielle Beschreibung des Ausbruchs in der Nacht vom 23. zum 24. Oktober 1822. Einsturz eines 400 Fuß hohen Aschenkegels, der im Inneren des Kraters stand. Der Aschenauswurf vom 24. zum 28. Oktober ist der denkwürdigste derer gewesen, von welchen man seit des älteren Plinius Zeit sichere Kunde gehabt hat.
Unterschied zwischen den in Gestaltung sehr verschiedenen Vulkanen mit permanenten Kratern und den in den historischen Zeiten seltener beobachteten Erscheinungen, wenn Trachytberge sich plötzlich öffnen, Lava und Asche auswerfen, und sich wieder schließen, vielleicht auf immer. Die letzteren Erscheinungen sind vorzugsweise belehrend für die Geognosie, weil sie an die frühesten Revolutionen der oszillierenden, gehobenen, gespaltenen Erdoberfläche erinnern. Sie haben im Altertum zu der Ansicht des Pyriphlegethon geführt. – Die Vulkane sind intermittierende Erdquellen, das Resultat einer steten und vorübergehenden Verbindung zwischen dem Inneren und Äußeren unsres Planeten, das Resultat einer Reaktion des noch flüssigen Innern gegen die Erdrinde; daher die Frage müßig ist: welcher chemische Stoff in den Vulkanen brenne, das Material zum Feuer hergebe. – Die primitive Ursach der unterirdischen Wärme ist, wie in allen Planeten, der Bildungsprozeß selbst, das Abscheiden der sich ballenden Masse aus einer kosmischen dunstförmigen Flüssigkeit. Macht und Einfluß der Wärmestrahlung aus vielfach geöffneten Erdklüften, noch unausgefüllten Gängen, in der Vorwelt. Damalige große Unabhängigkeit des Klimas (der Lufttemperatur) von der geographischen Breite, der Stellung des Planeten gegen den Zentralkörper, die Sonne. Organismen der jetzigen Tropenwelt vergraben im eisigen Norden.
Das Hochland von Caxamarca, der alten Residenzstadt des Inka Atahualpa. Erster Anblick der Südsee von dem Rücken der Andenkette
Chinawälder in den Tälern von Loxa. Erster Gebrauch der Fieberrinde in Europa; die Vizekönigin Gräfin von Chinchon.
Alpenvegetation der Paramos. – Trümmer altperuanischer Kunststraßen; sie erheben sich im Paramo del Assuay fast zu der Höhe des Montblanc. – Sonderbare Mittel der Kommunikation; der schwimmende Postbote.
Herabsteigen nach dem Amazonenstrom. Vegetation um Chamaya und Tomependa; rote Gebüsche der Bougainvillea. – Felsketten, welche durch den Amazonenfluß durchsetzen. Katarakten. Stromenge des Pongo de Manseriche, in welcher der mächtige Fluß, von La Condamine gemessen, kaum 150 Fuß Breite hat. Einsturz des Felsdammes von Rentema, der mehrere Stunden lang das Flußbette zum Schrecken der Einwohner trocken legte.
Übergang über die Andenkette, wo sie vom magnetischen Äquator durchschnitten wird. 14zöllige Ammoniten, Seeigel und Isocardien der Kreideformation zwischen Guambos und Montan gesammelt, 12 000 Fuß hoch über dem Meere. – Reiche Silbergruben von Chota. Der malerische, burgartig sich erhebende Cerro de Gualgayoc. Eine ungeheure Masse von drahtförmigem Gediegen-Silber in der Pampa de Navar. Ein Schatz von Gediegen-Gold, ebenfalls mit Silberfäden umsponnen, in dem Muschelfelde (Choropampa), wegen der vielen Versteinerungen so genannt. Ausbrüche von Silber- und Golderzen in der Kreide-Formation. – Die kleine Bergstadt Micuipampa liegt 11 140 Fuß über dem Meere.
Über die Bergwildnis des Paramo de Yanaguanga steigt man in das schöne Kesseltal oder vielmehr die Hochebene von Caxamarca (fast in gleicher Höhe mit der Stadt Quito) herab. – Warme Bäder des Inka. Trümmer des Palastes Atahualpas, bewohnt von seinen dürftigen Abkömmlingen, der Familie Astorpilco. Dortiger Glaube an die unterirdischen goldenen Gärtendes Inka; ihre nicht zu bezweifelnde Existenz in dem anmutigen Tale von Yucay, unter dem Sonnentempel von Cuzco und an vielen anderen Punkten. Gespräch mit dem 17jährigen Sohne des Curaca Astorpilco. – Man zeigt noch das Zimmer, in welchem der unglückliche Atahualpa vom November 1532 an neun Monate lang gefangen gehalten wurde; auch die Mauer, an der der Inka das Zeichen machte, bis zu welcher Höhe er das Zimmer mit Gold füllen lassen wollte, wenn man ihn frei ließe. Erläuterung über die Art der Hinrichtung des Fürsten am 29. August 1533 und über sogenannte „unauslöschliche Blutflecke“ auf einer Steinplatte vor dem Altar in der Kapelle des Stadtgefängnisses. – Wie die auch von Ralegh genährte Hoffnung einer Restauration des Inkareiches sich unter den Eingeborenen erhalten hat. Ursachen dieses phantastischen Glaubens.
Reise von Caxamarca nach der Seeküste. Übergang über die Kordillere durch die Altos de Guangamarca. Oft getäuschte Hoffnung, des Anblicks der Südsee von dem Rücken der Andenkette zu genießen. Sie wird endlich erfüllt, in einer Höhe von 8 800 Fuß.
Schüchtern übergebe ich dem Publikum eine Reihe von Arbeiten, die im Angesicht großer Naturgegenstände, auf dem Ozean, in den Wäldern des Orinoco, in den Steppen von Venezuela, in der Einöde peruanischer und mexikanischer Gebirge entstanden sind. Einzelne Fragmente wurden an Ort und Stelle niedergeschrieben und nochmals nur in ein Ganzes zusammengeschmolzen. Überblick der Natur im großen, Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte, Erneuerung des Genusses, welchen die unmittelbare Ansicht der Tropenländer dem fühlenden Menschen gewährt, sind die Zwecke, nach denen ich strebe. Jeder Aufsatz sollte ein in sich geschlossenes Ganzes ausmachen, in allen sollte eine und dieselbe Tendenz sich gleichmäßig aussprechen. Diese ästhetische Behandlung naturhistorischer Gegenstände hat, trotz der herrlichen Kraft und der Biegsamkeit unserer vaterländischen Sprache, große Schwierigkeiten der Komposition. Reichtum der Natur veranlaßt Anhäufung einzelner Bilder, und Anhäufung stört die Ruhe und den Totaleindruck des Gemäldes. Das Gefühl und die Phantasie ansprechend, artet der Stil leicht in eine dichterische Prosa aus. Diese Ideen bedürfen hier keiner Entwickelung, da die nachstehenden Blätter mannigfaltige Beispiele solcher Verirrungen, solchen Mangels an Haltung darbieten.
Mögen meine Ansichten der Natur, trotz dieser Fehler, welche ich selbst leichter rügen als verbessern kann, dem Leser doch einen Teil des Genusses gewähren, welchen ein empfänglicher Sinn in der unmittelbaren Anschauung findet. Da dieser Genuß mit der Einsicht in den inneren Zusammenhang der Naturkräfte vermehrt wird, so sind jedem Aufsatze wissenschaftliche Erläuterungen und Zusätze beigefügt.
Überall habe ich auf den ewigen Einfluß hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf ihre Schicksale ausübt. Bedrängten Gemütern sind diese Blätter vorzugsweise gewidmet. „ Wer sich herausgerettet aus der stürmischen Lebenswelle“, folgt mir gern in das Dickicht der Wälder, durch die unabsehbare Steppe und auf den hohen Rücken der Andenkette. Zu ihm spricht der weltrichtende Chor:
Auf den Bergen ist Freiheit! Der Hauch der GrüfteSteigt nicht hinauf in die reinen Lüfte;Die Welt ist vollkommen überall,Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.
Die zwiefache Richtung dieser Schrift (ein sorgsames Bestreben, durch lebendige Darstellungen den Naturgenuß zu erhöhen, zugleich aber nach dem dermaligen Stande der Wissenschaft die Einsicht in das harmonische Zusammenwirken der Kräfte zu vermehren) ist in der Vorrede zur ersten Ausgabe, fast vor einem halben Jahrhundert, bezeichnet worden. Es sind damals schon die mannigfaltigen Hindernisse angegeben, welche der ästhetischen Behandlung großer Naturszenen entgegenstehn. Die Verbindung eines literarischen und eines rein szientifischen Zweckes, der Wunsch, gleichzeitig die Phantasie zu beschäftigen und durch Vermehrung des Wissens das Leben mit Ideen zu bereichern, machen die Anordnung der einzelnen Teile und das, was als Einheit der Komposition gefordert wird, schwer zu erreichen. Trotz dieser ungünstigen Verhältnisse hat das Publikum der unvollkommenen Ausführung meines Unternehmens dauernd ein nachsichtsvolles Wohlwollen geschenkt.
Die zweite Ausgabe der Ansichten der Natur habe ich in Paris im Jahr 1826 besorgt. Zwei Aufsätze: ein „Versuch über den Bau und die Wirkungsart der Vulkane in den verschiedenen Erdstrichen“ und die „Lebenskraft oder der rhodische Genius“, wurden damals zuerst beigefügt. Schiller, in jugendlicher Erinnerung an seine medizinischen Studien, unterhielt sich während meines langen Aufenthalts in Jena gern mit mir über physiologische Gegenstände. Meine Arbeit über die Stimmung der gereizten Muskel- und Nervenfaser durch Berührung mit chemisch verschiedenen Stoffen gab oft unsern Gesprächen eine ernstere Richtung. Es entstand in jener Zeit der kleine Aufsatz von der Lebenskraft. Die Vorliebe, welche Schiller für den „modischen Genius“ hatte, den er in seine Zeitschrift der Horen aufnahm, gab mir den Mut, ihn wieder abdrucken zu lassen. Mein Bruder berührt in einem Briefe, welcher erst vor kurzem gedruckt worden ist (Wilhelm von Humboldt's Briefe an eine Freundin T. II. S. 39), mit Zartheit denselben Gegenstand, setzt aber treffend hinzu: „Die Entwickelung einer physiologischen Idee ist der Zweck des ganzen Aufsatzes. Man liebte in der Zeit, in welcher derselbe geschrieben ist, mehr, als man jetzt tun würde, solche halbdichterische Einkleidungen ernsthafter Wahrheiten.“
Es ist mir noch im achtzigsten Jahre die Freude geworden, eine dritte Ausgabe meiner Schrift zu vollenden und dieselbe nach den Bedürfnissen der Zeit ganz umzuschmelzen. Fast alle wissenschaftliche Erläuterungen sind ergänzt oder durch neue, inhaltreichere ersetzt worden. Ich habe gehofft den Trieb zum Studium der Natur dadurch zu beleben, daß in dem kleinsten Raume die mannigfaltigsten Resultate gründlicher Beobachtung zusammengedrängt, die Wichtigkeit genauer numerischer Angaben und ihrer sinnigen Vergleichung untereinander erkannt und dem dogmatischen Halbwissen wie der vornehmen Zweifelsucht gesteuert werde, welche in den sogenannten höheren Kreisen des geselligen Lebens einen langen Besitz haben.
Die Expedition, die ich in Gemeinschaft mit Ehrenberg und Gustav Rose auf Befehl des Kaisers von Rußland im Jahre 1829 in das nördliche Asien (in den Ural, den Altai und an die Ufer des Kaspischen Meeres) gemacht, fällt zwischen die Epochen der 2. und 3. Ausgabe meines Buches. Sie hat wesentlich zur Erweiterung meiner Ansichten beigetragen in allem, was die Gestaltung der Bodenfläche, die Richtung der Gebirgsketten, den Zusammenhang der Steppen und Wüsten, die geographische Verbreitung der Pflanzen nach gemessenen Temperatureinflüssen betrifft. Die Unkenntnis, in welcher man so lange über die zwei großen schneebedeckten Gebirgszüge zwischen dem Altai und Himalaja, über den Thian-schan und den Kuen-lün, gewesen ist, hat bei der ungerechten Vernachlässigung chinesischer Quellen die Geographie von Innerasien verdunkelt und Phantasien als Resultate der Beobachtung in vielgelesenen Schriften verbreitet. Seit wenigen Monaten sind fast unerwartet der hypsometrischen Vergleichung der kulminierenden Gipfel beider Kontinente wichtige und berichtigende Erweiterungen zugekommen. [...] Die von früheren Irrtümern befreiten Höhenbestimmungen zweier Berge in der östlichen Andenkette von Bolivia, des Sorata und Illimani, haben dem Chimborazo seinen alten Rang unter den Schneebergen des Neuen Kontinents mit Gewißheit noch nicht ganz wiedererteilt, während im Himalaja die neue trigonometrische Messung des Kinchinjinga (26 438 Pariser Fuß) diesem Gipfel den nächsten Platz nach dem nun ebenfalls trigonometrisch genauer gemessenen Dhawalagiri einräumt.
Um die numerische Gleichförmigkeit mit den zwei vorigen Ausgaben der Ansichten der Natur zu bewahren, sind die Temperaturangaben in diesem Werke, wenn nicht das Gegenteil bestimmt ausgesprochen ist, in Graden des 80teiligen Réaumurschen Thermometers ausgedrückt. Das Fußmaß ist das altfranzösische, in welchem die Toise 6 Pariser Fuß zählt. Die Meilen sind geographische, deren 15 auf einen Äquatorialgrad gehen. Die Längen sind vom ersten Meridian der Pariser Sternwartegerechnet.
Berlin, im März 1849
Am Fuße des hohen Granitrückens, welcher im Jugendalter unseres Planeten, bei Bildung des antillischen Meerbusens, dem Einbruch der Wasser getrotzt hat, beginnt eine weite, unabsehbare Ebene. Wenn man die Bergtäler von Caracas und den inselreichen See Tacarigua, in dem die nahen Pisangstämme sich spiegeln, wenn man die Fluren, welche mit dem zarten und lichten Grün des tahitischen Zuckerschilfes prangen, oder den ernsten Schatten der Kakaogebüsche zurückläßt, so ruht der Blick im Süden auf Steppen, die scheinbar ansteigend, in schwindender Ferne, den Horizont begrenzen.
Aus der üppigen Fülle des organischen Lebens tritt der Wanderer betroffen an den öden Rand einer baumlosen, pflanzenarmen Wüste. Kein Hügel, keine Klippe erhebt sich inselförmig in dem unermeßlichen Raume. Nur hier und dort liegen gebrochene Flözschichten von zweihundert Quadratmeilen Oberfläche bemerkbar höher als die angrenzenden Teile. Bänke nennen die Eingebornen diese Erscheinung, gleichsam ahndungsvoll durch die Sprache den alten Zustand der Dinge bezeichnend, da jene Erhöhungen Untiefen, die Steppen selbst aber der Boden eines großen Mittelmeeres waren.
Noch gegenwärtig ruft oft nächtliche Täuschung diese Bilder der Vorzeit zurück. Wenn im raschen Aufsteigen und Niedersinken die leitenden Gestirne den Saum der Ebene erleuchten oder wenn sie zitternd ihr Bild verdoppeln in der untern Schicht der wogenden Dünste, glaubt man den küstenlosen Ozean vor sich zu sehen. Wie dieser erfüllt die Steppe das Gemüt mit dem Gefühl der Unendlichkeit und durch dies Gefühl, wie den sinnlichen Eindrücken des Raumes sich entwindend, mit geistigen Anregungen höherer Ordnung. Aber freundlich zugleich ist der Anblick des klaren Meeresspiegels, in welchem die leichtbewegliche, sanft aufschäumende Welle sich kräuselt; tot und starr liegt die Steppe hingestreckt wie die nackte Felsrinde eines verödeten Planeten.
In allen Zonen bietet die Natur das Phänomen dieser großen Ebenen dar; in jeder haben sie einen eigentümlichen Charakter, eine Physiognomie, welche durch die Verschiedenheit ihres Bodens, durch ihr Klima und durch ihre Höhe über der Oberfläche des Meeres bestimmt wird.
Im nördlichen Europa kann man die Heideländer, welche, von einem einzigen, alles verdrängenden Pflanzenzuge bedeckt, von der Spitze von Jütland sich bis an den Ausfluß der Schelde erstrecken, als wahre Steppen betrachten, aber Steppen von geringer Ausdehnung und hochhüglichter Oberfläche, wenn man sie mit den Llanos und Pampas von Südamerika oder gar mit den Grasfluren am Missouri und Kupferflusse vergleicht, in denen der zottige Bison und der kleine Moschusstier umherschwärmen.
Einen größeren und ernsteren Anblick gewähren die Ebenen im Innern von Afrika. Gleich der weiten Fläche des Stillen Ozeans hat man sie erst in neueren Zeiten zu durchforschen versucht; sie sind Teile eines Sandmeeres, welches gegen Osten fruchtbare Erdstriche voneinander trennt oder inselförmig einschließt, wie die Wüste am Basaltgebirge Harudsch, wo in der dattelreichen Oasis von Siwa die Trümmer des Ammon-Tempels den ehrwürdigen Sitz früher Menschenbildung bezeichnen. Kein Tau, kein Regen benetzt diese öden Flächen und entwickelt im glühenden Schoß der Erde den Keim des Pflanzenlebens. Denn heiße Luftsäulen steigen überall aufwärts, lösen die Dünste und verscheuchen das vorübereilende Gewölk.
Wo die Wüste sich dem Atlantischen Ozean nähert, wie zwischen Wadi Nun und dem Weißen Vorgebirge, da strömt die feuchte Meeresluft hin, die Leere zu füllen, welch durch jene senkrechten Winde erregt wird. Selbst wenn der Schiffer durch ein Meer, das wiesenartig mit Seetang bedeckt ist, nach der Mündung des Gambia steuert, ahndet er, wo ihn plötzlich der tropische Ostwind verläßt, die Nähe des weitverbreiteten wärmestrahlenden Sandes.
Herden von Gazellen und schnellfüßige Strauße durchirren den unermeßlichen Raum. Rechnet man ab die im Sandmeere neuentdeckten Gruppen quellenreicher Inseln, an deren grünen Ufern die nomadischen Tibbos und Tuaryks schwärmen, so ist der übrige Teil der afrikanischen Wüste als dem Menschen unbewohnbar zu betrachten. Auch wagen die angrenzenden gebildeten Völker sie nur periodisch zu betreten. Auf Wegen, die der Handelsverkehr seit Jahrtausenden unwandelbar bestimmt hat, geht der lange Zug von Tafilet bis Tombuktu oder von Murzuk bis Bornu: kühne Unternehmungen, deren Möglichkeit auf der Existenz des Kamels beruht, des Schiffs der Wüste, wie es die alten Sagen der Ostwelt nennen.
Diese afrikanischen Ebenen füllen einen Raum aus, welcher den des nahen Mittelmeeres fast dreimal übertrifft. Sie liegen zum Teil unter den Wendekreisen selbst, zum Teil denselben nahe, und diese Lage begründet ihren individuellen Naturcharakter. Dagegen ist in der östlichen Hälfte des alten Kontinents dasselbe geognostische Phänomen mehr der gemäßigten Zone eigentümlich.
Auf dem Bergrücken von Mittelasien zwischen dem Goldberge oder Altai und dem Kuen-lün von der Chinesischen Mauer an bis jenseits des Himmelsgebirges und gegen den Aralsee hin, in einer Länge von mehreren tausend Meilen, breiten sich, wenn auch nicht die höchsten, doch die größten Steppen der Welt aus. Einen Teil derselben, die Kalmücken- und Kirgisen-Steppen zwischen dem Don, der Wolga, dem Kaspischen Meere und dem chinesischen Dsaisang-See, also in einer Erstreckung von fast 700 geographischen Meilen, habe ich selbst zu sehen Gelegenheit gehabt, volle dreißig Jahre nach meiner südamerikanischen Reise. Die Vegetation der asiatischen, bisweilen hügeligen und durch Fichtenwälder unterbrochenen Steppen ist gruppenweise viel mannigfaltiger als die der Llanos und Pampas von Caracas und Buenos Aires. Der schönere Teil der Ebenen, von asiatischen Hirtenvölkern bewohnt, ist mit niedrigen Sträuchern üppig weißblühender Rosazeen, mit Kaiserkronen (Fritillarien), Tulpen und Cypripedien geschmückt. Wie die heiße Zone sich im ganzen dadurch auszeichnet, daß alles Vegetative baumartig zu werden strebt, so charakterisiert einige Steppen der asiatischen gemäßigten Zone die wundersame Höhe, zu der sich blühende Kräuter erheben: Saussureen und andere Synanthereen, Schotengewächse, besonders ein Heer von Astragalus-Arten. Wenn man in den niedrigen tatarischen Fuhrwerken sich durch weglose Teile dieser Krautsteppen bewegt, kann man nur aufrecht stehend sich orientieren und sieht die waldartig dichtgedrängten Pflanzen sich vor den Rädern niederbeugen. Einige dieser asiatischen Steppen sind Grasebenen, andere mit saftigen, immergrünen, gegliederten Kalipflanzen bedeckt, viele fernleuchtend von flechtenartig aufsprießendem Salze, das ungleich, wie frischgefallener Schnee, den lettigen Boden verhüllt.
Diese mongolischen und tatarischen Steppen, durch mannigfaltige Gebirgszüge unterbrochen, scheiden die uralte, langgebildete Menschheit in Tibet und Hindostan von den rohen, nordasiatischen Völkern. Auch ist ihr Dasein von mannigfaltigem Einfluß auf die wechselnden Schicksale des Menschengeschlechts gewesen. Sie haben die Bevölkerung gegen Süden zusammengedrängt, mehr als der Himalaja, als das Schneegebirge von Sirinagur und Gorka den Verkehr der Nationen gestört und im Norden Asiens unwandelbare Grenzen gesetzt der Verbreitung milderer Sitten und des schaffenden Kunstsinns.