Ambulante tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie (Leben Lernen, Bd. 335) - Sigrid Pape - E-Book

Ambulante tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie (Leben Lernen, Bd. 335) E-Book

Sigrid Pape

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Beschreibung

Wie Gruppentherapie gelingt Seit Jahren übersteigt der Bedarf an ambulanter Psychotherapie das Angebot bei Weitem. Entsprechend attraktiv gestalten sich die Rahmenbedingungen für niedergelassene PsychotherapeutInnen, die neben Einzel- auch Gruppentherapie anbieten. Mit diesem Praxisbuch liegt nun ein umfassender Überblick über die Themen vor, die für eine tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie von Bedeutung sind. Die Gruppen-erfahrenen Autorinnen geben zum einen ihr Wissen zu den theoretischen und methodischen Hintergründen sowie den Rahmenbedingungen und besonderen Herausforderungen von Gruppentherapien weiter und erklären zum anderen praxisnah und anschaulich die psychodynamischen Interventionsschritte. Ein gut gefüllter Werkzeugkoffer lädt neben den klassischen Herangehensweisen auch zu erlebnisaktivierenden Methoden für einzelne TeilnehmerInnen und auch die Gesamtgruppe ein.

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Seitenzahl: 360

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Sigrid Pape

Marie-Luise Langenbach

Ambulante tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie

Das Praxisbuch

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Seit Jahren übersteigt der Bedarf an ambulanter Psychotherapie das Angebot bei Weitem. Um das Behandlungsangebot zu verbessern, wurden seit 2017 die Rahmenbedingungen für Gruppentherapie attraktiver gestaltet. Mit diesem Praxisbuch liegt nun ein umfassender Überblick über die Themen vor, die für eine tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie von Bedeutung sind. Die Gruppen-erfahrenen Autorinnen geben zum einen ihr Wissen zu den theoretischen und methodischen Hintergründen sowie den Rahmenbedingungen und besonderen Herausforderungen von Gruppentherapien weiter und erklären zum anderen praxisnah und anschaulich die psychodynamischen Interventionsschritte. Ein gut gefüllter Werkzeugkoffer lädt neben den klassischen Herangehensweisen auch zu erlebnisaktivierenden Methoden für einzelne Teilnehmer:innen und auch die Gesamtgruppe ein.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter: www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 335

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Aaron Hawkins/iStock by Getty Images

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-89307-6

E-Book-ISBN: 978-3-608-11950-3

PDF-ISBN: 978-3-608-20584-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Kapitel 1

Grundsätzliche Überlegungen

1.1 Warum Gruppentherapie?

1.2 Wie funktioniert Gruppentherapie?

1.3 Wann empfiehlt sich Gruppentherapie?

1.4 Was macht gute Gruppentherapeut:innen aus?

Kapitel 2

Theoretische Orientierung

2.1 Die humanistische Sichtweise

2.1.1 Ganzheitlichkeit und Ressourcenorientierung

2.1.2 Resonanz und Authentizität

2.2 Der psychodynamische Hintergrund

2.2.1 Übertragungen und unbewusste Beziehungsmuster in der Gruppe

2.2.2 Foulkes und die Gruppenanalyse

2.3 Der Beitrag von Yalom

2.4 Gruppendynamik

2.4.1 Gruppenphasen

2.4.2 Rangdynamisches Positionsmodell

2.4.3 Zusammenfassung

Kapitel 3

Eine Gruppe in Planung

3.1 Formale Rahmenbedingungen

3.1.1 Anzahl, Frequenz und Dauer der Sitzungen

3.1.2 Gruppengröße und Vergütung

3.1.3 Gutachterverfahren

3.1.4 Kombination von Einzel- und Gruppenbehandlung

3.1.5 Gruppenangebot im Online-Setting

3.1.6 Dokumentation

3.2 Eigene Rahmenbedingungen

3.2.1 Schweigepflicht und Verbindlichkeit

3.2.2 Ausfallhonorar- und Ferienregelung

3.2.3 Kontakte außerhalb des therapeutischen Settings

3.2.4 Beendigung der Zusammenarbeit

3.3 Zusammenstellung einer neuen Gruppe

3.3.1 Vorüberlegungen und Zielgruppe

3.3.2 Zusammenstellung einer Gruppe mit eigenen oder neuen Patient:innen

3.3.3 Indikation und Kontraindikation

3.3.4 Geschlossenes oder halboffenes Setting

3.3.5 Co-Leitung

3.4 Vorgespräche und Probatorik für eine Gruppentherapie

3.4.1 Motivationsförderung und Ermutigung

3.4.2 Diagnostik im Vorgespräch

3.4.3 Probesitzungen in der Gruppe

Kapitel 4

Die Gruppentherapie beginnt

4.1 Gemeinsamer Anfang

4.2 Neue Mitglieder kommen hinzu

4.3 Patient:innen mit Klinikerfahrung

4.4 Die Sitzordnung

4.5 Gruppennormen

Kapitel 5

Der Ablauf einer Sitzung

5.1 Der Sitzungsbeginn

5.2 Der mittlere Teil der Sitzung

5.3 Das Ende der Sitzung

Kapitel 6

Die mittlere Phase der Gruppe

Kapitel 7

Fokus unserer Aufmerksamkeit

7.1 Beachten der Gegenübertragung

7.2 Nonverbale Signale und verbale Äußerungen

7.3 Einzelne und die Gruppe als Ganzes

7.4 Beziehungs- und Interaktionsmuster und Konzentration auf den Inhalt

7.5 Zusammenfassung

Kapitel 8

Therapeutisches Vorgehen – psychodynamische Interventionsschritte

8.1 Klären: die Geschichte verstehen

8.2 Mitfühlen: Gefühle wahrnehmen und benennen

8.3 Konfrontieren: Widersprüchliches und Problematisches ansprechen

8.4 Deuten: Sinn, Funktion und Genese verstehen

8.5 Durcharbeiten: Hindernisse vor der Umsetzung bearbeiten

8.6 Umsetzen: Verhalten in der Gruppe und im Alltag verändern

Kapitel 9

Gruppenbezogene Steuerung

9.1 Aktivität: zurückhalten oder intervenieren?

9.2 Ansprechen, was fehlt: Abwehr und Unbewusstes

9.3 Atmosphäre: Energielevel und Stimmung

9.4 Die drei Dimensionen des Gruppenleitens im Überblick

Kapitel 10

Werkzeugkoffer

10.1 Die Rolle des Körpers bei der Erlebnisaktivierung

10.2 Das Vorgehen bei einer Einzelarbeit in der Gruppe

10.3 Erlebnisaktivierende Techniken zu Einzelarbeiten in der Gruppe

10.3.1 Die Arbeit mit dem leeren Stuhl

10.3.2 Rollenspiele

10.3.3 Psychodramatische Aufstellungen

10.3.4 Aufstellungen von Systemen mit Figuren

10.3.5 Arbeit mit inneren Persönlichkeitsanteilen

10.3.6 Abgewehrte Aggressionen ausdrücken

10.3.7 Timeline-Arbeit

10.4 Erlebnisaktivierende Techniken für die ganze Gruppe

10.4.1 Runden

10.4.2 Awareness in der Gruppe

10.4.3 Kontaktübungen

10.4.4 Imaginationsübungen

10.4.5 Ressourcenorientierte Imaginationen

10.4.6 Symbole und Identifikationsübungen

10.4.7 Malen und Gestalten

10.4.8 Soziometrische Aufstellungen

10.4.9 Arbeit in Kleingruppen

10.4.10 Übung zu Gruppennormen

10.4.11 Feedback und Sharing

10.5 Psychoedukation und Informationsvermittlung

Kapitel 11

Herausfordernde Situationen im Gruppenprozess

11.1 Einzelne scheinen nicht in die Gruppe zu passen

11.2 Rütteln am Rahmen

11.3 Schweigen in der Gruppe

11.4 Rückzugstendenzen eines Gruppenmitglieds

11.5 Ein Gruppenmitglied nimmt zu viel Raum ein

11.6 Zu viele Anliegen in einer Sitzung

11.7 »Die Probleme der anderen belasten mich zu stark.«

11.8 Zwei haben ein Geheimnis

11.9 Kollision mit eigenen Werten

11.10 Selbstgefährdung einer Patientin

11.11 Alkoholkonsum

11.12 Umgang mit Scham

11.13 Ein sexueller Übergriff wird berichtet

11.14 Suizidale Krise

11.15 Streit ums Ausfallhonorar

11.16 Verbaler Angriff auf die Gruppenleitung

11.17 Umgang mit Aggressionen in der Gruppe

11.18 Spaltung in der Gruppe

11.19 Co-Leitung und Spaltung

11.20 Widerstand in Gruppen

11.21 Hilfe! Die Gruppe löst sich auf!

Kapitel 12

Die Gruppentherapie endet

12.1 Gemeinsames Ende einer Therapiegruppe

12.2 Ende einer Jahresgruppe

12.3 Einzelne beenden ihre Gruppenteilnahme

12.4 Das Sitzungskontingent eines Gruppenmitglieds läuft aus

12.5 Die Gruppenleitung beendet die Gruppe

Kapitel 13

Anhang

Formale Voraussetzungen zum Erwerb der Fachkunde: Erlangen der Abrechnungsgenehmigung für Gruppenpsychotherapie

Fragenkomplexe für das Vorgespräch

Beispiel eines Gruppenvertrages für eine Therapiegruppe

Übung zur achtsamen Wahrnehmung des Körpers

Literaturverzeichnis

Vorwort

Man muss nur die ersten Absätze dieses Buches lesen, um festzustellen, dass man es in dieser Einführung in eine moderne Gruppenpsychotherapie mit dem Ergebnis langjähriger Arbeit von zwei sehr erfahrenen Gruppentherapeutinnen zu tun hat.

Neben einer allgemeinen Einführung in Gruppendynamik und verschiedene Theorien des gruppentherapeutischen Prozesses bekommt man eine Übersicht in Grundlagen wichtiger Therapieschulen wie z. B. die humanistischen Therapien und – vor allem – in tiefenpsychologisch wichtige Konzepte. Denn diese Form der Gruppentherapie ist vor allem tiefenpsychologisch fundiert – allerdings eben unter Einschluss anderer theoretischer Perspektiven und praktischer Methoden.

Es werden sehr viele Themen dieser vielschichtigen und komplizierten Behandlungsform dargestellt: angefangen bei basalen Überlegungen einer Gruppentherapeutin oder eines Gruppentherapeuten, wie die möglichst gute Zusammenstellung einer Gruppe, die Gestaltung der ersten Sitzungen und einer möglichst günstigen Platzverteilung, bis hin zu besonders schwierigen Momenten, wie solchen, wo Gruppenmitglieder eine völlig unterschiedliche Wertordnung vertreten, heimliche Alkoholiker sind, andere Geheimnisse haben, Ausfallhonorare nicht zahlen wollen und ähnlich problematische Situationen.

Was das Buch für mich am interessantesten macht, ist die Tatsache, dass hier ganz selbstverständlich auf dem Boden einer gut erklärten psychoanalytischen Theorie eine Vielfalt von psychotherapeutischen Methoden dargestellt wird, die sich in anderen therapeutischen Zusammenhängen schon als wirksam und oft erlebnisvertiefend erwiesen haben. Rollenspiele, Imaginationsübungen, Körperübungen – dies alles wird sehr eindrucksvoll beschrieben und eingepasst in den immer wieder klar benannten Rahmen theoretischer psychoanalytischer Konstrukte und mit nachvollziehbaren Falldarstellungen illustriert.

Das alles wird lebendig und detailreich dargestellt. Der Sprachstil der Autorinnen weicht in wohltuender Weise vom oft etwas hölzernen Stil üblicher Handbücher und wissenschaftlicher Darstellungen ab, sodass das Lesen ein Vergnügen ist.

Wie in manch anderen Veröffentlichungen wird auch hier klar, dass moderne Psychotherapeut:innen die Kunst beherrschen müssen, sich zwar an einem theoretischen Konzept zu orientieren, aber flexibel in der Auswahl der praktischen Methoden situationsspezifisch zu reagieren. Es genügt nicht, sich nur innerhalb eines einzigen schulenspezifischen Behandlungsparadigmas zu bewegen, der Beruf der/des Psychotherapeut:in verlangt in unserer Zeit mehr. Ganz andere Schichten der Bevölkerung als noch vor 50 oder gar 100 Jahren wollen mittels einer Psychotherapie seelisches Gleichgewicht erlangen; es gibt andere Kontextvariablen zu beachten, sehr unterschiedliche Charakterstrukturen und Störungsbilder verlangen breitere Behandlungsmöglichkeiten. In diesem Sinn ist unser Beruf sehr viel komplexer geworden, als er noch vor einigen Jahrzehnten war. Die neue Ausbildungsordnung trägt dem auch Rechnung – aber nicht jeder und jedem ist ganz klar, warum und in welcher Weise er/sie eine größere Breite an theoretischen und behandlungsspezifischen Konzepten erlernen soll.

Für die Gruppentherapie findet man im Buch von Sigrid Pape und Marie-Luise Langenbach nun in sehr eindrucksvoller Form eine klare Antwort auf die Frage, warum es sehr hilfreich ist, sich mit unterschiedlichen Konzepten zu befassen – auch wenn man sich dafür entscheidet, psychoanalytische Konstrukte als günstige Leitlinie des Denkens zu betrachten. Die Bereicherung, die das therapeutische Vorgehen dadurch erhält, die Flexibilität und Lebendigkeit wird der Leserin und dem Leser sehr eindrucksvoll vor Augen geführt.

Ein Buch, das jeder Gruppentherapeut, jede Gruppentherapeutin sehr sorgfältig studieren sollte!

Eva Jaeggi

Einleitung

Seit vielen Jahren haben wir, die beiden Autorinnen, viel Freude daran, Patient:innen in unseren tiefenpsychologisch fundierten Gruppen zu behandeln. Darüber hinaus sind wir in der Aus- und Fortbildung von Kolleg:innen tätig, die das Handwerk oder die Kunst der tiefenpsychologisch fundierten Gruppentherapie erlernen möchten.

Immer wieder wird uns dabei die Frage gestellt: Was genau macht ihr da? Wie macht ihr das? Was leitet euch in der Entscheidung für eure Interventionen? Was ist eigentlich das Spezifische an diesem Ansatz? Und: Wo kann man das nachlesen?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir das vorliegende Buch geschrieben. Doch schon bei der Planung dieses Projekts wurde uns immer mehr bewusst: Gruppen leiten ist doch eine Kunst, ein schöpferischer Akt, der im Moment entsteht und der nur schwer in Regeln festzuhalten ist. Wir sind beim Versuch, die tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie zu beschreiben, mit einer großen Komplexität konfrontiert, die sich nicht so einfach in ein Handlungsrezept pressen lässt.

Viele Autor:innen vor uns haben Konzepte und Methoden für die Gruppenarbeit entwickelt: 1905 arbeitete Joseph Pratt auf einer Tuberkulosestation mit Gruppen von Erkrankten, die durch die Gruppenarbeit schneller gesundeten. Es folgte Trigant Burrow, der zwischen 1924 und 1927 Texte zur psychoanalytischen Gruppenbehandlung veröffentlichte und den Begriff »group analysis« prägte. Jakob Moreno, in den 20er-Jahren der Begründer des Psychodramas, verwendete 1931 als Erster den Begriff »Gruppentherapie«.

Wilfried Bion, S. H. Foulkes, Irvin Yalom und in den frühen 70er-Jahren schließlich, im deutschsprachigen Raum, Anneliese Heigl-Evers und Franz Heigl entwickelten und differenzierten – jede und jeder mit einem ganz eigenen Beitrag – das Potenzial der psychoanalytischen Behandlung in Gruppen (Gephart 2009). Theorien der Gruppendynamik wurden von Kurt Lewin ab 1939, später von Raoul Schindler mit seinem Rangdynamischen Modell entwickelt. Auch Jakob Moreno gehört zu den Gruppendynamiker:innen. Wesentliche Erkenntnisse und Erfahrungen in der Behandlung von Gruppen gehen zudem auf die Encounter-Bewegung in den USA der 60er- und 70er-Jahre zurück, in der Carl Rogers, der Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, und Fritz und Laura Perls, die Begründer:innen der Gestalttherapie, eine wichtige Rolle spielten.

Doch wie verorten wir als tiefenpsychologisch arbeitende Gruppentherapeut:innen uns auf dem Hintergrund all dieser berühmten »Mütter und Väter« der Gruppenpsychotherapie1?

In unserer langjährigen Arbeit in und mit Gruppen haben wir eine intuitive Handlungssicherheit gewonnen. Sie leitet uns bei all den kleinen Entscheidungen in Gruppensitzungen. Oft konnten wir erst im Nachhinein, wenn wir über den Gruppenprozess und unsere Interventionen nachdachten, Gründe für unser Handeln formulieren und daraus nach und nach die Beschreibung unserer individuellen, persönlich gewachsenen Methode entwickeln.

Aber wie beginnt dieser Prozess? Und wie können wir diesen Professionalisierungsprozess voranbringen? Was können wir Kolleg:innen und Ausbildungskandidat:innen an die Hand geben, die beginnen wollen, mit Gruppen zu arbeiten, und denen die Erfahrung noch fehlt? Schließlich handelt es sich doch um eine professionell erlernbare Tätigkeit, um ein Handwerk oder »Sprechwerk« – mit einer dazugehörigen Genehmigung und Abrechnungsziffern der KV.

In diesem Buch beschreiben wir das theoriegeleitete »Handwerk« tiefenpsychologisch fundierter Gruppentherapie systematisch, prozess- und handlungsorientiert für die Praxis. Wir sind dabei im Wesentlichen von unseren eigenen praktischen Erfahrungen als Gruppentherapeutinnen und zum Teil auch von Diskussionsbeiträgen befreundeter Kolleg:innen aus dem Großraum Hamburg ausgegangen, mit denen wir uns seit mehr als zehn Jahren in einem regelmäßigen fachlichen Austausch befinden.

Nach einem kurzen Überblick über die theoretischen Hintergründe stellen wir die formalen und inhaltlichen Rahmenbedingungen von tiefenpsychologisch fundierter Gruppentherapie vor. Diese Kapitel werden besonders für diejenigen unter unseren Leser:innen interessant sein, die gerade dabei sind, eine Therapiegruppe zu planen und neu einzurichten.

Der weitere Aufbau des Buches orientiert sich am Verlauf einer Gruppentherapie: Die Planung, der Beginn der Gruppe, der Ablauf einer Sitzung, der Gruppenprozess und schließlich das Ende der Gruppentherapie.

Wir haben den Versuch unternommen, durch das Erkennen von Mustern Ordnungskategorien zu entwickeln, die uns hilfreich erschienen, um sich im Dschungel der Komplexität einer Therapiegruppe mit den daran beteiligten Menschen und ihren Problemen zurechtzufinden:

Zunächst beschäftigen wir uns damit, worauf wir als Therapeut:innen während einer Gruppensitzung unsere Aufmerksamkeit richten, um daraus mögliche Interventionen zu entwickeln. Dann geht es darum, was das therapeutische Vorgehen in einer Gruppe ausmacht, und anschließend wenden wir uns der Frage zu, wie wir als Gruppentherapeut:innen die Prozesse in einer Gruppe so steuern können, dass eine positive Entwicklung der einzelnen Patient:innen unterstützt wird.

Im darauffolgenden Teil des Buches stellen wir eine Vielzahl von therapeutischen »Werkzeugen« bzw. Techniken der Bearbeitung vor, die in bestimmten Situationen in der tiefenpsychologischen Gruppentherapie eingesetzt werden können, um den Zusammenhalt der Gruppe zu fördern, erlebnisaktivierend zu wirken oder innere Prozesse äußerlich sicht- und behandelbar zu machen.

Abgerundet wird dieses Praxisbuch durch ein Kapitel, in dem wir Situationen aus unseren Therapiegruppen zusammengetragen haben, in denen wir uns vor besondere Herausforderungen gestellt sahen. Leser:innen, die schon Erfahrung mit Gruppenleitung haben, werden hier sicher einige Situationen wiedererkennen.

Über das ganze Buch hinweg haben wir eine Vielzahl von Beispielen – positive und weniger positive – aus unseren Gruppensitzungen eingefügt: Wir haben sozusagen ein Fenster zum Gruppenraum geöffnet, durch das Sie hineinschauen können. Sowohl die Namen der beteiligten Patient:innen als auch etwaige Lebensumstände wurden dabei anonymisiert.

Wir würden uns freuen, wenn Sie sich durch unser Buch zum Nachdenken, Nachspüren und zum Entwickeln und Verfeinern eines eigenen psychotherapeutischen Stils in der Gruppenleitung angeregt fühlen.

Wir hatten viel liebevolle Unterstützung und möchten uns ganz herzlich dafür bedanken: bei Eva Jaeggi und Klaus Semmler, die uns mit ihrer psychoanalytischen Kompetenz durch das Lesen des Manuskriptes unterstützt haben, bei Hartwig Giese, Thomas Weghmann, Irene Stratenwerth, Heike Platow-Kohlschein, Andrea Gottschalk, Manfred Klingele-Pape und Charli Pape, die das Manuskript mit viel Wertschätzung gelesen und kritisiert haben, bei Frau Treml vom Klett-Cotta Verlag, die alle unsere Fragen geduldig beantwortet und den Text für uns lektoriert hat, bei den Kolleg:innen aus unserem Gruppentherapie-Netzwerk für die Anregungen, bei Michaela Simon, Gitta Forsbach, Angela-Birgit Maass und Eberhard Binder für die Erlaubnis, Beispiele aus ihrer Praxis zu verwenden – und bei unseren Gruppenpatientinnen und -patienten, die uns immer wieder herausfordern und weiterbringen.

Und nun: Viel Spaß beim Lesen!

Kapitel 1

Grundsätzliche Überlegungen

1.1 Warum Gruppentherapie?

Eine psychotherapeutische Gruppe stellt einen Mikrokosmos dar, der dem sozialen Gefüge ähnelt, in dem wir uns in unserem Alltag bewegen bzw. in dem wir in der Vergangenheit aufgewachsen sind. Früher erworbene und heute nicht mehr günstige, dysfunktionale Interaktionsmuster werden in der Gruppe sichtbar und können dort effektiv behandelt werden. Ein solches soziales Gefüge ist im dyadischen Setting einer Einzeltherapie nicht herstellbar. Unter einem dysfunktionalen Beziehungs- oder Interaktionsmuster werden unbewusst gestaltete Interaktionen verstanden, die selbst- oder fremdschädigend sind. Sie entstehen meist in der frühen Kindheit und enthalten negative Überzeugungen über sich selbst (z. B.: Ich bin wertlos oder nicht liebenswert), über andere Menschen (z. B.: Die wollen mich ausnutzen; oder auch: Ich bin abhängig von deren Wohlwollen) und die Welt (z. B.: Die Welt ist gefährlich und bedrohlich). Einerseits führen diese Überzeugungen zu inneren Konflikten (z. B. Kontrolle vs. Unterwerfung oder Identitätskonflikte), andererseits werden Beziehungen unbewusst immer wieder so gestaltet, dass die Überzeugungen validiert werden. Die Erkenntnis und Bearbeitung dieser unbewussten Überzeugungen verändern das Leben der Patient:innen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit in der Gruppe ist folgender: Die Therapeutin oder der Therapeut wird immer auch als eine Person wahrgenommen, die in ihrer Berufsrolle kommuniziert und handelt. Hinweise oder Ratschläge von Mitpatient:innen werden anders wahrgenommen als Ratschläge von therapeutischer Seite – oftmals werden sie als authentischer und glaubwürdiger empfunden, da sie aus eigener Erfahrung und nicht aus einem theoretischen Hintergrundwissen stammen. Viele der von Irvin Yalom (2005) für die Gruppentherapie beschriebenen Wirkfaktoren sind nicht in erster Linie von der Einwirkung eines Therapeuten oder einer Therapeutin abhängig, sondern entfalten in einer gut arbeitenden Gruppe quasi »von allein« ihre therapeutische Wirkung.

Von Seiten der Krankenkassen werden ökonomische Argumente für die Förderung von Gruppentherapie angeführt: In den letzten Jahren wurde viel dafür getan, gruppentherapeutische Angebote zu erleichtern, z. B. durch den Wegfall des Gutachterverfahrens. Zudem wurde das Angebot von Gruppentherapien finanziell attraktiver gemacht.

Wenn man den hohen Bedarf an Psychotherapie, die langen Wartezeiten auf einen Platz und die psychotherapeutische Versorgungslage in Deutschland betrachtet, so ist das Bestreben der Krankenkassen, gruppentherapeutische Angebote zu fördern, nachvollziehbar: Statt einer behandlungsbedürftigen Person in 50 Minuten können neun Patient:innen in 100 Minuten behandelt werden – das bedeutet eine Steigerung der Versorgung um mehr als das Vierfache.

1.2 Wie funktioniert Gruppentherapie?

Tiefenpsychologisch fundiert arbeitende (TP-)Gruppen, die über eine Krankenkasse finanziert werden, bieten einen zeitlichen Behandlungsrahmen von ca. zwei Jahren und unterliegen bestimmten, von der KV vorgegebenen Regeln, die in der Psychotherapie-Leitlinie, wie z. B. im Faber-Haarstrick-Kommentar beschrieben, nachzulesen sind (Diekmann et al. 2020).

Die TP setzt einen Behandlungsfokus auf dysfunktionale Beziehungsdynamiken und strukturelle Defizite, mit dem Ziel, durch deren Sichtbarmachung, Verständnis und Veränderung das Leiden der Patient:innen zu verringern. Unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand wird vorwiegend konflikt- bzw. strukturzentriert gearbeitet. Regression wird nicht gefördert, sondern angesprochen, dadurch bewusst gemacht und begrenzt.

Für jede Patientin und jeden Patienten wird vor Beginn der Gruppe ein individueller Behandlungsfokus bzw. ein Behandlungsziel bestimmt, der bzw. das in der Gruppe in seiner je aktuellen Wirksamkeit untersucht wird. Ziel für die einzelnen Teilnehmer:innen ist eine Symptomreduktion und begrenzte Änderung ihres Verhaltens und ihrer Gefühle im Lebenskontext. Dies soll erreicht werden durch ein tieferes Verständnis der Symptomatik, die in Zusammenhang mit symptomauslösenden Situationen, den darin wirksamen Beziehungsdynamiken und biografischen Beziehungserfahrungen gesetzt wird. Dabei erscheinen die Mitpatient:innen als wichtige, antwortende Dialogpartner:innen. Ihre Reaktionen im Fühlen, Denken und Verhalten geben Aufschlüsse über die Abwehr – die eigene und die des Gegenübers. Ihre Reaktionen eröffnen den Weg zu dahinterliegenden Affekten und dadurch zur unbewusst gerade wirksamen Beziehungsdynamik.

Abbildung 1: TP-Vorstellung der Verbindung zwischen aktuell und biografisch erlebten Beziehungen und Konflikten

Darüber hinaus bietet die Gruppenpsychotherapie die Möglichkeit, gewonnene Erkenntnisse, besonders im interaktionellen Bereich, direkt im Hier und Jetzt der Gruppe in Handlung umzusetzen, sozusagen im geschützten Rahmen der Gruppe Probe zu handeln, bevor dies auch in den Alltag der Patient:innen umgesetzt werden kann.

Die Therapeutin bzw. der Therapeut gibt der Gruppe einen Rahmen, eine Struktur, eine Richtung, findet nicht nur mentalisierend Worte für die unbewusst oder vorbewusst im Raum sich entfaltenden Themen, sondern bietet auch Interventionen zur Bearbeitung an. Sie oder er unterstützt den direkten Austausch, die Interaktionen der Teilnehmenden untereinander, stellt vertiefende Fragen an die Gruppe oder Einzelne und kann auch – je nach Wissen und Erfahrung – erlebnisaktivierende Techniken in die Behandlung integrieren, die in den letzten Jahrzehnten in der Gestalt-, Körper- und Familientherapie bzw. in der Kommunikationspsychologie entwickelt wurden und die in der tiefenpsychologisch fundierten Gruppenpsychotherapie effektiv und wirksam angewendet werden können. »Es wird je nach Bedarf Achtsamkeit stärkend, kognitiv und erklärend, psychoedukativ, stabilisierend und ressourcenorientiert, stützend, suggestiv, emotionsaktivierend und störungsspezifisch gearbeitet« (Trautmann-Voigt 2013, S. 16).

Die aktuell in die Gruppe eingebrachten Themen, Erfahrungen und Erlebnisse werden antwortend aufgenommen. Die anderen Patient:innen werden ermutigt, sich mit ähnlichen Erfahrungen zu äußern oder in Resonanz (Wie kommt das bei mir an? Was macht es mit mir?) zu gehen. Das hat in der Regel eine entlastende Wirkung, das betroffene Gruppenmitglied fühlt sich gesehen und verstanden.

Im Laufe der Behandlung werden biografische Verbindungen gefunden zwischen dem Erzählten/Erlebten und längst vergangenen, schmerzhaften Erfahrungen, die in unbewusste Beziehungsmuster geführt haben. Dies lässt eine Gruppe fast automatisch mitfühlend reagieren und verifiziert das Erleben des jeweiligen Gruppenmitglieds.

Im späteren Verlauf ist es dann oft möglich, die unbewussten Eigenanteile der Patient:innen an misslingenden Beziehungserfahrungen im privaten oder beruflichen Feld zu erarbeiten. Von tiefer Scham bis zu erkennender Heiterkeit – alle Gefühle werden von der Gruppe beantwortet und erleichtern in der Regel die Integration in das veränderungsbereite System des Patienten oder der Patientin.

1.3 Wann empfiehlt sich Gruppentherapie?

Die Frage der Indikation für eine Gruppentherapie gerät in der Literatur häufig zur Frage nach der Gruppenfähigkeit von Patient:innen. Grundsätzlich erscheint es aber fraglich, ob man die Frage, ob eine Person »gruppenfähig« ist, in dieser Allgemeinheit überhaupt beantworten kann. Michael Hayne (1998) legt dazu dar, dass die Frage der »Gruppenfähigkeit« von Patient:innen häufig zur Frage der Passung zwischen Gruppenmitglied und Therapeut:in gerät bzw. auch mit einem blinden Fleck oder einer eigenen Problematik der jeweiligen Therapeutin oder des Therapeuten zu tun haben kann. Während die Frage, ob ein Patient oder eine Patientin grundsätzlich »gruppenfähig« ist, womöglich in eine Sackgasse führt, ist die Frage der Differenzialindikation äußerst sinnvoll und zielführend. »Passt diese Patientin oder dieser Patient in diese spezifische Gruppe?« bzw. »Ist diese spezifische Gruppe für diese Patientin oder diesen Patienten passend?« – diese Fragen müssen wir uns stellen, und sie sind, auch mit viel Erfahrung, nicht immer eindeutig zu beantworten. Das gilt natürlich besonders für eine Gruppe, die noch im Stadium der Planung ist, mit der wir also noch keine persönlichen Erfahrungen haben. So stellen wir immer wieder fest, dass wir auch als erfahrene Gruppentherapeut:innen Fehlentscheidungen treffen können, sodass Patient:innen nach kurzer Zeit wegen fehlender Passung wieder aus der Gruppe ausscheiden (vgl. Kap. 3.3.1).

1.4 Was macht gute Gruppentherapeut:innen aus?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. In unseren Seminaren mit jungen Kolleg:innen ist es uns immer wichtig zu betonen, dass es viele verschiedene »gute« Arten gibt, eine Gruppenpsychotherapie durchzuführen, und dass im Grunde der eigene persönliche Stil dabei gefunden werden muss. Wir haben großes Vertrauen in den Prozess, dass sich zueinander passende Patient:innen und Therapeut:innen finden und dass die als stimmig empfundene Begegnung der beiden Seiten entscheidend zu einer positiven Prognose beiträgt.

Gruppentherapie verläuft anders als Einzelbehandlung und erfordert neues Wissen und anderes Handeln. Die Therapeutin oder der Therapeut braucht natürlich eine fundierte, gute Ausbildung und dazu ist es aus unserer Sicht absolut notwendig, Gruppentherapie zuvor auch als Teilnehmer:in erlebt zu haben und die ersten Gruppen unter Supervision zu leiten.

Die wichtigste persönliche Voraussetzung gegenüber der Arbeit im Einzelsetting ist, dass man »Lust auf Gruppe« hat. Das Geschehen in einer Gruppe ist sehr viel komplexer und unübersichtlicher als in einem einzeltherapeutischen Setting. Wir müssen diese Überkomplexität durch Fokussierung und Steuerung reduzieren. Ständig treffen wir kleine und größere Entscheidungen, wie etwa: Worauf richtet sich der Fokus meiner Aufmerksamkeit? Halte ich mich zurück, weil ein produktiver Gruppenprozess im Gang ist, oder sollte ich steuernd intervenieren? Wende ich mich Einzelnen zu oder richte ich mich an die ganze Gruppe? Fallen mir nonverbale Äußerungen auf, die angesprochen werden sollten? Ob die Entscheidung dann »richtig oder falsch« getroffen ist, lässt sich in der Regel nicht eindeutig sagen und erfordert von uns den Mut zur intuitiven Entscheidung und zum Unperfektsein.

Dazu gehört, dass man eine gewisse Ambivalenz- bzw. Ambiguitätstoleranz und Spaß an der Komplexität des Gruppengeschehens hat und dass man sich zutraut, auch Unsicherheiten, mitunter sogar das Gefühl von Kontrollverlust, ertragen zu können. Das höhere Aktivierungsniveau in einer tiefenpsychologisch fundiert arbeitenden Gruppe sollte man genießen können.

Aus dem eben Gesagten geht hervor, dass eine Fähigkeit zum Fokussieren hilfreich ist sowie auch eine gute Balance zwischen der Fähigkeit, sich innerlich vom Geschehen zu distanzieren, um den Überblick zu behalten, und der Bereitschaft, in bestimmten Situationen (z. B. bei der Verletzung von Rahmenbedingungen oder beim Schutz einzelner Gruppenmitglieder) schnell aktiv die Führung zu übernehmen.

In der Arbeit mit Gruppen werden wir nicht nur als Therapeut:innen, sondern auch als Menschen mit unseren Stärken und Schwächen sichtbarer als in einer Einzeltherapie. Wir sind sichtbar in unseren Haltungen und Reaktionsweisen, und auch die unbewusst durch uns mitvermittelten Normen und Haltungen spielen eine Rolle im Therapieprozess. Die Gefahr eines Machtmissbrauchs durch das Etablieren von Gruppennormen sollte dabei mitbedacht werden. (Strauß 2017, S. 79 ff.) Deshalb ist begleitende Super- oder Intervision zur Untersuchung der unbewusst wirksamen Dimensionen der Arbeit wichtig und kann mit Interesse und Freude verfolgt werden.

Ein Therapeut oder eine Therapeutin braucht ein authentisches, integres Auftreten. Offenheit und Toleranz sind wie in der Einzelbehandlung wichtige Voraussetzung für das Gelingen eines konstruktiven Arbeitsbündnisses. In der Gruppe kommt die Anforderung hinzu, möglichst alle Gruppenmitglieder mit »gleicher« Zuwendung zu behandeln. Die Gruppenmitglieder orientieren sich an uns, wir haben eine Modellfunktion und müssen uns daran messen lassen, ob wir die Dinge, die wir inhaltlich vertreten, auch selbst verkörpern. Das beginnt bei den Rahmenbedingungen, die wir für die Gruppe aufstellen: Der therapeutische Umgang mit Pünktlichkeit, Klarheit und Verlässlichkeit, Verbindlichkeit im Einhalten von Fristen für Weiterbewilligungen etc. ist ein entscheidender Faktor, der der Gruppe eine stabile, vertrauensvolle Basis gibt und für die Teilnehmer:innen auch eine Vorbildfunktion im Hinblick auf den eigenen Umgang mit Verlässlichkeit und Integrität in ihrem Alltag hat. Dies ist für Patient:innen, die zumindest zum Teil in einem Umfeld aufgewachsen sind, in dem Verlässlichkeit und Bindungssicherheit nicht selbstverständlich waren, besonders wichtig.

Natürlich haben wir nicht nur im Hinblick auf einzuhaltende Rahmenbedingungen eine Orientierungsfunktion. Auch bei der Art, wie wir z. B. mit Konflikten umgehen, ob wir in der Lage sind, uns selbstkritisch zu reflektieren, ob wir Emotionen zeigen und regulieren und auch belastende Themen aushalten können, ob wir Schwächere schützen und Aggressionen begrenzen können, wo wir mitlachen und wo nicht – es gibt viele Gelegenheiten in einer Gruppentherapie, bei denen wir als Therapeut:innen in unseren Haltungen und Lebenseinstellungen sichtbar werden.

Wir arbeiten als unvollkommene Menschen mit Menschen, und der liebevolle Umgang mit eigenen Schwächen ist nicht nur in seiner Modellfunktion wertvoll. Wir sollten bereit und in der Lage sein, gut mit Kritik umzugehen. Eine Portion Humor kann dabei helfen.

Kapitel 2

Theoretische Orientierung

Bevor wir uns nun einzelnen Aspekten der tiefenpsychologischen Arbeit mit Therapiegruppen zuwenden, halten wir es für notwendig, einen Blick auf den theoretischen Hintergrund zu werfen. Wie sieht die Theorie aus, die unserer praktischen Arbeit zugrunde liegt, uns Orientierung und Halt gibt bei der Entscheidung für Fokus und Interventionen?

Die tiefenpsychologisch fundierte Arbeitsweise, die zu Beginn und über lange Jahre als »abgespeckte« Form der Psychoanalyse angesehen wurde (Kumbier 2008), hat sich inzwischen längst zu einer eigenständigen Therapieform entwickelt. Basierend auf den grundlegenden Prinzipien der Psychoanalyse hat sie Einflüsse aus anderen Therapieschulen integriert und zum Wohle der behandelten Patient:innen fokussiert in Anwendung gebracht – so auch in der Gruppenpsychotherapie.

Unser Blick richtet sich dabei vor allem, neben der psychodynamischen, auf zwei weitere theoretische Richtungen, die sich in unserer Haltung und Vorgehensweise widerspiegeln: die humanistische und die gruppendynamische.

2.1 Die humanistische Sichtweise

Die humanistische Psychotherapie hat unser2 Menschenbild geprägt. Sie betont die Selbstaktualisierungstendenz des Menschen: Jeder Mensch hat demnach den Wunsch und die Fähigkeit, sich von innen heraus weiterzuentwickeln und selbst zu verwirklichen. Erst wenn diese Selbstaktualisierungstendenz durch die persönlichen Lebensumstände erschwert oder behindert wird, kommt es zu psychischen Störungen. Verhaltensweisen, die heute als unangepasst oder störend empfunden werden, waren zu früheren Zeiten, in der Kindheit der Betroffenen, sinnvoll oder sogar lebensrettend. Dieser ressourcenorientierte Blick auf die positive Funktion und den Sinn »negativen« Verhaltens prägt die humanistische Grundhaltung, die das Wachstumspotenzial im Menschen betont und nicht defizitorientiert seine psychischen Schwächen. Ressourcenaktivierung im Rahmen einer positiven Beziehungserfahrung wird auch in tiefenpsychologischen Psychotherapien zunehmend als bedeutsamer therapeutischer Wirkfaktor angesehen (Wöller 2015).

2.1.1 Ganzheitlichkeit und Ressourcenorientierung

Mit einem ressourcenorientierten Blick auf Entwicklungsmöglichkeiten werden Menschen als ganzheitliche Lebewesen in einer Körper-Geist-Seele-Einheit verstanden. Bei der Suche nach Veränderungspotenzial werden alle Teile dieser Einheit in den Blick genommen. Die Grundhaltung, in der wir unseren Patient:innen gegenübertreten, ist dabei keine hierarchische, sondern eine Kommunikation auf Augenhöhe, die die Patient:innen als Expert:innen für ihre eigene Lebenswelt versteht und respektiert. Carl Rogers, der Begründer der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie, hat in der Encounter-Bewegung der 60er- und 70er-Jahre ebenso wie Fritz Perls entscheidend zur Entwicklung humanistischer Gruppentherapiekonzepte beigetragen.

Die therapeutische Vorgehensweise, die diesem Menschenbild entspricht, impliziert eine weitgehende Offenheit für das, was wir im Kontakt mit unseren Patient:innen wahrnehmen und erleben, ohne mit einer vorgefassten Theorie oder Wertung an den jeweiligen Menschen und seine geschilderte Problematik heranzugehen. Wir versuchen im Sinne einer phänomenologischen Herangehensweise, die Menschen, die uns als Patient:innen begegnen, erst einmal in ihrem jeweiligen In-der-Welt-Sein kennenzulernen. Gleichzeitig ist es unsere therapeutische Aufgabe, parallel zu dieser phänomenologischen Grundhaltung Hypothesen über die Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Problematik zu entwickeln, um unsere Patient:innen bei deren Bearbeitung zu unterstützen. Dabei sollten wir darauf achten, dass diese Hypothesen einen vorläufigen Charakter haben und sich im Laufe der Therapie verändern können.

Diese Haltung verlangt in der Gruppentherapie, unsere Deutungsideen zugunsten einer offenen Wahrnehmung und eines Vertrauens in die Kraft der Gruppe zuweilen hintanzustellen.

Eine junge Patientin, die noch nicht lange Teil der Gruppe war, hatte in der Woche zuvor den gemeinsamen Gruppentag »verschlafen«, was ihr höchst peinlich war. Zur nächsten Sitzung kam sie mit einem selbstgebackenen Kuchen, den sie – quasi als Entschuldigung – während der Sitzung an die Teilnehmenden verteilen wollte. Das »Vergessen« des gemeinsamen Gruppentages rief bei mir (SP) verschiedene Hypothesen auf den Plan: Hatte sie Angst vor der Konfrontation mit den eigenen Problemen? Hatten sich ihre sozialphobischen Tendenzen verstärkt? Vermeidung war ein generelles Problem dieser unsicheren jungen Frau.

Meine Einschätzung, dass sich die bereits »schuldbeladene« Patientin durch ein Ansprechen einer dieser Hypothesen zurückgewiesen fühlen würde oder sogar die Gruppe abbrechen könnte, ließ mich diese möglichen Deutungen zurückstellen. Ich dankte ihr freundlich und schlug vor, uns im Anschluss an die Gruppensitzung eine Viertelstunde Zeit zu nehmen, um den Kuchen gemeinsam zu essen. Ich nahm den »Wiedergutmachungsversuch« der jungen Frau an. Die Patientin fühlte sich wertgeschätzt (korrigierende emotionale Erfahrung) und durch ihre kreative Lösung (wieder) in den Kreis der Gruppe aufgenommen. Etwaige Deutungen wurden auf einen späteren Zeitpunkt vertagt, an dem die junge Patientin eher in der Lage war, eine konfrontierende Deutung anzunehmen.

Ein weiterer Aspekt einer ganzheitlichen Orientierung ist der Einbezug des Körpers in die tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie: Uns interessiert nicht nur der verbale Austausch in der Gruppe, sondern auch das, was wir körperlich/sensorisch sowohl bei uns selbst als auch in und an der Gruppe wahrnehmen. So werden wir aufmerksam, wenn wir bei einem Gruppenmitglied Dissonanzen zwischen körperlichem Ausdruck und Gesprochenem spüren. Durch eine Fokussierung auf körperliche Empfindungen können Emotionen verdeutlicht oder vertieft werden.

2.1.2 Resonanz und Authentizität

Resonanz, von Hartmut Rosa (2021) als Gegenteil von Entfremdung beschrieben, bedeutet »widerhallen, ertönen«. Sie entsteht zwischen Menschen, die sich aufeinander beziehen, als körperliche Schwingung, erzeugt eine Atmosphäre und eine psychische Antwort aufeinander, die verbalisiert werden kann. Mit Resonanz ist hier gemeint, dass wir Therapeut:innen uns als »antwortendes« Gegenüber (Heigl-Evers & Heigl 1994) verstehen, indem wir in bestimmten Fällen und in selektiver Offenheit unsere eigene innere Antwort, unsere eigenen Gefühle oder Erfahrungen als Resonanz auf von den Gruppenmitgliedern geschilderte Erfahrungen beisteuern.

Als Leiter:innen einer tiefenpsychologischen Gruppe treten wir also auch als Menschen mit eigenen Emotionen und Reaktionen authentisch in Erscheinung. Die Art und Weise, wie wir uns in Interaktionen verhalten, wann wir Interaktionsprozesse innerhalb der Gruppe laufen lassen und wann und wie wir in diese eingreifen, indem wir z. B. den Rahmen halten, ein Gruppenmitglied schützen oder auch einmal einen Gruppenkonsens in Frage stellen – all dies erzeugt in den Teilnehmenden eine Resonanz, die die Atmosphäre in der Gruppe gestaltet.

Dies passiert natürlich auch in Gruppen anderer therapeutischer Prägung, ob absichtsvoll oder unbewusst, und ist Teil jedes therapeutischen Prozesses.

Nicht nur Patient:innen mit strukturellen Defiziten, sondern auch Patient:innen auf höherem Funktionsniveau scheinen davon zu profitieren, wenn sie in der Person der Therapeutin oder des Therapeuten jemanden erleben, der ihnen – trotz Wissens- und in manchen Fällen Erfahrungsvorsprungs – auf Augenhöhe begegnet.

2.2 Der psychodynamische Hintergrund

Die psychodynamische Sichtweise ergänzt und vertieft die humanistische durch einen theoriegeleiteten Blick auf das Gewordensein des Menschen, die Bedeutung seiner individuellen Geschichte, die sich in seiner Persönlichkeitsorganisation verankert hat und im Heute spiegelt. Vor allem in seinen unbewussten Beziehungsmustern und -erwartungen, die durch Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt aktualisiert werden, liegt ein Schlüssel zum tieferen Verständnis heute nicht gelingender Beziehungen oder der Wiederholung immer ähnlichen Schmerzes und vermeintlichen Versagens. Auf welche Weise der Versuch, heute durch Widerstand und Abwehr altem Schmerz zu entgehen, genau wieder in diesen Schmerz führt, wird durch die psychodynamische Sichtweise verstanden, in der Gruppe spür- und sichtbar und schließlich bearbeitbar.

2.2.1 Übertragungen und unbewusste Beziehungsmuster in der Gruppe

Im normalen Gruppengeschehen einer TP-Gruppe beziehen wir uns zunächst auf bewusste Vorgänge. Es werden aktuelle Themen eingebracht, die von und zwischen den Teilnehmer:innen bearbeitet werden. Grenzen der Bearbeitbarkeit, die durch auftretende Widerstände und die Abwehr jedes Gruppenmitglieds gesetzt werden, werden respektiert.

Das sogenannte Unbewusste erscheint dann in der therapeutischen Arbeit nach und nach zunächst in unserem Bewusstsein als Gegenübertragungsgefühl, als plötzlicher Einfall oder Antwort nach längerem Nachdenken über die Funktion oder den Sinn des Verhaltens unserer Patient:innen oder der ganzen Gruppe.3 Um etwas bisher Unbewusstes in der Gruppe zum Thema zu machen, brauchen wir eine Hypothese darüber – die sich entweder auf die ganze Gruppe oder auf einzelne Mitglieder bezieht.

Wenn z. B. vor der Sommerpause nichts mehr geschieht in der Gruppe, kein problematisches Thema mehr angesprochen wird, dann gehen wir davon aus, dass die Gruppe unbewusst Sicherheit erzeugen will, dass wir uns gut verabschieden können und nicht im Streit auseinandergehen. Vielleicht gibt es eine unbewusste Angst, dass jemand nach der Pause nicht wiederkommt. Dies würden wir immer mit einer Wertschätzung verbunden zum Thema machen, also deuten in dem Sinne, dass die Gruppe den Einzelnen wertvoll ist und auf keinen Fall vor der Pause jemand angegriffen werden darf … Es könnten sich dann z. B. Themen wie Trennung der Eltern, plötzliche Verluste, Umzüge in der Kindheit, also Trennungen, die nicht im Vertrauen passierten, dass sich alle wiedersehen werden, anschließen.

Die passende Deutung ist immer abgestimmt auf die Reife und das Thema der Gruppe und natürlich in Übereinstimmung mit unseren Gegenübertragungsgefühlen.

Aber nicht nur die Phänomene der Gesamtgruppe werden gedeutet, sondern auch die einzelner Patient:innen. Dadurch, dass jedes Gruppenmitglied mit seinen Beziehungsmustern in der Gruppe anwesend ist und die anderen permanent in die eigenen unbewussten Muster und damit in Übertragungen einlädt, während diese aber natürlich mit ihren eigenen Beziehungsmustern und -erwartungen unterwegs sind, entsteht eine Dynamik, die im Laufe der Entwicklung der Gruppe z. B. als gegenseitige (Kreuz-)Übertragung sichtbar und mentalisierend besprechbar wird.

Patient M. in einer meiner (ML) Gruppen hatte das Gefühl, er bekomme hier nicht genug. Er erzähle viel von sich, »lasse die Hose runter« und die anderen reagierten kaum und erzählten nichts so Eindrückliches von sich. Zunächst ging er mit großer Aggression gegen einen anderen männlichen Patienten, K., vor, dem er vorwarf, ihn zu beobachten und heimlich zu bewerten, aber sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Projektive Unterstellungen folgten. Durch Nachfragen, was genau M. so wütend mache (Klären), was er vom Gegenüber hören wolle, ob er akzeptieren könne, dass das Gegenüber ihn gar nicht negativ bewerte (Konfrontieren) und schließlich, ob er das Gefühl kenne, keine Reaktion von seinem Gegenüber zu bekommen (biografische Spur aufnehmen, fragendes Deuten), konnte M. erzählen, dass er in der Familie immer das Gefühl hatte, besonders zu sein, vom Vater geduldet, aber nicht gewollt. Und dass der Vater ihm nonverbal und über Schweigen seine Ablehnung zeigte. Diese Erkenntnis führte zu einer Entlastung.

Als Nächstes wurde der angegriffene Patient K. gefragt, wie es ihm gehe (Klären). Er sagte, er habe den Eindruck, hier die volle Aggression abbekommen zu haben, und es gehe ihm nicht gut. Er sei unsicher, ob er in der Gruppe richtig sei, er wage nichts mehr zu sagen und fühle sich »in die Ecke gefeudelt«. Auf Nachfrage (biografische Spur) erinnerte er sich an Essenssituationen in seiner Familie mit dem neun Jahre älteren Bruder, der eloquent aus der Schule berichtete, und wie sein Vater ihn zunächst fragte, dann aber immer aggressiver aufforderte, auch etwas aus der Schule zu erzählen. Damals wie eben in der Gruppe bekomme er einen Kloß im Hals (Körpererinnerung) und könne gar nicht mehr richtig denken. Angst, etwas Falsches zu sagen, bestimme die innere Welt, in der eine Weile kein geordneter Gedanke mehr möglich sei (aufdeckendes Arbeiten). Die beiden Männer begriffen, wie sie sich gegenseitig neurotisch bedienten bzw. dass eine »Kreuzübertragung« stattfand.

Da sagte eine Frau, die bis dahin sehr still gewesen war: »Das war bei mir auch so: Meine Schwester war der Liebling meiner Mutter. Ich konnte gegen sie nicht ankommen, nichts Interessantes sagen, wenn sie am Tisch saß. Ich war immer in der Gefahr, beschämt zu werden. Deshalb habe ich mir angewöhnt, nichts zu sagen – und erst recht nicht, wenn ich von meinem Vater aggressiv dazu aufgefordert wurde, der mit mir ein Gegengewicht gegen meine Mutter und meine Schwester bilden wollte – er, der ›Schwache‹, mit mir, der ›Dummen‹. Das war mir peinlich vor den beiden.«

Durch meine Nachfragen an emotional geladenen Stellen im Prozess, woher sie diese (Körper-)Gefühle kennen, erinnerten sich die Gruppenmitglieder wieder an diese alten Erfahrungen. Das zuvor eher unbewusste und intuitive Verhalten wurde in einen neuen Sinnzusammenhang zwischen Ereignissen und Gefühlen in der Gruppe und biografischen Erfahrungen gebracht.

Die sogenannten Kreuzübertragungen, die in Gruppen entstehen, verstehen und auflösen zu können, finden wir, die Autorinnen, sehr wertvoll. Deren Bearbeitung ist etwas Spezifisches in der Gruppentherapie. Sie geben Hinweise auf Beziehungsdynamiken, die im Alltag der Patient:innen schnell und intuitiv entstehen und zu Unverständnis und Leid führen können. Für die Patient:innen ist die liebevolle Art, über Beziehungen nachzudenken mit der selbstverständlichen Annahme, dass jedes Verhalten seinen Sinn hat oder zumindest in früheren Zeiten sehr sinnvoll war und verstanden werden will, sehr hilfreich und entlastend.

Im obigen Beispiel wird bereits sichtbar, dass sich nicht nur Übertragungen auf Eltern oder Autoritätspersonen konstellieren. Die Gruppe lädt durch ihre Struktur auch in Geschwisterrollen und -übertragungen ein. »Geschwisterrollen, ob sie nun auf die Eltern, auf eigene Wahl oder beides zurückgehen, bleiben als Abwehrmechanismus gegen die schlimmsten Konkurrenzgefühle und als Garanten der eigenständigen Identität meist noch lange nach dem Ende der Kindheit bestehen« (Klagsbrun 1993, S. 48). Ebenso können sich Beziehungen zu Geschwistern, die mit fixierten Zuschreibungen verbunden sind, sehr stark – z. B. auf den Selbstwert und das Bewusstsein eigener Stärken und Schwächen – auswirken. Sie finden unbewusst Eingang in die Gruppe, werden lebendig und können dort bearbeitet werden.

2.2.2 Foulkes und die Gruppenanalyse

Ein Blick auf den psychodynamischen Hintergrund der tiefenpsychologischen Gruppentherapie kommt nicht aus ohne eine Würdigung eines der wichtigsten »Väter« der Gruppenanalyse, Sigmund H. Foulkes’ (1898–1976) und seines Werkes. Foulkes verband die von Sigmund Freud als Einzelbehandlung konzipierte Psychoanalyse mit der sozialanthropologischen (Gruppen-)Theorie von Norbert Elias zu seinem Konzept der Gruppenanalyse, der Behandlung von Patient:innen in der Gruppe (Referat Thilo Weiland/Altaussee 2010). Er sah den Menschen als vorrangig soziales Wesen, das sich in unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Gruppen zu dem entwickelt, was es ist.

Dementsprechend verschob er den Fokus der analytischen Behandlung von inneren Vorgängen zwischen Persönlichkeitsinstanzen auf die Analyse von Kommunikationsstrukturen zwischen Personen im Gruppenkontext und empfahl die Therapie des Menschen in der Gruppe als vorrangig: »Gruppenpsychotherapie basiert auf der Überzeugung, dass Neurosen und andere psychische Störungen in Wahrheit multipersonale Phänomene sind. Das eigentliche Behandlungsobjekt ist das multipersonale Netzwerk von Kommunikationen und Störungen« (Foulkes 2007a, S. 94).

Jedes Mitglied der Gruppe wird verstanden als Knotenpunkt in diesem Netzwerk, analog der Synapsen in neuronalen Netzwerken. Die Gruppenmitglieder bilden untereinander ein Interaktionsfeld mit bewussten und unbewussten Anteilen. Dieses Interaktionsfeld wird als Matrix bezeichnet, das von jeder Gruppe gruppenindividuell entwickelt wird. Dabei formt und beeinflusst jedes Mitglied die Matrix und wird von ihr beeinflusst, Leiter:innen inbegriffen. Jeder Kommentar eines Mitgliedes kann als Kommentar der ganzen Gruppe verstanden werden, für die das Mitglied in dem Moment Sprachrohr geworden ist. Bei Foulkes ist es die Aufgabe der Therapeutin oder des Therapeuten, die Wechselbeziehung von Individuum und Gruppe systematisch zu verstehen, also zu pendeln zwischen dem Verstehen der Gruppenmatrix und des Gruppenprozesses, der sich im Wandel der Matrix spiegelt, und dem Verstehen der Verschränkung des Einzelnen mit diesem Prozess der Gruppe im bewussten Erleben und seinen unbewussten Dimensionen.

Bei Foulkes besteht die Behandlungsmethode – anders als in der tiefenpsychologischen Gruppentherapie – in der möglichst freien Gruppenassoziation, deren Beiträge gedeutet werden. Darüber hinaus hat er Überlegungen zu Indikation, Gruppengröße, -zusammensetzung und Rahmenbedingungen angestellt, die bis heute grundlegend sind.

Die gruppentherapeutischen Wirkfaktoren bei Foulkes sind:

das Bewusstwerden vorher unbewusster Kräfte,

die Katharsis,

die therapeutische Arbeit mittels Einsicht,

die Analyse von Abwehrmechanismen und Widerstandsphänomenen als Faktoren, die auch im Einzelsetting wirksam werden.

Und als rein gruppenspezifische Wirkfaktoren beschreibt er:

5.

das gegenseitige Verstandenwerden und Verstehen in der Gruppe, das den Patienten aus seiner sozialen Isolation herausholt,

6.

Spiegelphänomene, bei denen der Patient Aspekte seiner selbst im Verhalten und in den Problemen der anderen wiederfinden und durch Identifikation und Projektion genauer betrachten kann,

7.

sogenannte Kondensatorphänomene (Damit meint Foulkes die Tatsache, dass in einer Gruppe auch tief unbewusstes Material schneller und umfassender zum Ausdruck gelangen und verstanden werden kann als im Einzelsetting, da die gesamten Assoziationen der Gruppe anregend und entängstigend wirken.)

8.

Austausch und Resonanz (Informationsaustausch in der Gruppe hilft allen, die Bedeutung emotionaler Probleme besser zu verstehen.)

Foulkes betonte dabei die Wichtigkeit der Gruppe als Unterstützung bei der anstrengenden Arbeit, die eigene innere Welt zu entdecken und mit narzisstischen Kränkungen umzugehen, die das Akzeptieren von Interpretationen oder Konfrontation durch andere mit sich bringt. Denn in der Gruppe sind diejenigen, die ein Gruppenmitglied möglicherweise mit problematischen Verhaltensweisen konfrontieren, auch gleichzeitig diejenigen, die sich als Identifikationsobjekt anbieten, indem sie aus eigener Erfahrung sprechen und eigene Probleme thematisieren.

Foulkes’ Ansatz liegt ein Menschenbild zugrunde, das sich an den Werten von Toleranz und Wertschätzung, Kritikfähigkeit und Selbstkritik, persönlicher und sozialer Verantwortung orientiert und vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrung mit dem deutschen Faschismus immer wieder demokratische Erziehungsziele und offenes Weltbürgertum betont. Dieser Werthaltung können wir uns anschließen.

2.3 Der Beitrag von Yalom

Der Psychoanalytiker Irvin D. Yalom hat mit seinem 1970 erstmals auf Englisch erschienenen Buch »Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie« ein Grundlagenwerk geschaffen, das theoretische Grundlagen, unzählige Fallbeispiele sowie wissenschaftliche Untersuchungen vereint und noch heute als Standardwerk moderner Gruppentherapie gilt. Yalom, der ja auch als Autor philosophisch begründeter Romane bekannt geworden ist, lässt sich schwer einer Theorie zuordnen. Er gewichtet die klinische Relevanz und das Veränderungspotenzial von Gruppentherapie in Bezug auf die jeweilige Zielgruppe weit höher als die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Psychotherapieschule, sodass er kaum als klassischer Gruppenanalytiker gelten kann. Im vorliegenden Buch beziehen wir uns häufig auf die folgenden, von ihm erforschten elf Wirkfaktoren, die miteinander interagieren und uns als Gruppentherapeut:innen für das komplexe System einer Gruppentherapie eine erste Art »kognitiver Landkarte« (Yalom 2005, S. 22) bieten:

Hoffnung einflößen: Hoffnung in Gruppen entsteht durch die Glaubwürdigkeit des Therapeuten bzw. der Therapeutin und durch die Fortschritte, die die Patientin oder der Patient bei anderen Gruppenmitgliedern wahrnimmt. Dieser Faktor ist oft eine Vorbedingung dafür, dass andere Faktoren überhaupt wirksam werden können.

Universalität des Leidens: Viele Patient:innen glauben, nur sie allein hätten belastende oder ängstigende Lebenssituationen, Gedanken, Impulse und Fantasien. Die Relativierung dieser Überzeugung durch den Austausch in der Gruppe bringt Erleichterung und Entlastung mit sich und fördert die Selbstakzeptanz.

Mitteilung von Informationen: Hierunter versteht Yalom einerseits psychoedukative Unterweisungen über seelische Gesundheit und Krankheit durch die Therapeutin oder den Therapeuten, andererseits auch hilfreiche Anregungen, die sich Patient:innen gegenseitig geben.

Altruismus: Anfangs glauben viele Patient:innen, den anderen Gruppenmitgliedern nichts Wertvolles bieten zu können. Doch bald werden engagierte Anmerkungen von Gruppenmitgliedern gern aufgenommen und als besonders glaubwürdig hoch geschätzt. Die Erfahrung, für andere wichtig sein zu können, hebt das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung der Gruppenmitglieder.