Ange im Turnier - Band 1 - Lise Gast - E-Book

Ange im Turnier - Band 1 E-Book

Lise Gast

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Beschreibung

Nachdem Ange den Reitlehrer Kornelius geheiratet hat, ist sie nun Leiterin einer Reitschule. Mit vollem Elan und Tatendrang gelingt es dem jungen Paar die Reitschule bekannt zu machen und als Ange zum ersten Mal bei einem Reit- und Springturnier mitmachen kann, beginnt das Abenteuer erst richtig... - Eine hoffnungsvolle Geschichte über die Lieblichkeit des Lebens.-

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Lise Gast

Ange im Turnier - Band 1

Mit 22 Illustrationenvon Horst Schönwalter

Saga

Ebook-Kolophon

Lise Gast: Ange im Turnier - Band 1. © 1961 Lise Gast. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.

ISBN: 9788711508237

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

»Aufstehen! Heiraten!«

Das war Margots Stimme. Ange blinzelte, sie bekam die Lider nicht auseinander. Gestern war es unheimlich spät geworden. Sie hatten gefeiert. Abschied vom Junggesellenleben, nannte es Margot. Das klang großartig, war aber eine liebenswürdige Übertreibung. Nicht einen Tropfen Alkohol hatten sie getrunken, nur Tee, hier auf der Bude, und dazu gab es Salzstangen und Zigaretten. Aber sie waren eben ewig, ewig lange aufgeblieben, um zu schwatzen. Ange hatte die Augen schon wieder zu und die Nase im Kissen. Margot rüttelte sie.

»Wenn man mich weckte zu meiner Hochzeit – hach, ich wäre nicht so verschlafen! Lockt es dich denn gar nicht? Ich finde heiraten herrlich, das Schönste, was es gibt!«

»Ich ja auch«, murmelte Ange, »aber es dauert doch noch so lange bis dahin. Erst um elf ist es so weit, und das ist dann die standesamtliche Trauung und noch nicht mal die richtige. Bis dahin muß ich noch ...«

»Was denn alles?« fragte Margot und bürstete ihren Schopf vorm Spiegel. Ange zählte auf.

»Den Herkes, die Gräfin und Brokat putzen und füttern. Die Fohlen rauslassen. Der Erinnerung das Euter verarzten – du, Margot? Horch mal!«

Ange hatte sich aufgesetzt und die Augen jetzt richtig offen. »Weißt du, was mir heute nacht eingefallen ist? Du hast so gräßlich geschnarcht, da wurde ich wach, und da wußte ich es auf einmal.«

»Na? Was denn? Daß Reuter eben doch nicht der Richtige für dich ist und sich lieber für deine geliebte Freundin Margot, für deinen Blutsbruder, entscheiden sollte?«

»Ach!« Ange winkte ungeduldig ab. »Was viel Wichtigeres. Wir nehmen keine Salbe. Wenn Salbe hülfe, hätte sie das schon getan. Wir nehmen was anderes: Heilerde! Lach nicht, du, das ist was ganz Ernstes!«

»Heilerde ist kein Medikament, sondern eine Weltanschauung«, dozierte Margot, eine Spange zwischen den Lippen, während sie sich im Spiegel besah. »Ob ich den Scheitel nicht lieber links trage? Ich meine, zu dem ausgeschnittenen Kleid heute. Jaja, ich weiß, daß die Anthroposophen drauf schwören. Aber ob Erinnerung zu Steiners Gemeinde gehört ...?«

»Quatsch! Wir machen einen Brei –«, Ange war aus dem Bett gesprungen, griff sich den Bademantel und riß ein Handtuch vom Haken, so daß der Anhänger abfetzte, »– aus Heilerde und essigsaurer Tonerde. Den streichen wir aufs Euter.«

Sie war schon aus der Tür. Margot ließ Haarbürste und Spange fallen und rannte ihr barfuß nach.

»Warte doch. Ich dusche gleich mit. Menschenskind, das ist die Erfindung. Das lassen wir uns patentieren. Ich glaube bestimmt, daß das nützt. Aber sei trotzdem leise ...«

Diese Mahnung war berechtigt. Das Gutshaus lag noch still, keine Treppenstufe knarrte, kein Eimer klirrte, kein Hund bellte. Es war erst halb fünf. Margot und Ange huschten leise durch den Gang ins Badezimmer. Sie kannten jeden Fußbreit Boden, hatten hier als Lehrlinge gearbeitet und waren, ähnlich wie jetzt, an unzähligen Sommer- und Wintermorgen mehr oder weniger verschlafen oder halbwach zum Bad gelaufen. Unter der eiskalt herabströmenden Brause wurden sie auch heute endlich richtig munter und damit sofort gesprächig.

»Huh – wenn man rankommt ans Euter«, pustete Ange, »Erinnerung ist schon ganz empfindlich geworden, weil wir es so oft versucht haben. Und sie ist klug! Sie weiß genau, ob wir nur kommen, um ihr Guten Morgen zu sagen, oder um sie zu bedoktern!«

»Wenn zwei Mann sie festhielten ...«, Margot hatte ihre Dusche schon wieder abgestellt. Ange stand noch unter ihrer und drehte sich mit geschlossenen Augen, während sie zählte.

»Siebzehn – achtzehn ...«, bis zwanzig blieb sie drunter, das hatte sie sich einmal vorgenommen. Es hing mit einem Fohlen zusammen, das an Fohlenlähme erkrankt und sehr gefährdet war. Damals hatte sie geschworen, wenn es durchkäme, wollte sie immer bis zwanzig unter der kalten Brause zählen, und so was muß man natürlich halten. »Zwei Mann? Wer denn bitte? Wer soll Erinnerung halten?«

»Vielleicht dein Mann? Heute kann man doch schon so sagen, oder?«

»Kornelius, na ja, natürlich. Der ja. Der würde es, aber ihn wollen wir doch grade überraschen. Er soll – Margot, wenn ich ihm heute sagen kann, Erinnerungs Euter ist abgeschwollen, das wäre mein schönstes Hochzeitsgeschenk für ihn! Nein, wir machen es allein. Du und ich. Gleich jetzt. Du sollst mal sehen!«

Margot war einverstanden. Unten im Flur neben dem Schlüsselbrett hing das Medizinschränkchen fürs Gut. Margot kramte darin. Richtig, eine Packung Heilerde fand sich, auch eine Flasche essigsaure Tonerde.

»Anrühren tun wir es drüben im Stall«, bestimmte Margot und schloß die Wirtschaftstür auf. Sie traten hinaus. Ange hob schnuppernd die Nase. Wie stellte sich Petrus zu ihrem Hochzeitstag?

Ach, gut. Ein kühler, noch grauer Morgen – aber es würde sicher schön werden.

»Hoffentlich wird’s nicht so heiß, wegen der Fliegen«, sagte Ange.

Margot lachte. »Du hast ja den Schleier um.«

»Ich! Als ob es auf mich ankäme. Die Fohlen! Da können wir sie wieder nicht draußen lassen, meine ich.«

Vom Gut führte ein schmaler Fußweg hinüber ins sogenannte Schloß, in die Reitschule, wo Kornelius Reuter, Anges Verlobter, Reitlehrer war. Natürlich war es kein Schloß, sondern eigentlich das Herrenhaus dieses einstmals gemeinsamen Besitzes, während das Gutshaus, in dem Herr und Frau König, Reuters Schwager und Schwester, wohnten und wirtschafteten, früher die Inspektorwohnung gewesen war.

Bei Königs hatten Margot und Ange ihre Lehrlingsjahre für ländliche Haushaltführung abgedient. Margot, um alle Zweige der Hauswirtschaft richtig zu erlernen, sie sollte daheim später den Hof übernehmen, Ange, um reiten lernen zu können. Dabei hatte sich Herz zu Herzen gefunden, nachdem es erst oft viel Streit und Verstimmung zwischen ihr und Kornelius Reuter gegeben hatte. In einem allerdings verstanden sie sich von Anfang an: in ihrer Liebe zu den Pferden.

Ange und die Pferde – das war längst ein Begriff. Und so war es wohl kein Wunder, daß sie an ihrem Hochzeitsmorgen nicht an Kleid, Kranz und Schleier, ja, nur am Rand an ihren Mann dachte, sondern zuerst und zuvörderst an die Pferde. Freilich, für sie war wiederum Kornelius Reuter und die Pferde ein Begriff.

»Versprich dich ja nicht«, mahnte sie, während sie den schmalen Weg entlanghasteten. Früher waren sie ihn immer geradelt, um keine Sekunde der kostbaren Reitzeit zu verlieren. Überall am Wege standen »Weißt - du - noch?«. Hier war Ange einmal hingeflogen, und bis dahin war das Hochwasser gegangen, damals, in jener aufregenden Nacht ...

»Reiten die jetzigen Gutslehrlinge eigentlich auch?« fragte Margot. Sie war zu Anges Hochzeit gekommen, wirtschaftete zu Hause auf dem Hof ihrer Eltern. Ange wohnte noch bei Frau König, besser: wieder. Ein Jahr war sie fort gewesen, in der Stadt, hatte eine Handelsschule besucht, Stenographie, Schreibmaschine und Buchhaltung gelernt, kein Pferd bestiegen, mit Kornelius nur Briefe gewechselt. Ihr Vater hatte das so gewollt. Er glaubte weder daran, daß Reitlehrerin ein ›vernünftiger‹ Beruf fürs Leben bedeuten könnte, noch, daß Kornelius der richtige Mann für seine Tochter sei. Ange hatte sich seinem Willen gefügt, war aber danach unbeirrt und glücklich, es endlich geschafft zu haben, nach Lauterbach zurückgekehrt. Jetzt wohnte sie im Gut und ritt täglich in der Reitschule.

Freilich ritt sie nicht nur. Sie versah Stalldienst wie ein Mann, und Kornelius war unnachsichtig im Unterricht wie in der Pferdepflege mit ihr. Sie wünschte es sich nicht anders. Im letzten Jahr hatte sie viel gelernt, so viel, daß es ihr ein bißchen zu Kopfe gestiegen war, wie Margot im stillen fand. Kindern gab Ange sogar schon Unterricht. Und es gab nicht viel, was sich Ange im Sattel nicht zutraute – dann nämlich, wenn Kornelius einmal nicht hinsah.

»Zuerst zu Erinnerung«, sagte Ange im Laufen. »Nein, die jetzigen Lehrlinge sind ganz anders als wir. Schürzchen und Kochhäubchen, und abends tauschen sie Rezepte aus. Eine reitet: Sibylle. Aber glaubst du, daß die einmal selbst sattelte? Sie gibt Alfred Trinkgelder, nobel, gewiß – aber würdest du reiten wollen, wenn du nicht selbst satteltest? Von Putzen oder so was keine Rede. Und überhaupt –«

Ange brach ab. Margot fiel es nicht weiter auf. Sie waren am Stallgebäude angekommen.

»Alles noch, wie es war«, sagte Margot zärtlich, während sie sich umsah. »Hier stand Reuter, als ich rübergesaust kam, an dem Tag –«

»Ja«, sagte Ange, »ja, Margot. An dem Tag –«

Sie sprachen nicht weiter. Es hatten sich hochdramatische Dinge abgespielt, ehe Ange und ihr Verlobter sich fanden. Und Margot hatte alles mit durchlebt und durchlitten.

»Vor allem durchlitten«, betonte sie immer, »und deshalb ist es auch nur recht und billig, daß ich jetzt mitfeiere. Was für Eis gibt es denn?«

Sie war den Annehmlichkeiten des Lebens unbefangen zugetan, während Ange aus Angst um die Linie weniger vom Essen hielt.

»Nuß und Krokant. Du bist und bleibst ein Materialist«, schalt sie ungeduldig und schob die Tür auf, »los, komm, zu Erinnerung.«

»Ich krame ja dauernd in welchen«, brummte Margot und folgte. Dann aber vergaß auch sie alles andere über dem geschwollenen Euter der Stute.

Das Fohlen war vorzeitig abgesetzt worden, weil es einer Verletzung wegen in die Tierklinik mußte. Erst hatten sie versucht, Erinnerung ein anderes unterzuschieben, damit das Euter leergetrunken wurde. Aber sie nahm kein anderes an, sondern biß alle weg, mit denen man es probierte. Und das Euter schwoll an, wurde straff und heiß. Jetzt war es zu spät, alle Bemühungen taten Erinnerung weh, und sie, die sonst sanft und zutraulich war, schlug und schnappte sogar, was sie früher nie getan hätte. Eigentlich konnte nur Ange sich in den Stand von Erinnerung hineinwagen.

»Und Kornelius natürlich. Der kommt ja mit allen Tieren aus«, erzählte sie, während sie jetzt in einer halbgroßen Plastikschüssel den Brei anrührte, »aber er denkt, nur er allein könnte es. Er hat mir streng verboten, in den Stand zu gehen.«

»Und da willst du trotzdem hinein?«

»Grade. Er soll sehen, daß ich es auch kann. Er soll nicht denken, ich wäre feige und verließe mich auf ihn. Was soll denn werden, wenn er einmal weg ist?«

Anges Augen funkelten.

»Na, feige! Wo du schon Parcours springst!«

»Das ist was anderes. Jetzt komm, los. So ist der Brei richtig, denke ich.«

Ange stand auf.

»Ich dachte so: Du gehst in Satans Stand« – das war der Erinnerung benachbarte – »und nimmst sie von dort aus am Halfter, sprichst mit ihr und lenkst sie ab. Und ich –«

»Du willst von hinten an sie rangehen?« fragte Margot bedenklich. Ange nickte.

»Von wo denn sonst. Das Euter ist nun mal hinten, da kann man nichts machen. Komm.«

»Na schön, von mir aus.« Margot, die beileibe nicht ängstlich war, tat, wie geheißen. Sie nahm die kranke Stute vom andern Stand her am Kopf, sprach mit ihr und erreichte nach einiger Zeit sogar, daß sie das Hinundhertreten aufgab, still wurde und die Ohren anstellte, die sie bis dahin mißtrauisch nach hinten gelegt hatte. Margot machte Ange ein Zeichen, noch zu warten, hob dann vorsichtig ein Bein über den trennenden Flankierbaum, dann das zweite und stand nun vorn bei Erinnerung, ganz nahe. Nun konnte sie den Kopf der Stute besser halten, Erinnerung schien ihr zu trauen, und Margot gab Ange einen Wink mit den Augen.

»Anfangen!« hieß das.

»Erinnerung, meine Beste!« sagte Ange halblaut und schmeichelnd. Ganz langsam trat sie von hinten in den Stand, in der linken Hand die Schüssel mit dem Brei, mit der rechten Erinnerungs Kruppe tätschelnd. »So, so, paß auf, es tut nicht weh.«

Sie schöpfte mit der hohlen Hand einen weichen Breiklumpen aus der Schüssel und näherte sich damit dem Euter der Stute. Margot dachte, sie würde den Brei im letzten Augenblick schnell an seinen Platz klatschen und dann wegspringen, denn ohne Zweifel war damit zu rechnen, daß Erinnerung hochging, Ange aber machte es anders. Ganz, ganz langsam kam die Hand näher, jetzt fühlte sie den Widerstand, und vorsichtig strich Ange den Brei von unten vorn nach hinten.

Erinnerung stand. Gestern, als man es mit Salbe versucht hatte, war sie gestiegen, daß drei Mann sie nicht hatten halten können, Ange hatte es Margot geschildert. Sie konnten beide kaum glauben, daß sie jetzt stillhielt.

»Geht’s? Bist du schon dran?« murmelte Margot durch die Zähne. Sie konnte nicht laut sprechen, ohne das Pferd zu erschrecken. Ange antwortete ebenso.

»Ja, sogar bis hinten –« und dann hörte Margot ein Stöhnen, ein tiefes, röchelndes Stöhnen, halb verbissen.

»Es muß eklig weh tun«, brummte sie mitleidig, »aber paß auf, gleich wird es besser. Essigsaure Tonerde entspannt, und der Brei kühlt.«

»Hoffentlich.«

Anges Stimme klang merkwürdig. Margot, die bisher immerzu der Stute in die Augen gesehen hatte, hob den Kopf. »Was hast du denn?«

Sie sah Ange dicht am Pferdeleib stehen, mit vorsichtigen Bewegungen immer wieder etwas von dem Heilerdebrei aus der Schüssel nehmen und aufstreichen. Ihr Gesicht war blaß, machte das das fahle Morgenlicht?

»Fertig. Nun geh!« Ange schob die Kruppe des Pferdes mit der Brust und ihrem ganzen Körpergewicht ein Stück nach rechts, dabei atmete sie tief aus.

»Was hast du denn?« fragte Margot noch einmal, als sie beide wieder im Stallgang standen »Hast du dich so aufgeregt?«

»Nein. Oder vielmehr – das auch. Aber Erinnerung –« Ange zog den rechten Fuß hoch. »Sie hat die ganze Zeitlaß, warte, ich setz mich erst. Vorsichtig, langsam! Erinnerung – was mag sie wohl wiegen? Zehn Zentner? Die hat sie die ganze Zeit über auf meinem Fuß gehabt.«

»Oh«, sagte Margot, die wahrhaftig nicht wehleidig war, und mußte sich schnell setzen. Ange hatte Schuh und Strumpf abgestreift. Der Fuß sah erschreckend aus.

»Menschenskind!«

»Ich konnte sie doch nicht runterjagen. Grade weil sie so lieb war und stillhielt. Wir hätten den Brei sonst nie im Leben draufgekriegt«, sagte Ange zwischen den Zähnen. »Und Stollen hat sie auch noch. Nein, laß, keine Heilerde. Es ist offen – siehst du, hier – und der Nagel wird wohl auch abgehen.«

Der ganze Fuß war rot und dick geschwollen, schwoll offensichtlich noch weiter, am Spann war die Haut geplatzt und heruntergeschürft. Es sah greulich aus. Margot pfiff durch die Zähne. Ange stöhnte wieder.

»Macht nichts. Wir fahren ja in der Kutsche zum Standesamt. Und die paar Schritte dort im Haus werde ich ja wohl humpeln können.« Sie versuchte zu lachen. Margot ging darauf ein.

»Klar. Bis dahin tuts auch nicht mehr so weh.«

»Kornelius darf nichts merken.« Ange hatte das Bein angewinkelt und den Fuß auf ihr linkes Knie gelegt. »Aber in meine Brautschuhe paß ich bestimmt nicht hinein, das weiß ich jetzt schon. Wenigstens nicht in den rechten.«

»Himmel, was machen wir denn da?«

Schritte. Die beiden Mädel fuhren zusammen. Aber es war nur Alfred, der alte Pferdepfleger. Er kam den Stallgang entlanggehatscht und begrüßte erst Margot erfreut – sie war bei allen Leuten beliebt – und dann Ange. Die Bescherung mit dem Fuß hatte er natürlich sofort gesehen.

»Wehe, wenn Sie auch nur eine Silbe sagen!« drohte Margot. »Reuter darf nichts wissen. Wir haben Erinnerung verarztet, und dabei passierte es.«

»Womit?« Er deutete mit dem Kopf nach dem Stand der Stute hin.

»Heilerde und essigsaure Tonerde. Sie hat wunderbar stillgehalten. Aber sie stand dabei auf meinem Fuß«, erzählte Ange. »Hier ist die Quittung. Was tun wir?«

»Moment.« Der Alte hatte sich den verletzten Fuß genau angesehen, jetzt verschwand er wieder, kam zurück, eine etwa handtellergroße Salbenschachtel in der Hand. »Ich halte den Mund, aber die Frolleins auch, wenn’s beliebt.« Er hatte immer eine etwas merkwürdig geschraubte Ausdrucksweise. Mit Reuter sprach er heute noch in der dritten Person. Margot und Ange guckten gespannt auf seine Hände.

»Die Salbe hier –«, er öffnete die Dose und begann, den Inhalt, der honigfarben und zähflüssig aussah, mit langsamen Strichen über den verletzten Fuß zu streichen – »ist eigentlich für Pferde. Ich gebe sie nie an Menschen, nur heute, weil es – na, weil Sie es eben sind. Es tut höllisch weh, aber Sie werden sehen, es hilft.«

Die Salbe roch nach Kampfer, Lebertran und noch etwas, was nicht zu definieren war. Die beiden ersten Gerüche beruhigten die Mädel, die auch etwas von Heilmitteln wußten. Ange hatte die Zähne in die Unterlippe gebissen und drückte beide Fäuste aneinander. Aber sie sagte nichts. Der Alte fuhr fort.

»Ich war mal auf der Jagd und hinter einem angeschossenen Hasen her. Da war ich noch jung und gewandt, wenn’s beliebt. Der Hase versuchte sein Leben zu retten und flüchtete in eine Schlucht, die bestand aus Felsen und wurde nach unten zu immer enger. Es war besser, ich holte die angeschossene Kreatur als der Fuchs. Später hat ihn übrigens doch ein Fuchs erwischt, die Strecke wurde verlost, und einer der Jagdherren, der Fuchs hieß, bekam ihn. Dieses gehört aber nicht hierher. Ich war noch jung und heftig und schoß kopfüber, weil ich an einer Wurzel hängen geblieben war, in die Schlucht hinein. Mein Schädel dröhnte. Er wäre angeschwollen wie ein Ballon und blau geworden wie tausend Veilchen, wenn ich nichts unternommen hätte. Damals gab mir der alte Waldhüter diese Salbe. Ich schmierte mich damit ein und konnte am Abend zum Jagdessen erscheinen, ohne daß jemand mir das Geringste ansah ... Seitdem habe ich diese Salbe nie ausgehen lassen, wie Sie wohl verstehen werden.«

»Wo kriegt man sie denn?« fragte Margot, sofort brennend interessiert. »Und wäre sie nicht auch gut für Erinnerungs Euter gewesen?«

»Doch, Sie sagen es. Ich wollte es gestern damit ausprobieren. Aber ich kam nicht ran, sie hielt nicht still, nicht ein Sekündchen. Fräulein Ange hat es ja miterlebt. Man muß die Salbe dick auftragen und eine Zeitlang einwirken lassen.«

»Wirklich, es wird besser«, sagte Ange jetzt. »Und wann schwillt es ab? Ich muß doch die Fohlen rauslassen und den Herkes und die Gräfin –«

»Quatsch, so schnell kann’s nicht gehen. Und außerdem können wir das machen, Alfred und ich«, unterbrach Margot sie kategorisch. »Du legst dich lang und den Fuß hoch, verstanden? Ich fange sofort an zu putzen, wen zuerst, den Herkes? Also los. Wo ist dein Putzzeug?«

»Das müßtest du eigentlich noch wissen.« Ange lachte. Margot lachte auch, und Alfred schmunzelte.

So begann Ange Birkners Hochzeitstag.

Er ging auch munter weiter. Zuerst waren die Fohlen ausgerissen, Margot hatte in der Eile die Koppel nicht richtig zugemacht. Gottlob merkten sie es rechtzeitig. Alfred half, aber auch Ange hopste schon wieder ganz behende umher, wenn sie auch immer wieder einmal »au!« oder »verflixt!« murmelte. Als sie und Margot, verschwitzt und abgejagt, ins Gutshaus zurückkamen, war soeben Familie Birkner vollzählig eingetroffen. Vater und Mutter, Harm, Bava, Heide und Roland standen in der Diele, wo Frau König sie eben begrüßte. Bava hatte mitten aus dem Staatsexamen herausspringen müssen, um der Hochzeit der Schwester beizuwohnen.

»Auf diese Weise habe ich wenigstens ein ordentliches Kleid«, sagte sie lachend, »während Harm sich den dunklen Anzug pumpen mußte. Er ist aus seinem unversehens herausgewachsen.«

»Man hat ja auch nie Gelegenheit, ihn zu tragen«, brummte Harm, der älteste der Geschwister. Heide hopste von einem Bein aufs andere.

»Wen krieg ich denn als Tischherrn?« fragte sie Margot. »Du wirst es doch wissen! Sag, einen schicken? Ich freu mich so, ich freu mich so! Das ist meine erste Hochzeit, weißt du.«

»Alfred. Alfred ist dein Tischherr«, sagte Margot sogleich. »Einen bessern findst du nicht.«

»Alfred? Wer ist Alfred? Ein Reitschüler?«

»Nein, Pferdepfleger und Goldherz. Hat noch bestimmt drei eigene Zähne, und wieviel Jahrzehnte er hier schon in Treuen dient, das mußt du Ange fragen.«

»Ooooch –«

»Jetzt Schluß mit dem Unfug und herein mit euch!« unterbrach Frau König, die die letzten Worte gehört hatte, die Mädel, »jetzt wird gefrühstückt!«

Es saß sich wundervoll im kühlen Herrenzimmer, wo heute zum Frühstück gedeckt war. Denn im sogenannten Saal stand schon der hufeisenförmige Tisch fertig für die Festtafel.

»Wollt ihr euch nicht umziehen?« fragte Herr Birkner etwas indigniert, mit einem Blick auf Margot und Ange. Sie kamen direkt von drüben und waren noch in Jeans, hatten das ganz vergessen. Sie verschwanden beschämt.

»Eins zu null für ihn«, sagte Margot gedankenvoll, während sie die Bluse über den Kopf streifte, »und wir hatten uns doch vorgenommen, ihn gar-gar-gar nicht zu ärgern.«

»Ärgern! Von der Arbeit kommt man eben in Arbeitskluft«, sagte Ange bockig. »Wir konnten es nicht erwarten, ihn zu begrüßen, und vergaßen darüber alles andere. Aber wie man’s macht, ist’s falsch.«

»Halt den Schnabel! Sei froh, daß du so weit bist. Weißt du noch, wie hoffnungslos es aussah, als du hier anfingst – oder besser etwas später, als deine Eltern überraschend zu Besuch kamen und dich reiten sahen? Kommt übrigens dein Großvater, der damals den rettenden Engel spielte?«

»Natürlich. Es wundert mich nur, daß er noch nicht da ist. Großmutter auch –« Ange hopste ans Fenster. »Da kommt grade ein Wagen –«

Nicht einer, immerfort fuhren welche in den Hof. Gratulanten, Gäste, Lieferanten, Depeschenboten ...

»Heute bist du dran! Heute ist dein großer Tag, Ange«, sagte Margot überwältigt und fiel der Freundin nochmal um den Hals, mitten im Umziehen, überwältigt von Glück und Lebenslust, »heute, Ange, heute! Und wir haben noch eine Überraschung für dich. Soll ich –?«

»Nein, du sollst nicht!« schrie Ange schnell. »Wart’s ab! Ich will richtig überrascht werden! Komm, ich bin so weit.«

Sie liefen miteinander die Treppe hinunter. Vor der Tür bremste Margot die Freundin ab.

»Man kommt doch nicht im Dauerlauf zur Hochzeit – wie sieht denn das aus! Würdig mußt du sein, wenn’s auch schwer fällt!«

Ange konnte nichts essen. Sie schluckte und würgte. Kornelius Reuter neben ihr sah ihr belustigt zu.

»Schmeckt’s nicht? Hat’s dir den Appetit verschlagen?«

»Du Untier. Bist du denn gar nicht aufgeregt? Man heiratet doch bloß einmal im Leben.«

Lächelnd strich er ihr ein Honigbrot.

»Da. Versuch zu essen, Ange, mir zuliebe. Denk dran: Beim Turnier ist einem ebenso zumute, aber man muß lernen, sich zu zwingen.«

Ange sah ihn an, biß dann in das Brot.

»Er weiß sie zu nehmen«, dachte Frau Birkner, die die Szene beobachtet hatte, »gut, gut so!«

Es klopfte. Frau König rief »herein!«, und Alfred, im schönsten Sonntagsstaat, in dem er aussah wie ein alter, stolz-bescheidener Bauer, meldete, der Wagen sei da.

»Schon? Ja, ist es denn schon so spät?«

Im allgemeinen Aufbruch merkte niemand, daß Margot längst voran und die Treppe herabgesprungen war. Nun stand sie neben dem Wagen, als Ange und Kornelius und dahinter Dr. Birkner und Herr König, die als Trauzeugen mitfahren wollten, aus der Tür traten. Margot wollte Anges Gesicht genau und von vorn sehen und festhalten; die Kamera lag schußbereit in ihrer Hand.

Anges Gesicht war auch wert, für die Ewigkeit oder wenigstens fürs Familienalbum festgehalten zu werden. Vor der Tür stand nicht der hohe Jagdwagen, den sie erwartet hatte, mit Goldpeter und Sultan davor, sondern ein kleiner leichter Viersitzer mit Gummirädern, den sie noch nie gesehen hatte, und davorgespannt waren ...

Ja, das also war die Überraschung. Davorgespannt waren vier weiße Shetlandponies, etwa ein Meter fünf hoch, mit zottigen Mähnen und einem glänzend neuen Geschirr. Eins allerdings war nicht reinweiß, sondern ein sogenannter Dunkelschimmel, sonst aber vielleicht das schönste von allen. Es mochte schwer genug gewesen sein, diese vier Paßpferdchen zu bekommen – gerade gleichgroße Schimmel sind bei Shetlandponies äußerst rar.

»Kornelius!«stammelte Ange, und »knips!« machte Margots Kamera. »Unsere?«

»Ja. Deine sogar. Mein Hochzeitsgeschenk. Damit du deinen kleinen Reitern auch Fahren beibringen kannst. Zugeritten sind sie auch, von Kindern. Von jetzt an können wir also schon sehr kleine Knirpse als Reitschüler annehmen. Ich hatte ja schon immer den Plan.«

Strahlend stieg Ange ein, Kornelius setzte sich neben sie und nahm die Zügel aus Alfreds Hand. In den »Fond« kletterten Herr König und – mit einem ganz leichten Kopfschütteln – Anges Vater. Mit Ponies zum Standesamt fahren – in die Kirche fuhr man dann womöglich mit Elefanten ...

Margot lachte und lachte, als der Wagen in schöner Kurve ums Rondell aus dem Hof gefahren war. Trrrr – schmetterten die kleinen Hufe aufs Pflaster, es klang wie Trommelfeuer. »Das saß! Das war ein Schnappschuß! Toi toi toi, Ange, geliebter Blutsbruder!« Und sie spuckte dreimal in Richtung der Davonfahrenden aus. Erika lachte. Sie und Herta, frühere Mitlehrlinge von Ange und Margot, waren auch eingeladen.

»Du tust, als ginge Ange ins Turnier.«

»Geht sie auch. Ins Turnier des Lebens. Hoffentlich nimmt sie alle Hindernisse ohne gar zu viel Kleinholz und bleibt hübsch im Sattel ...«

»Du, mein Hochzeitsgeschenk für dich ist ganz was anderes«, sagte Ange ein wenig kleinlaut, als sie vom Bürgermeisteramt des Dorfes aus wieder ins Gut zurückfuhren, nun wahrhaftig Mann und Frau, verbrieft und besiegelt, trotzdem kaum zu glauben. »Ich hätte dir wahrscheinlich was anderes schenken müssen – jetzt, da du doch mein Mann bist. Mein Mann – wie das klingt –«

»Na, der kirchliche Segen kommt ja noch, dann wirst du es glauben«, sagte Herr König behaglich von hinten.

»Was denn?« fragte Kornelius neugierig.

»Das kann ich dir erst heute abend zeigen – wenn es klappt«, Ange wußte ja noch nicht, ob die Kur bei Erinnerung auch anschlagen würde.

»Kirchlicher Segen klappt immer«, brummte Herr Birkner. Ange sah ihren Mann bittend an.

»Darf ich jetzt – nur mal probieren? Du sitzt ja daneben. Ich bin noch nie vierelang gefahren.«

Lächelnd gab er ihr die Zügel. Ange hatte jetzt feuerrote Backen, auf dem Standesamt war sie blaß und ernst gewesen, so ernst, daß ihr Vater noch sorgenvoller wurde, als er schon war. Jetzt brannte ihr Gesicht.

Sie fuhr flott und flüssig. Einmal versuchte der kleine Dunkelschimmel zu galoppieren, aber sie nahm ihn sofort zurück. Aufatmend hielt sie vor der Treppe. Da wartete ihrer eine zweite Überraschung.

Margot und Erika hatten, während die Hauptpersonen des Festes nicht da waren, Brokat und Satan gesattelt und herübergeholt. Mit denen standen sie an der Treppe, und Margot erklärte sogleich wortreich:

»Die Königin hat das angeordnet, und zwar, weil ihr keine Hochzeitsreise macht. Kornelius denkt doch, er könne nicht fort – Männer denken immer so, wenn sie einen eigenen Betrieb haben –, und so legten wir die kirchliche Trauung auf drei. Bis dahin habt ihr also Zeit. Deshalb: umziehen, losreiten! Hochzeitsreise von zwei Stunden, aber im Sattel. Einverstanden?«

»Und ob und wie!«

Die Neuvermählten strahlten. Sie fanden, dies sei eine herrliche Gelegenheit, erstens für einige Zeit allein miteinander zu sein und auch sich vom offiziellen und oft so mühsamen Teil des heutigen Festtages erfolgreich zu drücken. Ange vergaß ihren gequetschten Fuß – er tat schon kaum mehr weh, dank Alfreds Wundersalbe – und nahm treppauf drei Stufen auf einmal.

»Kommt, ihr könnt mir helfen! Margot und Erika und Herta! Los! Ich will keine Minute von meiner Hochzeitsreise versäumen, das muß jeder verstehen!«

Wahrhaftig, das verstanden sie. Sie bedienten Ange, als sei sie eine Fürstlichkeit. Eine hängte die Kostümjacke weg, eine fuhr noch einmal über die Reitstiefel. Als es sich herausstellte, daß Ange in den rechten beim besten Willen nicht hineinkam, rannte Herta und kam nach wenigen Minuten mit einem andern rechten Reitstiefel zurück, der um einige Nummern größer und deshalb auch weiter war.