Anita Blake - Kuss der Verdammnis - Laurell K. Hamilton - E-Book

Anita Blake - Kuss der Verdammnis E-Book

Laurell K. Hamilton

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Beschreibung

Welcher Liebhaber wird an ihrer Seite herrschen?

Nach einem positiven Test befürchtet Anita das Unmögliche: Sie könnte schwanger sein. Dies bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Denn ein Baby würde nicht nur für das Kind, sondern auch für Anita selbst große gesundheitliche Risiken bedeuten. Außerdem wäre da noch die ungeklärte Vaterschaftsfrage, die die gewohnte Ordnung durcheinanderwirbelt. Alle potenziellen Väter haben andere Vorstellungen davon, wie die Zukunft aussehen soll, und setzen ihre Verführungskünste ein, Anita für sich zu gewinnen. Und das gerade jetzt, da sie und ihre Liebhaber geeinter auftreten müssen denn je, um die Machtkämpfe um sie herum in Schach zu halten ...

Dieses eBook ist der zweite Band einer zweiteiligen Geschichte. Erster Band: Anita Blake -Königin der Nacht.

SUPERNATURAL meets THE VAMPIRE DIARIES - Anita Blake jagt, beschwört und liebt. Keine andere Serie verbindet so geschickt Horror, Mystery und prickelnde Leidenschaft miteinander.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über diese Folge

Anita Blake – Vampire Hunter – Die Serie

Triggerwarnung

Titel

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Über die Autorin

Impressum

 

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Über diese Folge

Welcher Liebhaber wird an ihrer Seite herrschen?

Nach einem positiven Test befürchtet Anita das Unmögliche: Sie könnte schwanger sein. Dies bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Denn ein Baby würde nicht nur für das Kind, sondern auch für Anita selbst große gesundheitliche Risiken bedeuten. Außerdem wäre da noch die ungeklärte Vaterschaftsfrage, die die gewohnte Ordnung durcheinanderwirbelt. Alle potenziellen Väter haben andere Vorstellungen davon, wie die Zukunft aussehen soll, und setzen ihre Verführungskünste ein, Anita für sich zu gewinnen. Und das gerade jetzt, da sie und ihre Liebhaber geeinter auftreten müssen denn je, um die Machtkämpfe um sie herum in Schach zu halten …

Dieses eBook ist der zweite Band einer zweiteiligen Geschichte. Erster Band: Anita Blake – Königin der Nacht.

Anita Blake – Vampire Hunter – Die Serie

Härter, schärfer und gefährlicher als Buffy, die Vampirjägerin – Lesen auf eigene Gefahr!

Vampire, Werwölfe und andere Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten leben als anerkannte, legale Bürger in den USA und haben die gleichen Rechte wie Menschen. In dieser Parallelwelt arbeitet die junge Anita Blake als Animator, Totenbeschwörerin, in St. Louis: Sie erweckt Tote zum Leben, sei es für Gerichtsbefragungen oder trauernde Angehörige. Nebenbei ist sie lizensierte Vampirhenkerin und Beraterin der Polizei in übernatürlichen Kriminalfällen. Die knallharte Arbeit, ihr Sarkasmus und ihre Kaltschnäuzigkeit haben ihr den Spitznamen »Scharfrichterin« eingebracht. Auf der Jagd nach Kriminellen lernt die toughe Anita nicht nur, ihre paranormalen Fähigkeiten auszubauen – durch ihre Arbeit kommt sie den Untoten auch oftmals näher als geplant. Viel näher. Hautnah …

Bei der »Anita Blake«-Reihe handelt es sich um einen gekonnten Mix aus Krimi mit heißer Shapeshifter-Romance, gepaart mit übernatürlichen, mythologischen Elementen sowie Horror und Mystery. Eine einzigartige Mischung in einer alternativen Welt, ähnlich den USA der Gegenwart – dem »Anitaverse«.

Paranormale Wesen in dieser Reihe sind u.a. Vampire, Zombies, Geister und diverse Gestaltwandler (Werwölfe, Werleoparden, Werlöwen, Wertiger, …).

Die Serie besteht aus folgenden Bänden:

Bittersüße Tode

Blutroter Mond

Zirkus der Verdammten

Gierige Schatten

Bleiche Stille

Tanz der Toten

Dunkle Glut

Ruf des Blutes

Göttin der Dunkelheit (Band 1 von 2)

Herrscher der Finsternis (Band 2 von 2)

Jägerin des Zwielichts (Band 1 von 2)

Nacht der Schatten (Band 2 von 2)

Finsteres Verlangen

Schwarze Träume (Band 1 von 2)

Blinder Hunger (Band 2 von 2)

Im Bann der Dunkelheit

Königin der Nacht (Band 1 von 2)

Kuss der Verdammnis (Band 2 von 2)

Triggerwarnung

Die Bücher der »Anita Blake – Vampire Hunter«-Serie enthalten neben expliziten Szenen und derber Wortwahl potentiell triggernde und für manche Leserinnen und Leser verstörende Elemente. Es handelt sich dabei unter anderem um:

brutale und blutige Verbrechen, körperliche und psychische Gewalt und Folter, Missbrauch und Vergewaltigung, BDSM sowie extreme sexuelle Praktiken.

Laurell K. Hamilton

ANITA BLAKE

Kuss der Verdammnis

Aus dem Englischen von Angela Koonen

28

Jeder, den ich als Freund oder Lover betrachtete, ging hinaus. Ich wollte allein sein. Aber wirklich allein sein war zu gefährlich. Requiem und ein paar Bodyguards blieben. Ich zog mich im Badezimmer an. Das kam mir albern vor, denn alle hatten mich nackt gesehen, aber ich brauchte Privatsphäre.

Solange Jean-Claude und Asher bei mir waren, fühlte ich mich beim Gedanken an das Baby vollkommen ruhig, sogar glücklich. Sobald sie weg waren, setzte die Panik wieder ein. Einer der beiden, ich wusste nicht welcher, hatte einen Vampirtrick bei mir angewendet. Oder vielleicht übernahm ich nur das jemandes Empfinden. Ich war metaphysisch mit so vielen Männern verbunden, es musste nicht einmal Jean-Claudes Empfinden sein. Klar war nur, dass das nicht mein eigenes war.

Ich zog mir die Notfallklamotten an, die ich neuerdings in Jean-Claudes Zimmer liegen hatte. Jeans, schwarzes T-Shirt, Joggingschuhe, Ledergürtel und Unterwäsche. Der Gürtel war nötig für das Schulterholster. Sobald ich den vertrauten straffen Sitz spürte, ging es mir besser. Damit fühlte ich mich sicher. Nicht weil ich jetzt Leute erschießen konnte. Die meisten, die mir das Leben schwer machten, liebte ich, und die wollte ich nicht erschießen. Nein, die Pistole hatte gerade mehr psychologischen als realen Nutzen. Eine Waffe nützt nur, wenn man gewillt ist zu töten. Wenn man eigentlich nicht töten will, erzeugt sie ein falsches Sicherheitsgefühl. Die Silberkantenmesser in den Unterarmscheiden, die bedeuteten zusätzliche Sicherheit. Außer bei einem Stich ins Herz würden die meisten Leute in meinem Umfeld einen Messerangriff überleben. Ich rechnete nicht mit einem so heftigen Streit, aber mit den Messern fühlte ich mich besser. Angezogen und bewaffnet verließ ich das Bad. Viel besser.

Ich legte noch etwas an, das ich bei Jean-Claude verwahrte, eine Kette mit einem Kreuz. Ich nahm sie aus dem Nachttisch. Verborgen unter dem T-Shirt lag es kühl auf meiner Haut.

»Ich bin hier das einzige Monster, das durch ein Kreuz aufgehalten wird«, sagte Requiem vom Bett her. »Misstraust du mir so sehr?«

Daraufhin blickte ich zu Remus und einem neuen Werhyänenmann, der beim Kamin saß. »Das geht nicht gegen dich, Requiem, sondern gegen Belle und Marmee Noir, die mich besucht haben. Das Kreuz hilft mir, sie in Schach zu halten.«

»Sie sind eine furchtbare Macht.«

»Ja.« Ich wühlte in der Reisetasche, bis ich mein Handy fand, dann ging ich ins Bad.

»Du kannst in meinem Beisein reden, Anita. Ich werde nichts erzählen.«

»Du bist durch den Bluteid an Jean-Claude gebunden. Du wirst reden, wenn er das will. Aber offen gestanden möchte ich ein wenig Privatsphäre. Das hat ebenfalls nichts mit dir zu tun, Requiem.« Ich seufzte, denn dieser Scheiß war einer der Gründe, weshalb ich ihn als Pomme de sang immer wieder abgelehnt hatte. Er war emotional anstrengend oder zumindest nicht unkompliziert, und ich brauchte in meinem Leben nicht noch mehr anstrengende Männer. »Schau, zwischen uns beiden wird es nicht funktionieren, wenn du alles so verdammt persönlich nimmst. Fickfreunde machen sich nicht ständig Sorgen, okay?«

Sein schönes Gesicht war ausdruckslos, er hatte sich verschlossen. »Okay«, sagte er tonlos und zeigte damit, wie gekränkt er sich fühlte. Scheiße. Das konnte ich nicht gebrauchen.

Ich schloss die Badezimmertür und rief mit dem Handy meinen Gynäkologen an. Mir war endlich klar geworden, dass mir das Plastikstäbchen nicht gut genug war. Es zeigte zu neunundneunzig Prozent korrekt an. In diesem Fall wollte ich hundert Prozent. Es dauerte fast fünf Minuten, die Empfangssekretärin zu überzeugen, dass ich eine Sprechstundenhilfe oder den Arzt sprechen musste. Der Arzt behandelte natürlich gerade eine Patientin, aber nach fünf Minuten in der Leitung ergatterte ich eine Sprechstundenhilfe.

»Was für ein Problem haben Sie?«, fragte sie halb fröhlich, halb ungeduldig.

»Wie zuverlässig sind die Schwangerschaftstests für zu Hause? Ich weiß, was auf der Packung steht, aber im Ernst: Wie gut sind die?«

»Sehr gut, sehr zuverlässig.« Ihr Ton wurde milder.

Ich schluckte so mühsam, dass sie es wahrscheinlich hörte. »Das heißt, wenn mein Test positiv ist, dann …«

»Kann man gratulieren.«

»Aber das ist nicht hundertprozentig sicher, nicht wahr?«

»Das nicht, aber ein falsch positives Ergebnis kommt sehr selten vor, Ms Blake, sehr selten.«

»Gibt es nicht eine Blutuntersuchung, die zu hundert Prozent genau ist?«

»Es gibt eine Blutuntersuchung, ja, aber normalerweise vertraut der Arzt auch auf die Teststäbchen.«

»Aber wenn ich einen Bluttest möchte, um absolut sicher zu sein, bekäme ich einen Termin?«

»Nun, ja.«

»Heute.«

»Ms Blake, wenn Sie derart besorgt sind, machen Sie einen zweiten Test zu Hause. Aber ich bezweifle, dass der etwas anderes anzeigen wird als der erste. Falsch negative Ergebnisse haben wir hier durchaus, aber falsch positive sehr selten.«

»Wie selten?«, fragte ich.

Ich hörte Papier rascheln. »Wann war Ihre letzte Periode?«

»In der ersten Septemberwoche.«

»Wissen Sie den Tag?«

»Nein.« Ich bemühte mich, meinen Ärger nicht durchklingen zu lassen. Wer merkte sich denn den genauen Tag?

»Ms Blake, Anita, ich denke, wir sollten eine Pränataluntersuchung vereinbaren.«

»Pränatal, nein, ich meine, ja, ich meine, oh Mann.«

»Anita, ich spreche hier mit vielen Frauen. Die meisten sind mit diesem Befund glücklich, aber nicht alle. Für Sie scheint das keine gute Neuigkeit zu sein.«

»Ist es auch nicht.«

»Dr. North kommt gerade aus dem Behandlungszimmer. Ich lasse Sie mit ihm sprechen.« Ich hörte Bewegung, Kleiderrascheln, dann eine männliche Stimme. »Hallo, Anita. Wie geht es meiner Lieblingsvampirjägerin?«

»Heute nicht so gut«, sagte ich leise und klang verletzt.

»Das tut mir leid. Wir sollten einen Termin vereinbaren.«

»Ich will nicht schwanger sein.«

Er schwieg für einen Moment. »Sie sind nicht sehr weit, Anita, Sie haben noch Optionen.«

»Sie meinen einen Abbruch?«

»Ja.«

»Das kann ich nicht, außer es gäbe ein außerordentliches Problem. Das heißt, ich müsste auf das Vlad-Syndrom und das Mowgli-Syndrom getestet werden.«

»An das Vlad-Syndrom dachte ich auch, aber den Mowgli-Test braucht man nur, wenn man Sex mit einem Gestaltwandler hatte, während er in Tiergestalt war.«

Ich lehnte die Stirn an die kühle Marmorverkleidung der Wand. »Das weiß ich.«

»Oh«, sagte er übertrieben gut gelaunt, wie Leute, die eigentlich Oh mein Gott! rufen wollen. Er fasste sich schnell. Schließlich war er Arzt. »Peggy, ich führe das Gespräch in meinem Büro weiter, bitte stellen Sie es durch. Einen Moment, Anita, dort sind wir unter uns.« Zum Glück wurde ich nur kurz mit Fahrstuhlmusik berieselt, dann war er wieder in der Leitung. »Okay, Anita, Sie müssen so schnell wie möglich herkommen.« Ich hörte ihn Papier zerknüllen. »Jemand hat seinen Zwei-Uhr-Termin für heute abgesagt.«

»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«

»Wenn es sich um eine normale Schwangerschaftsuntersuchung handelte, würde ich sagen, gut, machen wir es nächste Woche, aber da wir auf beide Syndrome testen und Sie mir sagen, das Mowgli-Syndrom ist nicht ausgeschlossen, dann müssen wir den Bluttest sofort machen.«

Ich wollte sagen, dass ich mit nur einem Lykanthropen in Tiergestalt Sex gehabt hatte, nur ein Mal, doch wie es so schön heißt: ein Mal genügt. »Doc, über das Vlad-Syndrom bin ich gut informiert, über das andere weiß ich wenig. Wenn ich wirklich schwanger bin, dann ist es gerade mal ein kleiner Zellklumpen, ja? Ich bin allenfalls im zweiten Monat, oder? Das Baby dürfte vorläufig nicht versuchen, sich aus mir rauszufressen, stimmt’s?« Schon beim Aussprechen wurde mir flau. Vielleicht wäre es gar nicht möglich, es zu behalten.

»Für ein Säugetier hat der Mensch eine ziemlich lange Tragezeit. Ich gehe davon aus, dass der Gestaltwandler zu den Säugetieren gehörte?«

»Ja. Ist das von Bedeutung?«

»Durchaus. Sehen Sie, das Problem beim Mowgli-Syndrom ist, dass der Fötus sich mit der Geschwindigkeit des entsprechenden Tiers entwickelt und nicht mit der menschlichen.«

Ich dachte an meine Biologiestunden zurück, und in keiner war die Tragezeit von Leoparden vorgekommen. Das hatte nicht zum Unterrichtsstoff gehört.

»Anita. Reden Sie mit mir, Anita.«

»Ich bin noch dran, Doc, ich habe nur … ich weiß, dass ich im Fall des Vlad-Syndroms abtreiben muss. Das Baby würde sowieso nicht überleben und mich vielleicht in den Tod mitnehmen. Aber wie gesagt, mit dem anderen Syndrom kenne ich mich nicht aus. Das kommt viel seltener vor.«

»Sehr selten. Genauer gesagt wurden in unserem Land keine zehn Fälle gemeldet. Wenn das Schlimmste eintritt und das Kind das Vlad-Syndrom hat, dann haben wir noch Zeit. Wenn es das Mowgli-Syndrom hat, käme es auf die Tierart an.« Ich hörte ihn tippen. »Wissen Sie, welcher Art Gestaltwandler er angehörte?«

»Es war nur ein einziges Mal, und ja …« Ich hörte auf, mich zu verteidigen, und sprach es aus. »Leopard, okay, ein Leopard.« Gütiger Himmel, ich konnte nicht glauben, dass ich dieses Gespräch führte.

Ich hörte ihn wieder tippen. »Die Tragezeit von Leoparden beträgt zwischen neunzig und hundertsechs Tage, ein Durchschnitt von sechsundneunzig.«

»Und?«, fragte ich.

»Beim Menschen sind es zweihundertachtzig Tage.«

»Und weiter?«

»Das heißt, ich nehme an, Sie haben kein schweres Mowgli-Syndrom, andernfalls wüssten Sie es bereits. Sie stünden kurz vor der Niederkunft.«

»Das ist ein Scherz.«

»Nein«, sagte er. »Aber Sie haben das offensichtlich nicht. Sie könnten aber ein schwaches Mowgli-Syndrom haben. In dem Fall könnte es mit der Schwangerschaft rasend schnell gehen. Dann könnten Sie, obwohl man jetzt kaum etwas sieht, in einigen Tagen schon niederkommen.«

»Sie scherzen.«

»Ich schaue gerade in die Fachliteratur. Manchmal ist das Internet wunderbar nützlich. In unserem Land sind zwei Fälle bekannt, zwei Frauen mit einem schwachen Mowgli-Syndrom. Das ist wie beim Down-Syndrom. Wir können testen und wissen dann, ob Sie es haben, aber selbst ein Aminogramm-Bluttest würde uns nicht sagen, wie ausgeprägt es ist.«

»Ein Vlad-Syndrom-Befund bedeutet automatisch eine Abtreibung – wie ist das beim Mowgli-Syndrom?«, fragte ich.

Er zögerte und antwortete dann langsam. »Da ist das nicht vorgeschrieben, aber die Geburtsfehler können ziemlich, nun ja, ernster Natur sein.«

»Es ist nie gut, wenn der Arzt nervös wird, Dr. North. Was ist mir bisher entgangen, das bei Ihnen Nervosität auslöst?«

»Selbst wenn nur eine milde Form vorliegt, wird der Fötus am Montag beim Ultraschall über dem Zeitlimit für eine Abtreibung in diesem Bundesstaat sein. Sie wollen bei diesem Geburtsfehler nicht ohne diese Option dastehen, Anita.«

O-kay. »Zwei Uhr, sagten Sie?«

»Um zwei im St. John’s, und kommen Sie direkt auf die Entbindungsstation.«

Mir klopfte das Herz im Hals. »Entbindungsstation? Übertreiben Sie nicht ein wenig, Doc?«

»Wenn Sie in meine Praxis kommen, müssen wir die Blutprobe an ein Labor schicken. Im Krankenhaus bekommen wir das Ergebnis viel schneller. Je nach Befund möchten wir Sie vielleicht näher untersuchen, und im Krankenhaus steht uns die Ultraschalldiagnostik zur Verfügung, die wir dafür brauchen.«

»Sie haben auch in der Praxis ein Ultraschallgerät«, wandte ich ein.

»Das stimmt, aber das im Krankenhaus ist besser. Wir werden viel schneller genauere Informationen erhalten, und Schnelligkeit ist hier wesentlich, Anita.«

»Okay, ich werde um zwei Uhr da sein.«

»Großartig.«

»Ihr Umgang mit Kranken ist heute beschissen.«

Er lachte. »Ich kenne Sie, Anita. Wenn ich Ihnen keine Angst mache, finden Sie Gründe, den Termin aufzuschieben.«

»Haben Sie übertrieben, um mir Angst zu machen?«, fragte ich.

»Nein, bedaure, ich habe nicht übertrieben. Ich habe mich nur deutlicher ausgedrückt als bei anderen Patientinnen. Allerdings brauche ich bei den meisten nicht rabiat zu werden, damit sie in die Praxis kommen.«

»Sie wollen mich nicht in der Praxis sehen, sondern im Krankenhaus. Ich begebe mich eigentlich nur ins Krankenhaus, wenn ich bei einem Auftrag verletzt wurde.«

»Machen Sie einen Rückzieher?«, fragte er.

Ich seufzte. »Nein. Nein, ich werde da sein.« Mir fiel etwas ein, und ich dachte, es wäre besser zu fragen. »Ich darf auf die Entbindungsstation jemanden mitbringen, oder? Es ist nicht mehr so eingeschränkt wie früher, als ich klein war, oder?«

»Sie können jemanden mitbringen, der Ihnen die Hand hält, wenn Sie möchten, aber da wir eine gynäkologische Untersuchung vornehmen, sollte es jemand sein, dem Sie wirklich nahestehen.«

Gynäkologische Untersuchung, Scheiße. »Das trifft zumindest auf einen zu. Die anderen können draußen warten.«

»Die anderen?«

»Ein Freund, vielleicht auch mehrere, und Bodyguards.«

»Bodyguards? Sind Sie in Gefahr?«

»Fast immer, aber es ist nicht so, dass gerade jemand hinter mir her ist. Sagen wir einfach, das wird für mich ein ziemlich stressiger Termin, und vorläufig sollte ich mich nicht ohne Beschützer in eine stressige Situation begeben.«

»Soll das ein Rätsel sein?«, fragte er.

»Nicht mit Absicht.«

»Normalerweise drücken Sie sich recht unverblümt aus, Anita.«

»Verzeihung, aber das ist nichts, das ich am Telefon erklären könnte.«

»Okay, betrifft das Ihre Gesundheit und diese Situation?«

Ich überlegte. »Vielleicht ja. Ich nehme es an.« Mir wurde bewusst, dass ich das Baby verlieren würde, wenn ich die Gestalt wechselte, und der ganze medizinische Notfall wäre vorbei, bevor wir entschieden hätten, was zu tun war. Aber was mit mir passiert war, ließ sich nicht auf die Schnelle erklären. »Darf ich meine Freunde mitbringen?«

»Was, wenn ich ablehne?«

»Dann haben wir ein Problem.«

»Wie viele wären es?«

»Hoffentlich nur vier.« Ich zählte schnell noch mal nach. Zwei Leibwächter und mindestens einen von jedem Tier, das ich in mir trug. »Fünf.«

»Fünf.«

»Mindestens zwei davon sind Freunde.«

»Die infrage kommenden Väter?«

»Ja.«

»Wenn sie sich nicht störend verhalten, kann ich das erlauben.«

»Wenn sich jemand störend verhält, dann ich.« Damit legte ich auf. Das war grob unhöflich, aber ich hatte nicht die Nerven, um das Gespräch noch länger fortzusetzen. Ich hatte Angst, so große Angst, dass sich meine Haut kalt anfühlte. Kalt? Ich fasste mir an die Stirn und versuchte zu erfühlen, ob ich auskühlte. Wenn ja, war Damian in Gefahr, mein armer Vampirdiener, von dessen Kraft ich als Erstes zehrte, wenn ich mich zu lange nicht gesättigt hatte. Zehrte ich ihn aus, sodass er aus seinem Sarg nicht mehr aufstehen würde? Ich hatte die Ardeur gezähmt, damit sie nicht so belastend war. Ich konnte sie für ein paar Stunden im Zaum halten, aber der Preis dafür war hoch. Und das hatte Damian manchmal fast das Leben gekostet. Theoretisch würde ich nach Damians Tod von Nathaniel zehren. Ich wollte nicht herausfinden müssen, ob die Theorie stimmte.

Ich sah auf die Uhr: Es war zehn. Das war ein verdammt langer Morgen gewesen. Für viele von Jean-Claudes Vampiren war es unglaublich früh, um auf den Beinen zu sein. Bisher waren nur Meistervampire wach, und zu denen gehörte Damian nicht. Trotzdem … Schwächte ich ihn schon zu sehr, weil ich weder die Ardeur gesättigt noch etwas gefrühstückt hatte? Richtiges Essen half, anderes Verlangen zu unterdrücken, nicht nur das der Ardeur, sondern auch den Hunger der Tiere. Ich hatte noch nicht mal einen Kaffee getrunken. Es kam nicht auf die Tageszeit an, sondern darauf, wie lange ich auf den Beinen war, ohne etwas gegessen zu haben. Vielleicht hatten wir gestern Abend genügend Energie von Auggie bekommen, aber ich durfte es nicht drauf ankommen lassen. Ich brauchte Nahrung. Die Frage war nur, welchen Hunger ich zuerst stillte. Den nach Sex oder den nach Kaffee. Hmm, mal überlegen.

29

Zufällig wurde es der Kaffee. Requiem war nicht im Schlafzimmer, und Micah brachte gerade ein Tablett mit Frühstück herein. Er sagte nicht, ich hätte schon zu lange nichts gegessen und gefährdete vielleicht Damian oder riskierte es, meine Tiere zu wecken und mich selbst zu verletzen oder das Baby zu verlieren oder die Ardeur unbeherrschbar werden zu lassen, indem ich mich vernachlässigte. Nein, er sagte nichts dergleichen. Er brachte nur etwas zu essen und stellte es auf den Nachttisch. Zwei Tassen Kaffee, Croissants, Käse und Obst. Was wir im Zirkus aßen, wurde angeliefert, weil wir dort keine Küche hatten. Der vorige Herrscher von St. Louis hatte nur wenige Menschen in seinem Gefolge gehabt und sich einen Dreck um das Wohlbefinden anderer geschert. Jean-Claude hatte als Erstes die Badezimmer umgestaltet. Prioritäten. Nun ja, man kann sich ausgezeichnetes Essen liefern lassen, aber ein anständiges Badezimmer nicht. Trotzdem dachte ich, als ich das Tablett musterte: Wir brauchen eine Küche.

Ich nahm mir als Erstes ein Stück Cheddar. Wir hatten herausgefunden, dass ich mit tierischem Eiweiß am schnellsten Energie tankte. Manche von uns sind nicht zum Vegetarier bestimmt.

»Geht es dir gut, Anita? Du siehst sehr …« Er suchte nach einem passenden Wort und gab auf.

Ich lächelte ihn an. »Danke für das Frühstück, und ich habe um zwei Uhr einen Termin beim Gynäkologen.«

»Heute? Ist das klug?«

Ich nickte und nahm mir die erste Tasse Kaffee. Ich war brav gewesen und hatte als Erstes Käse gegessen, aber eigentlich wollte ich etwas anderes. Ich trank den ersten Schluck heißen, starken Kaffee. Am Nachmittag würde ich vielleicht viel Zucker und Sahne hineinrühren, aber den ersten Kaffee des Tages wollte ich schwarz und unverfälscht. Ich schloss die Augen, während die Wärme sich ausbreitete. War ich kaffeesüchtig? Wahrscheinlich, aber wie das mit Süchten ist: Es hätte schlimmer sein können.

Ich machte die Augen auf und sah ihn an. »Guter Kaffee.«

Er lächelte. »Freut mich, dass er dir schmeckt. Um zwei Uhr werden die meisten Vampire wach sein und sich hier unten aufhalten. Wir werden auch tagaktive Gäste hier haben.«

Ich nickte und trank diesmal einen kleineren Schluck. »Ich weiß.« Ich berichtete ihm, was der Arzt gesagt hatte.

Er sah mich groß an und blinzelte einmal langsam, wie ich es manchmal tat, wenn ich zu viele Informationen auf einmal verarbeiten musste. »Du musst hingehen.«

»Ich weiß.« Ich setzte mich auf den Bettrand und zwang mich, von einem Croissant abzubeißen. Es war gut, zart und buttrig, aber ich hatte keinen Hunger. Ich wollte Kaffee und aß nur, weil ich musste. Damit alle gesund und munter blieben. Ich war noch nie ein großer Frühstücker gewesen, aber heute war ich außerdem zu nervös. Na schön, zu erschrocken.

»Ich begleite dich, als dein Freund und als Leopard.«

Ich nickte. »Nathaniel wird sich bis dahin wahrscheinlich noch nicht zurückverwandelt haben.«

»Du weißt, dass Richard sich für heute freigenommen hat.«

Ich nickte. »Er hat für einen Vertreter gesorgt.«

»Du kannst dir denken, dass er auch mitgehen will.«

»Wahrscheinlich.«

»Er kann dein Wolf sein«, sagte er.

Jemand räusperte sich. Remus stand näher beim Bett, als ich gedacht hatte. »Ich kam nicht umhin, euer Gespräch mitanzuhören.«

»Ich werde mindestens zwei Leibwächter mitnehmen, also musst du sowieso Bescheid wissen.«

Er nickte. »Gut, aber Anita, nach allem, was Claudia mir gesagt hat, wird Richard dir nicht erlauben, sein Tier hervorzuholen. Was würde dir sein Wolf dann nützen?«

Ich nickte. »Da gebe ich dir recht. Er wird trotzdem mitkommen wollen.«

»Wie wär’s, wenn ich dafür sorge, dass einer deiner Leibwächter ein Wolf ist?«, fragte Remus.

»Tu es unauffällig.«

»Er wird es nicht erfahren«, sagte Remus. »Obwohl er uns vielleicht überraschen würde.«

Ich schüttelte den Kopf. »Wenn er sich hier im Untergrund nicht verwandeln wollte, dann auf gar keinen Fall im St. John’s auf der Entbindungsstation.«

»Das wird wahrscheinlich keiner von uns wollen. Das schafft uns nur die Cops auf den Hals«, sagte Remus.

Ich nickte. »Ich weiß, und ich werde mich nach Kräften zusammenzureißen, aber ich habe Angst, und das wird eine belastende Situation.«

»Du brauchst einen Löwen. Der neue wird nicht rechtzeitig zu dem Termin seine Menschengestalt zurückerlangen.«

»Hat nicht jemand gesagt, dass Joseph heute ein paar seiner Löwen mitbringt, damit ich mir jemanden aussuchen kann?«

Micah nickte.

»Wir müssen ihn anrufen und nachhören, wie bald er hier sein kann«, sagte ich. Das Croissant hatte ich geschafft und einen Kaffee getrunken. Ich nahm den Deckel von der zweiten Tasse und lehnte mich gegen das Betthaupt. Jetzt hatte ich etwas im Magen und durfte den zweiten trinken, ohne mir seinen Geschmack mit Essen zu verderben.

»Ich werde ihn fragen.« Er zog ein kleines Klapphandy hervor und entfernte sich vom Bett, um uns nicht weiter zu stören. Privatsphäre war illusorisch, weil er trotzdem noch hören würde, was sie sagten, aber ich war ihm dankbar für die Geste.

Micah trug ein weißes Oberhemd, das offen an seinem gebräunten Oberkörper herabhing. Die Ärmel waren zugeknöpft, aber er trug es wie eine Jacke, nicht wie ein Hemd. Seine Jeans waren irgendwann mal schwarz gewesen, inzwischen jedoch grau. Als er sich neben mich aufs Bett legte, sah ich, dass er barfuß war. »Du trägst Sachen, bei denen es dir egal ist, wenn sie beim Verwandeln zerreißen«, sagte ich.

Er nickte. Er hatte sich die Haare im Nacken zusammengebunden, aber ein paar kurze Locken hingen ihm ins Gesicht. Er wirkte sehr anziehend, mit Ausnahme seiner Augen, denn er blickte beunruhigend ernst.

»Du denkst, ich werde wieder«, ich machte eine unschlüssige Geste, »ausrasten.«

Er lächelte, aber nur mit dem Mund. »Sagen wir einfach, ich bin auf alles gefasst.«

Ich trank meinen Kaffee ein bisschen schneller, weil er bereits abkühlte. »Habe ich genug gegessen?«

»Nein«, sagte er sanft.

Ich ließ den Kopf hängen. »Mein Magen fühlt sich heute an wie ein harter Klumpen.«

»Entweder noch ein Croissant oder ein Stück Obst oder den ganzen Käse.«

Ich trank den Kaffee aus und griff zu dem Gebäck. Wenn man nichts essen will, ist neutrales Gebäck am wenigsten unangenehm. Ich knabberte an der Kruste.

»Jean-Claude muss von dem Termin erfahren.«

»Ich weiß.«

»Ich kann es ihm sagen.«

Ich sah ihn stirnrunzelnd an. »Du traust mir nicht.«

Er setzte sich auf und hob die Hände. »Ich will alles tun, um dir die Sache zu erleichtern, Anita, aber er muss schnellstmöglich erfahren, dass du heute Nachmittag seinen menschlichen Diener, sein gehorsames Tier und mindestens zwei oder drei seiner Blutspender mitnimmst.«

Ich warf das halb gegessene Croissant auf das Tablett. »Wenn es eine andere Möglichkeit gibt, sag es, und ich werde sie nutzen.«

»Das habe ich nicht gemeint. Ich meine nur, dass Jean-Claude es erfahren muss.«

»Dann geh es ihm sagen.« In mir stieg Ärger auf.

Er sah mich nicht gekränkt an, sondern vorsichtig. Er griff nach meinen Händen, und ich riss sie weg. »Wenn du mich jetzt umarmst, breche ich zusammen.«

Er zog seine Hände zurück. »Daraus kann dir niemand einen Vorwurf machen.«

»Doch, ich.«

Er seufzte. »Immer willst du stark sein.«

Ich nickte. »Ja, will ich.«

Er stand auf und sah mich an. Ich wollte nicht, dass er vor dem Bett stand und so verlockend aussah. Ich wollte wütend sein, und das fiel mir immer schwer, wenn er süß aussah. Mensch, ich hatte bei jedem meiner Männer Probleme weiterzustreiten, wenn ich sie ansah. Sie brauchten sich nur auszuziehen und hatten gewonnen. Das war wahr, und das machte mich zusätzlich sauer.

»Ärger ist Luxus, Anita.«

Ich schrie aus vollem Hals, tief und laut. Ich schrie, dass es hallte. Ich schrie, bis die Tür aufging und Leibwächter hereinströmten. Ich schrie sie an: »Raus hier! Verschwindet!«

Die schwarz gekleidete Meute drehte sich zu Remus. Er bedeutete ihnen, das Zimmer zu verlassen, doch zwei behielt er zurück, sodass wieder vier Leibwächter bei mir waren. Ich konnte es ihm kaum verdenken.

»Sag es Jean-Claude und schick Requiem zu mir.« Meine Stimme klang tiefer, voller.

»Anita …«

»Wenn du mich tröstest, drehe ich durch.« Ich sah zu ihm hoch. »Bitte, Micah, bitte tu einfach, worum ich dich gebeten habe.«

»Ich werde mit Jean-Claude reden. Aber bist du dir sicher wegen Requiem?«

»Du meinst, ob ich wirklich die Ardeur mit ihm befriedigen will?«

Er nickte.

»Nein, ich bin mir absolut sicher, dass ich das nicht will, aber Jean-Claude und ich haben geredet. Wenn ich die Ardeur mit Requiem befriedige und er ihr wieder verfällt, dann bin ich für die anderen Pomme-de-sang-Kandidaten zu gefährlich. Ich muss es also tun, bevor Auggie aufsteht. Denn wenn ich Requiem tatsächlich von der Ardeur befreit habe, können wir vielleicht mit derselben Methode Auggie von uns befreien.«

»Das sind viele Wenns und Vielleichts.«

»Und vielleicht kann ich Requiem dabei heilen. Meine Wunden heilen manchmal bei metaphysischem Sex mit oder ohne Geschlechtsverkehr. Meng Dies kleiner Wutanfall wird die fremden Meistervampire nicht gerade beeindrucken, und solange Requiems Wunden in dem Zustand sind, können wir den Vorfall nicht verheimlichen.«

»Du könntest es mit jemand anderem tun. Mit dem du sowieso Sex hast.«

»Du meinst, ich kann heute nicht noch einen Schock gebrauchen.« Ich fing an zu lachen, aber es drohte in Schluchzen überzugehen, und ich biss mir auf die Lippe, um es zu unterdrücken. Meine Angst fraß an mir, fraß Löcher in mich hinein, sodass ich immer zerbrechlicher wurde, und wenn ich meine Kraft am dringendsten brauchte, würde ich keine mehr haben, nichts mehr außer Angst.

Ich flüsterte, weil ich meiner Stimme nicht traute. Entweder würde ich wieder schreien oder ich würde weinen. Beides wollte ich nicht. »Jean-Claude denkt, dass Requiem meinen Widerwillen mit seiner Macht überwinden kann. Ich muss die Ardeur nähren und wehre mich dagegen mit Händen und Füßen. Wenn Requiem mich dazu bringen kann, ihn zu wollen, dann schick ihn zu mir, denn im Moment will ich überhaupt niemanden. Ich will nur endlich meine Ruhe.«

Jeder andere hätte gekränkt geguckt, Micah tat es nicht. Er nahm das alles mit ruhiger Miene auf. »Wir alle haben eine Belastungsgrenze, Anita, jeder von uns.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das heute nicht erlauben, Micah.«

Er seufzte. »Ich möchte, dass wir irgendwann ein bisschen Ruhe haben, damit du zusammenbrechen kannst, wenn du das möchtest.« In seinen Augen glänzten Tränen.

»Nicht weinen«, sagte ich.

»Warum nicht? Einer von uns muss es tun.« Er drehte sich weg, als die erste Träne an seiner Wange schimmerte.

Ich griff nach seinem Arm, kroch über das Bett und zog ihn an mich. Und wie vermutet konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ich weinte und schrie und klammerte mich an ihn und hasste mich dafür. So schwach war ich, so verdammt schwach.

30

Mitten in meinem Zusammenbruch merkte ich, dass noch andere Hände außer Micahs mich hielten. Ich schob sie weg und gleichzeitig hielt ich sie fest, als wüsste ich nicht so recht, ob mir die Berührung wirklich zuwider war oder ob ich sie dringend brauchte. Ich hörte eine hysterische Stimme: »Will das nicht tun … kann das nicht. Ich kann das nicht tun.« Dann merkte ich, dass es meine war, und trotzdem konnte ich nicht aufhören zu plappern. »Will kein Baby, keine Tests, will die Ardeur nicht mehr, nie wieder, keine Männer mehr, nicht noch einen.« Das Reden ging in Schluchzen über, und schließlich hörte auch das auf. Am Ende lag ich in ihren Armen und war still. Zu müde, um mich zu bewegen, zu müde, um mich zu wehren. Irgendwann war es plötzlich Richard, der mich hielt. Nichts. Ich fühlte nichts, und darüber war ich froh. In letzter Zeit hatte ich zu viel gefühlt, viel zu viel.

»Sie kommt mir anders vor«, sagte er und seine Stimme klang, als wäre er weiter von mir entfernt, als er tatsächlich war. Ich lag auf seinem Schoß, war also nah bei ihm.

Andere Hände strichen mir übers Gesicht, über die Hände, die Arme. Ich hielt die Augen weiter geschlossen. Ich wollte niemanden sehen. Keinen von ihnen. »Sie fühlt sich kalt an.« Jean-Claudes Stimme. Seine Hand entfernte sich von meiner Wange.

Kalt, ja, mir war kalt, sehr kalt. Bis ins Innerste, als könnte ich nie wieder warm werden. Fell streifte meinen Arm, und ich öffnete die Augen gerade so weit, dass ich Nathaniel auf dem Bett knien sah. Sein Gesicht wirkte noch fremd, weil es halb Tier halb Mensch war. Einmal, nur ein Mal hatte ich es über mir gesehen, als wir uns liebten. Nur ein einziges Mal.

Hände fassten um mein Gesicht, drehten meinen Kopf, damit ich Jean-Claude und Richard anblickte. Ihre Hände, jeweils eine an meinen Wangen. Ihre Hände fühlten sich warm an. Es dauerte einen langen Moment, bis ich begriff, dass beide Hände warm waren. Hatte Jean-Claude durch Augustine so viel Macht hinzugewonnen, dass er sich warm anfühlte?

Es war schwierig, ihre Gesichter scharf zu sehen. »Warm, ihr seid beide warm«, flüsterte ich.

Richard sprach langsam, sorgfältig, als glaubte er, ich würde ihn sonst nicht verstehen. »Anita, du fühlst dich kälter an als Jean-Claude.«

Ich sah ihn stirnrunzelnd an und versuchte, mich auf sein Gesicht zu konzentrieren. Fast gelang es mir, aber meine Aufmerksamkeit schweifte ab, bevor ich meine Augen zwingen konnte, zu tun, was ich wollte. »Da stimmt was nicht, irgendwas stimmt nicht.« Ich sprach den Gedanken aus, aber flüsternd.

»Ja«, sagte er, »hier stimmt etwas nicht.« Er sah Jean-Claude an. »Ich kann sie nicht spüren. Ich halte sie im Arm und fühle ihre Energie nicht.«

»Sie entfernt sich von uns«, sagte Jean-Claude.

»Entfernt sich? Was heißt das?«, fragte Richard.

»Ich glaube, ma petite will das Band zwischen uns zerreißen.«

»Du meinst, das Triumvirat zerbrechen?«

»Oui.«

»Kann sie das tun?«, fragte jemand.

»Anita kann alles tun, was sie will«, knurrte Nathaniel.

»Ich weiß nicht, ob es möglich ist, aber ich weiß, dass sie es versucht«, sagte Jean-Claude.

»Das wird eure Machtbasis zerstören.« Ashers Stimme. Ich konnte mich nicht überwinden, mich suchend nach ihm umzusehen.

»Dann soll es so sein«, sagte Jean-Claude. Ich strengte die Augen an, um ihn klar zu sehen, und in dem Moment blickte er Richard an. »Warum das traurige Gesicht, Richard? Du könntest von dem Triumvirat befreit sein, von mir befreit sein.«

»Du weißt, ich will das. Aber was würde uns das kosten? Sie fühlt sich kalt an.«

Jean-Claudes Gesicht schob sich in mein Blickfeld. »Ma petite, lass deine Schilde sinken. Nur so weit, dass ich dich spüre. Ich will dir Energie spenden. Dir geht es nicht gut.«

Ich schüttelte den Kopf, und die Welt verschwamm zu bunten Schlieren. Mir wurde übel, und in dem Moment begriff ich, dass ich krank war. Krank an Leib und Seele. Irgendwo tief in mir versuchte ich, all meine Entscheidungen rückgängig zu machen. Versuchte einen Widerruf bei einem Spiel, das dafür schon zu weit gediehen war. Die Vernunft sagte mir, es sei zu spät, aber die Vernunft hatte gerade nicht das Sagen. Wie diskutiert man mit seinem Unterbewussten? Wie diskutiert man mit einem Teil seines Gehirns, das man die meiste Zeit gar nicht wahrnimmt? Das wirklich Gemeine an der Situation war, dass ich mir unsicher war, ob ich überhaupt diskutieren wollte.

Ich roch Leopardengeruch und wusste, dass Nathaniel neben mir war, bevor ich ihn »Damian!« knurren hörte.

Ich machte die Augen auf und blickte in ein schwarzes Fellgesicht. Nathaniel zog den Kopf so weit zurück, dass ich ihn scharf sehen konnte. Ich wiederholte, was er gesagt hatte. »Damian.«

»Damian wird sterben«, sagte er.

Ich sah ihn verständnislos an. Ich hatte es gehört, konnte dem aber keinen Sinn entnehmen. Das war mir offenbar anzusehen, denn Jean-Claude sagte: »Ich weiß nicht, ob es wirklich gelingen kann, was du in deiner Verzweiflung versuchst, aber wenn, dann wird Damian sterben. Sein Blut fließt nur aufgrund deiner Macht, Anita. Ohne die wird sich dein Vampirdiener nicht aus seinem Sarg erheben können. Er wird sterben und tot bleiben.«

Ich starrte ihn an, und wieder drangen seine Worte nicht wirklich zu mir durch.

Er fasste mich am Oberarm, fest und fester, bis es wehtat, aber selbst der Schmerz war weit weg. »Anita, ich werde dafür nicht die Schuld auf mich nehmen. Wenn du dieses Wunder vollbringst und dich von uns losreißt, dann tötest du damit Damian. Ich will später nicht von dir hören, du hättest das nicht begriffen. Ich werde die Schuld nicht auf mich nehmen, dieses Mal nicht.« Er war wütend, aber seine Wut berührte mich nicht, und darüber war ich froh. Seine Wut war nicht mehr die meine. Ich konnte ihn aus mir rausdrängen, sie alle aus mir rausdrängen.

Micahs Stimme an meiner anderen Seite: »Wenn du das Triumvirat zerstörst, ändert das nichts daran, dass du schwanger bist, Anita. Du wirst trotzdem um zwei Uhr im Krankenhaus sein müssen. Das ändert sich nicht.«

Ich drehte den Kopf zu ihm und schien lange dafür zu brauchen. »Die Ardeur wird weggehen.«

»Bist du dir sicher?«, fragte er ruhig.

Jean-Claudes Stimme: »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob die Gaben und Übel, die du durch meine Vampirzeichen bekommen hast, mit der Zerstörung des Triumvirats verschwinden werden. Du könntest dann sein, wie ich dich fand, allein und sicher in deiner Haut, falls es das ist, was du wahrhaftig wünschst. Oder du könntest einige Fähigkeiten behalten, verlierst aber …« Er zögerte und schloss dann mit: »… bei deinem Kampf gegen die Ardeur den Beistand von uns allen.«

Ich drehte mich, bis ich sein Gesicht sah. Es war noch unscharf, als ob ich noch nicht recht funktionierte. »Die Ardeur wird weggehen«, flüsterte ich.

»Ich weiß schlichtweg nicht, was geschehen wird, denn was du da gerade tust, ist unmöglich. Nur der wirkliche Tod sollte dich von meinen Zeichen befreien können. Da noch nie vollbracht wurde, was du versuchst, weiß ich nicht, was dabei herauskommen wird.« Er klang ausdruckslos, als ob seine Worte nichts bedeuteten.

Ich wollte darüber nachdenken, doch selbst das ging nur schleppend. Was war mit mir los? Ich war hysterisch, das war mit mir los. Nach diesem klaren Gedanken wurde ich ruhiger. Nicht dass es mir besser ging, aber ich konnte wieder denken. Das war ein Fortschritt. Ich dachte daran, von der Ardeur befreit zu sein, und das war ein guter Gedanke. Ich dachte daran, von Jean-Claudes Zeichen befreit zu sein und von dem metaphysischen Chaos, das mit ihnen einherging. Und dass mein Leben wieder mir gehören könnte, klang gut. Ich dachte daran, nur ich selbst zu sein, wie Jean-Claude sagte, nur ich in meiner eigenen Haut. Ich selbst und wieder allein. Wieder allein. Ich erlebte einen Augenblick freudiger Sehnsucht nach meinem alten Leben, wie es war, bevor ich so viele Leute übernommen hatte. In ein leeres Zuhause zu kommen erschien mir nicht abschreckend, es erschien mir entspannend.

Micah fasste mir an die Wange und drehte meinen Kopf zu sich, damit ich ihn ansah. Endlich konnte ich wieder klar sehen. Seine Katzenaugen blickten ernst. Nichts, was gerade passiert, ist es wert, dafür zu sterben, Anita, bitte.«

Ich dachte, er meinte Damian, dann begriff ich, wen er tatsächlich meinte. Mein Körper war nicht nur kalt, weil ich versuchte, aus dem Triumvirat auszubrechen. Es gab nur einen Weg in die Freiheit. Einer von uns musste sterben. Würde ich freikommen? Vielleicht. Würde ich dabei sterben? Vielleicht. Der Gedanke hätte mich erschrecken sollen, tat er aber nicht, und das erschreckte mich. Ich weiß, das klingt dumm, aber mich erschreckte nicht der Gedanke zu sterben, sondern mich erschreckte, dass mich der Gedanke nicht erschreckte. Dumm, aber wahr.

Ich musste das besser hinkriegen, Jesus, Maria und Joseph, ich musste es besser hinkriegen.

Richard nahm mich von hinten in die Arme, krümmte seine warmen, muskulösen über eins achtzig um mich. »Bitte, Anita, tu das nicht.« Sein Atem war so warm, fast heiß.

Ich sah zu ihm hoch, nur eine Handbreit von seinem Gesicht entfernt. Seine Augen waren wunderbar braun, warm und gefühlvoll. »Du wärst frei.«

Er schüttelte den Kopf, seine Augen bekamen einen feuchten Glanz. »So dringend will ich das nicht.«

»Nicht?«, fragte ich.

»Nein, dieser Preis ist zu hoch. Verlass mich nicht, nicht so.« Er hielt mich fest. Seine Haare waren wieder lang genug, dass sie mich an der Wange kitzelten. Ich barg das Gesicht an seinem warmen, süß duftenden Hals, aber mir war klar, dass ich mich dabei belog.

Ich kuschelte mich an ihn, so eng es irgend ging. Ich vergrub mich in seiner Wärme und Stärke, und es fühlte sich wunderbar an. Es fühlte sich noch immer an, als wäre er der Richtige, aber ich wusste es besser. Wir waren beide zu stur, als dass es zwischen uns funktionieren könnte.

Ich weinte wieder und war mir unsicher, warum. Ich weinte mein Bedauern an Richards warmen Hals heraus. Trauerte allem nach, was wir hätten sein und haben können. Ich schlang die Beine und Arme um ihn und klammerte, hielt mich weinend an ihm fest.

Eine Hand strich über meinen Hinterkopf, und eine Stimme sagte: »Ma petite, ma petite, senk deine Schilde, lass uns wieder herein.«

Ich drehte den Kopf und sah ihn an, ohne Richard loszulassen. Ich blickte in das Gesicht auf, in die dunkelblauen Augen. Seine Hand strich am Rand meiner Wange entlang, und es genügte nicht. Was immer ich mit mir gemacht hatte, ich hatte mich dabei eingemauert. Da ich mich nicht mit Absicht von den anderen abgeschnitten hatte, wusste ich nicht, wie es rückgängig zu machen war. Wie macht man ein Versehen rückgängig?

Ich versuchte zu erklären. »Ich bin metaphysisch taub. Ich spüre euch nicht. Ich habe mich nicht absichtlich von euch abgekoppelt.« Ich würde den Trennungsversuch überleben, das wusste ich jetzt. Aber galt das auch für die anderen? Ich tastete nach Damian. Ich hätte ihn spüren müssen, obwohl er tot in seinem Sarg lag. Nichts. Angst überschwemmte mich, und was ich an Wärme zurückgewonnen hatte, wurde von der Woge weggespült.

Ich griff nach dem Saum von Jean-Claudes Morgenmantel. »Ich spüre Damian nicht! Überhaupt nicht!«

»Wir müssen deine Schilde durchbrechen, ma petite. Wir müssen deine Kräfte wiedererwecken.«

»Ja.«

»Ich bin dein Meister, Anita, du trägst meine Zeichen, und gerade das macht deine Schilde für mich undurchdringlich. Damian bleibt nur noch wenig Zeit. Bitte, erlaube Asher und Requiem, mir zu helfen, die Schilde zu durchbrechen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich habe keine Zeit es zu erklären, aber es ist eigentlich unwichtig, wer deine neuen stärkeren Mauern durchbricht, Hauptsache, sie brechen. Einmal gebrochen, wird deine Macht freigesetzt, und sie wird zu Damian finden.«

Ich wollte widersprechen, doch das Gefühl von Leere, wo ich eigentlich Damian spüren sollte, erschreckte mich. Ich nickte. »Tut es.«

»Du musst dein Kreuz ablegen.«

Ich fragte nicht, woher er wusste, dass ich eins trug. Richard ließ mich so weit los, dass ich mir die Kette aufhaken konnte. Jean-Claude war einen Schritt weggetreten, damit er es nicht versehentlich berührte. Ich ließ die Kette in Richards ausgestreckte Hand gleiten.

Während er die Faust darum schloss, begegnete ich seinem Blick. »Leg sie in die Nachttischschublade.«

Er nickte. »Damit das Kreuz nicht glüht.«

Ich nickte. Ich dem Moment gestand ich mir ein, warum ich meistens kein Kreuz mehr trug. Zwar lag immer eins in meiner Vampirjägertasche, aber ich hängte mir selten eins um. Ich wartete immer darauf, dass das Kreuz wegen meiner Vampirfähigkeiten, die ich von Jean-Claude bekommen hatte, zu glühen anfing. Ich wartete darauf, dass es meinetwegen glühte. Ich hätte heute nicht mehr die Nerven gehabt, damit klarzukommen.

Richard drehte und streckte sich zum Nachttisch, zog die Schublade auf, legte Kette und Kreuz behutsam hinein und schob sie zu. Er kroch zurück zu mir und kniete sich vor mich. »Ich bringe so viel Kraft dafür auf, dich aus meinen Gedanken, aus meinem Herzen rauszuhalten, und jetzt fühle ich nur Leere in mir. Immer wieder versuche ich, den Kontakt zu dir abzubrechen. Das ist, als wollte man sich von einer Hand trennen. Man kann ohne sie leben, aber man ist nicht mehr vollständig.«

»Kannst du Damian spüren?«, fragte Jean-Claude.

»Mit einem Kreuz um den Hals kann ich Vampire trotzdem spüren, Jean-Claude. Das hat meine Nekromantie noch nie verändert.«

»Versuch es mir zuliebe«, sagte er.

Ich tat es und schüttelte den Kopf. »Leer. Als wäre er nicht da.« Es war mir gelungen, die Angst zurückzudrängen, aber sie flatterte durch meinen Magen, kribbelte in den Fingerspitzen. »Ist es zu spät? Bitte, Gott, lass es nicht zu spät sein.« Mach, dass ich ihn nicht umgebracht habe, flehte ich im Stillen.

In Jean-Claudes Augen floss das Blau über die Ränder der Iris, bis die Pupillen und das Weiße in dunkelblauem Glühen verschwanden. Während seine Macht gerade so weit hervortrat, um seine Augen mit Feuer zu füllen, saß ich auf dem Bett nur ein paar Schritte von ihm entfernt und spürte davon rein gar nichts. Wenn schon nicht die Vampirzeichen, so hätte wenigstens meine Nekromantie darauf reagieren müssen. Ich war auch früher schon mal gegen Übernatürliches taub gewesen, aufgrund eines Schocks oder einer Krankheit, aber nie in diesem Maße. Das machte mir Angst und gab mir gleichzeitig Hoffnung. Vielleicht konnte ich Damian nicht spüren, weil ich gerade niemanden spüren konnte.

Richard erschauerte und ließ sich auf den Boden gleiten. »Du spürst das nicht, stimmt’s?« Seine Augen waren ein wenig größer als sonst. Die Härchen an seinen Armen standen ab.

»Ja.«

Er sah zu Micah und Nathaniel, die noch auf dem Bett, aber ein Stück weggerückt waren, um uns Raum zu lassen. »Ich denke, wir sollten alle Platz machen, damit sie etwas unternehmen können.«

Micah küsste mich auf die Wange, Nathaniel strich mit seiner Wange über meine, um seinen Geruch zu hinterlassen, und sie verließen das Bett auf der anderen Seite. Jean-Claude trat neben mich und hob eine Hand über mein Gesicht. Ich spürte den Druck seiner Aura, aber nur schwach, als wäre meine Haut mit Stoff bedeckt.

Er legte die Hand an mein Gesicht, und von der Berührung lief ein Kribbeln über meine Haut. »Ma petite.« Ich spürte die Worte wie einen Hauch entlang der Wirbelsäule oder wie ein kühles Rinnsal. Durch ihn schauderte ich noch einmal, und es fühlte sich wunderbar an, aber … Ich öffnete die Augen und blickte zu ihm hoch. »Es ist wie früher. Ich habe immer deine Stimme und deine Berührung gefühlt, aber …«

»Du hast dich verschlossen, ma petite, in einem Turm eingesperrt, der zum Teil aus meinen Zeichen besteht. Du hast meine Macht gegen mich gerichtet.«

»Nicht mit Absicht«, sagte ich.

Asher glitt in mein Blickfeld. Seine Augen waren mit hellblauem Licht gefüllt. Er hatte seine Macht hervorgerufen, ohne dass ich das gespürt hatte. Er stellte sich neben Jean-Claude. »Drastischere Mittel, denke ich.«

Ich betrachtete ihn in seinem seidenen Morgenmantel, dessen dunkler Goldton es mit dem Blond seiner Haare nicht aufnehmen konnte. »Was hast du vor?«, fragte ich.

Jean-Claude trat zurück und überließ ihm das Feld. Asher legte eine Hand an mein Gesicht genau wie Jean-Claude vorher. Sie waren sich schon immer in ihren Gesten sehr ähnlich gewesen, dachte ich, und kaum zum Ende gedacht, überfiel mich eine Erinnerung. Ich hatte schon häufiger in Jean-Claudes Erinnerungen geblickt, aber noch nie so wie jetzt. Ich sah nicht eine Szene oder zwei, sondern Hunderte. Hunderte Bilder strömten in meinen Kopf, tauchten mich in den Geruch von Ashers Haut, umgaben mich mit Belles üppigen Haaren, die uns streichelten wie ein eigenständiges Wesen. Eine Frau mit kupferroten Haaren lag ausgestreckt auf unseren Kissen, unsere Münder saugten sich an ihrem Hals fest, ihre Hände zerrten an den Schals, mit denen sie an das Bett gefesselt war. Eine Blondine, deren Brüste wir gemeinsam gezeichnet hatten, sodass sie zwei gleiche Liebesbisse trug. Ein Mann mit einer langen, gepuderten Perücke und heruntergelassenen Hosen, und wir beide zwischen seinen Schenkeln, nicht um mit ihm Sex zu haben, sondern um sein Blut zu trinken, und genau das wollte er. Frauen mit derangierten Kleidern, mit roten Haaren in allen Schattierungen von Rotblond bis zu dunklem Kastanienbraun. Mit blonden Haaren von Weißblond bis zu Goldblond. Brünette von Sattbraun bis Schwarzbraun. Mit einer Hautfarbe wie reifes Korn oder dunkler Kaffee. Große, kleine, dünne, fette, ausgezehrte. Nackte Leiber wimmelten unter unseren Händen, an unserem Körper, es war, als erlebte ich tausend wollüstige Nächte innerhalb eines Augenblicks. Doch in jeder Erinnerung bewegten sie sich, als wäre einer der Schatten des anderen. Jean-Claude nahm die Frau oder den Mann zum Sex oder zum Blutsaugen oder für beides und wusste, dass sein goldblonder Schatten bei ihm war. Dass Asher dasselbe tat wie er, dass er da sein würde, um zu helfen, um die Lust zu erleben und zu vertiefen. Erst in dem Moment wurde mir klar, dass sie nicht nur Geliebte waren, sondern mehr. Sie standen einander so nahe wie sonst keinem in ihrem Leben.

Ich ertrank in ihren Erinnerungen, in dem Geruch von tausend Gespielen, tausend Opfern, tausend gewonnenen und verlorenen Freuden. Ich ertrank, und wie jeder Ertrinkende griff ich nach einem Halt, um mich zu retten.

Ich tastete metaphysisch nach jemandem, nach irgendwem. Die Erinnerungen trafen Richard wie eine Woge, die an einen Felsen schlägt. Ich fühlte, wie sie über ihn hereinbrachen, ihn umflossen. Ich hörte ihn aufschreien und erwartete, dass er mich wegstieß, um mich auszusperren, doch das tat er nicht. Er ließ es zu, dass ich mich an ihn klammerte, ihn zu meinem Felsen in der Brandung der Gefühle und Erinnerungen machte. Ich spürte, wie sie in verwirrten, erschreckten, anwiderten und wie stark sein Drang war, sie abzublocken, um an all den Erinnerungen nicht teilhaben zu müssen. Der Gedanke kam: Es gab schlimmere Erinnerungen.

Jean-Claudes Stimme: »Non, ma petite, mon ami, genug, genug.« Er klang sanft, schmeichelnd. Ich lag auf dem Bett, und er hielt meine Hand. Er rieb meine Hand, wie um sie zu wärmen.

»Ich bin da«, sagte ich, aber meine Stimme klang hohl und blechern.