Auslese à la Provence - Andreas Heineke - E-Book
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Auslese à la Provence E-Book

Andreas Heineke

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Ein brillant recherchierter Krimi über die Geschichte des Weinanbaus und die Schönheit der Provence. Bei einer Flasche Rosé und einem Boulespiel in der Abendsonne genießt Dorfgendarm Pascal Chevrier die Erntezeit in der Provence. Doch als inmitten dieses Idylls ein Weinberg angezündet wird und dabei eine junge Frau ums Leben kommt, ist es vorbei mit der Ruhe. Gemeinsam mit Audrey von der Police nationale beginnt Pascal, in einem Familiendrama zu ermitteln, und taucht tief in die Geschichte des französischen Weinanbaus ein. Gefährliches Terrain, wie Pascal feststellen muss, denn schon bald kommen gut gehütete Geheimnisse ans Licht …

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Andreas Heineke war Radiomoderator, Musikmanager u.a. für MTV und Dotcom-Firmengründer. Seit über 20 Jahren lebt er in Dithmarschen, arbeitet als Filmemacher und Drehbuchautor für u.a. das ZDF und den NDR, schreibt Sachbücher und Kriminalromane, die in der Provence spielen. Andreas Heineke ist fast dauerhaft auf Lesetour und hat 2020 den Bücher-Podcast »2MannBuch« ins Leben gerufen.

https://2mannbuch.podigee.io/

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: shutterstock.com/CherylRamalho

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer

Lektorat: Dr. Marion Heister

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-058-7

Originalausgabe

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www.emons-verlag.de

Dieser Roman wurde vermittelt durch die Verlagsagentur Lianne Kolf, München.

Für meine geliebte Frau Marga,

die meine Leidenschaft für gute Weine

Schenkst Du Guten ein,

Schaust Du Gott im Wein.

Weisheit der Zisterzienser Mönche aus dem 11. Jahrhundert

Qui bon vin boit, Dieu voit

Prolog

Die offene Weißweinflasche bewegte sich sanft im Rhythmus der Schritte. Melvin hatte Ring- und Mittelfinger fest um den Flaschenhals geschlossen, er spürte die Kälte des Glases, die Feuchtigkeit. An der anderen Hand, wenige Zentimeter hinter ihm, zögernd, kichernd und schwankend seine Freundin Julie. Phantastisch fühlte sich ihre warme Hand in seiner an.

Ach, Julie, dachte er. So dicht bei mir. Er hätte es nie zu träumen gewagt, dass sie einmal so eng zusammen sein würden. Wie sie ihn noch vor wenigen Monaten angesehen hatte, nachts am Hafen von Marseille, als sie sich an der Mole das erste Mal begegnet waren. Es war Frühjahr gewesen. Ihr Gesicht, er würde es immer mit dem Geräusch der sanften Wellen verbinden, die an die Bootswände der Yachten geschwappt waren, immer mit den Tampen und Seilen, die an die Masten geschlagen waren. Wie sehr er den Geruch des Meeres liebte. Das Meer, es war so ehrlich, von Grund auf ehrlich. Gleichgültig dem Rest der Welt gegenüber. Der Punk in der Natur – genau das war auch sein Wesen.

Als Melvin Julie schweigend den Joint gereicht hatte, waren ihre Gesichtszüge undeutlich geworden. Das Aufglimmen der Asche, der fahle Lichtschein an der Zigarettenspitze, alles hatte wie ein nautisches Zeichen gewirkt, wie eine Warnung. Sie hatte ihm die Tüte schweigend zurückgereicht, seine Finger hatten für den Bruchteil einer Sekunde ihre berührt. Ein Stromschlag.

Julie war stark geschminkt gewesen, die Augen dunkel, der Rock kurz, rot. Sie hatte keine Schuhe getragen, das war Melvin sofort aufgefallen. Ihre ebenfalls roten Pumps standen wie ausgestellt auf der Kaimauer, als hätte man sie für ein absurdes Mode-Fotoshooting platziert.

Lässig und aufreizend hatte Julie danebengestanden, ein Bein angewinkelt, die Fußsohle an die Mauer gestellt. Ihre gesamte Haltung hatte einstudiert und zugleich verführerisch gewirkt. Damals hatte er noch nicht gewusst, wie sie ihr Geld auf den Luxusyachten der Millionäre verdiente. Hätte es ihn abgeschreckt? Nein, das hier war zu groß dafür.

Endlich war sie bei ihm, und er hatte alles für diese Nacht vorbereitet. Nur noch ein paar Schritte, dann führte der schmale Weg mitten durch die Weinreben, hinein in das Feld. Julie kicherte, als Melvin sanft an ihrer Hand zog, als müsste er sie noch überzeugen, mit ihm zu gehen, ihm zu vertrauen. Es war ein Spiel, ein Spiel im Rausch. Die Pillen, das Gras, der Wein – schwer zu sagen, welchen Bewusstseinszustand sie gemeinsam vorzogen. Seit Wochen war es eine Mischung aus allem. Aus allem, was sie am Hafen von Marseille bekommen konnten. Immer war es Julie gewesen, die die Rechnung bei den Dealern beglichen hatte. Wie sie das getan hatte – Melvin hatte es nie so genau wissen wollen. Er wusste nur, er war pleite. Er war immer pleite gewesen, soweit er zurückdenken konnte. Was also war ihm anderes übrig geblieben, als der Laufbursche eines Winzers zu werden, der sich mit jeder Unterschrift weiter ins Verderben stürzte? Er tat es für Julie, er hatte eben seine Gründe, und heute wollte er sie überraschen.

Er war erregt, als er den Feldweg verließ und Julie eilig in die Weinreben führte, vorbei an den Trauben, über den weichen, gepflegten Boden, die Schritte immer weiter beschleunigend.

Die Nacht war geräuschlos, keine Autos störten die Idylle. Die Zikaden hatten längst ihr Zirpen eingestellt, nicht einmal das Kreischen eines Nachtvogels war noch zu hören. In diesen Minuten schien es, als gehörte ihnen die Welt, als würden sie die Freiheit umarmen, um sie fest an sich zu drücken.

Julie zögerte, war sich unsicher, als traute sie ihrer Bekanntschaft nicht mehr. Als Melvin sie immer weiter hinauf durch die wie mit dem Lineal gezogenen Rebenreihen führte, dachte sie kurz daran, umzukehren und zurückzugehen. Aber wohin? Was gab es da schon? Und wo war »zurück«? Sie wollte sich fallen lassen, vom Rausch befeuert, von der Gier nach dem attraktiven, zugleich aber auch abgerissen wirkenden Mann. Und so folgte sie beschwipst seinem schnellen Schritt. Melvins Hand hatte sich inzwischen wie ein Schraubstock um die ihre gelegt.

Das Gehen wurde zu einem Laufen, ihr Atem ging schneller, bis Melvin plötzlich stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. Dabei ließ er ihre Hand los und legte sie auf ihre Augen, so führte er sie weiter, durch die Reben, etwa zehn oder zwanzig Meter.

»Pst.« Er atmete schnell durch den Mund, es war kaum ein Wort, kaum ein Laut, viel mehr ein Zischen, sie blieben stehen. »Dreh dich um«, raunte er.

Sie roch den Wein und den Rauch aus seinem Mund, spürte ihn auf dem Gesicht, doch sie befolgte seine Bitte. Oder war es ein Befehl gewesen? Die Unsicherheit erregte sie, sie konnte es sich nicht erklären. Sie bebte, als sie sich wegdrehte.

»Nicht gucken!«, rief Melvin. Seine Stimme klang wie von fern, er war nicht mehr neben ihr, nicht mehr bei ihr für diesen Moment. Aufregung lag in seinem Tonfall, ein leichtes Zittern sogar.

Dann hörte Julie ein Geräusch, als würde jemand ein Feuerzeug entzünden – der Daumen rutschte über die Reibefläche, sie meinte das Gas zu hören, wie es ausströmte. Jetzt eine Zigarette, dachte sie, das würde mir gefallen.

Doch dann hörte sie Melvin, der rief: »Voilà, du darfst dich umdrehen!« Und nach einer kurzen Pause, in der sie kaum zu atmen wagte: »Es ist angerichtet!«

Inmitten des Weinbergs hatte Melvin die Reben entwurzelt, eine Lichtung freigelegt. Dort stand ein Tisch mit einer weißen Decke darauf. Er war gedeckt: Brot, Butter, Käse und Weingläser standen bereit. Mit einer übertrieben galanten Geste deutete Melvin auf einen der beiden Stühle. »Madame«, sagte er, und dabei verbeugte er sich wie ein Kellner in einem feinen Restaurant. »Dîner aux chandelles, ein Candle-Light-Dinner.«

Auf dem Tisch kunstvoll drapierte Kerzen, sie brannten bereits, das Licht schimmerte auf den Blättern der Reben und spiegelte sich in den Gläsern.

Melvin hatte auch die mitgebrachte Weinflasche auf den Tisch gestellt. Aus der Hosentasche zog er nun einen Korkenzieher, um noch eine weitere Flasche zu öffnen, einen Rotwein.

Wie er da stand, wie ein Sommelier. Lediglich seine Jeans, die die besten Tage längst hinter sich hatte, und sein abgetragenes schwarzes T-Shirt passten nicht ins Bild, nur fiel Julie das kaum auf. Wie vom Blitz getroffen stand sie zwischen den Weinreben, für einen Moment bewegungslos, gerührt von dem, was dieser Junge für sie tat. Tränen rannen ihr sanft aus den Augen, sie ließ es geschehen. Dann lief sie zu ihm, und sie drückten sich, ließen sich sekundenlang nicht mehr los. Wie Ertrinkende, abgewandt von der Welt, eingetaucht in ihr Universum. Seine Hände auf ihrem Hintern.

»Das hat noch nie jemand für mich getan«, flüsterte sie, und dann küsste sie Melvin, fest und lange. Sie konnten kaum noch voneinander lassen. Es war, als würde der ganze Himmel brennen, ein Leuchten in der Ferne, wo eben noch Dunkelheit gewesen war.

Julie bemerkte es zuerst. Das Licht war keine Einbildung, es war real und bereits überall. Um sie herum. Und es breitete sich aus, schnell, sehr schnell.

»Es brennt!«, rief sie und löste ihren Mund von seinem.

Das Feuer war aus dem Nichts gekommen, aber es wälzte sich bereits über den Boden, in erbarmungsloser Geschwindigkeit. Die Flammen rasten durch die Reben, züngelten an den trockenen Stämmen und Blättern empor. Wegen der Hitze der vergangenen Wochen und Monate war das Wasser rationiert worden, eine tägliche Bewässerung vom Staat untersagt. Es knisterte, Rauch stieg auf.

»Schnell!«, rief Julie. »Wir müssen hier weg! Allez, tu doch etwas!«

Und schon rannte sie los. Das Feuer wühlte sich von rechts auf sie zu, links schien es noch nicht so weit zu sein, in diese Richtung lief sie, doch der Eindruck hatte sie getäuscht. Plötzlich war eine Wand vor ihr, eine Wand aus Feuer. Die Flammen schlugen hoch, tasteten sich in den Himmel, auf der Suche nach weiteren Ästen, nach Holz, nach irgendetwas, was es zu zerstören galt.

Julie schrie, Melvin war nicht mehr zu sehen. Vielleicht war er in die andere Richtung gerannt, selbst in Panik geraten. Aber warum? Dort war das Feuer schon viel näher, dachte sie, dann rief sie nach ihm, nein, sie schrie. Hysterisch. Ihre Stimme überschlug sich, sie begann zu husten. Sie hatte als Kind von Kugelblitzen gehört, die über den Boden rollten. So fühlte es sich also an. Die sommerliche Wärme war zur Gluthitze geworden, sodass Julies Haut brannte, als würde sie in nur wenigen Sekunden einen Sonnenbrand bekommen.

Noch einmal wechselte sie die Richtung, doch da gab es nichts mehr, wo sie hinlaufen konnte. Nur Feuer und Rauch, auch der Tisch brannte, die weiße Decke fauchte auf, bevor sie sich in die Luft erhob und brennend davonschwebte. Die Flasche kippte um, rollte über den Boden auf sie zu. Kurz vor ihren Füßen blieb sie liegen, obwohl der Untergrund an dieser Stelle abschüssig war. Eine Erklärung gab es dafür nicht, doch es löste einen letzten Gedanken in ihr aus: Der Wein wird uns töten. Das hatte sie schon immer gewusst. Dann fingen ihre Haare Feuer.

1

Klack. Klack. Klack. Wenn die Boulekugeln mit ihrem metallischen Geräusch den Klang der Zikaden ablösten, fand Pascal sich auf der Place de la Fontaine mit seinen beiden Freunden David und Gawain zu einer Partie ein.

Gawain reichte Pascal das Maßband, um den Abstand zum letzten Wurf zu messen. Es war wie an jedem Abend. Pascal wusste, dass Gawains Kugel näher am Cochonnet lag, aber es ging um den Triumph des Dorfältesten, den man ihm nicht verwehren mochte. Also bückte Pascal sich und legte das Zentimetermaßband an.

»Zwölf Zentimeter.« Wie immer maß er zuerst den Abstand seiner eigenen Kugel.

Gawain nickte nachdenklich. Auch das gehörte zum Ritual, beide wussten längst, wer gewonnen hatte.

Pascal hockte sich auf die andere Seite des Schweinchens und maß erneut. »Acht Zentimeter.« Er stand auf und reichte Gawain die Hand. »Ich gratuliere.«

Gawain lächelte. »Solange ich euch schlage, trete ich nicht ab.«

Er bestand darauf, seine Kugeln selbst aufzuheben. Als der sechsundachtzigjährige Mann Pascal vor einigen Monaten, als sie die erste Partie miteinander gespielt hatten, diese Extraregel eröffnet hatte, hatte Pascal noch Mitleid gehabt und gesagt, dass er das selbstverständlich gern für ihn erledigen würde. Aber Gawains energisches Kopfschütteln und der erbarmungslose Blick des stolzen alten Mannes hatten ihn dieses Angebot niemals erneuern lassen. Und dann war Pascal das erste Mal Zeuge eines Schauspiels geworden, dem er fortan in jedem Spiel beiwohnen durfte.

Gawain nahm ein kleines Seil mit einem Magneten am Ende aus der ausgebeulten Tasche seiner braunen Anzughose, die er immer trug, und ließ es über der Kugel hinunter. Ein kurzes Klickgeräusch und schon hing die Boulekugel wie ein Fisch an seinem Haken.

»Ich angle Kugeln«, sagte er, lächelte verschmitzt und sah Pascal plötzlich ernst an. »Le rituel.«

Insgeheim erhoffte Pascal sich, dass diese peinliche Zeremonie an ihm vorbeizog, doch auch David Perieux nickte ihm ermunternd zu – gerade noch hatte er die Flasche Rosé aus der Kühltasche genommen und die Pause der drei Männer vorbereitet. Dann aber nahm er das mindestens einen Meter große Bild einer leicht bekleideten Frau mit nacktem Hintern, fotografiert irgendwann in den vierziger Jahren, in die Hand und lehnte es an die Platane.

»Voilà«, sagte er. »Bitte schön.«

»So hat es mein Großvater in La Treille schon gemacht, und er gehörte zu den besten Pétanque-Spielern in Marseille.«

La Treille, damals noch eine eigene Stadt, die später von Marseille eingemeindet worden war, hatte eine lange Tradition des Boulespiels, galt sogar als Wiege der provenzalischen Variante. Denn es gab zwischen Pétanque und dem unter dem Sammelbegriff Boule bekannten Spiel einen bedeutenden Unterschied: Während der Spieler beim Boule die Kugel mit Anlauf werfen durfte, musste er beim Pétanque an einer Linie, sogar in einem Kreis stehen und von dort aus über den Handrücken werfen. So viele Infos zum Thema Fitness und Pétanque, dachte Pascal.

»Mein Großvater musste schon diesen Arsch küssen«, lachte Gawain schallend und gewährte einen Blick auf seine verbliebenen Zähne, die sich erfolgreich kreuz und quer in seinem Mund gegen den Verfall gewehrt hatten.

Pascal konnte sein Schicksal ohnehin nicht mehr abwenden. Er kniete sich auf den Boden und küsste der nackten Frau auf dem Bild den Hintern.

Gawain, plötzlich wieder zum Kind geworden, riss vor Freude die Arme in die Höhe und drehte sich dabei triumphierend. »Revanche?«, fragte er schließlich, nachdem er Luft geholt hatte.

»Bien sûr«, antwortete Pascal, als er sich erhoben und den Sand von seiner Hose geklopft hatte.

»Erst legen wir eine kurze Pause ein«, merkte David Perieux an, der sich das Bild griff und es zurück zu der Steinmauer brachte, wo es allabendlich auf seinen Einsatz wartete. Dann griff er in seine Hosentasche und brachte einen Korkenzieher zum Vorschein.

Plopp, machte es ein paar Sekunden später. Für einen echten Provenzalen das wohl schönste Geräusch der Welt, stellte Pascal fest, als er seine Kugeln aufhob und Gawain zu der Steinmauer folgte.

»Ein Château Sept«, sagte David Perieux stolz und roch kurz am Korken. »Die letzte Flasche aus dem Jahrgang 2018.«

Geräuschvoll schenkte er ein, indem er die Flasche hoch über die Gläser hielt. Seinen Laguiole-Korkenzieher packte er wieder sorgfältig in die mitgebrachte Tasche. Ein Korkenzieher im Wert von fünfhundert Euro war bei einem Winzer wie David Perieux in guten Händen. Pascal hatte viel von diesem Edelutensil gehört, es auch schon auf einigen ausgewählten Märkten in der Provence entdeckt. Abgeschreckt von den Preisen, hatte er sich aber stets gegen den Kauf entschieden. Gefertigt wurde der Korkenzieher in dem gleichnamigen Dorf, das durch die kleine Manufaktur, die auch Bestecke und andere Messer herstellte, im ganzen Land berühmt geworden war.

»Ein Laguiole-Korkenzieher ist keine Anschaffung, es ist eine Investition fürs Leben«, hatte ihm sein Winzerfreund René einst erzählt, doch noch war Pascal zu dieser Investition nicht bereit.

Mit einem leichten Stöhnen, das Menschen jenseits der fünfzig, die Schach und Angeln zu Sportarten adeln und das Joggen ablehnen, beim Hinsetzen ausstoßen, ließen sich Gawain, David und Pascal auf die von der Sonne erhitzten Steine nieder. Kurz verweilten ihre Nasen über den Rändern der Weingläser, dann ein Zunicken, ein »Santé«, und die letzte Flasche ihrer Art wurde ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt. Für einen Moment saßen sie da und lauschten in den Abend hinein. Ein entferntes Hundegebell, das Stimmen der Gitarre eines Straßenmusikers und das beruhigende Plätschern des Brunnens hinter ihnen, dem der Platz seinen Namen zu verdanken hatte: La Place de la Fontaine.

Pascal lächelte in sich hinein – wie zur Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben, als er Paris den Rücken gekehrt hatte, um hier in Lucasson im Luberon eine neue Heimat zu finden. Er war auf dem besten Weg dorthin. Was hatte er schon verloren? Seine Frau Catherine, die ihm am Tag des Auszugs ihrer gemeinsamen Tochter Lillie zu deren künftigem Mann Claude eröffnet hatte, sie habe schon seit einigen Jahren eine Beziehung zu einem Architekten und gedenke das Leben in Zukunft lieber an seiner Seite zu verbringen, bestimmt nicht. Den Job bei der Police nationale in den Straßen von Paris? Mit einer gewissen Abscheu erinnerte er sich daran zurück. Jetzt war er nur noch Gendarm. »Ein Dorfgendarm«, betonte sein letzter in Paris verbliebener Freund Alexandre jedes Mal süffisant, wenn sie miteinander sprachen. Spott lag bei Sätzen wie diesen in seiner Stimme. Alexandre war ein Vorzeigegroßstädter. Er genoss die vielen Bars, die Hektik, die Gourmettempel mit den gigantischen Meeresfrüchteplatten, den Lärm und natürlich die Auswahl an den vielen alleinstehenden Frauen, die genau wie er auf der Suche nach ein bisschen Liebe waren und sich im Festlegen schwertaten.

Pascal trank einen Schluck des prämierten Rosés und musste plötzlich an seine Tochter denken. Wie groß seine Freude war, als Lillie ihm eröffnet hatte, sie würde ihre Hochzeit mit Claude gern bei ihrem Vater in der Provence feiern. Schon zweimal war das Fest verschoben worden. Claude hatte ein Restaurant eröffnet, und so hatte es ein weiteres Mal keinen gemeinsamen Termin für den schönsten Tag des Lebens gegeben. In diesem Jahr sollte die jahrelang geplante Zeremonie endlich stattfinden. Pascal war noch am Tag des Anrufs losgegangen und hatte seinen Lieblingskoch Paul Natale gebucht. Natales Restaurant »Le Fournil« glänzte mit einer großen Terrasse, die einen atemberaubenden Blick über den ganzen Luberon bot und sich damit als seiner Tochter würdig erwies.

»Ihr sollt eure Revanche bekommen«, riss Gawain Pascal gönnerhaft aus seiner Gedankenwelt, dabei leerte er noch im Aufstehen sein Glas.

David Perieux nahm das Schweinchen, griff ebenfalls zu seinen Boulekugeln und folgte Gawain an die mit der Schuhspitze in den Sand gezeichnete Wurflinie. Pascal, der Verlierer der letzten Runde, durfte zuerst die Kugel pflanzen. Er beendete seinen Spielzug mit einem guten Wurf, seine Kugel landete nur wenige Zentimeter neben dem Schweinchen. Der beste Wurf des noch jungen Abends.

Respektvoll sah David ihn an, während Gawain seine Kugel hoch in die Luft warf und gleichgültig zur Kenntnis nahm, wie sie exakt auf Pascals landete und diese weit ins Abseits beförderte.

»Das war hinterhältig«, schimpfte David und traf bei seinem flachen Wurf Gawains Kugel, die darauf noch hinter Pascals zum Stehen kam. David Perieux ging in Führung.

Pascals nächster Versuch durfte getrost als Trainingseinheit eines Anfängers, die in dieser stümperhaften Ausführung bestenfalls einem Touristen zuzutrauen war, in die Geschichte der Partie eingehen, während es Gawain bei seinem zweiten Stoß gelang, sich noch zwischen David und der Holzkugel zu platzieren.

»Voilà«, sagte er trocken.

Das Spiel war gelaufen, und wieder war es Lucassons ältester Einwohner, der die Glückwünsche entgegennahm. Pascal konnte sich nicht daran erinnern, jemals ein Spiel gegen ihn gewonnen zu haben.

Wieder wurde das Bild aufgestellt, wieder musste er sich davor hinknien, die gleiche Vorstellung. Nur diesmal erntete er Applaus von zwei Passanten, die das würdelose Schauspiel zu Pascals großer Freude auch noch fotografierten und wahrscheinlich im Internet posten würden.

»Ich habe einen Rotwein aus dem gleichen Jahrgang«, verkündete David, das Wesentliche des Abends im Auge behaltend. »In einer Stunde zum Dîner bei uns auf dem Château Sept, Chloé hat gekocht.«

Ein Angebot, das keiner der beiden ausschlagen würde. Davids Frau Chloé war Pascals ehemalige Vermieterin. Die ersten Monate in der Provence hatte er in ihrer Gästewohnung auf dem Château Sept verbracht. Die Dîners würde er niemals vergessen, hatten sie ihn doch endgültig zu einem Gourmet werden lassen.

Auch diesmal wurde er nicht enttäuscht, als er gut eineinhalb Stunden später zusammen mit Gawain am Tisch Platz nahm. Die einladende Tafel stand vor dem Haus unter den Platanen. Wie selbstverständlich setzte er sich nach einer ausschweifenden Begrüßung, vielen Küsschen und Zuneigungsbekundungen füreinander auf seinen Stammplatz mit Blick auf den Weinberg der Familie Perieux. Er erinnerte sich an jene Monate, in denen er sich als Städter im Landleben versuchen wollte und die südfranzösische Atmosphäre eingesogen hatte. Auf diesem Platz konnte er die Ruhe und Entspanntheit der Provenzalen erleben, die nur zweimal pro Tag aus der Ruhe gerieten, nämlich immer dann, wenn es um die Auswahl der Speisen zum Mittag und zum Abend ging.

In den ersten Wochen hatte noch der alte Maurice, David Perieux’ Vater, mit am Tisch gesessen, doch der war inzwischen verstorben, und so nahm der Sohn David den Platz am Kopf des Tisches ein. Gawain saß neben Pascal und Chloé neben ihrem Mann. Auf dem Tisch ein Ratatouille, das in dieser Perfektion – sämtliche Gemüsesorten waren separat auf den Punkt gegart worden – nur hier zu bekommen war. Dank Chloés Kochkünsten könnte die Familie Perieux unter ihrer Regie jederzeit ein Toprestaurant eröffnen, darüber waren sich alle Familienmitglieder einig, und doch war es nie dazu gekommen. Das Weingut forderte Chloés gesamte Aufmerksamkeit.

Der Wein des Château Sept wurde mit allen bedeutenden Medaillen des Landes ausgezeichnet. Besonders der Rosé hatte zunächst den Luberon und später Europa erobert. Das Anwesen gehörte mit seinen fünfundzwanzig Hektar nicht zu den größten Produzenten, aber ganz sicher zu den besten. Nicht zu vergessen die Trüffelplantage auf der anderen Seite des Châteaus. Auf diesen sauber angelegten Wald mit den Truffiers hatte Pascal einige Monate aus seinem Fenster hinunterschauen können, seine Wohnung hatte genau darüber gelegen. Manchmal meinte er sogar noch den Geruch des schwarzen Goldes in der Nase zu verspüren, wenn er die Familie besuchte und seine Autotür auf dem Innenhof des Weinguts öffnete.

Gut konnte er sich an die Aufregung in der ganzen Umgebung erinnern, als ein amerikanischer Investor aus dem Trüffelwald eine Golfanlage hatte machen wollen, die Rechnung aber ohne die Einheimischen gemacht hatte. Niemanden im Ort hatte es am Ende gewundert, dass dieser Trüffelwald nie in ernsthafter Gefahr geschwebt hatte und auch niemals schweben würde. Allein mit dem Trüffelanbau waren die Perieux gemachte Leute, und jeder im Dorf profitierte davon. Mehr als von einer Schar arroganter Gäste mit ihren Golfschlägern.

»Gut siehst du aus«, sagte Chloé, als sie ihren Freunden zuprostete. »Du hast abgenommen, und die südfranzösische Gesichtsfarbe steht dir.«

Pascal bedankte sich und war froh, auf die Schnelle noch einen Blumenstrauß als Dankeschön für die Einladung besorgt zu haben, der in der Mitte des Tisches platziert worden war.

»Machst du jetzt Sport?«, fragte David. »Ich meine, richtigen Sport, kein Boule.«

Gawain schnaubte verächtlich auf, schließlich hatte Pétanque ihn sein Leben lang fit gehalten. David wusste das und hatte Spaß daran, seinen härtesten, unbesiegbaren Gegner mit Bemerkungen wie diesen aufzuziehen.

»Nein«, sagte Pascal. »Ich habe meinen Hund Bordeaux, mit dem ich morgens und abends eine Dorfrunde gehe, und ich lebe gesünder.« Ihm fiel sein Gemüsegarten ein, den er heute Nacht noch bewässern musste. »Und ich esse nicht mehr nebenbei beim Laufen oder im Stehen wie in Paris.«

In den Blicken der drei am Tisch standen Entsetzen und tiefstes Mitleid. Ein Provenzale käme niemals auf die Idee, seine Mahlzeit zwischendurch einzunehmen, nicht einmal ein gestresster Manager oder ein Trucker während der Fahrt. Für Pascal war es einst zum Alltag geworden, das Essen im Gehen oder am Schreibtisch hineinzuschlingen. Der schnelle Rhythmus der Stadt, des Jobs, des Lebens hatte ihn dazu verdammt. Heute unvorstellbar.

»Und dein Gang ist langsamer geworden«, bemerkte Gawain. »Du warst uns suspekt, als du vor drei Jahren hier in unserem Dorf den Posten des Gendarms übernommen hast. Wie du hier immer durch die Straßen gehetzt bist, du konntest einem geradezu leidtun. Wo will der denn so schnell hin?, haben wir uns immer gefragt.«

Gawain erhob sein Glas und tauchte seine Nase tief hinein, dabei schloss er die Augen. Pascal befürchtete kurz, er sei eingeschlafen, doch schließlich beendete Gawain Schritt eins der Zeremonie, machte aber keine Anstalten zu trinken. Stattdessen schwenkte er das Glas in der untergehenden Herbstsonne vor seinen Augen hin und her und studierte die Farbe. Das tiefe Rot, der leichte Rostton an den Rändern. Schließlich war er so weit. Mit einer ruhigen, erhabenen Geste führte der alte Mann das Glas zum Mund und spülte dessen Inhalt geräuschvoll über seine Zunge. Dann schluckte er und sah für einen Moment schweigend zu David, der ebenso wie Pascal die Kennergesten beobachtet hatte.

»Das, David, ist ein großer Wein«, sagte er anerkennend.

Doch statt das Kompliment freudig entgegenzunehmen, verdunkelten sich Davids Gesichtszüge. Nach einer Weile sagte er: »Es wird einer der letzten auf diesem Niveau sein.«

Chloé nickte wissend.

»Warum? Es wäre eine Schande«, bemerkte Pascal.

»Nun, der Klimawandel setzt uns zu.« David stellte sein Glas neben den Teller. »Für uns Winzer ist der eine Grad Celsius Klimaerwärmung eine Katastrophe. Die Nächte fallen lauer aus, das Mittelmeer kann die dringend benötigte Kälte in den Nächten nicht mehr herstellen. Diese Herausforderung stresst meine Trauben. Hier, wo es immer warm war, ist es jetzt zu heiß. Das ist scheiße«, schloss David seinen Satz.

»Ich habe das gestern auch bei dem Châteauneuf-du-Pape aus dem letzten Jahr schmecken können. Der Winzer sagte mir, die Gegend um Avignon sei inzwischen zu heiß für die Grenache-Traube«, ergänzte Chloé, die für die Weinwelt mehr als die Frau eines erfolgreichen Winzers war und als eine der wenigen weiblichen Sommelièren als äußerst geschmackssicher galt. Ihre Sinne waren nicht zu täuschen. »Während der Zuckergehalt durch die Hitze schnell sein Niveau erreicht hat, sind die Beeren noch unfertig. Farbe, Tannine, Aromen, alles hinkt dem Zucker hinterher. Auf uns Winzer kommen schwere Zeiten zu.«

Jetzt fiel Pascal auf, dass der Weinberg teilweise bereits abgeerntet war. »Ihr seid früh in diesem Jahr«, bemerkte er.

»Jedes Jahr wird es früher.« David Perieux’ Blick hatte sich weiter verfinstert. »Mein Vater hat in den sechziger Jahren den Wein im Oktober gelesen, inzwischen fangen wir im frühen September an, die Ernte einzufahren.«

»Ja«, mischte sich Gawain wieder ein. »All das Wissen von uns Alten hilft der Welt nicht mehr. All unsere Erfahrungen bedeuten nichts mehr in einer Gesellschaft des Wandels. All die Kenntnis der Naturgesetze über die Jahreszeiten und das Wetter zählt nichts mehr.« Er griff erneut zum Glas und schwenkte es im Licht.

»Ja, mein Freund«, sagte David nachdenklich. »Wir tun uns schwer, eine tausendvierhundert Jahre alte Tradition einfach so zu verändern. Da sind die jungen, wilden Winzer besser als wir. Die bauen Syrah an oder weichen auf noch robustere Trauben aus, alles, was erlaubt ist.« David schenkte den restlichen Wein in die Gläser seiner Gäste. »Drüben im Languedoc hat es im letzten Jahr zwischen Mai und September so gut wie nicht geregnet. Viele meiner Kollegen sind inzwischen am Ende, sie haben ihr Land verkauft.«

»Den Klimawandel muss man nicht mehr mit dem Eisbären auf der Scholle erklären, man muss nur die neuen Jahrgänge probieren.« Chloé, die erfahrene Weinkennerin, hatte ihre Stimme verschwörerisch gesenkt.

»Ja, der Klimawandel ist in allen Lebensbereichen angekommen«, sagte Pascal und schaute in die Runde. Ein Nicken am Tisch, die Tatsache der sich ständig verändernden Klimaverhältnisse mussten auch die Provenzalen hinnehmen, die keine Fans von Veränderungen waren. Schon gar nicht von aufgezwungenen.

»Ich hole noch eine Flasche aus dem letzten Jahr«, sagte David, nahm die Teller seiner Gäste und stand auf.

»Und ich hole das Dessert«, ließ Chloé die beiden wissen.

»Es ist traurig für Menschen wie uns. Ich werde nur noch ein paar der neuen Jahrgänge erleben. Die nachfolgende Generation wird sich an die neuen Weine gewöhnen, sie werden es nicht anders kennenlernen. Da sind wir Alten doch im Vorteil«, lächelte Gawain bitter.

Chloé kam nach einer Weile mit einem Tablett mit mehreren Tongefäßen mit Crème brûlée aus dem Haus und stellte sie vor ihnen ab.

Crème brûlée, dachte Pascal, das war ihre Königsdisziplin. Eine Rezeptur, die sie mit ins Grab nehmen würde. Vorsichtig klopfte er mit dem Löffel auf den hart gebrannten braunen Zucker, bis er nachgab und er in die Vanillecreme vordrang. Sie schmeckte anders als gewohnt – nach Trüffeln. Chloé und David beobachteten gespannt Pascals Reaktion.

»Du hast eine getrüffelte Crème brûlée gemacht?«, fragte er ungläubig.

»Ich habe noch viel mehr aus Trüffeln gemacht«, verkündete sie stolz. »Du musst demnächst mal wieder zum Frühstück kommen, du wirst meinen Trüffelhonig lieben.«

Noch immer überraschten Pascal die Provenzalen. »Manchmal seid ihr moderner, als man glaubt, und ein bisschen verrückt«, sagte er begeistert. Der Geschmack war so überraschend wie phänomenal.

In die Stille des Abends begann Davids Telefon auf dem Tisch zu brummen. Pascal konnte die Nummer auf dem Display nicht erkennen.

David nahm sein Mobiltelefon in die Hand. »Perieux.«

Durch den Hörer konnte Pascal jemanden erregt sprechen hören, die Laute konnte er nicht verstehen, nur das Wort »Katastrophe«.

»Oui, bien sûr.«

Danach nahm David das Telefon von seinem Ohr und beendete das Gespräch, es hatte nur wenige Sekunden gedauert. Der Winzer, eben noch in die Crème brûlée vertieft, war blass im Gesicht geworden.

»Lucs Weinberg ist abgebrannt.« Sein Blick war leer und auf den Tisch gerichtet.

2

Der Wochenmarkt von Apt gehörte zu den ältesten und am besten besuchten Wochenmärkten der Provence. Seine Historie war beeindruckend. Pascal hatte vor Kurzem einen Artikel über die Entstehungsgeschichte in der »La Provence« gelesen, die besonders in den Sommermonaten versuchte, neben ihren Stammlesern auch die Touristen mit Geschichten über die pittoresken Orte des Luberon zu erreichen.

Dem Markt waren in der Zeitung mehrere Seiten mit vielen historischen Fotos gewidmet gewesen. Erste Erwähnungen hatte er bereits im 12. Jahrhundert gefunden, später war er per Königlichem Dekret von Dienstag auf Samstag verlegt worden, und so trafen sich seit fünfhundert Jahren die Markthändler aus der gesamten Region, um ihre Waren anzubieten. Die Stände mit den drapierten Gemüsebergen, den Oliven, dem Fleisch und den Käsetheken wurden in Südfrankreich derart liebevoll präsentiert, dass Pascal in der Regel mehr kaufte als nötig und manchmal ein kleines Vermögen bei den Händlern ließ. Damit war er nicht allein.

Als Pascal seinen Mégane etwas außerhalb der Stadt parkte, um Richtung »Hôtel de Ville« zu schlendern, bemerkte er einen Reisebus mit deutschem Kennzeichen, der shoppingwütige Touristen reiferen Alters ausspuckte, die sich gut gelaunt unter die Menschenmasse mischten. In den Sommermonaten waren es rund dreihundertfünfzig Händler, die sie empfingen. Jetzt in den Herbstmonaten dürften es kaum wahrnehmbar weniger sein. Im Winter waren es vor allem die Modehändler, die sich mit den Urlaubern zurückzogen. Die Anbieter für Lebensmittel blieben dem samstäglichen Ritual treu – zu Pascals Glück, denn er kaufte seine Lebensmittel fast ausschließlich auf Wochenmärkten. Supermärkte versuchte er zu meiden, Discounter betrat er in der Regel nicht.

Pascal war an diesem Morgen früh aufgestanden, sodass er vor seiner Verabredung mit dem Chef de police Frédéric Dubprée und der Ermittlerin Audrey am abgebrannten Weinberg noch genug Zeit hatte, sich auf den Besuch seiner Tochter Lillie vorzubereiten, die ihre Ankunft für den folgenden Tag am frühen Abend angekündigt hatte.

Pascal kannte die meisten der Händler auf dem Markt von Apt, zumindest vom Sehen, denn sie bauten ihre Stände fast täglich in einem anderen Dorf auf. Spätestens freitags nahm er sich Zeit für einen Plausch mit ihnen, wenn sie auf Pascals Lieblingsmarkt in Lourmarin ihre Waren drapierten. Auch wenn diese Gespräche in den Sommermonaten eher kurz ausfielen, weil die Menschenmengen die Besucher in gemächlichem Tempo sanft, aber erbarmungslos vorantrieben. Schon der Richtungswechsel auf der falschen Seite erinnerte an eine Geisterfahrt auf einer Autobahn. So gab es im Juli und August Tage, an denen Pascal auf den Markt in Bonnieux ausweichen musste, sich dort aber mit demselben Problem konfrontiert sah. Manchmal fragte er sich, wo all diese Touristen wohnten. Große Hotels gab es im Luberon keine, und die Kapazitäten der kleinen Dörfer waren begrenzt.

Pascal schob sich an einem der vielen Stände mit Seife aus Marseille vorbei und stellte sich in die Schlange vor seiner Lieblingsboucherie. Die Wildschweinjagd hatte bereits begonnen, er wollte ein Wild-Bourguignon für Lillie kochen. Ein gut vorzubereitendes Gericht, sodass er genug Zeit mit seiner Tochter verbringen konnte, während das Essen vor sich hin schmorte. Pascals Rezeptgeheimnis waren die unterschiedlichen Gemüsesorten, die er unter das Fleisch mischte. Babykarotten, grüne Bohnen und eine große Menge an Lauch und Petersilie zum Abschluss.

Der Markthändler Fabian hatte Pascal bei seinem letzten Kauf zum Wildschwein gratuliert. Er hatte schon vor Jahren damit begonnen, Aufklärungsarbeit bei seinen Kunden zu leisten, um sie vom Erwerb von Fleisch aus Massentierhaltung abzuhalten. Fabian selbst hatte noch nie Mastschweine oder ähnlich gequälte Wesen angeboten. »Wildschwein, Pascal, trägt den Geschmack in sich, den Schweine einst hatten, bevor sie in Massenkäfigen mit Antibiotika und Billigfutter schlachtfertig gemästet wurden.« Dieser Satz ging Pascal nicht mehr aus dem Kopf.

»Wildschweinragout, Pascal!«, rief Fabian aus seinem Wagen herunter. »Eine gute Wahl.« Er suchte ein schönes Stück heraus und packte es ein. »Bekommst du Besuch?« Er sprach leiser. »Eine Frau?«

»So könnte man es sagen, es ist aber meine Tochter Lillie.«

»Niemand hat ein besseres Abendessen verdient als die eigene Tochter. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe drei. Ich bin der Hahn im Korb und habe nichts mehr zu melden, daher spreche ich hier immer so laut. Hier sind meine Kunden, hier bin ich noch wer.« Er lachte herzlich.

In der Schlange hinter Pascal begannen zwei Frauen zu lachen, als sie dem gut gelaunten Fleischereimeister zuhörten.

Pascal zahlte. Er hatte sich für das Schulterstück entschieden und verstaute es in seiner Tasche.

»Un moment, Pascal.« Fabian griff unter die Ladentheke und reichte ihm noch einen stattlichen ausgelösten Knochen. »Für den Fond.«

Pascal bedankte sich und suchte nebenan bei dem Biogemüsehändler die richtige Beilage für das Ragout aus. Karotten, Lauch und Artischocken als Vorspeise. Er wusste, wie sehr Lillie sie liebte, besonders die aus der Provence. »Für deine selbst gemachten Dips würde ich die Strecke von Lyon nach Lucasson zu Fuß zurücklegen«, hatte sie das letzte Mal vor Begeisterung gerufen, als Pascal eine eigene Honig-Ingwer-Kreation erfunden hatte und sie stolz in der Mitte des Tisches drapiert hatte.

Erst im Auto beschäftigte Pascal sich mit dem, was vor ihm lag. Nach Saignon ging es nur wenige Kilometer den Berg hinauf. Das Weingut lag ein Stück dahinter, eine kurze Strecke über das Hochplateau. Pascal fragte sich, warum man ihn überhaupt zu einer Brandstelle rief. Dass ein Weinberg einfach abbrannte, war zwar ungewöhnlich, kam aber immer wieder vor. Entscheidend war die Arbeit der Feuerwehr, die ungewöhnlich schnell vor Ort gewesen sein sollte. Der Anruf war bereits kurz nach dem Entdecken der ersten Flammen eingegangen. Jemand hatte sich nicht grundlos um das angrenzende Waldgebiet gesorgt. Ein Feuer zu dieser Jahreszeit konnte eine Katastrophe auslösen. Der trockene Boden und das Gehölz waren für die Flammen ein Geschenk. Aber etwas war »ungewöhnlich«, so hatte Frédéric Dubprée sich ausgedrückt, und darüber wollte er mit Pascal vor Ort sprechen. Geheimnisvoll hatte er geklungen. Pascal müsse sich das ansehen.

Kurz hinter dem Ort Saignon führte eine wenig befahrene Straße durch ein Waldgebiet. Die Landschaft war an dieser Stelle für Schafherden wie geschaffen. Nicht selten stand Pascal hier oben und war von einer gemütlich dahintrottenden Schafherde umgeben, ihrem Tempo ausgeliefert und auch dem Schäfer, der das Auto inmitten der blökenden Tiere keines Blickes würdigte. Ein Hindernis, das es zu umrunden galt.

Heute hatte Pascal Glück, es waren keine Tiere in Sicht. Ein letzter Blick auf das abgeerntete Lavendelfeld, eine kleine Kurve mit einem Schild »Château des quatre chiens«, und was sich dahinter verbarg, raubte Pascal für einen Moment den Atem. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ein schwerer Brandgeruch lag in der Luft und erfüllte das Innere des Fahrzeugs. Als hätte jemand eine riesige Kamintür geöffnet und seinen Kopf hineingesteckt. Vor Pascal ergoss sich ein gut ein Hektar großes schwarzes Feld, von dem noch immer Rauch aufstieg. Einige Reben waren stehen geblieben, die Blätter verkohlt, ein paar wenige Trauben hingen trostlos an dem Geäst.

Pascal musste einmal um den Weinberg herumfahren, sodass er sich das gesamte Feld anschauen konnte. Frédéric Dubprée stand mit seinem Auto auf der gegenüberliegenden Seite und schaute bereits in Pascals Richtung. Er war nicht allein.

Pascal konnte sich von dem verstörenden Anblick kaum lösen. Mit jedem Meter wurde ihm das Ausmaß des Dramas deutlicher vor Augen geführt. In der Mitte musste das Feuer am verheerendsten gewütet haben, dort war keine einzige Rebe übrig geblieben. Unwillkürlich musste Pascal an den Schaden denken, an die Arbeit des Winzers, wie er vielleicht täglich nach seinen Pflanzen gesehen, sie gewässert und gepflegt hatte, um jetzt zur Erntezeit vor dem Nichts zu stehen. Keine Feuerversicherung der Welt könnte diesen ideellen Schaden ausgleichen. Dieses seelische Drama würde niemand mit Geld aufwiegen können.

Wie alt mochten die Reben gewesen sein? Über wie viele Generationen war auf diesem Hektar Wein angebaut worden?

Pascal fuhr im Schritttempo um das Feld herum. Neben Frédéric Dubprée erkannte er Audrey, die vielleicht unglücklichste Liebe seines Lebens. Hatte sie ihm doch, als es keinen Weg zurück mehr gegeben hatte, als die Liebe zu ihr sein ganzes Sein bestimmt hatte, eröffnet, die größte Liebe ihres Lebens sei eine Frau gewesen. Seit ein paar Wochen suchte Pascal Abstand – zumindest einen räumlichen, sein Herz hatte sich noch keinen Millimeter von ihr wegbewegt. Daher setzte es auch für ein paar Schläge aus, als er seinen Wagen hinter dem Feuerwehrfahrzeug parkte, die von schwerem Rauch geschwängerte Luft einatmete, hustete und auf die beiden zuging.

Audrey gab ihm drei Küsschen auf die Wange, hielt ihn einen Moment an der Hand fest und blickte ihm in die Augen. Unnötig fand Pascal das und genoss doch diese wenigen Sekunden der Nähe. Frédéric Dubprée, sauber frisiert, stand in seinem maßgeschneiderten Anzug am Rand des Feldes und reichte Pascal die Hand.

»Das Feuer wurde gestern gegen zwanzig Uhr bemerkt. Der Winzer Luc Adel rief sofort mit seinem Handy die Feuerwehr. Sie kamen mit zwölf Löschfahrzeugen und konnten die ganz große Katastrophe verhindern. Hätte dieser Wald hier«, Frédéric Dubprée nickte in Richtung der Bäume, »Feuer gefangen, hätten wir den Ort Saignon evakuieren müssen. Es hätte zu einem Inferno führen können. Das Gehölz ist knochentrocken.«

»Zwanzig Uhr?«, fragte Pascal zur Sicherheit.

»Oui, Monsieur.«

Schnell überschlug er die Uhrzeit. Der Anruf bei David Perieux war später eingegangen, also hatte der Winzer zunächst die Feuerwehr gerufen. Es waren diese kleinen Informationen, die ihm später helfen würden, wusste Pascal aus Erfahrung, und so stellte er seine nächste Frage: »Brandstiftung?«

»Ich gehe davon aus«, entgegnete Audrey, die neben Pascal gerückt war und ebenso wie der Chef der Police nationale den Blick nicht von dem dunklen Loch vor ihnen abwenden konnte.

Pascal betrachtete wieder die wenigen schwarzen Reben, die Stümpfe, die an den Rändern noch herausragten. Außer verbrannter Erde war dagegen in der Mitte des Feldes nichts mehr zu sehen.

»Wir wissen noch nichts Genaues«, sagte Frédéric Dubprée in seinem gewohnt ruhigen, aber bestimmten Tonfall. »Doch die Spurensicherung könnte die Überreste eines Menschen gefunden haben. Um mehr sagen zu können, ist es zu früh, uns fehlen noch die Beweise, aber wir werten die Spuren aus. Vielleicht ist nichts dran, aber wenn doch, sollten Sie von vornherein informiert sein.«

Pascal hatte zu dem kleinen, adrett gekleideten Mann geschaut, dann den Blick wieder auf die verbrannten Reben gerichtet. »Ein Mensch? Nachts im Weinberg?« Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Das hier«, sagte Frédéric Dubprée, »liegt alles außerhalb jeder Vorstellungskraft.« Er machte eine müde Geste in Richtung Weinberg.

»Wo hat man etwas gefunden?«, fragte Pascal.

Jetzt war es Audrey, die das Wort ergriff. »Etwa in der Mitte des Feldes, dort, wo nichts mehr steht. Die Spurensicherung sagt, es seien Zähne gefunden worden. Menschliche Zähne.«

Pascal blickte sie an, jetzt ganz der Ermittler, seine Gefühle für einen Augenblick verbergend. »Wie kann das sein? Was macht ein Mensch nach Einbruch der Dunkelheit in der Mitte eines Weinbergs? Haben wir schon mit dem Winzer gesprochen? Vermisst er jemanden? Einen Mitarbeiter vielleicht?«

»Nichts Konkretes. Er hat mehrere Angestellte, weil er auch ein Hotel und ein Restaurant betreibt, aber niemand wird vermisst. Das bestätigte uns auch seine Ehefrau. Sie war zu dem fraglichen Zeitpunkt im Haus auf der anderen Seite, das haben sie beide bezeugt. Das Feuer ist auf der Rückseite des Gebäudes ausgebrochen. Das Feld war für sie durch die Fenster nicht einsehbar. Sie wurden nur durch den Rauch auf das Feuer aufmerksam.«

»In welchem Zustand hast du die beiden angetroffen?«, fragte Pascal sie.

»Erstaunlich gefasst«, antwortete Audrey. »Und das Komische war: Sie waren nicht überrascht. Als hätten sie damit gerechnet. Immerhin ist hier die Grundlage für ihren gesamten Ertrag verbrannt, aber das haben sie hingenommen. Ist doch komisch, oder?«

»Sie werden Feinde haben«, murmelte Pascal, seine Fußspitze schob er dabei über den Sand, als wollte er etwas zeichnen.

»Konzentrieren wir uns zunächst auf das Sichtbare, auf das Feld. Schauen Sie sich das genau an, Monsieur Chevrier«, sagte Frédéric Dubprée. »Von wo nach wo ist das Feuer gewandert? Ist es nicht merkwürdig, dass der Brandherd ziemlich in der Mitte des Feldes gewesen sein muss? Das zumindest ergeben die ersten Untersuchungen. Nur, warum?«

Der Leiter der Feuerwehr trat zu Frédéric Dubprée. »Monsieur, wir haben Brandbeschleuniger gefunden. Sowohl an den Seiten des Feldes als auch in der Mitte. Wie Sie es bereits vermutet haben, das ist der Beweis für Brandstiftung.«

Audrey blickte den Mann entsetzt an. »Sicher?«

»Ja, ich sage so etwas nicht einfach daher.«

»Es überrascht mich nicht«, entgegnete Frédéric Dubprée dem Mann, die Spitze in dessen Antwort ignorierend.

»Aber wir haben noch weitere Neuigkeiten für Sie.« Der Feuerwehrmann schien erst jetzt Pascal zu bemerken. »Was macht denn die Gendarmerie hier? Habe ich meinen Feuerwehrwagen falsch geparkt?« Mit unendlicher Arroganz streifte der Blick des Mannes kurz Pascal, dabei verzog er seinen Mund zu einem schiefen Lächeln.

Den Gesichtsausdruck Frédéric Dubprées würde dieser Mann niemals vergessen, dessen war Pascal sich sicher. Mehr war nicht nötig, sofort entschuldigte der Feuerwehrmann sich.

»Weitere Fakten«, forderte der Chef de police.

»Wir haben bereits Knochen gefunden. War nicht schwer, es waren genug da. Wahrscheinlich menschliche, das wird die Gerichtsmedizin herausfinden.«

»Oh mein Gott«, entfuhr es Audrey, »hier ist ein Mensch verbrannt worden.«

Niemand sagte etwas, alle starrten nur auf das schwarze Feld. Zwei Männer in weißen Schutzanzügen stocherten am Fundort herum, knieten sich hin, nahmen Proben, schütteten verbrannte Erde in kleine Plastiktüten.

»Monsieur Chevrier, wir brauchen Sie.«

Pascal, der sich bei jeder Begegnung mit dem Chef der Police nationale mit einer neuen Aufgabe konfrontiert sah und das bereits als eine Art Naturgesetz akzeptiert hatte, nickte nur. Zu sehr beschäftigte ihn das Drama, das sich unmittelbar vor ihnen abgespielt haben musste.

»Ich will herausfinden, wer in der Lage ist, so etwas zu tun.«

»Danke«, sagte Frédéric Dubprée. »Audrey wird Sie unterstützen.«

Es wird immer schlimmer, dachte Pascal. Wie sollte er von dieser Frau nur loskommen, wenn er immer wieder zur Zusammenarbeit mit ihr verdammt war und sie nicht endlich dieses Spiel mit ihm einstellte? Doch statt sich diesen Gefühlen weiter hinzugeben, fragte er nur in die Stille hinein: »Warum ist in der Mitte des Feldes gegraben worden?« Und schon ging er los, über die immer noch warme Erde hinein in den Weinberg, vorbei an den verkohlten Ästen, die vogelscheuchengleich ihre Arme nach ihm ausstreckten, bis er in der kahlen Mitte des Feldes angekommen war. Die Männer von der Spurensicherung schauten kurz auf.

»Hier sind Löcher im Boden«, bemerkte Pascal.

»Ja«, sagte ein Mann der Spurensicherung. »Acht Stück. Hier wurden acht Rebstöcke entfernt und aufgestapelt.« Er deutete auf einen kleinen Haufen Asche. »Jetzt sehen die so aus. Gut möglich, dass sie angezündet wurden und sich das Feuer durch sie ausgebreitet hat, aber die Brandbeschleuniger sprechen gegen diese These.«

»Warum ist der Weinberg hier verändert worden?«, fragte Pascal. Es fröstelte ihn trotz der enormen Wärme, die der Boden auch einen Tag nach dem Feuer noch ausstrahlte.

Audrey war ihm gefolgt. Sie bückte sich und betrachtete die Erde, schob ihren Schuh vorsichtig in den verkohlten Acker, grub darin. Asche stob auf, darunter war noch Glut. Es rauchte aus dem Boden heraus.

Pascal betrachtete ebenfalls das schwarze Erdreich und ging vorsichtig um die Löcher herum. »Hier ist jemand geradezu hingerichtet worden«, sagte er schließlich. »Hier wurde Platz geschaffen …«

»… um dem Drama eine Bühne zu geben?«, vervollständigte Audrey den Satz.

»Und das Winzerpaar saß im Haus und will davon nichts mitbekommen haben?« Pascal schaute zu dem Weingut, wie es in der Sonne dalag, idyllisch und ruhig. Audrey stand dicht neben ihm, ihre Arme berührten sich leicht, keiner der beiden bewegte sich, sie waren wie abgeschnitten von der schwarzen Welt um sie herum, für Sekunden daraus geflüchtet und ganz bei sich.

3

»Dein Paradies ist mein Paradies«, hatte Lillie Pascal verkündet. Gab es eine bessere Einleitung, um ihm zu eröffnen, dass sie ihre Hochzeit bei ihm in der Provence feiern würde?

Pascal hätte vor Freude platzen können. Hinzu kam das Wetter. Natürlich war bei dreihundert Sonnentagen im Jahr die Wahrscheinlichkeit groß, Hochzeitsfotos auf der Terrasse unter freiem Himmel machen zu können, mit Blick auf das Bergpanorama mit dem weißen Kalk, der bestens zu ihrem Hochzeitskleid passen würde. Außerdem hatte im Oktober bereits die Wintertrüffelsaison begonnen, und das erleichterte die Auswahl des Dinners erheblich, hatte Pascal zur Bestärkung eingeworfen – aus Angst, sie würde sich umentscheiden. Auf seinen Bekannten David Perieux konnte er sich verlassen. Er würde die besten Trüffel des Luberon bekommen, und der Koch Paul Natale war ein Meister am Herd, ein Held, wenn ihm die auserlesensten Zutaten zur Verfügung standen. Seinen getrüffelten Fasan konnte niemand, auf dessen Tisch er drapiert wurde, jemals vergessen.

Nachdem Pascal schon am frühen Samstagnachmittag aus Saignon zurückgekommen war, hatte er sich direkt darangemacht, das Wildschweinragout vorzubereiten. Es musste vierundzwanzig Stunden mariniert werden. So sah es die provenzalische Küche vor, und an die würde er sich strikt halten.