Berühre mich nicht - Andrea Camilleri - E-Book

Berühre mich nicht E-Book

Andrea Camilleri

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Beschreibung

Laura Garaudo, die schöne junge Ehefrau des berühmten römischen Schriftstellers Mattia Todini, verschwindet kurz vor Erscheinen ihres ersten eigenen Romans in Rom. Commissario Maurizi befragt ehemalige und derzeitige Liebhaber im Dutzend, dazwischen die beste Freundin, den vulgären Kellner ihres Lieblingscafés – immer komplexer wird das Porträt dieser liebeshungrigen, merkwürdigen Laura. Schließlich entdeckt der Commissario im Bildmotiv einer biblischen Szene die entscheidende Spur. Eine Szene der Hingabe, die offenbar für Laura eine ganz eigene, neu interpretierte Bedeutung hat. Souverän hält Camilleri Spannung, Tempo und Humor in diesem Krimi der ungewöhnlichen Art.

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Seitenzahl: 125

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Laura Garaudo, die schöne junge Ehefrau des berühmten römischen Schriftstellers Mattia Todini verschwindet kurz vor Erscheinen ihres ersten eigenen Romans. Ein PR-Coup? Nicht unbedingt ein Fall für die Kriminalpolizei, aber Todini gibt keine Ruhe, und die Zeitungen hacken willfährig auf den Behörden herum. Der Questore will Ergebnisse sehen, und Commissario Maurizi befragt ehemalige und derzeitige Liebhaber im Dutzend, dazwischen die beste Freundin, den vulgären Kellner ihres Lieblingscafés – immer komplexer wird das Porträt dieser liebeshungrigen, merkwürdigen Laura. Will sie gefunden werden oder sind die Spuren bewusst falsch gelegt?

Schließlich entdeckt der Commissario im Bildmotiv einer biblischen Szene die entscheidende Spur. Eine Szene der Hingabe, die offenbar für Laura eine ganz eigene, neu interpretierte Bedeutung hat.

Nagel & Kimche E-Book

ANDREA CAMILLERI

Berühre mich nicht

Roman

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki

Nagel & Kimche

5. JUNI 2010

«Mattia?»

«Wie geht es dir, meine Liebe?»

«Schon besser, es ist jetzt wärmer im Haus, und ich konnte arbeiten. Seit wann waren wir nicht mehr hier?»

«Lass mich überlegen … seit Januar.»

«Ich musste auch ein bisschen saubermachen. Überall lag Staub.»

«Hast du etwas zu Abend gegessen?»

«Ja.»

«Wie fühlst du dich?»

«Besser.»

«Ist der Ghibli vorüber?»

«Fast ganz weg. Jetzt schlafe ich mich erst mal ordentlich aus.»

«Rufst du mich morgen an?»

«Passt es dir um neun Uhr?»

«Ja, sehr gut.»

«Gute Nacht, Mattia.»

«Gute Nacht, meine Liebe.»

7. JUNI 2010

«Nein, nein, alles völlig normal …»

«Denken Sie genau nach. Jedes noch so kleine Detail, das Ihnen bedeutungslos vorkommen mag, kann für uns nützlich sein.»

«Meinen Sie, ich hätte nicht schon pausenlos darüber gegrübelt? Tag und Nacht, ich konnte nicht mehr schlafen. Ich sage Ihnen noch einmal, ich habe nichts Ungewöhnliches bemerkt … Und ich bin kein achtloser Ehemann, glauben Sie mir. Allerdings hatte sie in den letzten zwei oder drei Tagen einen Ghibli, der stärker war als sonst …»

«Ich habe nicht recht verstanden, bitte entschuldigen Sie. Haben Sie wirklich Ghibli gesagt? Ist das nicht ein Wüstenwind?»

«Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, ja, es ist der Wüstenwind, ich habe ein Wort aus unserem Familienjargon benutzt. Sie sagte immer, sie habe den Ghibli, keine Ahnung, warum sie das so nannte, wenn sie zu gar nichts Lust hatte, stundenlang im Bett lag und an die Decke starrte. Stumm und schlechtgelaunt, wehe, wenn man sie störte. Sie brach dann jede Beziehung zur Außenwelt ab, mich eingeschlossen. Zog den Stecker, wie man so sagt. Das passierte ihr mindestens alle zwei Monate einmal, nach ein paar Tagen war es dann vorbei, und sie war wieder …»

«Woher kamen diese Stimmungsschwankungen?»

«Sie hatten keinen besonderen Grund.»

«Also ein Charakterzug.»

«Nicht direkt. Sie ist nicht immer so gewesen.»

«Wann hat es denn angefangen?»

«Diese Sache mit dem Ghibli war, glaube ich, ihre Methode, ein Höchstmaß an Konzentration zu erreichen, sie lag dann auf dem Bett und hörte …»

«Was hörte sie? Musik?»

«Nein, sie hörte sich selbst zu, ihren Gedanken, ihrem Körper. Der Ghibli hat bei ihr nämlich vor anderthalb Jahren angefangen, als sie beschlossen hatte, den großen Schritt zu tun und ihren ersten Roman zu schreiben …»

«Ihre Frau schreibt auch?»

«Wundert Sie das? Was finden Sie daran so ungewöhnlich? Wir wären ein ganz normales Schriftstellerehepaar gewesen … davon hat es schon immer viele gegeben … Moravia und die Morante zum Beispiel …»

«Wie haben Sie sich kennengelernt?»

«Wissen Sie, ich bekomme Dutzende noch nicht veröffentlichter Romane von unbekannten Autoren, die mich um ein kurzes Empfehlungsschreiben für einen Verleger bitten … meistens völlig wertloses Zeug. Laura schickte mir recht gute Gedichte, wirklich nicht übel, sie wollte wissen, was ich davon halte … Ich schrieb ihr, dass mir die Gedichte gefielen, sie freute sich sehr darüber und bat mich um ein Treffen. Kaum sah ich sie in mein Arbeitszimmer kommen, habe ich mich sofort in sie verliebt. Wirklich, es war Liebe auf den ersten Blick. Wie bei dem armen Carducci, als er Annie Vivanti sah … Laura ist noch immer so schön wie damals.»

«Seit wann sind Sie verheiratet?»

«Seit vier Jahren. Genau vier Jahre und drei Monate.»

«Kinder?»

«Ich möchte keine.»

«Denkt Signora Garaudo auch so darüber?»

«Ich glaube, ja.»

«Was bedeutet ‹glauben›?»

«Glauben bedeutet glauben. Wenn Ihnen das Verb nicht gefällt, ändere ich es sofort. Ist Ihnen ‹ich denke ja› angenehmer?»

«Regen Sie sich nicht auf, ich wollte Sie nicht …»

«Ich rege mich nicht auf. Was wollten Sie sagen?»

«Haben Sie nie darüber gesprochen?»

«Worüber?»

«Kinder zu bekommen oder nicht.»

«Nein.»

«Das wundert mich.»

«Auch daran ist nichts Ungewöhnliches. Bevor wir heirateten, habe ich Laura gesagt, dass ich keine Kinder wollte, und sie hat nichts … sie zeigte keine Reaktion. Seit damals hat sie das Thema nie wieder angesprochen.»

«Bitte entschuldigen Sie meine Neugier. Warum sind Sie so entschlossen, keine …»

«Der Altersunterschied ist zu groß. Versuchen Sie, mich zu verstehen. Als wir heirateten, war Laura einunddreißig und ich fünfundsechzig. Ich hätte ihr Vater … wenn wir Kinder gehabt hätten, wäre ich ein Vater-Großvater gewesen. Ich fand das absolut lächerlich, und der Meinung bin ich noch heute.»

«Wer von Ihnen beiden wollte heiraten?»

«Ich.»

«Die Signora hat gleich eingewilligt?»

«Ja.»

«Also haben Sie sofort …»

«Nicht sofort.»

«Warum nicht?»

«Laura hat mich nur gebeten, die offizielle Mitteilung an die Freunde ein wenig aufzuschieben.»

«Warum?»

«Sie wollte nichts mitnehmen.»

«Können Sie das bitte genauer erklären?»

«Das fällt mir nicht leicht.»

«Bitte entschuldigen Sie, aber …»

«Für mich ist das sehr peinlich.»

«Ich muss leider darauf bestehen.»

«Nun, bei einer schönen Frau wie Laura ist es normal, dass sie Beziehungen zu vielen Männern hatte … Beziehungen, die zu dem Zeitpunkt, als wir beschlossen zu heiraten, noch nicht alle beendet waren … ich weiß nicht, ob ich mich deutlich genug ausgedrückt habe. Doch sie wollte diese Geschichten abschließen, einen endgültigen Schnitt machen.»

«Ich verstehe. Sie wollte reinen Tisch machen.»

«Ja, das war ihre Absicht.»

«Erklären Sie mir das genauer.»

«Genauer geht es wohl kaum.»

«Sie wollen sagen, dass ein paar Geschichten noch nach Ihrer Hochzeit weitergingen?»

«Sagen wir lieber, es gab noch einige Nachspiele, die unsere Ehe aber dank Lauras Geschicklichkeit nicht im Geringsten beeinträchtigt haben.»

«Signora Garaudo hat Ihnen nicht zufällig die Namen dieser … dieser Nachspiele genannt?»

«Nie. Ich habe auch nicht danach gefragt. Es gab eine stillschweigende Übereinkunft. Ich wusste, dass sie, auch wenn es noch ein paar Treffen mit diesen Männern gab, auf jeden Fall fest entschlossen war, Schluss zu machen. Und das hat sie tatsächlich getan.»

«Sind Sie sicher?»

«Laura hat mich davon überzeugt. Mit Taten, nicht mit Worten. Und hier möchte ich nicht ins Detail gehen.»

«Ich habe Sie nicht darum gebeten.»

«Entschuldigung.»

«Was meinen Sie, wollen wir rekapitulieren?»

«Wie Sie wünschen. Von Anfang an?»

«Ja.»

«Nun gut. Vorgestern bin ich, nachdem ich allein zu Mittag gegessen hatte, weil Laura im Bett geblieben war, in ihr Zimmer gegangen, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und sah, dass sie aufgestanden und vollständig angekleidet war.»

«Sie schlafen in getrennten Zimmern?»

«Für gewöhnlich nicht, nur an den Tagen des Ghibli. Wie gesagt, ich sah, dass sie angekleidet war und ihren Koffer gepackt hatte. Sie teilte mir mit, sie habe beschlossen, ein paar Tage in unserem Haus auf dem Land zu verbringen.»

«Hat sie das früher schon einmal getan?»

«Ja.»

«Wo liegt dieses Haus?»

«In Gonfalone, zwei Autostunden von hier. Ich habe sie bis zu ihrem Auto begleitet, wir haben uns umarmt und geküsst, dann ist sie losgefahren.»

«Welchen Eindruck machte sie?»

«Ich würde sagen, sie war wieder besserer Stimmung.»

«Waren Sie beide allein zu Haus?»

«Nein, Filippa, unsere alte Haushaltshilfe, war auch da.»

«Fahren Sie fort.»

«Um fünf Uhr hat Laura mich angerufen. Sie sagte, sie habe das Haus ordentlich aufgeräumt vorgefunden, nur ein bisschen feucht, darum habe sie die Heizung und den Kamin angemacht.»

«Hat sie sich danach noch einmal gemeldet?»

«Ja, um neun. Sie erzählte, dass sie intensiv an ihrem Roman gearbeitet habe, dass der Ghibli vorüber sei und dass sie müde, aber zufrieden ins Bett gehen werde. Was noch? Sie hatte gegessen, die Tiefkühltruhe ist immer gefüllt, sie hatte Hunger bekommen. Sie wollte früh aufstehen und weiterschreiben. Wir haben uns gute Nacht gesagt und verabredet, dass sie am nächsten Morgen anrufen würde. Doch um halb ein Uhr nachts – ich habe instinktiv auf die Uhr geschaut –, weckte mich ein Anruf. Ein französischer Freund von mir, er wollte mir mitteilen, dass ich den Preis für den besten übersetzten Roman in Frankreich gewonnen habe, wie er aus sicherer Quelle erfahren hatte. Eine wunderbare Nachricht. Also habe ich Laura auf ihrem Handy angerufen, wenn sie ins Bett geht, lässt sie es immer auf dem Nachttisch liegen. Es war ausgeschaltet. Dann habe ich den Festanschluss angerufen. Ich habe es lange läuten lassen, keine Antwort. Ich habe es wieder und wieder versucht. Nichts. Da bin ich nachdenklich geworden. Warum antwortete sie nicht? Ging es ihr schlecht? Oder …? Sie verstehen, dann kamen mir die bösen Gedanken, das Haus liegt isoliert, und in diesen Zeiten … Ich habe mich angezogen, habe das Auto genommen und bin nach Gonfalone gerast. Das Erste, was ich beim Eintreten wahrgenommen habe, war die Feuchtigkeit. Die Heizungen waren eiskalt, der Kamin war nicht angemacht worden. Mir war sofort klar, dass Laura nicht nur nicht in diesem Haus gewesen war, sie war nicht einmal dorthin gefahren …»

8. JUNI 2010

IL MESSAGGERO

Mysteriöses Verschwinden der Frau

eines berühmten Schriftstellers

Rom. Laura Garaudo, die Ehefrau des berühmten Romanciers Mattia Todini, ist auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Wie Todini gegenüber der Polizei angab, war seine Frau mit ihrem Auto in das Landhaus des Ehepaars in Gonfalone (VT) gefahren, um dort ein paar ruhige Tage allein zu verbringen. Doch sie kam nie an ihrem Ziel an. Noch ist nicht bekannt, ob es sich um ein Verschwinden aus eigenem Entschluss handelt, die Polizei schließt erpresserischen Menschenraub jedoch aus.

Unsere Zeitung sieht sich verpflichtet, von einem in den literarischen Kreisen der Hauptstadt umgehenden Gerücht zu berichten, demzufolge das Verschwinden von Laura Garaudo lediglich eine geschickte Werbemaßnahme für den in Kürze erscheinenden Debütroman von Laura Garaudo ist. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen.

9. JUNI 2010

«Ciao, Michele.»

«Ciao, Carlo.»

«Trinken wir einen Kaffee?»

«Gerne. Aber lass uns draußen sitzen. Es ist ein so schöner Tag … Wie geht es deiner Frau?»

«Gut, danke.»

«Wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.»

«Stimmt.»

«Warum hast du dann so plötzlich das Bedürfnis, mich zu treffen? Erzähl mir nicht, dass ich dir gefehlt habe!»

«Hast du von der Sache mit Laura gehört?»

«Man müsste schon taub und blind sein, um das nicht mitzukriegen. Bei dem Wirbel, den dieser Idiot Mattia veranstaltet …»

«Hätte er so tun sollen, als wenn nichts wäre?»

«Nein, das wollte ich nicht sagen, aber er hätte ein paar Tage warten können, bevor er die Polizei und die Zeitungen aufhetzt …»

«Er hat tatsächlich ein bisschen übertrieben.»

«Ein bisschen?»

«Machst du dir denn keine Sorgen, Michele?»

«Ich? Wie kommst du darauf? Cameriere, zwei Kaffee, bitte.»

«An deiner Stelle würde ich mir Sorgen machen.»

«Aber du bist nicht an meiner Stelle. Sag mal, warum interessierst du dich so für Laura? Willst du in deiner Zeitung über sie schreiben?»

«Nur wenn ich mit Leuten sprechen kann, die sie kannten, und genügend Material zusammenbekomme.»

«Hast du denn nicht auch ein Verhältnis mit ihr gehabt?»

«Wer hat dir das gesagt?»

«Laura.»

«Das hat Laura dir gesagt?»

«Hör mal, Carlo, seit sechs Jahren schlafen Laura und ich miteinander, wir haben auch nach ihrer Hochzeit weitergemacht, und weißt du, warum unsere Beziehung schon so lange dauert? Weil wir uns von Anfang an immer alles erzählt haben. Wir haben nichts voreinander verheimlicht.»

«Und was hat sie von mir …»

«Du willst wissen, was sie mir von dir erzählt hat?»

«Hm, ja.»

«Wir lagen im Bett, und plötzlich fängt sie an: ‹Gestern habe ich Carlo zu mir nach Hause mitgenommen, und wir haben gevögelt. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum ich das getan habe. Ich glaube, es kommt nicht noch einmal vor.› So hat sie sich ausgedrückt, wortwörtlich.»

«Und genau so ist es gewesen. Nach dem einen Mal war nichts mehr zu machen … sie blieb eisern. Eine uneinnehmbare Festung. Du siehst also, dass ich nicht behaupten kann, sie so gut zu kennen wie du.»

«Was willst du wissen? Die interessantesten Sachen, die ich dir erzählen könnte, dürftest du wohl nicht veröffentlichen, vermute ich.»

«Etwas über ihren Charakter, zum Beispiel …»

«Sie ist eine Verschwenderin.»

«Was das Geld betrifft?»

«Geld hat für sie nicht die geringste Bedeutung. Wenn sie keins hat, ist ihr das egal, wenn sie welches hat, gibt sie es aus. Zum Teil natürlich für sich selbst, aber den größten Teil verschenkt sie, oder sie leiht denen Geld, die es am nötigsten brauchen. Sie tut dann aber nur so, als würde sie es verleihen, denn sie weiß genau, dass sie es nie zurückbekommt. Ich habe sie Leuten Geld leihen sehen, die sie eine halbe Stunde vorher kennengelernt hatte und sicher nie wiedersehen würde. Das ist Großzügigkeit, eine eigenartige Form von Großzügigkeit, wenn man so will, aber es ist Großzügigkeit. Vielleicht ist Großzügigkeit aber doch nicht das richtige Wort. Ich habe sie nie gefragt, ob sie an Gott glaubt, vermutlich eher nicht, trotzdem setzt sie das Gebot ‹Liebe deinen Nächsten wie dich selbst› wortwörtlich in die Tat um. Ich glaube, es ist wirklich Liebe, Nächstenliebe, obwohl sie sich dessen überhaupt nicht bewusst ist. Nein, wenn ich Verschwendung sage, dann meine ich das, was sie mit sich selbst macht.»

«Könntest du …»

«Ja, ich erkläre es dir genauer. Laura lässt sich leicht begeistern.»

«Das bezieht sich auf Männer?»

«Sie begeistert sich für Männer, für Kinder, für utopische Unternehmungen … dann liefert sie sich ganz aus, verschenkt sich blind, mit Haut und Haar. Wenn sie aber merkt, dass diese Selbstaufgabe vergeblich war, geht sie fast immer angewidert und wie ausgelaugt aus dieser Erfahrung hervor. Man hat ihr tiefe Wunden geschlagen, aber sie schafft es, ihre Verletzungen irgendwie zu verstecken … Nur wenn es besonders schlimm schmerzt, legt sie sich hin und bleibt ganze Tage lang im Bett, will niemanden sehen. Völlig allein. Liegt da und leckt ihre Wunden. Doch sie lernt nichts aus diesen Erfahrungen, im Gegenteil, die Wunden sind noch nicht vernarbt, da fängt sie schon wieder an, wirft sich Hals über Kopf in die nächste Leidenschaft.»

«Bist du sicher, dass du von Laura sprichst, Michele?»

«Von wem denn sonst?»

«Ich habe nicht den Eindruck, dass …»

«Das ist die Laura, die ich kenne und gernhabe.»

«Du überzeugst mich nicht.»

«Warum nicht, wie ist sie denn deiner Meinung nach?»

«Ich mag mich irren, aber mir und nicht nur mir ist sie immer wie eine oberflächliche Frau vorgekommen, sprunghaft, unfähig zu starken Gefühlen, ein bisschen zu leicht zu haben, völlig ungebildet …»

«Weißt du, dass sie einen Doktor hat?»

«Was sagst du da?»

«Sie hat in Bologna in Kunstgeschichte mit einer Arbeit über Beato Angelico promoviert. Summa cum laude.»

«Erzählst du mir auch keine Märchen?»

«Ich musste sie lange bitten, bis ich die Arbeit lesen durfte. Wirklich bemerkenswert. Sehr scharfsinnig. Ihr Professor war begeistert, wollte sie zu seiner Assistentin machen, aber sie hat abgelehnt.»

«Warum?»