Beutewelt VII: Weltenbrand - Alexander Merow - E-Book

Beutewelt VII: Weltenbrand E-Book

Alexander Merow

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Beschreibung

Nach dem Atombombenabwurf auf Berlin hat der Konflikt zwischen der Weltregierung und dem Nationenbund der Rus eine neue Dimension erreicht. Im Gegenzug lässt Artur Tschistokjow London mit Nuklearwaffen zerstören. Frank Kohlhaas und sein Freund Alfred Bäumer kämpfen derweil an der Front in Ostdeutschland, wo die riesige Armee der Weltregierung unbeirrt näher rückt. Während der Widerstand gegen die Logenbrüder in ganz Europa aufflammt, steigert sich das Grauen des Krieges ins Unermessliche und die Kämpfe weiten sich über den gesamten Globus aus. Die finale Schlacht hat begonnen ...

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Alexander Merow

BEUTEWELT VII

Weltenbrand

Roman

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Der Dritte Weltkrieg

Grabenkämpfe

Glühende Landschaften

Hin und her

Die Welt ist eine Holozelle!

Verzweiflung und Zorn

Taktische Atomschläge

Wachsender Wahnsinn

Resignation

Unruhen in Nordamerika

Bröckelnde Allmacht

Nuklearer Amoklauf

Allah ist groß

Sie schlafen jetzt alle …

Sturm auf den Westen

Europas Erwachen

Vorstoß ins Ruhrgebiet

Wer hätte das gedacht?

Das letzte Kapitel

Ausblick

Der Aufstieg des Goldenen Reiches

Glossar

Weitere Romane

Der Dritte Weltkrieg

General Kohlhaas betrachtete den Horizont und sah einigen Vögeln zu, die langsam durch die Lüfte glitten. Hinter ihm standen ein Dutzend schwere Gunjin Panzer und drei mobile Geschütze, weiterhin einige Soldaten der Warägergarde, der Elitetruppe der Volksarmee. Etwas weiter entfernt hatten seine Männer ihr Lager aufgeschlagen. Alle warteten bereits seit mehreren Tagen auf eine Entscheidung des Oberkommandos.

Tschistokjows Soldaten hatten sich nach der atomaren Vernichtung Berlins wieder nach Osten zurückgezogen. Dieser Krieg hatte die nächste Stufe erklommen, das wusste Frank tief in seinem Inneren. Der Schrecken, der nun kommen würde, war nicht mehr aufzuhalten. Die Logenbrüder hatten seine Geburtsstadt mit einem furchtbaren Nuklearschlag vom Antlitz der Erde gefegt. Frank war noch immer schockiert und verstört aufgrund dieses barbarischen Aktes.

„Es war dir doch von Anfang an klar gewesen, oder?“, sagte er leise zu sich selbst. „Warst du tatsächlich so naiv, zu glauben, dass sie vor dem Einsatz von Atomwaffen zurückschrecken würden? Nein, Frank, du wusstest von Anfang an, dass sie es eines Tages tun würden.“

Über 3 Millionen Menschen waren in den Feuerstürmen der Atombomben verglüht, ganze Straßenzüge von der nuklearen Hölle verschluckt worden; große und kleine Häuser, schöne und hässliche Gebäude, Frauen, Kinder, Greise – der atomare Tod hatte keine Unterschiede gemacht und einfach alles ausgetilgt.

Frank ging noch einige Meter geradeaus, um für einen Moment ganz für sich zu sein. Niemand sollte ihn in diesem Zustand sehen, ihn, den „Achilles von Weißrussland“, den größten Helden der Volksarmee. Wie hatte ihn die Kriegspropaganda der Rus schon verherrlicht, seinen Mythos als unverwundbaren, furchtlosen Recken aufgebaut und genährt. Und das war jetzt der große „Achilles“, diese verunsicherte, depressive und müde Jammergestalt, die irgendwo in Ostdeutschland auf einer Wiese stand und nicht mehr ein noch aus wusste.

„Warum hast du mir dieses Leben gegeben, Gott?“, flüsterte er, den Blick zum Himmel gewandt. „Warum hast du mich in dieses Zeitalter der Finsternis geschickt? Was habe ich in meinen früheren Leben verbrochen, dass du mir das antun musstest?“

Kohlhaas dachte an seine geliebte Julia und seinen Sohn Friedrich, die sich im kleinen Dörfchen Ivas im fernen Litauen verkrochen hatten und darauf warteten, dass dieser Krieg mit all seinen alptraumhaften Schrecken weiterging. Und so wie sie zitterten Milliarden Menschen in allen Erdteilen, wissend, dass der Tod seine riesige Sense gerade erst erhoben hatte. Über kurz oder lang würde der atomare Gegenschlag folgen, denn Artur Tschistokjow würde niemals kapitulieren und konnte diesen Terrorangriff auch nicht ignorieren. Die Vernichtung Berlins war demnach nur der Auftakt zu einem Reigen des Entsetzens, der nun auf die unglückliche Menschheit wartete. Frank war felsenfest davon überzeugt und sein Instinkt hatte ihn bisher nur selten getäuscht.

Sein bester Freund, Alfred Bäumer, lag noch immer in einem Krankenhaus in Frankfurt an der Oder. Er hatte Berlin aufgrund einer Armverletzung verlassen müssen, was zugleich sein großes Glück gewesen war. Und auch Frank selbst hatte sich mit einigen seiner Trupps bereits aus der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands entfernt gehabt, als die Atombomben eingeschlagen hatten. Sonst wäre auch er nicht mehr am Leben, sinnierte der General, während er von immer größerer Panik ergriffen wurde.

Nach einer Weile kehrte Kohlhaas schließlich wieder ins Lager zurück, um sich in seinem Kommandostand zu verkriechen. Was als nächstes passierte, konnte er lediglich erahnen; verhindern konnte er es jedoch nicht. Auch ein „Achilles von Weißrussland“ hatte nicht die Kraft, den ins Rollen gebrachten Stein noch aufzuhalten. Nein, dafür waren selbst die größten Helden zu schwach.

Artur Tschistokjow und der Führungsstab des Nationenbundes der Rus befanden sich inzwischen in einem Atombunker am Fuße des Uralgebirges, tief unter der Erde. Akira Mori, der japanische Außenminister, hatte den russischen Präsidenten um eine Unterredung gebeten. Er war sofort nach Russland geflogen, nachdem er die Nachricht vom Atombombenabwurf auf Berlin erhalten hatte. Mori machte keinen Hehl daraus, dass weder er noch Präsident Matsumoto wussten, wie sie auf die neue Situation reagieren sollten.

Nun redeten und diskutierten die Männer schon seit Stunden über das Für und Wider eines atomaren Gegenschlages. Matsumoto hatte Tschistokjow ausrichten lassen, dass Japan einen nuklearen Schlagabtausch mehr als alles andere fürchtete und keineswegs bereit war, sich auf das Spiel der Weltregierung einzulassen. Der russische Staatschef hingegen betonte, dass es jetzt notwendig war, dem Feind die eigene Entschlossenheit zu beweisen.

„Sie werden erst ruhen, wenn sie uns vernichtet haben. Das wird auch nicht der letzte Kernwaffenangriff des Weltverbundes sein, davon bin ich überzeugt. Wir müssen jetzt hart bleiben!“, meinte Tschistokjow verbittert, während ihn seine Getreuen und sein japanischer Gast verunsichert ansahen.

„Aber ein derartiger Wahnsinn ist doch keine Lösung“, bemerkte ein General der Volksarmee.

Der Anführer der Rus sah ihn an. „Was sollen wir denn tun? Warten, bis diese Verbrecher die nächsten Städte in Schutt und Asche legen? Sollen wir uns einfach abschlachten lassen, ohne uns zu wehren?“

„Ich weiß nicht, was wir tun sollen“, bemerkte Wilden resignierend und starrte an Tschistokjow vorbei. „Ich gebe es offen und ehrlich zu: Diesmal bin ich mit meinem Latein am Ende.“

Außenminister Mori saß mit versteinertem Gesicht auf einem Stuhl am anderen Ende des spartanisch eingerichteten Bunkerraumes. Er schwieg.

„Der einfache Bürger des Weltstaates, wie auch der einfache Bürger des Nationenbundes, hat kaum eine Ahnung, wer oder was unsere Feinde wirklich sind. Er weiß nicht, wie ihre führenden Köpfe denken und welche Dogmen und Doktrinen ihr Handeln bestimmen.

Diese Kräfte haben die Untugend zur Tugend erklärt, sie haben die Lüge zu ihrer Waffe gemacht und verehren sie als wirksames Kampfmittel gegen alle ihre Gegner. Wir sind jedoch die Eingeweihten, wir studieren ihre Pläne und Schriften seit vielen Jahren und haben ihre Teufelsfratzen schon lange hinter der Maske aus Verdrehung und Täuschung erkannt. Für diese Verbrecher sind wir nur die geborenen Sklaven, nichts weiter als Tiere, deren Tötung gemäß ihren Lehren nicht einmal eine Sünde darstellt.

Sie halten sich für Auserkorene, die das Recht haben, alle Völker dieses Planeten zu unterjochen und notfalls auch zu vernichten, wenn sie sich zu wehren versuchen. Demnach dürfen wir nie vergessen, dass unsere Feinde selbst keinerlei Skrupel kennen und ihnen auch Millionen Menschenleben nichts bedeuten.

Unser Wissen verpflichtet uns daher, so zu handeln, wie wir handeln müssen, um nicht unterzugehen. Wir müssen hart sein, denn bei diesem Gegner ist nichts anderes denkbar. Glaube mir, Thorsten, es fällt mir unglaublich schwer, mich auf die gleiche grausame Stufe zu stellen, wie unser Feind, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Sie lassen mir einfach keine andere Möglichkeit mehr. Möge Gott mir vergeben, bei dem, was ich jetzt anordnen muss!“, sagte Tschistokjow zu Wilden mit belegter Stimme.

Dieser sagte nichts. Er schloss die Augen und strich sich mit der Hand durch seine schweißnassen Haare. Der alte Mann wusste, was ihm Artur Tschistokjow damit sagen wollte, und die anderen Anwesenden konnten sich ebenfalls denken, was als nächstes geschehen würde.

„Artur Tschistokjow hat diese Sprache verstanden!“, hatte die Washington News Gazette am 15. Mai 2051 in ihrer Morgenausgabe verkündet. Damit spielte das Blatt auf die Tatsache an, dass sich die Volksarmee der Rus seit der Zerstörung Berlins immer weiter in die Gebiete östlich der verwüsteten Metropole zurückzog.

Die von den Logenbrüdern kontrollierten Medien verhöhnten Tschistokjow lauthals und berichteten hämisch vom allgemeinen Rückzug seiner Truppen aus Mitteleuropa. Doch sie sollten sich einmal mehr in seiner Entschlossenheit täuschen. Das Oberhaupt des Nationenbundes war nämlich felsenfest davon überzeugt, dass nun Feuer mit Feuer bekämpft werden müsse.

Die Weltregierung hatte mit der ohne jede Vorwarnung vollzogenen Auslöschung Berlins ein Tabu gebrochen, das zwischen den beiden Kriegsparteien stillschweigend im Raum gestanden hatte: Sie hatte in diesem Konflikt erstmals von Kernwaffen Gebrauch gemacht.

Jetzt wollte Tschistokjow seinen Gegnern beweisen, dass auch der Nationenbund zu allem bereit war. London sollte das Ziel seiner nuklearen Vergeltung werden. Die englische Metropole, die seit langer Zeit eines der wichtigsten Machtzentren der internationalen Logenorganisation darstellte, sollte nun als Rache für den Angriff auf Berlin in Schutt und Asche gelegt werden. Viele von Tschistokjows Beratern und Freunden, genau wie der japanische Präsident Matsumoto selbst, hatten diesen gebeten, von einem derart brutalen Gegenschlag Abstand zu nehmen, doch der Anführer der Rus ließ sich nicht mehr beirren. Er betonte, dass seine Feinde bald ohnehin weitere Städte in Russland und Japan mit Atomraketen bombardieren würden.

„Wir müssen hart sein!“, predigte Tschistokjow wieder und wieder.

Längst hatte der russische Souverän seine Hauptstadt St. Petersburg, wo die Evakuierung der Millionenbevölkerung noch immer in vollem Gange war, mit seinem Führungsstab verlassen, um sich in einem riesigen Atombunker im Nordwesten des Uralgebirges zu verbergen. Hier wollte er ausharren – notfalls bis zum bitteren Ende eines Krieges, in dem nun auch die furchtbarsten Vernichtungswaffen eingesetzt wurden.

Am 01.06.2051 erhielt der Weltverbund schließlich die Antwort auf die Zerstörung Berlins. Artur Tschistokjow ließ sieben Wasserstoffbomben auf verschiedene Gebiete des Londoner Ballungszentrums abfeuern. Es war gegen 5.00 Uhr morgens, als das Inferno über die noch verschlafene Stadt hereinbrach und riesige Atompilze mit unheimlichem Getöse in den blutroten Morgenhimmel wuchsen. Die Bevölkerung Londons war bisher nur zu einem geringen Teil in die außerhalb der Riesenstadt gelegenen Gebiete evakuiert worden, denn Jerry Diamond, der Sub-Gouverneur der britischen Inseln, hatte nicht ernsthaft mit einem atomaren Vergeltungsangriff des Nationenbundes gerechnet.

Als die tosenden Feuerorkane der Massenvernichtungswaffen jedoch durch das Häusermeer Londons rasten, war es für die Bevölkerung zu spät. Über 8 Millionen Menschen starben bei dem grausamen Vernichtungsschlag, der den gesamten Ballungsraum rund um die größte Stadt Europas vollkommen dem Erdboden gleichmachte.

Die Menschen in allen Erdteilen hielten den Atem an, als sie die Schreckensnachricht erfuhren; sie dachten mit Entsetzen daran, was sie erwartete, wenn sich nun beide Seiten in einer Kettenreaktion mit Atomwaffen beschossen. Inzwischen konnte niemand mehr daran zweifeln, dass der Dritte Weltkrieg, jener Alptraum, der die Menschheit seit über 100 Jahren quälte, endgültig begonnen hatte.

Indes gingen auch die Kämpfe in Ostdeutschland unbarmherzig weiter. Über 2 Millionen GCF-Soldaten waren mittlerweile auf die Volksarmee der Rus getroffen und lieferten sich blutige Schlachten zwischen der Ostseeküste und der Grenze zu Tschechien. Zugleich gewannen die internationalen Streitkräfte auch im Süden Russlands immer mehr an Boden. Mitte Juni waren sie schon fast bis nach Wolgograd vorgedrungen.

In Ostasien wurde Matsumotos Reich derweil zunehmend von der Kriegsflotte der Weltregierung unter Beschuss genommen, während sich Millionen Soldaten auf die Invasion Japans vorbereiteten.

Julia meldete sich am anderen Ende der Leitung, sie hörte sich müde und traurig an. Die junge Frau stieß ein leises Seufzen aus und schwieg dann für einen Augenblick. Schließlich fragte sie: „Wie schlimm ist es bei euch da draußen?“

„Jetzt ist hoffentlich erst einmal für ein paar Stunden Ruhe. Vielleicht bis morgen früh, dann marschieren wir weiter. Es ist immer das Gleiche: Vorrücken, kämpfen, verrecken. Ich warte noch auf die Entscheidung des Oberkommandos“, stöhnte Frank.

„Friedrich hat ein Bild für dich gemalt“, antwortete Julia, bemüht, ihren Mann irgendwie aufzuheitern.

„Das ist schön. Wäre ich doch bei euch in Ivas“, flüsterte dieser leise und verzog traurig das Gesicht.

„Er hat dich als Ritter gemalt“, erklärte Julia.

„Wenn ich nur einer wäre …“, kam zurück.

„Er redet den ganzen Tag davon, dass du diesen Krieg gewinnen wirst. Manchmal geht er mir damit richtig auf die Nerven. Dann schreie ich ihn an, dass er endlich den Mund halten soll.“

„Ich werde hier gar nichts mehr gewinnen. Welchen Einfluss habe ich noch auf Atombomben oder diesen ganzen Irrsinn insgesamt? Ich bin auch nur ein Blatt in einem immer größer werdenden Sturm, der die ganze Welt erfasst, Julia.“

„Du musst in erster Linie überleben, Frank. Das ist das einzig Wichtige – nur überleben! Pass ja auf dich auf, gehe kein Risiko ein, verstanden?“

„Ja, ich versuche jeden Tag aufs Neue, nicht drauf zu gehen. Und ich werde auch meine Männer nicht sinnlos in den Tod schicken, denn sie wollen eines Tages auch ihre Frauen und Kinder wiedersehen. Aber was kann ich schon tun? Es gerät alles immer mehr außer Kontrolle. Da hilft auch der tolle „Achilles von Weißrussland“ nichts mehr, der kann nämlich keine verdammten Atomraketen auffangen oder die Weltkugel anhalten“, murmelte Kohlhaas resignierend.

„Ich will auch keinen Achilles, sondern dich, meinen geliebten Frank“, erwiderte Julia.

„Ich weiß! Und ich bin es auch leid, diese Rolle immer noch spielen zu müssen …“

„Es waren wieder einige Berichte und Reportagen über dich im russischen Fernsehen. Tschistokjows Propaganda erwähnt dich ständig als leuchtendes Beispiel des Heldentums, um die Moral der Soldaten zu stärken“, bemerkte Wildens Tochter.

Frank lächelte gequält. „Dieses ganze Gequatsche kenne ich zur Genüge. Mir wird schlecht, wenn ich es höre. Ich habe manchmal Angst, dass ich irgendwann den Verstand verliere und mir einfach eine Kugel durch den Kopf jage, auf dass ich endlich Frieden finde. Ihr seid der einzige Grund, warum ich das noch nicht getan habe.“

„Das wirst du auf keinen Fall tun!“, herrschte ihn Julia wütend an. Frank schreckte vor ihrer schrillen, lauten Stimme zurück.

„Nein, das werde ich auch nicht“, sagte er. „Vielleicht tut es ja dafür bald ein anderer oder die knallen uns noch ein Bömbchen auf den Kopf.“

„Hör jetzt auf damit, Frank! So einen Unsinn will ich nicht hören! Dieser elende Krieg verlangt auch mir alles ab. Ich kann seit Wochen nicht mehr richtig schlafen und es wird immer schlimmer. Wir können nur siegen – es gibt keinen anderen Ausweg!“, antwortete Julia.

„Jetzt fängst du auch noch damit an“, brummte Kohlhaas.

„Wir müssen durchhalten und wir werden siegen! Glaube an Artur Tschistokjow und die Kraft unserer Armee! Wir sind das Licht! Gott ist auf unserer Seite!“, predigte die junge Frau, wobei sie sich regelrecht fanatisch anhörte.

„Wenn du das sagst, Hasi …“, antwortete Frank und musste plötzlich schmunzeln.

„Ich weiß, dass ich wie die übliche Kriegspropaganda klinge, aber das ist eben so. Du musst durchhalten und die Nerven behalten, Frank! Kein Zurückweichen! Durchhalten bis zu unserem Sieg!“, rief Julia mit bebender Stimme.

„Warum musste ich mich ausgerechnet in die Tochter von Thorsten Wilden verlieben?“, sagte der General, um dann leise zu lachen.

„Eine bessere Wahl hättest du gar nicht treffen können! Jetzt hast du sogar eine persönliche Motivationstrainerin, Schnucki!“, erwiderte Julia.

Die 12 Weisen des obersten Rates der internationalen Bruderschaft hatten sich heute auf einem Landgut, fernab von neugierigen Blicken und jeder Zivilisation, an der amerikanischen Ostküste getroffen, um das weitere Vorgehen in diesem Krieg zu besprechen. Artur Tschistokjows atomarer Gegenangriff und die vollständige Zerstörung Londons, eines ihrer ältesten und wichtigsten Zentren, hatte die hohen Herren nachhaltiger schockiert als sie es sich gegenseitig eingestehen wollten. Der überraschende Atomschlag gegen die ehemalige Hauptstadt Englands hatte Tausenden der ihren den Tod gebracht und von einem der wichtigsten Knotenpunkte der Organisation nur noch eine verstrahlte Ruinenlandschaft übrig gelassen. Der Weltpräsident, wie auch der Vorsitzende des Rates, schwankten noch immer zwischen rasender Wut und einer sich langsam ausbreitenden Unsicherheit.

„Er zögert nicht, genauso rücksichtslos wie wir selbst zuzuschlagen! Das wissen wir jetzt! Folglich wird das ein Kampf bis aufs Messer werden!“, grollte das Oberhaupt des Weltverbundes, seine Mitbrüder mit finsterem Blick anstarrend.

„Das ist wohl wahr. Auch der Atombombenangriff auf Berlin hat diesen Hund nicht gestoppt. Zudem hat er uns mit der Zerstörung Londons gewaltigen Schaden zugefügt. Wir haben ein paar wichtige Zentren auf der Welt, die wir keinesfalls verlieren dürfen – London war eines davon!“, sagte der Vorsitzende des Rates.

„Einige Mitglieder meiner Sippe sind tot! Das hat dieser Bastard nicht umsonst getan! Wir müssen uns rächen! Diesmal mit einem Vernichtungsschlag, der ganz Russland in ein brennendes Gräberfeld verwandelt!“, schrie der Weltpräsident und hämmerte mit der Faust auf den Konferenztisch.

„Schon gut!“, herrschte ihn der oberste Weise an, wobei er keine Miene verzog. „Wir müssen uns den nächsten Schritt in Ruhe überlegen, damit wir keine Fehler machen. Außerdem wissen wir nicht, wie stark Tschistokjows Atommacht wirklich ist. Er weiß, wo unsere wichtigsten Stützpunkte sind und wird diese als nächstes mit seinen Atomraketen vernichten, wenn wir ihn erneut angreifen.“

Einige der Anwesenden redeten laut durcheinander, während der Weltpräsident einen regelrechten Wutanfall bekam. Zornig rannte er durch den Raum und fauchte: „Wir haben wesentlich mehr Atombomben als Tschistokjow und Matsumoto zusammen! Ich verlange einen nuklearen Rachefeldzug gegen diese Hurensöhne! Das vergossene Blut der Unseren muss mit einem noch viel größeren Blutbad vergolten werden! Auge um Auge! Zahn um Zahn! Worauf warten wir noch?“

Der Vorsitzende des Rates der 13 winkte ab. Dann stand er von seinem Platz auf. Er breitete die Arme aus, um mit ruhiger Stimme zu bemerken: „Die Zerstörung Londons hat auch mich erschüttert, aber das darf uns nicht zu unüberlegten Kurzschlussreaktionen verleiten. Wir wissen allerdings jetzt, dass unsere Feinde ebenfalls zu allem entschlossen sind. Trotzdem werden wir sie auf Dauer auch mit konventionellen Mitteln in die Knie zwingen können.

Einen flächendeckenden Großangriff mit Atomwaffen halte ich derzeit für übertrieben und unklug. Außerdem können wir die Stärke des Gegenschlages nach wie vor nicht genau einschätzen.“

„Sollen wir etwa zögerlich reagieren?“, wetterte der Weltpräsident und war noch immer außer sich vor Wut.

„Nein, wir reagieren niemals zögerlich, Bruder! Wir reagieren lediglich schlau – ganz wie es unsere Art ist. Die Rache wird noch folgen und sie wird unvorstellbar grausam sein. Aber ich befehle hiermit, dass wir zunächst abwarten und unsere Nuklearwaffen in der Hinterhand behalten. Die Zeit ist noch nicht reif für einen ausgewachsenen Atomkrieg. Außerdem sind unsere Zentren auch nicht unverwundbar. Deshalb werden wir so vorgehen, wie wir es zu Beginn dieses Krieges beschlossen haben. Wo wir Tschistokjow und Matsumoto mit konventionellen Mitteln aufhalten können, werden wir keine Atomwaffen einsetzen. Um unser selbst willen.“

Der Weltpräsident stieß ein lautes Schnaufen aus, fluchte und ließ sich schließlich wieder auf seinem Platz nieder. Einige der anderen Ratsmitglieder wollten sich noch zu Wort melden, doch der oberste Weise befahl ihnen zu schweigen.

Letztendlich konnte sich das Oberhaupt des Weltverbundes jedoch nicht zurückhalten und schnaubte: „Wollen wir jetzt etwa anfangen, Rücksicht auf die armen, armen Menschen zu nehmen?“

Der Vorsitzende des Rates kniff die Augen verärgert zusammen; drohend hob er den Zeigefinger und maßregelte seinen Stellvertreter. „Nein, natürlich nicht. Eine kluge Taktik führt aber zum Ziel, nicht geistlose Raserei. Wenn wir die Knochen unserer Feinde gebrochen haben und sie am Boden liegen, dann werden wir ihnen einen langsamen, qualvollen Tod bereiten.“

Es war in den letzten Wochen, von ein paar Scharmützeln abgesehen, recht ruhig geblieben. Die Volkarmee der Rus und die Warägergarde hatten sich im Osten Deutschlands auf breiter Front eingegraben und waren nicht mehr weiter vorgerückt. Derzeit herrschte, zumindest in dieser Region, eine gespenstische Ruhe. Im Süden Russlands und an vielen anderen Orten der Welt tobten die Kämpfe jedoch unbeirrt weiter. Der sich aufblähende Weltkrieg verschlang mit jedem weiteren Tag mehr und mehr Menschen.

In der Barentssee lieferten sich die Kriegsschiffe und U-Boote des Nationenbundes schwere Gefechte mit den Seestreitkräften des Weltverbundes, während die schon stark dezimierte japanische Flotte den Gegner im ostchinesischen Meer zurückzudrängen versuchte. Erbitterte Luftschlachten tobten zugleich über den russischen Weiten, denn die GCF hatte damit begonnen, immer verheerendere Bombenangriffe auf die russischen Städte zu fliegen.

Frank und die von ihm befehligten Soldaten lagerten inzwischen nahe der sächsischen Stadt Meißen. Dort verharrten sie und verhielten sich zunächst ruhig. Einige andere Verbände der Warägergarde, die General Kohlhaas direkt unterstellt waren, hatten sich hingegen weiter nördlich eingegraben, um dort die Frontlinie der Volksarmee zu verstärken.

Mittlerweile war es sehr heiß geworden, die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel herab. Frank hatte seinen Unterstand schon den ganzen Tag lang nicht verlassen. Er hockte in einer dunklen, kühlen Ecke und wartete ab, genau wie die anderen Offiziere, die mit ihm in diesem Loch hausen mussten. Soeben hatte er noch eine kurze Nachricht von Alf, dem es wieder besser ging, erhalten. Doch auch das konnte Franks Laune nicht merklich steigern.

Um den Deutschen herum saßen oder lagen seine russischen Kameraden in dem halbdunklen, mit einem langen Schützengraben verbundenen Unterstand. Die Russen unterhielten sich leise, ihre Stimmen hörten sich für Frank nach einer Weile wie ein unterschwelliges Brummeln im Hintergrund an. Der General kauerte schweigend in einer Ecke und starrte auf den Boden. Plötzlich kam einer der Offiziere zu ihm herüber und überreichte ihm einen Datenträger mit Anweisungen des Oberkommandos.

„Ich danke Ihnen, Major Merkin!“, sagte Kohlhaas, er versuchte zu lächeln.

„Machen Sie doch nicht so ein trauriges Gesicht, Herr General. Die nächste Weihnachtsfeier halten wir bestimmt schon an der Atlantikküste ab“, bemerkte einer der Russen.

„Oder wir schauen uns bald die Welt vom Himmel aus an“, meinte Frank. Ein zynisches Grinsen folgte.

„Oder wir sitzen neben dem Teufel und trinken eine Pulle Wodka in der Hölle“, gab der Offizier zurück, während die anderen lachten.

Daraufhin schwiegen sie alle wieder, bis einer der Soldaten auf einmal anfing zu singen. Er sang ein altes, russisches Volkslied und Frank spitzte die Ohren, um den mit rauer Stimme vorgetragenen Text zu verstehen. Das Lied handelte davon, wie schön Russlands Wälder im Frühling sind. Schließlich begann auch Frank die Melodie leise zu summen und vergaß für eine Weile, dass er sich in einem Schützengraben irgendwo an der Front befand. Draußen begann es derweil zu regnen und es wurde schlagartig kälter.

Bis Ende Juni blieben die Soldaten beider Seiten noch in ihren Stellungen und warteten ab, während eine drückende Sommerhitze über Sachsen herfiel. Schließlich versuchte die Volksarmee der Rus über Döbeln und Grimma nach Leipzig vorzustoßen, wo sich der Gegner bereits in Position gebracht hatte. Immer mehr GCF-Soldaten trafen indes auch im Ostteil des Verwaltungssektors Europa-Mitte ein, wo sie eine breite Abwehrfront bildeten, die durch zahlreiche Panzer und Geschütze verstärkt wurde. Die Verluste der Volksarmee hatten sich mittlerweile stark erhöht, genau wie der ständig wachsende Widerstand des Gegners.

In Ostasien waren die Japaner ihrerseits mit über 1 Million Soldaten zu einer Großoffensive in der Mandschurei übergegangen und versuchten, die sich dort formierenden GCF-Truppen so lange wie möglich aufzuhalten und auf dem Festland zu binden. Von diesem kühnen Vorstoß erhoffte sich Präsident Matsumoto, dass er ein wenig mehr Zeit gewinnen konnte, um sein Inselreich weiter zu befestigen und vor allem gegen eventuelle Atombombenangriffe zu schützen. Doch das extrem dicht besiedelte Japan war nur schwer gegen Nuklearschläge abzusichern; eine geringe Menge von Atombomben reichte bereits aus, um auf einen Streich Abermillionen Menschen zu töten. Dafür musste man nur die übervölkerten Ballungszentren im Herzen der Insel treffen.

Längst war das japanische Volk von einer entsetzlichen Panik ergriffen worden. Seit dem Tag, als es gehört hatte, dass Artur Tschistokjow dem Weltverbund ebenfalls mit seinen Atombomben geantwortet hatte, regierte die Furcht. Ununterbrochen wurden jetzt Evakuierungs- und Umsiedlungspläne in die Tat umgesetzt, was nichts daran änderte, dass Japan einfach zu klein und zu sehr mit Menschen überlaufen war, dass sich diese im Falle eines Atomschlages allzu erfolgreich verstecken konnten.

Währenddessen rückten auch die über den Balkan und Italien kommenden GCF-Verbände nach Norden vor, um in der Slowakei und Polen eine neue Front gegen die Volksarmee zu eröffnen. Unter den hier versammelten Soldaten der Global Control Force befanden sich Hunderttausende von Afrikanern und Arabern, die den Einberufsbefehlen der Weltregierung oft nur widerwillig gefolgt waren und keine sonderlich gute Disziplin aufwiesen. Allerdings waren sie zahlreich. Aus Sicht der Weltregierung stellten sie entbehrliches Kanonenfutter dar. Am 06. Juli bombardierte die Luftwaffe der internationalen Streitkräfte Bratislava und zerstörte die Infrastruktur der slowakischen Großstadt. Einige Divisionen der Volksarmee wurden daraufhin in den Süden der Slowakei verlegt, um dort die Stellung zu halten.

So wuchs der Weltkrieg mit jeder fortschreitenden Woche zu einem immer größeren Moloch heran. Bisher unbeteiligte Regionen wurden samt ihren unglücklichen Bewohnern von seinen Klauen ergriffen und in riesige Schlachtfelder verwandelt.

Frank und seine Männer lagen mittlerweile vor Eilenburg in Sachsen, das in den letzten Tagen von der GCF besetzt worden war. Am feindlichen Widerstand bissen sich die Waräger und Volksarmisten die Zähne aus, während die Stadt mit jedem weiteren Tag mehr zu einer Ruinenlandschaft wurde.

Aber alle waren in diesen finsteren Tagen zumindest darüber froh, dass keine Atombomben vom Himmel kamen. Die nukleare Vernichtung Berlins und Londons saß den Menschen noch immer tief in den Knochen und sie rechneten jeden Tag damit, dass das gegenseitige Bombardieren mit Kernwaffen fortgesetzt wurde. Doch zunächst verzichteten sowohl die Weltregierung als auch der Nationenbund auf den Einsatz der gefürchteten Massenvernichtungswaffen, die ganze Städte mitsamt ihren Bewohnern, ihren historischen Gebäuden und allen wundervollen Kulturdenkmälern auf einen Schlag ausradieren konnten.

Artur Tschistokjows Gesicht erfüllte den Fernsehbildschirm und der russische Präsident blickte mit ernster Miene in die Kamera. Er saß an einem schmucklosen Schreibtisch in einem hell ausgeleuchteten Raum. Hinter ihm schmückte eine Drachenkopffahne die graue Betonwand des Atombunkers. Heute sprach der Präsident erneut zum russischen Volk. Er wirkte, obwohl man ihn so gut es ging zurechtgemacht hatte, traurig und erschöpft.

„Meine lieben Landsleute! Die Mächte des Hasses und der Menschheitszerstörung haben unser tapferes Volk inzwischen in einen schrecklichen Krieg gedrängt und versuchen mit allen Mitteln, den Nationenbund zu vernichten. Ihr satanischer Groll gegen alles Schöne und Gute hat sie einmal mehr dazu verleitet, auch mit den unmenschlichsten und furchtbarsten Waffen gegen die Menschen Russlands vorzugehen. Wo ihre Sklavenhorden plündernd und mordend durch die Lande ziehen, da hinterlassen sie Zerstörung, Chaos und Leid. Gehetzt von den knallenden Peitschen ihrer Herren, rennen sie gegen unsere Abwehrfronten an, um in unsere Städte, Dörfer und Landschaften einzudringen. Diese Bestien in Menschengestalt, die unsere Frauen vergewaltigen und unsere Kinder erschlagen, kennen nur ein Ziel: Die völlige Vernichtung von allem, was uns lieb und teuer ist.

Derweil versuchen unsere tapferen Soldaten mit aller Kraft, dem Ansturm des Bösen stand zu halten. Sie setzen ihr Leben in blutigen Schlachten an unzähligen Orten ein, um unser geliebtes Volk vor dem Untergang zu bewahren. Die atomare Zerstörung Berlins durch unsere Feinde, die Kinder des Teufels, hat mir wieder einmal vor Augen geführt, dass diese geborenen Verbrecher nur mit rücksichtsloser Entschlossenheit und den gleichen brutalen Mitteln aufgehalten werden können. Ihr Hass auf jedes Volk, das lediglich seine Freiheit beansprucht, kennt keine Grenzen. Ihnen ist jede Teufelei recht, um die Menschheit für immer in eine Hölle aus Zerfall und ewiger Sklaverei zu treiben.

Ich bin in diesen Stunden bei euch, meine russischen Brüder und Schwestern. Ich fühle mit euch und weiß, was viele von euch zu erdulden haben. Ich denke an jeden unserer tapferen Soldaten an der Front, an jede russische Frau und jedes russische Kind, das versucht, den Klauen der Völkermörder zu entkommen.

Ich selbst kämpfe nunmehr seit vielen Jahren gegen die Logenbrüder, diese internationale Verbrecherorganisation aus Kriegstreibern und Menschenschindern. Ich selbst kenne das furchtbare Leid, all die Entbehrungen, die der Kampf gegen unsere Feinde beinhaltet. Doch sie sollen wissen, dass sie unseren Willen nicht brechen können. Selbst wenn sie ihre grausamen Sklavenhorden auf unser Volk hetzen oder Millionen unschuldige Menschen mit Atombomben ermorden.

Meine geliebten Brüder und Schwestern, geliebtes russisches Volk, es gibt nun kein Zurück mehr in diesem Krieg, der das Schicksal der Menschheit wie kein zweiter bestimmen wird. Ich habe immer an unseren Sieg geglaubt und ich habe auch jetzt keinen Zweifel daran, dass wir die Krake, die die Welt zu erwürgen droht, am Ende doch erschlagen werden. Dafür müssen wir jedoch alle wie eine unzerbrechliche Mauer hinter unseren kämpfenden Truppen stehen. Dafür müssen wir aber unsere Herzen mit dem unzerstörbaren Glauben an den Sieg …“

Julia schaltete den Fernseher aus und verließ das Wohnzimmer. Sie ging ins Kinderzimmer, wo sie der kleine Friedrich mit nachdenklichem Blick erwartete.

„Hast du dir wieder Onkel Artur im Fernsehen angesehen, Mama?“, fragte der Junge. Er sah zu seiner Mutter auf.

„Ja, der ist ständig im Fernsehen. Allerdings muss ich ihn auch nicht den ganzen Tag hören oder sehen“, antwortete Julia genervt.

„Papa ist Arturs bester Soldat, oder?“

„Keine Ahnung, Friedrich! Ich wünschte, er wäre überhaupt kein Soldat.“

„In der Grundschule hat uns Herr Kalita einmal gesagt, dass Papa uns alle vor den bösen Leuten gerettet hat. Stimmt das?“

Julia stöhnte auf, sie strich Friedrich über den Kopf. „Kann schon sein. Papa rettet immer alle vor irgendwelchen bösen Leuten …“

„Und jetzt haben die bösen Leute die Stadt zerstört, aus der Papa kommt, oder?“

„Mit solchen Dingen solltest du dich gar nicht beschäftigen, Friedrich. Lies doch noch ein Buch oder male ein Bild“, murmelte Julia. Sie ging zum Fenster.

„Aber die Leute in der Stadt, aus der Papa kommt, hat er nicht retten können, oder?“, bohrte der Junge nach.

Die Tochter des Außenministers drehte sich wieder um und sah ihren Sohn mit traurigen Augen an. Für einen Moment fehlten ihr die Worte, doch dann sagte sie: „Es reicht jetzt, Friedrich! Ich will nichts mehr davon hören, verstanden?“

General Kohlhaas hatte seinen Truppen befohlen, sich wieder von Eilenburg abzuwenden, da der Widerstand der GCF zu groß war und der Feind weitere Verstärkungen erhalten hatte. Jetzt galt es, Riesa zu halten, wo sie die Bevölkerung zuvor mit lautem Jubelgeschrei begrüßt hatte. Tausende von Warägern hatten sich inzwischen rund um die Stadt eingegraben und versuchten, den vorrückenden Feind aufzuhalten. Bisher war es lediglich die Vorhut der noch kommenden Hauptstreitmacht der GCF, doch diese war schon groß genug.

Zuerst brachten die Truppen des Weltverbundes ihre Artillerie in Stellung; dann begannen sie sofort damit, Riesa zu beschießen. Neben gewöhnlichen Geschossen wurden die Waräger auch mit einem Hagel aus Giftgasgranaten eingedeckt, um sie aus ihren Stellungen zu treiben. Das mörderische Trommelfeuer dauerte mehrere Stunden und kostete vielen Soldaten das Leben.

Schließlich folgte ein feindlicher Panzer- und Infanterieangriff. Frank und seine Waräger empfingen die vorrückenden GCF-Verbände mit einem wütenden Sperrfeuer, während sich die mit Plasmawerfern ausgerüsteten Männer ausschließlich den Panzern widmeten. Dieser erste Angriff dauerte bis tief in die Nacht hinein, doch es gelang den Verteidigern, Riesa unter großen Verlusten zu halten. Irgendwann zogen sich die GCF-Soldaten wieder zurück, um am nächsten Tag zur Mittagsstunde einen weiteren Sturmangriff zu starten.

So ging es eine ganze Woche lang. Bald waren große Teile der Stadt von der feindlichen Artillerie in Stücke geschossen worden und noch immer prasselten Schauer aus Giftgasgranaten vom Himmel herab, die unter den Warägern und der Zivilbevölkerung furchtbare Opfer forderten.

Schließlich befahl Frank einen Ausfall und schickte einige motorisierte Trupps los, um die feindlichen Geschütze zu zerstören. Die kühne Aktion gelang, wobei erneut viele Elitesoldaten des Nationenbundes den Tod fanden. Wenig später traf die von Frank angeforderte Verstärkung in Form einiger Volksarmeeverbände ein und die Stellungen konnten verstärkt werden.

Doch der Gegner hatte sich inzwischen geschickt um die Stadt herum positioniert und ebenfalls weiteren Nachschub erhalten. Die Sturmangriffe, Ausfälle und Häuserkämpfe rund um Riesa gingen ohne Pause weiter, wobei keine Seite die Oberhand gewinnen konnte. Nach einer weiteren Woche voller erbitterter Feuergefechte, versammelten sich die GCF-Soldaten schließlich zur großen, alles entscheidenden Attacke.

Grabenkämpfe

Diesmal waren es Tausende. Ganze Schwärme feindlicher Soldaten rückten im Morgengrauen in Richtung Riesa vor; im Schutz der Panzer versuchten sie, näher an die Stellungen der Volksarmisten und Waräger heranzukommen. Um Frank herum war ein ohrenbetäubendes Getöse ausgebrochen. Schwere Maschinengewehre ratterten ununterbrochen und glühende Plasmabälle rasten den gegnerischen Panzern entgegen.

General Kohlhaas brüllte pausenlos in sein Funkgerät und bemühte sich, das Abwehrfeuer seiner Männer so gut es ging zu koordinieren. Diese Dinge waren den Warägern bereits in der Grundausbildung bis zum Exzess eingepaukt worden. Mittlerweile beherrschten sie sie perfekt.

„Plasmawerfer schießen auf die Panzer in W-5! Sperrfeuer auf das Gebiet zwischen Wald und Landstraße! Planquadrat W-9!“, schrie Kohlhaas so laut er konnte.

Die schweren Maschinengewehre der Waräger schossen einen vorstürmenden Trupp GCF-Soldaten in einigen hundert Metern Entfernung zusammen, während konzentriertes Plasmafeuer fünf feindliche Panzer zerstörte.

„Passt auf V-6 auf! Da kommt eine ganze Horde!“, warnte Frank seine Soldaten. Nur Sekunden später wurde das Abwehrfeuer auf ein anderes Ziel umgeleitet.

Zahlreiche GCF-Soldaten brachen daraufhin schreiend zusammen, doch aus dem Hintergrund kamen bereits die nächsten feindlichen Trupps. Irgendwann waren es so viele, dass die wie wild feuernden Volksarmisten und Waräger immer mehr Probleme hatten, den Feind niederzuhalten.

„Granatenwerfer bereithalten!“, brüllte Frank nervös, während die feindliche Infanterie näher kam.

Einige Minuten später schlugen Granaten zwischen den Gegnern ein, Dutzende von ihnen zerfetzend. Dem Granatenwerferbeschuss folgte ein weiterer Kugelhagel aus Pika Sturmgewehren und schweren Stand-MGs.

„Wartet kurz! Lasst sie näher herankommen!“, befahl Kohlhaas.

Die GCF-Soldaten schossen indes selbst mit allem, was sie hatten, zurück. Es gelang ihnen, einige Stellungen der Volksarmisten zu erreichen und diese in einem brutalen Hauen, Schießen und Stechen einzunehmen. Brüllend stürmten sie weiter vorwärts, um mitten in das perfekt koordinierte Abwehrfeuer der Warägergarde hinein zu rennen.

„Warten!“, brüllte Frank in sein Funkgerät und konnte aufgrund des Lärms kaum noch sein eigenes Wort verstehen.

Bald hatte der größte Teil der GCF-Soldaten die Schützengräben der Waräger schon fast erreicht und es hagelte Handgranaten. Dann griffen die Feinde auf breiter Front an; sie wollten die Stellungen der Rus im Sturm erobern.

„Jetzt!“, gellte Kohlhaas.

Zwischen einigen Häuserruinen wurden mehrere Transportpanzer sichtbar. Die schwarzgrauen Fahrzeuge rasten los, umfuhren die Masse der gegnerischen Infanterie an der Flanke und donnerten mit ununterbrochen hämmernden Maschinenkanonen auf die GCF-Soldaten zu. Dann spuckten sie auf einen Schlag mehrere Trupps Warägergardisten in schweren Ferroplastinrüstungen aus.

„Gegenangriff!“, ordnete Frank an.

Seine Männer sprangen aus den Gräben und stürmten wild um sich schießend auf die durch den unerwarteten Flankenangriff in Unordnung geratenen Feinde zu. Innerhalb von Minuten war die Verwirrung in den Reihen der Gegner so groß, dass viele der feindlichen Soldaten die Nerven verloren und sich zur Flucht wandten. Die motorisierten Verbände der Warägergarde und die ungestüm gewordene Infanterie setzten ihnen nach und massakrierten so viele, wie sie erwischen konnten.

Ein feindlicher Panzervorstoß konnte wenig später noch einmal vom Abwehrfeuer der Plasmawaffen zurückgeschlagen werden. Dennoch dauerte die Schlacht noch mehrere Stunden, was nichts daran änderte, dass der feindliche Großangriff auf Riesa am Ende fehlgeschlagen war.

Auch die anderen Stadtteile hatten erfolgreich verteidigt werden können, wenn auch unter großen Verlusten. Nun jedoch waren die Rus am Zug und unternahmen in der folgenden Nacht selbst eine Gegenoffensive. Nach weiteren heftigen Kämpfen musste sich die GCF schließlich einige Kilometer nach Westen zurückziehen, um erst einmal auf Verstärkung zu warten.

General Kohlhaas und seine Männer jubelten. Doch die Freude über diesen im Grunde unbedeutenden Sieg währte nicht lange, denn das Oberkommando gab den Befehl, so schnell wie möglich nach Leipzig vorzurücken. Dort bahnte sich ein Volksaufstand an.

Der Anführer der Freiheitsbewegung lief aufgeregt durch sein grell erleuchtetes Büro im untersten Geschoss des Atombunkers. Diesmal war nur Außenminister Wilden bei ihm. Der Deutsche hörte den endlosen Vorträgen des russischen Staatsoberhauptes bereits seit Stunden zu. Was er ansonsten selbst gerne in aller Ausgiebigkeit praktizierte, nämlich seinen Mitmenschen die Welt zu erklären, übernahm heute Artur Tschistokjow.

„Bevor sich unsere Feinde der Menschheit offen als Tyrannen gezeigt haben, vertraten sie zum Schein die genau gegenteiligen Thesen, um die Völker der Erde zu verwirren. Sie waren immer die Ersten, die nach „Freiheit“, „Gleichheit“, „Demokratie“ und so weiter geschrieen haben. Und während sie ihre Heucheleien hinausposaunten, haben sie sich neben dem Finanzwesen vor allem auch die Medien unter den Nagel gerissen. Wie töricht und naiv waren unsere Vorfahren, dass sie so etwas zuließen.

Nach außen hin redeten die Logenbrüder von einer angeblich „freien Presse“, doch kontrollierten sie die Macht der Medien im Hintergrund mit aller Entschlossenheit. Es kam der Tag, da waren die großen Zeitungen und Fernsehsender allesamt in ihrer Gewalt.

Die alten Staaten gaben die Medien, als wichtigste Instrumente der Massenbeeinflussung, in ihrer Dummheit aus den Händen. Schließlich gehörten sie irgendwann ihren Feinden, dienten ihren Plänen, säten Zweitracht unter den Völkern und manipulierten die Massen so, wie es die Logenbrüder für nötig erachteten.

Wir aber sind von Anfang an ehrlich gewesen! In den von uns beherrschten Gebieten dient jede Zeitung und jeder Fernseh- oder Radiosender unserem Kampf! Sie sind Eigentum unseres Staates, predigen nur und ohne Ausnahme unsere Weltanschauung! Wir haben sie dem Feind aus den Klauen gerissen, der sie als Werkzeuge der Geistesvergiftung für seine Zwecke missbraucht hat. Nun gehören sie uns und sind unsere Waffen in diesem Glaubensweltkrieg.

Alle unsere Medien haben nur ein Ziel, auch wenn sie von der Art und Weise, wie sie es tun, manchmal unterschiedlich vorgehen: Sie impfen das geistige Gegengift in den Kopf unseres Volkes! Nie wieder werden wir sie aus den Händen geben! Sie sind die Artillerie des gesprochenen und geschriebenen Wortes, die an vorderster Front mithilft, den Weltfeind zu vernichten!“

Wilden schmunzelte, denn diese Dinge wusste er selbst nur zu gut. „Alles andere wäre dumm und hätte uns schon längst das Genick gebrochen.“

Artur Tschistokjow wechselte ins Deutsche und erwiderte: „Daran es gibt keine Zweifel, mein Freund. Eine andere Form von Widerstand, als wie wir ihn machen, ist einfach gar nicht möglich, verstehst du? Dafür der Feind ist viel zu gefährlich und hat zu großen Macht. Wir mussten eine Bewegung machen, die aufgebaut ist wie ein Armee.“

„Heute wirkst du jedenfalls etwas entspannter als in den letzten Tagen, Artur. Das freut mich“, bemerkte Wilden.

Der blonde Russe versuchte zu lächeln. Er nickte, um sich dann auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch zu setzen.

„Den ganzen Tag ich mache nichts anderes als nur auf die Karte der Welt schauen. Kämpfen hier und überall. Es ist eine Qual für meine Nerven“, gestand Tschistokjow.

„Es ist für uns alle ein Graus!“, antwortete der grauhaarige Deutsche und stieß einen leisen Seufzer aus.

„Graus? Was ist das?“, wunderte sich Tschistokjow.

„So etwas wie „Qual“. Es ist schrecklich“, erklärte Wilden schmunzelnd.

Der Anführer der Rus sank hinter dem Schreibtisch zusammen und sagte für einen Moment nichts. Schließlich nahm er eine Flasche Limonade in die Hand und füllte sein Glas.

„Ich will eigentlich seit Jahren wieder anfangen, mein Deutsch zu verbessern, aber mir fehlt einfach die Zeit. Ich lese kaum noch ein Buch und gönne mir überhaupt nichts mehr. Ich habe einfach für nichts mehr Zeit – und schon gar nicht für eine Frau oder gar eine Familie. Es ist ein trostloses Leben“, murmelte Tschistokjow auf Russisch, Wilden traurig ansehend.

„Die großen Werke der Weltliteratur können wir erst wieder genießen, wenn dieser Krieg vorbei ist. Vorher werden wir kaum eine Stunde Zeit für etwas Schönes haben“, meinte der Außenminister.

„Dieser Krieg! Wann wird er enden, Thorsten? Mir kommt es jetzt schon so vor, als würden wir ihn seit tausend Jahren führen. Ich kenne nur noch Wut, Hass und Rache. Hier unten mutiere ich zu einer tragischen Gestalt, zu einem Gespenst in den dunklen Gängen dieses verfluchten Atombunkers. Manchmal sehe ich mich im Spiegel an und frage mich, was aus Artur Tschistokjow, dem ehemals guten Menschen, inzwischen geworden ist.“

„Wir werden das schon überstehen“, versuchte Wilden seinen Gefährten zu beruhigen.

„Das Einzige, was mir noch Freude bereitet, sind die kleinen Gespräche, die wir beide führen. Mit dir kann ich offen sprechen, die anderen verstehen mich doch gar nicht. Jetzt, wo Peter tot ist, habe ich nur noch dich zum reden. Millionen Menschen befolgen meine Befehle, schauen zu mir auf, vergöttern und umgarnen mich – und doch bin ich immer allein“, sagte Tschistokjow.

„Es werden schon noch schönere Zeiten kommen“, antwortete Wilden nur, denn etwas Besseres fiel ihm in diesem Moment nicht ein.

Inzwischen befanden sich Frank und seine Waräger an einer anderen Front, diesmal kurz vor der sächsischen Stadt Leipzig. Es war wie immer: Vorrücken, eingraben, warten und am Ende angreifen.

Müde hockte Kohlhaas in einer Ecke seines Unterstandes, mit dem Rücken an einer großen Munitionskiste gelehnt. Er hatte die Augen geschlossen, versuchte an nichts zu denken. In einigen Tagen, vielleicht schon morgen, würden sie Leipzig angreifen. Erneut kämpfen, töten, fallen. Es war eine ermüdende Endlosschleife und Frank wurde bewusst, dass er Situationen wie diese schon unzählige Mal erlebt hatte. Die Stunden vor dem Beginn einer Offensive waren immer die schlimmsten.

Plötzlich schob jemand die feldgraue Plane, die den Eingang des Unterstandes verdeckte, langsam zur Seite und kam in die halbdunkle Höhle hinein. Es war ein Offizier der Warägergarde.

„Herr General, verzeihen Sie die Störung, aber ich sollte Sie doch immer auf dem Laufenden halten, was der Junge macht“, sagte der Russe.

„Wovon sprechen Sie?“, brummte Frank.

„Von Pjotr Balkov!“, antwortete der Offizier kleinlaut.

Kohlhaas stand auf und ging einige Schritte auf ihn zu. „Balkov? Was ist mit ihm?“

„Sie haben mich einmal gebeten, dass ich Sie immer informieren soll, was er macht, Herr General.“

„Was macht er denn? Ich habe seit Wochen nichts mehr von ihm gehört. An welcher Front ist er denn jetzt?“, bohrte Frank nach. Langsam wurde er ungeduldig.

„An keiner Front … ich meine …“

„Drücken Sie sich klar aus!“, murrte Frank.

„Der Junge ist leider verstoben. Es ist inzwischen offiziell. Er ist beim Atombombenabwurf auf Berlin getötet worden“, erklärte der Russe und überreichte Frank eine endlos erscheinende Liste mit Namen von Gefallenen.

Frank zuckte zusammen, er nahm den dicken Stapel Papiere entgegen.

„Es ist auf Seite 278. Ich habe seinen Namen rot markiert, wie Sie sehen können, Herr General. Es sind alle Verluste der Waräger Sturmdivisionen im Frontabschnitt 14 bis 19 vermerkt worden und …“

Kohlhaas herrschte ihn an, den Mund zu halten. Kurz darauf fand er die rot markierte Stelle am unteren Ende der besagten Seite.

„Die Verluste der Volksarmee sind allerdings von einer anderen Dienststelle bearbeitet worden, aufgrund der …“, erklärte der Offizier.

„Halten Sie den Mund!“, schrie ihn Frank an. „Verschwinden Sie! Sofort!“

„Es tut mir sehr Leid, Herr General!“

„Raus!“

Kaum hatte der Waräger den Unterstand wieder verlassen, da schleuderte Frank den Stapel Papiere wie eine Giftspinne von sich und trat gegen einen Plastikstuhl.

„Zur Hölle mit dieser ganzen Scheiße!“, flüsterte er und hielt sich den Kopf.

Es dauerte nur noch Sekunden, dann konnte Frank seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Leise weinend setzte er sich in eine dunkle Ecke. Jetzt wusste er es endlich. Auch der sympathische, junge Pjotr, dessen Leben Frank im russischen Bürgerkrieg gerettet hatte, war von diesem Krieg verschlungen worden.

In diesem Moment wurde dem General wieder einmal klar, dass Gott, wenn er denn überhaupt existierte, niemanden beschützte oder liebte. Er hatte die Menschen wohl schon lange verlassen und den Blick von seiner Schöpfung abgewandt. Vielleicht schaute er aber auch zu, als zynischer Voyeur, der die kleinen Kreaturen, die er geschaffen hatte, mit kaltem Blick beim Sterben betrachtete.

Seit Tagen versuchte die GCF, die immer wütender und aufsässiger werdenden Bewohner von Leipzig im Zaum zu halten. Als diese von der herannahenden Volksarmee und den ihr folgenden deutschen Freiwilligenmilizen hörten, geriet die Situation endgültig außer Kontrolle. Bereits vor einer Woche war der oberste Stadtverwalter von Leipzig von einem Unbekannten vor dem Rathaus erschossen worden. Wenige Stunden später hatten mehrere Hundert mit Knüppeln, Äxten und Schusswaffen aller Art bewaffneten Männer Anstalten gemacht, das Gebäude zu besetzen. GCF-Soldaten und VVM-Männer hatten schließlich dazwischengeschossen und die Aufständischen in die Flucht geschlagen.

Nun, da die Bevölkerung Leipzigs wusste, dass die Volksarmee im Anmarsch war, versammelten sich Tausende von Menschen in der Innenstadt und protestierten zunächst friedlich gegen die Besatzungstruppen der Weltregierung. Doch das änderte sich innerhalb kürzester Zeit, denn die aus vielen Ländern nach Deutschland gebrachten GCF-Soldaten verloren angesichts der vorrückenden Truppen des Nationenbundes am Ende die Nerven und schossen erneut auf die Demonstranten.

Damit wurde ganz Leipzig ins Chaos gestürzt. Die ganze Nacht hindurch tobten Straßenschlachten und Unruhen in den Gassen. Schließlich gingen die Volksarmisten sofort zum Angriff über, um Leipzig so schnell wie möglich zu befreien.

„Wir müssen uns beeilen und die Stadt einnehmen, bevor weitere GCF-Truppen eintreffen!“, schärfte Frank seinen unter großem Zeitdruck vorrückenden Soldaten ein.

Diese griffen die feindlichen Verbände, die sich in Fuchshain und Großpösna verschanzt hatten, entschlossen an, nachdem die mobile Artillerie der Rus einige Straßenzüge mit heftigem Trommelfeuer eingeebnet hatte.

Die von Ludwig Orthmann angeführten deutschen Freiwilligenverbände hatten derweil Paunsdorf erreicht und befanden sich bereits in schweren Häuserkämpfen mit einigen VVM-Trupps.

Frank betrachtete den Bildschirm im Vorderteil seines Kommandopanzers. Ständig zeigten kleine Kameras, die an der Außenhülle des Tanks angebracht waren, neue Bilder und Eindrücke. Zudem wurden ununterbrochen Informationen und Außenaufnahmen von den anderen Transportpanzern, die überall Waräger an die Front brachten, übertragen.

Der General war bemüht, sich in diesem Chaos halbwegs zurechtzufinden und den Angriff so gut es ging zu koordinieren.

„Unsere Geschütze sollen die VVM-Stellungen in Holzhausen unter Feuer nehmen!“, befahl er und drehte sich zu einem Leutnant um.

„Wir sollten die VVMs generell gezielt mit unseren Panzern und Sturmtruppen angreifen. Die rennen schneller weg, wenn es ernst wird. So können wir die Abwehrfront des Feindes leichter aufreißen“, meinte der Russe. Frank nickte.

„Ja, eine gute Idee. Ich werde den Angriffsplan noch einmal modifizieren.“

Hunderte von grau uniformierten Volksarmisten und schwer gerüsteten Warägern rannten inzwischen gegen die gegnerischen Linien an und arbeiteten sich durch heftiges Sperrfeuer vor. Kohlhaas hatte derartige Sturmangriffe schon viele Mal erlebt, immer waren sie verlustreich und blutig. Doch es gab keine andere Möglichkeit, Leipzig einzunehmen. Außerdem musste es schnell gehen, bevor der Feind weitere Hilfe aus dem Hinterland bekam.

Schließlich dauerten die Gefechte bis zur Abenddämmerung und es gelang den Warägern, den Gegner zumindest aus Fuchshain zu vertreiben. Morgen würden sie versuchen, bis nach Großpösna vorzudringen, beschlossen Frank und die anderen Offiziere vor Ort. Wenn es überhaupt gelang, Leipzig im Sturm zu nehmen, dann nur unter großen Opfern, denn die GCF- und VVM-Soldaten hatten sich mittlerweile überall in gut geschützten Positionen verschanzt.

Doch in den frühen Morgenstunden des folgenden Tages ereignete sich etwas, womit niemand gerechnet hatte. In der tiefen Dunkelheit griffen mehrere Hundert Leipziger, die sich mit allem Möglichen bewaffnet hatten, die GCF-Soldaten und ihre Helfer von den VVM plötzlich von hinten an. Offenbar hatten die Aufständischen zuvor mit Ludwig Orthmann Kontakt aufgenommen und sich mit ihm abgesprochen.

Zunächst überfielen sie nur einige Stellungen, die mit unachtsamen VVM-Milizionären bemannt worden waren, und töteten die Männer im Schlaf. Dann rückten sie jedoch weiter durch die dunklen Gassen vor und attackierten in einer selbstmörderischen Aktion die überraschten Soldaten der Weltregierung. Laut brüllend fielen sie über die verwirrten Feinde mit Knüppeln, Äxten und Gewehren her, mit einer solchen Kühnheit angreifend, dass sie den GCF-Soldaten ernsthafte Probleme bereiteten.

Die Aufständischen schleuderten Handgranaten in die Gräben und Unterkünfte der oft noch schlafenden Feinde und metzelten jeden nieder, der sich nicht schnell genug verteidigen konnte. Und es wurden immer mehr. Zunächst waren es nur einige hundert Männer gewesen, doch als die Sonne aufging, waren es plötzlich Tausende.

Den vor der Stadt liegenden Volksarmisten blieb das in den Straßen Leipzigs ausgebrochene Chaos nicht verborgen und Frank befahl einen sofortigen Großangriff mit allen verfügbaren Truppen.

Innerhalb weniger Stunden schafften es die Volksarmisten und Waräger, bis in die Leipziger Innenstadt vorzudringen. Hier hatten die Aufständischen bereits sämtliche Feinde getötet oder in die Flucht geschlagen.

Zugleich strömten Zehntausende von Menschen auf die Straßen und gegen Abend brach ein regelrechter Volksaufstand aus. Während die restlichen GCF-Soldaten in stundenlangen Häuserkämpfen bis in den Westen Leipzigs zurückgedrängt werden konnten, wandte sich die Wut der Leipziger nun gegen jeden Diener der Weltregierung, der noch nicht geflohen war. Der Volksaufstand und die Straßenkämpfe im Leipziger Westen tobten weitere zwei Tage, dann hatten die GCF-Soldaten und ihre Helfer von den VVM die Stadt endgültig geräumt.

Etwa 500 Mitglieder der internationalen Logenorganisation hatten sich heute an einem geheimen Ort irgendwo im Gebiet des ehemaligen US-Bundesstaates Iowa getroffen, um wichtige Dinge zu besprechen und vor allem die Befehle des obersten Rates persönlich zu empfangen. Aus Sicherheitsgründen hatte man das Treffen, welches eigentlich in New York hatte stattfinden sollen, in diese unscheinbare, ländliche Region verlegt. Zahlreiche Logenbrüder aus England, Deutschland, Frankreich, dem Nahen Osten und vielen anderen Regionen der Welt waren nach Nordamerika gekommen, was für nicht wenige von ihnen nervenaufreibend und mühsam gewesen war.

Mittlerweile war das Lachen, das zu Beginn dieses Krieges noch auf vielen Gesichtern zu sehen gewesen war, aus denselben verschwunden, denn langsam wurde den Logenbrüdern klar, dass auch sie nicht unverwundbar waren. Vor allem die Zerstörung Londons saß den Mitgliedern der weltweiten Bruderschaft noch immer in den Knochen. Außerdem fürchteten sie, dass Tschistokjow oder Matsumoto eines Tages auch die anderen Zentren ihrer Macht vernichten könnten. Dass vor allem der Nationenbund der Rus ebenfalls zu allem bereit war, hatte Tschistokjow mittlerweile unter Beweis gestellt. Der eine oder andere Anwesende war aus Angst vor den ADR-Trupps bereits in den Verwaltungssektor „Amerika-Nord“ geflohen.

Doch der Rat der Weisen rief die untergeordneten Brüder immer wieder zur Ordnung, er duldete keine Feigheit vor dem Feind. So war es in den letzten Wochen bereits dazu gekommen, dass die GSA in den eigenen Reihen einige Exempel an pflichtvergessenen oder fahnenflüchtigen Mitgliedern der Organisation statuiert hatte.

Der Vorsitzende des obersten Rates, wie auch sein Stellvertreter, der Weltpräsident, fuhren inzwischen eine harte Linie gegen alle, die ihre Befehle missachteten. Nur so könne die Disziplin aufrecht erhalten werden, meinten sie.

„Meine lieben Brüder! Als oberster Weiser und Kopf unseres Bundes werde ich euch die Entscheidungen des Rates überbringen. Zunächst einmal gilt es aber, noch einmal einige grundliegende Dinge klar zu stellen. Es hat in den letzten Wochen ein paar Vorfälle in unseren Reihen gegeben, die mich sehr verärgert und auch besorgt haben. Einige wenige Mitglieder unserer Vereinigung haben tatsächlich die Frechheit besessen, den Rat der 13 zu bitten, mit Tschistokjow und Matsumoto ernsthafte Friedensgespräche zu beginnen. Vermutlich haben sie das aus Angst, dass sie morgen von ein paar ADR-Männern aus ihren schönen Villen geschleift werden und mit einem Genickschuss im Straßengraben enden könnten, getan. Der Rat hat allerdings reagiert und diesen elenden Feiglingen die wohlverdiente Quittung für derartige Unverschämtheiten überreicht. Was die ADR kann, das kann die GSA nämlich schon lange, und so haben wir diesen Verrätern demonstriert, dass sie nicht auf die ADR zu warten brauchen, um einen Genickschuss zu bekommen!“, donnerte der Vorsitzende des Rates.

„Dies soll allen Mitgliedern unserer Organisation eine Lehre sein. Feigheit und Verrat werden bestraft – gnadenlos! Bei zukünftigen Anfragen dieser Art wird der Rat nicht anders reagieren!“

Ein verhaltenes Klatschen ertönte. Einige der anwesenden Brüder starrten den obersten Weisen mit angstvollen Blicken an.

„Jetzt komme ich zu den Entscheidungen des Rates, die in ihrer Ausrichtung nach wie vor klar und unmissverständlich sind. Wir werden die Atombombenangriffe gegen den Nationenbund und Japan unbeirrt fortsetzen, denn wir haben das größere Arsenal an Kernwaffen. Unser nächstes Etappenziel ist die Zerschlagung des russisch-japanischen Bündnisses, wobei Matsumoto der Schwachpunkt dieser Allianz ist. Wenn wir sein dicht besiedeltes Land mit Nuklearwaffen angreifen, dann werden wir sehen, ob der edle Samurai noch weiter sein Schwert gegen uns schwingen wird.

Wenn er vor zehn oder zwanzig Millionen Toten und riesigen Ruinenlandschaften steht, dann werden wir herausfinden, ob er noch die Nerven hat, weiterzukämpfen. Da er sein Volk ja so sehr liebt und immer nur das Beste für Japan will, werden wir ihm jetzt einen Vernichtungsschlag präsentieren, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.“

Wieder ertönte Applaus, diesmal wirkte er jedoch lauter und zuversichtlicher. Die meisten der Anwesenden schienen sich sicher zu sein, dass der nächste Atombombenangriff Japan in die Knie zwingen würde.

„Und auch wenn Tschistokjow und Matsumoto dann noch immer nicht zermürbt sein sollten, haben wir noch eine Vielzahl weiter Atombomben für sie. Notfalls lassen wir von ihren Landschaften und Städten nur noch verbrannte Erde übrig“, rief der Vorsitzende des hohen Rates mit geballter Faust.

Die geheime Versammlung dauerte noch mehrere Stunden und am Ende war die Vorgehensweise unzweideutig festgelegt worden. Jetzt sollte es die Japaner treffen. In einer Weise, wie es sich Matsumoto in seinen kühnsten Alpträumen nicht vorstellen konnte.

Die Befreiung Leipzigs und der dort ausgebrochene Volksaufstand wurde von Tschistokjows Propaganda bis zum Exzess ausgeschlachtet.

„Deutschland erhebt sich gegen die Logenbrüder!“, titelten die großen Zeitungen des Nationenbundes und auch in Deutschland selbst wurde die Bevölkerung nun wesentlich kämpferischer und rebellischer.

„Das hatte ich unseren Landsleuten gar nicht mehr zugetraut. Offenbar sind doch noch ein paar darunter, die keine Feiglinge sind“, meinte Ludwig Orthmann und lächelte Frank zu.