Bevor der Kaffee kalt wird - Toshikazu Kawaguchi - E-Book
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Bevor der Kaffee kalt wird E-Book

Toshikazu Kawaguchi

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Beschreibung

Vier Geschichten, die uns lehren, aus der Vergangenheit über die Zukunft zu lernen und den Blick nach vorn zu öffnen. Was wäre, wenn du in die Vergangenheit reisen könntest? "Bevor der Kaffee kalt wird" erzählt die Geschichte von einem magischen Sessel in einem sehr besonderen Café in Japan. Wer sich in diesen Sessel setzt, darf in die Vergangenheit zurückreisen, aber nur solange, bis "der Kaffee kalt wird". Das Café trägt den Namen "Funiculi Funicula" und zieht viele Menschen unwillkürlich an, weil sie das Bedürfnis verspüren, die Vergangenheit noch einmal zu durchleben... Würdest auch du eine solche Zeitreise unternehmen wollen? Im Stil von Das Café am Rande der Welt erzählt der Dramatiker Toshikazu Kawaguchi vier mitreißende Geschichten von Menschen, die in die Vergangenheit gereist sind. Ihre Motive waren unterschiedlich, doch die gelernte Lektion dieselbe. Egal ob Versöhnung, Vergebung oder neue Hoffnung - das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Vier Erzählungen über den Sinn des Lebens und die Aussöhnung mit der Vergangenheit: - Die Liebenden - Das verheiratete Paar - Die Schwestern - Mutter und Kind

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Seitenzahl: 257

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Toshikazu Kawaguchi

Bevor der Kaffee kalt wird

Aus dem Englischen von Sabine Thiele

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Vier Geschichten, die uns lehren, aus der Vergangenheit über die Zukunft zu lernen und den Blick nach vorn zu öffnen.

Was wäre, wenn du in die Vergangenheit reisen könntest? »Das magische Café« erzählt die Legende von einem bestimmten Sessel in einem bestimmten Café in Japan. Wer sich in den Sessel setzt, darf in die Vergangenheit zurück, aber nur solange, bis der Kaffee kalt wird. Das Café trägt den Namen »Funiculi Funicula« und zieht viele Menschen magisch an, weil sie das Bedürfnis verspüren, die Vergangenheit noch einmal zu durchleben … Würdest auch du solche Zeitreise unternehmen wollen?

Im Stil von »Das Café am Rande der Welt« erzählt der Dramatiker Toshikazu Kawaguchi vier mitreißende Geschichten von Menschen, die in die Vergangenheit gereist sind. Ihre Motive waren unterschiedlich, doch die gelernte Lektion dieselbe. Egal ob Versöhnung, Vergebung oder neue Hoffnung - das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.

Das Buch bietet:

1. Geschichte: Die Liebenden

2. Geschichte: Das verheiratete Paar

3. Geschichte: Die Schwestern

4. Geschichte: Mutter und Kind

Inhaltsübersicht

Prolog

Die Liebenden

Das Paar

Die Schwestern

Mutter und Kind

Prolog

Laut einer geheimnisvollen modernen Legende gab es einmal ein Café, das einen ganz besonderen Sitzplatz hatte. Wenn man darauf saß – und nur dann –, konnte man an den Zeitpunkt in der Vergangenheit zurückversetzt werden, den man noch einmal durchleben wollte. Dabei gab es jedoch einige lästige Regeln zu beachten.

 

Nur diejenigen Menschen kann man in der Vergangenheit treffen, die ebenfalls das Café besucht haben.

Man kann in der Vergangenheit nichts tun, um den Ausgang der Ereignisse in der Gegenwart zu beeinflussen.

Wenn ein anderer Gast auf diesem magischen Stuhl sitzt, muss man warten, bis er diesen freigibt. Erst dann kann man sich niederlassen.

Während man sich in der Vergangenheit aufhält, darf man unter gar keinen Umständen aufstehen.

Der Aufenthalt in der Vergangenheit ist zeitlich begrenzt. Man muss aus ihr zurückkehren, bevor der Kaffee kalt geworden ist.

Und das war noch nicht alles …

 

Und doch kommen immer noch Gäste in das Café, sobald sie von dieser modernen Legende gehört haben.

 

Der Name des Cafés lautet Funiculi Funicula.

 

Würden Sie in die Vergangenheit zurückkehren wollen, selbst nachdem Sie sich mit diesen Regeln vertraut gemacht haben?

Und wenn Sie das Abenteuer wagen würden, wen würden Sie dann treffen wollen?

 

Das ist die Geschichte von vier herzerwärmenden Wundern, die sich alle in diesem ganz besonderen Café zugetragen haben. Wir lernen die Liebenden kennen, erfahren mehr über ein Ehepaar, zwei Schwestern und eine Mutter und ihr Kind.

Die Liebenden

Himmel, ist es schon so spät? Bitte entschuldige, ich muss los …«, murmelte der Mann ausweichend, während er aufstand und nach seiner Tasche griff.

»Äh, wie bitte …?«, sagte die Frau. Sie musterte ihn verwirrt. Er hatte nicht explizit gesagt: Es ist vorbei. Dennoch hatte er sie – sie war seit zwei Jahren seine Freundin – zu einem ernsten Gespräch gebeten. Und jetzt hatte er plötzlich verkündet, dass er eine Stelle in den USA angenommen hatte und in ein paar Stunden abreisen würde. Auch ohne die ausgesprochenen Worte wusste sie, dass das ernste Gespräch auf eine Trennung hinauslief. Sie wusste jetzt, dass sie sich vergebens Hoffnung auf etwas im Sinne von »Willst du mich heiraten?« gemacht hatte.

»Was?«, fragte der Mann unwirsch und mied ihren Blick.

»Verdiene ich denn gar keine Erklärung?«, erwiderte sie in diesem anklagenden, drängenden Ton, den der Mann verabscheute.

Das Café befand sich im Untergeschoss und verfügte daher über keine Fenster. Die einzige Beleuchtung stammte von sechs Lampen, die von der Decke hingen, sowie einer Wandlampe beim Eingang. Der Raum war daher beständig in schattige Sepiatöne getaucht. Es ließ sich nicht sagen, ob es Tag oder Nacht war.

Zwar hingen drei große, antike Uhren an der Wand, doch diese zeigten unterschiedliche Zeiten an. War das beabsichtigt? Oder funktionierten sie einfach nicht richtig? Gäste, die das Café zum ersten Mal besuchten, waren immer verwundert und gezwungen, auf ihre eigene Uhr zu schauen. Dies tat auch der Mann. Während er auf seine Armbanduhr sah, rieb er mit den Fingern die Stelle über seiner rechten Augenbraue, und seine Unterlippe schob sich leicht vor.

Die Frau reagierte sehr verärgert auf diesen Gesichtsausdruck. »Was soll dieser Blick? Bin ich jetzt diejenige, die Probleme macht?«, platzte sie heraus.

»Nein, das denke ich nicht«, antwortete er verlegen.

»Oh doch!«, beharrte sie.

Schweigen.

Die Unterlippe immer noch vorgeschoben, mied er ihren durchdringenden Blick und verweigerte eine Antwort.

Das passive Verhalten des Mannes erzürnte die Frau nur noch mehr, und sie sagte anklagend: »Dann soll also ich es aussprechen?« Sie griff nach ihrem mittlerweile erkalteten Kaffee. Er schmeckte bitter, nicht mehr süß, und ihre Stimmung verschlechterte sich noch mehr.

Der Mann blickte wieder auf seine Uhr und rechnete aus, wie viel Zeit ihm noch bis zum Boarding blieb. Er musste sofort aufbrechen. Wieder rieb er sich nervös die Augenbraue.

Dass seine größte Sorge offensichtlich gerade der Uhrzeit galt, machte die Frau nur noch wütender. Aufgebracht stellte sie die Tasse zurück, die laut klirrend auf der Untertasse auftraf.

Das durchdringende Geräusch ließ ihn aufschrecken. Seine Finger zuckten von der rechten Augenbraue zu seinem Haar, wollten schon daran ziehen. Doch dann holte er einmal tief Luft, setzte sich vorsichtig wieder auf seinen Stuhl und sah ihr in die Augen. Plötzlich wirkte er bei Weitem nicht mehr so aufgebracht wie noch vor ein paar Sekunden.

Tatsächlich hatte sich der Gesichtsausdruck des Mannes so verändert, dass die Frau sprachlos war. Sie senkte den Blick auf ihre im Schoß ineinander verschlungenen Hände.

Der Mann, der sich so große Sorgen um die Uhrzeit gemacht hatte, wartete nicht, bis seine Begleiterin den Blick wieder hob. »Hör zu …«, begann er. Kein ausweichendes Murmeln mehr, jetzt sprach er mit fester Stimme.

Doch dann schien ihn die Frau davon abhalten zu wollen, es tatsächlich auszusprechen. »Warum gehst du nicht einfach?« Sie hielt den Blick weiter gesenkt. Die Erklärung, auf der sie noch kurz zuvor bestanden hatte, wollte sie nun nicht mehr hören.

Der Mann saß vor Verblüffung so still, als wäre die Zeit stehen geblieben.

»Du musst doch jetzt gehen, nicht wahr?«, fragte sie beleidigt wie ein kleines Kind.

Er sah sie mit einem verwirrten Ausdruck an, als wüsste er nicht, was sie meinte.

Sie schien zu merken, wie kindisch und unfreundlich sie klang, wandte den Blick von dem Mann ab und biss sich auf die Lippe.

Er stand schweigend auf und machte die Bedienung hinter dem Tresen auf sich aufmerksam. »Bitte entschuldigen Sie, ich würde gerne zahlen«, sagte er. Er versuchte, den Kassenbon, der ihnen mit den Getränken gebracht worden war, an sich zu nehmen, doch die Frau schob ihre Hand darauf.

»Ich werde noch bleiben …«

»… und deshalb zahle ich«, wollte sie fortfahren, doch da hatte er den Bon schon unter ihrer Hand hervorgezogen und ging mit seiner Tasche zur Kasse.

»Zusammen, danke.«

»Ich habe doch gesagt, ich übernehme das.« Die Frau streckte ihre Hand in Richtung des Mannes aus.

Doch dieser sah sie nicht an und zog stattdessen einen Tausend-Yen-Schein aus seiner Brieftasche. »Behalten Sie den Rest«, sagte er, als er der Bedienung das Geld zusammen mit dem Bon reichte. Dann drehte er sich traurig für einen Moment zu der Frau um und verließ das Café.

 

Ding, dong.

»… und das war vor einer Woche«, beendete Fumiko Kiyokawa ihre Erzählung. Sie ließ ihren Oberkörper kraftlos auf den Tisch sinken wie einen Ballon, aus dem die Luft entweicht. Irgendwie schaffte sie es, den Kaffee vor ihr nicht zu verschütten.

Die Bedienung und der Gast am Tresen, die schweigend Fumikos Bericht zugehört hatten, sahen einander an. Die Frau hatte wirklich sehr detailliert beschrieben, was sich vor einer Woche in dem Café ereignet hatte.

Noch bevor Fumiko die Schule abgeschlossen hatte, konnte sie bereits sechs Sprachen sprechen. Nachdem sie die Waseda-Universität mit den besten Noten verlassen hatte, begann sie in einer großen medizintechnischen IT-Firma in Tokio zu arbeiten. In ihrem zweiten Jahr im Unternehmen wurde sie bereits mit der Leitung vieler wichtiger Projekte betraut. Sie war der Inbegriff einer klugen Frau, die eifrig ihre Karriere verfolgte.

Heute trug sie ihre normale Arbeitskleidung, bestehend aus einer weißen Bluse sowie schwarzem Rock und Jackett, die darauf schließen ließ, dass sie sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit befand.

Ihre Kleidung mochte zwar typisch für Büroangestellte sein, ihr übriges Aussehen war hingegen überdurchschnittlich. Sie war mit fein gezeichneten Zügen und winzigen Lippen gesegnet, das Gesicht eines Popstars. Ihr halblanges schwarzes Haar glänzte so sehr, dass es ihren Kopf wie einen Heiligenschein umgab. Man konnte sich ihren Körper gut unter der schlichten Kleidung vorstellen. Sie war eine wunderschöne Frau, die viele Blicke auf sich zog, wie ein Model aus einer Hochglanzzeitschrift. In Fumiko waren ganz offensichtlich Schönheit und Intelligenz vereint. Ob sie sich dessen bewusst war, war etwas anderes.

Fumiko dachte über so etwas nicht nach, sie lebte nur für ihre Arbeit. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie keine Beziehungen hatte. Diese waren ihr jedoch nie so wichtig wie ihr Beruf, so zufrieden war Fumiko mit ihrer derzeitigen Stelle. »Meine Arbeit ist mein Freund«, pflegte sie zu sagen, und sie hatte schon viele Männer abgewiesen, so, als würde sie ein Staubkörnchen vom Ärmel streichen.

Der Mann hieß Goro Katada. Er war Systemtechniker, und wie Fumiko arbeitete er bei einer Firma im Medizinbereich, auch wenn es keine der ganz großen war. Er war drei Jahre jünger als sie und ihr Freund. Sie hatten sich vor zwei Jahren über einen Kunden kennengelernt, für den beide an einem Projekt arbeiteten. Um genau zu sein, war er ihr Freund gewesen.

Denn vor einer Woche hatte Goro sie zu einem »ernsten Gespräch« gebeten. Sie war zu dem Treffen in einem eleganten blassrosa Kostüm mit einem leichten beigefarbenen Mantel und weißen Pumps erschienen. Damit hatte sie sicher auf dem Weg ins Café die Aufmerksamkeit aller Männer erregt. Doch dieses Outfit war ungewohnt für Fumiko. Als Workaholic hatte sie vor ihrer Beziehung zu Goro nur Hosenanzüge besessen. Die hatte sie auch zu den Dates mit Goro getragen – schließlich hatten sie sich meist nach der Arbeit getroffen.

Doch als Goro ein »ernstes Gespräch« angekündigt hatte, war sie von einem wichtigen Anlass ausgegangen und hatte daher voller Erwartung neue Kleidung gekauft.

Beim Café angekommen mussten sie jedoch feststellen, dass es wegen unvorhergesehener Umstände geschlossen hatte. Eine große Enttäuschung für Fumiko und Goro, da dieses Café wegen seiner diskreten Sitzecken ideal für ein vertrauliches Gespräch gewesen wäre.

Auf der Suche nach einem anderen geeigneten Ort entdeckten sie ein kleines Schild in einer ruhigen Seitenstraße. Da sich das Café im Untergeschoss befand, konnten sie keinen Blick hineinwerfen, doch Fumiko fühlte sich von dem Namen angezogen, der aus dem Text eines Liedes stammte, das sie als Kind gern gesungen hatte. Sie beschlossen, es auszuprobieren.

Als sie im Eingang standen, bereute Fumiko ihre Entscheidung. Der Raum war kleiner, als sie vermutet hatte, und verfügte sowohl über Plätze am Tresen als auch über Tische. Mehr als neun Gäste fanden in dem Café nicht Platz – drei am Tresen, sechs an den Zwei-Personen-Tischen.

Sie würden das »ernste Gespräch«, das auf Fumiko lastete, im Flüsterton führen müssen, wenn die anderen Gäste nicht mithören sollten. Eine weitere Ablenkung stellte das sepiafarbene, dämmrige Licht dar, das die wenigen Lampen verbreiteten – das war überhaupt nicht nach ihrem Geschmack.

Ein Ort für finstere Geschäfte …

Das war Fumikos erster Eindruck des Cafés. Nervös und sich ihrer Umgebung nur zu sehr bewusst, setzte sie sich an den freien Tisch. Außer ihnen befanden sich noch drei Gäste und eine Bedienung im Café.

Eine Frau in einem weißen, kurzärmeligen Kleid saß an dem am weitesten im Raum stehenden Tisch und las ein Buch. An dem Tisch beim Eingang saß ein stumpf aussehender Mann; eine Reisezeitschrift lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch, und er schrieb etwas in ein winziges Notizbuch. Die Frau am Tresen trug eine leuchtend rote kurze Jacke und grüne Leggins. Eine ärmellose Kimonojacke hing über der Rückenlehne ihres Stuhls, und ihr Haar war auf Lockenwickler gedreht. Aus irgendeinem Grund warf nur sie den neuen Gästen einen flüchtigen Blick zu und grinste dabei breit. Während Fumiko und Goro miteinander sprachen, richtete sie gelegentlich eine Bemerkung an die Bedienung hinter dem Tresen und lachte rau.

Nachdem sie Fumikos Erklärung angehört hatte, sagte die Frau am Tresen: »Ich verstehe …«

Was sie ganz und gar nicht tat, aber dennoch schien es ihr die angemessene Antwort zu sein. Ihr Name war Yaeko Hirai, sie war Stammgast im Café und in diesem Jahr dreißig geworden. Sie betrieb eine Bar ganz in der Nähe, und vor der Arbeit kam sie immer auf eine Tasse Kaffee vorbei. Heute trug sie wieder Lockenwickler, doch dazu ein recht offenherziges gelbes Schlauchtop, einen leuchtend roten Minirock und lilafarbene Leggins. Sie saß im Schneidersitz auf dem Stuhl am Tresen und hörte Fumiko zu.

»Es ist eine Woche her. Sie erinnern sich, oder?« Fumiko stand auf und blickte die Bedienung hinter der Theke direkt an.

»Hmm … ja?«, erwiderte diese zurückhaltend und mied Fumikos Blick.

Die Bedienung hieß Kazu Tokita und war eine Cousine des Besitzers. Sie studierte an der Kunstakademie und verdiente sich im Café etwas Geld. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit heller Haut und schmalen mandelförmigen Augen, doch es war nichts Besonderes an ihr. Sie hatte ein Gesicht, an das man sich schon nach wenigen Minuten nicht mehr erinnern konnte. Kurz gesagt, sie war unscheinbar und besaß keine Ausstrahlung. Sie hatte auch nicht viele Freunde. Nicht, dass ihr das etwas ausgemacht hätte – Kazu fand zwischenmenschliche Beziehungen eher anstrengend und ermüdend.

»Also … was ist mit ihm? Wo ist er jetzt?«, fragte die Frau mit den Lockenwicklern. Sie spielte mit der Tasse in ihrer Hand und schien nicht besonders interessiert zu sein.

»In Amerika«, antwortete Fumiko und blähte die Wangen.

»Ihr Freund hat sich also für die Arbeit entschieden?«, fragte Hirai beiläufig. Sie hatte ein Talent dafür, gleich zum Kern einer Sache vorzudringen.

»Nein, das stimmt nicht!«, protestierte Fumiko und öffnete die Augen.

»Hm? Aber er ist doch nach Amerika gegangen, oder?« Hirai konnte ihr nicht folgen.

»Haben Sie nicht verstanden, was ich gesagt habe?«, fragte Fumiko nachdrücklich.

»Welchen Teil?«

»Die Frau in mir wollte schreien: ›Geh nicht!‹, aber ich war zu stolz.«

»Nicht viele Frauen würden das zugeben!« Hirai lehnte sich mit einem Kichern zurück, verlor das Gleichgewicht und fiel beinahe vom Stuhl.

Fumiko ignorierte es. »Sie verstehen das doch, oder?«, fragte sie die Bedienung auf der Suche nach Unterstützung.

Diese tat so, als würde sie einen Moment lang überlegen. »Im Grunde sagen Sie, Sie wollten nicht, dass er nach Amerika geht, richtig?«, erwiderte sie schließlich freiheraus. Auch die Bedienung kam schnell zum Punkt.

»Ja, im Grunde schon … aber …«

»Sie sind wirklich schwer zu verstehen«, sagte die Frau mit den Lockenwicklern fröhlich auf Fumikos gestammelte Antwort. Sie selbst wäre in so einer Situation definitiv in Tränen ausgebrochen. »Geh nicht!«, hätte sie geschrien. Natürlich wären das Krokodilstränen gewesen. Tränen sind die Waffen einer Frau. Zumindest nach Hirais Verständnis.

Fumiko wandte sich an Kazu, die Bedienung. Ihre Augen glänzten. »Ich möchte, dass Sie mich an den Tag vor einer Woche zurückbringen!«, bat sie ernst.

Die Frau mit den Lockenwicklern antwortete als Erste auf diese absurd klingende Bitte. »In die Vergangenheit will sie zurück, sagt sie …«, meinte sie mit hochgezogenen Augenbrauen zu der Bedienung.

Diese murmelte unbehaglich: »Tatsächlich …«

Vor einigen Jahren hatte das Café dank einer modernen Legende eine gewisse Berühmtheit erlangt. Es hieß, dass es Menschen in die Vergangenheit zurückbringen könne. Fumiko interessierte sich für so etwas nicht und hatte es daher völlig vergessen. Der Besuch des Cafés eine Woche zuvor war ein absoluter Zufall gewesen. Doch am gestrigen Abend hatte sie eine Sendung im Fernsehen gesehen, in der der Moderator über »moderne Legenden« gesprochen hatte, und plötzlich fiel ihr das Café wieder ein. Das Café, das einen in die Vergangenheit zurückbringt. An mehr konnte sie sich nicht erinnern, doch dieser Satz war ihr klar und deutlich im Gedächtnis geblieben.

Wenn ich in die Vergangenheit reise, kann ich vielleicht alles geraderücken. Vielleicht kann ich noch einmal mit Goro sprechen. Immer wieder spielte sie diesen unrealistischen Wunsch in ihrem Kopf durch. Und irgendwann konnte sie gar nicht mehr klar denken.

Am nächsten Morgen ging sie ohne Frühstück zur Arbeit. Sie konnte sich nicht auf ihre Aufgaben konzentrieren, saß einfach nur da und zählte die Minuten. Ich will nur sichergehen. Fumiko wollte es so schnell wie möglich herausfinden – und nicht eine Sekunde später. Ein leichtsinniger Fehler reihte sich an den anderen. Sie war so sichtlich abgelenkt, dass ein Kollege sie fragte, ob es ihr gut ging. Am Abend konnte Fumiko keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen.

Um von der Firma zu dem Café zu gelangen, musste Fumiko dreißig Minuten mit der U-Bahn fahren. Die letzten Meter rannte sie beinahe. Atemlos stürzte sie in das Café und sagte flehend zu Kazu: »Bitte schicken Sie mich zurück in die Vergangenheit!«, noch bevor die Bedienung sie begrüßen konnte.

Voller Hoffnung hatte sie auf Kazu und Hirai eingeredet, doch angesichts der Reaktion der beiden Frauen sank ihr Mut.

Hirai musterte die aufgeregte Frau breit grinsend, während Kazus Miene ausdruckslos blieb und sie sich unbeteiligt gab.

Wenn man hier wirklich in die Vergangenheit reisen könnte, würde das Café sicher aus allen Nähten platzen. Doch die einzigen Gäste waren die Frau in dem weißen Kleid, der Mann mit der Reisezeitschrift sowie Hirai mit den Lockenwicklern und die Bedienung Kazu – alles genau wie vor einer Woche.

»Man kann hier doch in die Vergangenheit zurückversetzt werden, nicht wahr?«, fragte Fumiko ängstlich. Vielleicht hätte sie mit dieser Frage beginnen sollen. Doch dafür war es jetzt zu spät. »Also, ist es möglich oder nicht?«, beharrte sie und blickte Kazu hinter dem Tresen eindringlich an.

Diese weigerte sich immer noch, Fumiko anzusehen. »Hmm …«, antwortete sie schließlich vage.

Doch für Fumiko war das genug, ihre Augen leuchteten erneut auf. Sie hörte kein »Nein«. Plötzlich war sie ganz euphorisch. »Bitte schicken Sie mich zurück!« Sie bat so inständig, dass sie beinahe über den Tresen zu springen schien.

»Und was wollen Sie dann tun?«, fragte die Frau mit den Lockenwicklern kühl zwischen zwei Schlucken lauwarmen Kaffees.

»Ich würde es wiedergutmachen«, antwortete Fumiko ernst.

»Ich verstehe …«, erwiderte die Frau mit einem Schulterzucken.

»Bitte!«, flehte Fumiko mit erhobener Stimme; das Wort hallte durch das Café.

Der Gedanke, Goro zu heiraten, war ihr erst kürzlich gekommen. Dieses Jahr war sie achtundzwanzig geworden, und ihre Eltern, die in Hakodate lebten, hatten sie schon oft ins Kreuzverhör genommen: »Willst du immer noch nicht heiraten?« »Hast du keinen netten Mann kennengelernt?« In letzter Zeit waren ihre Fragen immer drängender geworden, nachdem ihre fünfundzwanzigjährige Schwester im letzten Jahr geheiratet hatte. Mittlerweile schickten sie ihr jede Woche E-Mails. Neben ihrer Schwester hatte Fumiko auch noch einen dreiundzwanzigjährigen Bruder, der nach einer ungeplanten Schwangerschaft eine Frau aus dem Ort geheiratet hatte. Jetzt war nur noch Fumiko unverheiratet.

Bisher hatte sie es nicht eilig damit gehabt, doch nach der Hochzeit ihrer kleinen Schwester dachte sie ein wenig anders. Mit Goro konnte sie sich eine Ehe sogar vorstellen.

Hirai holte eine Zigarette aus ihrer Tasche mit Leopardenmuster. »Vielleicht erklärst du es ihr mal richtig, oder?«, sagte sie geschäftsmäßig, während sie ihre Zigarette anzündete.

»Das sollte ich wohl«, erwiderte Kazu ausdruckslos, als sie um den Tresen herumging und vor Fumiko stehen blieb. Sie betrachtete die andere Frau mitfühlend, so, als wolle sie ein weinendes Kind trösten. »Hören Sie mir bitte gut zu, ja?«

»Wie bitte?« Fumiko versteifte sich.

»Es stimmt, man kann in die Vergangenheit zurückversetzt werden. Aber …«

»Aber?«

»Aber die Gegenwart werden Sie nicht ändern können, egal, wie sehr Sie es versuchen.«

Die Gegenwart werden Sie nicht ändern können. Darauf war Fumiko überhaupt nicht vorbereitet gewesen und konnte es kaum akzeptieren. »Wie bitte?«, wiederholte sie, ohne nachzudenken.

Die Bedienung sprach ruhig weiter. »Selbst wenn Sie in der Vergangenheit sind und Ihrem … äh … Freund, der nach Amerika gegangen ist, sagen, was Sie empfinden …«

»Selbst wenn ich ihm sage, was ich empfinde?«

»Die Gegenwart werden Sie nicht ändern können.«

»Wirklich nicht?« Fumiko hielt sich die Ohren zu, weil sie die Wahrheit nicht hören wollte.

Doch Kazu ließ sich nicht beirren. »Es wird nichts daran ändern, dass er nach Amerika gegangen ist.«

Fumiko begann am ganzen Körper zu zittern, doch die Bedienung sprach freundlich, aber unerbittlich weiter.

»Selbst wenn Sie in die Vergangenheit reisen, Ihre Gefühle offenbaren und ihn bitten, nicht nach Amerika zu gehen, wird das die Gegenwart nicht ändern.«

Fumiko reagierte ungehalten auf Kazus harte Worte. »Das ist ja nicht gerade Sinn der Sache, oder?«, sagte sie laut und herausfordernd.

»Ganz ruhig … lassen Sie den Überbringer der Botschaft am Leben«, schaltete sich die Frau mit den Lockenwicklern ein. Sie zog an ihrer Zigarette und zeigte sich wenig überrascht von Fumikos Reaktion.

»Warum?«, fragte diese die Cafébedienung, ihre Augen flehten um Antworten.

»Warum? Das kann ich Ihnen sagen«, begann Kazu. »Weil es so vorgeschrieben ist.«

In einem Film oder Roman, in dem es um Zeitreisen ging, hieß es normalerweise: Tu nichts in der Vergangenheit, was die Gegenwart beeinflusst. Zum Beispiel zu verhindern, dass die eigenen Eltern sich kennenlernen oder heiraten, würde die eigene Geburt und damit die eigene Persönlichkeit auslöschen.

So war es in den meisten Zeitreisegeschichten, die Fumiko kannte, weshalb sie an das Gesetz glaubte: Wenn man die Vergangenheit ändert, ändert man die Gegenwart. Genau deshalb wollte sie das Treffen vor einer Woche noch einmal durchleben und den Ereignissen eine neue Richtung geben … doch dieser Traum zerplatzte gerade.

Sie wollte eine zufriedenstellende Erklärung für diese unmögliche Regel. Wenn du erst einmal in der Vergangenheit bist, kannst du nichts tun, um die Gegenwart zu ändern. Und Kazu sagte dazu nur: »Weil es so vorgeschrieben ist.« Vielleicht verstand auch sie den Grund dafür nicht. Ihre ausdruckslose Miene deutete darauf hin.

Hirai schien Fumikos Fassungslosigkeit zu genießen. »Tja, Pech gehabt«, meinte sie und stieß genüsslich Zigarettenrauch aus. Sie hatte sich diesen Kommentar bereits zurechtgelegt, als Fumiko noch ihre Geschichte erzählte, und seither auf die Gelegenheit gewartet, ihn einfließen zu lassen.

»Aber … warum?« Alle Kraft schien Fumiko zu verlassen. Als sie sich schlaff auf die Tischplatte sinken ließ, erinnerte sie sich plötzlich an etwas. Sie hatte einmal einen Artikel über dieses Café in einer Zeitschrift gelesen, mit der Überschrift Die Wahrheit hinter dem »Zeitreisecafé« – eine moderne Legende. Dies war der wesentliche Inhalt.

Das Café hieß Funiculi Funicula und war durch seine langen Schlangen an Gästen bekannt geworden, die wegen des berühmten magischen Stuhls kamen. Doch es ließ sich niemand auftreiben, der sich tatsächlich in die Vergangenheit hatte versetzen lassen. Grund dafür waren die überaus lästigen Regeln, die man bei einer Zeitreise einhalten musste. Die erste Regel lautete: Nur diejenigen Menschen kann man in der Vergangenheit treffen, die ebenfalls das Café besucht haben. Wodurch für viele der Weg in die Vergangenheit schon nicht mehr möglich war. Regel zwei lautete: Man kann in der Vergangenheit nichts tun, um den Ausgang der Geschichte in der Gegenwart zu beeinflussen. Man hatte die Cafébetreiber nach dem Grund für diese Regel gefragt, doch die hatten darauf keine Antwort geben können.

Da der Verfasser des Artikels niemanden gefunden hatte, der tatsächlich mittels Magie Vergangenes noch einmal erlebt hatte, blieb die Frage ungeklärt, ob so etwas überhaupt möglich war. Und selbst wenn, erschien das ganze Unterfangen sinnlos, da man die Gegenwart ja nicht beeinflussen konnte.

Der Artikel endete mit dem Fazit, dass diese moderne Legende durchaus faszinierend war, man aber nicht zurückverfolgen konnte, warum sie überhaupt existierte. Außerdem wurden weitere Regeln erwähnt, die man bei einer Zeitreise zu befolgen hatte, aber nicht weiter ausgeführt.

Die Frau mit den Lockenwicklern setzte sich Fumiko gegenüber an den Tisch und erklärte ihr fröhlich die übrigen Regeln. Die verzweifelte Frau lag immer noch mit dem Oberkörper auf der Tischplatte, den Blick auf die Zuckerschale gerichtet (warum verwendete das Café keine Zuckerwürfel?), und hörte aufmerksam zu.

»Die Regeln sind nicht das Einzige. Es gibt nur einen Sitzplatz, von dem aus man in die Vergangenheit reisen kann. Während man sich dort aufhält, darf man nicht von dem magischen Stuhl aufstehen. Was war da noch?«, fragte Hirai die Bedienung, während sie die Regeln an den Fingern abzählte.

»Es gibt eine zeitliche Begrenzung«, antwortete Kazu und wischte weiter mit gesenktem Blick ein Glas ab. Sie erwähnte es ganz beiläufig, als spräche sie zu sich selbst.

»Eine zeitliche Begrenzung?«, wiederholte Fumiko und hob den Kopf. Die Bedienung lächelte leicht und nickte.

Die Frau mit den Lockenwicklern verpasste dem Tisch einen Stoß. »Und trotzdem wollen alle in die Vergangenheit zurückkehren, selbst nachdem sie die Regeln gehört haben.« Sie schien Spaß an der ganzen Angelegenheit zu haben, vor allem bei Fumikos Anblick. »Es ist lange her, dass wir hier einen Gast wie Sie hatten – jemanden, der so unbedingt in die Vergangenheit reisen wollte.«

»Hirai …«, sagte die Bedienung warnend.

»Das Leben wird einem nicht auf dem Silbertablett präsentiert. Lassen Sie es einfach sein«, platzte die Frau mit den Lockenwicklern heraus und wirkte, als wolle sie noch mehr sagen.

»Hirai …«, wiederholte Kazu mit etwas mehr Nachdruck.

»Nein … nein, wir sollten das jetzt ein für alle Mal klarstellen. Nicht wahr? Ha!«, lachte Hirai laut auf.

Doch Fumiko hatte schon genug. Jegliche Kraft hatte sie verlassen, und wieder ließ sie den Kopf auf die Tischplatte sinken.

Da ertönte eine Stimme.

»Könnte ich bitte noch einen Kaffee haben?«, sagte der Mann, der am Eingang saß und die Reisezeitschrift las.

»Kommt sofort«, rief die Bedienung zurück.

 

Ding, dong.

 

»Guten Tag.« Kazus Stimme hallte durch das Café.

Eine Frau war eingetreten, sie trug eine beige Strickjacke über einem hellblauen Shirtkleid, dazu purpurrote Sneakers und eine weiße Einkaufstasche. Sie hatte helle Haut und große Augen, die wie die eines kleinen Mädchens funkelten.

»Hallo, Kazu.«

»Schwesterchen! Hallo!«

Eigentlich war Kei Tokita, die soeben das Café betreten hatte, die Frau ihres Cousins, aber Kazu nannte sie trotzdem Schwesterchen.

»Das war es wohl mit der Kirschblüte«, meinte Kei lächelnd und ohne Bedauern.

»Ja, die Bäume sind ganz schön kahl mittlerweile«, erwiderte Kazu höflich, aber mit einer anderen Höflichkeit als die, mit der sie mit den Gästen sprach. Ihre Stimme klang leiser und sanfter.

»Guten Abend«, sagte die Frau mit den Lockenwicklern, als sie zurück an den Tresen ging; offensichtlich hatte sie keine Lust mehr, über Fumikos Elend zu lachen. »Wo warst du?«, fragte sie.

»Im Krankenhaus.«

»Warum? Für eine Routineuntersuchung?«

»Ja.«

»Du hast heute ein wenig Farbe im Gesicht.«

»Ja, ich fühle mich gut.«

Kei bemerkte die immer noch halb auf dem Tisch liegende unbekannte Frau und legte den Kopf fragend zur Seite. Die Bedienung nickte knapp, woraufhin Kei hinter dem Tresen verschwand.

 

Ding, dong.

 

Kurz nachdem Kei ins Hinterzimmer gegangen war, steckte ein Mann seinen Kopf durch den Eingang, wobei er sich bücken musste, um nicht gegen den Türrahmen zu stoßen. Er trug eine leichte Jacke über seiner Kochuniform aus weißem Hemd und schwarzer Hose. In seiner rechten Hand baumelte klirrend ein großer Schlüsselbund. Der Name des Mannes lautete Nagare Tokita, er war der Besitzer des Cafés.

»Guten Abend«, begrüßte ihn die Bedienung.

Nagare nickte als Antwort, und sein Blick aus schmalen, mandelförmigen Augen wanderte zu dem Mann mit der Reisezeitschrift.

Kazu ging in die Küche, um die Kaffeekanne zu holen und Hirais Tasse aufzufüllen, die diese schweigend hochhielt und dabei den Cafébesitzer beobachtete, einen Ellbogen auf den Tresen gestützt.

Der Cafébesitzer war vor dem Gast stehen geblieben, der in seine Zeitschrift vertieft war. »Fusagi«, sagte er sanft.

Zuerst reagierte der Mann nicht, so, als hätte er seinen Namen nicht gehört. Dann sah er langsam zu Nagare auf.

Dieser nickte höflich und sagte: »Hallo.«

»Oh, hallo«, erwiderte Fusagi ausdruckslos, ohne dass deutlich wurde, ob er den Cafébesitzer erkannte. Sofort widmete er seine Aufmerksamkeit wieder der Zeitschrift.

Nagare betrachtete ihn noch einen Moment, dann rief er nach Kazu in der Küche.

»Was ist denn?«, fragte die Bedienung und erschien in der Küchentür.

»Ruf bitte Kohtake an.«

Kazu sah ihn fragend an.

»Sie war auf der Suche«, erklärte der Cafébesitzer, dann blickte er wieder zu Fusagi, der weiter in seiner Zeitschrift las.

Da verstand Kazu, was er ihr sagen wollte. »Oh … natürlich«, erwiderte sie. Nachdem sie Hirais Tasse aufgefüllt hatte, verschwand sie im Hinterzimmer, um das Telefonat zu erledigen.

Der Cafébesitzer warf Fumiko einen Seitenblick zu, die noch immer halb auf dem Tisch lag, während er hinter den Tresen ging und ein Glas vom Regal nahm. Aus dem Kühlschrank unter dem Tresen holte er eine Packung Orangensaft, füllte das Glas und leerte es. Dann ging er in die Küche, um das Glas auszuwaschen. Einen Moment später hörte er das Geräusch von Fingernägeln, die auf den Tresen trommelten. Fragend blickte Nagare in den Caféraum.

Die Frau mit den Lockenwicklern bedeutete ihm mit den Fingern, näher zu kommen, und er folgte ihrer Aufforderung mit tropfenden Händen. Sie beugte sich zu ihm.

»Wie war es?«, fragte sie flüsternd, während der Cafébesitzer nach einer Küchenrolle suchte.

»Hmm …«, murmelte er nichtssagend. Vielleicht war es eine Antwort auf die Frage, vielleicht war er auch nur frustriert, weil er die Küchenrolle nicht fand.

Die Frau mit den Lockenwicklern senkte die Stimme noch weiter. »Wie sind die Testergebnisse ausgefallen?«

Statt einer Antwort kratzte Nagare sich am Nasenrücken.

»Schlecht?«, fragte Hirai besorgt.

Der Cafébesitzer verzog keine Miene. »Aufgrund der Ergebnisse hat man entschieden, dass sie nicht im Krankenhaus bleiben muss«, erklärte er schließlich leise, fast, als spräche er zu sich selbst.

Hirai seufzte kaum hörbar. »Ich verstehe …«, sagte sie und warf einen Blick in Richtung Hinterzimmer, in dem sich seine Frau aufhielt.

Kei war mit einem schwachen Herzen auf die Welt gekommen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie immer wieder längere Zeit im Krankenhaus verbracht. Doch da sie mit einem freundlichen und sorglosen Gemüt gesegnet war, lächelte Kei auch dann, wenn es ihr schlecht ging. Hirai wusste das und fragte deshalb sicherheitshalber bei Nagare nach.

Dieser hatte endlich die Küchenrolle gefunden und trocknete sich die Hände ab. »Wie geht es dir, Hirai? Alles in Ordnung?«, fragte er.

Hirai wusste nicht genau, worauf er hinauswollte, und sah ihn mit großen Augen an. »Was meinst du?«, fragte sie.

»Deine Schwester hat dich oft besucht, nicht wahr?«

»Ah. Ja, das hat sie wohl«, erwiderte Hirai ausweichend und ließ den Blick durch das Café schweifen.

»Deine Eltern haben ein Hotel betrieben, richtig?«

»Ja, das stimmt.«

Nagare wusste nicht viel über sie, aber er hatte gehört, dass Hirais Schwester das Hotel leitete, nachdem Hirai von zu Hause weggegangen war.

»Das muss hart sein für deine Schwester, so allein.«

»Nein, sie kommt gut damit zurecht. Die Arbeit liegt ihr.«

»Trotzdem …«

»Es ist zu lange her. Ich kann nicht mehr nach Hause zurück«, unterbrach ihn Hirai scharf. Sie zog ein großes Portemonnaie aus ihrer Leopardentasche. Es war so groß, dass es eher wie ein Wörterbuch aussah als wie eine Geldbörse. Hastig suchte sie nach Kleingeld.

»Warum nicht?«

»Selbst wenn ich nach Hause zurückkehren würde, wäre ich keine große Hilfe«, antwortete Hirai und legte den Kopf mit einem aufgesetzten Lächeln zur Seite.

»Aber …« Nagare wollte noch etwas sagen.