Bolle und die Bolzplatzbande: Hai-Alarm! - Christina Bacher - E-Book

Bolle und die Bolzplatzbande: Hai-Alarm! E-Book

Christina Bacher

4,9

Beschreibung

Eine Überfallserie auf Juweliergeschäfte hält die Kölner Nordstadt in Atem - und immer markieren die Diebe die Hauswand mit einem Kreide-Hai. Als der zwölfjährige Wladi mitansehen muss, wie seine eigene goldene Uhr gestohlen wird, macht er sich gemeinsam mit seinen Freunden Sema, Laura und Kevin auf die Suche nach den Verbrechern. Wie immer tut die Bolzplatzbande alles, um schneller zu sein, als es die Polizei erlaubt - und gerät dabei in einen Immobilienskandal, der vielen Kölnern ihr Zuhause nehmen soll. Ist dieser Fall eine Nummer zu groß für sie ...?

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Christina Bacher, Jahrgang 1973, gründete vor einigen Jahren »Bachers Büro«– eine Schmiede für Texte aller Art. Seither arbeitet sie als Chefredakteurin des Kölner Straßenmagazins DRAUSSENSEITER und schreibt Jugendbücher, Kriminalromane und Ratekrimis fürs Radio. Im Jahr 2013/2014 wurde sie sowohl mit dem Stipendium des Kölner Kulturamts in Zusammenarbeit mit der Antoniterkirche als auch mit dem »Tatort Töwerland«-Stipendium ausgezeichnet. Nach Stationen in Kaiserslautern, Marburg, Bonn, Montpellier und Prag lebt sie heute mit ihrer Familie in Köln.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.  

© 2015 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotive: fotolia.com/Tom Bayer, fotolia.com/Matthew Cole, fotolia.com/Adrian Niederhäuser, fotolia.com/mpfphotography, shutterstock.com/Tajuan Umschlaggestaltung: Nina Schäfer Lektorat: Hilla Czinczoll eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-784-0 Köln Krimi für Pänz Originalausgabe

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Für Nelly und Vilém

Das war nicht das Ende, sondern erst der Anfang.

Kalle Gerigk (»Alle für Kalle«)

Mittwoch, 3.Juli

9.55Uhr, auf Höhe der Agneskirche

Wie eine lange, gefährliche Schlange windet sich die Neusser Straße durch die Kölner Nordstadt– schicke Autos brettern von Süden die zweispurige Straße mit Höchstgeschwindigkeit hinauf und machen an den Zebrastreifen oft eine Vollbremsung. Klapprige Motorroller überholen von Norden kommend alte Omis, ohne den Blinker zu betätigen. Vielen Radfahrern geht auf der Zielgeraden die Puste aus, wenn sie wegen der vielen Hindernisse gezwungen sind, Slalom zu fahren. Gerade am Morgen – wenn alle gleichzeitig zur Arbeit, zum Einkaufen oder in die Schule müssen– ist Verkehrschaos vorprogrammiert.

Nur Wladi ist heute die Ruhe selbst. Wegen einer starken Erkältung muss er ausnahmsweise nicht in die Schule. Ausruhen soll er sich. Kamillendampf machen. Schlafen. Doch kaum hat seine Mutter am Morgen die Wohnung verlassen, um zur Arbeit zu gehen, sind wie durch ein Wunder seine Kräfte zurückgekehrt. Ein ganzer Vormittag sturmfreie Bude– der perfekte Zeitpunkt für seine lang geplante geheime Mission.

Auf Höhe der Agneskirche steht er sich an der roten Ampel nun schon seit einigen Minuten die Beine in den Bauch. Da sein Ziel feststeht, hat er keine große Eile. Dennoch spürt er plötzlich ein Kribbeln in der Magengegend, so, als tue er gerade etwas unglaublich Verbotenes. Immerhin hat er ja auch heimlich etwas aus Mutters Nachttisch entwendet: ihre wertvolle goldene Uhr. Ein Familienerbstück. Eine der wenigen Erinnerungen an Tadschikistan, wo die Familie eigentlich herkommt.

»Hey Alter. Verpeilt wie immer?«

Ein heftiger Schlag trifft Wladi gegen die Brust, eine Sekunde später findet er sich auf dem Hosenboden sitzend wieder. Von unten sieht der Kopf von Michi Mense riesig aus. Der Junge grinst, seine schiefen Zähne knirschen, und seine Ohren wackeln dabei. Erstaunlich riesige Ohren, wie Segel im Wind, denkt Wladi.

»Also wohin des Weges, Spacko?«

»Äh, ich nur herumbummeln in Viertel«, antwortet Wladi und tastet nach der Uhr, die er in der Hosentasche trägt. Seit er vor einem Jahr nach Köln gekommen ist, verfolgt ihn dieser Typ mit den übelsten Sprüchen. Wenn es irgend geht, geht er ihm aus dem Weg. Blöd, dass Michi ausgerechnet jetzt auftaucht, wo er die wertvolle Fracht mit sich führt.

»Wie wär’s mal mit ’nem Deutschkurs, wenn du eh morgens nichts zu tun hast.« Und er lacht so unglaublich laut über seinen eigenen schlechten Witz, dass sich einige Leute umdrehen.

Wladi rappelt sich auf und klopft den Staub von seiner Jeans. Als die Ampel von Rot auf Grün springt, nutzt er die Chance und läuft einfach weiter.

Zum Glück scheint es Michi auch eilig zu haben. Er schwingt sich auf sein altes Fahrrad und überholt Wladi scharf von links. »Tschüss, Alter. Und immer schön auf Spur bleiben.«

Wladi nickt. Aber innendrin kocht er vor Wut. Selber Spacko, Segelohren-Michi, Sense für Mense. Wladi schimpft noch eine ganze Weile vor sich hin, obwohl der Junge schon längst außer Sichtweite ist.

Die Stadtplan-App teilt ihm mit, dass es acht Juwelier-Geschäfte gibt, die er von hier aus fußläufig erreichen kann. GOLD-HORST in Nippes scheint ihm für sein Vorhaben ideal: »24-Stunden-Service, Reparaturen aller Art, Goldankauf« gibt die Internetseite des alteingesessenen Kölner Ladens Auskunft.

Beiläufig überprüft er, ob sich die goldene Uhr noch am Platz befindet. Den Plan, das Familienerbstück reparieren zu lassen, um die Mutter am Geburtstag damit zu überraschen, hat er schon lange gefasst. In dem Moment nämlich, als die Uhr stehen geblieben ist.

Jetzt wird es höchste Zeit, das Vorhaben in die Tat umzusetzen: Der Geburtstag von Katharina Peters naht mit großen Schritten. Es würde doch hoffentlich klappen, das Ding bis Montag wieder zum Ticken zu bringen?

10.45Uhr, Wilhelmplatz

Als die unterschiedlichsten Essensdüfte in seine verschnupfte Nase dringen, weiß Wladi, dass er bald am Ziel sein muss. Wenn sich nämlich der Geruch von türkischem Fast Food mit Salami-Pizza mischt, garniert mit einer leichten Brise Börek- und Espressoduft, kann der Wilhelmplatz nicht weit sein.

Hier muss sich doch irgendwo dieser Juwelier befinden. »In Marktnähe«, steht auf der Website des Ladens. Und prompt tritt Wladi mit seinen hellen Schuhen auf eine liegen gebliebene saftige Tomate, die einem anderen aus der Tasche gerollt sein muss. Jetzt sind die neuen Schuhe, auf die er so stolz gewesen ist, voller roter Spritzer. Toll.

»GOLD-HORST« steht in geschwungener grüner Schrift über dem kleinen Laden, der sich versteckt im Hinterhof eines Wohnhauses befindet. Schon von draußen sieht Wladi durch die Scheibe, dass bereits zwei Kunden im Laden warten, um sich beraten zu lassen: eine alte Frau mit Rollator und ein jüngerer Typ, der offenbar schon an der Reihe ist. Als Wladi das Geschäft betritt, bimmelt eine Türglocke so laut und schrill, dass sich alle herumdrehen und ihn anstarren. Wladi wird rot.

Der Juwelier wendet sich sofort wieder seinem Kunden zu, der sich offenbar für ein besonders wertvolles Stück aus der Glasvitrine interessiert. »Wunderbar verarbeitet, Sie haben einen sehr guten Geschmack«, lobt der Juwelier den Kunden und schließt mit einem kleinen goldenen Schlüssel die Vitrine auf. Mit einem Handschuh holt er den silbernen Ring vorsichtig heraus und legt ihn auf ein rotes Samttuch.

»Lassen Sie sich Zeit, lassen Sie die Schönheit des Schmucks auf sich wirken.« Er lächelt verheißungsvoll, so, als habe er einen Schatz geborgen.

Dann ändert sich sein Gesichtsausdruck schlagartig, und eher unfreundlich wendet er sich nun Wladi zu. »Wie kann ich dir helfen, Kleiner?«

Kleiner! Sehr witzig. Dem wird der Ton noch vergehen, wenn er erst einmal die goldene Uhr gesehen hat, denkt sich Wladi und legt ihm das Familienerbstück auf den Tresen. »Kaputt! Leider. Ist Reparatur bis Montag möglich?«, fragt er und ergänzt, dass die Uhr eine große Bedeutung für seine Mutter habe, weil sie schon ihrer Urgroßmutter gehört habe. Wladi deutet auf die Widmung auf der Rückseite: для моей любви.

»Wunderschön«, murmelt der Juwelier und klemmt sich eine kleine Speziallupe ins linke Auge, um die kyrillische Schrift besser entziffern zu können. »Aber– was heißt das?«

»Für meine große Liebe«, übersetzt Wladi aus dem Russischen. Ein bisschen peinlich ist es ihm schon, diese Liebesgeschichte in aller Öffentlichkeit zu erzählen. Der Kunde neben ihm wendet sich bereits zum Gehen. Mit einem Gruß verlässt er das Geschäft. Kurz denkt Wladi, dass er den wertvollen Ring mitgenommen hat. Aber der liegt noch da.

Die alte Frau mit dem Rollator dreht weiter ihre Runde im Laden– offenbar auf der Suche nach einem nicht ganz so hochpreisigen Geschenk. Wladi fährt mit seiner Geschichte fort, etwas leiser als zuvor. »Uhr hat Ururgroßvater Piotr mit russischen Wurzeln geschenkt an Ururoma Katharina, die eigentlich ist Deutsche gewesen in Jahr 1923. Danach sie heiraten. Jetzt sie ist kaputt.«

»Ein Verlobungsgeschenk also«, sagt der Juwelier, sichtlich gerührt. »Gut, dass du das Schätzchen vorbeigebracht hast, bis Montag habe ich es repariert. Keine Sorge, Kleiner.«

Wladi fällt ein Stein vom Herzen. Da ist ihm sogar egal, dass dieser Gold-Horst immer »Kleiner« zu ihm sagt.

Da bimmelt die schrille Türglocke erneut, anscheinend drängt wieder Kundschaft in den Laden. Automatisch dreht nun auch Wladi den Kopf zur Tür– und schaut direkt in den schwarzen bedrohlichen Lauf einer Pistole.

11.00Uhr, GOLD-HORST

Die beiden Typen mit den seltsamen Gummimasken sehen richtig unheimlich aus, findet Wladi. Weder in einem Karnevalsladen noch in der Halloween-Abteilung eines Kölner Kaufhauses hat er jemals solche fiesen Haimasken gesehen. Die Gesichter der Männer sind darunter nicht zu erkennen, mal von den unruhigen Pupillen abgesehen, die man durch die Augenschlitze aber auch nur zum Teil sehen kann.

»Her mit dem Gold, alles für die Armen!«, ruft nun einer der Männer und fuchtelt nervös mit der Waffe hin und her. Automatisch bewegt sich Wladi langsam rückwärts, weg von der Gefahr, hin zum Hinterausgang des Ladens.

»Das ist ein Überfall!«, ergänzt der Kleinere, obwohl das inzwischen alle kapiert haben müssten.

Offenbar nicht gerade die Hellsten, denkt Wladi, hält aber besser den Mund. Der kleine Haifisch-Mann scheint wesentlich pummeliger als der andere zu sein. Dafür hat er die größere Pistole.

»Glotz nicht so«, brüllt er Wladi jetzt an. Seine Stimme klingt dumpf unter der Maske– wenn er sie nicht absichtlich verstellt hat, was ja logisch wäre. »Alle auf den Boden, sonst knallt es.«

Wie in einem schlechten Film, denkt Wladi, legt sich aber bereitwillig auf den staubigen Boden. Es ist sicher immer besser, aus der Schusslinie zu sein. Neben ihm atmet der Juwelier hastig, er liegt ebenfalls auf dem Bauch und versucht vergeblich, mit der rechten Hand an einen Knopf zu gelangen, der unterhalb der Kasse angebracht ist. Ob das der Auslöser für die Alarmanlage ist?

Wladis Blick fällt auf einen langen Schuhlöffel, der im Regal vor ihm liegt. Als er ihn gerade an sich nehmen möchte, hört er plötzlich die zittrige Stimme der alten Frau mit dem Rollator.

»Entschuldigung, die Herren Einbrecher. Ich kann mich nicht auf den Boden legen, weil meine Knochen da nicht mehr mitspielen. Wäre es auch möglich, dass ich mich einfach rumdrehe und wegschaue?«

Jetzt sind sie abgelenkt, denkt Wladi voller Hoffnung und traut sich, mit dem Schuhlöffel den Alarmknopf zu betätigen. Dieser beginnt rot zu blinken, gibt aber zum Glück kein Geräusch von sich. Doch irgendwo, so weiß Wladi aus seiner langjährigen Tätigkeit als Hobbydetektiv, auf irgendeiner Polizeidienststelle, wird jetzt ein Alarm losgehen und Hilfe auf den Plan rufen. Vielleicht bei Kommissar Sieberbeck, den er sogar persönlich kennt.

»Okay, meinetwegen«, brummt der eine.

Dem Lärm nach zu urteilen, den die beiden Räuber verursachen, klauben sie offenbar die Schmuckstücke aus der Vitrine und den Auslagen zusammen. Es klimpert und klackert, als würden sie die Schmuckstücke achtlos irgendwo hineinwerfen. Die räumen den Laden leer, denkt Wladi. Krass.

Als er durch einen Spalt unter der Theke hervorlugt, kann Wladi nur einen kleinen Ausschnitt des Ladens sehen, ab und zu laufen die Schuhe der Einbrecher durchs Bild. Hektisch, irgendwie ohne Konzept, nervös. So erscheint es dem kleinen Beobachter auf dem Boden.

Erst jetzt sieht er, dass die Eindringlinge echte Sharky Chucks tragen. Die seltenen Einzelstücke gibt es neu nicht unter vierhundert Euro– handgefertigte Schuhe eben! Einer der Männer trägt pinke Schuhe mit schwarzen Schnürsenkeln, der andere hat sich für die Tiger-Edition mit blauen Schnürsenkeln entschieden. Kurz muss Wladi an seine eigenen neuen Schuhe denken, die noch nicht mal ein Drittel davon gekostet haben und die jetzt über und über mit Tomatenspritzern besprenkelt sind. So wird er seinen kleinen Ausflug auch vor seiner Mutter nicht geheim halten können– Mist!

Wladi zückt langsam und unauffällig sein Smartphone und macht unter der Theke hindurch ein Foto von den Schuhen. Besser als nichts, denkt er bei sich.

»Keine Polizei!«, ruft einer der Männer, seine Stimme klingt sehr jung. Dann scheint er mit seinem Kumpel den Laden zu verlassen, denn zeitgleich ertönt die laute, aufdringliche Ladenglocke. Dann ist es erst einmal sehr still in dem Laden.

»Die Luft ist rein«, sagt die alte Frau mit dem Rollator. »Sie können rauskommen.«

»Oh Gott!« Der Juwelier hat jetzt eine sehr weinerliche Stimme und zittert am ganzen Leib, als ihm das Ausmaß des Überfalls bewusst wird.

Wladi ist der Letzte, der von seinem Tauchgang nach oben kommt und einen Blick auf die leeren Regale riskiert: Tatsächlich, der Laden sieht ohne Schmuck richtig trostlos aus, selbst auf der Theke liegt außer der kleinen Lupe gar nichts mehr.

Moment mal. Haben die Diebe etwa auch Mutters Uhr mitgenommen?

»Neiiiiiiin! Nicht Uhr von Ururopa Piotr!«

Und während Wladi die Hände zu Fäusten ballt, um den tiefen Schmerz im Herzen besser aushalten zu können, schwört er sich, dass er sich die Uhr zurückholen wird. Nur wie, das weiß er leider noch nicht.

Als der Polizeiwagen ein paar Minuten später vor dem Geschäft parkt, hat sich schon eine Menschentraube um Horst Gehling, den Juwelier, gebildet. Während Kommissar Sieberbeck mit seinem Kollegen behäbig aus dem Auto steigt, erzählt der Gold-Horst den neugierigen Nippeser Bürgern immer wieder, wie sich der Überfall abgespielt hat.

Riesig seien die Verbrecher gewesen, groß und breit wie Schränke, durchtrainiert. Überhaupt durch und durch bedrohlich. Das sei ein ganz schöner Schreck gewesen, als sie ihm drohten, ihn als Geißel zu nehmen. Todesmutig habe er dann den Alarmknopf gedrückt. Er! Wladi traut seinen Ohren nicht.

Kommissar Sieberbeck schreibt eifrig mit, sein Kollege macht Fotos vom Tatort. Dann fällt der Blick des Kommissars auf den Jungen. »Was machst du denn hier, Wladi? Hast du keine Schule?«

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die beiden bei Ermittlungen zu einem Fall begegnen. Schon mehrfach hat Sieberbeck den Jungen gewarnt, sich aus der Polizeiarbeit rauszuhalten. Man sieht ihm an, dass er nicht besonders erbaut von Wladis Anwesenheit ist. Dabei ist Wladi diesmal ja wirklich ganz unverhofft in diese Sache geraten– quasi unschuldig.

»Ist Erkältung in Anmarsch. Muss bleiben in Schongang!« Wladi putzt sich demonstrativ die Nase und bemüht sich um einen arglosen Blick.

»Schongang durch Nippes? Nee, ist klar.« Sieberbeck rückt sich entschlossen seine Dienstmütze zurecht. »Warst du denn auch im Juwelierladen? Hast du die Haifisch-Bande zu Gesicht bekommen?«

Sieberbeck zeigt mit einem Stift auf eine Zeichnung an der Häuserwand, die Wladi bislang noch gar nicht aufgefallen ist: Ein mit Kreide gezeichneter Hai, fast einen halben Meter groß, ziert das Haus.

»Die sogenannte Haifisch-Bande treibt seit einigen Wochen in der Kölner Nordstadt ihr Unwesen. Und immer hinterlassen die Räuber dieses Zeichen. Eine Art Botschaft.«

»Boot schafft?«

»Na ja, sie wollen uns etwas mitteilen. Was, wissen wir noch nicht.« Sieberbeck räuspert sich. »Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Täter zu stellen, aber es gelingt uns nicht, weil sie nicht immer gleich vorgehen. Einmal tauchen sie montags in Weidenpesch auf, dann mittwochs in Niehl, mal überfallen sie einen Laden am frühen Vormittag am Eigelstein und dann wieder in den Abendstunden im Agnesviertel. Nur die Kreide-Haie auf den Wänden sind immer gleich, genauso wie die Masken.«

Immerhin ein Muster, denkt Wladi, dessen detektivischer Spürsinn bereits erwacht.

Sieberbecks Stimme klingt jetzt dunkel und bedrohlich. »Der Hai gilt gemeinhin als kaltblütiger Killer und Menschenfresser. Er ist zudem ein Einzelgänger.«

Wladi denkt an das Haifischbecken im Zoo, an die Kölner Haie – die bekannte Eishockeymannschaft– und an den Film »Der weiße Hai«, den sein Vater letztens geschaut hat und den er nicht hatte mitschauen dürfen, weil er für Kinder zu gruselig ist. Ob die beiden Männer mit den weißen Haimasken genauso gefährlich für ihre Mitmenschen sind wie die Meerestiere, nach denen sie sich benannt haben? Wladi bekommt eine Gänsehaut.

Sieberbeck schaut Wladi mit zusammengekniffenen Augen an. »Was also hast du beobachtet? Jedes Detail hilft uns weiter.«

13.00Uhr, Neusser Straße

Nachdem Wladi seine Beobachtungen zu Protokoll gegeben hat, hält er Ausschau nach der zweiten Zeugin, die sich offenbar schon aus dem Staub gemacht hat. Beachtlich, wie schnell man mit einem Rollator unterwegs sein kann, findet Wladi und eilt die Neusser Straße hinunter, der alten Frau hinterher.

Erst auf Höhe der Lohsestraße holt er sie ein, sie ist offenbar auch in Richtung Agnesviertel unterwegs. »Hallo, bitte stopp!«, ruft er.

Die alte Dame bremst abrupt ab und dreht sich erstaunt um. Dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. »Ah! Der romantische junge Mann aus dem Juweliergeschäft.«

Wladi kann nicht anders, er wird schlagartig rot. Romantisch! Er! Wenn das seine große Schwester Tatjana hören würde, die ihm immer unterstellt, dass er überhaupt keine Ahnung hat, wie man mit Mädchen umgeht.

»Ich heiße Wladi«, sagt er.

»Mein Name ist Margit Troisdorf.« Sie bleibt kurz stehen, um durchzuatmen. »Du bist aber nicht von hier, oder?«

»Nein, aus Duschanbe. Hauptstadt Tadschikistan«, antwortet Wladi.

»Interessant. Ich bin nie aus meinem Veedel herausgekommen, wo ich vor dreiundachtzig Jahren geboren bin. Ich bin sozusagen ein Urgestein. ’ne echte Kölsche!« Die alte Frau treibt ihren Rollator so zügig voran, als hätte das Ding einen Elektromotor. »Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich die Einzige, die im Agnesviertel die Stellung gehalten hat. Alle anderen sind gestorben oder weggezogen.«

Wladi überlegt. In der Tat sieht er immer weniger alte Menschen auf den Straßen, mehr und mehr junge Hipster und geschäftige Menschen im Business-Look.

»Aber wir wollen keine Trübsal blasen. Wir können von Glück sagen, dass uns gerade nichts passiert ist«, sagt Frau Troisdorf.

»Doch. Ist Schreckliches passiert: Uhr von Familie gestohlen. Schmuckstück von Ururgroßvater Piotr, welcher war schwer verliebt in Ururgroßmutter.« Wladi merkt, wie sich eine Träne im rechten Auge sammelt. Sie fühlt sich heiß an. Schnell wischt er sie weg. »Ich sie unbedingt wiederhaben muss!«

»Das tut mir sehr leid. Und die Diebe können ja nicht mal etwas mit der Uhr anfangen, weil sie kaputt ist.« Margit Troisdorf schüttelt den Kopf, bleibt stehen und stützt sich auf den Rollator. »Puh, mal kurz verschnaufen. Bin eine alte Frau und kein ICE.«

Dann schaut sie den Jungen aus Tadschikistan aufmerksam an. »Du willst die Diebe doch hoffentlich nicht auf eigene Faust schnappen?«

»Also, meine Freunde und ich…« Wladi lächelt, er ist sich unschlüssig, ob er die alte Dame in seine Pläne einweihen soll. Sie kann ja nicht wissen, dass sie ein Mitglied der Bolzplatzbande vor sich hat.

»Ich verstehe.« Margit Troisdorf macht plötzlich einen nachdenklichen Eindruck.

Eine ganze Weile gehen sie schweigend nebeneinanderher. Sie passieren die Brücke über den Park, zur Rechten taucht die Skaterrampe auf. In wenigen Stunden wird sie voller Kinder und junger Menschen mit Skateboards sein, auch Wladi hat hier mit seinen Freunden schon sein Glück versucht, ist aber böse auf die Nase gefallen. Apropos: Er muss unbedingt Kevin, Laura und Sema zusammentrommeln. Sie werden ihm helfen, die goldene Uhr wiederzufinden. Ganz bestimmt.

»So, ich muss hier abbiegen«, reißt Margit Troisdorf ihn aus seinen Gedanken, nachdem sie die Innere Kanalstraße überquert haben. »Wir bleiben in Kontakt. Wir sollten wachsam sein und erst einmal schauen, ob das gute Stück vielleicht im Internet auftaucht. Was meinst du?«

Wir? Wladi ist baff. Seit wann machen alte Omas und Kinder gemeinsame Sache? Und seit wann kennen Seniorinnen sich mit Internet und Computer aus? Aber eine gute Idee ist das sicherlich. »Okay!«, sagt er.

»Also morgen um fünfzehn Uhr zur Besprechung bei mir? Kannst deine Freunde mitbringen, wenn du willst. Es gibt Kakao und Kuchen.«

»Okay«, stammelt Wladi erneut, als Margit Troisdorf ihm ihre Adresse nennt. Er ist so erstaunt, dass ihm gerade nichts anderes einfällt. »Ich frage andere drei.«

»Gut. Wär doch gelacht, wenn wir diesen kriminellen Kindsköpfen nicht auf den Zahn fühlen könnten.«

Kindsköpfe? Wohl eher Haiköpfe, denkt Wladi und schaut Margit Troisdorf noch eine ganze Weile hinterher, wie sie mit ihrem kleinen Wägelchen blitzartig die Blumenthalstraße hinunterdüst. Was für eine erstaunliche alte Dame!

13.30Uhr, Neusser Wall/Fontanestraße

Fast wäre Wladi von einem Umzugswagen erwischt worden, der volle Möhre über den Zebrastreifen am Schuhladen gebrettert ist– die zweite lebensgefährliche Situation für heute. Vielleicht hätte er doch einfach im Bett bleiben sollen, wie Mutter es angeordnet hatte. Dann wäre auch die goldene Uhr noch an ihrem Platz im Nachttischschränkchen des Elternschlafzimmers.

Wladis Bauch schmerzt wieder, wenn er an den Raubüberfall denkt, den er hautnah miterlebt hat. Ohne seine Freunde von der Bolzplatzbande wird es ihm sicher nicht gelingen, den Haifisch-Dieben die Uhr wieder abzuluchsen, so viel steht fest.

Sema, Laura und Kevin kennen sich seit der Grundschule, Wladi ist erst kurz nach Beginn der vierten Klasse zu ihnen gestoßen, nachdem er nach Köln gekommen war. Obwohl sich die vier im letzten Jahr nicht alle für dieselbe weiterführende Schule entschieden haben, haben die Fünftklässler Kontakt gehalten. Detektivarbeit verbindet! Wladi zückt sein Smartphone für eine Nachricht an alle: »Hai-Alarm! Neuer Fall! Zeit für Notfallsitzung. 15Uhr in Geheimbesteck?«

Schon nach wenigen Sekunden schreibt Sema in gewohnt trockenem Ton zurück: »Meinst du vielleicht VER-steck? Wenn ja, dann bin ich um 15Uhr am FortX.« Typisch: Das türkische Mädchen nimmt es immer ganz genau, ob beim Rechnen oder Schreiben. Sie ist nicht umsonst die Mathequeen in der Klasse und führt bei der Bolzplatzbande das Tagebuch, in dem die Ermittlungsergebnisse akribisch zusammengefasst werden.

Da Kevin neuerdings in Nippes wohnt und Sema schon seit Längerem im kleinen Stadtteil Mauenheim, gilt das FortX immer noch als idealer Treffpunkt für geheime Besprechungen: Die Reste der alten Stadtverteidigungsanlage aus dem Jahre 1825 liegen nur ein paar Schritte von dem Wohnblock am Neusser Wall, wo Wladi zu Hause ist, entfernt und ganz in der Nähe der Gesamtschule Agnesstein, die Sema und Wladi besuchen.

»Bin auch dabei, das wird super!«, simst Laura, die die Begabung hat, alle Menschen um sich herum aufzuheitern. Wladi schätzt diese Eigenschaft sehr an der Freundin, vor allem, wenn ihm traurig zumute ist. Laura behält immer die Ruhe, selbst wenn es um sie herum stürmt. »:-)«

»Geht klar«, lässt Kevin, der Coole in der Bande, von sich hören. Er geht auf die Realschule im Norden der Stadt und hat dort neue Freunde gefunden. Seither macht er sich rar. »Jetzt noch Mathe– würg.«

Wladi muss über das ganze Gesicht grinsen: Eigentlich sind Handys in der Schule ja verboten. Dafür sind die Freunde, die gerade noch im Unterricht sitzen, ganz schön flott im Antworten.