Coming Home for Christmas - Stefanie Neeb - E-Book

Coming Home for Christmas E-Book

Stefanie Neeb

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Beschreibung

Eine Verwechslung mit herzerwärmenden Folgen Schneechaos, schwächelnder Handyakku und wieder mal eine Nacht im Hotel – als Svea in Stockholm landet, um die Feiertage bei ihrer Großtante zu verbringen, stehen die Vorzeichen alles andere als gut. Nur der süße Fahrer Kjell, der sie in Empfang nimmt, ist ein kleiner Lichtblick. Weshalb der ihr allerdings etwas von Personalmangel erzählt, wird ihr erst später klar, genau wie die Tatsache, dass sie wohl den falschen Shuttle erwischt hat. Und sie hätte das Missverständnis ja auch umgehend aufgeklärt, würde ihr Kjell nicht zum ersten Mal seit Langem ein Gefühl von Heimat geben.

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STEFANIE NEEB: COMING HOME FOR CHRISTMAS

 

Eine folgenschwere Verwechslung …

Schneechaos, schwächelnder Handyakku und wieder mal eine Nacht im Hotel – als Svea in Stockholm landet, um die Feiertage bei ihrer Großtante zu verbringen, stehen die Vorzeichen alles andere als gut. Nur der süße Fahrer Kjell, der sie in Empfang nimmt, ist ein kleiner Lichtblick. Weshalb der ihr allerdings etwas von Personalmangel erzählt, wird ihr erst später klar, genau wie die Tatsache, dass sie wohl den falschen Shuttle erwischt hat. Und sie hätte das Missverständnis ja auch umgehend aufgeklärt, würde ihr Kjell nicht zum ersten Mal seit Langem ein Gefühl von Heimat geben.

WOHIN SOLL ES GEHEN?

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Vita

SAMSTAG, 16. DEZEMBER

Kjell

Lena Sommer. Oder war es Lisa? Lina? Lea? Mann, ich hab’s echt nicht so mit Namen.

Hilfe suchend schaue ich zu Carlo hinunter, der es sich auf meinem Schoß bequem gemacht hat. »Weißt du noch, wie die Neue heißt?« Doch als Antwort erhalte ich nur einen schläfrigen Blick und ein müdes Schnurren. Was mir nicht wirklich weiterhilft. Egal, dann schreibe ich eben nur L. Sommer.

Ich tippe die Buchstaben ein, ziehe die Schrift Din-A4-Zettel-groß und versehe das Ganze mit unserem Hotel-Logo. Jetzt noch schnell ausdrucken und los geht’s, bin eh schon spät dran. Behutsam setze ich den alten Kater auf den Boden, schnappe mir den Ausdruck, meine Jacke, mein Handy und spurte runter in die Lobby.

»Ich nehm den Jeep!«, sage ich zu Dad, der dort gerade eine frisch eingetroffene Familie begrüßt, und schnappe mir den Schlüssel vom Brett.

»Ist gut, aber mach langsam, okay? Das Schneechaos wird immer schlimmer.«

»Klar!« Ich nicke und wende mich noch kurz an die Familie. »Herzlich willkommen im Slott Hotell auch von mir!«

Als ich aus der Eingangstür ins Schneetreiben trete, stoße ich mit jemandem zusammen. Tessa. Natürlich. Vermutlich war sie zum Rauchen draußen.

»Ups.« Lächelnd sieht sie zu mir hoch. »Hab dich gar nicht gesehen.« Ihre Hand liegt wie selbstverständlich auf meiner Brust, und sie scheint nicht vorzuhaben, sie dort wieder wegzunehmen.

»Sorry, ich dich auch nicht«, erwidere ich und löse ihre Finger von mir. »Ich hab’s eilig, wir sehen uns später.«

»Ach, du holst die neue Aushilfe ab, oder? Soll ich mitkommen?« Sie greift nach meinem Arm, und ich spüre, wie sich meine Schultern augenblicklich verspannen. Seit knapp zwei Wochen sind wir kein Paar mehr. Trotzdem lässt sie keine Gelegenheit aus, mich zu berühren.

»Geh lieber ins Warme, deine Finger sind eiskalt«, sage ich, ziehe mir meine Mütze über und flüchte durch die Dunkelheit zu unserer Garage.

Lars, unser treuster Mitarbeiter, hat vorhin erst alles freigeräumt, doch schon wieder liegt eine geschlossene Schneedecke auf der Zufahrtsstraße. Ich schüttele mir den Schnee ab, steige in den Jeep und schalte das Radio und die Heizung an. Schon krass, wie stark es in den letzten Wochen geschneit hat. Und heute nun dieser Schneesturm. 15 Meter? 20 Meter? Weiter ist die Sicht nicht. Und doch fahre ich gerne durch diese dunkle Winterlandschaft. Ich liebe den Wald und die Seen hier, kenne gefühlt jeden Winkel.

Ob mir das alles fehlen wird, wenn ich in Stockholm studiere?

Wie aus dem Nichts tauchen vor mir die enttäuschten Gesichter von Mum und Dad auf, doch ich versuche sie zu verscheuchen, indem ich lautstark White Christmas mitsinge. Schließlich habe ich ihnen nie versprochen, mal das Hotel zu übernehmen. Nur, mich bis zum Semesterbeginn um die Aushilfskräfte zu kümmern – diesmal ohne was mit einer anzufangen. Ein Versprechen, das ich definitiv halten werde, nach dem Ärger mit Tessa.

Svea

Drei Wochen Auszeit. In Schweden!

Irgendwie kann ich es immer noch nicht glauben. Doch dann tauchen in der Dunkelheit unter mir die Lichter von Stockholm auf, ich sehe die goldene Spitze vom Stadshuset, und mein Herz fängt an zu rasen.

Gleich sehe ich endlich Yva wieder! Fahre mit ihr raus nach Vaxholm. Das wunderschöne Blockhaus meiner Großtante liegt auf einer Insel mitten in den Schären. Ich werde am Meer sein. Literweise Kakao trinken. Mit Yva am Ofen sitzen. Sogar Weihnachten feiern. Und das Beste: Ich muss nicht Klavier üben. Ich darf es nicht mal – schließlich soll ich ja meine Handgelenke schonen.

Am besten wäre es, du würdest eine Zeit lang gar kein Klavier sehen, hat mein Arzt gesagt. Damit der Druck nachlässt, den ich mir selbst mache.

Ich selbst? Oder doch eher meine Eltern?, überlege ich, merke aber, dass mich dieser Gedanke runterzieht, und packe einfach schon mal meine Sachen zusammen. Mein Buch, mein Handy, mein kleines Kissen, die leeren Müsli-Riegel-Packungen.

Trotz des Schneetreibens gelingt dem Piloten eine erstaunlich sanfte Landung, und sobald das Anschnall-Signal erloschen ist, schnappe ich mir meine Tasche und quetsche mich in den Gang. Ich will nur noch raus. Raus und zu Yva.

Auf dem Weg zu den Gepäckbändern krame ich mein Handy aus der Jackentasche. Mehr als zwölf Anrufe in Abwesenheit! Die meisten von meinen Eltern. Dabei kannten sie doch meine Flugzeiten ganz genau. Der letzte ist von Yva, aber sie hat mir nichts auf die Mailbox gesprochen, also rufe ich sie zurück.

»Svea? Bist du das?«

Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Vermutlich hat sie ihre Brille nicht auf und kann das Display nicht richtig erkennen.

»Ja, ich bin’s. Wir sind grad gelandet. Ich hol noch schnell mein Gepäck und komme dann raus.«

»Wie gut, dass du heil ange–« Es knackt in der Leitung. »… hier ist alles dicht und … bin nicht da. Dafür …« Wieder dieses Knacken.

Moment, hat sie gesagt, sie ist nicht da?

Ich presse mir das Handy fester ans Ohr. »Yva? Ich verstehe dich total schlecht.«

»Ich höre dich auch nur abgehackt. Aber ich hab dir ein Hotel gebucht. Etwas außerhalb von Stockholm. Es ist … extra einen Shuttle. Am Ausgang … deinen Namen … nur eine Nacht.« Das Gestotter wird immer schlimmer, bis das Gespräch schließlich ganz abbricht. Und doch habe ich genug gehört.

Ich bleibe stehen. Meine Tasche rutscht mir von der Schulter, jemand rempelt mich an, aber ich bin irgendwie bewegungsunfähig. Yva ist nicht da. Kein Blockhaus heute Nacht, dafür ein Hotelzimmer. Wie in Tokio, Lissabon, Berlin – jetzt auch in Stockholm.

Ich hasse Hotelzimmer.

Da mein Akku fast leer ist, gebe ich es nach zwei erfolglosen Versuchen auf, Yva noch mal zu erreichen, und schicke dafür Nele einen Snap. Dazu filme ich meinen Koffer, der dank Priority-Gepäck gerade auf das Gepäckband gespuckt wird, bevor ich mit der Kamera auf mich schwenke und das Gesicht verziehe.

Schneechaos. Yva ist nicht da und ich muss ins Hotel, texte ich ihr noch hinterher und erhalte prompt eine Antwort.

Ein Foto von Nele – an ihrem Schreibtisch. Wobei von ihr außer ihren widerspenstigen blonden Locken nicht wirklich viel zu sehen ist.

Du Arme. Aber dafür musst du morgen nicht Physik schreiben. Ohne dich verhau ich das bestimmt …

Ich muss lachen. In Physik stehe ich auf Vier minus minus minus, Nele weiß, dass ich ihr da eh keine Hilfe wäre. Ich schicke ihr ein Lach-Emoji und ein Herz zurück. Dass sie mir als Freundin noch nicht verloren gegangen ist, grenzt echt an ein Wunder, so oft, wie ich weg bin. Berühmte Eltern. Da werden einem Freistellungen vom Unterricht fast hinterhergeschmissen.

Ich stecke das Handy weg und erlöse meinen Koffer vom Rumkurven. Sobald ich durch die Schiebetüren trete, sinken die Temperaturen. Ich wickele mir meinen Schal fester um den Hals und schaue mich nach dem Hotel-Shuttle um. Ich sehe Schilder, die hochgehalten werden. Sheraton. Hilton. Best City Hotel. Blöderweise hab ich nicht verstanden, wo Yva mich einquartiert hat.

Plötzlich bleibt mein Blick an einem Schild hängen. Sommer. Da steht mein Name! Der Zettel sieht etwas mitgenommen aus, doch Sommer ist noch gut zu erkennen. Erleichtert winke ich dem Mann zu, der den Zettel in den Händen hält, doch als er hochschaut und mich entdeckt, rutscht mir fast der Koffergriff aus der Hand.

Das soll mein Fahrer sein?

Der Typ ist höchstens Anfang zwanzig und … und könnte echt alles sein. Rockstar. Influencer. Model …

Ich schlucke und starre ihn weiter an, während er auf mich zukommt. Er ist groß, trägt Jeans, einen abgewetzten Parka und eine schwarze Wollmütze, unter der blonde Strähnen hervorschauen. Seine Augen leuchten hell, wahrscheinlich blau. Doch das Schönste an ihm ist sein absolut strahlendes Lächeln.

»Hi!« Er ist jetzt fast bei mir. Wieso bin ich doofe Nuss einfach stehen geblieben? »You are … ähm, Miss Sommer?«

»Ja, hej!«, antworte ich und versuche, meine Atmung wieder in den Griff zu kriegen.

»I’m Kjell. Välkommen till Sverige. Welcome in Sweden.«

»Tack så mycket!«

Blau. Seine Augen sind blau und ruhen einen Moment auf mir, irgendwie erstaunt, bevor er dann lächelnd seine Hand ausstreckt. Immer noch wie benebelt greife ich fast nach ihr, kapiere dann aber gerade noch rechtzeitig, dass er nur meinen Koffer meint.

Auf dem Weg zum Wagen erzählt er mir von den abenteuerlichen Straßenverhältnissen und dass er froh ist, es noch rechtzeitig geschafft zu haben. Warum er dabei wieder ins Englische verfällt, verstehe ich nicht. Eigentlich sagen die meisten über mich, ich sei so das typische Schwedenmädchen.

»Here we are!« Die Lichter eines Jeeps blinken auf, als er auf seinen Schlüssel drückt, und der Kofferraumdeckel schwingt hoch.

An der Seite des Wagens entdecke ich ein Hotel-Emblem, doch mir bleibt keine Zeit, es genauer anzusehen, da Kjell mir bereits die Tür aufhält, und ich steige ein.

Wie alt er wohl ist? Im schwachen Schein der Innenbeleuchtung sieht er noch jünger aus. Seine Mütze liegt jetzt auf dem Armaturenbrett und seine Haare sind ziemlich verwuschelt. Sie sind sogar noch heller, als ich gedacht habe. An den Seiten kurz geschnitten, nur sein Pony fällt ihm etwas länger ins Gesicht.

Als er den Motor anlässt, schaltet sich automatisch auch das Radio ein. White Christmas ertönt in voller Lautstärke und ich stöhne unwillkürlich auf.

»Oh, sorry!« Kjell kappt mit einem verlegenen Grinsen die Verbindung von seinem Handy zum Radio.

Ich muss auch grinsen. Okay, sein Musikgeschmack ist speziell!

»We are glad to have you here«, sagt er nach einer Weile. »We absolutely need people.«

Sie brauchen Leute? Was meint er damit? Läuft das Hotel nicht gut? Hoffentlich ist das keine schmuddelige Absteige.

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, verkrieche mich ein wenig tiefer in den Sitz und sehe den Scheibenwischern beim Wischen zu. Ab und zu riskiere ich einen verstohlenen Blick zum Fahrersitz. Selbst im Profil sieht Kjell super aus. Und seine Lippen sind der Hammer. Sie sind schmal, haben aber genau die Form, die ich so mag. Dieses »Von-Natur-aus-Lächeln«.

Im Auto ist es jetzt kuschelig warm. Dunkelheit umhüllt uns, und ich spüre auf einmal, wie müde ich bin. Kjell erzählt irgendwas von Personalmangel, von Aushilfskräften. Ich versuche, ihm zuzuhören, muss aber immer wieder gähnen. Als er mich fragt, ob es mir etwas ausmacht, Weihnachten nicht zu Hause zu verbringen, verdrehe ich innerlich die Augen. Was hat Yva den Hotelleuten denn alles erzählt? Meine ganze Lebensgeschichte?

»Wir feiern eigentlich nie«, antworte ich und rutsche dabei wieder ins Schwedische. »Meine Eltern sind Musiker. Und über die Feiertage ständig auf Tournee. Deswegen … bedeutet es mir gar nicht so viel.« Das Gähnen, das erneut in mir aufsteigt, lässt mich Kjells Antwort verpassen. Ich bekomme noch mit, dass er sich über mein gutes Schwedisch wundert, schaffe es aber einfach nicht mehr, gegen die Müdigkeit anzukämpfen, und schließe die Augen.

Verschwommene Bilder tauchen in meinem Kopf auf. Ich sehe meine Finger auf den Tasten. Wie sie sich plötzlich verkrampfen, dann innehalten. Mamas besorgter Blick. Fragende Gesichter im Publikum.

Die Bilder gehen und tauchen wieder auf.

Jetzt ist da eine andere Hand. Jemand hält sie mir hin. Jemand mit einer schwarzen Mütze. Und einem umwerfenden Lächeln.

»Lena? … Lisa? Lea?«

»Svea«, erwidere ich und brauche eine Weile, um mich zu orientieren. Ich bin im Hotel-Shuttle! Und an der Beifahrertür steht Kjell.

»Entschuldige, ich bin wohl eingeschlafen.« Schnell setze ich mich auf. »Tokio, Lissabon, dann Berlin. Wir waren die letzte Woche nur unterwegs, und dazu die Zeitverschiebung …« Sein Stirnrunzeln lässt mich innehalten. Ich rede hier wahrscheinlich nur wirres Zeug. Meine Beine fühlen sich völlig verschlafen an und kribbeln, als ich aus dem Jeep steige.

Was ich dann aber sehe, haut mich um.

Aus der Dunkelheit vor mir erhebt sich ein märchenhaft schönes Landhotel. Slott Hotell prangt in goldenen Buchstaben über dem Eingang, zu dem ein schmaler, von hohen Tannen gesäumter Weg führt. Überall hängen Lichterketten, in den Bäumen, an den gelb gestrichenen Fensterläden, an den mit Kugeln versehenen Girlanden am Giebel – selbst die Schneeflocken, die um mich herumwehen, funkeln im Lichterglanz des Hotels.

»Es scheint dir zu gefallen.« Kjells Hand berührt meine Schulter, ganz flüchtig nur, und doch steigt eine prickelnde Wärme in mir auf.

»Ja! Es … es ist wunderschön.«

Ich drehe mich einmal um mich selbst. Überall Wald, tief verschneite Bäume. Wo bin ich hier nur gelandet?

Während Kjell meinen Koffer auslädt, schaue ich verstohlen auf mein Handy und rechne zurück. Um 17.45 Uhr bin ich gelandet. Jetzt ist es zwanzig vor acht. Das heißt, wir waren über eine Stunde unterwegs?

Yva hat gesagt, das Hotel läge etwas außerhalb. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir auf. Ich schaue zu Kjell, zum Jeep, dann wieder zurück zum Hotel.

Lena hat er vorhin zu mir gesagt. Plötzlich durchfährt mich ein Gedanke, der mich schlagartig hellwach macht: Bin ich hier etwa falsch? Das würde auch erklären, warum es ihn erstaunt, dass ich Schwedisch spreche … Oh Gott, hab ich den falschen Shuttle genommen? Und wenn ja … steht dann eine Lena Sommer immer noch am Flughafen?

»Komm! Bevor wir hier eingeschneit werden, gehen wir lieber rein, oder?« Kjell lächelt mir zu, und ich weiß, dass ich etwas sagen sollte. Dass ich ihn fragen sollte, ob das hier wirklich mein Hotel ist. Aber ich schaffe es nicht. Dazu ist es hier zu zauberhaft schön. Und ich bin viel zu erschöpft.

In der Lobby versuche ich, mir meine Begeisterung nicht anmerken zu lassen, doch ich komme mir vor wie in einem Märchenfilm. Die Einrichtung trifft genau meinen Geschmack. Dunkles Holz, kombiniert mit warmen Farben. Große Kronleuchter, die goldglänzendes Licht spenden. Das ist definitiv keine schmuddelige Absteige! Alles ist so gepflegt, dass ich mich mit meinen nassen Schuhen nicht über die Teppichläufer traue. Blöderweise quietschen meine Schritte dafür auf den Holdzielen und erregen Aufmerksamkeit.

Der Mann an der Rezeption blickt hoch und kommt sogleich mit einem freundlichen Lächeln auf uns zu. Ein Lächeln, das ich kenne. Kjells Vater?

Nervös klammern sich meine Finger um den Gurt meiner Tasche.

Ich rechne fest damit, dass jetzt auffliegt, dass ich gar nicht die Person bin, die sie erwarten. Doch er heißt mich nur aufs Herzlichste im Slott Hotell willkommen. »I am Jerik. Great to have you here.«

»Thank you«, erwidere ich und muss mich räuspern.

»Dad, du kannst Schwedisch mit ihr reden. Sie spricht super. Aber …« Er lächelt mir zu. »Ich zeig dir besser gleich mal dein Zimmer, okay? Nicht, dass du mir wieder einschläfst.«

Ich kann nicht anders, ich nicke.

»Toll, dass du Schwedisch sprichst«, sagt Kjells Vater und strahlt mich an. »Das macht vieles leichter für uns. Alles Weitere regeln wir dann morgen. Komm jetzt erst mal gut an und leb dich hier ein.«

Einleben? Morgen reise ich doch schon wieder ab. Spätestens jetzt bin ich mir absolut sicher: Hier liegt eine Verwechslung vor! Ich gehöre hier genauso wenig hin wie ein Elch in die Wüste.

Aber als Kjell zur Treppe deutet, meinen Koffer schon in der Hand, folgen ihm meine Füße und lassen meinen Verstand zurück.

Morgen. Ich werde morgen alles klären. Das Zimmer bezahlen. Und dann verschwinden.

Kjell

Svea also. Und ich war mir so sicher, dass ihr Name mit L beginnt …

Ich höre ihre Schritte hinter mir und drehe mich zu ihr um. »Noch eine Treppe und dann haben wir es geschafft.« Wieder fällt mir auf, wie hübsch sie ist. Svea hat das, was Mum klassische Schönheit nennt. Sie sieht irgendwie edel aus, und das, obwohl sie müde und ungeschminkt ist. Ihre blonden Haare sind zu einem Pferdeschwanz gebunden, ein paar Strähnen umrahmen ihr Gesicht, schaffen es aber nicht, von ihren blauen Augen abzulenken. Doch das, was mich am meisten an ihr fasziniert, ist dieses Zerbrechliche. Sie ist nicht besonders dünn oder so. Ich glaube, das Zerbrechliche liegt in ihrem Ausdruck. Wenn sie mich anschaut, möchte ich sie einfach nur in den Arm nehmen. So wie vorhin vor dem Hotel. Zum Glück konnte ich mich gerade noch beherrschen.

»Dein Zimmer ist gleich hier links«, sage ich, nur um irgendwas zu sagen. Seitdem Dad sie begrüßt hat, ist sie noch zurückhaltender als im Auto. Und auch jetzt nickt sie nur.

Vor ihrer Tür ziehe ich die Chipkarte aus meiner Hosentasche und erkläre ihr kurz, wie das Schließsystem funktioniert.

Svea betritt das Zimmer, ich schiebe ihren Koffer hinein, bleibe aber im Türrahmen stehen. »Es ist nicht sehr groß«, entschuldige ich mich. »Aber du hast einen Balkon. Und die Morgensonne.«

»Mir gefällt das Zimmer total«, sagt sie, und an ihrem Lächeln kann ich erkennen, dass sie es wirklich mag. Wenn ihr etwas gefällt, strahlen ihre Augen, aber so richtig! So wie vorhin, als wir angekommen sind und sie das Hotel gesehen hat. Komisch eigentlich, dass sie so beeindruckt war. Für die Bewerbung hat sie sich unsere Webseite ja sicher gründlich angesehen.

»Also dann.« Ich stoße mich vom Türrahmen ab. »Wir essen gleich alle. Wenn du magst, kannst du …«

»Nein danke. Ich will nur noch schlafen. Aber …« Sie sieht kurz zu mir, und ich Idiot muss mich doch tatsächlich am Türrahmen festhalten. Krass, was für eine Wirkung dieses Mädchen auf mich hat.

»Danke, Kjell. Auch fürs Abholen.«

»Hab ich gern gemacht. Und alles Weitere klären wir dann morgen. Schlaf gut!«

Auf der Treppe kommt mir Tessa entgegen.

»Wow. Ein exklusiver ›Ich zeige dir hier alles‹-Service. Und das vom Junior-Chef persönlich, hm? Bekommen den jetzt alle Neuen?«

Ich presse die Lippen zusammen, um nicht irgendwas zu sagen, das ich später bereuen werde. Aber Tessa legt auf meiner Sympathie-Skala die Strecke von Ich mag dich wirklich sehr zu Du gehst mir auf den Sack gerade echt im freien Fall zurück. Ich atme tief durch und entgegne ihr: »Service wird hier großgeschrieben. Solltest du mittlerweile wissen, oder?«

»Oh, oh. So gereizt?« Tessa verdreht ihre dunkel geschminkten Augen. »War ’n Scherz, okay? Warte kurz hier, ich zieh mir ein anderes Shirt an, dann können wir zusammen runter.«

Um gemeinsam beim Essen zu erscheinen? Sicher nicht.

»Ich muss noch was erledigen. Wir sehen uns gleich«, antworte ich und schaffe es diesmal, ihrer Hand auszuweichen, indem ich mich schnell genug wegdrehe. Ihren Blick in Richtung Sveas Zimmer bekomme ich aber noch mit. Er klebt zu lange an ihrer Tür, und das Lächeln auf Tessas Lippen sorgt dafür, dass sich mein Magen zusammenzieht. Es hat etwas Raubtiermäßiges.

Shit! Mit schnellen Schritten laufe ich den Flur entlang, dann die Treppen runter. Meine Notlüge, ich hätte noch was zu erledigen, verwandelt sich gerade in Wahrheit. Wenn Tessa sich ein Opfer sucht, dann hat das selten eine Chance. Svea bestimmt schon gar nicht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die beiden zu einer gemeinsamen Schicht eingeteilt habe. Doch das lässt sich mit wenigen Klicks ändern.

Im Büro ist zum Glück niemand mehr. Ich setze mich hinter den Schreibtisch und will gerade den Onlinedienstplan aufrufen, als in der unteren rechten Ecke neue E-Mails angezeigt werden. Darunter auch eine von … Lena Sommer.

Mit offenem Mund starre ich auf den Bildschirm. Die Anzeige ist längst wieder verschwunden, und trotzdem starre ich weiter.

War das …? Stand da wirklich Lena Sommer?

Meine Finger beginnen zu zittern, sie finden nicht sofort die richtigen Tasten, doch irgendwann hab ich es endlich und mir wird mein Postfach angezeigt.

Von: Lena Sommer

Betreff: Absage

Ich spüre förmlich, wie mir der Kiefer runterklappt. Atmen? Schwierig grade, dafür krieg ich echt Herzrasen. Hab ich etwa …?

Ich fliege über den Text, und nicht alle Worte kommen bei mir an, aber eines verstehe ich: Lena Sommer hatte einen Unfall. Nicht schwerwiegend, aber sie kann nicht kommen. Und bittet vielmals um Entschuldigung, dass sie so kurzfristig absagen muss.

Langsam lasse ich mich in meinen Stuhl zurücksinken und gehe alles noch einmal in Gedanken durch, von meiner Abfahrt hier bis zu meiner Rückkehr. Und eins ist klar: Lena, unsere neue Aushilfskraft, habe ich nicht mitgebracht.

Wer aber ist dann das Mädchen in Zimmer 212?

Mein Handy vibriert und auf dem Display leuchtet Mums Foto auf. Wahrscheinlich fragt sie sich, wo ich bleibe, doch noch kann ich hier nicht weg.

Was zur Hölle soll ich meinen Eltern sagen? Wer ist Svea? Wo wollte sie hin?

Und … warum hat sie nicht gesagt, dass sie eigentlich ein anderes Ziel hatte? Ihr muss doch aufgefallen sein, dass hier was falsch gelaufen ist.

Kopfschüttelnd beuge ich mich wieder vor. Und dann verselbstständigen sich meine Finger. Sie rufen den Schichtplan auf, fliegen über die Tastatur und korrigieren erst mal den Namen. Aus Lena wird Svea, aus ihrer geplanten Schicht als Kellnerin der Zimmerservice. Zwei weitere Klicks – und die Nachricht von Lena Sommer verschwindet im Archiv.

Svea hat nichts gesagt. Warum, weiß ich nicht. Aber sie ist hier. Und wenn es nach mir geht, kann das so bleiben.

SONNTAG, 17. DEZEMBER

Svea

Ich öffne die Augen, noch völlig verschlafen, und merke doch, dass etwas nicht stimmt. Es gibt nur drei Dinge, die mich aufwecken. Mein Wecker, Mamas Einsingübungen oder Papas lautes »Ab aus den Federn, Svenni!«.

Jetzt aber ist es einfach nur still.

Meine Hände wandern zu meiner Nase, ich will mir die Schlafbrille wegschieben, doch … da ist nichts. Bin ich tatsächlich ohne das Ding eingeschlafen?

Ich rolle mich zur Seite und angle mein Handy vom Nachttisch. Irgendwas stoße ich dabei um, doch dann habe ich es endlich. Das Display leuchtet auf und die Dunkelheit um mich herum erhellt sich ein wenig. Das Erste, was ich sehe, ist eine kuschelige Bettdecke. Rot-weiß kariert. Verwirrt setze ich mich auf und schwenke das Handy durch den Raum. Er ist mir vollkommen fremd. Aber da steht mein Koffer. Meine Jacke liegt auf dem Boden. Daneben stehen meine Schuhe. Sie haben einen dunklen Fleck auf dem grünen Teppichboden hinterlassen. Und plötzlich ist alles wieder da. Das Schneechaos. Der Shuttle. Das Slott Hotell. Kjell!

»Scheiße!« Ich lasse mich zurückfallen und ziehe mir die Decke über den Kopf. Nichts sehen, nichts hören. Als ob das was nützt! Gedanken brauchen kein Licht. Und Vorwürfe schon gar nicht. Was hab ich nur gemacht? Warum zum Teufel hab ich nicht gleich was gesagt? Und … was ist mit Lena Sommer?

Bei der Vorstellung, dass sie noch immer irgendwo wartet, bekomme ich unter der Decke keine Luft mehr und tauche wieder auf.

Sie hat wahrscheinlich ein Taxi genommen. Oder ist vielleicht wegen des Schneetreibens gar nicht gelandet, es sind ja einige Flüge ausgefallen.

Ich höre Yvas Worte von gestern, auch ihr herzliches Lachen, als ich ihr vor dem Einschlafen am Telefon von der Verwechslung erzählt habe.

Jetzt schlaf erst mal schön. Alles andere klärt sich morgen.

Irgendwie ist es ihr gelungen, mich zu beruhigen. Nur ist morgen leider heute. Einen Moment lang starre ich an die Decke, dann aber wühle ich mich aus dem Bett und ziehe die Gardine vor meinem Fenster zur Seite.

Es schneit noch immer, dicke Flocken tanzen im Licht unzähliger Laternen, die einen weitläufigen Garten säumen. Yva hat gesagt, ich soll erst mal ordentlich frühstücken, und allein bei dem Gedanken an warme Brötchen und heißen Kakao meldet sich mein Magen. Kein Wunder, das Letzte, was ich gegessen habe, war das matschige Sandwich im Flugzeug. Jetzt ist es halb acht. Ob Yva schon wach ist?

Ich schreibe ihr schnell eine Nachricht, bevor ich mich an meinem Koffer vorbeischlängele und die Tür zum Badezimmer öffne. Auch wenn es winzig ist, mag ich es total. Die weißen Fliesen, die chromblitzenden Armaturen, kombiniert mit dem dunklen Holzschränkchen. Ein Blick in den Spiegel lässt mich dann aber aufstöhnen, denn er genügt, um mir die Entscheidung »nur Duschen« oder »Duschen und Haare« abzunehmen. So verstrubbelt, wie ich aussehe, kann ich mich unten definitiv nicht zeigen.

Unten. Allein der Gedanke an »unten« sorgt dafür, dass meine Haut zu kribbeln beginnt. Oder ist es der Gedanke an Kjell?

Dieses ganze Missverständnis aufzuklären wäre so viel einfacher, wenn er mir nicht so gefallen würde. Trotzdem möchte ich lieber ihm alles erklären, als mit seinem Vater reden zu müssen.

Hej Kjell, ich muss dringend mit dir sprechen. Ne. Das klingt blöd. Hej Kjell! Du, irgendwie war ich gestern total benebelt. Ich hab nur das Schild mit meinem Namen …

Unter der Dusche übe ich schon mal meinen Text, während des Haareföhnens dann das passende Lächeln. Beides gelingt mir nicht wirklich. Egal. Ich muss das klären, und am besten jetzt gleich.

Ich öffne meinen Koffer und stelle fest, dass meine Klamottenauswahl eine ziemliche große Lücke aufweist – und zwar genau zwischen bequemen Kuschel-Outfits und Konzertkleidern. Beides für das Slott Hotell nicht gerade passend. Aber das schwarze Sweatshirt vielleicht?

Ich fische es aus dem Koffer, schlüpfe in die Jeans von gestern und schnappe mir mein Portemonnaie und mein Handy. Yva hat mir eine Nachricht auf die Mailbox gequatscht: »Guten Morgen, Svenni-Schatz! Ich hab grad nicht viel Zeit. Hier ist immer noch totales Chaos. Und … tja, Berti hat den Geist aufgebgeben. Die Batterie ist jetzt völlig hinüber, wir kriegen ihn nicht mehr überbrückt. Von daher weiß ich noch nicht, wie ich dich heute abholen soll. Aber wir finden sicher einen Weg. Nur … sollten alle Stricke reißen, frag doch bitte einfach mal nach, ob du eventuell noch eine Nacht länger bleiben kannst, ja? Ach, und Svenni, eins noch. Selina und Hendrik glauben immer noch, dass du im Hotel in der Stadt bist. Ich dachte, das ist besser so.«

Und ob! Wenn meine Eltern wüssten, dass ich allein so weit draußen bin, würden sie vermutlich gleich einen Suchtrupp losschicken. Aber … eine Nacht länger hier?

Ich sehe mein Lächeln im Wandspiegel und hoffe insgeheim, dass Berti, Ivas alter Kombi, tatsächlich kaputt ist. Am besten die Batterien aller anderen Autos gleich mit.

Dann könnte ich noch ein bisschen bleiben …

In der Lobby unten ist es noch ruhig, dezente Musik spielt im Hintergrund, doch mein Herz pocht so laut, dass ich nicht erkennen kann, welches Lied es ist.

Die Rezeption ist besetzt, allerdings kenne ich den Mann nicht, der dort gerade telefoniert. Er hält kurz den Hörer zu und begrüßt mich lächelnd. »Du musst Svea sein. Ich sag Kjell gleich Bescheid.«

Ich erwidere sein Lächeln, doch es verrutscht etwas, als ich höre, wie er weiter in den Hörer spricht. »Nein, es tut mir wirklich leid, wir sind bis über die Feiertage hinaus restlos ausgebucht. Nicht mal …«

Ausgebucht? Mist! Sollte Lena hier auftauchen, wird das nichts mit einer Verlängerung, denn mit mir teilen will sie ihr Zimmer sicher nicht.

Ich nehme mir einen Prospekt vom Tresen. Slott Hotell Jönsson. Was die Zimmer hier wohl kosten? 4500 Kronen hat Papa mir überwiesen, die üblichen 400 Euro für Weihnachten. Damit ich mir einen Wunsch erfülle. An eine Nacht in einem fremden Hotel hat er dabei sicher nicht gedacht. Ich steuere auf eine der Sitzgruppen zu, um dort auf Kjell zu warten. Dunkelbraunes Leder, das auf edle Art ein wenig abgesessen aussieht. Ich mag diesen Shabby-Chic und will mich gerade setzen, als ich Gekicher hinter einem der Sessel höre. Neugierig spähe ich um die Ecke. Drei Mädchen, sicher nicht älter als sieben oder acht Jahre, hocken dort vor einer Wand. An ihr ist eine kleine Tür angebracht worden, zu der eine noch kleinere Holztreppe hochführt. Die Stufen sind mit Kunstschnee bepudert und mit Lämpchen verziert. Ein Jutesack und ein winziger Schlitten stehen vor der Treppe und daneben …

»Guck mal, Kimmo hat die Kerze vom Adventskranz geklaut!«, sagt eines der Mädchen zu mir und zeigt auf die große dunkelrote Kerze, die neben der Deko-Treppe steht.

»Wirklich? Und wer ist Kimmo?«

»Boah!« Die Kleine rollt mit den Augen. »Na, der Hotelwichtel. Der macht jeden Tag irgendwelche Streiche.«

Erst jetzt sehe ich die kleinen Fußspuren, die auf dem Boden von der Wichteltür bis zu dem Adventskranz auf dem Couchtisch führen. Und wirklich, dort fehlt die Kerze.

»Na, das ist ja einer.« Lächelnd hocke ich mich auf den Boden und lasse mir erzählen, was Kimmo bisher alles so angestellt hat. Zwei der Mädchen plappern gleich drauflos, das dritte aber bleibt still und mustert mich aus seinen großen blauen Augen.

»Du bist Svea, oder?«, fragt es dann plötzlich.

»Ähm … ja.« Verwundert sehe ich das Mädchen an. »Und wer bist du?«

»Caja. Kjell hat schon von dir erzählt. Und er hat gesagt, dass du Schwedisch kannst. Und dass du schön bist.«

»Ach ja?« Mein Herz macht einen Hüpfer und ich verbeiße mir ein Lächeln. »Hat er das?«

»Ja, er ist nämlich mein Bruder und –«

»Stopft dir gleich den Mund mit Schnee voll, Caja!«, vervollständigt eine Stimme in meinem Rücken ihren Satz, und ich drehe mich um. Kjell steht mit hochgezogenen Augenbrauen da. Er lächelt zwar, doch ich glaube, dass seine Wangen ein wenig rot geworden sind. »Sorry, Svea! Ich hätte dich gestern schon vorwarnen sollen. Caja ist schlimmer als alle Wichtel dieser Welt zusammen. Von daher, was sie angeht: Pass bloß auf!«

»Gut zu wissen.« Ich zwinkere ihr zu und versuche aufzustehen, was nicht ganz einfach ist, wenn einem dabei die Knie zittern. Kjell sieht heute ganz anders aus. Klar, er hat immer noch dieses verdammt schöne Lächeln, die strahlend blauen Augen. Doch er trägt jetzt Hotelkleidung: eine hellbraune Stoffhose, ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Weste, auf der das Hotel-Emblem prangt – und sieht damit ziemlich seriös aus. Einzig seine hochgekrempelten Ärmel erinnern an seine Lässigkeit von gestern.

»Jaaa! Aber bei meinem Bruder musst du auch aufpassen, Svea«, höre ich Caja hinter mir sagen. »Er ist nämlich –« Weiter kommt sie nicht, denn ein Schritt von Kjell auf sie zu genügt und sie flüchtet quietschend die Treppe hoch. Und die anderen beiden Mädchen gleich mit.

Einen Moment ist es seltsam still zwischen ihm und mir, und ich weiß, dass jetzt der passende Moment wäre, um mit der Sprache rauszurücken, doch Kjell hat sich irgendwie schneller gefangen als ich. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja, super. Sogar ohne Schlafbrille.«

Sobald der Satz raus ist, könnte ich mich ohrfeigen. Schlafbrille? Echt jetzt?

»Mach dir nichts draus, ich kenn das«, erwidert Kjell zu meinem Erstaunen, und ich will gerade erleichtert aufatmen, als ich sehe, wie seine Mundwinkel verräterisch zucken. »Von meiner Oma.«

»Was?« Auch meine zucken jetzt. »Vergleichst du mich grad mit deiner Oma?«

Kjell lacht auf und hebt beschwichtigend die Hände. »Hey, sie ist wirklich ne Nette. Aber hast du Lust zu frühstücken? Ich dachte, dabei können wir alles Wichtige klären.«

Ich nicke nur, kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich in seiner Anwesenheit auch nur einen Bissen runterkriegen soll.

Der Speisesaal ist ganz anders, als ich das aus anderen Hotels kenne. Normalerweise stehen die Tische ja alle ein wenig separat, hier aber sind sie zusammengestellt. Also, nicht alle, aber immer so, dass sicher zehn Personen daran Platz haben.

»Das ist unser Konzept«, erklärt mir Kjell, der wohl mein Stirnrunzeln bemerkt hat. »Wir sind vor allem eins: ein Familienhotel. Im Sommer kommen die Leute zum Baden und Wandern hierher, im Winter zum Skifahren und Schlittschuhlaufen. Aber uns ist vor allem wichtig, dass die Gäste zusammenfinden, und – es klappt. Einige kommen tatsächlich seit Jahren immer wieder.«

»Ich find das toll«, sage ich und spüre gleichzeitig ein sehnsuchtsvolles Ziehen in meinem Bauch. Wie gern würde ich mit meinen Eltern so was mal erleben. Wir haben nicht viel Familie. Und Urlaub? Ich weiß gar nicht, wann wir das letzte Mal einen gemacht haben.

Kjell wird überall angesprochen. Mal geht es um Skikurse, mal um Shuttlebusse oder das Veranstaltungsprogramm, manchmal aber auch einfach nur ums Wetter. Und da er sich für jeden Zeit nimmt, dauert es eine Weile, bis wir zu dem Tisch kommen, den er anscheinend für uns reserviert hat. Er ist kleiner und etwas abseitsgelegen. Beides ist für mich okay, mich wundert nur, dass in der Mitte ein Stapel Kleidung liegt, daneben einige Papiere. Doch Kjell schiebt alles weg, damit wir mehr Platz haben, und setzt sich auf den Stuhl mir gegenüber.

Meine Finger fangen an, auf meinen Knien Klavier zu spielen, wie immer, wenn ich nervös werde. Komischerweise funktionieren meine Handgelenke dabei bestens.

Eine Kellnerin, die kaum älter sein kann als ich, begrüßt uns freundlich. Ihre schwarzen, ein wenig lila schimmernden Haare sind zu einem geraden Bob geschnitten. Ihre Lippen hat sie knallrot geschminkt, und an ihrer Nase meine ich ein kleines Loch zu sehen, in dem normalerweise sicher ein Piercing steckt. »Janne« steht auf ihrer Weste. Und die Art und Weise, wie Kjell mit ihr spricht, zeigt mir, wie familiär es hier tatsächlich zugeht.

Kjell und ich bestellen beide einen heißen Kakao, und als kurz darauf die dampfende Tasse vor mir steht, gebe ich mir einen Ruck. Ich hole Luft, nur fangen wir beide irgendwie gleichzeitig an zu reden, müssen lachen, verstummen dann wieder.

»Okay, Svea. Ich versuch es noch mal, ja? Heute also ganz offiziell: Wir freuen uns total, dass du da bist. Auch wenn … egal. Ich werde dir nachher das ganze Hotel zeigen, hab aber hier schon mal alles Wichtige für dich zusammengesucht. Als Erstes die Kleidung.«

»Wie bitte?« Ich schlucke Luft und muss total blöd husten.

»Na ja, wie du siehst, tragen hier alle das Gleiche. Auch unsere Aushilfskräfte. Und ich hoffe, die Größe, die ich für dich herausgesucht habe, stimmt.« Er deutet auf den Kleiderstapel, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen, und in meinem Kopf wirbeln die Gedanken umher.

Der Shuttle. Lena Sommer. We absolutely need people. Langsam setzen sich die Puzzleteile zusammen: Kjell denkt, ich bin hier, um zu arbeiten!

Die Vorstellung, es wäre wirklich so, zieht sich wunderbar kribbelnd durch meinen Magen. Es wäre das erste Mal, dass ich überhaupt arbeiten dürfte, mit anderen zusammen und noch dazu in diesem märchenhaften Hotel. Nur bin ich nicht Lena, sondern Svea. Eine angehende Pianistin, der es zu Hause nicht mal gestattet ist, ein Tablett zu tragen. Oder zu backen, zu kochen. Nur, um auch ja die Hände zu schonen.

»Oh, ich hoffe, ich störe nicht?« Jemand steht hinter mir und als Kjell hochschaut, verziehen sich seine Lippen zu einem schmalen Strich.

»Was gibt’s denn?«

Neugierig zu sehen, wer es schafft, ihn mit nur einer Frage zu verärgern, drehe ich mich um.

Lange braune Haare, blaue Augen, endlose Beine. Und die Hotelkleidung macht klar: Das Mädchen arbeitet hier. Mit einem entwaffnenden Lächeln strahlt sie Kjell an, mich hingegen musterte sie herablassend. »Du bist die Neue?«

Ich hasse solche Blicke, kenne sie aber zur Genüge – vor allem von Wettbewerben. Aber das hier ist keiner. Oder doch?

Irgendwie streckt sich mein Rücken plötzlich wie von alleine und woher ich das Lächeln hole, weiß ich nicht. Es ist auf einmal da, genau wie die Worte, die aus meinem Mund sprudeln. »Ja, hi! Ich bin die Neue. Aber du kannst einfach Svea zu mir sagen.«

Kjell

Ich weiß, dass ich aufhören sollte, Svea anzustarren, aber ich schaffe es nicht. Dafür kriege ich wenigstens meinen Mund wieder zu. Von wegen zerbrechlich. Svea hat Tessa grade gut Kontra gegeben. Doch was mich noch viel mehr verwundert, ist, dass sie das hier anscheinend wirklich durchziehen will.

»Na dann, Svea«, betont Tessa ihren Namen überdeutlich, »willkommen im Slott Hotell. Und: immer schön lächeln. Dann klappt hier alles, nicht wahr, Kjell?« Sie streicht mir über die Schulter, bevor sie verschwindet, und ich … könnte ihr den Hals umdrehen.

Das mit dem Lächeln hätte ich ihr nie sagen dürfen. Also, dass es mich manchmal nervt, es hier im Hotel unentwegt zeigen zu müssen. Aber hab ich echt geglaubt, sie nimmt die Trennung einfach so hin?

Fun und Action. Die zwei Worte beschreiben Tessa am besten. Für sie ist das Leben ein einziges Spiel, was mich am Anfang total fasziniert hat. Leider hab ich erst zu spät gemerkt, dass es dabei einzig und allein nach ihren Regeln geht.

»Tessa solltest du am besten einfach aus dem Weg gehen«, warne ich Svea. Und wechsele dann schnell das Thema. »Da du eine Springerin bist, also immer dort eingesetzt wirst, wo es grad brennt, musst du über alles Bescheid wissen. Aber du hast immer jemanden an der Seite, dem du zuarbeitest. Und wenn du Fragen hast, kannst du dich auch jederzeit an mich wenden.«

Svea nickt. »Okay, das klingt gut. Aber … ähm, habt ihr eigentlich viele Aushilfskräfte? Ich meine, sind schon einige da? Oder kommen noch welche?«

Lena, schießt es mir durch den Kopf. Sie macht sich ihretwegen Sorgen. Was ja auch logisch ist, denn im Gegensatz zu mir weiß sie nichts von der Absage.

»Ach, weißt du, bei den Aushilfskräften blicke ich grad nicht so durch«, beginne ich zu lügen. »Wir hatten viele Zusagen, aber durch die Grippewelle und wegen des vielen Schnees haben einige abgesagt. Grad gestern noch jemand.«

Svea mustert mich stumm. In ihrem Blick liegt Skepsis, ein Haufen ungestellter Fragen, der wahrscheinlich genauso hoch ist wie meiner. Dann aber nickt sie und ein Lächeln erscheint auf ihren Lippen. Ein zaghaftes nur, und doch trifft es mich voll ins Herz.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie wirklich bleibt. Und wahrscheinlich mache ich hier gerade einen Scheißfehler. Aber ich kann nicht anders.

Nach dem Frühstück, bei dem wir beide irgendwie nicht viel runterkriegen, gehe ich mit ihr den Dienstplan durch, erkläre ihr, wie der Pager funktioniert, den hier alle Springer haben, und nehme sie dann mit auf einen Hotelrundgang. Unser Büro meide ich dabei. Auch wenn Mum heute ihren freien Tag hat, möchte ich ihr nicht doch zufällig über den Weg laufen. Dad ist das Herz des Hotels, Mum der Kopf. Ihr entgeht nichts, und ich hab noch keinen Plan, was ich ihr sagen werde, wenn alles auffliegt.

Svea hält sich während des Rundgangs eher in meinem Schatten, grüßt auch nur verhalten zurück, wenn jemand vom Personal sie willkommen heißt, doch mir entgeht nicht, wie begeistert ihre Augen zu leuchten beginnen, als sie unseren Wintergarten und den Ausblick von dort auf den zugeschneiten See sieht. Trotzdem wirkt sie erleichtert, als wir schließlich wieder am Tisch im Speisesaal landen.

»Danke für die Führung. Und … ja, dann probiere ich die Sachen am besten gleich mal an, oder?« Sie nimmt sich den Kleiderstapel, und ich sehe, wie ihre Hände dabei leicht zittern. Ich will sie nicht allein lassen, doch ein Blick zur Uhr sagt mir, dass ich echt losmuss.

Aber … Janne? Sie kommt gerade aus der Küche und ich fange sie ab.

»Sag mal, ihr seid doch eh gleich durch hier, oder? Kannst du Svea den Außenbereich zeigen? Also Eisbahn, Rodelberg, Schneebar?«

»Ja, klar! Supergern. Und: Hi, Svea! Ich wollt euch eben nicht stören. Aber ich freu mich, dass du da bist. Und, tja, dann würd ich sagen, wir ziehen uns schneetaugliche Klamotten an und los geht’s, oder?«

Ich bin mir sicher, dass Svea keine Outdoorsachen im Koffer hat, aber ich sehe, wie sie strahlt. Und da Janne weiß, dass wir für das Personal einiges an Schneeklamotten dahaben, lasse ich die beiden gehen.

Obwohl ich mit dem Jeep ordentlich Gas gebe, sehe ich Lasse bereits auf dem Parkplatz stehen. Er lehnt an seinem Wagen, die Skier in der Hand.

»Hab schon gedacht, wir müssen im Dunkeln laufen!«, begrüßt er mich.

»Ey komm, es ist grad mal zehn nach eins.« Von den sicher hundert Malen, die wir uns hier sonntags schon getroffen haben, war er die meisten unpünktlich. Trotzdem hat er recht. Wir haben nicht mehr viel Zeit, spätestens um drei Uhr ist es hier um diese Jahreszeit stockdunkel.

»Die lange Runde?« Mit einem fetten Grinsen im Gesicht bindet Lasse sich die Haare zusammen, um sie irgendwie unter seine Mütze zu kriegen, und schaut zu mir runter. »Oder machst du wieder schlapp?«

»Ich?« Spöttisch grinse ich zurück und bin mit einem Satz in den Skischuhen. »Pass auf, ja? Ich bin der kleine Punkt am Horizont. Nur falls du mich suchst.«

Gespurt ist hier nichts, dafür hat es wenigstens aufgehört zu schneien, und wir legen gleich mit ordentlichem Tempo los. Normalerweise schaffe ich es beim Langlauf immer, mich dabei so auszupowern, dass ich an nichts anderes mehr denken kann. Aber heute funkt Svea mir ständig dazwischen.

»Alles klar bei dir?« Bei meinem dritten Beinahe-Sturz sieht Lasse mich stirnrunzelnd an.

»Jaja, alles okay«, gebe ich zurück, weiß aber, dass ich damit nicht raus bin. Und behalte recht, denn kaum haben wir uns auf die nächste Kuppe hochgekämpft, bleibt Lasse vor mir stehen. »Sag schon, ist es wegen Tessa? Kapiert sie es immer noch nicht?«

»Ja … auch«, rutscht es mir raus, und er hat mich am Haken.

»Wieso? Was noch?«

Ich schieb mir die Mütze zurecht, sehe Lasse nur durch unsere Atemrauchwolken und versuche, erst mal Luft zu kriegen. Er kennt mich seit dem Kindergarten, und ihm was vorzumachen ist genauso überflüssig, wie meiner Mum was von Zahlen erklären zu wollen. Außerdem interessiert mich tatsächlich, was er von der ganzen Sache hält. Aber jetzt? Wir sind total durchgeschwitzt. »Nachher im Auto, okay?«, sage ich und gebe Gas.

Eingemummelt in unsere Winterjacken sitzen wir nach einer Stunde und 10 harten Loipen-Kilometern bei mir im Jeep. Völlig ausgepumpt.

»Komm, Junge. Hau raus«, fordert mich Lasse auf, und ich fange tatsächlich an. Damit, dass ich Lena Sommer, eine deutsche Aushilfskraft, am Flughafen abgeholt habe. »Sie hat super Schwedisch gesprochen, war aber total müde und ist mir auf der Fahrt gleich eingeschlafen.«

»Echt jetzt?« Lasse grinst. »Die sitzt mit dir im Auto und schläft ein? Ey, deine Wirkung auf Frauen lässt ganz schön nach, Junge.«

Ich boxe ihn gegen die Schulter. »Also … auf jeden Fall ist sie im Hotel sofort auf ihr Zimmer gegangen. Ich dachte da noch, es ist alles okay, nur hab ich dann ne E-Mail bekommen, in der Lena Sommer, die deutsche Aushilfe, abgesagt hat.«

»Hä? Das heißt, du hast das falsche Mädel eingesammelt?«

»Ja! Nein … falsch trifft es irgendwie nicht.« Ich schüttele den Kopf. »Svea, das Mädchen, das ich in Wirklichkeit abgeholt habe, ist total nett. Und das Ganze war eine Verwechslung, weil sie mit Nachnamen auch Sommer heißt – und wohl auch einen Hotel-Shuttle brauchte. Aber bei uns zu arbeiten war definitiv nicht ihr Plan.«

Lasse runzelt die Stirn. Ist ja auch echt kompliziert.

»Sie hat mittlerweile kapiert, dass wir sie für die neue Aushilfe halten, aber sie sagt nichts … Sie tut einfach so, als wäre sie es.«

»Moment!« Lasse kneift die Augen zusammen. »Du weißt aber doch, dass sie die Falsche ist. Wieso hast du ihr das nicht gesagt?«

Ich fange erneut an zu schwitzen, ziehe meine Mütze ab und knautsche sie in den Händen. »Ich hab darauf gewartet, dass sie es macht. Aber wie gesagt, sie spielt mit. Und ich dachte, ich lass das jetzt mal laufen. Sie ist –«

»Und was sagen deine Eltern dazu?«, unterbricht mich Lasse. »Ich meine …« Er sieht, wie ich die Lippen verziehe, und reißt die Augen auf. »Du hast es ihnen nicht gesagt?«

»Nope.«

»Okay … Also: Was hat dieses Mädchen mit dir gemacht?!« Auch er nimmt jetzt die Mütze ab. »Ey, sei bloß vorsichtig! Wer weiß, was die vorhat, vielleicht ist das ne Betrügerin und das ist so ne Masche von ihr.«

Svea? Ich lache so laut auf, dass Lasse mich empört anschaut. »Was? Was ist daran lustig?«

»Das würdest du verstehen, wenn du sie kennen würdest.« Ich versuche, ihm Svea zu beschreiben. Wie anziehend ich sie finde, spare ich aus, doch Lasse hört wohl auch das raus, was ich nicht sage. Denn er stellt trocken fest: »Du stehst auf sie.«

»Quatsch, ich kenne sie doch noch gar nicht richtig. Aber ja, ich mag sie.«

»Du magst sie?« Mit einem schiefen Grinsen schaut er zu mir rüber. »Dich hat’s voll erwischt, würd ich mal sagen. Aber … ich muss los. Halt mich auf dem Laufenden, ja? Und pass auf, nicht dass du ne zweite Tessa an der Backe hast.«

»Mache ich«, antworte ich und schlage in seine Hand ein.

Lasse steigt aus, doch bevor er die Tür hinter sich schließt, beugt er sich noch mal zu mir. »Und recherchier am besten mal, ob sie irgendwo gesucht wird. Nicht, dass die Polizei noch bei euch aufmarschiert.«

Verdutzt schaue ich ihm nach und mir wird eng im Hals.

Läuft Svea vor irgendetwas weg?

Der Duft nach Kaffee und Zimtgebäck weht mir schon in der Lobby entgegen, und ich weiß, ich muss mich beeilen. Jeden Sonntagnachmittag, während die Gäste im Wintergarten von unserem Konditor verwöhnt werden, gönnen wir uns diese eine Stunde Familienzeit. Und die ist heilig. Von daher springe ich in unserer Privatwohnung sofort unter die Dusche, laufe mit noch nassen Haaren den Flur zum Wohnzimmer entlang und renne dabei fast Caja über den Haufen. Noch in voller Schneemontur, hinterlässt sie eine Matschspur auf dem Parkett.

»Hey, auch zu spät?« Ich helfe ihr schnell aus den Schuhen und aus der Hose. Doch Caja scheint es überhaupt nicht eilig zu haben, sie plappert fröhlich drauflos. »Ich war mit Janne draußen, und wir haben Svea gezeigt, wie man ein Schneeiglu baut. Die weiß echt nix.« Auch wenn sie empört den Kopf schüttelt, ihre roten Wangen und das Strahlen in ihren Augen verraten ganz klar, wie viel Spaß sie hatte. Und ich bin tatsächlich ein wenig neidisch. Mit Svea ein Schneeiglu bauen? Da hätte ich auch gern mitgemacht.

»Na, ihr zwei?« Mum kommt hinter mir aus ihrem Schlafzimmer, und ich zucke zusammen, als Caja plötzlich lauthals loslacht.

Doch als ich mich umdrehe, kann auch ich mich nicht zurückhalten. Meine stets akkurat gekleidete Mum steht in einem knallroten Wollpulli vor uns. Auf ihm prangt ein riesiger Weihnachtbaum, übersät mit ultrakitschigen Schneebommeln. »Also, ich bin fertig. Und ihr?«

Scheiße, ich hab tatsächlich vergessen, dass heute der 17. Dezember ist. Seit ein paar Jahren begehen wir im Hotel feierlich den internationalen Tag des hässlichsten Weihnachtspullis. Und ich habe Tessa noch nicht gesagt, dass ich unseren Pulli, nach allem, was war, definitiv nicht tragen werde. Aber wenn ich jetzt kneife und sie hängen lasse, kriegt Svea sicher noch mehr von ihr ab.

Ich unterdrücke ein Fluchen und schnappe mir Cajas Hand. »Was meinst du? Mum als Weihnachtsbaum. Da brauchen wir doch eigentlich keinen anderen mehr für die Lobby, oder?«

Svea

»Nele, ich sag’s dir: Es war genial!« Ich steige aus der Schneehose und lasse mich aufs Bett fallen. Dabei halte ich das Handy so, dass sie mein knatschrotes Gesicht sehen kann. »Mir ist scheißkalt, meine Hände sind völlig erfroren, aber: Ich war mit Janne Schlittenfahren. Kannst du dir das vorstellen? ICH, Svea Sommer, war Schlitten fahren.«

»WAS?« Ich sehe Neles Strahlen, ihre Freude, dann plötzlich nur noch ihr eines Auge, dafür in ganz groß. »Siehst du das, Svea? Siehst du das? Ey, ich heul grad fast, so sehr freu ich mich für dich.«

Nur Nele weiß, wie enttäuscht ich war, als ich auf den Klassenausflug zum Rodelberg letzten Winter nicht mitdurfte. Und wie traurig, als ich hinterher die Fotos gesehen habe und mir anhören musste, wie viel Spaß alle hatten.

»Ich schick dir nachher mal Fotos«, verspreche ich.

»Hast du auch eins von Kjell?« Nele wackelt mit ihren Augenbrauen und ich muss grinsen. »Ne. Aber ich kann mal versuchen, unauffällig eins zu machen.«

»Auf jeden Fall! Aber … was sagt Yva eigentlich dazu, dass du dableiben willst?«

Bei dem Gedanken an das Telefonat, das ich heute Mittag mit meiner Großtante geführt habe, wird mir ein bisschen komisch im Bauch. »Na ja, sie weiß natürlich nicht, dass ich hier arbeiten will. Aber ich hab sie echt angebettelt, dass ich noch ein bisschen bleiben darf. Und am Ende hab ich ihr dann einfach ehrlich gesagt, wie ich mich hier fühle. Nämlich endlich mal normal. Und sie hat gesagt, ich kann noch eine Nacht bleiben und wir reden morgen noch mal drüber.«

»Ich bin ja echt gespannt, wie du dich so als Zimmermädchen machst.« Nele liegt mittlerweile auch auf ihrem Bett und grinst in die Kamera. »Hast du überhaupt schon mal ein Bad geputzt? Oder ein Bett bezogen?«

»Nö, aber –« Ein Klopfen an meiner Tür unterbricht mich. Sicher Janne. Sie wollte mir noch dickere Handschuhe vorbeibringen – fürs nächste Mal. Doch dann höre ich meinen Namen und weiß: Janne ist es nicht. Und mein Herz fängt an zu flattern.

»Warte mal, Nele! Kjell ist an der Tür.«

»Was, echt? Dann halt die Kamera auf ihn. Schalte um, ja?«

»Mach ich.« Und Nele schalte ich stumm. Nicht, dass sie irgendwie blöd rumquietscht. Schnell angele ich mir aus dem Koffer eine Leggings, ziehe mir mein Sweatshirt über und öffne mit dem Handy in der Hand die Tür.

»Hej!« Kjell lässt seinen Blick über mein Gesicht wandern, erst irgendwie erstaunt, dann aber lächelt er. Weil ich rot wie ne Tomate bin? »Sorry, ich ähm, war grad draußen.«

»Ich weiß. Caja hat es mir erzählt. Und sie meinte auch, dass du das hier für heute Abend unbedingt brauchst.«

»Einen pinken Pullover?« Erstaunt blicke ich auf das Wollteil, das er mir überreicht, nehme dann aber meinen Mut zusammen und frage ihn tatsächlich, ober er nicht reinkommen will.

»Äh … gerne.«

Ich befreie für ihn den Sessel von meinen Klamotten, muss das Handy dafür jedoch weglegen und schalte es dabei gleich ab. Aber Nele müsste ihn gesehen haben, oder?

»Du hast ja noch gar nicht ausgepackt.«

»Ne. Ich … ich bin irgendwie noch nicht dazu gekommen. Aber warum der Pulli?«, lenke ich ab.

Ende der Leseprobe

Inhalt

Cover

Stefanie Neeb: Coming Home for Christmas

Wohin soll es gehen?

Samstag, 16. Dezember

Sonntag, 17. Dezember

Montag, 18. Dezember

Dienstag, 19. Dezember

Mittwoch, 20. Dezember

Donnerstag, 21. Dezember

Freitag, 22. Dezember

Samstag, 23. Dezember

Sonntag, 24. Dezember

Montag, 25. Dezember

Dienstag, 26. Dezember

Mittwoch, 27. Dezember

Donnerstag, 28. Dezember

Freitag, 29. Dezember

Samstag, 30. Dezember

Sonntag, 31. Dezember

Epilog

Stefanie Neeb

Impressum