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Lucia de la Vega

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Beschreibung

Eine traumhafte Hochzeit auf Mallorca, ein kaltblütiger Mord und eine Familie mit tödlichen Geheimnissen: der 2. Urlaubs-Krimi mit Comisaria Fiol und ihrer deutschen Partnerin, der ehemaligen Kommissarin Marie Lindner Eigentlich sitzt Comisaria Silvia Fiol gerade am Krankenbett ihres Kollegen Ramon als sie einen dringlichen Anruf von Marie Lindner erhält: Die ehemalige Kommissarin ist mit ihrem Mann zu Gast auf der Hochzeit ihrer besten Freundin Lilly, die in eine der einflussreichsten mallorquinischen Familien einheiratet. Obwohl Lillys Schwiegereltern Vorbehalte gegen die alleinerziehende Deutsche haben, richten sie die Hochzeit mit traditionellem Prunk aus. Im Anschluss an die Trauung in der Kathedrale von Palma de Mallorca findet ein großes Fest auf dem Anwesen der Familie statt. Doch während die Gäste ausgelassen feiern, wird Lillys Bruder Markus mit einem Schuss in der Brust im Gästehaus tot aufgefunden. Welchem tödlichen Geheimnis ist Markus zu nahe gekommen? Für Marie Lindner und Silvia Fiol steht bald fest, dass mehr als ein Familienmitglied einen Grund hatte, diesen Mord zu begehen. »Comisaria Fiol und der Tote auf der Hochzeit« ist der 2. Mallorca-Krimi von Lucia de la Vega und perfekte Urlaubs-Lektüre. Den 1. Fall der Krimi-Reihe lösen Silvia Fiol und Marie Lindner in »Comisaria Fiol und der Tod im Tramuntana-Gebirge«.

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Über dieses Buch

Mit großem Pomp wird in der Kathedrale von Palma die Hochzeit von Víctor begangen, dem Sohn einer der einflussreichsten mallorquinischen Familien. Zwar sind seine Verwandten nicht sonderlich begeistert von der Tatsache, dass er mit Lilly eine alleinerziehende Deutsche heiratet, aber die Feier lässt man sich davon nicht verderben. Oder? Noch während auf dem Anwesen der Familie ausgiebig gegessen, getrunken und getanzt wird, wird Lillys Bruder ermordet aufgefunden. Die ehemalige Kommissarin Marie Lindner, die als Lillys beste Freundin unter den Gästen ist, ruft sofort Comisaria Silvia Fiol zum Tatort ...

Inhaltsübersicht

WidmungStammbaumKapitel einsKapitel zweiKapitel dreiKapitel vierKapitel fünfKapitel sechsKapitel siebenKapitel achtKapitel neunKapitel zehnKapitel elfKapitel zwölfKapitel dreizehnKapitel vierzehnKapitel fünfzehnKapitel sechzehnKapitel siebzehnKapitel achtzehnKapitel neunzehnKapitel zwanzigKapitel einundzwanzigKapitel zweiundzwanzigKapitel dreiundzwanzigKapitel vierundzwanzigKapitel fünfundzwanzigKapitel sechsundzwanzigKapitel siebenundzwanzigKapitel achtundzwanzigKapitel neunundzwanzigKapitel dreißigKapitel einunddreißigKapitel zweiunddreißigKapitel dreiunddreißigKapitel vierunddreißigKapitel fünfunddreißigKapitel sechsunddreißigKapitel siebenunddreißig
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Für Sabine

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Samstag, 18. Mai 2019

Kapitel eins

So, meine Liebe, ich denke, wenn ich Sie noch mehr herrichte, wird Ihr Bräutigam sprachlos vor so viel Schönheit dastehen. Womöglich bekommt er nicht mal mehr das ›Sí, quiero‹ heraus.« Die korpulente Stylistin lachte vergnügt, während sie ein letztes Mal mit dem Puderpinsel über Lilly Hennings Stirn fuhr.

»Ich bin begeistert, Carmen. Wie haben Sie das nur hinbekommen? Man sieht ja kaum mehr meine Fältchen!« Lilly zeigte mit den frisch manikürten Fingern auf ihre Augenpartie. »Und meine Haare! Endlich habe ich Volumen!«

»Bei Ihrer natürlichen Schönheit habe ich nicht viel dazutun müssen, cariño.«

Marie Lindner beobachtete die Szene vom Sofa der Hotelsuite aus und musste über die Anrede der Stylistin schmunzeln. Mittlerweile lebte sie seit fast zwei Jahren auf Mallorca, aber noch immer empfand sie es als ein wenig irritierend, dass viele Mallorquiner ihre Mitmenschen mit Kosenamen ansprachen. Ob an der Supermarktkasse, in einer Boutique oder an der Rezeption des Sportvereins, überall hängten die Insulaner ein »Schätzchen«, »Königin« oder »du Hübsche« an ihre Sätze.

Lilly musste wohl gerade das Gleiche gedacht haben, denn sie sah zu Marie herüber und zwinkerte ihr zu. In den vergangenen Wochen hatten die Freundinnen oft über die Eigenheiten der Mallorquiner gesprochen. Für Lilly, die erst acht Monate auf der Insel lebte, war verständlicherweise vieles noch sehr gewöhnungsbedürftig. Aber Lilly war der mallorquinischen Mentalität ja auch auf eine ganz andere Weise begegnet als sie selbst. Marie hatte sich langsam an ihr neues Zuhause und die Einheimischen gewöhnen können. Ihre Freundin jedoch hatte schon kurz nach ihrer Auswanderung einen Mallorquiner kennengelernt und sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Marie freute sich aufrichtig für Lilly, denn während der vergangenen Jahre hatte sie wirklich Pech in Bezug auf Männer gehabt. Entweder waren die Typen, die sie kennenlernte, schon vergeben, oder es handelte sich um komplette Freaks. Dagegen war Víctor Adrover ein wahrer Traummann, der Lilly auf Händen trug und nie irgendwelche Spielchen mit ihr spielte. Er sah gut aus, war gebildet, sehr wohlhabend und sprach obendrein noch ausgezeichnetes Deutsch. Natürlich hatte auch er seine Fehler, und Lilly hatte sich oft bei Marie über seine viel zu aufdringlichen Eltern beschwert. Aber im Großen und Ganzen war Marie der Ansicht, dass ihre Freundin einen wahren Glückstreffer gelandet hatte.

»Jetzt muss ich mich aber wirklich auf den Weg machen«, sagte Carmen und begann, die zahlreichen Pinsel und Döschen zurück in ihren Schminkkoffer zu räumen. »Heute Vormittag steht noch eine weitere Braut auf meinem Plan. Zwar handelt es sich nicht um so eine spektakuläre Hochzeit wie die Ihre, aber die Arbeit ruft.«

Nachdem die Stylistin sich sowohl bei Marie als auch bei Lilly mit den obligatorischen Küsschen auf die Wangen verabschiedet hatte, blieben die zwei Freundinnen alleine in der Hotelsuite zurück.

»O Mann, jetzt werde ich aber langsam echt nervös«, sagte Lilly und ließ sich auf das mit rotem Samt bezogene Sofa fallen.

Marie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war 10:30 Uhr.

»Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns ein Gläschen Schampus gönnen«, sagte sie und ging zu dem silbernen Eiskühler, in dem eine Flasche Laurent-Perrier bereitstand.

»Für mich nur einen Schluck, Marie«, sagte Lilly und versuchte, es sich auf dem Sofa bequem zu machen, ohne dabei ihre gestylte Frisur zu beschädigen. »Stell dir mal vor, ich fange mitten in der Kathedrale vor dreihundert Gästen zu lallen an.«

Marie köpfte die Flasche und schenkte die golden schimmernde Flüssigkeit in zwei der bereitgestellten Champagnerflöten ein. Sie überreichte eines der Gläser ihrer Freundin und setzte sich dann neben sie auf das Sofa.

»Jetzt komm schon, so ein bisschen Edelgesöff wird deinen Nerven guttun! Auf dich, Süße, und darauf, dass du mit Víctor den Mann deiner Träume gefunden hast!«

»Und auf dich, Marie. Denn ohne deine Überredungskünste wäre ich nicht nach Mallorca ausgewandert und hätte Víctor niemals kennengelernt.«

Sie stießen an und nahmen einen Schluck.

»Haben wir noch ein wenig Zeit, bis deine Eltern mit Jonas und Markus kommen und wir dich in dein Prinzessinnenkleid stecken müssen?«, fragte Marie.

»Sie wollten um elf Uhr hier sein, also haben wir noch ein bisschen.«

»Dann erzähl mir endlich, wie das Essen gestern mit ihnen und deinen Schwiegereltern gelaufen ist!«, sagte Marie und strich sich über die kurzen blonden Haare.

»Ach, nicht besonders gut.« Lilly betrachtete nachdenklich das Champagnerglas in ihrer Hand. »Magdalena und Rafael sind schon zwei harte Brocken und nicht gerade einfühlsam. Da prallen einfach komplett verschiedene Welten aufeinander. Außerdem ist die verbale Verständigung ja kaum möglich. Weder meine noch Víctors Eltern sprechen richtig Englisch, und Víctor war meist bemüht, zu übersetzen.«

»Ist doch super von ihm, dass er sich da so reinhängt, wo dies ja eigentlich dein Spezialgebiet ist«, sagte Marie und lächelte ihre Freundin aufmunternd an.

Lilly war freiberufliche Dolmetscherin und Übersetzerin für Englisch und Spanisch. Als Marie sie vor über einem halben Jahr nach einer weiteren gescheiterten Kurzbeziehung dazu überredet hatte, nach Mallorca zu ziehen, hatte Lillys Beruf dem in keiner Weise entgegengestanden. Lilly konnte von überall aus arbeiten, und die Agentur, die ihr häufig Dolmetscherjobs vermittelte, besaß sogar eine Filiale in Palma.

»Ja, Víctor ist einfach der Beste«, sagte Lilly und nippte an dem Champagner. »Und weißt du, eigentlich kann ich die Abneigung, die Rafael und Magdalena mir gegenüber verspüren, auch irgendwie nachvollziehen.«

»Jetzt red keinen Unsinn, die sind doch mit ihren Einstellungen im letzten Jahrhundert hängen geblieben. Verteidigen musst du sie wirklich nicht!«

»Klar sind sie altmodisch und ziemlich steif. Aber sie sind halt geschockt. Ihr geliebter Sohn heiratet innerhalb weniger Monate eine Deutsche, die weder Mallorquinisch spricht noch aus gehobenen familiären Verhältnissen stammt und obendrein eine alleinerziehende Mutter ist.«

»Na und? Du bist tough, hast einen erfolgreichen Beruf, und Jonas ist ja wohl das Musterkind schlechthin.« Marie stand auf und strich sich das dunkelblaue Kleid glatt. »Ich finde, deine Schwiegereltern sollten sich am Riemen reißen und darüber freuen, dass ihr Sohn mit fast vierzig Jahren endlich seine Traumfrau gefunden hat.«

»Ja, da hast du recht. Bestimmt werden sie sich nach und nach mit der Situation abfinden.« Lilly stellte ihr halb volles Glas auf den Sofatisch. »Ah, und ich wollte dir noch etwas anderes erzählen, was mir gestern aufgefallen ist.«

Marie ging zur Anrichte und schenkte sich ein wenig Champagner nach.

»Schieß los!«

»Víctors Geschwister und Markus waren ja auch gestern bei dem Mittagessen, und mein Bruder hat mächtig ein Auge auf Sofía geworfen.«

Marie lachte und setzte sich erneut neben ihre Freundin. »Das wundert mich nun überhaupt nicht. Du sagtest ja, dass Víctors kleine Schwester toll aussieht. Und Markus konnte sich in Bezug auf attraktive Frauen noch nie zurückhalten.«

»Du hättest mal das Gesicht von Rafael sehen sollen.« Lilly kicherte. »Ich sag dir, der hatte Panik in den Augen. Wenn jetzt seine Tochter ebenfalls mit einem verhassten Deutschen rummacht, dann kriegt er noch einen Herzinfarkt.«

Ein kräftiges Klopfen an der Tür unterbrach das Lachen der Freundinnen.

»Das müssen sie sein.« Lilly sprang vom Sofa auf, um ihrer Familie zu öffnen.

Marie erhob sich ebenfalls und warf einen raschen Blick in den Spiegel. Das hochgeschnittene Kleid stand ihr ausgezeichnet und brachte ihre langen Beine zur Geltung. Auf hohe Absätze hatte sie gewissenhaft verzichtet. Zum einen, weil sie es nicht gewohnt war, in Pumps herumzulaufen, und zum anderen, weil sie mit ihren 175 Zentimetern Körpergröße inmitten der meist wesentlich kleineren Mallorquinerinnen ohnehin schon groß genug war. Ihr Make-up war dezent gehalten, nur die grünen Augen hatte sie etwas stärker betont, weil es gut zu ihrem neuen Kurzhaarschnitt passte.

»Mama, hast du das coole Auto gesehen, das unten steht? Fahren wir damit zur Kirche?« Lillys Sohn war der Erste, der in die Hotelsuite stürmte.

»Ja, mein Schatz«, sagte Lilly und strich ihm über den dunkelblonden Lockenschopf.

Jonas war während Lillys einziger längeren Beziehung geboren, die jedoch danach ziemlich schnell in die Brüche gegangen war. Für Lilly waren es harte Jahre gewesen, da sie das alleinige Sorgerecht bekam und beruflich noch kaum Fuß gefasst hatte. Marie hatte ihr beigestanden, wo sie konnte, aber für sie selbst war es damals, während ihrer Anfangsjahre bei der Hamburger Kriminalpolizei, ebenso eine stressige Zeit gewesen. Es war Marianne Hennings unermüdlicher Hilfe zu verdanken, dass Lilly ihren Beruf ausüben und gleichzeitig Jonas aufziehen konnte.

»Liebes, du siehst ja umwerfend aus! Was für eine Frisur!« Marianne umarmte ihre Tochter. »Aber nun musst du schleunigst aus diesem schrecklichen Jogginganzug raus und in dein Traumkleid schlüpfen.«

»Schlüpfen ist wohl etwas übertrieben. Ich brauche wirklich eure Hilfe, um mich in diese Robe zu quetschen. Bei den endlosen Familienessen ist es ja kein Wunder, dass ich kein Gramm abgenommen habe.«

»Aber Jonas und ich können es uns derweil auf dem Sofa bequem machen, nicht wahr, mein Schatz?«, fragte Bernd Henning. Er gab Lilly einen Kuss auf die Wange.

»Ja, keine Sorge, Papa! Nehmt euch ruhig Getränke, in der Minibar müsste alles vorhanden sein.«

Bernd und Jonas setzten sich auf das Sofa. Der Junge griff sofort nach der Fernbedienung, um den riesigen Flachbildschirm einzuschalten.

Markus Henning kam auf Marie zu und begrüßte sie. »Du siehst ebenfalls umwerfend aus. Das Kleid steht dir spitze!«

Lillys jüngerer Bruder war ein Frauenheld wie aus dem Lehrbuch. Er war lässig, leicht machomäßig, unglaublich charmant, aber leider auch ein wenig zu sehr von sich selbst überzeugt. Sein Verhältnis zu Lilly war nie besonders innig gewesen. Die beiden Geschwister waren einfach zu verschieden, und oft schämte die eher zurückhaltende Lilly sich für ihren arroganten Bruder. In einer Hinsicht jedoch war Markus vorbildlich: Er kümmerte sich sehr um Jonas. Zusammen mit Marianne und Bernd war er schon vor über einer Woche angereist und hatte viel mit Jonas unternommen, damit Lilly Zeit hatte, sich um die unzähligen Hochzeitsvorbereitungen zu kümmern.

Marianne klatschte ein paarmal in die Hände und ging zum Schrank, an dem das wunderschöne weiße Kleid hing.

»Genug der Worte, an die Arbeit, Lilly! Sonst kommst du noch zu spät zu deiner eigenen Hochzeit.«

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Kapitel zwei

Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten beginnen wir mit dem Landeanflug auf Palma de Mallorca. Bitte schließen Sie Ihre Sicherheitsgurte, bringen Sie den Sitz in eine aufrechte Position, klappen Sie den Tisch vor sich ein und suchen Sie die Waschräume nicht mehr auf.«

Silvia Fiol warf einen Blick aus dem Fenster. Wie immer, wenn sie auf ihre Heimatinsel zurückkehrte und die steile Felsküste des Tramuntana-Gebirges aus der Luft erblickte, machte sich ein wohliges Gefühl in ihrer Bauchgegend breit. Es gab einfach keinen besseren Ort auf der Welt als ihre roqueta. Das mediterrane Licht, der blaue Himmel, die unzähligen kleinen Buchten mit ihren wunderschönen Sandstränden, die imposanten Berge des Nordwestens, die jahrhundertealten Oliven- und Mandelbäume, die Ruhe der Dörfer und das rege Treiben der Hauptstadt. Es war die immense Vielfalt, die diesen kleinen Fleck Erde so besonders machte.

Silvia war froh, den alljährlichen Polizeikongress in Madrid hinter sich zu haben, und freute sich auf einen ruhigen Nachmittag in ihrer Altstadtwohnung. Sie war alleine nach Madrid geflogen und hatte drei volle Tage damit verbracht, langweiligen Ausführungen von anzugtragenden Psychologen und arroganten, selbst ernannten Kriminalexperten zu lauschen. Wie sehr sie die ironischen Kommentare von Ramón Colom, der in den vergangenen Jahren stets mit ihr geflogen war, vermisst hatte! Damals waren sie abends nach den ermüdenden Veranstaltungen immer in irgendeine schummrige Kneipe gegangen, hatten Bier getrunken und sich über ihre Kollegen aus Madrid lustig gemacht.

Nun aber lag Ramón im Krankenhaus Son Espases. Es war erst wenige Wochen her, dass Silvia ihn endlich dazu hatte überreden können, zum Arzt zu gehen. Ihr Kollege hatte seit den Wintermonaten eine hartnäckige Erkältung mit sich herumgeschleppt und unter starkem Husten gelitten. Aber besonders hatte Silvia beunruhigt, dass er sehr dünn geworden war, obwohl doch seit Jahren keine seiner unzähligen Diäten angeschlagen hatte. Als Ramón endlich seine Ärztephobie überwand und seinen Hausarzt aufsuchte, hatte dieser ihn sogleich mit Verdacht auf Lungenentzündung ins Krankenhaus eingewiesen. Dort jedoch übermittelte man ihm noch am gleichen Tag die vernichtende Diagnose: Lungenkrebs im Stadium IV. Da sich bereits Metastasen in seinem Gehirn gebildet hatten, gab es keine Chance auf Heilung. Außer einer palliativen Therapie, die seine Lebenserwartung um einige Wochen verlängern konnte, waren den Ärzten die Hände gebunden. Obwohl Silvia von der Diagnose vollkommen erschüttert gewesen war, hatte sie sich Ramón zuliebe zusammengerissen und versucht, ihre Trauer herunterzuspielen. Vom ersten Tag an war sie täglich nach der Arbeit ins Krankenhaus gefahren und hatte Ramón mit dem neuesten Klatsch aus der Polizeiwache versorgt. Die Gefasstheit, mit der ihr Kollege dem Tod ins Auge sah, und seine Fähigkeit, über ihre dämlichen Witze herzhaft zu lachen, hatten Silvias Hochachtung vor ihm noch mehr wachsen lassen.

Es war ein Glück, dass die vergangenen Wochen zumindest arbeitstechnisch ruhig verlaufen waren. Die Lösung eines komplizierten Mordfalls war etwas, was Silvia nun wirklich nicht gebrauchen konnte, zumal man ihr auch noch keinen definitiven neuen Arbeitskollegen zugewiesen hatte. Im vergangenen Jahr hatten Ramón und Silvia vereinzelt mit Marie Lindner zusammengearbeitet. Silvia hatte die ehemalige Kriminalkommissarin während der Jagd auf einen Serienmörder kennengelernt, der die Deutsche entführt und mehrere Tage gefangen gehalten hatte. Marie hatte ihnen nach ihrer Befreiung als externe Mitarbeiterin bei zwei Fällen, in die Deutsche verwickelt gewesen waren, mit ihren Fach- und Sprachkenntnissen zur Seite gestanden. Silvia hatte Maries bedachte und professionelle Arbeitsweise sehr imponiert, und sie konnte sich die hochgewachsene Deutsche durchaus als ihre neue Partnerin bei der Policía Nacional vorstellen. Aber sie war sich bewusst, dass dies mehr als unwahrscheinlich war. Zwar hatte Marie mit Enthusiasmus an diesen Fällen mitgearbeitet, aber Silvia wusste, dass sie Jahre zuvor in Hamburg durch ein traumatisches Erlebnis ihren Beruf aufgegeben hatte. Außerdem konnte eine Ausländerin, auch wenn sie in ihrem Heimatland jahrelang als Polizistin gearbeitet hatte, nicht so einfach zur Policía Nacional überwandern. Als externe Mitarbeiterin hoffte Silvia jedoch, sie auch zukünftig bei dem einen oder anderen Fall dabeizuhaben.

»Und da sind wir wieder. Kommen Sie ebenfalls aus Palma?«, fragte Silvias weißhaariger Sitznachbar, der den ganzen Flug über leise geschnarcht hatte.

Die Maschine war soeben gelandet und rollte nun in gemäßigtem Tempo auf das große Gebäude des Flughafens Son Sant Joan zu.

»Ja, ich wohne seit meinem Studium in Palma, aber meine Familie kommt ursprünglich aus Campos«, sagte Silvia und verstaute das Buch, in dem sie keine einzige Seite gelesen hatte, in ihrer Handtasche.

»Ah, Campos. Einer meiner Söhne ist arbeitsbedingt nach Santanyí gezogen. Immer wenn ich ihn besuche, fahre ich durch Campos.«

Campos zählte zu den unspektakulärsten Dörfern Mallorcas. Vor einigen Jahren war es in einer Umfrage sogar zu einer der hässlichsten Ortschaften der Insel gewählt worden. Nur Manacor, Consell und Muro hatten noch schlechter abgeschnitten.

»Ja, mein Heimatdorf hat außer der Durchfahrt zu den schönsten Stränden der Insel auch nicht viel zu bieten«, scherzte Silvia.

»Ach Kindchen, mich werden keine zehn Pferde jemals aus Palma hinausbekommen. Es gibt keinen besseren Ort zum Leben als unsere Hauptstadt«, sagte der alte Mann und rieb sich über den weißen Bart.

»Da muss ich Ihnen recht geben«, erwiderte Silvia.

Die Maschine war zum Stehen gekommen. Um sie herum breitete sich das übliche Chaos von Passagieren aus, die hektisch ihr Handgepäck aus den oberen Ablagen zogen und wie wild begannen, auf ihren Smartphones herumzutippen. Der alte Herr erhob sich langsam von seinem Sitz. »So, dann wollen wir doch auch mal in die Gänge kommen, damit wir schnell zu Hause sind. Ich freu mich schon auf das frit, das meine Catalina immer samstags kocht.«

Silvia schenkte dem Mann ein Lächeln und griff nach ihrer Tasche, bevor sie ebenfalls aufstand und sich in die Schlange einreihte, um die Maschine zu verlassen.

Im Flughafengebäude angelangt, schaltete sie ihr Handy ein und sah, dass sie zwei verpasste Anrufe von Rachel erhalten hatte. Ramóns Ex-Frau hatte Silvia noch nie zuvor auf ihrem privaten Handy angerufen. Die Halbamerikanerin mochte Silvia nicht besonders, und dies beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie hatte oft genug miterleben müssen, wie Rachel ihren Ex-Mann mit emotionaler Erpressung an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht hatte, wenn er seine halbwüchsigen Töchter hatte treffen wollen. Doch Silvia musste zugeben, dass Rachel seit der Nachricht von Ramóns unheilbarer Krankheit eine 180-Grad-Wende hingelegt hatte. Sie sorgte sich wirklich um ihn und besuchte ihn täglich mit den Mädchen im Krankenhaus.

Silvia zögerte einen Moment, bevor sie die Rückruftaste auf ihrem Smartphone betätigte. Ihr war klar, dass Rachel sie nicht wegen Belanglosigkeiten kontaktierte. Es musste etwas Ernstes vorgefallen sein. Sie betete stumm, dass Ramón noch nicht von ihnen gegangen war. Die vergangenen Tage in Madrid über hatte sie die täglichen Gespräche mit ihrem Kollegen vermisst, und den Gedanken, ihn nicht noch einmal zu sehen, konnte sie kaum ertragen. Sie atmete tief durch und versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Dann drückte sie den grünen Knopf unter Rachels Nummer.

»Silvia, dein Handy war ausgeschaltet. Sorry, dass ich dich an einem Samstagmorgen anrufe.« Ihre Stimme klang gehetzt, aber gefasst.

»Hallo, Rachel, kein Problem, ich saß im Flugzeug. Was ist passiert?«

»Vor einer Stunde dachte ich wirklich, dass er nur noch wenige Minuten zu leben hätte. Er begann, stark zu röcheln und bekam kaum noch Luft.« Sie hielt einen Moment inne. »Aber jetzt haben sie ihm Sauerstoff verabreicht, und seine Atmung hat sich zum Glück wieder normalisiert.«

»Gott sei Dank«, murmelte Silvia und spürte, wie die Anspannung aus ihren Muskeln wich. »Ich bin gerade in Palma gelandet. In fünf Minuten setze ich mich in ein Taxi und komme bei euch vorbei.«

»Ja, mach das, er wird sich freuen, dich zu sehen. Aber erschrick dich nicht bei seinem Anblick, die letzten Tage hat er körperlich ziemlich abgebaut.«

»Okay, ich verstehe. Dann bis gleich, Rachel. Und vielen Dank, dass du mich sofort informiert hast«, sagte Silvia und beendete das Gespräch.

Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann griff sie nach ihrer Tasche und ging schnellen Schrittes Richtung Ausgang des Flughafengebäudes.

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Kapitel drei

Bon dia, was darf ich Ihnen bringen?«

»Bon dia, ein llonguet mit Serranoschinken und einen cafè, bitte«, antwortete Andreas Lindner dem gut gekleideten Kellner auf Mallorquinisch.

Der kleine, etwas füllige Mann, sah ihn erstaunt an. »Entschuldigen Sie, senyor, ich dachte, Sie wären Ausländer, aber Ihr Mallorquinisch ist ja ausgezeichnet.«

Andreas lachte und rückte seine Brille gerade. »Sie haben vollkommen recht, ich bin ein guiri, aber ich mühe mich seit fast zwei Jahren mit dem Erlernen Ihrer Sprache ab.«

»Na, dann gratuliere ich Ihnen! Es wäre schön, wenn alle Ausländer sich ein Beispiel an Ihnen nehmen würden. Ihr cafè kommt sofort.«

Der Mann verschwand im Lokal, und Andreas ließ seinen Blick über die belebte Terrasse schweifen. Die Bar Bosch an der Plaza Joan Carles I im Herzen von Palma war seit jeher eine Institution. Sowohl Touristen als auch Einheimische belegten zu jeder Tages- und Jahreszeit die Tische und Stühle des Cafés. Rechts neben ihm aßen zwei ältere Mallorquiner ensaïmadas und unterhielten sich lautstark über das anstehende Fußballspiel von Real Mallorca. Auf seiner linken Seite nahm ein braun gebranntes deutsches Pärchen ein spätes Sektfrühstück ein.

»Ihr cafè.« Der Kellner stellte mit einem Kopfnicken den Espresso vor Andreas auf den runden Tisch.

»Moltes gràcies.«

Er nahm einen kleinen Schluck und lehnte sich entspannt zurück. Es war ein herrlicher Samstagvormittag. Der Himmel war wolkenlos, und die Luft war rein und frisch nach dem Regen der vergangenen Tage. Er liebte den Mai auf Mallorca. Alles blühte, und die Insel war noch nicht allzu überfüllt mit Touristen. Die winterliche Feuchtigkeit war angenehmen Temperaturen gewichen, aber sie waren Gott sei Dank noch weit entfernt von der Gluthitze des vergangenen Hochsommers.

Es war Maries und sein zweiter Frühling auf Mallorca. Bis jetzt hatte er die Entscheidung, Hamburg den Rücken zu kehren, nicht eine Sekunde lang bereut. Er fühlte sich pudelwohl in seiner neuen Heimat, und ihr letztes Jahr eröffnetes Landhotel war für die kommenden Monate fast vollkommen ausgebucht. Auch ihre Ehe war nach all den schrecklichen Erlebnissen, die Marie in den vergangenen Jahren hatte durchmachen müssen, endlich wieder auf einen grünen Zweig gekommen, und sie genossen das Inselleben in vollen Zügen.

Der Kellner brachte das Schinken-Llonguet. Das längliche Brötchen mit der Rille in der Mitte war in Mallorcas Hauptstadt derart beliebt, dass die Einwohner Palmas auch oftmals einfach llonguets genannt wurden.

»Guten Appetit, senyor!«

»Vielen Dank«, sagte Andreas. Er biss genüsslich in das Weißbrot, ehe er einen Blick auf sein Smartphone warf, das ihm soeben den Eingang einer neuen E-Mail angezeigt hatte. Der Bissen blieb ihm vor Schreck im Hals stecken, und er musste husten. Es war Sandra. Seine ehemalige Arbeitskollegin hatte seit Monaten nichts von sich hören lassen, und Andreas hatte gehofft, endlich mit diesem schwarzen Kapitel in seinem Leben abschließen zu können.

Nachdem Marie und er nach Mallorca gezogen waren, hatte Andreas das Angebot seines Ex-Chefs angenommen und war jedes zweite Wochenende nach Hamburg geflogen, um für ein paar Tage seiner Tätigkeit als Chirurg nachzugehen. Auch wenn er seinem ehemaligen Hauptberuf keine Träne nachweinte, hatte das zusätzliche Einkommen ihrer finanziellen Lage, die durch den Erwerb der alten Finca im Tramuntana-Gebirge ein wenig angeschlagen war, gutgetan.

Doch an einem Sommerwochenende vor fast zwei Jahren hatten der Alkohol und das lange Ausbleiben von Sex mit seiner Frau Andreas dazu verleitet, mit Sandra zu schlafen. Schon wenige Stunden später hatte er es zutiefst bereut und sich geschworen, niemals wieder einen solchen Fehler zu begehen. Das Allerschlimmste jedoch war gewesen, dass genau in jener Nacht, als er mit einer anderen Frau auf einer Autorückbank wilden Sex hatte, Marie in ihrem gemeinsamen Haus in Sóller überfallen und entführt worden war.

Noch Monate später hatten ihn Gewissensbisse geplagt, und es war ihm schwergefallen, Marie nicht alles zu beichten. Aber er hatte gewusst, dass dies nur dazu geführt hätte, ihrer zaghaft wiederkehrenden Beziehung erneut einen derben Schlag zu versetzen. Er hatte geschwiegen und all seine Bemühungen in seine Ehe und ihr neu eröffnetes Landhotel gesteckt.

Sandra jedoch hatte den gemeinsamen Sex nicht als einen einmaligen Ausrutscher gewertet. Als Andreas erneut einen Notdienst in Hamburg übernahm, hatte sie ihre Schicht umgelegt, um Seite an Seite mit ihm zu arbeiten. In einem langen Gespräch hatte Andreas versucht, ihr klarzumachen, dass er sie als Arbeitskollegin sehr schätzte, aber dass er keine weiteren Gefühle für sie empfand. Er entschuldigte sich aufrichtig für die verhängnisvolle Nacht und bat sie darum, keinen weiteren außerberuflichen Kontakt zu pflegen. Daraufhin war Sandras anfängliche Trauer in Wut umgeschlagen, und sie hatte versucht, ihm einzureden, dass seine Ehe am Ende war. Andreas hatte höflich reagiert und es sogar geschafft, dass sie im Guten auseinandergingen. Doch nur wenige Tage später begann Sandra, ihm WhatsApp-Nachrichten zu schicken. Aus Angst, dass Marie eine dieser Nachrichten zu Gesicht bekommen könnte, blockierte er Sandras Nummer und löschte ihre Kontaktdaten. Nach einem weiteren Wochenende in Hamburg, an dem Sandra ihn in der Klinik bedrängte, beschloss Andreas, die Notdienste zu kündigen und sich vollkommen auf ihr Finca-Hotel zu konzentrieren. Und tatsächlich hatten nach seiner Kündigung Sandras Kontaktversuche stetig abgenommen, bis sie sich vor einigen Monaten komplett einstellten. Andreas hatte geglaubt, dass er endlich mit der Geschichte abschließen konnte. Aber damit hatte er offensichtlich falschgelegen.

Er drückte auf die Gmail-App des Displays, um die Nachricht zu öffnen.

 

Liebster Andreas,

ich hoffe, es geht dir gut. Mir geht es sehr schlecht. Seit Wochen bin ich krankgeschrieben und nicht imstande, meinen Alltag zu meistern. Krank, fragst du dich? Was mir fehlt? Du fehlst mir! Ich bin krank vor Liebe. Ich kann dich nicht vergessen. Ich weiß, dass wir füreinander bestimmt sind. Seit jenem 22. Oktober vor vier Jahren, als ich das erste Mal in der Uniklinik mit dir sprach, denke ich jeden Tag an dich. Ja, du hast es damals nicht gemerkt. Aber das machte mir nichts aus. Mir hat deine Anwesenheit gereicht. Mit dir zusammenzuarbeiten, hat mich glücklich gemacht. Doch als du dann mit deiner depressiven Frau nach Mallorca ausgewandert bist, ist meine Welt zusammengebrochen. Zum Glück aber kamst du an einigen Wochenenden. Und endlich in jener wundervollen Nacht vor einem Jahr und zehn Monaten hast du deine Augen geöffnet und in mir eine begehrenswerte Frau gesehen. Ich weiß, dass auch du mich liebst, ich sah es in deinem Blick, als wir in meinem Auto übereinander herfielen. Du willst es dir nur nicht eingestehen, du willst nicht wahrhaben, dass deine Ehe genauso kaputt ist, wie meine es vor der Scheidung war.

Die vergangenen Monate habe ich versucht, dich zu vergessen, habe andere Männer gedatet und mich in die Arbeit gestürzt. Aber das hat rein gar nichts gebracht, denn wenn zwei Menschen wirklich füreinander bestimmt sind, gibt es kein Vergessen. Nun weiß ich, dass ich nicht ohne dich leben will. Meine Existenz ist ohne deine Anwesenheit komplett wertlos. Ich bitte dich aus tiefster Seele, mir zu antworten! Bitte ignoriere mich nicht! Sonst will ich sterben …

 

»Hallo, Schatz!«

Andreas zuckte zusammen. Marie stand strahlend in ihrem wunderschönen blauen Kleid vor ihm. Er brauchte eine Sekunde, um sich zu sammeln, dann drückte er hastig Sandras E-Mail weg und steckte das Smartphone in seine Jacketttasche.

»Was ist passiert? Du machst ein Gesicht, als wäre jemand gestorben. Ist was mit deinen Eltern?«, fragte Marie und setzte sich ihm gegenüber.

»Bon dia, schöne Frau! Was kann ich Ihnen bringen?«, fragte der aufmerksame Kellner, der soeben an ihrem Tisch erschienen war.

Andreas sandte ein Stoßgebet Richtung Himmel. Die kurze Unterbrechung gab ihm einen Augenblick zum Überlegen, was er Marie sagen sollte. Denn einfach so zu tun, als sei gar nichts geschehen, war bei den feinen Antennen seiner Frau keine Option. Sie würde ihm sowieso nicht glauben und intensiv nachhaken.

»EinenMilchkaffee, bitte«, sagte Marie.

»Sehr gern. Und Sie, senyor, schmeckt Ihnen das llonguet etwa nicht?«, fragte der Kellner und zeigte auf das angebissene Brötchen, das Andreas in den vergangenen Minuten nicht angerührt hatte.

»Doch, doch, ich war nur gerade etwas abgelenkt. Es schmeckt wie immer ausgezeichnet«, erwiderte er.

»Dann ist es ja gut! Ihr Kaffee kommt sofort, senyora«, sagte der Kellner und wandte sich an einen anderen Tisch.

Marie widmete ihre Aufmerksamkeit erneut Andreas. »Nun sag schon: Was ist los?«

Aus den Augenwinkeln sah er, dass das braun gebrannte deutsche Pärchen neben ihnen die Ohren spitzte. Das war das Unangenehme auf den gut besuchten Terrassen. Privatsphäre war Fehlanzeige.

Andreas rückte den Stuhl etwas näher an Marie und legte die Ellbogen auf den runden Tisch. »Frank hat mir eine E-Mail geschickt und ein bisschen von der Arbeit im Krankenhaus erzählt. Eine Kollegin, mit der ich oft die Notdienste übernommen habe, ist wohl schwer erkrankt.«

Das war wenigstens keine komplette Lüge.

»Oh, das tut mir leid. Was hat sie denn?«, fragte Marie und griff nach seiner Hand.

Andreas wurde übel. Er musste schleunigst das Thema wechseln.

»Das wissen sie noch nicht genau, irgendetwas am Herzen.«

»Mist.«

»Ja, das wird schon.« Andreas drückte ihre Hand und zeigte dann mit dem Kinn auf das llonguet. »Möchtest du die Hälfte? Das Ganze ist mir eh zu viel.«

»Gerne. Ich habe schon ein Gläschen Schampus getrunken, etwas zu essen kann meinem Magen nicht schaden. Außerdem dauert es bestimmt noch Stunden, bis auf der Feier das Menü serviert wird.«

Andreas reichte ihr den Teller, und Marie nahm sich eine Hälfte des Brötchens.

»Und wie war es mit Lilly? Ist sie sehr nervös?« Andreas war dankbar, dass Marie bezüglich der Krankheit seiner Arbeitskollegin nicht nachhakte.

»Na ja, ein wenig schon, aber das ist ja verständlich. Mir wäre ein so prunkvolles Event auch ein bisschen zu viel – aber was tut man nicht alles für die Liebe.« Marie lächelte ihn an, bevor sie in das Brötchen biss.

Wie sehr er dieses Lächeln liebte und wie lange er es damals vermisst hatte, als Marie durch eine so schwere Phase gegangen war! Endlich lief wieder alles rund zwischen ihnen, Marie hatte zurück zu ihrer Lebensfreude gefunden, und da musste ausgerechnet die Sache mit Sandra wie ein Damoklesschwert über ihnen schweben.

»Was genau wäre dir zu viel?«, fragte Andreas und strich ihr einen Krümel aus dem Mundwinkel.

Der Kellner brachte den Milchkaffee und stellte ihn vor Marie. Sie nahm einen Schluck, bevor sie antwortete.

»Eine so große Hochzeit, mit so vielen Gästen, fast alles wichtige mallorquinische Herrschaften. Bestimmt sind auch viele Politiker da. Ich hatte dir ja erzählt, dass Víctors Bruder bei den kommenden Wahlen als Ministerpräsident der Balearen kandidiert.« Marie wischte sich mit der Papierserviette über den Mund. »Außerdem werden vor der Kathedrale mit Sicherheit einige Presseleute lauern, um ein Foto des frisch verheirateten Brautpaares zu ergattern.«

»Ja, du hast recht, das hört sich anstrengend an. Aber da muss Lilly jetzt durch!«, sagte Andreas.

»Es ist schon alles unglaublich, findest du nicht?«, fragte Marie.

»Was meinst du?«

»Na, in welchem Tempo das alles vonstattengeht. Lilly war erst seit ein paar Wochen auf der Insel, schwups, lernt sie auf der Tourismusmesse, auf der sie ja eigentlich nur einen Dolmetscherjob gemacht hat, den Geschäftsführer der größten mallorquinischen Hotelkette kennen. Und keine drei Monate später hält Víctor schon um ihre Hand an. Du und ich haben uns damals ja wesentlich mehr Zeit genommen, um uns erst mal richtig kennenzulernen.«

»Ach komm, du weißt ganz genau, dass ich dich auch nach einer Woche schon geheiratet hätte und mich nur nicht getraut habe, weil ich Angst hatte, mir eine Abfuhr einzuholen«, sagte Andreas und zwinkerte Marie zu.

»Blödmann«, erwiderte sie und lachte.

Andreas schaute auf seine Armbanduhr. »Apropos heiraten, ich glaube, wir sollten uns so langsam auf den Weg machen, um einen guten Platz in der Kirche zu bekommen, bevor zu viel Rummel herrscht.«

Marie trank rasch ihren Kaffee aus und griff nach ihrer Handtasche. »Okay, ich zahle drinnen und gehe noch mal auf die Toilette. Wer weiß, wie lange wir dazu keine Gelegenheit bekommen.«

Als Marie im Inneren der Bar verschwunden war, holte Andreas sein Handy hervor und löschte Sandras E-Mail. Er atmete tief durch. Ein Schnaps täte seinen angespannten Nerven jetzt bestimmt gut. Aber das würde nur weitere Fragen bei Marie hervorrufen, da er nie vormittags trank. Außerdem würde es sicherlich bei dem Mittagessen und der darauffolgenden Feier auf der Luxus-Finca der Familie Adrover Estades noch genug Alkohol geben.