Dare to love - Daniela Felbermayr - E-Book

Dare to love E-Book

Daniela Felbermayr

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Beschreibung

Catherine – genannt Cat – Lincoln hat es nicht leicht. Sie muss sich nicht nur mit einer Beziehung herumschlagen, deren Ablaufdatum längst überschritten ist, sie wird auch noch von ihrer Mutter dazu verpflichtet, in eine Kleinstadt nach Wisconsin zu reisen, um ihren dort verstorbenen – und ihr unbekannten – Großonkel Hugh zu beerdigen. Im verschlafenen Port Royal trifft sie auf Nick, einen attraktiven Womanizer und guten Bekannten ihres Großonkels, der ihr bei den Formalitäten der Beerdigung unter die Arme greifen soll, doch die beiden haben keinen guten Start. Cat hält Nick für ein machohaftes Landei und Nick denkt, Cat wäre eine Erbschleicherin. Als die beiden dann gemeinsam eine alte Farm von Hugh erben, ist das Chaos perfekt. Doch sie wissen weder, wie sehr ihr Zusammentreffen ihr Leben verändern wird, noch um das Geheimnis, das Großonkel Hugh Zeit seines Lebens mit sich herumgetragen hat. "Dare to love – Die Liebe Deines Lebens“ – eine Geschichte über Liebe, die alle Zeit überdauert, verpasste Chancen, und ein Plädoyer dafür, Gelegenheiten beim Schopf zu packen, wenn sie sich anbieten

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DARE TO LOVE – Die Liebe deines Lebens

Daniela Felbermayr

 

 

 

 

 

 

 

 

Dare to love – Die Liebe deines Lebens ©2023 by Daniela Felbermayr

Korrektorat: S.W. Korrekturen e.U.

Covergestaltung: Daniela Felbermayr unter Verwendung von Shutterstock und Canva

 

Kontakt: [email protected]

 

 

1

 

 

„Die Trennungs-App – jetzt zum kostenlosen Download.“

 

„Beleben Sie Ihre Beziehung neu – in nur zwölf Tagen.“

 

„Ziehen Sie den Schlussstrich – JETZT.“

 

„Geben Sie Ihrer Partnerschaft eine neue Chance.“

 

„Der Schlussmacher – beendet auch Ihre Beziehung professionell und kurzfristig. Nutzen Sie unsere aktuelle Rabattaktion.“

 

„Second Chance for love. Eine zweite Chance für die erste Liebe.“

 

 

 

Ratlos starrte Catherine Lincoln, die Zeit ihres Lebens immer nur Cat genannt wurde, auf den Bildschirm ihres MacBooks. Auf dem Bildschirm hatte sie mehrere Internetseiten geöffnet. Links befanden sich jene, die sich mit dem Schlussmachen einer festgefahrenen Beziehung beschäftigten und verschiedene Methoden, diese zu beenden, aufzeigten. Von Psychotests, die der in einer unglücklichen Beziehung gefangene Partner machen sollte, über verschiedene Konzepte, eine Beziehung zu beenden, bis hin zu einer App, die diese unleidliche Angelegenheit für nur neunundneunzig Cent für einen übernehmen würde, war alles dabei. Es gab sogar verschiedene – eher zwielichtig anmutende – Agenturen, die anboten, einem das Schlussmachen abzunehmen.

 

Rechts hatte Cat jene aufgelistet, die für eine zweite Chance plädierten und Ratgeber, Paartherapien und Foren, in denen man sich mit Gleichgesinnten austauschen konnte, feilboten. Eine Website, auf der einem ein gebrochenes Herz, das demonstrativ mit einem übergroßen Heftpflaster wieder zusammengeflickt worden war, ins Auge sprang, erklärte in einer Sprechblase, dass es nie zu spät sei, seine Beziehung wieder aufzupeppen, und dass es für jeden eine zweite Chance gab.

 

Im Hintergrund hatte Cat noch eine weitere Seite geöffnet. Die ihrer Maklervereinigung mit den aktuell zur Verfügung stehenden Immobilienangeboten und mit jenen, die in Kürze verfügbar sein würden. Wenn sie einen Plan hatte, wenn sie Berichte darüber las, wie andere sich aus ihren unglücklichen Beziehungen befreit und zurück in ein erfülltes Leben katapultiert hatten, und wenn es ein Appartement gab, das sie in Gedanken einrichten konnte, dann würde sie es auch schaffen, diesen großen Schritt zu machen und ihre Beziehung endlich zu beenden.

 

Cat lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück, schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Die Trennung von Mitch war eigentlich längst überfällig, und selbst wenn sie noch eine Million weiterer Websiten besuchte, die weissagten, ihre Beziehung auf irgendeine fadenscheinige Art und Weise retten zu können, so wäre das die falsche Entscheidung gewesen. Ihre Beziehung war nicht mehr zu retten, sie war tot. Schon lange. Sie und Mitch waren seit über zehn Jahren ein Paar und – grob geschätzt – seit über acht Jahren nicht mehr glücklich miteinander. Natürlich war es Cat bewusst, dass eine Beziehung ihre Höhen und Tiefen hatte, und natürlich war es ihr klar, dass die Schmetterlinge im Bauch, die einen zu Anfang nahezu um den Verstand bringen, irgendwann einmal davonflattern und man dann in den Alltag übergeht, doch wenn sie über ihr Zusammenleben mit Mitch nachdachte, dann konnte sie sich nur schwer vorstellen, dass es irgendwann einmal wieder auch nur annähernd so werden würde wie früher. Und mal ehrlich: War es früher wirklich so viel besser gewesen? Oder waren sie und Mitch nur ein Paar geworden, weil Cat damals mit Anfang zwanzig dachte, es sei langsam an der Zeit, sesshaft zu werden und sich mit jemandem zusammenzutun, der an mehr als nur einer Nacht interessiert war? Sicher, ganz zu Anfang war sie auf Wolke sieben geschwebt und hatte eine rosarote Brille aufgehabt. Doch jetzt, zehn Jahre später und aus einiger Distanz betrachtet, fand sie, dass ihre Beziehung schon vor Jahren abgelaufen war und dass sie und Mitch eigentlich nur deshalb noch zusammen waren, weil sie Opfer der Gewohnheit geworden waren und niemand von ihnen beiden fähig war, den ersten Schritt zu tun.

 

Ihr Blick fiel noch einmal auf das übergroße Herz mit dem Heftpflaster. Das Wort „zweite Chance“ war in dicker roter Schrift getippt und blinkte. Eine zweite Chance für sie und Mitch? Vielleicht sollte sie sich die Trennung doch noch einmal durch den Kopf gehen lassen, immerhin waren sie zehn Jahre gemeinsam durchs Leben und durch so manche Höhen und Tiefen gegangen. Und was, wenn sie nach Mitch niemanden mehr fand? Was, wenn Mitch trotz allem der Richtige für sie war? Nein. Alles so zu belassen, wie es war, würde nur eine unnötige Verlängerung von etwas sein, das längst zu Ende war. Außerdem brachte es ohnehin nichts, wenn sie allein versuchte, Beziehungsarbeit zu leisten. Mitch selbst machte keinen Hehl daraus, jedem auf die Nase zu binden, dass „ihre Liebe längst erloschen war“ und sie nur wie Freunde nebeneinanderher lebten – ein weiterer Grund, sich endlich von ihm zu trennen. Etwas dagegen tun wollte er aber anscheinend auch nicht. Offenbar hatte er sich mit der Situation abgefunden und arrangiert, sodass er keinen Grund sah, irgendetwas zu verändern.

 

Cat dachte an die Zeit zurück, als sie und Mitch ein Paar geworden waren. Damals waren sie beide Mitte zwanzig gewesen und der Himmel hatte voller Geigen gehangen. Mitch war groß und muskulös gewesen, hatte dunkles, zerzaustes Haar, stahlblaue Augen und Tattoos gehabt. Er strahlte etwas Machohaftes, Unnahbares aus, und genau das war es gewesen, was Cat fast magisch angezogen hatte. Natürlich hatten sie beide auch eine Menge gemeinsam gehabt: Sie waren sportlich, liebten Filme und machten gerne Party. Zehn Jahre später war von dem aktiven, attraktiven Mitch allerdings nicht mehr viel übrig geblieben. Mitchs dunkles Haar war schütter geworden, hatte sein kraftvolles Dunkelbraun verloren und einem unscheinbaren Mittelblond Platz gemacht. Er hatte ein kleines Wohlstandsbäuchlein angesetzt, und seine sportlichen Aktivitäten beschränkten sich eigentlich nur noch darauf, sich auf die Couch zu fläzen, durch die Kanäle zu zappen, sich die millionste Wiederholung irgendeiner Sitcom anzusehen und sich in den Werbepausen Chipstüten und Gummibärchen aus der Küche zu holen. Ach ja, und hin und wieder das ein oder andere Bier.

 

Außerdem war aus dem witzigen, charmanten und offenen Kerl ein Griesgram geworden, der seine Tage damit verbrachte, sauertöpfisch durch die Gegend zu laufen und seinen Unmut über Gott und die Welt vorzugsweise an Cat auszulassen. Recht machen konnte sie ihm längst nichts mehr. An schlechten Tagen warf er ihr vor, hochnäsig und eingebildet zu sein. Sie war ihm zu schlampig, redete ihm zu viel, tat nicht genug im Haushalt und so weiter und so fort. Manchmal fasste er eine witzige Bemerkung von ihr falsch auf und spielte den ganzen restlichen Tag über die beleidigte Leberwurst. Demgegenüber standen nicht sehr viele positive Attribute, die Mitch an Cat fand. Wie sie so in ihrem Bürostuhl saß, die Augen geschlossen hatte und versuchte, die Zeit ihres Zusammenkommens wiederaufleben zu lassen, stellte sie fest, dass Mitch ihr in all den Jahren niemals gesagt hatte, dass er sie hübsch fand. Egal, ob sie vom Friseur, von der Kosmetikerin oder von der Stylistin kam. Egal, ob sie ihm voller Stolz die Größe-36-Jeans präsentierte, in die sie nach Monaten voller Diät und Sport endlich hineinpasste, oder ob sie in einem sündhaft teuren Cartier-Kleid fertig für eine Abendveranstaltung war und andere Männer sich die Hälse nach ihr verrenkten – Mitch hatte es noch nie für nötig befunden, ihr zu sagen, dass sie hübsch aussah. Dafür ließ er keine Gelegenheit aus, ihr unter die Nase zu reiben, dass ihr Hintern zu dick war, ihre Haarfarbe ihm nicht gefiel und sie ihrer Mutter immer ähnlicher wurde. Ihr kam eine Situation aus dem letzten Jahr in den Sinn. Sie wusste nicht mehr, ob es ihr Geburtstag, Valentinstag oder vielleicht der Jahrestag gewesen war, an dem sie und Mitch in ihr Lieblingsrestaurant, das „Shades“, gegangen waren. Das „Shades“ war ein Haubenrestaurant mit der besten Küche, die Cat sich vorstellen konnte. Zu diesem Anlass hatte sie ein kleines Schwarzes von Chanel und die Louboutins angezogen, die Mitch ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Bei dem letzten Blick in den Spiegel, den sie tat, war sie mit dem, was ihr da entgegenblickte, vollauf zufrieden. Für Anfang dreißig sah sie einfach hammermäßig aus.

 

Das Restaurant befand sich in einer kleinen Seitengasse, die mit Kopfsteinpflaster ausgelegt war, und Cat hatte Mühe, auf ihren 15 Zentimetern nicht zwischen zwei Pflastersteine zu geraten und sich alle Knochen zu brechen. Wie absichtlich hatte Mitch extraweit vom Restaurant weg geparkt, weil er meinte, es wäre gut möglich, so nahe dran keinen Parkplatz zu bekommen. Cat zuerst aussteigen zu lassen und den Wagen dann selbst zu parken, auf diese Idee war er nicht gekommen.

 

Der Portier des „Shades“ hielt den beiden die Tür auf, als sie auf das Restaurant zukamen, und just in dem Moment passierte das Unglück. Cat gelangte mit ihrem Stöckel tatsächlich zwischen zwei Pflastersteine, knickte halb um und wäre auf der Nase gelandet, hätte der Portier sie nicht rechtzeitig festgehalten.

„Ma’am, ist alles in Ordnung?“, fragte er besorgt, als sie sich wieder aufgerappelt hatte und sie es – rot wie eine Tomate – nicht wagte, dem Mann lange ins Gesicht zu sehen.

„Ja, alles bestens, vielen Dank“, sagte sie.

Der Portier, ein grauhaariger Mann mit freundlichen blauen Augen, lächelte sie an.

„Keine Ursache. Wäre schade um die schönen Beine, wenn sie gebrochen wären“, sagte er.

„Schade wär’s höchstens um die Schuhe“, meinte Mitch abfällig und ritt in diesem Moment wieder einmal darauf herum, dass er Cats Beine nicht mochte. Seit einigen Jahren hatte er die fixe Idee, dass das perfekte Frauenbein ein übermäßig trainiertes, am besten einen Meter fünfzig langes sein müsste. Perfekt waren Beine für ihn dann, wenn sie exakt so aussahen, wie sie in Zeitschriften wie der Vogue und der Cosmo zu finden waren. Wunderschön, lang und mehrere Stunden mit Photoshop bearbeitet, dass selbst ein Blinder mit dem Krückstock bemerkte, dass das betreffende Bein ungefähr so natürlich war wie neonfarbene Kinderknete mit Erdbeergeschmack. Cat war sich sicher, dass es auf der ganzen Welt keine Handvoll Frauen gab, die von Natur aus mit solchen Beinen gesegnet waren, aber dennoch hielt Mitch ihr immer wieder vor, dass er ihre Beine nicht leiden konnte und sie noch nicht einmal was dafür tat, dass sie dem Ideal näher kamen. Immerhin – so meinte er, wenn sie wieder einmal eine dieser Endlosdiskussionen vom Zaun brachen – könnte sie auch noch abends nach dem Büro zwei, drei Stunden im Fitnessclub verbringen und auf diversen Foltergeräten versuchen, ihre Beine Vogue-konform zu trainieren. Dass diese Beine, die ihm so gefielen, in Wirklichkeit nicht annähernd so aussahen wie auf den Bildern, ließ er nicht gelten.

 

Dies war nur eine Begebenheit, die Cat mehr und mehr daran zweifeln ließ, dass der Zug ihrer Beziehung zu Mitch längst abgefahren war, und jetzt, wo sie diese eine Situation hatte Revue passieren lassen, überrollten sie unzählige weitere, bei denen er fiese Spitzen gegen sie hatte fallen lassen und ihr zu verstehen gegeben hatte, dass sie in irgendeiner Weise absolut unzulänglich war.

 

Warum sie immer noch bei ihm war, wusste sie selbst nicht so genau. Eigentlich war Cat Lincoln niemand, der einer Sache lang nachhing, wenn sich abzeichnete, dass keine Besserung eintrat. Doch ihre gemeinsamen zehn Jahre ließen sich nicht so einfach unter den Teppich kehren. Immerhin hatten sie ihre Leben zu einem einzigen vereint, und außerdem ging es hier nicht darum, dass sie einen alten Pullover austauschte, sondern den Mann, von dem sie einmal gedacht hatte, sie würde ihn heiraten. Sie hatten so viele Paare gekannt, die nach ihnen zusammengekommen waren, geheiratet hatten und längst wieder geschieden waren, und trotz der Tatsache, dass sie beide so ihre Probleme hatten, waren sie mit jedem Jahr ein bisschen stolzer, immer noch Seite an Seite zu leben.

 

Auf der anderen Seite war sie fünfunddreißig Jahre alt und hatte, wenn sie nun doch endlich den Richtigen finden wollte, auch nicht mehr ewig Zeit. Sie wollte vermeiden, dass ihre Beziehung noch mehr Gewohnheitstrott wurde, als sie bereits war, und sie wollte vermeiden, dass sie und Mitch irgendwann nur noch aus dem Grund zusammen waren, weil sie alt und faltig waren und keiner von ihnen jemand anderen abbekommen würde.

 

Sie klickte die kleinen Fenster mit den Beziehungs- und Trennungsratgebern hinunter in die Statusleiste und besah sich das aktuelle Immobilienangebot. Es waren ein paar großartige Liegenschaften dabei: Häuser draußen im Grünen, deren Mieten annehmbar waren, und Appartements in der City, wie sie stylisher nicht hätten sein können, doch es war nichts dabei, das sie von vornherein umhaute. Hier fehlte der Concierge, dort war das Schlafzimmer nicht nach Süden ausgerichtet, beim Nächsten gefiel ihr die Küche nicht und sowieso und überhaupt traf keines so richtig ihren Geschmack. Vielleicht war sie doch noch nicht bereit, ihre Beziehung an den Nagel zu hängen. Sie verdrehte die Augen und schloss die Website, als ihr Handy zu klingeln begann und einen Anruf ihrer Mutter vermeldete.

 

Für einige Augenblicke überlegte Cat, den Anruf nicht anzunehmen. Doch dann würde ihre Mutter Helen, eine zur Hysterie neigende Endfünfzigerin, sie so lange mit Anrufen, SMS und Voicemails überhäufen, in denen sie die wildesten Spekulationen über Cats Verhinderung losließ, dass Cat sich dazu entschied, das Gespräch anzunehmen.

 

„Hey, Mom.“„Catherine?“

Ihre Mutter klang aufgelöst, schniefte nasal in einem durch ins Telefon und Cat war sofort in Alarmbereitschaft. Ihr Herz begann heftiger zu schlagen und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.„Mom? Mom, ist alles in Ordnung? Was ist los? Geht es dir und Dad gut?“

Wieder nur Schniefen, gefolgt von bitterlichem Weinen, das Cat fast auf die Palme brachte.

„Mum, was ist los?“

„Oh, Catherine, es ist so furchtbar. Dein Onkel ist tot.“

Cat riss die Augen auf.

„Onkel Hank ist tot? Aber … ich habe doch noch vorgestern mit ihm telefoniert. Er war bei bester Gesundheit und erzählte mir, er würde gerade für den London City Marathon trainieren.“„Ich meine auch nicht Hank …“Ein neuerlicher Heulkrampf, der sich über mehrere Sekunden lang hinzog und Cat fast zur Weißglut trieb.

„Ich meine Onkel Hugh.“„Onkel … wer?“

„Onkel Hugh“, wiederholte Cats aufgelöste Mutter und schnäuzte sich.

„Aber Mom, Grandma und Grandpa hatten nur zwei Kinder – dich und Onkel Hank. Hast du getrunken?“

„Es ist nicht die Zeit für Scherze, Catherine“, maßregelte Helen ihre Tochter in strengem Ton, und für einen Augenblick waren alle Trauer und sämtliche Tränen aus ihrer Stimme verschwunden.

„Onkel Hugh war mein Onkel“, klärte sie schließlich auf und klang für einen Augenblick gefasst, ehe sie in den nächsten Heulkrampf überging. „Der Bruder deiner Großmutter. Ich habe soeben einen Anruf aus dem Seniorenheim erhalten, in dem er das letzte halbe Jahr über gelebt hat. Er ist in der Nacht verstorben. Er war vierundneunzig Jahre alt.“Wieder brach Helen in einen Heulkrampf aus.

Cat konnte sich nicht an einen Onkel Hugh erinnern, wusste aber, dass ihre Großmutter eine Menge Geschwister gehabt hatte, die sich quer über die Vereinigten Staaten und sogar Kanada verteilten. Zu vielen war der Kontakt im Laufe der Jahre abgebrochen, und Cat kannte Namen und Geschichten nur aus Erzählungen ihrer verstorbenen Großmutter. Sie glaubte, sich dunkel daran zu erinnern, dass sie einmal etwas von einem Hugh gehört hatte, der in den Dreißigerjahren nach Wisconsin gegangen war und dort sein Glück als Bäckermeister versuchen wollte. Er wurde zur Armee eingezogen, diente in Europa und kam nach dem Krieg wieder zurück in die Staaten. Doch was aus ihm geworden war, schien noch nicht einmal ihre Großmutter genau gewusst zu haben. Cat erinnerte sich dumpf daran, dass man sich erzählte, Hugh sei als gebrochener Mann aus Europa zurückgekehrt und habe die Kriegswirren niemals richtig verwunden. Er war ein griesgrämiger, alter Eigenbrötler geworden, der den Kontakt zu seiner Familie von sich aus abgebrochen hatte.

 

„Vierundneunzig ist ein ansehnliches Alter“, sagte Cat. „Ich würde mich bedanken, wenn ich mit vierundneunzig im Schlaf sterben würde und bis dahin ein halbwegs erfülltes Leben hätte führen können.“

Helen hatte wieder zu weinen begonnen, heulte, schniefte und schnäuzte sich abwechselnd. Eigentlich war es gar nicht weiter verwunderlich, dass sie nahe an einem Nervenzusammenbruch war. Cat erinnerte sich, als ihre Mutter vor einigen Jahren einmal mit ihrem Wagen einen Laternenmast angefahren hatte und danach tagelang völlig aufgelöst war. In Anbetracht der Tatsache, dass ihr bereits ein angefahrenes Stück Blech so viel Kummer bereitete, war es fast logisch, dass ihr ein verstorbener Onkel – selbst wenn er bereits auf die Hundert zuging und friedlich entschlafen war – noch viel mehr Tränen entlockte.

„Auf alle Fälle musst du nach Wisconsin und die Dinge klären“, sagte Helen kryptisch und, nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, mit tränenerstickter Stimme.

„Ich muss … was?“

Cat horchte auf.

„Catherine, du musst die Dinge dort klären, seinen Nachlass regeln.“„Ich dachte, er lebte im Seniorenheim?“

„Dennoch gibt es Dinge zu regeln. Außerdem muss sich jemand um seine Beerdigung kümmern.“„Und … warum machst du das nicht? Bis vor zehn Minuten wusste ich noch nicht einmal, dass es einen Onkel Hugh überhaupt gegeben hat.“„Catherine, ich bin siebenundfünfzig Jahre alt. Ich schaffe es nicht, so etwas zu übernehmen, und dein Vater hat ebenfalls keine Zeit, die Bausaison hat gerade eben begonnen und er hat eine Menge Aufträge übernommen, und das, obwohl ich ihn jeden Tag beknie, die Firma nun endlich zu übergeben und in Ruhestand zu gehen. Er wird der Nächste sein, der einen Herzanfall bekommt.“„Was ist mit Onkel Hank?“„Onkel Hank lebt in Großbritannien, Catherine. Ich habe vorhin mit ihm telefoniert, auch ihm ist es nicht möglich, herzukommen. Seine Kanzlei ist an zwei unglaublich großen Fällen dran, deren Betreuung er übernommen hat. Du bist die Einzige von uns, die sich ihre Zeit so einteilen kann, dass sie sich ein paar Tage freimacht. Deine Immobilien laufen dir schon nicht davon.“

 

Cat war außer sich und musste sich ziemlich zusammennehmen, um ihre Mutter nicht anzuschnauzen. Aufgrund der Tatsache, dass dies nur einen weiteren Gefühlsausbruch Helens zur Folge gehabt hätte, versuchte sie, einigermaßen ruhig zu bleiben.

 

Es war wieder einmal typisch für ihre Mutter, dass sie sich selbst aus der Affäre zog und Dinge delegierte, die ihr unangenehm waren.

„Mom, alles, was recht ist, aber ich kann mir meine Zeit eben nicht so einteilen, wie ich will. Und schon gar nicht kann ich einfach mal für ein paar Wochen nach Wisconsin verschwinden; wie stellst du dir das denn vor?“„Es sagte niemand, dass du für ein paar Wochen nach Wisconsin verschwinden sollst“, näselte Helen. „Ich denke, eine Woche würde reichen. Zehn Tage vielleicht.“Cat rollte mit den Augen. Dieses Mal würde sie nicht klein beigeben. Dieses Mal würde sie ihrer Mutter keine unangenehme Angelegenheit abnehmen, erst recht nicht, wo sie einem stressigen Vollzeitjob nachging, zusehen musste, dass ihr kleines Immobilienmaklerbüro nicht von einem Branchenhai geschluckt wurde, und obendrein noch mit ausgewachsenen Beziehungsproblemen zu kämpfen hatte.

„Tut mir leid, Mum, diese Sache muss jemand von euch übernehmen, ich mach das bestimmt nicht.“

 

2

 

Zwei Tage später lenkte Cat ihren Chevrolet Camaro – einen Traum, den sie sich erfüllt hatte, sobald ihre Tätigkeit als Immobilienmaklerin begonnen hatte, etwas Geld abzuwerfen – die Küstenstraße eines Ortes namens Port Pleasant entlang, die sie in etwa vierzig Meilen nach Port Royal bringen sollte, um den Nachlass ihres ihr unbekannten Onkels Hugh zu regeln.

 

Nachdem Helen am Telefon fast hyperventiliert hatte und abends auch noch Cats Vater auf sie eingeredet hatte, hatte sie schließlich eingewilligt, für eine Woche nach Wisconsin zu fahren, ihren Großonkel zu beerdigen und seinen Nachlass zu regeln. Laut den Informationen ihrer Mutter sei nicht viel zu tun, es gebe in Port Royal einen Mann, Mr. Porter, der mit Onkel Hugh befreundet gewesen war und der bereits einiges in die Wege geleitet hatte. Vermutlich ebenfalls ein Bewohner des Heimes, mutmaßte Helen, der noch etwas fitter auf den Knochen war und sich um den Nachlass seines besten Freundes kümmerte, soweit es ihm möglich war. Cat musste ihn also nur hier und dort beim Papierkram unterstützen und wäre in wenigen Tagen wieder zurück. Onkel Hugh hatte nicht viel gehabt, das er jemandem hätte vererben können, sodass die paar Habseligkeiten aus seinem Nachlass der Wohlfahrt und, sollte etwas Geld vorhanden gewesen sein, dem Seniorenheim zugeführt werden sollten.

 

Cat hatte für sich behalten, dass ihr ein Tapetenwechsel im Hinblick auf ihre aktuelle Gemütslage ihre Beziehung betreffend gar nicht so unrecht kam. Vielleicht – so überlegte sie, als sie längst zugesagt hatte, ihren Großonkel zu beerdigen – war es gar keine so schlechte Idee, ein paar Tage aus dem Alltag auszubrechen. Sich über die aktuelle Lage Gedanken zu machen und eine Entscheidung zu fällen.

 

Als sie an jenem Abend nach Hause kam und Mitch vom Ableben ihres Großonkels informiert hatte, hatte dieser nur unbeteiligt mit den Schultern gezuckt und – wie so oft in letzter Zeit – in seinen Computer gestarrt. Als sie ihm davon erzählt hatte, dass sie nach Wisconsin fahren sollte, um Onkel Hughs Nachlass zu regeln, hatte er gar nicht darauf reagiert und als sie – rein probehalber – gefragt hatte, ob er sich nicht auch ein paar Tage freinehmen und sie begleiten wollte, immerhin könnte es ganz lustig werden, ein kleines Küstenstädtchen mitten im Nirgendwo unsicher zu machen, hatte er nur teilnahmslos gemeint, er habe keine Zeit für solche verrückten Ideen. Und er würde überhaupt nicht einsehen, warum er die paar Urlaubstage, die ihm pro Jahr zur Verfügung standen, für einen toten Kerl aufopfern sollte, den er überhaupt nicht gekannt hatte. Als er dann wenige Stunden später neben ihr im Bett lag und sein Schnarchen ganze Urwälder hätte fällen können, als Cat unzufrieden und hellwach neben ihm lag und sich immer und immer wieder fragte, was sie eigentlich noch bei Mitch hielt, war ihre Entscheidung gefallen. Sie würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie würde nach Wisconsin fahren und tun, was getan werden musste. Gleichzeitig etwas Abstand von ihrer Beziehung und von Mitch gewinnen und sich darüber klar werden, wohin diese Beziehung eigentlich noch führen sollte.

 

 

 

Sie befand sich auf der Landstraße zwischen Port Pleasant und Port Royal, als es plötzlich wie aus Eimern zu schütten begann. Die Scheibenwischer des Camaro hatten ordentlich zu tun, um die Windschutzscheibe vom Wasser freizuhalten, und es schien, als würden wahre Sturzbäche vom Himmel kommen. Das Tageslicht, das vor Kurzem noch hell und frisch gewesen war, hatte einem eintönigen, dumpfen Grau Platz gemacht. Cat hatte das Tempo gedrosselt und fuhr im Schneckentempo die Straße entlang, auf der sich mittlerweile keine weiteren Fahrzeuge mehr befanden. Es war, als hätten sich all die Autos, die sie bis vor wenigen Augenblicken noch überholt hatten, vor und hinter ihr gefahren und auf Ausfahrten abgebogen waren, in Luft aufgelöst. Als der Regen noch einmal zulegte, trat sie neuerlich auf die Bremse. Sie fuhr vielleicht höchstens zehn Meilen die Stunde, als sie in einiger Entfernung etwas – jemanden – am Straßenrand entdeckte, der bis auf die Knochen durchnässt war und verzweifelt einen Finger in die Luft streckte. Ein Anhalter.

„Du hast dir den perfekten Zeitpunkt zum Trampen ausgesucht“, murmelte Cat und fuhr ein Stück näher auf die Gestalt zu, die, sobald sie den Camaro entdeckte, wie wild auf und ab sprang und winkte. Die Gestalt, augenscheinlich ein Mann oder aber eine ziemlich groß geratene Frau, trug Jeans, Turnschuhe, einen dunklen Kapuzenpullover, dessen Kapuze sie sich weit ins Gesicht gezogen hatte, um zumindest ein kleines bisschen vor den Wassermassen geschützt zu sein, und eine schwarze Lederjacke.

 

Cat war schon immer ein vorsichtiger Mensch gewesen, und allein, wenn sie an die vielen Predigten ihrer Mutter dachte, als sie gerade erst ihren Führerschein gemacht hatte, die immer und immer wieder davon sprach, nur bloß keine Anhalter mitzunehmen, weil die alle ohnehin verrückte Axtmörder, Vergewaltiger und Psychopathen seien, wäre sie am liebsten weitergefahren. Doch sie war hier nicht in Los Angeles, dem Sündenpfuhl der Hölle, mit einer Kriminalitätsrate so hoch wie der Mount Everest, sondern mitten am Land. In einem kleinen Bauernkaff, in dem Fuchs und Hahn sich Gute Nacht sagten. Hier würde das größte Verbrechen wohl darin bestehen, dass einer der Farmer in seinem Schuppen schwarz Schnaps brannte. Der Gestalt dort am Wegesrand war mit Sicherheit der Traktor abgesoffen oder so was. Cat kicherte bei dem Gedanken, beschloss, den Anhalter zumindest bis zur nächsten Kneipe oder der nächsten Tankstelle mitzunehmen, setzte den Blinker und hielt den Wagen neben der Gestalt an.

 

 

„Oh großer Gott, Sie schickt der Himmel.“Die Autotür des Camaro wurde aufgerissen und die Gestalt – es war ein Mann – beugte sich zu ihr herunter. Dann warf er einen vor Wasser triefenden, grünen Seesack auf die Rückbank, setzte sich auf den Beifahrersitz und nahm die Kapuze ab.

„Ich bin Nick.“

 

Cat starrte Nick an und schaffte es in den ersten Augenblicken nicht, ihren Blick von ihm zu nehmen. Sie hatte Mühe, das „Wow“ zurückzuhalten, das ihr auf den Lippen brannte. Noch nie hatte sie einen Mann gesehen, dessen Augen sie förmlich in seinen Bann zogen. Ganz abgesehen von den Augen war auch der Rest nicht zu verachten. Nicks Gesicht hatte attraktive, weiche Züge, die großen, meerwasserblauen Augen dominierten darin und seine Lippen waren sanft geschwungen und so rosig, dass ihr erster Gedanke war, wie es sich wohl anfühlte, von diesen Lippen geküsst zu werden. Seine Haut war leicht gebräunt und schien makellos zu sein, er trug keinen Bart und hatte kurzes, dunkles Haar. Neben seinem linken Auge befand sich ein zartes Muttermal.

„Und … haben Sie auch einen Namen?“, fragte er, nachdem Cat ihn eine Weile wortlos angestarrt hatte.

„Ich bin Cat“, sagte sie und schüttelte Nicks Hand, immer noch bemüht, ihn nicht zu sehr anzustarren.

Dann lenkte sie den Wagen wieder auf die Straße und fuhr im Schneckentempo an. War es möglich, dass das Schicksal ihr so derart in die Hand spielte? Dass die erste Person, die sie auf ihrem Trip nach Wisconsin traf, dieser attraktive Fremde war? War er möglicherweise ein Hinweis darauf, Mitch den Laufpass zu geben? Ein angenehm kribbeliges Gefühl breitete sich in ihr aus.

 

„Was treibt Sie bei diesem Wetter ins Freie?“, fragte sie, während sie wieder mit zehn Meilen die Stunde die Straße entlangtuckerte.

Nick sah sie kurz von der Seite an.

„Weiber“, lachte er dann.

Cat zog eine Augenbraue hoch. Klar, ein Typ wie Nick war bestimmt längst vergeben.

„Ärger im Paradies?“

„Halb so wild. Meine Freundin hat mich vor die Tür gesetzt, weil eine dumme Ziege, mit der ich verabredet bin, angerufen und gefragt hat, ob unser Date in dem Hotel noch steht und ob ich das Zimmer bereits gebucht habe. Dummerweise hat sie und nicht ich das Gespräch entgegengenommen.“Cat lachte.

„Sie sollten Ihre Seitensprünge besser timen. Oder sie zumindest besser vor Ihrer Freundin geheim halten.“„Es geht hier nicht um eine Verabredung oder einen Seitensprung“, sagte Nick. „Das Ganze ist rein geschäftlich.“

„Aha.“Cat zog wieder eine Augenbraue hoch und sah Nick von der Seite an.

„Nicht, was Sie meinen“, lenkte er lachend ein.

„Wohin wollen Sie?“, fragte Cat, um das Thema zu wechseln.

Dass der Typ von seiner Freundin vor die Tür gesetzt worden war, war ziemlich interessant – für sie zumindest.

„Da vorne kommt in vier Meilen eine Tankstelle. Ein Kumpel von mir arbeitet da. Ich werde mir was Trockenes anziehen und mich dann von ihm zu meinem Termin fahren lassen“, sagte er.

„Und bei der Gelegenheit werde ich für Alison ein paar Blumen oder Pralinen besorgen, damit sie mir verzeiht.“

 

Cats Laune wurde etwas gedämpft. Sie hatte gehofft, etwas mehr Zeit mit dem attraktiven Anhalter verbringen zu können. In ihren Gedanken hatte er sie zum Essen eingeladen und ihr die Vorzüge der Kleinstadt etwas nähergebracht. Sie wären gemeinsam auf ein romantisches Scheunenfest gegangen, und in einer lauen Sommernacht hätte er sie unter dem Sternenhimmel geküsst. Schwachsinn! Dass es hier in Wisconsin solche Prachtexemplare gab, hätte sie nicht gedacht. Sie überlegte kurz, ob sie Nick fragen sollte, wo man ihn für gewöhnlich antraf, ob es eine Bar gab, die man abends besuchen konnte, oder ob er ihr Port Royal zeigen würde, da sie einige Tage hier verbringen würde, doch just in dem Moment, in dem sie den Mund zum Sprechen öffnen wollte, hörte sie ihn in sein Handy sagen: „Baby, ich bin’s noch mal. Du weißt genau, dass ich dich nicht betrüge. Mit niemandem. Und schon gar nicht mit einer hochnäsigen Ziege aus der Großstadt. Komm schon, ruf mich zurück, wenn du das abhörst. Bitte.“

Er legte auf und sah sie an.

„Sorry, aber was tut man nicht alles für ein Dach über dem Kopf.“

„Muss Liebe schön sein“, erwiderte Cat.

Nick war offensichtlich nicht an der Frau, sondern nur an ihrem Haus interessiert. Anscheinend gab es Mistkerle auch am Land.

„Tha, Liebe.“Cat sah Nick von der Seite an. Offenbar war er ein gebranntes Kind.

„Ich bin siebenunddreißig Jahre alt, erzählen Sie mir nichts von Liebe. Ist doch immer das Gleiche. Erst ein paar Schmetterlinge im Bauch, und irgendwann kann man die Alte an seiner Seite nicht mehr sehen und tut alles für ein paar ruhige Minuten.“

„Wenn Sie das sagen“, erwiderte Cat, wusste aber genau, was Nick meinte.

„Glauben Sie mir, diese Arrangements, die ich mit den Frauen habe, mit denen ich mich treffe, sind die besten. Ungezwungen, unverbindlich und locker. Alison hat sich dummerweise in etwas verrannt. Und so habe ich nicht nur eine nette Affäre verloren, sondern auch mein Dach über dem Kopf.“

In Cat begannen die Alarmglocken zu schrillen. Nick war zwar definitiv heiß, aber ein Loser, ein Rumtreiber und einer, der Frauen ausnutzte.

 

„Ich schätze, da vorne ist es, richtig?“, sagte sie nach einer Weile, als sie in der Ferne einige überdachte Zapfsäulen und ein kleines, verwittertes Nebengebäude erkennen konnte.

Nick sah, ohne ein Wort zu sagen, auf, drehte sich um und holte seinen Seesack von der Rückbank hervor. Die letzten Minuten hatte er schweigend neben ihr gesessen, seiner Freundin mehrmals auf den Anrufbeantworter gesprochen und beteuert, dass das alles nur ein dummes Missverständnis war. Cat hatte den Kopf geschüttelt und sich gefragt, wie naiv man wohl sein musste, Nick derart auf den Leim zu gehen, und wie lange es wohl dauern mochte, bis der Himmel für ihn und Alison wieder voller Geigen hin – wenn auch nur zum Schein. Sie lenkte den Wagen in die Straßeneinbuchtung der Tankstelle, hielt unter dem Dach neben einer alten Zapfsäule an und warf einen Blick ins Innere des Tankstellenshops. Ein paar Männer saßen um einen alten Holztisch herum und starrten auf einen kleinen Fernseher.

„Also dann, danke, Cat“, sagte Nick, als er ausgestiegen war.

Er hatte sich noch einmal umgedreht, sich heruntergebeugt und ihr eine gute Weiterfahrt gewünscht, bevor er seinen Seesack schulterte und durch die Tür im Tankstellenshop verschwand. Cat hatte ein letztes Mal seine großen, blauen Augen und das Muttermal wahrgenommen und wieder einmal resigniert festgestellt, dass Geschichten, in denen der geheimnisvolle Anhalter sich in die Lady verliebt, die ihn bei strömenden Regen aufsammelt und ihn mitnimmt, nur in zweitklassigen Liebesgeschichten vorkommen .

 

 

 

Kurze Zeit später passierte Cat die Stadteinfahrt von Port Royal und fand sich bald darauf auf der Hauptstraße der kleinen Ortschaft wieder. Links und rechts der Straße reihten sich kleine Läden nebeneinander und vermittelten einen etwas altbackenen, aber romantischen Flair. Ein Lächeln huschte über Cats Lippen und ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. In Port Royal fühlte sie sich auf Anhieb wohl. Es sah aus wie eine Kleinstadt aus einem Roman: kleine Läden aus Backstein, die sich links und rechts von der Hauptstraße säumten, Pick-up-Trucks mit Hausfrauen hinter dem Steuer, die ihre Kinder zur Schule fuhren, Nachbarn, die sich auf dem Bürgersteig unterhielten. Sie fühlte sich gut. Es war die richtige Entscheidung gewesen, hierherzukommen, obwohl sie sich zu Anfang so dagegen gewehrt hatte. Der Abstand zu Mitch und den Problemen ihrer Beziehung würde ihr ebenso guttun wie der Tapetenwechsel. Sie würde zusehen, dass sie den Nachlass ihres Großonkels geregelt bekam, und sich dann noch ein paar Tage Auszeit hier gönnen. Ihre Beziehung überdenken und, sobald sie wieder in Chicago war, ihre Konsequenzen aus dem Ganzen ziehen.

 

 

Nachdem sie den Camaro in einer Parkbucht direkt vor einem Diner namens „Rosie’s“ geparkt hatte, wo sie auch Mr. Porter treffen sollte, kramte sie in ihrer Handtasche nach ihrem Handy und verfluchte sich selbst ein weiteres Mal, dass sie es nicht schaffte, Ordnung darin zu halten. Obwohl sie sich dieses Mal für ein etwas kleineres Modell entschieden hatte, schien es so, als hätte sie ihren halben Hausstand in ihre Tasche gepackt. Zwischen Kaugummis, zwei verschiedenen Lipgloss, einer Packung Taschentücher und einem zerbröckelten Snickers-Riegel fand sie es schließlich und zog es heraus. Sie öffnete den Kalender und strich mit ihren Fingern zu dem Eintrag des aktuellen Tages. Um vier Uhr sollte sie Mr. Porter, den Freund von Onkel Hugh, treffen, der zu dessen Lebzeiten viel Zeit mit ihm verbracht und ihm bei den diversen Anforderungen des Alltags unterstützt hatte. Laut Cats Mutter war auch er in Onkel Hughs Testament bedacht worden, sodass sie den Termin beim Notar gemeinsam mit ihm würde wahrnehmen können. Alles in allem würde sie zusehen, dass dieser Mr. Porter den Löwenanteil an Onkel Hughs Habseligkeiten bekam, und das Kapitel schnellstmöglich zum Abschluss bringen. Der alte Mann hatte es sich auf alle Fälle verdient, die weltlichen Güter des Verstorbenen zu erhalten, immerhin waren er und Hugh lange Zeit gute Freunde gewesen.

 

Sie hoffte, Mr. Porter hätte nicht darauf vergessen, Cat ein Zimmer für ihren Aufenthalt zu besorgen. Er hatte ihrer Mutter zwar versprochen, ihr eine Unterkunft zu organisieren, doch in seinem Alter? Und nachdem er gerade erst einen guten Freund verloren hatte, war es gut möglich, dass er einfach darauf vergessen hatte, was Cat jetzt etwas beunruhigte. Sie hoffte inständig, die Nacht nicht im Camaro verbringen zu müssen.

 

Sie stieg aus und atmete ein. Die Luft hier schmeckte salzig und frisch, nicht so schwer und schmutzbeladen, wie sie es bisweilen in Chicago tat. Eine sanfte Brise hüllte sie ein. Cat warf einen Blick ins Schaufenster von „Rosie’s“, wo die Speisekarte die besten Grillgerichte nördlich der Hemisphäre versprach und außerdem „Grannys legendären Schokoladenkuchen“ anpries. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Magen knurrte. Als sie sich am Morgen auf den Weg hierher gemacht hatte, hatte sie lediglich eine Dose Red Bull gefrühstückt und sich vorgenommen, irgendwo auf dem Weg anzuhalten und etwas zu essen, doch nachdem sie die ganze Fahrt über entweder mit ihrer Mutter, ihrem Onkel oder Kunden telefoniert hatte, hatte sich ein kleiner Zwischenstopp nicht ergeben. „Umso besser“, dachte sie jetzt. Sie würde sich einen fettigen Cheeseburger mit Zwiebelringen und ein Stück von Grannys legendärem Schokoladenkuchen gönnen, ohne Mitchs abfälligen Blick im Rücken zu haben, der dauernd mit den Augen rollte, wenn Cat etwas zu essen bestellte, das über eine kleine Portion Salat und Leitungswasser hinausging.

 

Sie betrat den Laden, und sofort stieg ihr der Geruch von frischem Kaffee und Kuchen in die Nase, ein Geruch, der sie immer an ihre Kindheit und die Besuche mit ihren Eltern in der kleinen Bäckerei erinnerte, die sich in einer kleinen Seitengasse in ihrer Heimatstadt befunden hatte. Einige Köpfe drehten sich in ihre Richtung und begannen dann schamlos miteinander zu tuscheln, vermutlich eine Kleinstadtkrankheit. Jeder, den man nicht kannte, wurde erst einmal skeptisch beäugt.

„Hallo allerseits“, sagte Cat laut und grinste, als einige der Gäste sie entrüstet ansahen.

 

Die meisten Gäste wandten den Blick schließlich von ihr ab, tuschelten aber weiter. Cat ging zwischen dem Bartresen und den Tischen, die an der Wand rechts aufgestellt und jeweils durch rot gepolsterte Sitzbänke voneinander getrennt waren, durch und nahm an einem freien Tisch Platz. In der Mitte befand sich ein Serviettenständer, eine rote Plastikflasche mit Ketchup und eine gelbe mit Senf sowie eine in Folie eingeschweißte Speisekarte, die schon etwas abgegriffen wirkte.

 

Cat bestellte einen Cheeseburger mit Speck, dazu Fritten und Zwiebelringe sowie ein Stück Schokoladenkuchen und zog ihr iPad heraus, während sie aß. Das „Rosie’s“ hatte nicht gelogen, dieser Burger war vermutlich der beste nördlich der Hemisphäre, und wann sie zuletzt einen so leckeren, saftigen Schokoladenkuchen gegessen hatte, der einen förmlich süchtig machte, konnte sie auch nicht mehr sagen. Sie hörte, wie die Tür aufging und die Männer, die am Nebentisch saßen, jemanden begrüßten, wie jemand einen Krug Bier bestellte und einen weiteren Teller Nachos.

 

„Üble Sache mit dem alten Hughie, was?“, hörte Cat.

Sie unterbrach das Buch, das sie gerade auf ihrem iPad gelesen hatte, und lauschte. Es konnte vielleicht gar nicht schaden, im Vorfeld etwas über Großonkel Hugh herauszufinden, auch wenn es sich dabei nur um Kleinstadtratsch unter Männern handelte.

„Kann man wohl sagen“, sagte einer der Männer. „Am schlimmsten finde ich, dass sich jahrelang niemand um ihn gekümmert hat. Jetzt, wo’s ums Erbe geht, tauchen plötzlich von überallher Verwandte auf.“

Cat verzog das Gesicht. „Von überallher“ konnte man ja nicht direkt behaupten, nachdem die einzige Verwandte, die wegen der Beisetzung hergekommen war, sie selbst war. Und Onkel Hughs Erbe war das Letzte, was sie im Auge hatte.

„Ja, und ich kann mich mit denen herumschlagen“, sagte eine neue Stimme.

---ENDE DER LESEPROBE---