Das Buch, das dein Herz gern lesen würde - Elena-Katharina Sohn - E-Book

Das Buch, das dein Herz gern lesen würde E-Book

Elena-Katharina Sohn

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Beschreibung

Elena-Katharina Sohn ist die Gründerin der Agentur »Die Liebeskümmerer«, sie arbeitet täglich mit Frauen und Männern, die Liebeskummer haben. Sie weiß: Der Kummer mit der Liebe hat häufig mit falschen Vorstellungen von Beziehungen, gesellschaftlichen Normen, unbearbeiteten Kindheitsthemen, mangelndem Selbstwert oder der Angst vor dem Alleinsein zu tun. Und dass nur eine erneuerte Beziehung zu sich selbst überhaupt eine glückliche Liebe ermöglicht. Die Bestsellerautorin zeigt anhand ihres enormen Erfahrungsschatzes und bewegenden Geschichten aus ihrem Praxisalltag, wie gebrochene Herzen heilen – vor allem aber, was es braucht, um glücklich zu leben und zu lieben. Ein Mutmacher und Kraftspender für den Weg zu einem glücklichen Herzen!

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Seitenzahl: 280

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© Georg Meierotto

Elena-Katharina Sohn ist die Gründerin der Agentur »Die Liebeskümmerer«. Seit dem Jahr 2011 haben sie und ihr Team sich auf psychologische Dienstleistungen rund um Liebeskummer, Liebe und Beziehungen spezialisiert. »Das Buch, das dein Herz gern lesen würde« ist das vierte Buch der Bestseller-Autorin, deren Arbeit den Streamingdienst Netflix zur Produktion der romantischen Ko-mödie »Die Liebeskümmerer« inspirierte. Informationen zu den Beratungsdienstleistungen, Gruppen- und Reiseangeboten sowie Online-Kursen der Liebeskümmerer: www.die-liebeskuemmerer.de

ELENA-KATHARINA SOHN

Das Buch, das dein Herz gern lesen würde

10 Fragen für ein glückliches L(i)eben

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 01/2024

Copyright © 2024 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Olivia Kuderewski

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-30371-6V001

www.heyne.de

FÜRVIGO

INHALTSVERZEICHNIS

Ein Vorwort für dein Herz

»Is this the real life? Is this just fantasy?« Oder: Liebst du eine Illusion?»Muss ich mich schlecht behandeln lassen, um mich glücklich zu verlieben?«Oder: Liebst du ungesund?»Also muss ich jetzt herausfinden, wo genau es für mich langgeht?«Oder: Liebst du deinen eigenen Weg?»Denkst du nicht, dass Konflikte die Liebe auch wachsen lassen können?«Oder: Liebst du im Team?»Kann ein Herz aus Pattex sein?« Oder: Lebst du auch das Loslassen?»Was, wenn ich mich total blamiere?«Oder: Liebst du mutig?»Warum gebt ihr so schnell auf?« Oder: Liebst du an guten und an schlechten Tagen?»Was ist bloß verkehrt mit mir?«Oder: Liebst du auch dich selbst?»Belügen und betrügen sich nicht sowieso alle?«Oder: Liebst du monogam?»Warum liebe ich, wie ich liebe?«Oder: Über die wichtigste und leider auch schwierigste Frage des L(i)ebens

Dank

Liebe Leserin und lieber Leser,

liebes lesendes Herz,

ich habe lang überlegt, ob ich dieses Buch mit einem Vorwort beginnen soll. Denn, um ehrlich zu sein, lese ich selbst Vorworte nie, sondern fange immer gleich mit dem »richtigen« Inhalt an.

Bei meinen letzten zwei Büchern habe ich deshalb auf ein Vorwort verzichtet. Aber diesmal ist es ein bisschen anders. Ich schreibe Das Buch, das dein Herz gern lesen würde und habe das Gefühl, dass es vorab – im wahrsten Sinne eines Vorwortes – einiges zu sagen gibt. Denn gleich wird es vermutlich sehr schnell sehr emotional, es wird vielleicht sehr tief gehen. Und ich weiß, dass ich dir damit eventuell einiges abverlangen werde, was sowohl Lese-Freude als auch Lese-Traurigkeit bedeuten kann. Mir ist wichtig, dass du darauf vorbereitet bist.

Die Tiefe dieses Buches ist dem Umstand geschuldet, dass es die Essenz meiner täglichen Arbeit mit Menschen, die unter »Liebes-Kummer« aller Art leiden, enthält, und zwar aus über einem Jahrzehnt: Die zehn Fragen für ein glückliches L(i)eben sind jene Fragen, die im Rahmen von mehreren tausend Beratungsprozessen am allerhäufigsten entscheidend waren, wenn es für Menschen zu dem von ihnen so sehr ersehnten Wendepunkt kam: vom Kummer mit der Liebe zurück (oder endlich, das erste Mal!) auf den Weg zum Lebens- und Liebesglück. Bis zu diesem Punkt waren in der Regel schon zahlreiche Tränen geflossen und jede Menge Emotionen besprochen worden. Anders gesagt: Wir haben längst nicht mehr an der Oberfläche gekratzt. Das spiegeln die folgenden 254 Seiten.

Da ich dir von den zehn Fragen in Form von wahren Fallgeschichten aus meiner Praxis berichten werde, klingen sie teilweise sehr umgangssprachlich. Im Sinne der Authentizität habe ich nämlich entschieden, sie innerhalb der Erzählungen nicht zu »glätten« oder zu verallgemeinern, sondern sie exakt so zu zitieren, wie sie im Rahmen der echten Beratung jeweils aufgetaucht sind. Natürlich steht jede der zehn Fragen aber für ein größeres Thema und wirklich nur exemplarisch für viele weitere Formulierungen, mit denen man sie genauso gut ausdrücken könnte. Der Frage »Was ist bloß verkehrt mit mir?« bin ich beispielsweise in anderen Konstellationen auch als »Weshalb bin ich nicht liebenswürdig?« begegnet, als »Was mache ich nur falsch, dass ich schon so lang allein bin?« oder »Weshalb schaffe ich es einfach nicht, einen Partner zu finden?« Im Anschluss an jede einzelne Geschichte ordne ich die zitierte Frage daher für dich in den übergeordneten Kontext ein.

Ich vermute, dass viele der Menschen, von denen ich dir berichten werde, »ihre« Frage vorher schon mal irgendwo gehört haben – aber noch nie ernsthaft durchfühlt und durchdacht. Genau das macht jedoch einen großen Unterschied. Die zehn Fragen für ein glückliches L(i)eben haben meiner Erfahrung nach das Potenzial, in puncto Lebens- und Liebesglück echte »Game-Changer« zu sein. Sich ernsthaft auf sie einzulassen und sie sich zu beantworten, kann ALLES verändern. Denn meist ist die Wurzel des Kummers mit der Liebe – von der Trennung über das Nicht-loslassen-Können oder die komplizierte Partnerschaft bis hin zu Affären, Einsamkeit und emotionaler Abhängigkeit – irgendwo in den Antworten auf diese Fragen zu finden. Und das, obwohl oder vielleicht gerade weil sie alle in erster Linie mit der betroffenen Person selbst und nicht so sehr mit ihren äußeren Umständen zu tun haben. Das liegt daran, dass, meiner tiefsten Überzeugung nach, glückliche Liebesbeziehungen und ein positives Erleben der romantischen Liebe überhaupt nur dann möglich sind, wenn wir auch als Individuen, unabhängig von einer Partnerschaft, glücklich im Leben stehen. Nur so können wir zum Beispiel frei entscheiden – und nicht aus einem Gefühl der Unsicherheit, Bedürftigkeit oder Einsamkeit heraus –, wen wir an unserer Seite haben wollen. Nur so kann es gelingen, dass eine extrem schmerzhafte Trennung dennoch nicht zur tiefen Lebenskrise wird. Und nur so sind wir gelassene, konfliktfähige und an gemeinsamem Persönlichkeitswachstum interessierte Partner für unser Gegenüber. Deshalb achte ich auch immer sehr auf die Reihenfolge: Lebens- und Liebesglück. Erst kommt das eine, dann das andere. Nicht umgekehrt.

Natürlich erheben meine zehn Fragen dennoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Liebe und damit auch der Kummer mit der Liebe sind, wie das Leben selbst, so unglaublich individuell und verschiedenartig, dass es immer Ausnahmen und viele weitere Lösungswege geben wird. »Meine« zehn sind diejenigen, die mir am häufigsten begegnet sind und den meisten Menschen in meiner Praxis helfen konnten. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch du dich in ihnen wiederfinden wirst und sie dich dabei unterstützen können, (noch) glücklicher zu leben und zu lieben, ist daher groß. So, und nun noch zwei praktische Hinweise, bevor es losgehen kann:

Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Menschen, über die ich schreibe, habe ich selbstverständlich deren Namen und alle signifikanten Rahmendetails ihrer Geschichten verändert. Sollte es dennoch zu Ähnlichkeiten mit »echten« Personen kommen, so ist das reiner Zufall – oder es liegt daran, dass wir fast alle den Kummer mit der Liebe kennen und er immer wieder ähnliche Probleme bereitet.

Von nun an werde ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit an vielen Stellen aufs Gendern verzichten. Als ich vor zwölf Jahren mit meiner Agentur »Die Liebeskümmerer« startete – das finde ich in diesem Zusammenhang ganz interessant –, waren rund 90 % der Menschen, die sich an uns wandten, weiblich. Heute sind wir bei einem 50:50-Verhältnis zwischen Frauen und Männern angelangt.

Dieses Buch ist ausdrücklich für alle Menschen, unabhängig von Aspekten wie Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, Klasse oder Herkunft. Und vor allem: für all ihre Herzen.

Alles, alles Liebe und viele gute Lesemomente,

Deine Elena

1.

»Is this the real life? Is this just fantasy?«

Liebst du eine Illusion?

Wenn man genau hinschaut, verrät einem der Körper eines Menschen oft schon erstaunlich viele Details über ihn, noch bevor man sich überhaupt kennengelernt hat. Das können naheliegende Dinge sein, die man anhand der Kleidung erkennt – was derjenige beruflich macht, welchen Sport er treibt, vielleicht, welche Musik er liebt. Aber auch viel Tieferes lässt sich häufig schon allein an der Körperhaltung, der Mimik oder den Bewegungen eines Menschen erkennen: Wie selbstbewusst ist er? Wie leicht oder schwer nimmt er das Leben? Geht es ihm psychisch gerade gut oder schlecht?

Ich betreibe dieses »Lesen« von Körpern im Kontakt mit meinen Klienten intuitiv, so wie jeder von uns es im Alltag macht, aber darüber hinaus achte ich auch ganz bewusst und intensiv darauf. Die Menschen, die zu mir kommen, haben ihren Kummer meist schon so durchdacht, dass ihnen vom Kopfher oft vollkommen klar ist, was sie tun müssten, damit es ihnen besser geht. Aber vom Herzenher schaffen sie einfach nicht, das auch umzusetzen. Indem ich dann den Körper eines Menschen in das Gespräch mit einbeziehe (ich weiß, das klingt hier etwas abstrakt, aber es wird an verschiedenen Stellen im Buch noch klarer werden), kann ich ihn den Weg aus seinem Schmerz fühlen, anstatt nur kognitiv begreifen lassen. Das kann echte Wunder bewirken.

Manche Körper von Menschen verraten mir auf Anhieb mehr, andere weniger. Und bei manchen verkörpert sich der Kern ihres »Problems« in einer Weise, die mich selbst überrascht. So ging es mir bei Michaela, die an einem verregneten Mittwoch im Sommer 2017 das erste Mal zu mir kam.

Zwei Minuten vor der vereinbarten Uhrzeit klingelte es in meiner Praxis. Ich habe die Angewohnheit, dann in den kleinen Flur im Eingangsbereich zu gehen und die Tür schon zu öffnen, sodass ich höre, wie meine Klientin oder mein Klient die Treppe nach oben kommt. Michaela, das fiel mir sofort auf, hatte einen sehr energischen Gang. Mit festen Schritten trat sie Stufe um Stufe. Einmal stolperte sie allerdings, es polterte ein wenig, sie zischte leise ein Schimpfwort. Doch als Michaela schließlich vor mir stand, war von ihrem Ärger nichts mehr zu erkennen. Ich sah mich einer ziemlich forsch dreinblickenden Frau um die vierzig gegenüber, mit dunklem Haar, das mich spontan ein wenig an die Nena der 80er-Jahre erinnerte: Vorn mit Pony und toupiert, nach hinten schulterlang und etwas wild. Michaela war etwas füllig, trug beigefarbene sportliche Cargo-Shorts blaue Ballerinas mit einer Schleife auf der Schuhspitze und ein weißes hüftlanges Top mit Spaghettiträgern. Dank dieses Oberteils fiel mir sofort auf, dass Michaela – vielleicht unbewusst – versuchte, sich »breiter«, präsenter zu machen: Sie hielt die Arme etwas abgespreizt vom Körper und auch die Füße waren recht weit voneinander entfernt auf dem Boden platziert, was ihr einen auffällig breitbeinigen Stand verlieh. Während sie mir die Hand entgegenstreckte, hielt sie sich aufrecht. »Hallo, ich bin die Michaela, ich habe jetzt einen Termin!«, sagte sie und als wollte sie das überprüfen, untermauern oder insgeheim vielleicht auch nur einen Grund finden, mir doch nicht allzu lang in die Augen schauen zu müssen, warf sie schnell einen Blick auf die Uhr an ihrem linken Handgelenk. »Ja, wie schön, dass du da bist, Michaela. Willkommen!«, erwiderte ich, während auch ich ihr meine Rechte hinstreckte. Michaelas Händedruck war schwächer, als ich erwartet hätte. Ihre Hand schwitzte ein bisschen, was aber nicht unangenehm für mich war. Mit einer einladenden Geste bedeutete ich ihr hereinzukommen. Michaela machte sofort einen einzigen, ungewöhnlich großen Schritt in Richtung der Garderobe, wo sie etwas umständlich eine kleine Handtasche aufhängte. »Puh, das war jetzt richtig stressig für mich, pünktlich hier zu sein«, erklärte sie mir währenddessen. »Ich hab da so ein großes Projekt bei der Arbeit gerade, für das ich ganz allein die Verantwortung trage. Da ist wahnsinnig viel zu tun. Aber ich habs ja geschafft!« Sie stemmte für einen Augenblick die Hände in die Hüften, zupfte dann aber doch schnell ihr Oberteil nach unten und verschränkte schließlich die Arme vor dem Oberkörper. Erwartungsvoll sah sie mich an. »Ja, total pünktlich, alles gut! Komm rein, ich freue mich, dich kennenzulernen!« Ich lächelte sie an und ließ ihr den Vortritt in den eigentlichen Praxisraum.

Heute, im Rückblick, kann ich sagen, dass ich schon während dieser ersten Momente mit Michaela eine ungefähre Ahnung davon hatte, in welche Richtung unsere Gespräche laufen könnten. Selbstverständlich hätte es auch sein können, dass ich mich irrte! Aber ich weiß noch genau, wie mir, während wir jede in einem Sessel Platz nahmen, der Satz »Sie tut sich schwer mit echten Menschen« durch den Kopf schoss. Vermutlich, weil mir die Unstimmigkeit zwischen ihrem einerseits so betont selbstbewussten Auftreten, dem »Großmachen«, und der gleichzeitig immer wieder auf Unsicherheit hindeutenden Körpersprache aufgefallen war. Es kam mir so vor, als fühlte sich Michaela unwohl in ihrer Haut und als wäre es für sie Stress, mit mir in Kontakt zu sein – was sie aber zu überspielen versuchte. Geleitet von diesem Gefühl lehnte ich mich in meinem Sessel zurück und lächelte sie möglichst warm an, um ihr schon rein körperlich zu signalisieren, dass sie sich in meiner Gegenwart vollkommen entspannen konnte.

»Ich bin seit zwei Jahren in meinen Nachbarn verliebt«, schoss es aus Michaela heraus, als ich eigentlich gerade Luft geholt hatte, um zu ein paar einleitenden Worten anzusetzen. Ich schwieg und hörte stattdessen erst mal zu, damit Michaela schnell emotionalen Druck loswerden konnte. »Aber er weiß das erst jetzt. Ich hätte ihm das eigentlich nie gesagt, weil er und seine Freundin immer so glücklich gewirkt haben. Aber dann haben die beiden sich vor acht Wochen getrennt und ich hab gedacht, jetzt ist vielleicht meine Chance gekommen. Und dann hab ich ihm einen Brief geschrieben.« Michaela machte eine kurze Pause, um mich anzustrahlen – was mich wunderte. Dass sie hier bei mir saß, deutete ja eigentlich nicht darauf hin, dass ihr Brief bei ihrem Nachbarn auf positive Resonanz gestoßen war. »Jetzt sind wir in so einer komischen Situation und ich bin hier, weil ich dachte, ich kann gut einen Rat von einer Frau gebrauchen, die sich mit so was auskennt. Was ich jetzt machen soll. Damit ich es nicht vermassele. Liebeskummer hatte ich nämlich schon genug in meinem Leben.« – »Okay«, sagte ich bewusst langsam in dem Versuch, ein bisschen Ruhe in dieses so überstürzt gestartete Gespräch zu bringen, und fragte nach einer kurzen Pause erst einmal das Offensichtliche: »Und wie hat er reagiert?«

»Bis jetzt noch gar nicht richtig«, antwortete Michaela, nun auch etwas langsamer. »Er hat mir eine Nachricht aufs Handy geschickt, dass er den Brief gefunden hat und sich gern in Ruhe dazu melden möchte.« – »Und wie lang ist das her?« – »Heute genau zwei Wochen.« Ich stutzte reflexartig. »Und er hat noch nichts weiter gesagt?« Michaela schüttelte den Kopf. »Nein, aber das finde ich nicht so schlimm.« Sie sprach nun wieder schneller. »So eine Trennung ist doch viel organisatorischer Stress, wenn man zusammengewohnt hat«, erklärte sie mir in einem Tonfall, als müsse sie mich von ihren Worten überzeugen. »Und ich glaube, der Hund frisst nicht mehr, weil er sein Frauchen so vermisst. Martin, also, so heißt er, Martin hat sicher gerade ganz andere Sorgen. Das verstehe ich total. Er ist einfach so ein super netter Mensch. Der lässt sie bestimmt nicht einfach so hängen mit allem, neue Wohnung suchen, einrichten und so, nur, weil die beiden jetzt kein Paar mehr sind. Das mit mir hat ja auch keine große Eile, das hab ich ihm auch in dem Brief geschrieben. Ich gebe ihm alle Zeit, die er braucht.« Den letzten Satz sprach sie mit extra viel Nachdruck aus. »Da bist du ja wirklich sehr verständnisvoll«, resümierte ich. »Und es klingt so, als würdest du Martin auch schon gut kennen …?« Michaela nickte. Doch mir entging nicht, dass ihre Hände jetzt begannen, sich nervös zu bewegen, als wollten sie sagen: Hier stimmt was nicht! Nach unserem turbulenten Start nutzte ich die folgenden dreißig Minuten also, um mir einen genaueren Überblick über Michaelas Situation zu verschaffen.

Martin war vor etwas mehr als zwei Jahren gemeinsam mit seiner Freundin in das Haus gezogen, in dem Michaela damals schon seit längerer Zeit lebte. In einer Waschküche im Keller, die alle Mieter nutzen, war es zu ersten Begegnungen gekommen. Martin hatte Michaela zweimal, daran erinnerte sie sich noch auf Datum und Uhrzeit genau, die Tür aufgehalten, als sie den Raum betreten hatte. Beim Wäscheaufhängen hatte er sie einmal gefragt, ob sie sich wohlfühle im Haus, wie lang sie dort schon wohne, welche Cafés in der Umgebung sie empfehlen könne. Auch hier konnte Michaela seinen genauen Wortlaut zitieren. Ein anderes Mal erwähnte er, dass er eine Glühbirne in einer Deckenleuchte wechseln wolle, aber keine Leiter habe, sodass Michaela ihm anbot, ihre zu leihen, wann immer er sie brauche. In den vergangenen zwei Jahren hatte er aus diesem Grund mehrfach bei ihr geklingelt, immer verbunden mit einem kurzen Plausch im Hausflur. Michaela hätte mir jedes kleine Detail rekapitulieren können. Sich endgültig verliebt, berichtete sie mir, habe sie sich aber wohl in ihn, als er ihr geholfen habe, ein kaputtes Regal aus ihrer Wohnung zwei Stockwerke nach unten zum Sperrmüll zu tragen. »Das fand ich irre nett«, erklärte sie mir, »solche Männer gibt es nur noch ganz selten. Und ich finde, wenn er mich nicht sehr mögen würde, hätte er das ja auch nicht gemacht.« Sie habe ihn im Nachgang daher auch als Freund bei Facebook hinzugefügt, wo er ihr dieses Jahr sogar mit einem kurzen »Happy Birthday« auf ihrer Seite zum Geburtstag gratuliert habe. Zwischen ihnen beiden gebe es eine ganz tiefe Sympathie, da war sie sich sicher, und sie habe ihre Gefühle einzig deshalb immer wieder beiseitegeschoben, weil Martin und seine Freundin einen so harmonischen Eindruck gemacht hätten. »Ich dachte, von einem so perfekten Mann würde sich niemals jemand trennen. Was sollte ich mir da also große Hoffnungen machen? Ich bin nicht der Typ Frau, der eine Beziehung von anderen kaputt macht.« Stattdessen hütete Michaela jede Begegnung mit Martin wie einen kostbaren Schatz und lebte ihre Verliebtheit heimlich aus. Seit mindestens einem Jahr, gestand sie mir, sei diese so intensiv, dass sie schon morgens beim Aufwachen als Erstes und zuletzt abends vor dem Einschlafen an Martin denke. »Ich stelle mir oft vor, wie schön es mit ihm sein könnte. Was ich gern alles mit ihm unternehmen und erleben würde.«

Von der Trennung des Paares hatte sie erfahren, weil ihr auffiel, dass Martin plötzlich entgegen der sonstigen Gewohnheit allein mit dem Hund spazieren ging. Sie habe ihn eines Abends bei einer zufälligen Begegnung vor dem Haus gefragt, ob seine Freundin im Urlaub sei, woraufhin er ihr »anvertraut« habe, dass sie ausgezogen sei. Seither, schilderte Michaela mir, sei ihr Leben endgültig aus den Fugen. Inzwischen müsse sie auch während der Arbeitszeit andauernd an Martin denken. Allein in den zwei Wochen, seit er ihren Brief bekommen habe, habe sie vor lauter Stress schon fünf Kilo abgenommen und könne kaum noch schlafen, weil sie permanent mit einer Reaktion rechne oder damit, ihm zufällig zu begegnen. Letzteres sei aber komischerweise nicht passiert, obwohl sich die beiden ansonsten öfter mal im Hausflur über den Weg gelaufen seien.

Schon während Michaela mir all das berichtete, ging mir immer wieder ihre Bemerkung vom Beginn unseres Gesprächs durch den Kopf: Sie habe in ihrem Leben »schon genug« Liebeskummer gehabt. Was sie damit gemeint habe, wollte ich von ihr wissen. Ihre bisherigen Erfahrungen mit Männern, erklärte Michaela mir, seien alle sehr schwierig gewesen. Sie habe einfach immer Pech gehabt. Zwar waren ein paar kurze Bekanntschaften entstanden, die meisten davon in ihrer mehr als zehn Jahre zurückliegenden Studienzeit, aber länger als ein paar Tage oder Wochen habe nie etwas funktioniert. Die Männer seien ihr gegenüber lieblos oder illoyal gewesen, viele hätten auch nur »das Eine« gewollt. Daher habe sie sich ja umso mehr gefreut, endlich einen besonderen Mann wie Martin kennenlernen zu dürfen. Sie habe das Gefühl, dass ihr nun endlich eine schöne Partnerschaft bevorstehe, wie sie sie sich schon so lang wünsche und irgendwie auch brauche: Freundschaften oder Hobbies schaffe man neben der Arbeit ja kaum noch zu pflegen und Kontakt zu ihrer Familie habe sie auch nicht, da diese über hundert Kilometer weit weg wohne. Einem Partner habe sie daher wirklich eine Menge an Liebe zu geben.

Obwohl Michaela während all ihrer Ausführungen selbst eher aufgeregt, positiv gestimmt oder zumindest sehr aufgeräumt wirkte, machte sich in mir, je länger unser Gespräch andauerte, ein tiefes Gefühl von Traurigkeit breit. Denn während auf der laut ausgesprochenen, vordergründigen Ebene unserer Kommunikation im Grunde alles okay war und Michaela »nur« meinen Rat brauchte, wie sie nun besonders schnell und sicher mit ihrem Traummann Martin glücklich werden konnte, teilte sich mir auf der unausgesprochenen Ebene – durch Michaelas Körpersprache und ihre Art, das Geschehene darzustellen – eine ganz andere Problematik mit. Aber noch schien es mir viel zu früh, sie mit meinen Gedanken dazu zu konfrontieren.  

»Also, was soll ich denn jetzt machen?«, wollte sie schließlich von mir wissen. »Erst mal weiter abwarten, oder?« – »Ich weiß nicht, ob das wirklich so gut ist«, gab ich zu bedenken. »Wenn du kaum schlafen und so gut wie nichts essen kannst. Und das schon seit 14 Tagen. Mal angenommen, du hättest deinen Brief nicht an Martin geschrieben, sondern an eine Freundin oder einen Kollegen. Und du hättest zwei Wochen lang keine Antwort bekommen, obwohl es um etwas wirklich Wichtiges ging. Was würdest du machen?« Michaela überlegte kurz. »Ich würde noch mal nachfragen.« – »Ja, das verstehe ich«, kommentierte ich. »Und das wäre vollkommen legitim.« Wir vereinbarten, dass Michaela Martin erneut kontaktieren und dann in einigen Tagen noch einmal zu mir kommen würde, um zu berichten. Doch tatsächlich klingelte noch in derselben Nacht mein Telefon.

Es passiert vielleicht einmal in drei Monaten, dass ich von meinem Handy aus dem nächtlichen Schlaf gerissen werde. Denn ich habe es so eingestellt, dass eigentlich nur die Nummern auf meiner Notfallliste – mein Mann, meine Eltern, mein Bruder und wenige andere – zu dieser Tageszeit zu mir durchkommen können. Aber es gibt eine Ausnahme: Anrufer, die innerhalb kürzester Zeit mehrfach meine Nummer wählen, lösen beim dritten oder vierten Versuch ebenfalls einen Klingelton aus. Denn dann, davon gehe ich aus, muss mich jemand wirklich dringend erreichen und hat sich nicht einfach nur verwählt oder übersehen, dass es drei Uhr morgens ist.

Die Nummer, die ich in dieser Julinacht gegen vier Uhr auf meinem Display sah, kannte ich nicht. »Sohn«, meldete ich mich mit einer Mischung aus Schlaftrunkenheit und Anspannung, weil ich mich fragte, ob es wohl einen schlimmen Notfall gab. Am anderen Ende der Leitung hörte ich zunächst nur ein tiefes Atmen. »Hallo?«, fragte ich daher laut. Der Atem wurde von einem leidvollen Stöhnen unterbrochen – es klang, als hätte eine Frau Schmerzen oder fühle sich extrem unwohl. »Hier ist Michaela«, wisperte schließlich eine schwache Stimme. »Ich wusste nicht, wen ich anrufen soll. Ich bin im Hausflur umgekippt und komme nicht mehr hoch.« Ich muss gestehen, dass ich im ersten Moment gar nicht ganz sicher war, mit wem ich da sprach. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es nämlich einige Michaelas. Doch noch während mein Kopf sich sortierte, fuhr Michaela fort: »Ich liege ausgerechnet genau vor Martins Tür. Mein Kreislauf hat einfach versagt. Wenn ich versuche aufzustehen, wird mit sofort wieder schwindelig.« Nun war die Sache klar. Michaela stöhnte erneut. »Kannst du die Beine irgendwie hochlagern?« Das schien mir zunächst am wichtigsten. »Ich kann es versuchen, hier am Geländer.« Michaelas Stimme klang unsicher, aber auch dankbar für meinen Rat. Ich hörte, wie sie scheinbar auf dem Boden hin und her rutschte, es musste ein Teppich sein, auf dem sie lag. Plötzlich gab es ein lautes Poltern. »Oh nein!« Michaela schrie auf. »Was ist passiert?«, fragte ich besorgt. »Eine Geländerstrebe ist rausgebrochen und nach unten gefallen«, erklärte sie mir. »Aber meine Beine liegen jetzt oben drauf.« – »O.k. gut«, antwortete ich. »Dann wird es sicher gleich besser. Ist dir übel? Soll ich einen Krankenwagen rufen?« Noch während ich den letzten Satz aussprach, hörte ich erneut ein lautes Geräusch in der Handyleitung. Es klang, als würde eine Tür hektisch mit einem Schlüsselbund aufgeschlossen, dann eine Männerstimme, die ich aber nicht verstehen konnte. »Michaela? Ist alles o.k.?«, erkundigte ich mich schnell, bekam jedoch kein Feedback. Michaela hielt jetzt scheinbar ihre Hand auf das Mikrofon ihres Telefons, alles klang ganz dumpf. Es vergingen einige Augenblicke, dann klapperte es und ihre Stimme war wieder zu hören. »Alles gut«, sagte sie. »Martin hat den Lärm gehört, er ist jetzt hier und kümmert sich um mich.«

Vielleicht lag es daran, dass ich Michaelas Geschichte kannte, aber ich meinte, in diesem Satz neben aller Schwäche auch einen deutlichen Unterton von so etwas wie romantischer Freude wahrzunehmen. »Alles klar, das ist gut. Gute Besserung und melde dich, falls du doch noch« – doch es tutete bereits in der Leitung – »Hilfe brauchst«, sprach ich langsam zu Ende und legte dann ebenfalls auf. Einige Momente saß ich noch mit dem Handy in der Hand auf meiner Bettkante, ehe ich mich wieder zum Schlafen hinlegte. Was hatte Michaela mitten in der Nacht in ihrem Hausflur gemacht? Und wie einsam musste sie sein, dass sie in dieser Situation ausgerechnet mich anrief, eine Frau, die sie noch nicht einmal 24 Stunden lang kannte?

Antworten auf diese Fragen erhoffte ich mir von Michaelas zweitem Termin, den wir für den Montag vier Tage später geplant hatten. Doch sie sagte unsere Sitzung kurzfristig per E-Mail ab. Sie habe zu viel Arbeit, schrieb sie mir, und darüber hinaus sei ohnehin alles bestens: Martin und sie hätten ein sehr gutes Gespräch geführt, nachdem er sie Mittwochnacht in ihre Wohnung gebracht und auf sie aufgepasst habe. Fast eine halbe Stunde lang sei er geblieben. Natürlich sei alles nicht so leicht und er werde sicher Zeit brauchen, aber zumindest habe er ihr »schon mal keine direkte Abfuhr« erteilt. Darauf wolle sie sich jetzt konzentrieren, positiv bleiben und abwarten.

Einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich Michaela zurückschreiben sollte, dass sie bitte ein wenig vorsichtig sein solle, trotz ihres großen Optimismus. Schließlich entschied ich mich dagegen – sie hatte mich nicht um eine Einschätzung gebeten. Ich antwortete ihr also nur, dass das kein Problem sei, ich ihr alles Liebe wünschte und sie jederzeit wieder zu mir kommen könne. Es vergingen sechs Wochen, bis sie den nächsten Termin in meiner Praxis buchte.

Die Michaela, die ich an diesem Montag die Treppen zu meiner Praxistür hinaufsteigen hörte, schien eine andere Frau zu sein. Ihr Gang klang langsam, schwer und schleppend. Sie brauchte so lang, dass ich irgendwann sogar einige Schritte aus meinem Flur hinaustrat, um nach dem Rechten zu sehen, doch da kam sie gerade am oberen Ende der Treppe an. Michaela wirkte kleiner als bei unserem Kennenlernen. Sie hielt ihren Kopf gesenkt, die Schultern hingen schlapp vornüber, der Blick ging auf den Boden. Ihre ganze Gestalt schien ausdrücken zu wollen: Mir ist übel mitgespielt worden. Ihre Kleidung war ungebügelt und durcheinander. Ihr Gesicht, das ich erst richtig sehen konnte, als wir beide Platz genommen hatten, war von tiefen Augenringen gezeichnet. Sie brach augenblicklich in Tränen aus. »Ich fühle mich … so ausgenutzt … und verarscht …«, schluchzte sie. »Entschuldige … das Wort … sowas würde ich … sonst nicht sagen … aber ist ja jetzt … auch egal … es ist eh … alles egal.« In vielen schnellen, kurzen Atemzügen sog sie Luft ein, was ihren ganzen Oberkörper zum Beben brachte, ehe sie wieder ausatmete. Sie weinte wie ein kleines Kind. Ich reichte Michaela ein Taschentuch und wartete ab, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. »Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«, horchte ich sachte nach.

In der Nacht, in der es später zu ihrem Ohnmachtsanfall gekommen war, hatte Michaela stundenlang schlaflos im Bett gelegen. Gegen halb vier Uhr morgens war sie schließlich aufgestanden, um ein paar Gedanken dazu, wie sie Martin erneut auf ihren Brief ansprechen wollte, zu Papier zu bringen. Dabei war ihr eine Flasche mit Essig in der Küche hinuntergefallen und sie hatte die Scherben und Putzlappen aufgrund des strengen Geruchs sofort in den Müll im Hof gebracht. Auf dem Rückweg war ihr dann vor Martins Tür schwindelig und schwarz vor Augen geworden. Nachdem Martin sie, noch mit mir am Telefon, gefunden hatte, hatte er sie in ihre Wohnung gebracht (ein Detail, das ihr wichtig war: Er hatte beim Gehen den Arm um sie gelegt, um sie zu stützen). Eine ganze Flasche Cola habe sie dann unter seiner Aufsicht auf dem Sofa liegend trinken müssen, erklärte sie mir, und plötzlich habe sie nach dem tagelangen Fasten sogar wieder Appetit gehabt und noch eine halbe Tafel Schokolade und zwei Bananen gegessen. Alles habe sich so selbstverständlich und schön angefühlt, »Es brauchte gar keine großen Worte«.

Als Martin schließlich den Eindruck gemacht hatte, aufbrechen zu wollen, weil es ihr besser ging, hatte sich Michaela doch noch einen Ruck gegeben und ihn gefragt, was er denn zu ihrem Brief denke und ob er ihr eventuell schon etwas dazu sagen könne. Martin hatte sich daraufhin entschuldigt, dass er noch immer nicht zum Antworten gekommen sei, aber das damit erklärt, dass er gerade extrem viel um die Ohren habe. »Ich finde es super mutig, dass du mir geschrieben hast«, zitierte Michaela ihn. »Aber für mich ist das eher etwas Nachbarschaftliches oder vielleicht irgendwann auch mal Freundschaftliches zwischen uns. Ich bin ja auch gerade erst frisch getrennt. Es tut mir leid.«

Wieder einmal hatte ich an dieser Stelle von Michaelas Bericht einen der mir schon beinahe vertrauten »Hier stimmt doch irgendwas nicht«-Momente: Martin hatte ihr also bereits vor sechs Wochen ein ziemlich klares Nein als Antwort auf ihren Brief gegeben. Dennoch saß sie erst heute bei mir und sprach davon, sich inzwischen »ausgenutzt und verarscht« zu fühlen. Im ersten Moment nach diesem nächtlichen Gespräch, fuhr sie dann auch fort, habe sie durchaus gedacht, dass das eine Abfuhr gewesen sei. Aber als Martin dann am nächsten Morgen bei ihr geklingelt und sich so lieb erkundigt habe, wie es ihr gehe, sei ihr aufgegangen, dass er ja gesagt habe, es sei für ihn eher etwas Freundschaftliches zwischen ihnen. Eher! Und dass er gerade erst frisch getrennt sei – was aber ja durchaus bedeuten könne, dass er nur etwas mehr Zeit brauche und die Möglichkeit, sie besser kennenzulernen, um sich ebenfalls in sie zu verlieben. Sie habe also beschlossen, positiv zu bleiben und einfach so viele Gelegenheiten wie möglich zu finden, Kontakt mit Martin zu haben, sodass man sich näherkommen könne: Noch zweimal habe sie bei ihm geklingelt, um ihm Bescheid zu geben, wie es ihr kreislaufmäßig gehe, und er habe ihrem Gefühl nach immer aufrichtig interessiert zugehört. Ein paarmal habe sie gekocht und ihm ein bisschen was davon vorbeigebracht. Er habe sich immer bedankt. Außerdem seien sie einige Male ein paar Meter gemeinsam mit dem Hund gelaufen, wenn sie sich zufällig auf der Straße begegnet waren. »Ich fand, es läuft sehr gut«, fasste Michaela unter erneuten Tränen zusammen. »Aber Samstagmorgen war dann auf einmal diese neue Frau da. Hand in Hand sind sie aus dem Haus gegangen, ich habs aus dem Fenster gesehen! Von wegen es ist noch zu früh für etwas Neues! Das ist so gemein von ihm! Warum tut er mir das an?« Ein Weinkrampf schüttelte sie.

Warum tust du dir das an, arme Michaela?, hallte ihre Frage augenblicklich in meinem Kopf wider – ohne dass ich es allerdings laut aussprach. Ich stand stattdessen auf, kniete mich neben Michaelas Sessel und legte ihr tröstend die Hand auf den Rücken. Wir waren jetzt an einem sehr heiklen Punkt angekommen. Für mich, von außen, schien die Situation ganz eindeutig zu sein: Michaela hatte sich da seit Wochen, Monaten, Jahren in etwas hineingesteigert, was von Martins Seite gar nicht da war. Aber für sie fühlte es sich beinahe so an, als ginge gerade ihre »Beziehung« zu Ende, und ihr Schmerz darüber war mehr als real. In so einem Moment kann ich als Liebeskümmerin viel falsch machen: Ich darf mein Gegenüber auf keinen Fall noch mehr destabilisieren, indem ich ihm zu viel Realität vor Augen führe – gleichzeitig ist jedoch genau das der Prozess, dem derjenige sich stellen muss, um seinen Schmerz zu überwinden. Ich muss also sehr genau abwägen, wie lang es angebracht ist, dem Betroffenen ausschließlich Halt zu geben und ab wann ich beginnen kann, mit Fragen und Gedanken Schritt für Schritt eine Reflexion anzustoßen. Bei Michaela hätte ich mich sicher noch eine ganze Weile für eine eher stützende Begleitung entschieden, so wie schon in unserem Kennenlerngespräch – wenn nicht der Zufall mir die Entscheidung abgenommen hätte.

Es dauerte mehrere Minuten, bis Michaelas Beben unter meinen Fingern allmählich weniger wurde. Ich blieb noch kurz neben ihr in der Hocke, zog meine Hand schließlich zurück, gab ihr ein neues Taschentuch und sagte: »Du bist damit nicht allein, Michaela. Gut, dass du mir alles erzählt hast. Jetzt können wir darüber reden.« Sie nickte, während sie sich das Gesicht abwischte. »Ja, gern. Können wir vorher nur vielleicht das Fenster ein bisschen aufmachen? Ich glaube, ich brauche frische Luft. Mir ist schon wieder etwas schwindelig.« – »Natürlich«, antwortete ich, stand sofort auf und wandte Michaela kurz den Rücken zu, um die Doppelfenster zu öffnen, die in meiner Praxis Richtung Straße zeigen. »Wir müssen nur mal schauen, ob das nicht zu laut ist«, kommentierte ich mein Tun, denn unten parkte gerade ein Cabriolet, dessen Fahrer die Musik voll aufgedreht hatte. »Is this the real life? Is this just fantasy …« – es war die Stimme von Freddie Mercury. Die ersten Takte des Queen-Songs Bohemian Rhapsody.