Das Haus in der Half Moon Street - Alex Reeve - E-Book + Hörbuch

Das Haus in der Half Moon Street Hörbuch

Alex Reeve

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Beschreibung

Jede*r verbirgt ein Geheimnis. Aber manche töten dafür. In dem historischen Kriminalroman »Das Haus in der Half Moon Street« jagt der junge Leo Stanhope den Mörder seiner großen Liebe - und riskiert damit sein Leben. London 1880. Leo Stanhope, Assistent der Gerichtsmedizin, macht eine merkwürdige Entdeckung: In der Jackentasche eines angeblich in der Themse ertrunkenen Mannes findet er eine Ale-Flasche, in deren Etikett das Wort »Mercy« eingeritzt ist. Kurz darauf landet eine zweite Leiche aus der Themse auf seinem Tisch, und ihr Anblick wirft Leos Leben gewaltsam aus der Bahn: Es ist Maria, seine große Liebe. Und sie wurde ermordet. Bald fällt der Verdacht auf ihn, und so macht er sich selbst auf die Jagd nach dem Mörder. Doch dabei droht sein lange gehütetes Geheimnis ans Licht zu kommen - und das könnte ihn nicht nur die Freiheit, sondern sogar das Leben kosten. Glänzend recherchiert, fesselnd geschrieben und voller Atmosphäre: Das ist Alex Reeves historischer Kriminalroman »Das Haus in der Half Moon Street«, in dem der besondere Ermittler Leo Stanhope im viktorianischen London den Mörder seiner großen Liebe Maria jagt. »Es ist schwierig, im historischen Kriminalroman einen wahrhaft außergewöhnlichen Protagonisten zu erschaffen. Alex Reeve ist es geglückt.« - Sunday Times

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Zeit:11 Std. 34 min

Sprecher:Viola Müller
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Alex Reeve

Das Haus in der Half Moon Street

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Christine Gaspard

Knaur eBooks

Über dieses Buch

London 1880. Leo Stanhope, Assistent der Gerichtsmedizin, macht eine merkwürdige Entdeckung: In der Jackentasche eines in der Themse ertrunkenen Mannes findet er eine Ale-Flasche, in die das Wort »Mercy« eingeritzt ist. Kurz darauf landet eine zweite Leiche aus der Themse auf seinem Tisch, deren Anblick Leos Leben gewaltsam aus der Bahn wirft: Es ist Maria, seine große Liebe. Und sie wurde ermordet. Bald fällt der Verdacht auf ihn, also macht er sich selbst auf die Jagd nach dem Mörder. Doch dabei droht sein lange gehütetes Geheimnis ans Licht zu kommen - und das könnte ihn nicht nur die Freiheit, sondern sogar das Leben kosten.

Inhaltsübersicht

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

Nachwort

Dank

Leseprobe »Der Mord in der Rose Street«

Für Michelle, für alles

1

Mr. Hurst wusch sich am Spülstein das Blut von den Händen und trocknete sie ab. Auf dem Handtuch blieben rosa Schmierflecken zurück.

Es war ein hundekalter Januartag, und es gab nirgendwo etwas Weiches, an dem ich mich hätte wärmen können. Der Untersuchungsraum lag in den Katakomben des Krankenhauses und war ringsum mit Fliesen verkleidet. Tageslicht kam nur durch die weit oben angebrachten Milchglasfenster herein, die auf gleicher Höhe lagen wie das Straßenpflaster draußen. Mr. Hurst schien die Kälte nicht zu bemerken. Seine Masse war größer als meine, und fraglos bewahrte er Wärme etwa in der Art, wie eine Kaminverkleidung es tut; darüber hinaus wärmte ihn von innen heraus der eigene Ruhm. Er war der beste Chirurg seines Fachs, als solcher anerkannt von jedermann, dessen Ansicht zählte – wobei die Gefahr, dass seine Patienten sich beschweren würden, bei ihm geringer war als bei anderen, denn sie waren bereits tot. Sein Spezialgebiet waren die Angeschwemmten, Hinabgestoßenen, Exhumierten und Vergifteten Londons, all die armen Teufel, deren Todesursache als verdächtig eingestuft wurde. Er schnitt sie auf und studierte ihre Innereien, und ich nähte sie wieder zu, so gut wie neu oder doch nicht viel schlechter, und schrieb die Befunde für die Polizei auf.

»Ertrunken. Flusswasser in den Lungen. Aufgedunsen. Keine Anzeichen eines Kampfes. Keine Blutergüsse, Stichwunden oder Ligaturen. Das hier war keine Fremdeinwirkung. Haben Sie das alles?« Ich nickte zitternd, während ich zusammengekauert auf meinem Stuhl an dem klappbaren Schreibtisch saß. »Fraglos war er betrunken und ist von der Brücke gefallen. Ein Narr weniger auf der Welt.« Er warf einen Blick auf die Taschenuhr. »Bringen Sie das hier zu Ende, ja? Ich habe eine Einladung zum Abendessen.« Er zog sich den Mantel über und verschwand.

Der Name des Toten war Jack Flowers, vormalig wohnhaft in Ludgate Hill und erst sechsundzwanzig Jahre alt – etwa in meinem Alter also. Er war seit sechs Jahren verheiratet. Eine Sekunde lang verspürte ich einen Stich der Eifersucht.

Inzwischen war er nackt, aber gefunden hatte man ihn vollständig bekleidet. Er hatte am Kai bei Limehouse im Wasser getrieben, eine noch verkorkte Flasche Barclay’s Light Ale in der Jackentasche. Seine Brieftasche war durchweicht. Ich zählte fünf Pennies und eine Viertelpennymünze, was bedeutete, dass der Kahnführer, der ihn herausgefischt hatte, ungewöhnlich ehrlich war. Eine Postkarte war auch dabei, verblichen und durchscheinend feucht. Kein handschriftlicher Gruß, aber ich erkannte eine Abbildung von einem Strand mit zwei Damen, die unter einer reich verzierten Seebrücke hindurchpaddelten; darüber stand der Name »Southend-on-Sea«. Der arme Teufel, da hatte er nun von einem freien Tag draußen in der Sonne geträumt, und geendet hatte er stattdessen auf dieser Metallplatte, wo seine Brust sich entfaltete wie die letzte Rose des Sommers.

Ich fragte mich, ob er gewusst hatte, was geschah in diesen letzten Momenten: der Gestank des Schlicks in seiner Nase, das Klatschen der Themse gegen sein Gesicht, die rußgeschwärzten Kais und weit entfernten Menschen, außer Reichweite, außer Hörweite, und wie seine Arme ermatteten, als die Kälte ihn einhüllte.

»Ich hoffe bloß, du warst wirklich sturzbetrunken«, sagte ich.

Meine Stimme hallte von den Wänden wider, und mein Atem wurde zu Nebel. Jack Flowers hatte keinen Atem mehr. Mr. Hurst hatte seine Lungen entnommen und gewogen – dreißig Unzen Gewicht bei der rechten, sechsundzwanzig bei der linken –, bevor er sie der Leiche wieder in die Brust schob.

Er erinnerte mich an einen Bären, dieser Jack Flowers. Er hatte stämmige Knie, dicke Arme und lockiges schwarzes Haar, das sich von seinem Kopf und Gesicht ohne Unterbrechung hinunter zur Brust erstreckte, sich dicht um seine Rute drängte und über seine Beine und Füße ausschwärmte. Sogar auf den Zehen sprossen kleine Ausläufer aus Haar.

Ich notierte »männlich« in meinem Formularbuch.

Ich wusch den Retraktor im Spülbecken und hängte ihn an der Wand auf. Ich hatte jeden einzelnen Haken beschriftet, sodass alles seinen Platz hatte: Messschieber, Knochensägen, Lineal, Trokar, Scheren, Pinzetten, eine Reihe von Skalpellen jeder Größe. Das Wasser war eiskalt, und meine Hände waren aufgequollen und wund, als ich sie abtrocknete. Ich wünschte, ich hätte Handschuhe und eine dickere Weste und einen Schal, den ich mir um den Hals wickeln und verknoten konnte.

Ich legte Brieftasche und Schlüssel zur Seite, um sie später der Witwe aushändigen zu können. Alles andere kam in einem Stoß in den Korb für Gegenstände, die entweder verbrannt oder an die Armen verteilt werden würden. Das heißt, alles mit Ausnahme der Flasche Bier, die wahrscheinlich einer der Pedelle nehmen würde, ohne sich von der Tatsache schrecken zu lassen, dass sie in der Tasche eines Toten in der Themse getrieben hatte. Ich spülte sie im Becken ab, und dabei sah ich, dass etwas auf das Etikett geschrieben war. Ich schaute genauer hin und konnte ein einzelnes Wort entziffern: MERCY. Es kam mir merkwürdig vor, das Wort. Gnade warum und wofür? Die Flasche war noch voll, also war es vielleicht eine inständige Bitte an den Dämon Alkohol, ein letzter Versuch, abstinent zu werden, oder ein an Gott gerichteter Wunsch, ein Flehen um Vergebung. Was es auch war, es war nicht erhört worden.

»Fast geschafft jetzt, Jack.«

Beim ersten Stich ließ sich die Nadel mühelos durch den Pelz der Brusthaare schieben.

Als ich fertig war, schob ich ihn zurück in die Leichenhalle und machte mich auf die Suche nach Pallett, dem jungen Kerl, den die Polizei uns hergeschickt hatte, damit er eine Kopie des Berichts abholte. Jetzt am frühen Abend war es ruhig im Krankenhaus. Dies war meine Lieblingszeit – die meisten Ärzte und Chirurgen waren nach Hause gegangen, und die Schwestern konnten sich etwas ausruhen. Bis auf Weiteres bellte niemand sie an, sie sollten mehr Schienen beschaffen oder die Lampe genau dorthin halten, nein, doch nicht dort hin, sondern da.

Aus der Männerabteilung konnte ich Stimmen hören, ein leises Gemurmel, gelegentlich unterbrochen von einem Triumphschrei, wenn ein Dreierpasch zwei Gleiche geschlagen hatte. Sie warteten auf ihr Abendessen. Später, wenn sie satt waren, würde es dort lebhafter zugehen. Meinungsverschiedenheiten konnten aus dem Ruder laufen. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand an etwas anderem starb als an den Beschwerden, mit denen er eingeliefert worden war, und sich in einem meiner Berichte wiederfand.

Ich traf Pallett an der Schwesternstation an. Sie bestand aus einem Schreibtisch, einer Wandtafel und einer Reihe von Schränken dem Haupteingang gegenüber. Nurse Coften blickte auf und lächelte. Mit ihrer ruhigen Eleganz hatte sie etwas von einer verbannten Herzogin aus einem fernen Land.

»Sind Sie seinetwegen hier?« Sie zeigte mit dem Federhalter auf Pallett, der zusammengesackt an der Wand lehnte und verlegen aussah. »Er hat hier herumgehangen und auf Cecilia gewartet – Nurse Rasmussen, meine ich.«

Pallett wurde rot bis an die Ohren. »Tu ich nicht«, sagte er. »Irgendwo muss ich ja warten, oder vielleicht nicht?«

»Er hat jetzt eine Uniform«, fuhr sie fort, während sie mit dem Federhalter von oben nach unten zeigte, um die Beobachtung zu illustrieren. »Er glaubt, sie wird beeindruckt sein.«

Die Uniform mochte für Pallett noch neu sein, aber neu war sie nicht. Der Helm saß oben auf seinem Kopf wie eine Kirsche auf dem Kuchen, und die Jacke war vor ihm schon von mehr als einem Mann getragen worden. Sie war zu klein für seine massige Gestalt, mit unterschiedlichen Knöpfen und einem Fleck, der möglicherweise Blut war. Aber nichtsdestoweniger war sie äußeres Zeichen seines Aufstiegs vom Lehrling in die Reihen von Her Majesty’s Constabulary beim dritten Versuch – ein Erfolg, von dem ich nicht mehr recht geglaubt hatte, dass er sich je einstellen würde. Pallett war ein ehrlicher Kerl, aber eine Leuchte war er nicht. Sie schickten bei der Polizei nicht ihren besten Mann los, um von meinesgleichen Berichte über ertrunkene Säufer einzuholen.

Ich las ihm den Bericht vor, was eine volle Minute in Anspruch nahm.

»Die Angehörigen sind in der Kapelle.« Nurse Coften zeigte mit ihrem Federhalter in die betreffende Richtung, während sie uns über den Rand ihrer Brille hinweg musterte. »Die Witwe wird Bescheid wissen wollen.«

»Aber ist das denn nicht Aufgabe des Krankenhauses, es ihr zu sagen?«, protestierte Pallett. »Es war doch kein Verbrechen!«

»Nein. Er wurde im Auftrag des Coroner hier untersucht. Er ist Ihre Verantwortung, nicht unsere. Was würde Miss Rasmussen denken?«

Er knickte ein. »Aber ich weiß nicht, was ich denen sagen soll.«

»Sagen Sie ihnen, dass es ein Unfall war. Sagen Sie, er ist in den Fluss gefallen – es war kein Verbrechen. Er wurde nicht niedergeschlagen oder ausgeraubt. Das ist es, was sie wissen wollen.«

»Und geben Sie ihnen das hier«, fügte ich hinzu. »Schlüssel und Brieftasche. Und sagen Sie ihnen außerdem, dass er keine Schmerzen erdulden musste.«

»Stimmt das?«

»Wahrscheinlich nicht, aber es wird sie trösten.«

Er nickte und strich sich über den Schnurrbart. Trotz seiner Größe war sein Schnurrbart ein dünner Flaum. Selbst ich hätte Besseres zustande gebracht. »Ertrunken, nicht niedergeschlagen, kein Verbrechen, keine Schmerzen.«

»Ganz genau. Sie machen das fabelhaft.«

Er rührte sich immer noch nicht von der Stelle. Nurse Coften und ich wechselten einen Blick. »Ich habe hier zu tun«, sagte sie.

Ich seufzte und wandte mich wieder an Pallett. »In Ordnung, ich gehe mit Ihnen, Constable, aber das Reden erledigen ganz allein Sie. Und nehmen Sie doch um Himmels willen den verdammten Helm ab.«

Pallett tat es und drückte ihn stattdessen an die Brust. »Bin Ihnen sehr verbunden, Mr. Stanhope«, sagte er. »Sie sind ein rechter Gentleman.«

Die Kapelle lag an der Rückseite des Krankenhauses – ein weiß gestrichener Raum mit einem bemalten Kreuz und knarrenden Kirchenbänken, von denen gelegentlich eine zusammenbrach; sie waren von Westminster Abbey auf der anderen Straßenseite ausgemustert worden. Ein kleiner Junge rannte umher, verfolgt von seiner Schwester, und ein noch jüngeres Kind war trotz des Lärms an seine Mutter geschmiegt eingeschlafen. Sie war etwa in meinem Alter, um die Mitte herum eher plump, und sie trug zu ihrer Brille und dem Schultertuch einen Ausdruck schierer Verzweiflung, mit dem sie das Tun ihrer Sprösslinge beobachtete. Als wir hereinkamen, stand sie auf, aber auch jetzt noch reichte sie mir nur bis zur Schulter. Wir stellten uns vor, und sie bedankte sich dafür, dass wir uns die Mühe machten.

»Er ist ertrunken«, erklärte Pallett. »Es war ein Unfall. Er ist nicht niedergeschlagen worden oder so was.«

Sie schloss die Augen, und ich bemerkte einen blauen Fleck auf einem ihrer Wangenknochen. »Sie wollen mir also sagen, er ist einfach reingefallen?«

»Genau«, antwortete Pallett. »Er hat das hier bei sich gehabt, als sie ihn rausgefischt haben.«

Er händigte ihr Schlüsselbund und Brieftasche aus. Sie würdigte sie keines Blicks. »Was ist mit seiner Tasche? Er hat immer seine Tasche über der Schulter gehabt. Hat sie jeden Tag mitgenommen.«

»Es tut mir leid, aber nein«, sagte ich. »Wahrscheinlich ist sie im Fluss versunken.«

Sie nickte, den Blick auf ihre Kinder gerichtet, die zwischen den Kirchenbänken Fangen spielten. »Das war es dann also, ja? Es gibt nichts mehr zu tun?«

»Hatten Sie mit etwas anderem gerechnet?«

Ein schmallippiges Lächeln. »Er hat ein paar üble Leute gekannt, das ist alles.«

»Ich kann Ihnen versichern, dass Mr. Hurst keine Anzeichen für Gewaltanwendung gefunden hat. Ich habe den Bericht selbst geschrieben.«

»Dann muss es ja stimmen, nicht wahr?«

Ich war etwas bestürzt darüber, wie sie es aufnahm. In der Regel pflegten die Angehörigen der Verstorbenen stumm zu nicken und sich davonzumachen, so schnell sie konnten. Der eine oder andere von ihnen hatte mich sogar schon Sir genannt, obwohl ich bezweifelte, dass das Wort zu Mrs. Flowers’ Vokabular gehörte.

»Es war ein tragischer Unfall«, fügte Pallett hinzu, und eine Sekunde lang war ich mir sicher, dass sein Vorrat an Trostworten damit erschöpft war, aber dann fiel es ihm wieder ein. »Er hat auch keine Schmerzen erdulden müssen.«

Sie holte tief Atem und nahm ihr jüngstes Kind auf die Arme, ohne dass es aufwachte. »Jack war ein wunderbarer Junge, als wir uns kennengelernt haben – hat immer Scherze gemacht, mich zum Lachen gebracht. Er hat bei Smithfield’s gearbeitet und ich in der Metzgerei von meinem Vater, ich habe ihn also oft zu sehen gekriegt. Im Sommer sind wir mit seinen Brüdern nach Hackney rübergegangen, und sie waren in den Teichen dort schwimmen.«

»Das klingt sehr schön«, sagte ich in der Hoffnung, es würde nicht mehr lange dauern. Ich war in Gedanken schon bei dem bevorstehenden Abend und zu aufgeregt, um noch viel Geduld zu haben.

»War es auch. Den ganzen Nachmittag, stundenlang.« Sie warf mir einen scharfen Blick zu. »Das ist es nämlich – er hat schwimmen können wie ein Fisch, mein Jack.«

 

Als meine Schicht zu Ende war, nahm ich den Ausgang für Angestellte an der Princes Street und zog im Gehen den Mantel eng um mich. Als ich am Westminster Hospital angefangen hatte, war ich zunächst immer durch das Haupttor gegangen, hatte ehrfurchtsvoll zu Westminster Abbey und den Houses of Parliament hinübergesehen und mich privilegiert gefühlt, weil ich an einem solchen Ort stehen durfte. Aber der Weg war länger, und auf den Gehsteigen war es voller, und bald gewöhnte ich mir die Route wieder ab.

Selbst der Gestank war in der Kälte weniger durchdringend. Ich hatte nicht weit zu gehen, höchstens eine Meile, und ich rannte die Strecke beinahe, so erpicht war ich darauf, nach Hause zu kommen und mich vorzubereiten, während ich in Gedanken bereits durchging, wie der Abend verlaufen sollte. Ich schlängelte mich durch die Menschenmenge auf dem Trafalgar Square, vorbei am armen Admiral Lord Nelson, der für immer auf seiner Säule gestrandet war, ohne dass ihm auch nur eine steinerne Lady Hamilton Gesellschaft leistete, dann die Haymarket hinauf und im Zickzack zwischen den Kutschen an der Charles Street hindurch, wo die Häuser prachtvoll waren mit ihren glänzenden schwarzen Türen, bleichen steinernen Säulen und Hängekörben voller Efeu.

Jenseits der Coventry Street verkamen die Stadthäuser dann zu schiefen Mietskasernen unmittelbar am Gehsteig, mit Eisenstangen vor den Fenstern und schweren Schlössern an den Türen. Ein paar Arbeiter waren dabei, ein Gebäude niederzureißen, um die Straße zu verbreitern. Sie bearbeiteten die Mauern mit schweren Hämmern und sandten dabei riesige Staubwolken in die Höhe. Trotz des Wetters hatten sie die Hemden ausgezogen, und die Hosen wurden von Trägern über den nackten Schultern oder von um die Mitte geknoteten Stricken gehalten. Ich hatte nie in der Öffentlichkeit das Hemd ausgezogen, auch nicht als Kind. Meine Mutter hatte es einmal vorgeschlagen, als wir an einem heißen, schwülen Tag im Garten spielten, aber mein Vater machte der Sache ein Ende. Eines seiner Gemeindemitglieder hätte vorbeikommen können, und was würden die Leute dann denken? Reverend Ivor Pritchard hatte die Meinung vertreten, dass der Mensch seine Blöße bedecken sollte. Es war eine der wenigen Ansichten gewesen, bei denen wir uns einig waren.

Mein Zimmer lag über einer abgehärmten Apotheke in der Little Pulteney Street in Soho, einer Gegend, die es beinahe zuwege brachte, kein Elendsviertel zu sein. Geführt wurde sie von Alfie Smith, einem Armeeveteranen und Witwer, und seiner elfjährigen Tochter Constance, einem scharfäugigen kleinen Geschöpf, nichts als Haut und Knochen und sehr viel gescheiter, als gut für sie war.

Das Geschäft war menschenleer bis auf Constance, die sich auf ihrem Hocker im Kreis drehte – sie stieß sich mit den Händen an der Theke ab und streifte mit den Füßen über die staubigen Ballonflaschen mit gefärbtem Wasser, was glänzende Streifen auf dem Glas hinterließ. Als sie mich zu Gesicht bekam, sprang sie auf, torkelte schwindlig auf der Stelle und schrie: »Gemahlene Coleoptera-Käfer!«

»Gemahlene was?«

»Coleoptera-Käfer. Wie lautet Ihre Theorie, Mr. Stanhope?«

»Ich weiß nicht. Lass mich nachdenken.« Ich musterte die Regale. Sie waren vom Boden bis zur Decke mit Tiegeln und Tränken bestückt, aber es war nichts dabei, das mir einen Hinweis hätte geben können. »Herzunruhe?«

»Falsch.« Sie wippte auf den Zehenspitzen und grinste wie ein Kobold. »Geben Sie auf?«

»Nein, ich darf noch zwei Mal raten.« Ich musterte sie schmaläugig, aber sie blieb ungerührt. »Könnten es Hautausschläge sein? Nein, nein, das zählt nicht. Es war noch nicht wirklich geraten.«

»Doch, war’s. Noch eine Chance.«

»Eine? Du bist ein rücksichtsloses Mädchen. Manche Leute haben mehr Respekt vor älteren Menschen. Manche Leute sind großmütig und geben kleine Hinweise.«

»Dumme Leute. Ich nicht. Eine Chance noch.«

»In Ordnung. Sind es Geschwüre?«

»Nein!« Sie klatschte in die Hände. »Blasen sind es! Blasen heilt man damit. Ich hab wieder gewonnen. Das macht jetzt acht für mich und vier für Sie.«

»Freu dich nicht zu früh«, sagte ich, aber ich sagte es ohne viel Überzeugung.

Meiner Rechnung nach würde ich sehr bald verpflichtet sein, sie in dem französischen Teesalon in der Regent Street zu einem Sahnetörtchen ihrer Wahl einzuladen. Die ersten vier Runden hatte ich am Stück gewonnen, weil sie damals noch aus ihrem eigenen Wissen geschöpft hatte, zumal sie eine Neigung zum Morbiden und Anrüchigen hatte – wie etwa Phosphor, der Magenbeschwerden heilt, aber auch die Knochen zerstört, und Arsen, das Malariakranken hilft, zugleich aber ein tödliches Gift ist. Die Apotheke hatte beide Substanzen auf Lager, und ich hatte sie mühelos erraten, aber dann hatte Constance begonnen, die Fachbücher ihres Vaters nach obskuren Heilmitteln zu durchforsten, und mich schnell überholt. Gemahlene Käfer? Himmel hilf.

Ich stieg die Treppe hinauf und überlegte dabei, dass ich am Samstagvormittag wohl zur Wäscherei gehen musste. Hätte ich gewonnen, dann hätte sie all meine Hemden waschen müssen, eine Bedingung, die ich, als wir die Wette abschlossen, noch für eine sehr gute Idee gehalten hatte.

Mein kleines Zimmer besaß ein Fenster zum Hof. Ich hatte einen Stuhl am Fenster, sodass ich bei Tageslicht lesen konnte, ein hölzernes Bett mit eingesunkener Matratze, eine Kommode, auf der ein fast vollständiger Satz Staunton-Schachfiguren stand (die weiße Königin war schon vor langer Zeit von ihren missgünstigen Untertanen abgesetzt und in einem Akt satirischer Rebellion durch einen Weinkorken ersetzt worden), und einen viel zu großen Kleiderschrank aus Mahagoni, den Alfies verstorbene Frau geliebt hatte; er selbst ertrug es nicht mehr, ihn vor Augen zu haben.

Ich hängte mein Jackett und den Bowlerhut auf und warf das Hemd unten in den Kleiderschrank. Dies war der Teil des Tages, den ich am meisten verabscheute: mich aus dem zwei Yards langen Tuch zu wickeln, mit dem ich mir die Brust bandagierte. Der Stoff war voller alter Blutflecken von den Stellen, wo er mir unter den Achseln die Haut aufscheuerte. Jeden Tag versuchte ich eine saubere Stelle zu finden, und jeden Tag bildeten sich zwei neue Flecken. Meinen Bußgürtel nannte ich das Ding, nach den härenen Hemden und anderen Folterwerkzeugen, die Mönche früher zur Buße für ihre Sünden getragen hatten. Dabei war ich in meinen eigenen Augen keineswegs ein Sünder, sondern vielmehr das Opfer von Gottes grausamem Scherz. Er hätte das elendigliche Ding an meiner Stelle tragen sollen.

Der Mann von heute, die Leiche, Jack Flowers – er war wahrscheinlich gestern früh aufgewacht, hatte sich angezogen und war zur Arbeit gegangen oder auf die Suche nach Arbeit, und am Abend hatte er sich besoffen, und die ganze Zeit brauchte er keinen einzigen Gedanken an seinen Körper zu verschwenden und an dessen Behaarung, dessen Haut, die Größe seiner Nase und den Umfang seiner Finger. Er hatte keine Ahnung gehabt von seinem Glück. Ich konnte diesen Luxus nicht genießen. Ich musste ständig an meinen Körper denken.

Ich betupfte mich mit Salbe und zuckte zusammen, weil sie brannte. Dann legte ich mich rücklings aufs Bett und schwelgte in der Kühle. Es war die Gänsehaut wert.

Nach zehn Minuten der Seligkeit kramte ich einen zweiten Bußgürtel aus der Schublade und bandagierte mich, drückte die gottgegebene Form meiner Brüste flach. Wenn ich nichts als meine Unterwäsche trug, war ich knabenhaft dünn, ohne jede nennenswerte Kontur. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich spüren, wie ich hätte sein sollen: die Breite der Schultern, die Länge der Füße, die Kraft der Oberschenkel, das Gewicht des Dings, das zwischen meinen Beinen hing. Aber wenn ich sie dann wieder öffnete, war ich noch der Gleiche wie zuvor, eine Kinderzeichnung, ein Strichmännchen von einem Mann, ohne Form, ohne Kraft, ohne all diejenigen Teile, die einen Mann erst zum Mann machen.

Ich zog die Hose an und schob die Stoffrolle, die ich in den Schritt genäht hatte, an Ort und Stelle. Ich hatte mich an ihre Anwesenheit dort gewöhnt, die Beule, wenn ich mich setzte, den Druck gegen den Oberschenkel. Am Anfang hatte ich nicht gewusst, wie ich sie positionieren musste, weil ich mit dem männlichen Körperbau so gut wie keine Erfahrung hatte. Meinen älteren Bruder Oliver hatte ich ein einziges Mal nackt gesehen, als er noch ein Knabe gewesen war. Ich war hereingeplatzt, als er gerade badete, und hatte wie gebannt in der Tür gestanden und den kleinen Fisch angestarrt, der zwischen seinen Beinen schwamm. Ich wusste, sie wurden größer, wenn aus Knaben Männer wurden, aber ich wusste nicht, wie groß, und so experimentierte ich mit Länge und Dicke der Stoffrolle, was zu seltsamen Blicken seitens der Passanten und ein Mal zu dem Angebot einer zeitweisen Anstellung von einem recht schmierigen Fotografen führte.

Heute Abend würde ich ein sauberes Hemd anziehen, reinweiße Baumwolle, das ich durch einen Glücksfall im vergangenen Sommer in einem Geschäft in der Carnaby Street gefunden hatte. Am wichtigsten Abend meines Lebens würde ich nun also ein Hemd tragen, in dessen Kragen ein Etikett mit der Aufschrift »J. Kingsmill, Vierte Klasse« eingenäht war.

Nachdem ich es auf dem Heimweg so eilig gehabt hatte, stellte ich jetzt fest, dass ich zu früh dran war. Es gab nichts zu tun, außer zu warten. Ich musterte meine kleine Sammlung von Büchern – vor allem Dickens und Meredith, aber auch Thackeray, Trollope und Butler – und entschied mich für das tröstlichste und vertrauteste von allen, eine steife, fleckige Ausgabe von Barnaby Rudge, die ganz am Ende stand, wo sie gleich bei der Hand war.

Bücher waren meine Ausbildung gewesen. Als ich elf Jahre alt war, hatte mein Vater mich von oben bis unten gemustert, wobei sein Blick missbilligend an meinen kleinen, aber bereits unmissverständlichen Brüsten hängen blieb, und mir mitgeteilt, dass meine Schulzeit zu Ende war. Ich war Klassenbeste, wurde sogar dazu herangezogen, die anderen zu unterrichten, wenn die Lehrerin abwesend war. Aber nun war ich verstoßen, dazu verurteilt, mich mit der häuslichen Bibliothek zu begnügen. Die Zeit für die Bücher dort stahl ich zwischen den Lektionen in misstönendem Geigenspiel und der Gartenarbeit, bei der ich Setzlinge zu einem langsamen Tod in den Blumenbeeten verdammte. Mein Vater las breit gefächert und schnell und über eine ganze Reihe von Themen – Hardy, Homer, Browning und Carlyle, Darwin und John Stuart Mill, dazu Bücher über Anatomie und Ornithologie (eine weitere seiner Leidenschaften neben Hunden und Gott, in dieser Reihenfolge). So konnte ich mit acht Jahren einen Spatzen von einem Zaunkönig unterscheiden, doch die Steckenpferde meiner Mutter, die Musik und das Pflanzen und Zurückschneiden im Garten, beherrschte ich nie. Dass ich so sehr nach meinem Vater geriet, war ihr eine Quelle des Kummers und mir eine der Verwirrung, aber ich glaube nicht, dass er selbst es auch nur bemerkte.

Endlich schlug die Uhr sieben, und es war Zeit, das Haus zu verlassen. Als ich die Hintertür öffnete, hörte ich Constance rufen: »Gehen Sie noch ein paar Heilmittel lernen, Mr. Stanhope?«

»Nein, Miss Smith. Ich gehe Schach spielen. Ein Spiel, bei dem ich gewinnen kann.«

Aber das war gelogen. Zwar ging ich in der Tat nach Westen, in die Richtung, in der auch mein Schachklub lag, vorgebeugt gegen die Kälte und den spritzenden Regen, aber dann ging ich einfach an ihm vorbei und weiter in das Gewirr der Höfe und Hinterhäuser nördlich der Piccadilly hinein, wie ich es jeden Mittwoch tat.

Die Gehsteige waren menschenleer, und die Laternen waren wieder einmal ausgefallen. Ein Hund überholte mich, er trabte mühelos und muskulös mit heraushängender Zunge an mir vorbei. Auf den Hinterbeinen stehend wäre er so groß gewesen wie ich. Er schien zu wissen, wohin er ging, und ich folgte ihm in die Düsternis hinein, wobei ich mir das Lächeln nicht verkneifen konnte. In diesem Augenblick schien nichts unmöglich zu sein. Wenn ich einfach weiter einen Fuß vor den anderen setze, dachte ich, werde ich schließlich ans Ziel aller meiner Wünsche kommen.

 

Elizabeth Braftons Bordell lag in der Half Moon Street, die zwischen dem hochgebauten Reichtum von Mayfair und dem unaufhörlichen Lärmen und Treiben der Piccadilly verlief. Das Haus stand von der Straße zurückgesetzt hinter einem eisernen Geländer, eingezwängt zwischen opulenteren Gebäuden wie ein dünnes Buch auf einem Regalbrett voll dickerer Bände. Es drängte sich nicht auf. Ich hatte es mit konventionelleren Hurenhäusern versucht, bevor ich Mrs. Braftons Etablissement gefunden hatte, und sie waren ausnahmslos fürchterlich gewesen. Die Mädchen taten das, wofür sie bezahlt wurden, aber sie verstanden nicht. Die meisten von ihnen versuchten, mich als Frau zu behandeln, oder sie lagen einfach in stummer Ratlosigkeit da. Eine oder zwei hatten sich Mühe gegeben, hatten sich beharrlich durch ihr Repertoire gearbeitet und vor Lust aufgeschrien etwa wie ein Zeitungsmann, der den Titel seines Blattes ausruft – das Bemühen ist löblich, aber nach so häufiger Wiederholung ist jede Bedeutung dahin.

Es war mein Freund Jacob aus dem Schachklub gewesen, ein weiser alter Jude mit ganz eigenen Vorlieben und einer Neigung dazu, seine Bauern zu verschleudern, der mir empfohlen hatte, es mit Mrs. Braftons Etablissement zu versuchen. Seitdem war ich fast zwei Jahre lang jede Woche gekommen. Ein wöchentlicher Besuch war alles, was ich mir leisten konnte, aber wenn ich reicher gewesen wäre, wenn ich alles Geld der Welt besessen hätte, wäre ich jeden Tag und jede Stunde hierhergekommen, nur um mit meiner Maria zusammen zu sein.

Mrs. Brafton war im Salon, reich gekleidet, einen Arm auf dem Kaminsims abgelegt. Sie war Witwe, vielleicht fünfundvierzig Jahre alt, aufrecht und unnachgiebig und mit rotbraunem Haar, das sie zu einem Schulmamsellknoten band, um die ersten grauen Strähnen zu verbergen. Außerhalb des Etablissements hätte man niemals erraten, was sie war. Sie behandelte die Mädchen wie ihre Kinder und gab gern vor, dass ihre Kunden Freunde des Hauses waren, die auf einen Besuch vorbeikamen. Wir alle spielten das Spiel mit.

»Guten Abend, Mr. Stanhope«, sagte sie. »Wie geht es Ihnen? Ausgezeichnet, hoffe ich?« Ihre Stimme war melodisch und kultiviert. Irgendwann in der Vergangenheit, lang bevor sie das geworden war, was sie jetzt war, hatte sie eine Erziehung genossen.

»Ja, ich danke Ihnen.«

Der Colonel saß zusammengesunken und -geschrumpft in einem Sessel, kaum mehr als ein Haufen Kleidung und ein kahler Schädel, glatt und rosa wie das Fleisch eines rohen Fisches. Ich bezweifelte, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich Colonel gewesen war, aber sie sprach ihn immer so an. Er war der einzige Kunde, den sie jemals persönlich betreute, sei es aus Gewohnheit oder aus Mitleid. Die Mädchen, schnatternde Stare, die sie waren, hatten mir erzählt, dass er mittlerweile zu alt sei, um noch zu liefern, und für nichts anderes als ihre weibliche Gesellschaft zahlte. Sie behaupteten, man könne das Klickklack ihrer Stricknadeln durch die Schlafzimmertür hören.

»Miss Milanes wartet in dem Zimmer im ersten Stock auf Sie«, sagte sie und lächelte. Sie hatte einen mädchenhaften Mund und die Augen eines Bankiers. Ich ließ zwei Halfcrown-Münzen in die Porzellanschale mit dem chinesischen Weidenmuster fallen, die auf der Kommode stand.

Auf der Treppe zwinkerte mir die kleine Audrey zu, als sie mir mit einem Kunden im Schlepptau entgegenkam. Er war dickbäuchig und außer Atem und roch nach Schweiß. Seine Frau betete ihn wahrscheinlich an, diesen Krämer mit der feuchten Stirn und den ausgetretenen Schuhen, aber das, was Audrey für ihn tat, war sie nicht zu tun bereit. Ich war ein Mal bei Audrey gewesen, bei einem früheren Besuch, vor Maria. An den Wänden ihres Zimmers waren Handschellen befestigt, und auf den Wandbrettern lagen Seile und Schnallen und Rohrstöcke mit korbgeflochtenen Griffen. So winzig und zierlich sie auch war, für einen Florin prügelte sie ihre Kunden bereitwillig blutig, und für sechs Shilling durfte man sie seinerseits prügeln. Aber das entsprach nicht meinen Vorlieben. Ich war Traditionalist.

Und ich war verliebt. Heute war der Tag, an dem ich es beweisen würde.

Aus den anderen Zimmern drangen gedämpfte Laute: Schritte und leise Stimmen, ein plätscherndes Frauenlachen, das in ein laszives Kichern überging. Ich blieb vor Marias Tür stehen. Bald würde ich in ihren Armen liegen, und ich wollte die letzten Sekunden davor genießen. Ich hatte die ganze Woche auf diesen Augenblick gewartet. Maria Milanes. Schon der Anblick ihres Namens in meinem Tagebuch reichte aus, um meinen Magen zum Flattern zu bringen, und sein Geschmack in meinem Mund war wie Pflaumen in Honig: Maria Milanes.

Sie hatte mir einmal erzählt, dass ihre Großmutter Italienerin gewesen war und den Familiennamen in drei Silben ausgesprochen hatte, so, dass er sich auf Paradies reimte. Aber ihre verstorbene Mutter hatte dies für allzu exotisch gehalten und die Silbenzahl auf zwei reduziert, von denen sich die zweite auf meins reimte, mehr oder weniger jedenfalls, und mit diesem Gleichklang konnte ich leben.

Ich klopfte an ihre Tür und fragte mich dabei, ob das Anklopfen fehl am Platze war oder ob mein Poch-poch-pochpoch zu frivol klang, zu albern. Es kam nicht darauf an. Sie öffnete die Tür und warf mir die Arme um den Hals.

»Leo«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Ich liebe dich, mein Leo.« Und dann küsste sie mich.

2

Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte sie. »Ich hab mir den ganzen Tag Sorgen gemacht, du würdest nicht kommen.«

»Natürlich bin ich gekommen. Ich komme immer.«

»Ein Mal hast du’s nicht getan. Ich hab gewartet und gewartet.«

»Mir ist es nicht gut gegangen. Ich hatte es dir doch gesagt.« Die monatliche Blutung war früher eingetreten, als ich erwartet hatte, und ich war zu Hause geblieben unter körperlichen und seelischen Qualen. »Ist etwas nicht in Ordnung, mein Herz?«

Sie saß auf der Bettkante und trat mit den Fersen ihrer bloßen Füße gegen das Bettgestell: bums, bums, bums. Ihr Zimmer war vollkommen anders ausgestattet als Audreys: Hier gab es keine Schrecknisse, nur gerüschte Spitze an den Vorhängen und der Überdecke, eine vergoldete Uhr auf dem Kaminsims sowie einen Toilettentisch mit einem ovalen Spiegel und einer Unzahl von Fläschchen und Tiegeln. Es war das hübsche Zimmer eines hübschen Mädchens.

Sie bestand nur aus Kurven, meine Maria. Nichts an ihr war hart oder knochig, und all die Weichheit war immer in Bewegung: Sie war in ihren Wangen, wenn sie lächelte, ihren Brüsten, wenn sie einatmete, ihren Waden, wenn sie trat. Selbst ihr Haar war lebendig, sprang und federte, wenn sie den Kopf bewegte, und kitzelte mich im Gesicht, wenn sie in meinen Armen lag.

Ihr einziger Makel – in ihren eigenen Augen, nicht jedoch in meinen – war ihr Muttermal. Es erstreckte sich von der Nase die Wange hinunter und über das Kinn wie verschütteter Brombeersaft auf weißem Leinen. Sie verdeckte es mit Puder und den Bändern ihres Schutenhütchens, manchmal auch mit den Händen oder sogar mit einem Fächer, was alles noch liebenswerter wurde dadurch, dass es im Grunde eine so lächerliche Ziererei war.

Sie zuckte die Achseln, eine Spur kummervoll. »Es ist einfach, ich warte darauf, dass du kommst. Ich vermisse dich dazwischen. Die Woche kommt mir so lang vor, und ich fange an, mir Sorgen zu machen, wenn du dich verspätest. Ich weiß, das ist albern.«

»Ich habe mich nicht verspätet.« Die Uhr stand exakt auf halb acht.

»Wie lang habe ich dich?«

»Für immer.«

»Nein, im Ernst. Wie lang?«

»Zwei Stunden, heute Abend.«

Ich umschloss ihr Kinn mit der Hand und küsste sie keusch auf die Lippen, ein ganz leichter Druck nur, aber sie erwiderte ihn nachdrücklicher mit warmen, feuchten Lippen und Zunge. Ich wich zurück in dem Wissen, dass der Augenblick bald kommen würde, und genoss die Vorfreude.

»Noch nicht.«

Auf dem Toilettentisch stand ein Krug mit Ale. Sie goss zwei Gläser ein und streckte mir eins davon hin. »Auf Leo und Maria«, sagte sie. »Für immer und ewig.«

Wir stießen an und tranken, während wir Seite an Seite auf dem Bett saßen. Im Lauf der vergangenen Monate hatten wir viele Stunden hier verbracht, während sie sprach und ich zuhörte – gebannt von jedem Wort, geschmeichelt von ihrem Vertrauen, bis ich das Gefühl hatte, nicht mehr mit einem anderen Menschen zusammen zu sein, sondern einen inneren Gedankengang zu verfolgen, der kaum abbrach in der Zeit, die wir getrennt voneinander verbrachten. Sie wählte immer dieselbe Seite, sodass die Gesichtshälfte mit dem Muttermal von mir abgewandt war, obwohl ich ihr unaufhörlich versicherte, dass es entzückend war und sie sich für nichts auf der Welt zu schämen brauchte.

»Es gibt da etwas, das ich dir erzählen möchte«, sagte ich. »Eine Idee für uns beide.«

»Was ist es? Du meinst für uns, jetzt?«

Ich lachte und schüttelte den Kopf, und sie wirkte eine Spur erleichtert. »Nichts dergleichen. Es ist eher ein Geschenk. Wir reden später drüber.«

Sie berührte meine Wange, und ich konnte nicht mehr widerstehen. Ich küsste sie erneut und ließ die Hand an ihrem Rücken hinabgleiten, und sie stand auf, um die Haken ihres Mieders zu öffnen, ein halbes Lächeln im Gesicht. Schließlich stieg sie aus ihren Unterröcken und stand nackt vor mir, lehnte sich an mich mit den Lippen auf meiner Stirn. Das Tal zwischen ihren Brüsten duftete nach Schweiß und Ingwerminze. Sie küsste mich ungestüm, und ich spürte, wie ihre Zunge meine berührte und ihre Zähne an meinen Lippen knabberten. Ihre Hände lagen auf meinen Armen und dann auf meinen Schultern, zerrten ungeduldig an meinem Jackett und knöpften mein Hemd auf, und dann kniete sie zu meinen Füßen, um mir die Schuhe auszuziehen, und sah mit geweiteten Augen zu mir herauf, halb einladend und halb herausfordernd.

Sie lachte angesichts meines begierigen Gesichtsausdrucks und stand auf, um meinen Bußgürtel abzuwickeln.

»Oh, Leo, du blutest ja.«

Ich zuckte zusammen, als sie die wunden Stellen mit der Fingerspitze und dann mit der Zunge berührte.

»Oh, Liebling, es tut dir so weh.«

Sie ging zu ihrem Toilettentisch, beugte sich über ihn auf eine Art, die mich fast zur Explosion brachte, und schob ihre Parfums und Salben hin und her auf der Suche nach etwas. Die Behälter waren rings um einen Gegenstand angeordnet, den ich dort noch nie zuvor gesehen hatte, eine Puppe mit stieren Porzellanaugen und einem roten Kussmund. Ich hatte Puppen immer verabscheut, die kalten Babyimitationen, die meine Tanten mir aufdrängten. Warum hatte sie so ein Ding hier sitzen, wo alle Welt es sah?

Sie kam mit einem Töpfchen Salbe zurück und begann die wunden Stellen zu betupfen. Ich strich ihr übers Haar, und sie manövrierte mich rückwärts auf das Bett und knöpfte meine Hose auf, sodass ich nackt war, ein knochiges Schreckgespenst neben ihrer Schönheit. Ich bedeckte mich mit den Händen.

»Nicht«, sagte sie und berührte das Haar zwischen meinen Beinen. Auf dem Kissen lag mein Werkzeug, ein Stab aus weichem Leder, den ich mit Gurten um die Taille und zwischen den Beinen befestigen konnte. Maria liebte es zuzusehen, wie ich ihn anlegte. Sie hielt ihn an Ort und Stelle, und manchmal nahm sie ihn in den Mund, und obwohl ich es nicht spüren konnte, erregte der Anblick mich unsäglich. Sie verteilte noch etwas Salbe in ihren Händen und begann sie in den Stab einzumassieren, indem sie auf und ab rieb.

»Vielleicht sollte ich irgendwann mal versuchen, ihn zu tragen?«, flüsterte sie.

Der Gedanke war zu fürchterlich, als dass ich ihn auch nur erwägen konnte. »Ich würde dich so nicht sehen wollen.«

»Aber vielleicht würdest du es angenehm finden.«

»Ich würde nichts dergleichen.«

Sie grinste, und ich rechnete damit, dass sie mich noch eine Weile damit aufziehen würde, aber als sie wieder sprach, war ihr Tonfall ernst. »Warum liebst du meinen Körper, aber deinen nicht?«

Ich zog sie behutsam näher. »Weil dein Körper vollkommen ist.«

»Nein, im Ernst – warum?«

Ich sah an meiner Anatomie hinab, etwas, das ich im Allgemeinen nicht freiwillig tat. Zu hager und kantig, um der Körper einer Frau zu sein – das Ergebnis methodischen Hungerns, mit dem ich verhindert hatte, dass ich weibliche Formen entwickelte. Aber ebenso wenig war es der Körper eines Mannes. Was war es also? Etwas von mir Getrenntes, nahm ich an, ein Behälter für meinen Geist und meine Seele, der unterhalten und ernährt werden musste, darüber hinaus aber keinen eigenen Wert besaß. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand dies lieben würde.

»Das bin nicht ich«, sagte ich. »Nicht so, wie ich hätte sein sollen.«

Sie legte die Hände um meine Wangen und sah mir in die Augen. »Leo, ich wünschte …« Sie unterbrach sich, überlegte und küsste mich dann, ganz sanft. »Ich wünsche dir alles Glück der Welt.«

Aber ich hatte das Gefühl, dass dies nicht war, was sie zunächst hatte sagen wollen.

 

Als wir beide verausgabt waren, schnallte ich den Stab ab und ließ ihn auf den Fußboden fallen, wo er uns aus den Augen war. Wir lagen zusammen auf dem Laken, schwer atmend, die Haut schweißnass, und lauschten dem ahnungslosen Geklapper der Karren und Kutschen auf der Straße draußen. Sie rutschte näher heran und legte den Kopf an meine Schulter, ein Knie über mein Bein gehakt. Ich spürte ihren Atem und das winzige Streifen ihrer Wimpern, wenn sie blinzelte. Sie roch nach uns.

Nach ein paar Minuten setzte sie sich auf und zog das Laken um sich; das Haar fiel ihr über die Schultern. »Hast du dir jemals gewünscht, einfach wegzulaufen, Leo? Ich meine, ganz wegzulaufen.«

»Oft. Warum fragst du das?«

»Wann ist es zum ersten Mal passiert?«

»Das erste Mal war … na ja, es war zu früh. Es ist nichts draus geworden.« In meinen Fingern kribbelte es. Beinahe konnte ich das feste Tuch der Jacken und Hosen meines Bruders spüren, die in seinem Schrank hingen.

»Was ist passiert? Erzähl’s mir.«

»Ich war zwölf. Mummy war mit Oliver und Jane zum Mittagessen ausgegangen. Ich wurde für irgendwas bestraft und musste zu Hause bleiben, damit mein Vater mir seine Predigt diktieren konnte. Als wir fertig waren, ist er in den Garten rausgegangen, um sie einzuüben, und ich war allein im Pfarrhaus.«

Ich zögerte. Es gab Dinge, die zu erklären ich nicht ertragen konnte, nicht einmal ihr gegenüber.

An jenem Tag war mein Vater also im Freien gewesen, hatte mit seinem lauten Bariton gepredigt, die Elstern und Drosseln ob ihrer Sünden gescholten. Sonst war niemand im Haus. Ich wollte einfach nur ein Weilchen lang so tun als ob – es war wie Verkleiden. Ich wusste, dass es nicht richtig war, aber ich konnte nicht widerstehen.

Ich nahm eins von Olivers Hemden von seinem Bügel und zog es über mein Unterhemd, hielt es rings um mich zusammen: Es war mir viel zu groß und wundervoll unförmig. Ohne lang darüber nachzudenken, ließ ich die Röcke fallen und zog ein Paar graue Flanellhosen und eine blaue Jacke mit schwarzen Knöpfen an. Ich krempelte die Ärmel hoch, verkürzte die Hosenträger und schob mein Haar unter seine Tweedmütze.

Aus dem Spiegel heraus musterte mich ein Knabe mit meinem langen Gesicht und den kleinen Augen. Ich war nie hübsch gewesen, er aber sah richtig aus. Als ich lächelte, lächelte auch er, und als ich die Hände in die Taschen schob, wie ich es bei anderen Jungen gesehen hatte, tat er das Gleiche. Seine Schultern waren gerade, und sein Kinn hob sich. Er schob die Mütze ein wenig zur Seite. Er stellte sich breitbeinig hin und zog an einer imaginären Zigarre, blies unbekümmert Rauch ins Zimmer. Er sah mir in die Augen, und als ich blinzelte und er zurückblinzelte, wurde mir klar, dass nicht ich die Wirklichkeit und er ein Spiegelbild war – es war genau umgekehrt.

»Ich beschloss, aus dem Haus zu gehen«, erzählte ich Maria. »Es war ein neues Gefühl. Ich konnte überall hingehen. Einfach in einen Zug steigen und jemand Neues werden.«

Ich hätte nie den nötigen Mut aufgebracht. Ich hätte panische Angst davor gehabt, erwischt zu werden, vor dem, was meine Eltern tun würden, vor der Schmach. Ich hätte es niemals gewagt.

Aber er wagte es.

Er war nicht anders als jeder andere Bursche, als er mit schwingenden Armen die Straße entlangschlenderte. Er versuchte sogar zu pfeifen. Es war eine Offenbarung – keine Röcke, die man hochraffen, kein Häubchen, mit dem man herumhantieren musste, keine enge Unterbekleidung, die kratzte und kniff. Auf jenem kurzen Spaziergang veränderte sich etwas. Ich hatte nicht die Worte, es auch nur mir selbst gegenüber zu beschreiben, aber tief in mir wusste ich, dass dieser namenlose Knabe in seiner gestohlenen Hose und der klaffenden Jacke ich war – ich, so wie ich hätte sein sollen.

Ich hatte nicht viel Zeit, um mich daran zu erfreuen.

»Es stellte sich heraus, dass Oliver Mummy und Jane allein zum Essen hatte gehen lassen, während er selbst sich mit einigen Freunden traf. Sie kamen um die Ecke und sahen mich. Sie sorgten dafür, dass ich ins Pfarrhaus zurückkehrte. Es dauerte sehr lang, bis ich wieder etwas in dieser Art versuchte.«

Sie hatten mich die Straße entlanggejagt und gejohlt, als mein Haar unter der Mütze hervorquoll. Mein Bruder stand einfach nur da, einen angewiderten Ausdruck im Gesicht. Als sie es schließlich müde wurden und mich in Frieden ließen, rannte ich nach Hause und zog mich wieder um, und danach lag ich eine Stunde lang weinend auf dem Bett, bis Mummy und Jane nach Hause kamen und ich ihnen bei ihren Klavierübungen zusehen musste.

»Armer Leo«, sagte Maria und nahm meine Hand.

»Wir könnten zusammen durchbrennen, du und ich, wenn du es willst. Ich gebe meine Stelle im Krankenhaus auf und gehe mit dir, wohin du möchtest.«

»Was für eine wunderbare Vorstellung.« Sie drückte meine Hand, machte aber keine Anstalten, das Angebot anzunehmen. Ich hätte es getan, gleich in diesem Augenblick. Ich wäre auf der Stelle mit ihr zusammen auf und davon gegangen, in den Abend hinaus mit nichts als den Kleidern, die ich am Leib trug, und ohne die geringste Vorstellung, wohin der Weg uns führen würde.

Sie stand vom Bett auf und zog sich die Unterhose an. Normalerweise lagen wir nackt im Halbdunkel beieinander, und ich erzählte ihr von meiner Woche, den Menschen, die ich gesehen und mit denen ich gesprochen hatte. Dies war mir die liebste Zeit, beinahe besser als das, was zuvor geschah. Und wir hatten noch mehr als eine Stunde Zeit.

»Ich frage mich, wie du es erträgst«, sagte sie, während sie dort auf dem Rand der Matratze saß. »Du verbringst den ganzen Tag mit toten Körpern, berührst sie. Es muss fürchterlich sein. Sie waren einmal Menschen, und jetzt sind sie nichts mehr.«

Ich setzte mich auf und legte den Arm um sie, atmete sie ein, als sie den Kopf an meine Schulter schmiegte. Ihre Mutter war im Jahr zuvor gestorben, und von Zeit zu Zeit quoll der Kummer noch immer an die Oberfläche.

»Sie sind nicht nichts. Ich kümmere mich um sie. Wir müssen wissen, was geschehen ist, wie sie gestorben sind. Wir schulden es ihnen und ihren Familien.«

»Hat es heute eine Familie gegeben?«

»Er hat eine Witwe und ein paar Kinder hinterlassen. Sie waren noch zu klein, um es zu verstehen.«

Ich verspürte einen Stich des Mitgefühls für sie, mehr als ich am Nachmittag empfunden hatte. Hier in der tröstlichen Kühle kam mir der Verlust ihres Vaters auf seltsame Weise schmerzlicher vor. Nichtsdestoweniger – ich wurde den Verdacht nicht los, dass die plötzliche Weichheit nur ein weiterer Akt des Verrats seitens meiner Eierstöcke war.

»Wie heißt sie?«

Ich gestehe, ich hatte Mühe, mich an den Namen zu erinnern. »Äh … Flowers. Ihr Ehemann hieß Jack. Er ist ertrunken. Was ist?«

Ich hatte geglaubt, jeden Gesichtsausdruck an ihr zu kennen, von hemmungslosem Gelächter zu herzzerreißendem Kummer, aber dieser war mir neu. Ihr Gesicht war leer, als sei sie in Gedanken anderswo, und in diesem Augenblick sah sie weder das Zimmer noch das Bett, noch irgendetwas sonst.

Dann schüttelte sie sich und war wieder meine fröhliche Maria.

»Jack Flowers. Was für ein reizender Name.«

»Vielleicht. Mr. Hurst hat ihn für einen Säufer gehalten. Er hatte eine Flasche Ale in der Tasche.«

»In der Tasche? Sie haben ihre Kleider also noch an, wenn du sie bekommst? Das wusste ich nicht.«

»Nur wenn sie eintreffen. Die Leichenhallengehilfin entkleidet sie, oder ich.«

Ihre Augen wurden weit. »Die Damen auch? Dann musst du ja ihre Wäsche und alles zu sehen bekommen! Soll das am Ende mein Geschenk sein – ein Unterrock von einer toten Frau? Das wäre keine gute Art von Geschenk.«

»Wie viele Arten gibt es denn?«

»Die, die ich mag, und die, die ich nicht mag. Die, die in Wirklichkeit für den Gentleman sind, der sie mir gibt. Von der Art bekomme ich eine Menge.«

Sie grinste, zog mich schon wieder auf, aber mir missfiel die Erwähnung ihrer Kunden, sogar als bloße Andeutung. Ich zählte mich selbst nicht zu ihnen.

»Besser als das, viel besser. Ich dachte mir, wir könnten zusammen ins Theater gehen. Es ist eine Operette, das Stück heißt HMS Pinafore. Ich habe Karten.« Ich stand vom Bett auf, noch splitternackt und geradezu beflügelt von Vorfreude, und zog sie aus der Manteltasche. »Es soll wundervoll sein, und es wäre mir eine Ehre, dich dorthin zu begleiten. Willst du mitkommen?«

»Oh, Leo, das kannst du doch nicht ernst meinen. Du weißt, wie Mrs. Brafton ist mit ihren ganzen Regeln. Und sie mag mich doch sowieso nicht.«

»Dann werden wir es ihr einfach nicht erzählen. Die Aufführung ist am Samstag, eine Matineevorstellung um zwei Uhr.« Ich legte ihr eine der Karten in die Hand und schloss ihre Finger darum. »Ein Theaterbesuch, sonst nichts.«

Sie betrachtete die Karte. »Leo …«

»Es wird gesungen. Du singst gern – manchmal hab ich dich schon gehört.«

»Du weißt, warum. Ich bin unter einer Bühne geboren worden. Ich habe es im Blut.«

»Genau das. Du singst gut genug, um selbst auf der Bühne zu stehen. Eines Tages wirst du es vielleicht tun.«

Sie lachte und zeigte auf ihr Muttermal. »Das ist albern! Wie könnte ich, mit dem hier?«

»Das würde niemanden stören. Sie würden dich singen hören und … Wie dem auch sei, bitte sag, dass du mit mir kommst. Wir werden unsere besten Sachen tragen. Wir werden einfach so sein wie alle anderen Leute.«

Sie seufzte. »Oh, Leo.«

»Bitte.«

»Also gut. Ich komme mit dir. Danke.«

Sie küsste mich, und es bedeutete mir mehr als irgendetwas anderes, das wir zusammen hätten tun können, dieses Einfachste aller Dinge: der Kuss einer Frau für ihren Liebhaber. Sie kroch wieder in meine Arme, und ich nahm nichts anderes mehr wahr, bis sie mich wach rüttelte.

»Leo! Es ist fast zehn! Du musst gehen!«

Ich war benommen und mühte mich noch, aus meinem Traum aufzutauchen: Wir waren zusammen gewesen, in unserem eigenen Zuhause an einem frühen Morgen; das Licht war schräg in die Ecken des Schlafzimmers gefallen, und wir hatten den ganzen Tag nichts zu tun gehabt als zu schlafen und zu lesen und uns zu lieben.

Sie schüttelte mich wieder. »Mrs. Brafton wird ärgerlich auf mich sein.«

Ich gähnte. »Vielleicht hat sie es gar nicht bemerkt.«

Maria nahm mein Gesicht in beide Hände. »Sie hat. Ich habe noch einen Kunden. Bitte sei mir nicht böse, Leo. Du weißt, was ich bin.«

»Ja, du bist das bezauberndste Mädchen der Welt.« Aber es war ein leeres Kompliment, und sie lächelte nicht.

Ich stieg aus dem Bett und zog mir die Hose an, kämpfte mit dem Bußgürtel und hüpfte im Zimmer herum, um mir die Schuhe zuzubinden. Ich küsste sie zum Abschied. »Du wirst dich dort mit mir treffen? Vor der Opéra Comique an der Strand. Samstag um zwei.«

»Ich werde dort sein.«

»Sag’s. Bitte.«

»Opéra Comique. Samstag um zwei.«

»Du bist wundervoll. Vergiss nicht, ich liebe dich.«

Im Erdgeschoss saß Mrs. Brafton in einem Sessel und las ein Traktat; die Brille balancierte auf ihrer Nasenspitze. Der Colonel war gegangen, und statt seiner warteten drei andere Männer. Einer von ihnen, hochgewachsen und gut gekleidet mit einem sauber geschnittenen Vollbart, musterte mich finster.

Mrs. Brafton schürzte die Lippen. »Sie sind spät dran, Mr. Stanhope. Das ist nicht hinnehmbar, weder von Ihnen noch von Miss Milanes.«

»Bitte machen Sie ihr keine Vorwürfe. Es ist meine Schuld. Ich bin eingeschlafen.«

»Eingeschlafen?« Sie sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren, und einer der Herren verdrehte die Augen.

»Ich kann es Ihnen erstatten.«

Sie winkte ab. »Darum geht es nicht.« Ihr Ton wurde etwas, nur etwas nachsichtiger. »Aber es darf nicht noch mal passieren. Verstehen Sie?«

Sie sah zu dem hochgewachsenen Gentleman hin, der kurz nickte und die Treppe hinaufzusteigen begann.

Ich sah ihm nach und spürte Hass in mir aufsteigen. Ich hörte, wie Maria ihm die Tür öffnete, und das leise Murmeln ihrer Stimmen. Ich wünschte mir, sie würde ihm ins Gesicht spucken und ihm mitteilen, sie wollte nie, niemals mit einem anderen zusammen sein als mit mir. Ich wünschte mir, sie würde schreien, damit ich hinaufrennen und ihn von ihr fortreißen konnte, um ihn die Treppe hinunterzuwerfen. Ich wollte ihn blutig schlagen, bis er sich aus dem Haus schlich und im Rinnstein in der Pferdepisse marinierte. Ich wollte ihre Hand ergreifen und mit ihr davongehen in ein neues Leben, irgendwo in einer weit entfernten Stadt, wo niemand irgendetwas über uns wusste und wo wir zusammen sein konnten.

Mrs. Brafton räusperte sich. »Nächste Woche um dieselbe Zeit, Mr. Stanhope?« Sie hatte ihr schwarzledernes Terminbuch aufgeschlagen.

»Der Gentleman eben …«

»Ist ihr nächster Kunde, Mr. Stanhope.«

Wenn ich nicht ging, würde sie Hugo rufen, den Türsteher und Wachmann, der drei Jahrzehnte älter war als ich, aber immer noch so stark und so angriffslustig wie ein Rhinozeros. Er liebte es, im Unterhemd zwischen seinen Bienenkörben im Garten zu stehen und Hanteln zu stemmen, bei Regen ebenso wie bei Sonnenschein, während die Bienen über seine eindrucksvollen Unterarme krochen.

»Ja, natürlich. Nächste Woche um dieselbe Zeit.«

Draußen auf der Straße hielt ich den Kopf gesenkt. Manchmal klopfte Maria an die Scheibe und warf mir eine Kusshand zu, wenn ich ging, nicht aber heute. Ich brachte es nicht über mich, hinaufzublicken und hinter der Scheibe irgendeine fürchterliche Silhouette zu sehen. Ich zog den Mantel dicht um mich und ging in die Dunkelheit hinein.

Beim Nachhausekommen stellte ich fest, dass ich meine Schlüssel nicht bei mir hatte. Als ich mich in aller Eile angezogen hatte, mussten sie mir noch in Marias Zimmer aus der Tasche gefallen sein. Aber ich konnte ihretwegen nicht noch einmal hingehen. Ich konnte Mrs. Brafton heute nicht noch einmal gegenübertreten.

So warf ich Steinchen an Alfies Fenster und flehte ihn an, er möge herunterkommen und mich einlassen. Was er irgendwann auch tat, wobei er Bemerkungen über betrunkene Mieter vor sich hin murmelte, die sich einen feuchten Kehricht um die Nachtruhe anderer Leute scherten. Aber er meinte es nicht ernst, und er klopfte mir noch auf die Schulter und wünschte mir eine gute Nacht, bevor er wieder die Treppe hinaufschlich.

Ich setzte mich an den Tisch im Hinterzimmer, umgeben von den üblichen Kisten mit Apothekervorräten, und legte den Kopf auf die Arme. Es war mir zuwider, was sie tat, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber ohne ihre Tätigkeit hätte ich sie niemals kennengelernt. Ich sagte mir, dass es nur ihr Körper war, den ich mit anderen teilen musste, nur ihr Körper, sonst nichts. Ich war es, mit dem sie sich treffen würde in der Opéra Comique am Samstag um zwei. Ich war es, mit dem sie im Parkett Toffees essen würde. Und danach würde ich derjenige sein, der sie nach Hause brachte und über dieses und jenes mit ihr plauderte, vielleicht im Gehen ihre Finger streifte.

Ich war es, den sie liebte.

3

Am Donnerstagabend ging ich in meinen Schachklub. Dies war Teil meines Männerlebens: Ich hatte mich aus der spitzwinkligen Enge eines Mädchendaseins ins Freie gezwängt, hinaus in die gastfreundliche Stumpfsinnigkeit der Männerwelt, nur um festzustellen, dass mir große Teile von ihr nach wie vor verschlossen blieben. Ich hätte mich liebend gern daran versucht, in einer Mannschaft Fußball zu spielen oder einen Gegner auf die Matte zu ringen, aber ich konnte nichts dergleichen tun – ich hätte mich augenblicklich verraten. Schach spielen hingegen konnte ich.

Der Klub lag in der Cork Street über einem Pub, The Blue Posts. Das Wirtshaus war ein beliebter Treffpunkt für Drucker und Stoffhändler, und auch an diesem Abend ergossen sie sich auf die Straße hinaus, die Hände um die Pfeifenköpfe geschlossen, die Bierkrüge auf den Fensterbänken aufgereiht. Ich traf gleichzeitig mit einem anderen Klubmitglied ein, dessen Namen ich nicht kannte, und folgte ihm, als er sich vor mir durch die Menge arbeitete.

Oben im ersten Stock brannte der Tabakrauch mir in den Augen und kratzte in der Kehle. Eine Wolke aus Qualm hing über den Spielern, die über ihre Bretter gebeugt dasaßen und ihre Winkelzüge planten. Jacob war bereits in ein Spiel mit Berman vertieft, einem Studenten mit pomadisiertem Haar und der lästigen Angewohnheit, seinen Zug zu machen, die Figur danach aber festzuhalten, um das Brett noch einmal aus allen Richtungen zu studieren, bevor er schließlich losließ. Jacob gähnte und schnippte Asche von seiner Zigarre, die sich sogleich auf seinem Jackett verteilte. Er trug dieses Jackett unweigerlich jeden Tag, ob es regnete oder die Sonne schien, sodass es mittlerweile nicht mehr von seiner Person zu unterscheiden war und wie er selbst nach Rauch, Bier, Whisky und dem scharfen metallischen Geruch seines Juweliergeschäftes stank.

Berman war bestenfalls ein Durchschnittsspieler, und als ich neben ihnen stehen blieb, geriet er prompt aus der Fassung. Wenig später hatte er in einem schlecht beratenen Versuch, Jacobs Turm zu schlagen, seinen Springer vergeudet. Was er an Geschick besaß, ließ ihn danach vollkommen im Stich, und Jacob schlug in rascher Folge seinen zweiten Springer und einen Läufer, während er über dem Brett sinnierte wie eine verhätschelte alte Bulldogge über einem saftigen Knochen. Keine zehn Minuten später hatte Berman sich schmollend an die Schanktheke im Erdgeschoss verzogen.

Jacob bestellte zwei Pints bei dem Jungen, dessen Aufgabe es war, die Treppe auf und ab zu rennen, baute das Brett wieder auf und zündete mit großem Getue seine Zigarre neu an, um dann lautstark an ihr zu ziehen. Er liebte es, mich warten zu lassen, aber es störte mich nicht weiter. All das war lediglich der Auftakt zu seinem Lieblingsspiel, und dabei handelte es sich nicht um Schach, obwohl wir häufig beide Spiele gleichzeitig spielten.

Ich war an der Reihe, mit Weiß zu beginnen. Ich schob meinen Bauern auf K4, und Jacob sog zischend die Luft durch die Zähne. »Immer so konventionell, Leo.«

Ich wedelte mit der Hand zu seiner Seite des Bretts hinüber. »Du kannst ja als Erstes mit deinem Springer ziehen, wenn du unbedingt willst. Nur zu, miss dich doch mal mit meiner Konventionalität.«

Er murmelte etwas und bereitete mit seinem Bauern die Sizilianische Verteidigung vor. Als ich die Augen verdrehte, zuckte er die Achseln. »Du hast Weiß. Ich muss mich dir ja anpassen.«

Ich zog mit dem Damenspringer, er mit einem weiteren Bauern, und dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück. »Und?«, fragte er. »Was gibt es Neues?«

»Es war wunderbar. Maria hat Ja gesagt.« Ich konnte mir ein kleines Grinsen in seine Richtung nicht verkneifen.

»Und jetzt wirst du sie ausführen in diese komische Oper, ja? Das ganze Gesinge und Gehopse. Meine Lilya liebt es aus irgendeinem Grund.«

Ich zog den zweiten Springer, und eine Weile spielten wir, ohne zu sprechen; rasche, vertraute Züge. Das Spiel hing noch vollkommen in der Schwebe, als der Kellnerjunge mit einem Tablett und unseren Getränken zurückkam. Bevor ich auch nur den ersten Schluck getrunken hatte, bestellte Jacob zwei Whiskys und ein weiteres Ale für sich selbst.

Er lehnte sich auf dem Sessel wieder nach vorn und sprach in etwas, das er für ein Flüstern hielt: »Und sie versteht? Das mit dir?« Von Maria, Mrs. Brafton und ihren Mädchen abgesehen, wusste nur er – und noch ein einziger weiterer Mensch –, dass ich nicht als Mann geboren war.

»Natürlich. Wie könnte sie nicht?«

Er zuckte die Achseln. »Ich weiß ja nicht, was du mit ihr treibst, wie es funktioniert, was wohin gehört. Ich bin seit zwanzig Jahren verheiratet. Länger. Was glaubst du, wie viel Neues es da noch gibt? Es ist, als zöge man ein altes Paar Socken an.«

»Lilya ist eine wunderbare Frau.«

»Ja, ja, natürlich, eine wunderbare Frau, eine wunderbare Ehefrau. Sie erduldet mich, meistens jedenfalls.«

»Sie ist eine Heilige.«

»Ha! Siehst du? Pfarrerskind und weißt immer noch nichts. Wir haben keine Heiligen.« Er leerte sein Glas und griff nach meinem. Es würde mindestens sein viertes sein. »Aber wenn wir welche hätten«, fuhr er fort, »dann hättest du recht, und sie wäre eine. Lilya, die Schutzpatronin der Duldsamkeit.«

»Schach«, sagte ich. So ging es häufig. Solange er nüchtern war, spielte er vorsichtig und methodisch, aber später am Abend wurde er leichtsinnig, preschte vor und gab mir Gelegenheit, seine Figuren abzugreifen.

Er blockierte mich mit einem Bauern, der wiederum von seiner Dame gedeckt war, und ich brachte einen Springer in Stellung. Er deckte seinen König, aber damit hatte ich gerechnet und setzte ihn mit meinem Läufer erneut ins Schach. Er starrte säuerlich auf das Spielbrett hinab. »Dieser Tage spielst du besser. Früher habe ich manchmal gewonnen, aber jetzt nicht mehr. Wie lang ist es her? Einen Monat mindestens.«

»Beim letzten Mal warst du nüchtern.«

»Macht keinen Spaß, nüchtern zu spielen. Aber davon abgesehen, dieses Mädchen, diese … Maria.« Er leckte sich die Lippen. »Du glaubst also, ihr liegt etwas an dir?«

»Ist das so unvorstellbar?«

»Ha! Das ist die Frage hier.« Er begann sich bereits verschliffen anzuhören. »Du bist nicht gerade das, was sich die Mädchen erträumen, mein Freund. Nicht mal die Huren. Es tut mir leid, aber so ist es. Und du brauchst mich gar nicht so anzusehen, du weißt, dass es stimmt.«

Ich baute das Brett wieder auf, ohne zu antworten. Diesmal würde ich Schwarz spielen. Er eröffnete mit dem Turmbauern der Königsseite, und ich antwortete mit dem Damenbauern, während ich von meinem Whisky trank. Wenn er so alberne Züge machen wollte, würde es wenigstens schnell vorbei sein.

Er bestellte zwei weitere Whiskys und eine Schale Nüsse.

»Ihr liegt an mir«, sagte ich.

Er verzog das Gesicht. »Vielleicht. Wer weiß schon, was im Kopf einer Frau vor sich geht?«

Er begann zu lachen, wieherte lauter und lauter, bis er mit der Handfläche auf die Armlehne seines Sessels trommelte. Er sah zu mir herüber und lachte noch mehr, aber fast lautlos jetzt, wurde rot im Gesicht und sog irgendwann einen gigantischen Atemzug in die Lungen.

»Wer weiß schon, was im Kopf einer Frau vor sich geht«, wiederholte er. »Du jedenfalls nicht, merkwürdigerweise.« Er begann wieder zu glucksen, aufs Neue erheitert von seinem eigenen Witz.

»Sehr amüsant.«

»Es tut mir leid.« Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. »Ich bin ein alter Mann, und du bist ein junger Romantiker und in ein Mädchen verliebt. Was könnte natürlicher sein oder vermessener?«

»Wir lieben einander.«

»Und du willst sie retten, ja? Sie aus diesem verruchten Leben erlösen.«

Er hatte recht, aber das würde ich nicht eingestehen. »Wir gehen nur ins Theater.«

»Ja, in eine Matinee. Bah, es wird voller Kinder sein.« Er wedelte mit der Hand. »Keine Aussicht drauf, ihr mal die Hand aufs Knie zu legen, nicht in einer Matinee. Was kosten die Karten?«

»Was tut das zur Sache?«