Das Herz des Samurai - Josep López Romero - E-Book

Das Herz des Samurai E-Book

Josep López Romero

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Beschreibung

In diesem tiefsinnigen, spirituellen Roman bringt uns Josep López Romero auf wunderbare Weise zehn Lebens-Weisheiten näher, die ein befreites Leben ohne Angst ermöglichen. "Mutig ist nicht, wer keine Angst kennt, mutig ist, wer die Angst kennt und sie überwindet." Val, ein Mann, der als Broker arbeitet und den so leicht nichts aus der Ruhe bringt, erleidet ohne Vorwarnung mehrere Panik-Attacken und verliert den Boden unter den Füßen. Seine Ärztin schickt ihn zu einem Japaner in ein kleines Dorf. Dieser erzählt ihm von der spannenden Helden-Reise des Samurai Kyo. Sein Weg der Erkenntnis führt zu zehn Lebensweisheiten, die nicht nur sein Leben grundlegend verändern. Allein das Zuhören (und Lesen) wandelt den Menschen. Die Botschaft lautet: Agiere nicht im Außen, sondern komm zurück in deine eigene Kraft und höre auf deine innere Weisheit. Ein bewegender Entwicklungsroman über die Reise eines Mannes zurück zu sich selbst.

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Seitenzahl: 186

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Josep López Romero

Das Herz des Samurai

Eine magische Reise zu mir selbst

Aus dem Spanischen von Stefanie Karg

Knaur e-books

Über dieses Buch

In diesem tiefsinnigen, spirituellen Roman bringt uns Josep López Romero auf wunderbare Weise zehn Lebens-Weisheiten näher, die ein befreites Leben ohne Angst ermöglichen. »Mutig ist nicht, wer keine Angst kennt, mutig ist, wer die Angst kennt und sie überwindet.«

Val, ein Mann, der als Broker arbeitet und den so leicht nichts aus der Ruhe bringt, erleidet ohne Vorwarnung mehrere Panik-Attacken und verliert den Boden unter den Füßen. Seine Ärztin schickt ihn zu einem Japaner in ein kleines Dorf. Dieser erzählt ihm von der spannenden Helden-Reise des Samurai Kyo. Sein Weg der Erkenntnis führt zu zehn Lebensweisheiten, die nicht nur sein Leben grundlegend verändern.

Allein das Zuhören (und Lesen) wandelt den Menschen. Die Botschaft lautet: Agiere nicht im Außen, sondern komm zurück in deine eigene Kraft und höre auf deine innere Weisheit.

Ein bewegender Entwicklungsroman über die Reise eines Mannes zurück zu sich selbst.

Inhaltsübersicht

Die Liebe vertreibt die [...]Hinweise des AutorsErster TeilErste BegegnungRückkehr zur AnormalitätGemSkepsisLlarYūk und die FestungZweiter TeilZweifelKibō. Der Wert des Lebens an sichShizu. Der Wert der heilenden StilleMoku. Der Wert der ZieleAbstieg ins TalHahao. Der Wert der bedingungslosen LiebeHita. Der Wert der TrauerMo. Der Wert der Selbstkenntnis. Der Wert der FreiheitIm Wald verirrtMet. Der Wert der PhantasieShi. Der Wert des Respekts vor der NaturHok. Der Wert des MitgefühlsRückkehr zur FestungKin. Der Wert der Schöpfung. Anfang und EndeDie RüstungDritter TeilDie Augen öffnenNeue Ängste, neuer MutEin Stein für die FestungEin neues LebenDie zehn Weisheiten innerer StärkeDer Wert des Lebens an sichDer Wert der heilenden StilleDer Wert der ZieleDer Wert der bedingungslosen LiebeDer Wert der TrauerDer Wert der Selbstkenntnis. Der Wert der FreiheitDer Wert der PhantasieDer Wert des Respekts vor der NaturDer Wert des MitgefühlsDer Wert der Schöpfung. Anfang und EndeSie sprachen über Angst und MutDank an …
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Die Liebe vertreibt die Angst, und umgekehrt vertreibt die Angst die Liebe. Die Angst vertreibt nicht nur die Liebe, sondern auch die Klugheit, die Güte und alle schönen und wahrhaften Gedanken, so dass am Schluss nur noch stumme Verzweiflung übrig bleibt.

Die Angst vertreibt schließlich aus dem Menschen die Menschlichkeit an sich.

Aldous Huxley (1894–1963) Englischer Romanschriftsteller, Essayist und Dichter

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Hinweise des Autors

Es kann gar nicht anders sein, diese Geschichte beruht auf Tatsachen, und die meisten Figuren tragen Züge von Personen, die ich kenne oder gekannt habe, aber die Handlung an sich ist erfunden.

Ich wollte weder einen Essay noch ein populärwissenschaftliches Buch schreiben, weil sich beides aus meiner Sicht wenig eignet, meine persönlichen Gefühle und Erfahrungen zu vermitteln. Zudem bin ich kein Wissenschaftler, sondern ein Mensch, der beobachtet, was geschieht und was ihm selbst geschieht, und daher liegt es mir fern, Thesen oder Theorien aufzustellen. Ich möchte nur versuchen, eine Reihe von Gedanken weiterzugeben, die auf eigenen Erfahrungen beruhen und die sich in einem einzigen Satz zusammenfassen lassen: Die heutigen Ängste, die die moderne Gesellschaft hervorbringt, lassen sich mit Hilfe einer neuen Form von Mut und innerer Stärke bewältigen.

Vom nächsten Absatz an ist also alles reine Fiktion. Der Ich-Erzähler Val bin nicht ich, sondern eine Art Alter Ego von mir. Dabei habe ich mir erlaubt, den Hauptfiguren der Rahmenhandlung sprechende Namen zu geben. Bei Val klingen im Spanischen Begriffe wie Mut und Kraft an, im Namen seiner Frau Lib die Freiheit; seine Hausärztin Gem ist ein Juwel, und der Name von Libs Tante Llar steht für die Wärme, die sie ausstrahlt. Selbstverständlich sind auch die japanischen Namen nicht dem Zufall überlassen – Yūk heißt Mut, Kyō bedeutet Freude –, sie unterstreichen einfach die Bedeutung, die die Figuren und Orte in der Geschichte des Samurai einnehmen, nicht mehr und nicht weniger.

Ich hoffe, dass dir die Geschichte von Val weiterhilft. Und ich wünsche mir, dass dich der Mut im Sinne wahrhafter innerer Stärke für immer begleiten möge.

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Erster Teil

Angst

Erste Begegnung

Kann man mit einer durchlöcherten Rüstung und einem zerbrochenen Schwert ein neues Leben beginnen?

Ich weiß es nicht. Ich kenne nur meine eigene Geschichte. Sie ist einfach nur eine weitere unter Millionen, aber ich weiß ganz sicher, dass ich nun dazu bereit bin, genau das zu versuchen. Ich bin entschlossen, das verwüstete Land zu bebauen, das mein Leben noch bis vor ein paar Wochen gewesen war, bis ich die Geschichte von Kyō hörte und von seiner Entschiedenheit, seinen verlorenen Mut wiederzugewinnen.

Vielleicht ist es überheblich zu denken, dass die Geschichte, die ja nur meine eigene Geschichte ist, anderen Menschen weiterhelfen kann. Aber ich vermute, dass wir uns im Grunde nicht sehr voneinander unterscheiden; und wenn das stimmt, dann kann für einige ein schwaches, mattes Licht inmitten tiefster Dunkelheit zum Leuchtfeuer werden.

Ich meine tatsächlich, dass wir uns alle recht ähnlich sind, denn es sind unsere elementarsten Ängste, die uns gleich machen.

Die Angst, das ist das große Thema unserer Zeit.

Mit Angst kann man nicht leben, deshalb ist Mut so wichtig, ja geradezu lebensnotwendig. Diese Behauptung mag vielleicht dumm oder leicht dahergesagt klingen, doch so ist es nicht. Absolut nicht. Sie stimmt im wahrsten Sinne des Wortes.

Wenn dich die Angst vor einer Gefahr warnt, ist sie eine Verbündete; aber das gilt nicht mehr, wenn sie sich in dein Leben einnistet und es beherrscht. Solange sie ihre Warnfunktion erfüllt, ist die Angst notwendig und gut, wenn sie aber darüber hinaus wächst, verwandelt sie sich in eine Feindin und beeinträchtigt deinen Willen und deine Hoffnung.

 

Oberflächlich betrachtet begann alles eines Nachts vor wenigen Wochen, aber tatsächlich hatte es bereits früher begonnen, sehr viel früher. Ich war müde und abgespannt in meine Wohnung gekommen, so wie jeden Abend in den letzten Monaten. Lib, meine Frau, befand sich auf Geschäftsreise, also war die Wohnung dunkel und ungewöhnlich ruhig.

Ich legte das Jackett und die Umhängetasche mit dem Laptop im Flur ab und steuerte direkt auf den Kühlschrank zu, auf der Suche nach etwas zu essen. Es war nach elf Uhr, und ich hatte seit dem Mittag – dem einzigen Zeitpunkt, zu dem ich eine kurze Pause machen konnte, um aus dem Automaten ein Sandwich zu holen, an meinen Tisch zurückzukehren und es aufzuessen, während mein Blick immer auf die Monitore gerichtet war – nichts mehr gegessen.

Meine Arbeit als Broker bei Sunbrok nahm mich so sehr in Anspruch, dass ich nicht einmal mehr Zeit hatte, zum Supermarkt zu gehen. Ich verbrachte den ganzen Tag damit, Aktien von großen Unternehmen zu kaufen und zu verkaufen, aber ich war nicht einmal in der Lage, mir die paar Minuten Freiraum zu verschaffen, um für mich Brot, Milch und Eier zu besorgen. Die Situation hatte sich zudem in den letzten Wochen zugespitzt, denn in der Investmentbank ging das Gerücht um, dass Beförderungen anstanden, und ich war fest entschlossen, zu den Glücklichen zu gehören.

Die Beförderung bedeutete für mich nicht nur eine beträchtliche Gehaltserhöhung, sondern vor allem, in absehbarer Zeit Juniorpartner bei Sunbrok zu werden. Auf dem unsicheren Terrain eines Broker-Daseins ist so etwas eine Lebensversicherung. Ich arbeitete bereits ohnehin andauernd mehr Stunden als vernünftig, aber zu der Zeit rackerte ich dreizehn oder sogar vierzehn Stunden am Stück und dachte dabei fast nur an die Umsatzerfolge und daran, meine Vorgesetzten zufriedenzustellen.

 

Der Blick in den Kühlschrank war so trostlos wie der Anblick eines verlassenen Hauses, in den Fächern lag etwa ein halbes Dutzend verschiedene Sachen verstreut: hier ein Joghurt mit überschrittenem Verfallsdatum, dort ein welker Salat, daneben eine Karottenleiche und darunter ein paar Gläser mit verschimmelter Pastete. Ich hätte das Panorama sogar komisch finden können, wenn ich nicht so müde und schlecht gelaunt gewesen wäre und ohnehin alles ein paar Nuancen schwärzer als in Wirklichkeit sah. Anstatt also nur müde zu grinsen, betrachtete ich mürrisch das Kühlschrankinnere; mein Kopf war leer, meine Laune am Boden, die eine Hand lag auf der Kühlschranktür und die andere hing untätig in der Luft.

Dann geschah es.

Ich spürte es nicht einmal kommen, denn eigentlich wusste ich nicht, was es war. Ich merkte nur, wie mich allmählich ein merkwürdiges Gefühl überkam. Zuerst war es nur die seltsame Vorstellung, dieser Kühlschrank wäre ein Spiegel, der mir mein eigenes Inneres zeigt, das genauso leer, kalt und öde war. Doch dann wurde das Gefühl stärker: Eine tiefe, heftige Trauer überfiel mich, als wäre ich plötzlich völlig niedergeschlagen.

Und dann kam die Angst. Eine vage und zugleich äußerst intensive Angst. Eine Angst, die ohne irgendeinen äußeren Auslöser in meinem Kopf entstand. Ich wollte sie abwehren, indem ich die Augen schloss, aber je mehr ich mich bemühte, ihr zu entkommen, umso stärker wurde sie. Es war so, als ob ein Teil von mir sich gegen mich wandte und versuchte, mich mit meinen eigenen Kräften zu vernichten.

Als mir dieser Widerspruch klar wurde, geriet ich in Panik. Mein Körper reagierte mit Schwäche, Atemnot, Schwindel und einem Stechen in der Brust: eine Spirale der Beklemmungen, die sich immer weiter steigerte. Hinzu kam die Angst in meinem Kopf, die Kontrolle über meine Handlungen und meine Gedanken zu verlieren, was bedeutete, verrückt zu werden.

In nur wenigen Sekunden war aus Verwirrung Angst geworden, aus Angst Panik, und die Panik dominierte alles. Ich war nur noch von einer einzigen Idee besessen: Mir würde sogleich die Brust zerspringen, und ich würde den Verstand verlieren. Die Vorstellung, sterben zu müssen, jagte mir einen neuen Schrecken ein, der die Angst, die ich ohnehin schon verspürte, nur noch verstärkte.

Dieser Zustand hielt einige Augenblicke an, die mir jedoch unendlich erschienen. Dann entfernten die Angst und ihr Gefolge sich allmählich und schließlich verschwanden sie ganz, wie ein Luftballon, dem die Luft ausgeht, wie ein stechender Schmerz, der schwindet, nachdem er nahezu unerträglich gewesen war.

Ich rührte mich nicht von der Stelle, ich traute mich nicht zu atmen und schon gar nicht, zu schreien oder um Hilfe zu rufen. So verharrte ich eine unbestimmte Zeit; vielleicht waren es nur wenige Minuten, aber es waren auf jeden Fall die schlimmsten Minuten meines Lebens.

Unterschiedliche Gefühle stürmten auf mich ein, doch eines war besonders stark: die Angst. Eine neue Angst, die anders war als die, die ich bis dahin erlebt hatte. Eine fürchterliche Angst, deren Ursprung ich nicht kannte. Eine Angst, die keinen äußeren Auslöser hatte, sondern die in mir selbst entstand und mich völlig verstörte, weil ich sie nicht unter Kontrolle bekam und sie mich lähmte.

 

Seit jener Nacht habe ich noch weitere Panikattacken erlebt, aber keine war wie diese erste.

Rückkehr zur Anormalität

Mit jedem Augenblick, der vergeht, bin ich mehr davon überzeugt, dass nichts zufällig passiert. Anders gesagt: Fast alles geschieht aus einem bestimmten Grund. Nur einige wenige Ereignisse überfallen uns plötzlich und ohne Vorwarnung, wie ein Dolchstoß in den Rücken. Alles andere ist vorhersehbar. Wenn wir ein feineres Gehör hätten, würden wir sogar den bedächtigen Rhythmus wahrnehmen, der die Ereignisse ankündigt, die Abfolge der Noten, die zu einem tragischen oder komischen Ende führen; denn diese Musik klingt tatsächlich in unserem Inneren.

Bis vor kurzem hatte ich keine Ahnung davon, genauso wenig wie ich wusste, dass ich zu einem Gefangenen der Angst werden oder dass mir jemand die Geschichte eines Samurai mit dem Namen Kyō erzählen würde. Hätte ich darauf geachtet, hätte ich die Musik bestimmt rechtzeitig gehört, und nichts davon wäre passiert. Aber ich war viel zu sehr mit meinem Lebensalltag beschäftigt, als auf das Leben an sich zu achten.

In der Nacht meiner ersten Panikattacke brachte ich zumindest die notwendige Kraft auf, um zum Telefon zu gehen und den Notarzt anzurufen. Eine halbe Stunde später standen mehrere Sanitäter wie ein Sondereinsatzkommando in der Tür, und allein ihre Anwesenheit beruhigte mich. Sie stellten mir einige nicht gerade diskrete Fragen, um herauszufinden, ob ich irgendwelche Drogen zu mir genommen hatte. Doch als sie feststellten, dass dies nicht der Fall war und ich mich trotz meiner Verstörtheit verständlich ausdrücken konnte, verabreichten sie mir einfach ein Beruhigungsmittel und rieten mir, am nächsten Tag zum Hausarzt zu gehen. Ich nickte nur und ließ sie gewähren. Ich war so verängstigt, dass ich kaum ein Wort hervorbrachte, um mich bei ihnen zu bedanken und mich von ihnen zu verabschieden.

Danach war ich wieder allein und legte mich auf das Sofa im Esszimmer. Ich überlegte, Lib, die um diese Uhrzeit bestimmt schon schlief, in ihrem Hotel anzurufen, doch ich wollte sie nicht beunruhigen. Ich dachte daran, meine Eltern zu benachrichtigen, aber sofort kam mir der Gedanke, dass ich sie damit zu sehr erschrecken würde (meine Mutter wird schon bei der kleinsten Schürfwunde nervös) und dass das alles vielleicht gar nicht so wichtig war. Und als ich beschloss, mit einem Freund zu telefonieren, fiel mir keiner ein. Bevor ich weitere Überlegungen anstellen konnte, setzte die Wirkung des Beruhigungsmittels ein und ich fiel in einen tiefen Schlummer.

Ich schlief zehn Stunden am Stück und überhörte ein halbes Dutzend Mal das klingelnde Handy, auf dem die Sekretärin meiner Abteilung von Sunbrok seit dem frühen Morgen immer wieder anrief, weil sie sich über meine nicht angekündigte Abwesenheit wunderte. Glücklicherweise war es ein Freitag und ich musste keine großen Erklärungen abgeben. Ich führte einen plötzlichen Migräneanfall an und versprach, die anstehenden Aufgaben von zu Hause aus zu erledigen, indem ich mich in das Intranet der Firma einloggte.

Dann fiel mir der seltsame Vorfall der Nacht wieder ein. Ich wusste weder so recht, was mir passiert war, noch, ob »das« schlimm war oder nicht. Ja, ich hatte in den letzten Monaten unter einigen kleineren Beschwerden gelitten: Schlaflosigkeit, eine unerklärliche Müdigkeit, heftige Kopfschmerzen, Beklemmungen, Obsessionen (vor allem im Zusammenhang mit meinem Job, aber auch mit Ereignissen aus meiner Vergangenheit), merkwürdige Unsicherheiten … Aber für mich waren das Stresssymptome. Ich war der Meinung, dass heutzutage alle unter Stress stehen. Doch starke Typen wie ich können das aushalten, dachte ich. Besser gesagt: Nur so starke Persönlichkeiten wie ich können das aushalten.

Natürlich war das ein Irrtum. Wäre ich vernünftig gewesen, hätte ich auf meinen Körper gehört und seine verschlüsselte Botschaft beachtet. Aber bekanntlich gibt es keinen tauberen Menschen als den, der nicht hören will. Jetzt weiß ich, dass ich am besten sofort mit meinem Hausarzt gesprochen hätte, vor allem in Anbetracht der besonderen Umstände, dass mein Hausarzt Libs ältere Schwester ist und ich sie jederzeit auf dem Handy anrufen kann. Lib selbst hatte mich des Öfteren aufgefordert, ihre Schwester zu benachrichtigen, aber ich weigerte mich immer mit der Begründung, dass meine Leiden vorübergehend und gar nicht so wichtig seien.

Also rief ich Gem nie an, weder vor noch nach dieser ersten Panikattacke. Damit fügte ich der langen Liste mit Fehlern einen weiteren hinzu. Wenn ich überhaupt etwas zu meiner Entschuldigung anführen kann, dann nur, dass ich am nächsten Tag beim Aufwachen kein einziges Anzeichen für die Symptome der vergangenen Nacht verspürte. Mir ging es nicht nur nicht schlecht, sondern ich fühlte mich geistig ungewöhnlich klar, wie so oft, wenn man für ein paar Tage abschalten kann und sich dann aus einer neuen Perspektive mit einem Thema befasst.

Ich war so zufrieden, dass ich entschied, mit niemandem über den Vorfall zu sprechen. Ich wollte weder Lib bei ihrer Rückkehr etwas davon sagen noch meinen Eltern, denen ich ohnehin immer nur meine Schokoladenseite vorführte: den Vorzeigesohn, der mit seinem außerordentlichen beruflichen Engagement und unter großen Opfern im Leben Erfolg hat. Und bei meinen Kollegen von Sunbrok würde ich selbstverständlich auch kein Wort darüber verlieren. Sicher war es am besten, das Thema zu vermeiden, vor allem im Büro, wo allein das Gerücht über eine Krankheit sich zu einem One-Way-Ticket in das berufliche Aus verwandeln konnte. Es herrschte eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass starke Personen niemals krank sind und dass Führungskräfte immer aus dieser Gruppe von starken Personen rekrutiert werden. Ich hatte diesen Kodex verinnerlicht, ohne seinen Wahrheitsgehalt in Frage zu stellen (ganz zu schweigen davon, ob er einem gut tat), ich war entschlossen, weiter zu schuften – koste es, was es wolle.

Nachdem ich ein paar Stunden am Rechner gearbeitet hatte, verbrachte ich den restlichen Tag damit, Liegengebliebenes abzuarbeiten (Berichte, Memoranden, Wirtschaftspresse). Ich ging nur einmal gegen Mittag vor die Tür, um etwas zu essen zu kaufen. Aus irgendeinem merkwürdigen Widerwillen wollte ich nicht das Auto nehmen, also ging ich zu Fuß zu einem kleinen Lebensmittelgeschäft im Viertel und kaufte dort genügend ein, um problemlos ein paar Tage überleben zu können. Ich kehrte sofort nach Hause zurück, denn auch wenn dies einer der letzten Wintertage war, so war es doch noch recht kalt.

Am Samstag erholte ich mich. Ich fühlte mich zwar ein wenig unsicher, drehte aber dennoch eine Runde mit dem Fahrrad. Ich fuhr eine steile Anhöhe in der Umgebung der Stadt hoch und raste auf schmalen Wegen wieder hinunter. Auf halber Strecke hielt ich an, weil mich auf einmal die ungewöhnlich intensive Vorstellung überfiel, ich könnte stürzen, mir die Wirbelsäule brechen und für immer gelähmt sein. Ich war diesen Weg schon oft gefahren, und noch nie war mir dieser Gedanke gekommen; aber ich hielt an und beschloss, bergab einen anderen, etwas breiteren und weniger abschüssigen Weg zu nehmen.

 

Lib kam Samstagmittag zurück. Wir aßen Pizza, während sie mir begeistert von ihrer Reise berichtete und mich dann ins Bett schleifte, wo wir praktisch den Rest des Wochenendes verbrachten. Selbstverständlich erzählte ich ihr nicht von dem Vorfall vor dem Kühlschrank und dem, was danach geschehen war.

Montag ging ich wieder zur Arbeit. Als ich den Aufzug nahm, um ins dreiundzwanzigste Stockwerk mit den Büros von Sunbrok zu fahren, hatte ich ein sonderbares Gefühl. Es kam mir so vor, als würde sich ein Teil von mir weigern, den Knopf zu drücken und durch die Glastür zum Empfang zu gehen. Aber wie bei der Geschichte mit der Fahrradtour entschied ich, all dem keine große Bedeutung beizumessen.

Die übrige Woche arbeitete ich so intensiv wie noch nie, verlor keine einzige Sekunde mit unnötigen Dingen, sondern konzentrierte mich voll und ganz auf die Arbeit, und abgesehen von den üblichen Begrüßungsfloskeln ließ ich mich auch nicht weiter auf Gespräche mit meinen Kollegen ein. Jetzt, aus der Distanz betrachtet, verstehe ich, dass das in Wirklichkeit keine Rückkehr zur Normalität, sondern zur Anormalität war.

Doch mein enormer Einsatz brachte nicht die erhoffte Belohnung. Am Freitag wurden alle Mitarbeiter zu einer Besprechung einberufen, bei der die Beförderungen mitgeteilt wurden; ich gehörte nicht zu den Auserwählten. Ich setzte ein unbeteiligtes Gesicht auf und gratulierte wie die übrigen Kollegen den neuen Führungskräften. Aber in meinem tiefsten Inneren fragte ich mich, was ich verkehrt gemacht hatte. Mit einem falschen Lächeln auf den Lippen stellte ich mir für den Rest des Tages immer wieder diese Frage – selbst noch, als ich am Abend mit Lib in ein angesagtes Restaurant im Stadtzentrum zum Essen ausging. Die Frage ließ mich auch nicht los, als wir uns, kaum zu Hause angekommen, hastig liebten, halb entkleidet und eher mit Begierde als mit Lust. Und selbst dann nicht, als wir ineinander verschlungen und nur dürftig von einer Decke bedeckt auf dem Sofa einschliefen.

Ich schlief nicht lang und wachte unruhig und steif auf. Ich ging zum Thermostat, um die Temperatur des Heizkörpers höher zu stellen, und auf dem Rückweg zum Sofa kam ich am großen Esszimmerfenster vorbei, das auf die Straße zeigte. Das Licht war noch fahl, und in der Ferne konnte man über den gegenüberliegenden Häuserblöcken einen rötlichen Schimmer erkennen, der den beginnenden Tag ankündigte. Beim Anblick dieses Lichts überfiel mich eine schreckliche Trostlosigkeit. Ich wusste nicht, woher sie rührte, aber ich fühlte sie so tief und intensiv in meinem Inneren, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Da fiel mir die vorherige Attacke wieder ein, und sofort durchströmten mich die gleichen Gefühle: Beklemmung, Atemnot, Enge in der Brust, Herzrasen, Schwindel, Wahnsinn …

Natürlich war es kein echter Wahn, er war aber meiner Vorstellung vom Wahnsinn so ähnlich, dass ich ihn nicht von dem realen Wahn unterscheiden konnte. Und kurz darauf präsentierte sich auf der wankenden Bühne in meinem Kopf auch noch die große Protagonistin des Stücks: die Angst. Angst vor dem Kontrollverlust, Angst vor der Ohnmacht, Angst vor der Hoffnungslosigkeit, Angst vor der Zukunft, Angst vor der Angst. Ich fing an zu zittern, aber nicht wegen der Kälte, sondern vor Schreck. Ich sackte auf das Sofa und stupste Lib mit dem Ellenbogen an. Sobald sie die Augen geöffnet hatte, erkannte sie, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war.

Es war eindeutig eine neue Attacke, die sich in ihrer Intensität von der ersten nur insofern unterschied, dass mir die Symptome nicht ganz unbekannt waren und dass Lib in meiner Nähe war. Dank ihrer Anwesenheit konnte ich wenigstens etwas die Ruhe bewahren, aber als ich ihr erklären wollte, wie es mir ging, konnte ich nur noch flüstern: »Mir geht es nicht gut, Lib … Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber ich fühle mich nicht wohl …«

Lib zeigte sich besorgt, blieb aber ruhig und sagte: »Val, was auch immer das sein mag, du brauchst Hilfe. Ich rufe gleich meine Schwester an. Und diesmal sagst du nicht Nein.«

Anders als in den vorausgegangenen Situationen lehnte ich nicht ab. Tatsächlich sagte ich gar nichts. Ich hatte zu viel Angst. Angst davor, nicht zu wissen, was mit mir los war. Und Angst davor, es zu erfahren.

Gem

Bist du glücklich?«, fragte Gem, als sie das Stethoskop ablegte.

Lib hatte sie angerufen und geweckt, aber trotz der frühen Morgenstunde war ihre Schwester keine zwanzig Minuten später bei uns. In der kurzen Zeit hatte sie sich angekleidet, einen Kaffee getrunken und die sechs Straßenblocks zwischen ihrer und unserer Wohnung zurückgelegt. Sie war kaum angekommen, da setzte sie sich neben mich, lauschte aufmerksam meinen Erklärungen, hörte mich ab und konfrontierte mich ohne Umschweife mit dieser simplen, unerwarteten Frage.

»Also, glücklich, hm, glücklich …« Ich zögerte. »Nun, so auf die Schnelle fällt mir darauf keine Antwort ein …«