Das Leben schmeckt nach Erdbeereis - Tamara Mataya - E-Book

Das Leben schmeckt nach Erdbeereis E-Book

Tamara Mataya

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Beschreibung

Ein Sommer in Miami, eine heiße Affäre und die Suche nach dem großen Glück

Melanie ist gestresst, vor allem weil ihr neuer Chef ihre Handynummer auf der Kurzwahltaste hat. Und er hat kein Problem damit, von dieser Taste Gebrauch zu machen. Also beschließt sie, eine Auszeit zu nehmen. Auf einer Website entdeckt sie die perfekte Anzeige und tauscht für einen Sommer ihr Apartment in New York City gegen eines in Miami. Was sie nicht weiß, mit der neuen Wohnung kommt auch neuer Mut. Plötzlich ist Melanie waghalsig und sexy. Und das bekommt vor allem Blake zu spüren, als er plötzlich vor ihrer Tür auftaucht. Der beste Freund ihres Bruders war bisher immer tabu für sie. Doch in Miami laufen die Dinge etwas anders …

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Seitenzahl: 461

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ZUM BUCH

Melanie ist gestresst, vor allem weil ihr neuer Chef einfach unausstehlich ist. Also beschließt sie, eine Auszeit zu nehmen. Auf einer Website entdeckt sie die perfekte Anzeige und tauscht für einen Sommer ihr Apartment in New York City gegen eines in Miami. Was sie nicht weiß: Mit der neuen Wohnung kommt auch neuer Mut. Plötzlich ist Melanie waghalsig und sexy. Und das bekommt vor allem Blake zu spüren, als er plötzlich vor ihrer Tür auftaucht. Der beste Freund ihres Bruders war bisher immer tabu für sie. Doch in Miami laufen die Dinge etwas anders …

ZUR AUTORIN

Tamara Mataya ist eine Bibliothekarin, die es liebt, für jeden das richtige Buch zu finden. Sie unterrichtet Englisch als Fremdsprache und ist zudem Musikerin.

LIEFERBARE TITEL

Manche Tage muss man einfach zuckern

TAMARA MATAYA

Das

LEBEN

schmeckt

NACH

Erdbeereis

ROMAN

Aus dem Englischen von Lena Fink

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe Summer Indiscretions erschien 2017 bei Sourcebooks

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2018

Copyright © 2017 by Tamara Mataya

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von © Shutterstock/Zapalzun

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-20709-0V002

www.heyne.de

1. Kapitel

Melanie

»Entschuldigung, wissen Sie, wo es hier zum Nacktbadestrand geht?«

»Äh, wie bitte?« Bevor ich dem freundlich lächelnden Unbekannten antworten kann, klingelt mein Mobiltelefon und vibriert gegen mein Bein. Ich springe verwirrt auf und versuche ungeschickt, es aus der Tasche zu fingern.

Es ist die Arbeit. Ich bin im Urlaub. Ich sollte nicht drangehen.

Und wenn es ein Notfall ist? Und …­­

Moment mal. Nacktbadestrand?

Das Handy klingelt weiter, und ehe ich meine wirren Gedanken geordnet habe, ist es zu spät – der Unbekannte ist weitergegangen. Kurz überlege ich, ihm nachzulaufen, aber … Ich starre auf das Display des Handys. Und wenn es wirklich ein Notfall ist? Ich atme einmal tief durch und mache ein paar feste Schritte, während ich mit genervter Miene den Anruf annehme.

»Melanie Walker hier.«

»Miss Walker, Sie müssen unbedingt ein Treffen mit Nick aus der Redaktion organisieren. Er hat irgendwas vor. Wofür genau bezahlen wir ihn eigentlich?«

Der Klang der Stimme von Thaddeus Mitchel III sorgt wie immer dafür, dass ich sofort Stiche hinter den Augen verspüre – Migräne im Anmarsch.

»Ich bin nicht im Büro, Thaddeus.«

»Tatsächlich? Habe ich noch gar nicht bemerkt.« Vielen Dank für die Unterstellung, ich würde während der Arbeit nichts tun! »Außerdem ist im Treppenhaus eine Glühbirne durchgebrannt. Da müssen Sie auch mal nachsehen.«

Thaddeus Mitchell III arbeitet seit einem Monat beim Online-Frauen-Magazin Von Kopf bis Fuß als Verkaufsberater – und hat es geschafft, mich an jedem dieser einunddreißig Tage zur Weißglut zu treiben. Genau genommen sind das ja nur gut zwanzig Arbeitstage, wenn man die Wochenenden nicht mitzählt, aber er hatte sich aufgeführt wie Miranda Priestly in Der Teufel trägt Prada. Und mich immer wieder auch in meiner Freizeit angerufen. So wie jetzt.

»Thaddeus, wenden Sie sich wegen der Glühbirne an den Hausmeister. Seine Durchwahl finden Sie in der Datenbank. Ich arbeite in der Personalabteilung. Wenn Sie ein Treffen mit Nick möchten« – der ganz bestimmt nichts vorhat –, »dann bitten Sie Valerie, das zu übernehmen, oder warten Sie, bis ich zurück bin. Ich bin nämlich gerade im Urlaub.«

»Sie haben doch Ihr Smartphone – ein Wunderwerk der Technik, wussten Sie das schon? Schreiben Sie eine E-Mail. Let’s get this show on the road!«

Dieses sarkastische, arrogante Ekelpaket ist von meiner Chefin persönlich eingestellt worden. Und was mich am meisten wurmt, ist weniger, dass er total unqualifiziert ist oder dass er auf sein Gehalt nicht angewiesen ist – was er jedem, der es hören will oder auch nicht, aufs Brot schmiert. Nein, was mich am meisten aufregt, ist die Art und Weise, wie er mich behandelt, wenn es niemand mitbekommt. Und ich lasse das auch noch zu, anstatt ihn einfach auflaufen zu lassen, wie ich es bei jedem anderen tun würde.

Ich presse meine Fingernägel in die Handfläche, völlig entnervt, dass ich noch nicht mal fest aufstampfen kann vor Wut, da ich nur Flip-Flops trage und mittlerweile auf dem Sandstrand stehe.

»Nein.« Ich habe es so satt, dass er meine Arbeit, auf die ich mich bisher immer gefreut habe, in einen Vorhof zur Hölle verwandelt hat, vor dem mir nur noch graut. Er ist der Grund dafür, dass ich eine Pause brauche und aus New York geflohen bin.

»Wie bitte?!«

Na also, nun habe ich immerhin seine volle Aufmerksamkeit.

»Sprechen Sie mit Valerie, oder schicken Sie eine E-Mail und warten, bis ich zurück bin. Rufen Sie mich nicht mehr unter dieser Nummer an.«

»Ein so unprofessionelles Verhalten werden Sie noch bereuen!«

»Einen schönen Tag noch«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und beende das Gespräch.

Am liebsten würde ich diesem Thaddeus mit meinen pfeilspitzen Pumps mal richtig in den Hintern treten, aber das wäre unprofessionell. Er hat Glück, dass ich mich nicht bei meiner Chefin über ihn beschwere – auch wenn er leider nichts getan hat, weswegen man ihn rauswerfen könnte –, aber ich lasse mir von dem doch nicht meinen Urlaub vermiesen!

Grimmig funkele ich mein Handy an, zerre meine Strandtasche über die Schulter und laufe mit schnellen Schritten weiter, wütend über Thaddeus’ Dreistigkeit. Ich versuche, nur noch auf meine Füße zu achten, und konzentriere mich darauf, langsam ein- und auszuatmen. Selbst wenn über zwölfhundert Kilometer zwischen uns liegen, werde ich diesen Blödmann nicht los!

Du wärst ihn los, wenn du in die Redaktion wechseln würdest.

Es ist eben so, dass ich sehr gut bin in meinem Job und mich mit den Aufgaben bestens auskenne. Andererseits kenne ich die Personalarbeit vielleicht auch zu gut, und der Lack ist ab. Und genau das ist mein Problem, und mit jeder neuen Idee für einen Artikel, die ich habe, nagt es stärker an mir; dass ich mich halbtot geschuftet habe, nur, um festzustellen, dass es der falsche Weg war und dass ich für eine Karriere kämpfe, die nicht mehr zu mir passt.

Außerdem hätte ich in einer anderen Abteilung nichts mehr mit dem ganzen Müll zu tun, den Leute wie Thaddeus jeden Tag auf meinem Tisch abladen.

Als das Smartphone in meiner Hand ein Bing von sich gibt, will ich es im ersten Moment am liebsten ins Meer schleudern. Aber dieses Mal ist es eine WhatsApp von meiner besten Freundin Bailey, die bei Von Kopf bis Fuß als Redakteurin arbeitet.

Bailey: Wie ist Deine Haustauschpartnerin?

Ich schreibe ihr zurück, während ich den Strand entlanglaufe.

Ich: Treffen uns persönlich erst nach dem Haustausch. Auf den Fotos, die im Schlafzimmer an der Pinnwand hängen, sieht Shelby Kellermanns Leben aus wie eine Mischung aus einem lässigen Bier-Werbespot und einem Abercrombie-&-Fitch-Plakat.

Bailey: Waaas?

Ich: Umwerfend gut aussehende Leute haben unglaublich viel Spaß bei allem, was sie tun. Ein Drink an der Bar, lachend auf einem Konzert, beim Joggen am Strand – würde am liebsten in jedes Foto reinspringen und dabei sein.

Bailey: Und wie sieht sie aus?

Ich: Lange Beine, blond, größer, als ich dachte, mit ein paar kleinen Sommersprossen auf der Nase, die sie irgendwie unschuldig wirken lassen, auch wenn sie eine Figur hat, mit der sie direkt auf ein Plakat von Victoria’s Secret kommen könnte. Hellbraune Augen und ganz natürliche Strähnchen von der Sonne im Haar.

Das wäre das. Nicht, dass ich von den Fotos besessen wäre oder so.

Bailey: Bin nicht sicher, ob ich mich in sie verknallen oder sie abgrundtief hassen soll. lol

Ich: Ich weiß genau, was du meinst!

Wenn ich hier aufgewachsen wäre statt in New York, ob ich wohl auch so sein würde? Alles an Shelby sieht nach Glück und Zufriedenheit aus. Warum sie wohl ihr unbekümmertes Leben gegen meins tauschen wollte, wenn auch nur eine Zeit lang?

Bailey: Und wie ist das Haus?

Ich: Ekelhaft groß. Was sie bloß von meiner winzigen Wohnung hält, vollgestopft mit Büchern und mit langweiligen weißen Wänden, die ich noch nie gestrichen habe? In ihrem Haus hat jeder Raum eine andere Farbe.

Bailey: Das gehört doch alles zum authentischen Brooklyn-Erlebnis. lol

Ich: Kann sein. Aber sie hat hier die verdammte Meeresbrise, Bails. Das Beste, was der Wind in meine Wohnung weht, ist der würzige Geruch aus dem Thai-Laden ein paar Häuser weiter.

Bailey: Sie hat ja nicht beim Haustausch mitgemacht, um drei Wochen irgendwo zu sein, wo es genauso ist wie bei ihr zu Hause. Es geht darum, etwas Neues kennenzulernen. Deswegen machst du es doch auch, oder?

Ich: Ja, genau. Ich musste der bedrückenden Weitläufigkeit entfliehen und ab an den Strand.

Bailey: Großartig! Tank etwas Sonne für mich mit! Dir geht’s doch gut, oder?

Selbst meine beste Freundin kennt nicht alle Gründe dafür, warum ich plötzlich aus meinem Leben ausbrechen wollte.

Ich: Mir geht’s gut. Richte mich gerade in der Sonne und in meinem persönlichen Freiraum ein.

Bailey: Will dich nicht vom Strand abhalten. Ruf mich später an! Denk dran – du bist da, um Spaß zu haben!

Ich: Werde ich.

Bailey hat recht. Scheiß auf Thaddeus. Scheiß auf den Höllentag, der mich dazu gebracht hatte hierherzukommen. Ich breite mein Handtuch aus, lasse mich darauf fallen und wühle in meiner Tasche nach der Wasserflasche.

Eine leichte Brise, die direkt vom Meer kommt, weht mir um die Nase und wirkt der Hitze mit ihrem köstlichen Salzgeschmack entgegen – ich lege mein Handy zur Seite, fest entschlossen, nur noch den Augenblick zu genießen. Wenn Vitamin D das Wohlfühl-Vitamin ist, dann werde ich so viel davon aufsaugen, wie ich kann. Ich will mich unbedingt wohlfühlen und zwar genau jetzt. Dieser Urlaub ist das Aufregendste, was ich jemals gewagt habe, und das kann mir keiner mehr nehmen.

Den King’s Point Drive bis zum Strand entlangzugehen kam mir vor wie eine abenteuerliche Reise in ein fernes Land. Die Menschen in Miami sind freundlicher und haben weniger an. Das wenige strahlt in leuchtenden Regenbogenfarben. Viele Frauen tragen nur ein Bikini-Oberteil. Ob die Leute in Florida deswegen so glücklich wirken? Oder weil hier überall so viel Platz ist? Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass sie so nah am Strand leben.

Mal abgesehen von den Hochhaustürmen, die wie zu Hause emporragen, wirkt der Himmel fast erdrückend weit. Ich kneife die Augen zusammen und blinzle hinauf, geblendet von der hellen Sonne. Shelbys Wohnanlage befindet sich auf einer kleinen Halbinsel umgeben von Wasser, mit dem Oleta River State Park westlich davon und dem Meer ein paar Häuserblocks weiter östlich. Ich bin in Miami, aber irgendwie habe ich eher das Gefühl, ich wäre in einer Oase, weit weg von allem.

Tief amte ich die weiche, schwüle Luft ein und achte auf nichts anderes als den angenehmen Geruch des Meeres. Ich lehne mich auf meine Ellbogen zurück und spüre, wie die Sonne meine Haut kitzelt … Vielleicht drei Minuten lang, denn, verdammt, es ist einfach zu heiß! Wie halten diese Sonnenanbeter es bloß aus, sich jeden Tag so grillen zu lassen, ohne jemanden zu engagieren, der sie alle halbe Stunde mit Wasser beträufelt? Oder einen knackigen Beach-Boy anzustellen, der einem Luft zufächelt und mit geschälten Früchten füttert?

Ich muss grinsen und schaue mich nach einem möglichen Kandidaten um.

Schweißperlen kitzeln mich über der Oberlippe und am Rücken. Vielleicht sollte ich mich mal rüber zu dem kleinen Stand schleppen, wo man riesengroße Sonnenschirme ausleihen kann, wenn man, so wie ich, keinen dabeihat?!

Der Stand, vor dem eine knapp achtzigjährige Frau gerade wartet – und zwar komplett nackt.

Ich blinzle mehrfach, aber auch das zaubert keine Kleider auf ihren Körper; dass sie nackt ist, ist keine Einbildung. Aber was zum Teufel macht sie da? Ist sie eine Obdachlose? Oder ist sie dement und von ihrer Familie abgehauen? Hat sie ihren Badeanzug im Meer verloren? Ist er von einem Hai gefressen worden?

Ich taste – greife – blind nach meiner Wasserflasche, denn vielleicht handelt es sich um eine Vision oder eine Halluzination, die von der Hitze kommt. Findet denn niemand die Nackedei-Oma irgendwie merkwürdig? Oder ist es wie mit dem Nicht-direkt-in-die-Sonne-Schauen? Keiner macht es, denn nach einem kurzen Blick hat man so ein Stechen in den Augen, dass man es nie wieder versucht oder jemandem davon erzählt, weil man es eben einfach nicht macht. Tun alle nur so, als würden sie nichts bemerken, damit sie keinen Augenkontakt mit ihr herstellen und ihr sagen müssen, dass sie sich etwas anziehen soll?

Sie ist einfach nackt und steht da rum, als würde sie in einem Supermarkt an der Kasse warten.

Gleich wird bestimmt jemand zu ihr kommen und sagen: »Da bist du ja, Mildred! So, jetzt ziehen wir dir mal schön diesen Bademantel an, und dann kannst du in aller Ruhe über den Strand spazieren.«

Ich trinke einen Schluck Wasser, und während ich den Deckel wieder auf die Flasche schraube, lasse ich meinen Blick über die anderen Leute am Strand schweifen. Es sind ein paar Badehosen und Bikinis zu sehen, aber …

Oh mein Gott. Kein Wunder, dass niemand etwas zu Mildred sagt. Vor lauter Peinlichkeit rollen sich mir fast die Fußnägel hoch, und das, obwohl ich ein langes T-Shirt über meinem Tankini trage – aber irgendwie fühle ich mich so angezogen nun bloßgestellt. Und schäme mich fremd. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel nacktes Fleisch gesehen.

Eine Frau Mitte dreißig sitzt oben ohne auf ihrem Handtuch und reibt sich gerade die Beine mit Sonnencreme ein, während ihre Brüste bei jeder Bewegung mitwackeln.

Hör auf, sie anzustarren!

Ein nackter Mann kommt mit einem Surfboard unter dem Arm den Strand hochgerannt und sein schlaffer Penis wedelt dabei herum wie eines dieser komischen aufblasbaren und mit den Armen rudernden Werbe-Luftmännchen.

Hör auf zu starren, Melanie!

Ein ziemlich muskulöser Mann joggt vorbei, und ich überrasche mich dabei, wie mein Blick sofort sein Gehänge findet, als würde ich seit Jahren nackte Weichteile überprüfen.

STOPP.

Tatsächlich habe ich einen schlaffen Penis noch nie richtig angesehen. Wenn ich mich in der näheren Umgebung befinde, ist er meiner Erfahrung nach …. einsatzbereit –, und wer würde ihn sich nach dem Sex noch genau anschauen? Entweder zieht man sich an, oder man kuschelt sich mit dem Typ unter die Decke, ohne sein bestes Stück anzustarren. Meine längste Beziehung hatte sieben Monate gedauert, aber wir waren nicht zusammengezogen, sodass ich keine Erfahrung habe mit einem nackten unerregten Mann, der lässig in meiner Privatsphäre herumspaziert.

Noch ein paar Männer schlendern vorbei, und ich kann. Nicht. Wegsehen.

Ich wusste gar nicht, dass Oberschenkel so behaart sein können.

Alte Männer, junge Männer, dicke Männer und dünne Männer laufen hier durchs gleißende Sonnenlicht, ohne sich darum zu kümmern, ob sie an lebenswichtigen Stellen einen Sonnenbrand bekommen. Ich meine, sie müssen sich doch auch dort mit Sonnencreme einreiben, aber wie trägt man die auf, ohne dass es unpassend wirkt? So viel zum Thema Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Sprays vielleicht?

Huh. Penisse wirken fast traurig, wenn sie schlaff sind, irgendwie in sich selbst versunken, als würden sie sich schämen. Es ist faszinierend, und ich kann einfach nicht hinsehen, ohne blöd zu glotzen.

Aber auch die Frauen sind splitterfasernackt, alles hängt, und jeder sieht es. Haut riffelt sich, Brüste schlackern und ich bin verdammt beeindruckt, wie entspannt hier alle damit umgehen.

Manche Leute haben auch etwas an, muss man fairerweise sagen, aber ihre Kleidung hat eher einen Tarnkappen-Effekt auf mich, so geblendet bin ich von all dem nackten Fleisch.

So müssen sich Teenager-Jungs fühlen, wenn die Hormone einschießen.

Eine Frau bekleckert sich gerade mit ihrem Eis. Oh nein, das ist doch irgendwie unhygienisch! Und stört es niemanden, wenn der Sand überall kleben bleibt? Die Frau mit dem Eis merkt, dass ich sie anstarre, sie zieht ihre Sonnenbrille auf die Nasenspitze runter, wirft mir über die Gläser hinweg einen Blick zu und grinst mich freundlich an.

Ich muss schnellstens hier weg.

Ich springe auf, stopfe meine Sachen zurück in die Tasche und ergreife die Flucht. Ich stolpere und bekomme beinahe die Brüste einer Frau zu fassen, als ich mich an ihrer Schulter festhalten will. »Entschuldigen Sie!« Während ich im Bogen um sie herumlaufe, halte ich den Blick gesenkt, was nur dazu führt, dass ich mich nervös frage, ob all die Füße zu Leuten gehören, die nackt sind – und ob ihre Körper so aussehen, wie ich sie mir vorstelle, wenn ich von ihren Flip-Flops oder dem Nagellack ausgehe … oder von den Haaren auf den Zehen.

Ich bin gerade völlig gebannt vom Anblick zweier riesiger, männlicher Füße und krampfhaft bemüht, nicht nach oben zu schauen, da stoße ich mit einem Typ um die vierzig zusammen, der nichts weiter als Badeschuhe und ein Goldkettchen trägt – und falle mit dem Gesicht voran in den Sand.

»Ups!« Er geht gerade in dem Moment neben mir in die Hocke, als ich mein Gesicht hebe, um den Sand auszuspucken, und so muss ich ihn aus einem ziemlich ungünstigen Blickwinkel ansehen. Seine Haut ist glitschig vor lauter Sonnenöl, und als er mir hochhilft, hinterlässt das glänzende Abdrücke auf meinen Händen und Unterarmen.

»Geht’s?«

»Alles in Ordnung.« Meine Stimme klingt eine Oktave höher als sonst, ich piepse ein verlegenes »Danke« und mache mich davon, immer noch nach seinem Kokosnuss-Bräunungsöl riechend.

War das unfreundlich? Hätte ich stehen bleiben und mit ihm plaudern sollen? Wie zum Teufel unterhält man sich mit einem glänzenden nackten Mann? Verwirrt haste ich den Weg zurück, den ich hergekommen bin, und bleibe erst stehen, als ich gefunden habe, wonach ich suche.

Hier hat mich der Unbekannte nach dem Nacktbadestrand gefragt. Jetzt, wo ich wieder dort stehe, sehe ich die Wegweiser zum Sunny Isle Beach – wo ich eigentlich hinwollte anstatt zum Haulover Beach. Der Anruf von Thaddeus hat mich komplett abgelenkt.

Ich kann es kaum glauben, aber das Schild nach Haulover bestätigt, was die wagemutig freiliegenden Genitalien mir schon gezeigt haben:

Ich habe den Nacktbadestrand gefunden.

2. Kapitel

Blake

Es kann sein, dass ich die Rundungen und Kurven eines weiblichen Körpers bemerke – aber sobald ich meine Hände auf die Frau lege, wird sie zu Muskeln und Gewebe und Körperteilen mit lateinischen Namen, die ich in Anatomiebüchern gelernt habe. Die einzigen Knicke, die ich mit einer Patientin näher erforsche, sind die in ihrem Nacken. Ich vermische niemals Geschäft mit Vergnügen.

Meine Patientin zuckt, als ich ihren Trapezmuskel durchknete. Ich lege eine Pause ein.

»Hast du die Dehnübungen gemacht, die ich dir empfohlen habe, Carla?«

Sie zögert, während sich ihre Schultern noch etwas mehr anspannen.

»Vielleicht nicht jeden Tag.«

Oder noch nicht mal jede Woche. Ich drücke meine Daumen entlang ihrer Wirbelsäule bis zu dem Knoten zwischen ihren Schulterblättern.

»Das merkt man. Du wirst noch einen Buckel vor lauter Stress bekommen, wenn du nicht damit anfängst. Also, ich sage ja nicht, dass ein Quasimodo nicht attraktiv sein könnte, aber …«

»Schon verstanden. Die Übungen haben mir aber wehgetan. Ich habe versucht, sie zu machen, aber es hat sich angefühlt, als würde jemand mit einem Messer in mich stechen.«

»Ich weiß, dass es nervt, vor allem am Anfang, aber es wird besser. Je häufiger du sie machst, desto weniger tut es weh.«

Sie seufzt. »Na gut. Ich mache die nervigen Übungen.«

Ich schüttle den Kopf. Wie viele Verletzungen man vermeiden könnte, wenn die Menschen sich besser um sich selbst kümmern würden! Nach einer Massage fühlen sie sich eine Weile lang gut, aber würden sie selbst an sich arbeiten, würden sie sich noch viel besser fühlen. Viel zu viele Leute wollen eine schnelle Lösung – wenn es sie nicht gäbe, hätte ich weniger Arbeit. Andererseits ist Carla genau der Typ Frau, die alles von anderen erledigen lässt. Wenn sie jemanden dafür bezahlen könnte, dass er ihre Dehnübungen übernimmt, würde sie es tun.

Ich verreibe mehr Öl zwischen den Händen und arbeite mich ihre Waden entlang nach oben. Als ich einen besonders harten Knoten massiere, spüre ich Stiche in den Unterarmen, und ich weiß, dass ich ihnen heute Abend ein Eisbad gönnen muss. Ich habe in letzter Zeit zu viele Kunden angenommen, weil ich bald Urlaub habe.

Carla verlagert ihre Position auf der Massagebank. »Hast du schon Pläne für den Sommer?«

»Tatsächlich bist du meine letzte Kundin für die nächsten zwei Wochen.« Die in zehn Minuten beginnen – nicht, dass ich runterzählen würde.

»Oh, fährst du irgendwo hin?«

»Nö. Ich habe mir vorgenommen, zu Hause zu bleiben und so wenig wie möglich zu tun. Wie sieht’s bei dir aus?«

»Teddy und ich werden erst in unser Haus in den Hamptons fahren. Meine Schwiegermutter lässt in der Schweiz in einem sehr exklusiven Spa etwas machen, also werde ich sie begleiten … Was interessant werden dürfte.«

»Versteht ihr euch gut?«

»Nein. Ich hoffe, sie ziehen ihr die Haut so straff, dass sie aussieht, als wäre sie in einem Windtunnel eingefroren. Dann kann sie ihr höhnisches Lächeln nicht mehr aufsetzen.«

Wir lachen über die Vorstellung.

»Sie hört sich schlimm an.«

»Sie ist grässlich. Aber ich liebe Teddy genug, um die missgünstige alte Streitaxt zu ertragen.«

Ich spüre ihre Anspannung, während ich fest auf einen Trigger-Punkt drücke und warte, dass er sich löst.

Teddy und sie haben immer etwas von Komplizen, und eine solche Beziehung gefällt mir. Leider waren die meisten Frauen, die ich in letzter Zeit kennengelernt habe, eher solche, um die man sich kümmern soll, als gleichberechtige Partner. Ich suche weder eine verwöhnte Prinzessin noch eine Frau, die so abgestumpft und misstrauisch geworden ist, dass sie nur noch das Schlimmste von mir annimmt. Nein, ich suche jemanden, mit dem man Abenteuer erleben kann.

In den letzten Minuten der Stunde überarbeite ich nochmals kurz Carlas Oberschenkelmuskulatur, und dann beginnt meine zweiwöchige »Staycation«, wie man jetzt so schön sagt. Urlaub auf Balkonien.

»Das war’s. Mach deine Hausaufgaben.«

Sie seufzt.

»Dehnen, dehnen, dehnen. Ich melde mich, wenn ich aus Europa zurück bin, um eine neuen Termin auszumachen.«

»Hab einen schönen Urlaub.«

Ich wische mir die Hände an einem Handtuch ab und werfe es in den bereitstehenden Korb in der Zimmerecke. »Du auch.«

Ich verlasse den Raum, damit sie sich ungestört anziehen kann, mache ein paar Dehnübungen, um die Verspannungen in meinen Unterarmen zu lösen, und notiere ein paar Anmerkungen in Carlas Akte. Danach schrubbe ich meine Hände und Arme im Waschbecken.

Mein bester Freund, Shawn, ruft an, als ich mich gerade abtrockne. Ich schnappe mir mein Handy vom Tresen. »Hallo?«

»Jetzt ist sie verdammt nochmal völlig verrückt geworden!«

»Wer ist verrückt geworden?«

Er bellt in den Hörer: »Meine Schwester. Es ist unglaublich!«

Dass er sich so aufregt, bringt mich zum Grinsen. Das Wildeste, was seine jüngere Schwester jemals täte, würde noch nicht einmal eine alte Betschwester zum Erröten bringen. Melanie ist viel zu verantwortungsbewusst. Als wir noch zur Schule gingen, hat sie sich immer benommen wie ein verärgerter, wichtigtuerischer Nachbar und Shawn und mich verpetzt, wenn wir abhauen wollten, um auf eine Party zu gehen.

»Also, was ist los?«

»Sie hat aus heiterem Himmel drei Wochen Urlaub genommen.«

Ich verstehe es nicht.

»Na und? Sie hat einen ziemlich stressigen Job. Es ist Sommer. Mein Urlaub fängt auch heute an.«

»Aber sie tut so was normalerweise nicht. Sie hat auf irgendeiner Website ihre Wohnung für ein paar Wochen mit einer völlig Fremden getauscht. Das ist etwas ganz anderes als eine Pension mit Frühstück. Glaub mir, da stimmt etwas nicht.«

Ich verziehe nachdenklich das Gesicht. Es stimmt schon, Melanie ist ein ziemlicher Kontrollfreak und keine Frau, die einfach spontan irgendwohin fährt. Schnell mal nach Florida jetten und im Haus einer Fremden wohnen passt überhaupt nicht zu ihr.

»Mel ist nicht gerade der Fühlt-euch-wie-zu-Hause-und-ihr-könnt-auch-die-Füße-auf-meinen-Tisch-legen-Typ«, gebe ich zu.

»Und jetzt ist es ihr egal, dass eine völlig Fremde unbeaufsichtigt in ihrer Wohnung lebt. Ich weiß nicht, wie sie darauf gekommen ist, aber das ist eigentlich gar nicht ihr Ding. Vielleicht ist sie auf Drogen. Ich habe mal gehört, dass Drogen in der Mode- und Verlagsbranche überall zu haben sind. Glaubst du, sie ist in so einen Scheiß verwickelt?«

»Nie und nimmer. So was macht sie nicht – und Drogen gibt es eher in der Musikbranche als in Verlagen. Ich habe gehört, Alkohol wäre das Suchtmittel der Wahl für Autoren. Vielleicht hat sie einfach nur mal eine Pause gebraucht.« Ich lehne mich gegen den Tresen. »Du hast recht, es ist merkwürdig, aber du kannst nichts dagegen tun. Sie ist erwachsen.«

»Na ja, es gibt schon etwas, was wir tun können.«

»Wir?«

»Du musst mir einen Gefallen tun und nach Florida fahren, Alter.«

Ich lache. »Ich kann nicht einfach nach Florida fahren und deiner Schwester hinterherspionieren.«

Er stöhnte genervt. »Wir reden hier über meine kleine Schwester. Mel? Das Mädchen, das den Bindestrich in anal-fixiert gesetzt hat?«

»Ich verstehe, was du meinst. Wenn du dir solche Sorgen um sie machst, warum fährst du nicht selbst hin?«

»Aus drei Gründen: Erstens würde sie mir in den Hintern treten, wenn ich mich einmische. Und wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass alles fein ist, will ich nicht darauf herumgetrampelt haben, wenn sie das erste Mal entschieden hat, etwas zu tun, was sie aus ihrer Komfortzone lockt. Wenn es alles richtig und sicher ist, könnte es ihr auch guttun. Zweitens wird mein Chef mir momentan nicht freigeben.«

»Und drittens?«

Er räuspert sich. »Die Braut, mit der sie die Wohnung getauscht hat, ist verdammt heiß.«

»Woher weißt du das?«

»Ich bin zu Mels Apartment rübergegangen, als ich von dieser albernen Aktion gehört habe. Ich musste selbst nachsehen, für den Fall, dass es sich um irgendeinen Freak oder eine Kriminelle gehandelt hätte, die nur darauf wartet, sie abzuzocken. Ich dachte, ich würde Mels Apartment bis auf die Glühbirnen leer vorfinden, weil alles ausgeträumt worden ist, oder dass die Frau dort eine rauschende Party gefeiert und den Laden völlig verwüstet hat.«

»Was nicht der Fall gewesen ist.«

Er schnieft. »Im Gegenteil. Wir haben angefangen, uns zu unterhalten und – du weißt, wie es ist.«

Ich schüttle den Kopf. »Und du hast freundlicherweise angeboten, ihr die Stadt zu zeigen?«

»So etwas in der Art.«

»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du am Ende doch noch einen Tritt in den Hintern bekommst. So oder so.« Ich zögere. »Mel ist also tatsächlich in Florida?«

»Ist sie. Wenn du für mich hinfährst, um nach ihr zu sehen, könntest du für den Hinflug sogar meine Meilen nutzen.«

Ich grinse. »Für den Hin- und den Rückflug.«

»Mist, du hast es durchschaut.«

»Du hast es versaut, weil du dich so seltsam genau ausgedrückt hast.«

»Na gut, aber dein verdammtes Hotel zahlst du selbst!« Er lacht. »Also abgemacht?«

Zwei Wochen lang in Florida am Strand Däumchen drehen und das nur für den geringen Preis, nach Shawns Schwester zu sehen? Es ist zwar eine Weile her, seit ich sie das letzte Mal getroffen habe, aber Mel ist die kleine Schwester, die ich nie hatte – und Shawn ist wie ein Bruder für mich. Ich bin es ihm schuldig, dafür zu sorgen, dass es ihr gut geht. Und ich kann eine Auszeit auch verdammt gut gebrauchen. »Schick mir die Flugdaten, die du rausgesucht hast.«

* * *

Als ich in meiner Wohnung ankomme, hat Shawn mir den Reiseplan bereits gemailt.

Er hat den ersten Flug am nächsten Tag gebucht.

Es ist zwar kurzfristig, aber das ist es mir wert. Ehrlich gesagt kann ich den Ortswechsel gut gebrauchen. Ich bin im dritten und letzten Jahr für meinen Abschluss als Physiotherapeut an der New York University. Ich gebe gerne Massagen, aber es geht ziemlich auf den eigenen Körper. Das Motto der letzten Jahre war eigentlich nur erst die Arbeit, dann kein Vergnügen. Wenn ich nicht studiere, dann arbeite ich. Sogar die Sommermonate waren zusätzlich zu meinem vollen Arbeitsplan vollgestopft mit Praktika. Ich arbeite Vollzeit in der einen Klinik und an den Wochenenden in einer anderen. Es ist anstrengend, aber ich will den Abschluss schaffen, ohne Schulden machen zu müssen.

Ich fülle Wasser und Eis ins Waschbecken, tauche meine Unterarme hinein und versuche, mich nicht zu verkrampfen, während die Kälte auf meiner Haut wie tausend Nadelstiche prickelt. Mein Körper wird es mir danken – genau wie am Ende des Sommers, wenn ich mit meinem Praktikum fertig bin und meine Terminplanung einen Gang runterschalten kann, von manisch auf hektisch.

Während ich versuche abzuschalten, wandern meine Gedanken zu Mel.

Ich habe sie seit einigen Monaten nicht mehr gesehen. Es kommt mir gar nicht so lange her vor, aber in der letzten Zeit hat sie es oft nicht zu den Sonntagsessen oder anderen Treffen bei ihrer Familie geschafft. Oder sie war da, aber ich musste zum Seminar »Aktive Entspannungstechniken« oder was auch immer.

Sie ist Leiterin der Personalabteilung bei einem Magazin und sie hat mir neulich einen Gefallen getan. Ich habe ihr alles über die Hippies bei Inner Space erzählt und über die Kollegin am Empfang, die wahrscheinlich einen neuen Job brauchen könnte. Ich hatte das zufällig mitbekommen. Sarah hatte gewirkt wie ein Reh im Scheinwerferlicht, vor dem sich Phyllis drohend aufgebaut hatte, während Fern nur danebenstand.

Später ging Sarah sofort auf das Jobangebot ein und schnitt im Bewerbungsgespräch mit Melanie glänzend ab. Sie scheint eine Gute zu sein; ich bin froh, dass ich ihr helfen konnte. Fern und Ziggy sind an sich keine schlechten Menschen, aber sie machen oft Sachen, über die ich mich ärgere. Und es würde mich nicht wundern, wenn ihre Hauptmasseurin, Phyllis, auf dubiose Praktiken steht.

Ohne eine einzige Frage zu stellen, hat Mel mir den Gefallen getan und Sarah eine Chance gegeben. Ich bin es ihr schuldig nachzusehen, ob es ihr gut geht – genauso wie Shawn. Die Wahrscheinlichkeit, dass Mel in etwas Gefährliches verwickelt ist, geht gen null. Aber wieso sollte ich einem geschenkten Gaul – mit einem Flugticket nach Florida – ins Maul schauen?

3. Kapitel

Melanie

Letzte Woche habe ich so einen Horrortag erlebt, dass ich am liebsten meinen eigenen Tod vorgetäuscht hätte. Sieben Tage später und zwölfhundert Kilometer weit weg von zu Hause fragt sich ein Teil von mir, ob es tatsächlich so schrecklich gewesen ist.

Aber ich weiß, das war es. Sonst würde ich wohl kaum in der Wohnung einer fremden Frau stehen und mit beiden Händen in ihrer Unterwäscheschublade wühlen. Ich nage an meiner Unterlippe und starre auf die winzigen Stofffetzen – hauptsächlich String-Tangas –, die sich zu einem unordentlichen Knäuel verheddert haben. Shelby Kellermanns Hintern ist viel dünner als meiner, was bestimmt daran liegt, dass sie ständig Schwimmen geht. Ihr Surfboard steht in einer Ecke des Schlafzimmers wie ein stummes Ta-da! auf ihre Sportlichkeit. Seine Gegenwart scheint mich zu verspotten.

Die neun Stunden am Tag, die ich angekettet an meinen Schreibtisch verbringe, und dazu die zwei Stunden in der Bahn haben mich über die letzten paar Jahre ziemlich erschlaffen lassen. Shelby braucht wahrscheinlich kein schlechtes Gewissen zu haben, dass sie ihr Fitnesstraining nur einmal in der Woche irgendwie reinquetschen kann. Ich wette, sie findet in ihrem Leben genau die Aktivität, die sie braucht, ganz ohne eine wortkarge und sadistische Spinning-Trainerin namens Nadia.

Sie würde sich sicher niemals von einem Nacktbadestrand vertreiben lassen und das auch noch von ihrer eigenen Schamhaftigkeit. Sie wäre mit den coolsten Leuten dort herumgesprungen und hätte wahrscheinlich sogar noch ein Beach-Volleyball- oder Wasser-Polospiel für alle organisiert. Ein Nackt-Wasser-Polospiel, wo man auf den Schultern eines anderen sitzt und sich der eigene Schritt so richtig schön in dessen Nacken schmiegt … Und ich kann und will mir das noch nicht einmal weiter vorstellen.

Ich habe schlecht geschlafen letzte Nacht, mich von einer Seite auf die andere gewälzt und meine übertriebene Reaktion gestern am Strand bereut.

Die Bodenfliesen fühlen sich kühl unter meinen Füßen an, während ich in Shelbys Schlafzimmer hin und her laufe, alles darin unter die Lupe nehme, nur um festzustellen, wie groß der Unterschied zwischen unseren Leben ist. Alles hier wirkt so … frisch. Zitronengelbe Wände mit weiß gestrichenen Zierleisten. Helle silbrig-graue Bettwäsche, darauf liegt eine türkisfarbene Tagesdecke. Die Luft ist erfüllt von einer salzigen Süße, und ich kann immer noch nicht sagen, ob es ein letzter Hauch ihres Parfüms ist oder die Meeresluft, die durch die großen Fenster hereinweht.

Mit einem fast ärgerlichen Stöhnen gehe ich zurück zur Kommode,

schiebe ihre winzigen Höschen in der obersten Schublade zu einem noch dickeren Knäuel zusammen, werfe es in die unterste Schublade und sortiere meine oben ein, sorgfältig geordnet nach Modellen und Farben. Bisher kam mir meine Unterwäsche nicht langweilig vor. Aber bisher habe ich mich auch noch nicht bis über die Ellbogen in fremder, viel exotischerer Unterwäsche wühlend wiedergefunden. Würde man sich nicht an einem Perlen-Tanga – wie soll ich sagen – wundscheuern?

Ich ziehe die unterste Schublade wieder auf und wage einen weiteren voyeuristischen Blick. Das erste Höschen, das ich vorsichtig hochhebe, besteht auf der Vorderseite nur aus zwei Perlenschnürchen und lässt jeden String-Tanga daneben wie einen Keuschheitsgürtel wirken. Kneifen die nicht oder bleiben in den Schamhaaren hängen?

Sei nicht albern, Melanie. Frauen wie Shelby haben keine Schamhaare.

Genervt von mir selbst werfe ich Shelbys Höschen zurück in die Schublade, greife nach meinem Kulturbeutel und gehe damit ins Bad.

Lindgrüne Kacheln an den Wänden, weiße Fliesen auf dem Boden und auf dem großen Waschtisch steht eine Schale mit vom Meer abgeschliffenen Glassteinen darin. Auf dem Rand der riesigen Badewanne sind bestimmt dreizehn verschiedene Shampoos und Pflegespülungen aufgereiht. Ich öffne den Deckel einer Flasche, deren Marke ich nicht kenne, und atme bewundernd den sanften Vanillegeruch ein. Ob Shelby wohl mit meinen beiden einsamen Fläschchen, aus denen es nur nach Seife riecht, das Gleiche macht?

Ich ordne die Haarwaschmittel so an, dass die passenden Shampoos und Conditioner nicht überall verteilt stehen, das Duschgel kommt auf die andere Seite der Wanne. Ich hebe das Handtuch, das neben dem Waschbecken liegt, auf und hänge es auf die Stange. Im Haus einer Fremden zu wohnen statt im Hotel ist seltsam. Es fühlt sich nicht an wie ein sicherer Zufluchtsort tausende Kilometer weit weg von zu Hause. Sondern eher, als wäre Shelby gerade mal zum Laden gegangen und würde jeden Moment zurückkommen und mich in ihrem Haus erwischen. Das macht es mir unmöglich, mich zu entspannen.

Die Tatsache, dass ich allein und weit weg von zu Hause bin, trägt auch nicht gerade zu meiner Entspannung bei.

Im Wohnzimmer herumzuräumen hilft. Shelby hat auf einem Beistelltisch eine kleine Muschelsammlung angehäuft. Ich drehe und wende die Muscheln in alle Richtungen, um sie zu bewundern, und versuche zugleich, sie so zu arrangieren, dass ihre feinen Schattierungen noch besser zur Geltung kommen.

Ich weiß genau, weshalb ich das mache: Dinge zu ordnen hilft mir, nicht mehr an den Strand zu denken. Aber ich bin hierhergekommen, um mal aus allem rauszukommen – und ist ein Nacktbadestrand nicht der Inbegriff dafür, alle Probleme hinter sich zu lassen?

»Warum kann ich denn nicht einfach mal loslassen?«

Aus dem Augenwinkel sehe ich einen orangefarbenen Blitz vorbeizischen und drehe mich schnell zum offenen Fenster um. Dort sitzt ein getigerter Kater mit zuckendem Schwanz und starrt mich aus großen gelben Augen an, als wolle er sagen: Hey Alte, krieg dich mal wieder ein.

Vielleicht redet Shelby nicht so oft mit sich selbst wie ich.

»Wie heißt du, Kleiner?« Ich gehe auf den Kater zu, und als ich vorsichtig meinen Arm nach ihm ausstrecke, reckt er sich meiner Hand entgegen. Ich hatte nie eine eigene Katze, aber die Nachbarn meiner Eltern besaßen einen mürrischen alten Siam-Kater, der mich jedes Mal kratzte, wenn ich versuchte, ihn zu streicheln. Dieser hier scheint auf jeden Fall viel freundlicher zu sein. »Shelby hat mir deinen Namen nicht verraten.« Er muss sich bis jetzt irgendwo versteckt haben. Ich streiche ihm über den Kopf, und er fängt an zu schnurren, als hätte er verstanden, dass ich kein Eindringling bin. Er sieht irgendwie wie ein richtiger Buddy aus. »Ich wollte mir gerade Mittagessen machen. Auch Hunger, Buddy?«

Wie vorhergesehen antwortet er nicht. Aber er kommt sofort angerannt, als ich den Dosenöffner an eine Thunfischdose ansetze, die ich im Schrank entdeckt habe. Ich gebe ihm eine Portion in eine kleine Schüssel und muss lächeln über die leisen Brummtöne, die er ausstößt, während er frisst. Ich halte mein Sandwich in einer Hand und sortiere mit der anderen die Dosen in Shelbys Schrank. Sie scheint Erbsen zu mögen – oder eben gerade nicht, gemessen an den sieben Dosen, die ich vorfinde. Außerdem viele Bohnen und Linsen. Ich habe mir schon lange vorgenommen, mehr davon zu essen, aber ich habe es irgendwie nie geschafft.

Ich lehne mich gegen den Tresen, kaue weiter auf meinem Sandwich herum und betrachte die Wohnung. Allein nach Quadratmetern würde mein Apartment mindestens dreimal hier reinpassen. Ich entdecke noch eine Tür, die mir bisher gar nicht aufgefallen war. Sie führt vom Essbereich auf eine Terrasse, auf der im Schatten eines türkisfarbenen Sonnenschirms ein entzückender schmiedeeiserner Tisch und passende Stühle stehen.

All das und eine Terrasse, auf der es nicht nach Müll stinkt? Ich sollte wohl mal die Rechtslage zum Thema Hausbesetzung studieren.

Der Kater reibt sich an meinem Knöchel und schlüpft dann durch die offene Tür hinaus. Darüber, wie ich ihn hier wieder rausbekomme, muss ich mir also keine Gedanken machen, denn er ist anscheinend genauso ein Freigeist wie seine Besitzerin. Also lasse ich die Tür leicht angelehnt und genieße den Duft, der von draußen hereinweht.

Nachdem ich abgewaschen und das Geschirr wieder weggeräumt habe, gehe ich zurück ins Wohnzimmer und setze mich auf Shelbys weiße Couch. Ich habe noch nie eine weiße Couch außerhalb von Einrichtungs-Magazinen oder albtraumhafter Werbung für Tampons gesehen. Vielleicht sind sie hier ja üblicher? Der Kater kommt kurz darauf hinter mir her und setzt sich auf einen Flecken Sonnenlicht, der durchs Fenster fällt.

Ich versuche es mir gemütlich zu machen, aber es hilft einfach nichts: Ich komme einfach nicht in Shelbys perfektem Haus an, in ihrem perfekten Leben. Die Erinnerung an die sich im Wind wiegenden Geschlechtsteile scheint mich zu verfolgen. Es ist doch lächerlich, dass mich ein bisschen nackte Haut so durcheinanderbringt! Ich bin nicht prüde. Ich fahre jeden Tag mit der U-Bahn zur Arbeit und habe schon vieles gesehen – manchmal an einem Tag. Nackte Menschen machen mir keine Angst. Also warum, verdammt nochmal, verstecke ich mich hier in diesem – zugegebenermaßen wunderschönen – Haus? Und das immer noch im Nachthemd, als würde ich für den Rest des Tages auf der Couch wohnen wollen?

»Ich sollte einfach zurück zum Strand gehen, stimmt’s?«

Buddy zuckt mit dem Schwanz und starrt mich an, so gleichgültig und gelangweilt, wie es nur Katzen können. Dann dreht er sich herum und schaut aus dem Fenster. Wahrscheinlich hat er schon tausend Abenteuer mit seiner lustigen Besitzerin erlebt, während sie lustige Sachen mit lustigen Leuten unternommen hat.

Ich seufze und checke mein Smartphone.

Die vier entgangenen Anrufe von Thaddeus könnten etwas mit meinem Wunsch, hier die Einsiedlerin zu spielen, zu tun haben. Er schafft es, mich zu verunsichern – und sich unsicher fühlen ist nicht gut für den Nacktbadestrand.

Shelby kümmert das Fehlen von Kleidung wahrscheinlich kein bisschen, wenn sie den Strand am Wasser entlang auf und ab stolziert wie eine Gazelle. Warum hat mich das so umgehauen? Was bedeutet schon ein kleiner Kleidung-optional-Strand? Fotografieren ist dort verboten, es war nicht so voll, dass man keine Privatsphäre mehr gehabt hätte, und es waren gerade so viele Leute da, dass keiner besonders aufgefallen ist. Nur ein völliger Blödmann würde dort hingehen, um zu spannen.

Thaddeus und seine Nachrichten können mich nicht daran hindern, mein Handy zu benutzen. Denn wenn ich es für den Rest des Urlaubs im Schrank einschließe, würde ich auch Baileys Anrufe verpassen.

Es ist beschlossen: Das bisschen Nacktheit kann mich nicht vom Strand abhalten.

Mal ganz davon abgesehen, dass ich ja nicht ohne Kleider herumspazieren muss.

Es sei denn, ich will.

Einfach, weil mir danach ist.

Schnell schlüpfe ich in meinen Tankini, ziehe ein leichtes Sommerkleid drüber, greife nach meiner Tasche und marschiere aus Shelbys Haustür hinaus und die Straße hinunter. Dieses Mal bin ich ausgerüstet mit Erfahrung und einem riesigen Sonnenschirm, um jedes Übermaß an nacktem Fleisch aus meinem Blick zu verbannen. Ich habe auch einen großen Hut mitgenommen, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich jemand hinter meine Verteidigungslinie schleicht.

Normalerweise trage ich konservativere Sachen als ein Sommerkleid, selbst wenn ich nicht zur Arbeit muss, aber das ist noch gar nichts verglichen mit dem, was ich nun vorhabe. Hier geht es nicht mehr nur um einen Badeanzug, es geht um Erlösung! Ich biege rechts ab und marschiere weiter, fest entschlossen, das durchzuziehen.

Meine gesamte Motivation ist kurz davor, sich restlos zu verkrümeln, als meine Füße wieder den Sand berühren. Aber ich gehe hocherhobenen Hauptes weiter. Der Schlüssel zum Überleben ist, alle anderen einfach auszublenden.

Ich breite mein Strandtuch so aus, dass meine Füße Richtung Meer zeigen, und stecke meinen Sonnenschirm auf elf Uhr in den Sand, sodass er eine Seite verdeckt.

Na also. Gar nicht so schwierig.

Ich biege die weite Krempe meines Huts herunter und hole meinen E-Reader raus, um mich ganz aufs Lesen zu konzentrieren.

Selbst versteckt unter einem Hut und hinter einer überdimensionalen Sonnenbrille kann ich die Körper anderer Menschen nicht ansehen. Es ist einfach unhöflich. Und ich will von niemandem hier als Spanner bezeichnet werden.

Schon nach kurzer Zeit tue ich nicht mehr nur so, als würde ich mich auf mein Buch konzentrieren. Die Geschichte hat mich mitgerissen, und ich muss kichern über die Frau, die allein und ungeplant eine Reise macht. So wie ich, bloß nicht so dramatisch. Nach und nach entspannen sich meine Muskeln, während die frische Luft und das sanfte Rauschen der Wellen ihren Zauber entfalten. Meine Beine ragen aus dem Schatten des Sonnenschirms hervor und werden langsam immer heißer. Also drehe ich mich auf den Bauch, um meinen Waden auch etwas Sonne zu gönnen. Vielleicht habe ich ja dann bei meiner Rückkehr eine schimmernde Bräune im Gesicht anstatt der üblichen Bildschirm-Blässe.

Damit wird es allerdings nichts, solange ich mich im Schatten verstecke. Ich drehe den Sonnenschirm so, dass mehr Sonne auf meine Haut kommt, und seufze glücklich über die wohlige Wärme auf meinem Rücken.

Die Sonne fühlt sich in Florida anders an, direkter. In New York muss sie mit den Menschen flirten, muss sie aus den Häusern locken, um sie mit ihren Strahlen zu streicheln. Hier ist der ganze Körper von Hitze erfüllt. Überall.

Wie würde es sich wohl anfühlen, die Sonne überall hinzulassen? Nichts mehr zwischen dem Licht und meiner Haut als eine dünne Schweißschicht, direkt hier am Strand.

Was hält mich eigentlich davon ab, mal etwas … Gewagteres zu tun? Ich beiße mir auf die Lippe, und alberne Ausgelassenheit kribbelt durch mich hindurch. Ob ich mich traue, mich auszuziehen? Ich bin zwölfhundert Kilometer weit weg von zu Hause und fahre in zwei Wochen wieder. Niemand würde je erfahren, dass ich mich in der Öffentlichkeit, umgeben von Fremden, freigemacht habe.

Aber ich, ich würde es wissen.

Ich taste ungeschickt am Schalter des E-Readers herum, klappe die Hülle zu, lege das Lesegerät neben mich aufs Handtuch und drehe mich wieder um.

Ich könnte diese Erfahrung in mir selbst lebendig halten, wenn ich nach Hause zurückkehre, ein Geheimnis, das ich nur für mich selbst habe. Eine Kostprobe, wie es wäre, jemand wie Shelby zu sein – selbstbewusst und sicher. Etwas einfach zu machen, weil man es eben machen will, und nicht, um jemand anderen zu beeindrucken.

Nicht verängstigt sein oder gehemmt. Sich keine Sorgen darüber machen, was die anderen denken werden.

Um meine Vermummung loszuwerden, muss ich meinen Hut abnehmen. Die Sonnenbrille lasse ich auf der Nase, um mich dahinter zu verstecken. Ich ziehe mir das Kleid über den Kopf und lege es zusammen, in der Hoffnung, ganz normal zu wirken, auch wenn ich mich dabei unter meinen Sonnenschirm ducke.

Im Sitzen, halb verborgen hinter meinen angewinkelten Knien, streife ich langsam die Träger meines Tankini-Tops herunter. Mist – so ist es eher schwierig als hilfreich, also schiebe ich die Träger wieder hoch und fasse das Top am Saum, um es mir einfach über den Kopf zu ziehen.

Oder ich versuche es zumindest. Der Gummibund unterhalb der Tankini-Cups setzt sich gegen meine Brüste durch, und das Elasthan und ich fechten einen wilden Ringkampf miteinander aus. In meine Schulter fährt ein stechender Schmerz, wie aus Protest, als ich mich schließlich mit einem Ruck freikämpfe. Ich bedecke meine Brüste mit den Unterarmen, drehe mich schnell um und lege mich auf den Bauch.

Ich habe es tatsächlich getan! Nackt sein geschieht!

Na gut, ich bin teilweise nackt – aber das ist doch besser als nichts.

Ich halte die Augen hinter der Sonnenbrille fest geschlossen. Das Badetuch fühlt sich ein bisschen kratzig an meinen Nippeln an, als ich die Arme nach oben schiebe, um den Kopf darauf zu legen. Das hätte mir wohl niemand, der mich kennt, zugetraut! Ich verstecke mein Grinsen im Badetuch.

Es ist sowas von verwegen.

Na gut, das wäre es, wenn ich meine Augen öffnen und mehr preisgeben würde als meinen unbekleideten Rücken. Manche Frauen zeigen in ihren knappen Bikinis und Tangas mehr Haut als ich im Moment. Meine Badehose hat eher etwas von einer Männershorts, sie bedeckt auf größtmögliche Weise meine stattlichen Vorzüge. Verglichen mit den anderen Leuten hier könnte sie genauso gut ein Poncho sein. Sinn und Zweck dieser Übung ist ja, etwas zu tun, was außerhalb meiner Komfortzone liegt.

Eins, zwei, drei. Ich drehe mich herum und setze mich hin. Ich entwirre mein Tankini-Top und lege es ordentlich beiseite auf meine Vermummung. Dabei versuche ich, mich auf etwas anderes als die anderen Leute hier zu konzentrieren.

Die Röte, die mir ins Gesicht steigt, lässt meine Wangen so glühen, dass ich fast überrascht bin, dass meine Sonnbrille nicht beschlägt. Was würde Shelby in so einer Situation machen? Ich weiß nicht, ob sie ein FKK-Fan ist, aber irgendwie bin ich mir sicher, dass sie mutig und abenteuerlustig ist – auch, wenn andere Leute zusehen. Vielleicht sogar genau dann.

Wenn ich schon den Horrortag, der mich hierhergebracht hat, überlebt habe, kann ich auch so schambefreit sein, mein Top an einem völlig seriösen Nacktbadestrand auszuziehen. Himmel nochmal, ich lasse ja nicht auf der Fifth Avenue alle meine Hüllen fallen!

Ich beuge mich über meine Tasche, als würde ich nach Sonnencreme suchen, und spähe verstohlen über die Schulter, um zu sehen, ob irgendjemand den ungeschicktesten Striptease der Welt bemerkt hat.

Ein Glück, niemand schaut.

Kein bisschen.

Huh, wenn ich so darüber nachdenke, bin ich hier wahrscheinlich viel mehr aufgefallen, als ich noch angezogen war. Die Brise fühlt sich einfach großartig an – vielleicht, weil ich gerade so berauscht bin von mir selbst und meinen Taten, dass meine Haut vor lauter Adrenalin sensibler ist. Ein leichtes Schwindelgefühl blubbert wie Champagnerbläschen in mir hoch, und mir wird klar: Ich mag das hier tatsächlich.

So zu tun, als würde ich nach Sonnencreme suchen, ist eine gute Idee gewesen, jetzt, da noch weitere Teile meines Körpers entblößt sind – zarte Bereiche, die noch nie zuvor die Sonne gesehen haben. Ich hole den Sonnenschutz aus der Tasche und verteile noch etwas auf Schultern und Bauch. Dann reibe ich Creme auf meine Nippel. In der Öffentlichkeit. Merkwürdigerweise fühlt es sich gar nicht sexy oder pervers an. Es ist einfach nur angenehm, und der leichte Kokos-Duft passt zu der tropischen Wirklichkeitsflucht dieses Moments.

Ich lehne mich zurück, lasse das unwirkliche Blau des Himmels auf mich wirken, und meine Lippen verziehen sich zu einem albernen Grinsen. Ich habe schließlich nur mein Top ausgezogen und kein wundersames Heilmittel gegen Schnupfen entdeckt. Und wie das mit eigenen Leistungen so ist – darüber spricht man nicht. Niemals. Und dennoch, das alles hier ist so untypisch für mich, dass ich das Gefühl habe, einen ganz neuen Menschen in mir selbst entdeckt zu haben. Jemanden, der Dinge tun kann, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ich dazu fähig wäre.

Das führt dazu, dass ich noch mehr will. Mich noch weiter antreiben.

Meine langen Haare sind wie ein Vorhang, und ich stecke sie zu einem unordentlichen Knoten hoch – jetzt können sie nicht mehr wie ein psychologisches Sicherheitsnetz wirken. Ich kann das hier genauso gut gleich richtig machen, nachdem ich schon so weit gegangen bin! Ich nehme meine Sonnenbrille runter und damit die letzte Möglichkeit, mich zu verstecken. Ich blinzle, bis ich mich an die Helligkeit und daran, dass mein Gesicht so entblößt ist wie meine obere Körperhälfte, gewöhnt habe.

Mein Herz hüpft mir vor wilder Freude in der Brust. Ich muss mich ja nicht gleich zu dem Beach-Volleyball-Spiel der College-Jungs dort drüben einladen oder überhaupt mit irgendjemandem sprechen.

Die Sonnencreme ist wasserfest.

Ich will das kühle Wasser auf meiner heißen Haut spüren.

Ich atme tief ein, stehe auf und marschiere geradewegs auf das Meer zu. Aber schon nach drei Schritten muss ich zu meinem Handtuch zurückhüpfen und meine Flipflops anziehen. Herrje, ist der Sand heiß! Weil ich mir mehr Sorgen mache, was die Leute über meinen Anfängerfehler denken als über meinen halbnackten Körper, würde ich am liebsten den ganzen Weg zum Wasser ausfallen lassen.

Stattdessen laufe ich langsam, aber ohne Pause, und konzentriere mich auf die Bewegungen meines Körpers und wie sich eine schlichte Sache wie Laufen so anders anfühlen kann. Zu Hause beeile ich mich zwar nicht übertrieben mit dem Anziehen, aber auch nach dem Duschen wickle ich mich sofort in ein Handtuch. Jetzt, ohne BH, fühlen sich meine Brüste etwas schwerer an und mit jedem Schritt werden sie mir bewusster.

Vielleicht ist das der Grund, warum manche Frauen keinen BH tragen. Dank dieser Freiheit spüre ich meinen Busen deutlicher, fühle ich mich so … Ich weiß nicht, weiblich?

Weil ich den nassen Sand unter den Füßen spüren will, schleudere ich meine billigen Flipflops kurz vor dem Wasser von mir. Dann gehe ich vorsichtig hinein, den Wellen entgegen, die auf mich zukommen und sanft meine Knöchel umspülen. Das Meer ist wärmer, als ich erwartet hatte, und ich gehe weiter, bis es mir an die Hüften reicht. Ich tauche bis zum Kinn unter, drehe mich um und schaue auf meinen Weg zurück – auch, um sicherzugehen, dass niemand in der Nähe meiner Sachen auf dem Badetuch ist.

Als ich mit den Armen rudere, entstehen kleine Strudel rund um meinen Körper und kitzeln angenehm auf der Haut. Mir wird jetzt klar, wie viel einfaches sinnliches Vergnügen einem sonst entgeht, nur, weil man sich im Namen des Anstands mit Kleiderschichten bedeckt. Aber was ist am menschlichen Körper eigentlich unanständig?

Wir haben alle die gleichen Körperteile. Dieselben Brüste, die von einem Partner liebkost werden, um Lust zu bereiten, können zur Quelle von Nahrung für ein saugendes Baby werden.

Warum gelten die Nippel der Frau irgendwie als obszön und die von Männern nicht? Liegt es daran, dass die weiblichen genutzt werden können, um etwas zu erschaffen? Verstecken wir unsere Nippel, um so die Unsicherheit der Männer über ihre eigenen nutzlosen Brüste zu beruhigen? Wenn überhaupt, sollte es anders herum sein. Die weiblichen Nippel haben einen Zweck. Sie sind funktional. Die der Männer sind dekorativ oder für den Lustgewinn geeignet. Sie sind hedonistisch und sollten diejenigen sein, die man verschämt versteckt.

Ich grinse und mache mir eine mentale Notiz, einem der Redakteure des Magazins einen Artikel in der Richtung vorzuschlagen. Es gab da auch diese Aktion, bei der Frauen Fotos ihrer eigenen Nippel mit Ausschnitten männlicher Nippel bedeckt haben und sie dann online gestellt haben. Das könnte man dafür auch noch verwenden. Ich sollte mir das aufschreiben, sonst vergesse ich es. Vielleicht später – gerade amüsiere ich mich hier so gut.

Ich bewege mich so, dass meine Brüste nicht mehr vom Wasser bedeckt sind und es in kleinen, kitzelnden Rinnsalen meinen Körper hinabfließt. Die Brise ist kühler als zuvor, und meine Nippel werden hart. Der Sand unter meinen Füßen ist wie ein sanftes Peeling zwischen den Zehen und an den Fersen. Das ist nicht sexuell – es ist sinnlich. Genauso wie das großartige Gefühl, das Wasser, die Luft und die Sonne überall auf dem Oberkörper zu spüren. Diese sinnlichen Empfindungen in aller Öffentlichkeit sind für mich ein neues, schlichtes Vergnügen.

Nicht alle Länder sind so prüde wie Amerika. In anderen Ländern bricht auch nicht die Anarchie aus, nur weil es dort einen freieren Umgang mit dem Körper gibt und damit, wer ihn zu sehen bekommt. Hier hat keiner ein Problem mit gewalttätigen Filmen – aber wenn eine Frau ihrem Baby in der Öffentlichkeit die Brust gibt, ist das ein Skandal.

Geht es um das Umfeld?

Ich schiebe mir eine Haarsträhne, die sich aus meinem Knoten gelöst hat, hinters Ohr und richte dann die ganze Frisur neu.

Das muss es sein. Ich meine …

»Melanie?«

Noch ganz in meine Überlegungen versunken, drehe ich mich in die Richtung um, aus der die männliche Stimme gekommen ist – und mein emotionales Sicherheitsnetz der Anonymität zerreißt, als mir auf einen Schlag vier Dinge auf einmal klarwerden:

Dort steht der beste Freund meines Bruders, Blake Blödmann Wilde.

Ich bin immer noch in ihn verliebt.

Ich stehe hier oben ohne.

Und er starrt auf meine Brüste.

Ich bedecke sie mit den Händen und wirble herum, um wegzurennen, aber die Aktion geht in die Hose, weil Sand leider keine gute Grundlage für einen schnellen Fluchtversuch ist. Ich probiere, eine gekrümmte Haltung einzunehmen und so Dekolleté und Unterleib gleichzeitig zu verbergen, übertreibe es aber dabei. Salzwasser spritzt mir ins Gesicht und dringt mir in die Nase.

Panik überwältigt mich, ich rudere wild mit den Armen und meine Beine fühlen sich, allein schon wegen der Peinlichkeit der ganzen Situation, an wie Gummi.

Oh Gott, ich werde oben ohne sterben und das auch noch vor Blake! Es ist so würdelos! Das Salz brennt mir in Nase und Rachen, und ich muss würgen.

Starke, warme Arme schlingen sich von hinten um meine Hüften und halten mich fest, während ich das stechende Wasser aushuste und in den flachen Wellen herumstrampele.

»Alles in Ordnung, Mel. Ich habe dich. Geht es dir gut? Wir sollten uns irgendwo hinsetzen.«

»Ich bin halbnackt!« Ja, stoß ihn noch darauf, nur für den Fall, dass er das bisher noch nicht bemerkt haben sollte. Idiotin. »Mir geht’s gut.« Ich schniefe und wische mir übers Gesicht. »Mein Handtuch liegt gleich da drüben.« Ich zeige mit dem Kopf in die entsprechende Richtung, da ich mit den Händen ja meine besten Stücke bedecken muss.

»Okay, dann mal los. Ich verspreche, nicht hinzusehen.«

4. Kapitel

Blake

Natürlich habe ich hingesehen.

Verdammt. Das war’s mit mir.

Es ist Melanie. Die nervige, verklemmte, kleine Mel … Aber die Sonne glitzert so auf ihren weiblichen Kurven, dass in meinem Kopf ein Kurzschluss ausgelöst wird. Meine Gedanken rebellieren dagegen, sie als etwas zu sehen, was auch nur im Entferntesten an eine Schwester erinnern könnte. Sie wirkt so weich und geschmeidig, und ich will ihre Haut mit meinen Händen und meinem Mund erkunden, um herauszufinden, ob sie sich so glatt anfühlt, wie sie aussieht. Aber ich bin nicht deswegen hergekommen!

Dass sie spontan in den Urlaub gefahren ist, war sehr ungewöhnlich für sie – zumindest haben wir das gedacht. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Ich treffe sie sonst im Haus ihrer Eltern zum Abendessen, aber nun habe ich das Gefühl, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen. Vielleicht ist das auch so. Wer ist diese unerschrockene Frau? Nackt in der Öffentlichkeit mit diesem vollkommenen … Oh nein, ich werde schon fürs Hinschauen in die Hölle kommen!

»Was zum Teufel machst du denn hier?« Sie weicht zurück und kreuzt die Arme vor der Brust, aber der Anblick ihrer Brüste, die überall hinter ihren Armen hervorzuquellen scheinen, lenkt mich verdammt ab.

Ich versuche, mich auf ihre haselnussbraunen Augen zu konzentrieren – eine Mischung aus einem schillernden Grün und einem warmen dunklen Honigton –, aber verdammt seien meine Augenwinkel. Ich habe Shawn versprochen, dass ich nach seiner kleinen Schwester sehen würde und nicht, dass ich sie