Das Mal der Burgherrin - Sabine Müller - E-Book

Das Mal der Burgherrin E-Book

Sabine Müller

0,0

Beschreibung

Homburg 1295: Der junge Ritter Walther von Merburg verliert durch einen Brand alles und wird zum Krüppel. Auf der Burg seines Onkels, Graf Philipp von Homburg, ist er eifersüchtig auf seinen Vetter Simon, der eine strahlende Zukunft als Erbe der Homburg vor sich hat. Während einer Jagd inszeniert Walther einen Unfall, bei dem Simon getötet wird. Doch seine Tante, Gräfin Margareta, lehnt ihn als Erben ab. Sie unternimmt mit ihrem Gemahl eine abenteuerliche Pilgerreise nach Santiago di Compostela, um Gott um ein neues Kind zu bitten. Doch diese Pilgerreise endet anders, als Margareta es sich erhofft hat.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 578

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Mal der Burgherrin

Sabine Müller, 1973 im saarländischen Homburg geboren, ist Apothekerin und Mutter zweier Kinder. „Das Mal der Burgherrin“, welches in ihrer Heimat spielt, ist ihr erster Roman.

Sabine Müller

DAS MAL DER BURGHERRIN

Engelsdorfer Verlag Leipzig 2013

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

ISBN 9783954882588

www.engelsdorfer-verlag.de

Für Karla.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelseite

Impressum

Teil 1: Die Homburg 1295 – 1296

Teil 2: Die Pilgerreise 1296

Teil 3: Zurück 1296 –1297

Teil 4: Kirkel 1297 – 1316

Teil 5: Konrad 1317/1318

Nachwort

Personenverzeichnis

Literatur

Dank

Teil 1: Die Homburg 1295 – 1296

Kapitel 1

Die Tür flog auf. Walther, ein kräftiger junger Mann mit braunen Haaren, humpelte hastig in seine Kammer und schlug die schwere Tür aus Eichenholz hinter sich zu. Er warf den neu geschnitzten Gehstock, den er zum Abstützen benötigte, in eine Ecke. Sein Gesicht war wutverzerrt. Wieso ließ er sich immer von dem jungen Simon reizen?

Simon war sein vierzehnjähriger Vetter, den er, seit sein Bein besser geworden war, tagtäglich bei seinen Waffenübungen begleitete. Der Junge war groß und schlaksig und hatte dunkelblondes, krauses Haar. Das Training mit Armbrust, Langbogen, Lanze und Schwert hatte seinen Körper gestählt und die Sonne seine Haut gebräunt. In seiner kindlichen Arglosigkeit zog er Walther auf, und machte sich bisweilen über dessen Unbeholfenheit lustig. Walther war wegen seines verletzten Beines nicht so schnell wie Simon, ritt nicht so gut, konnte nicht kämpfen, nicht klettern und war zu langsam.

Er fühlte sich völlig unnütz, seit er vor drei Monaten zu seinem Onkel auf die Homburg gebracht worden war. Walther ließ sich auf der Bank in der Fensternische nieder und starrte wütend hinaus. Die Ereignisse, die zu seiner misslichen Lage geführt hatten, gingen ihm durch den Kopf.

Vor wenigen Monaten war alles anders. Sein Vater Dietrich, der Bruder des Grafen Philipp von Homburg, war Herr der Merburg, einer kleinen Burg auf dem Malafelsen im Homburger Wald, die früher die Straße nach Landstuhl bewacht hatte. Es war die Stammburg der Grafen von Homburg, doch nach der Errichtung der Burg auf dem Hohenberg hatte sie an Bedeutung verloren. Walther war vor ein paar Wochen zurück aus den Nordvogesen gekommen, wo er bei dem dortigen Grafen, der weitläufig mit ihnen verwandt war, das Ritterhandwerk erlernt hatte und vom Bischof zum Ritter geschlagen worden war. Sein Vater litt an einem Lungenleiden und er sollte schon bald dessen Stellung übernehmen und über die Ländereien der Merburg regieren. Diese waren zwar durch Erbteilungen mit dem Homburger Zweig der Familie nicht mehr so groß, hätten aber trotzdem ausgereicht, um ihm und seiner Sippe ein gutes Auskommen zu gewähren.

Doch dann kam die Nacht des Feuers, die alles in seinem Leben veränderte.

Walther lag in seinem Bett und träumte, es wäre ein glühend heißer Sommertag. Der Schweiß rann ihm vom Gesicht, bis er von dem beißenden Geruch des Feuers geweckt wurde, welches sich einen Weg durch die Holztür seiner Kammer suchte. Der einzige Ausweg, der ihm blieb, war das kleine Fenster. Er riss das Fell weg, welches die Kammer abgedunkelt hatte, zwängte sich durch die schmale Öffnung und kletterte auf das Fenstersims. Dort blickte er vorsichtig hinunter. Vor dem Wohnhaus war nur ein kleiner Absatz, bis es den steilen Felsen hinunter in den Burggraben ging.

Er zögerte, doch er hatte keine andere Wahl. Er wagte den Sprung in die Tiefe, kam auf dem Absatz nicht zum Stehen und schlitterte ein Stück den Felsen hinunter, bis er sich festhalten konnte. Sein Bein schlug dabei böse auf den harten Felsen auf. Mühsam und unter größten Schmerzen zog er sich den Hang hinauf zu dem Absatz und schleppte sich über die Berme zur Brücke. Irgendwie musste er es geschafft haben, über diese zu gelangen, bis er wenige Meter nach dem Graben bewusstlos zusammenbrach. Die Hörigen der kleinen Siedlung in der Nähe der Burg brachten ihn mit einem Ochsenkarren zum Kloster Wörschweiler, wo er zwei Tage später erwachte.

Sein Bein war gleich mehrfach gebrochen und schmerzte bei jeder Bewegung entsetzlich. Vom Infirmarius, dem Mönch, der für die Pflege der Kranken im Kloster zuständig war, erfuhr er, dass seine Eltern, die ein Stockwerk unter ihm geschlafen hatten, sowie sein kleiner Bruder Rainer und das gesamte Gesinde ums Leben gekommen waren.

Ein alter Knecht war kurz nach Mitternacht im Stall bei brennender Kerze eingenickt und hatte nicht bemerkt, dass diese ins trockene Stroh gekippt war. In Kürze brannte der ganze Stall lichterloh. Das Feuer griff rasch auf das Wohnhaus und den achteckigen Bergfried der Burganlage über. Die Burg brannte bis auf die Grundmauern ab. Walthers Reitknecht Jakob, der die Nacht in der nahe gelegenen Siedlung in den Armen einer Magd verbracht hatte, war der Einzige, der mit ihm überlebte.

Er blieb vier Wochen im Kloster, bis sein Bein es erlaubte, dass er zu seinem Onkel Philipp auf die Homburg gebracht werden konnte. Man hoffte, dass das Bein sich bald wieder erholen würde, doch sein Zustand besserte sich nicht. Das Bein würde für immer steif bleiben.

Leise fluchte er bei dem Gedanken, dass er ewig ein Krüppel bleiben würde, vor sich hin. Graf Philipp hatte zu Walthers Leidwesen beschlossen, ihn ins Kloster Wörschweiler zu schicken, wo er dem Orden der Zisterzienser beitreten sollte. Die Mönche waren für ihre strenge Lebensweise bekannt. Walther liebte das raue Ritterleben, den Kampf, die rauschenden Feste und war auch den Frauen nicht abgeneigt. Ein Leben voller Gebete, Schreib-, Garten- und Handarbeiten im Schutze der Klostermauern konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, geschweige denn, nachts zum Gebet aufzustehen. Außerdem mochte er den dortigen Abt nicht, der nur darauf wartete, dass der Merburger Landbesitz ans Kloster fiele. Dafür hasste er seinen Onkel und dessen Frau Margareta, die diesen in seinen Bestrebungen bestärkte. Niemals würde er ins Kloster gehen! Wenn er doch nur an Simons Stelle wäre, der schon bald mit seiner Ritterlaufbahn beginnen würde und später als Graf von Homburg nicht nur über die Burg, sondern auch über den stolzen, sich im Aufschwung befindlichen Flecken am Fuße der Burg regieren würde. Da Philipp und Margareta keine weiteren Kinder hatten, hätte Walther sogar gute Chancen, an Simons Stelle zu rücken, falls dieser ein Unglück erleiden würde. Ein Funke Hoffnung regte sich in ihm.

Sein Blick wanderte über das Homburger Land. Dieses könnte alles ihm gehören. Die Wälder, Auen, Bäche, Teiche, Bauernhöfe und Siedlungen. Stattdessen sollte er sein Leben als Krüppel in einem Kloster fristen. Das konnte einfach nicht sein!

Plötzlich klopfte es an die Tür.

„Was ist?“, fragte Walther verärgert.

„Gestattet Ihr mir einzutreten, Herr?“, ertönte die Stimme seines Reitknechts Jakob.

„Komm rein.“

Jakob war nur wenige Jahre älter als Walther, von hagerer Gestalt und hatte einen leicht durchtriebenen Gesichtsausdruck. Er war Walthers einziger Vertrauter. Mit ihm konnte er über alles reden.

„Wollt Ihr nichts essen, Herr? Habt Ihr Euch wieder über Simon geärgert?“

„Der Junge bringt mich zur Weißglut! Wenn ich nur einen Weg finden könnte, um ihn los zu werden!“

„Lasst solche Worte nicht Euren Onkel hören, er würde Euch nicht nur ins Kloster stecken!“

„Willst du mir etwa drohen, Jakob?“

„Nein, nein mein Herr, Ihr versteht mich falsch. Ich meine nur, Ihr solltet Vorsicht walten lassen. Eure Tante Margareta scheint Euch nicht zugetan zu sein. Sie spürt, dass Ihr Simon nicht mögt. Sie hat Ritter Thomas gebeten, Euch im Auge zu behalten.“

„Gut, dass du mir das sagst. Diese Frau ist mir genauso zuwider wie Simon! Sie war es, die Philipp erst auf den Einfall mit dem Kloster gebracht hat. Ich muss mir etwas überlegen! Ich werde nicht ins Kloster gehen! Ich bin Ritter und kein Betbruder!“

„Beruhigt Euch wieder! In drei Tagen findet die große Drückjagd statt. Vielleicht könnte da etwas Unvorhersehbares geschehen.“

„Wie meinst du das?“

„Nun, wenn so viele Ritter mit der Armbrust unterwegs sind, wer weiß, vielleicht ein Pfeil, der versehentlich darneben geht?“

„Ich verstehe – lass uns runter zum Abendmahl gehen. Später treffen wir uns wieder und besprechen alles.“

Walther ging den Flur entlang und stieg die Treppen hinunter zum großen Rittersaal, wo die Gesellschaft immer tafelte. Jakob folgte ihm wenige Schritte hinterher. Im Eingangsbereich gab es ein Becken mit Wasser, wo sich die beiden die Hände wuschen.

Das Essen war schon in vollem Gange. In dem Saal, in dem bis zu fünfzig Personen Platz fanden, standen vier große Tische aus Eichenholz, der hintere an der Kopfseite war festlich gedeckt. Dort saßen der Graf und seine Familie, Bruder Hubertus, der die grauweiße Tunika der Zisterzienser trug und auf der Burg lebte sowie höhere Gäste des Hauses. Heute waren Verwandte aus Zweibrücken zu Besuch. An den drei vorderen Tischen saßen die Ritter, Edelfrauen, Knappen und das Gesinde, soweit es nicht an der Zubereitung und am Auftragen der Speisen beteiligt war. An den Wänden hingen mehrere prächtige Wandteppiche mit Jagdmotiven. Die kleine Empore gegenüber der Tafel des Grafen war leer.

Walther nahm am Tisch seines Onkels Platz zur linken Margaretas. Die Gräfin trug ein prächtiges blaues Gewand mit einer goldenen Schärpe und einem weißen Schal. Ihre blonden Haare glänzten im Schein der Kerzen und mit ihren strahlend blauen Augen sah sie Walther tadelnd an.

„Kannst du nicht einmal pünktlich sein? Simon war genauso lange draußen auf dem Übungsplatz und ist schon längst hier!“

Walther blickte seine Tante nur wütend an. Er nahm sich ein Stück des Bratens und begann nachdenklich zu essen. Mit seinen Gedanken war er immer noch bei dem Gespräch mit Jakob. Er konnte es kaum erwarten, seine Pläne mit ihm zu besprechen.

Graf Philipp von Homburg, ein Ritter von großer Gestalt mit leichtem Bauchansatz, schütterem, graubraunem Haar, der die vierzig bereits um einiges überschritten hatte, hob sein Glas: „Lasst uns auf Simon anstoßen! Er hat sich heute auf dem Übungsplatz wacker geschlagen. Wenn das so weiter geht, kann er bald zum Ritter geschlagen werden!“

„Auf Simon!“

„Auf Simon!“, rief auch Karl aus Zweibrücken.

„Wenn Simon zum Ritter geschlagen wird, gibt es ein Fest auf der Homburg, wie es die ganze Gegend noch nicht gesehen hat!“

Graf Philipp hatte bewirkt, dass Simon seine Pagenzeit auf der Homburg leisten durfte und nun, erst als Knappe in die Obhut eines anderen Adligen musste. Im Frühjahr würde er nach Zweibrücken gehen und dort in die Dienste des Grafen Walram treten, der Karls Lehnsherr war. Nun wurde er hier schon auf die Knappenzeit vorbereitet und durfte mit den Waffen und Pferden üben.

Philipp wandte sich an Walther, der immer noch in seinem Fleisch herumstocherte.

„Warum trinkst du nicht auf Simon? Gönnst ihm wohl seinen Erfolg nicht?“

Walther erhob leicht seinen Becher und murmelte einen Trinkspruch, um einer Auseinandersetzung zu entgehen.

Karl ergriff das Wort: „Ich freue mich schon auf die Zeit, wenn Simon am Hofe meines Herren sein wird. Aber was soll aus Walther werden? Sein Bein scheint nicht mehr richtig zu heilen!“

„Im Frühjahr wird er ins Kloster Wörschweiler gehen und dem Konvent beitreten. Wir haben mit dem Abt schon alles besprochen“, antwortete Margareta.

„Meint ihr, dass das wirklich gut für ihn ist? Er wurde doch schon zum Ritter geschlagen.“

„Aber er wird nie in der Lage sein, als Ritter zu kämpfen. Er hat weder eine Burg, noch sonstige Mittel und könnte mit seinem Bein nie ein Lehen unterhalten. Was soll er sonst machen? Im Kloster kann er wenigstens einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Außerdem nimmt ihn der Abt des Klosters, der wie die erste Frau meines Vaters von den Grafen von Saarwerden abstammt, sehr gerne und die Merburger Ländereien wären dann auch nicht in fremden Händen. An die Umstellung vom Ritter zum Mönch wird er sich gewöhnen. Das haben andere auch geschafft, so mancher sogar freiwillig.“

Walthers Blick verfinsterte sich bei diesen Worten. Wenn sie doch nur mit diesem Kloster aufhören würden. Wenigstens wusste er nun, dass seine Schonfrist noch bis zum Frühjahr anhalten würde. Bis dahin konnte viel geschehen.

Das Gesinde begann, die Tische abzuräumen. Walther wartete auf einen geeigneten Augenblick, um sich unbemerkt zurückzuziehen.

Er stand schließlich auf und schritt durch den Saal. Am Tisch der Bediensteten sah er Jakob kurz an. Dieser nickte ihm zu. Walther machte sich auf den Weg zu seiner Kammer. Die kleinen Gemächer in dem länglichen Palas waren alle gleich eingeteilt. Gegenüber der Tür befand sich ein Fenster mit Glasscheibe und einer Sitznische mit einem kleinen Tisch. Durch das trübe Glas hatte man einen verschwommenen Blick auf das Gelände südlich der Burg. An der einen Wand stand ein Bett und an der anderen ein hölzerner Waschtisch mit zwei Schemeln, einem Gestell für die Kleider und einer Truhe aus Eichenholz. Die Wände waren weiß gekalkt und im Winter lagen Felle auf dem Boden.

Walther zündete eine Kerze an und wusch sich mit kaltem Wasser aus einem irdenen Krug Gesicht und Hände. Die Erfrischung tat ihm gut, obwohl es mittlerweile winterlich kalt war. Dann setzte er sich auf seinen Lieblingsplatz in der Fensternische und wartete auf Jakob.

Nach wenigen Minuten klopfte es leise an die Tür und der Knecht trat ein. Er hatte einen Krug Wein und zwei Trinkbecher aus Holz dabei.

„Hier lasst uns das Ganze bei einem Becher Wein besprechen, Herr.“

Er stellte die Becher auf den kleinen Tisch, schenkte ein und Walther forderte ihn auf, auf einem der Schemel Platz zu nehmen.

„Nun lass deinen Plan hören, Jakob. Die Gespräche bei Tisch haben mir gereicht. Wieder ging es nur um den geschickten Simon und meine Abschiebung ins Kloster.“

Walther nahm einen Schluck Wein und ließ ihn gierig die Kehle hinunter laufen.

„Wisst Ihr, wie lange Ihr hierbleiben werdet?“

„Sie wollen mich erst nach dem Winter wegschicken.“

„Gut, dann könnte mein Plan gelingen. Nächste Woche ist die große Drückjagd. Da werden einige Adelsmänner mit ihren Rittern aus der Umgebung hier sein. Die Jagd beginnt immer auf einer vorher festgelegten Route. Die Schützen stellen sich an bestimmten Punkten des Fernwechsels der Wildschweine auf und die Jäger treiben die Tiere mit den Hunden aus dem Unterholz. Diese rennen in Richtung Talaue. Ihr Weg ist kurz vor dem Weiher an der Merburg zu Ende. Bis dorthin müssen die Schützen so viele Tiere wie möglich erlegt haben. Ihr müsst Simon dazu überreden, dass er mit Euch noch vor den Jägern loszieht und ihn dann in Schussrichtung der Armbrustschützen positionieren.“

„Ich glaube, ich habe auch schon einen guten Einfall. Es ist seine allererste Jagd, an der er teilnehmen darf. Ich werde ihn dazu überreden, dass er aus der Waffenkammer einen Sauzahn entwendet. Dann soll er sich mit diesem Speer vor dem Weiher im Gebüsch verstecken. Wenn dann der Rest der Rotte angestürmt kommt, muss er probieren, ein Schwein von Hand zu erledigen.“

„Das ist wirklich ein ausgezeichneter Einfall! Er wird genau in der Ziellinie stehen und ich kann ihn von einem der großen Felsen am Weiher aus erwischen! “

„Aber wird Simon da mitspielen?“

„Ich denke schon. Sagt ihm einfach, was das für einen Ruhm für ihn bedeuten würde, wenn er bei seiner ersten Jagd ein Tier mit einem Sauzahn aus nächster Nähe erlegt, während die anderen sich nur mit Pfeil und Bogen trauen!“

„Da hast du recht! Aber was ist mit den Pfeilen? Diese werden doch für alle Teilnehmer mit unterschiedlichen Kerben und Farben gekennzeichnet, damit man den „König der Jagd“ mit den meisten Treffern ermitteln kann. Wird man uns so nicht als Täter entlarven?“

„Ich nehme mir heimlich von einem fremden Ritter drei Pfeile und benutze diese. Dann wird es so aussehen, als hätte dieser Simon getroffen.“

„Ich muss in den nächsten Tagen besonders nett zu ihm sein, damit er mir vertraut und auf mich hört.“

„Und wenn die ganze Sache vorbei ist, müsst Ihr Euch bei Eurer Tante einschmeicheln.“

„Das wird mir nicht leicht fallen, aber lasst uns morgen zuerst einmal die Jagdroute abgehen und zeige mir die Stelle, an der Simon warten soll. Du kannst dich nun zurückziehen, wenn ich erst einmal Graf von Homburg bin, zeige ich mich erkenntlich.“

Jakob verließ das Zimmer. Walther legte seine Gewänder ab und hängte sie über einen Ständer. Er zog sich ein wollenes Nachtgewand über, löschte die Kerze und legte sich nieder.

Obwohl es erst November war, war es schon bitterkalt. Wenn diese Sache endlich geregelt wäre, sollte Jakob ihm eine Magd aus dem Dorf besorgen, die ihm die Nächte versüßen sollte. Er hatte schon lange keine Frau mehr gehabt und eine Frau von der Burg konnte er sich nicht nehmen, weil weder Philipp noch Margareta das dulden würden. Aber die Zeit würde kommen, in der er keine Rücksicht mehr nehmen müsste!

Kapitel 2

Margareta erwachte in den frühen Morgenstunden. Draußen war es noch dunkel, doch sie konnte nicht mehr einschlafen. Vorsichtig schlich sie sich aus dem Bett, um ihren Gatten nicht aufzuwecken. Sie ging in das Ankleidezimmer, wo auf der Anrichte bereits frisches Wasser stand und wusch sich ein wenig ab. Die Gräfin betrachtete sich im Spiegel; trotz ihrer dreiunddreißig Jahre sah sie immer noch jung und frisch aus. Der einzige Makel war ein lindenblattförmiges, braunes Mal unter ihrem linken Schlüsselbein. Philipp sagte immer es wäre wie ein Siegel, an dem er sie jederzeit erkennen könnte. Schon ihre Mutter zierte ein solches Mal, ihr Sohn Simon hingegen hatte es nicht geerbt. Im Sommer trug sie immer einen dünnen Schal, der die Stelle verbarg. Sie rief nach ihrer Zofe. Eine junge Frau mit braunen Haaren, in das schlichte braungraue Gewand der Dienerschaft gekleidet, kam herbeigeeilt.

„Guten Morgen Herrin, habt Ihr gut geschlafen?“

Die Zofe half Margareta in ein dickes blaues Wollkleid.

„Nehmt Platz, ich mache Euch die Haare.“

Margareta setze sich auf einen Schemel und ließ sich die Haare kämmen und flechten.

„Hast du gesehen, Grete, ob die Herrschaften aus Zweibrücken schon aufgestanden sind? Sie wollten zeitig aufbrechen.“

„Der Herr und die Dame haben sich schon angekleidet und packen gerade ihre Sachen zusammen, Herrin.“

„Das ist gut, dann können wir uns bei der Morgenmahlzeit noch verabschieden.“

Die Zofe steckte die Zöpfe der Gräfin hoch und setzte ihr eine weiße Haube auf. Dann legte sie ihr einen weißen gestrickten Schal um den Hals.

„Heute Morgen kommt ein Tuchhändler hoch zur Burg. Er will mir seine Stoffe zeigen. Für den Winter können wir noch einiges gebrauchen, damit wir neue Kleidung stricken und nähen können. Simon hat einen ordentlichen Schuss gemacht, er braucht unbedingt noch ein paar neue Sachen.“

„Das werden sich die Edelfrauen bestimmt auch ansehen wollen.“

Mittlerweile war Philipp ebenfalls erwacht. Sein Kammerdiener half ihm beim Ankleiden, dann trat er auf Margareta zu und küsste sie. Er liebte seine Frau sehr. Margareta war Philipps zweite Gemahlin, seine erste Frau Cornelia war im Kindbett zusammen mit ihrer Tochter gestorben. Lange kam er nicht über diesen Verlust hinweg. Doch dann heiratete er vor fünfzehn Jahren die damals achtzehnjährige Margareta von Ochsenstein. Es dauerte eine Weile, bis er das Vertrauen der jungen Frau gewonnen hatte, doch mit den Jahren wurden sie ein wirklich glückliches Paar. Leider hatte Gott ihnen nur ein Kind geschenkt.

Sie begaben sich gemeinsam auf den Weg zu der kleinen sechseckigen Kapelle, die sich südlich des Palas auf der Unterburg befand. Der Innenraum war weiß gekalkt, das Fenster auf der Ostseite hatte hübsche bunte Glasscheiben und davor befand sich ein kleiner Altar mit einem goldenen Kreuz. An der Westwand stand ein Weihwasserbecken. Beim Eintreten bekreuzigten sie sich. Bruder Hubertus wartete bereits und begann gleich mit der Morgenandacht. Nach deren Beendigung gingen sie in den Rittersaal.

Das Auftragen der Morgenmahlzeit war bereits in vollem Gange. Auch die Zweibrücker kamen gerade herunter.

„Guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.“

„Ja, danke. Guten Morgen.“

„Es ist schade, dass ihr nicht noch ein paar Tage länger bleiben könnt. Die Jagd und das anschließende Festmahl hätten euch bestimmt gefallen.“

„Das tut uns auch leid, aber Karl muss zurück zu Graf Walram.“

Die Pagen hatten nur zwei Tische gedeckt. Das Gesinde speiste morgens in der Küche und im Gesindehaus und aß dort auch eine Kleinigkeit zu Mittag. Nur abends wurde ein gemeinsames Mahl im großen Rittersaal abgehalten. Sie stellten nun frischgebackenes Brot, Butter, Käse und Äpfel auf den Tisch und reichten dazu Milch und verdünnten Wein.

Nach dem Essen erhoben sich die Gäste und verabschiedeten sich von Margareta und Philipp.

„Richtet Simon noch Grüße von uns aus. Wir freuen uns auf ihn. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“

„Das hoffen wir auch, kommt gut heim, auf Wiedersehen!“

Die Zweibrücker begaben sich zu ihren Gefolgsleuten und brachen auf.

Margareta nahm sich einen Apfel. Sie hatte gehofft Simon an der Tafel zu treffen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln, doch dieser schlief noch, genauso wie die anderen Ritter. Nachdem sie den Apfel gegessen hatte, wandte sie sich an Philipp: „Ich gebe Johanna noch ein paar Anweisungen, was sie alles im Tal besorgen soll. Gleich kommt der Tuchhändler mit seinen Stoffen.“

„Ich lass dem Fuhrmann sagen, dass er den Zweispänner für die Hauswirtschafterin richtet.“

„Danke, ich gebe ihr Bescheid.“

Sie erhob sich und verließ ebenfalls den Saal. Dann trat sie auf den Hof. Es dämmerte gerade und Margaretas Blick wanderte über die Burganlage, die immer mehr zum Leben erwachte. Sie bestand aus einer Oberburg, die auf einem Felsplateau errichtet worden war, und einer Unterburg, die sich ein Stück tiefer, um den Felsen herum gruppierte. Auf dem Plateau befand sich der schmale, lange Palas mit den Gemächern von Simon, Walther, Bruder Hubertus und den Rittern. Auch Gäste wurden dort untergebracht und es gab einen Baderaum. Knappen und Pagen schliefen im Dachgeschoss. An den Palas schloss sich im Westen ein breiterer Bau an, in dem sich im Erdgeschoss der Rittersaal und im Obergeschoss die Kemenate der Grafenfamilie sowie Margaretas privates Gemach befanden.

Ein weiteres Gemach stand leer. Es gehörte Philipps Halbbruder, Ludwig von Saarwerden. Dieser war der Sohn von Philipps Vater Friedrich II. und seiner ersten Frau, die kurz nach dessen Geburt verstarb. Ludwig kämpfte 1278 für König Rudolf von Habsburg in der Schlacht von Dürnkrut. Er war einer von sechzig Rittern, die in der Schlacht unter Führung von Ulrich von Kapellen auf dem Marchfeld die entscheidende Wendung brachten. Die Mannen Ottokars von Böhmen wurden in die Flucht geschlagen, obwohl diese zahlenmäßig überlegen waren, und König Rudolf konnte seinen Thron behaupten. Wie viele, die sich in der Schlacht besonders hervorgetan hatten, erhielt auch Ludwig eine Lehensburg in Österreich.

Nach der Schlacht zog er mit seiner Gemahlin Biella von Saarbrücken auf seine neue Burg. Er verzichtete auf alle Rechte an der Homburg.

Margareta überquerte den Oberhof, welcher durch eine Mauer mit Zinnen begrenzt wurde, und stieg die Treppe zur Unterburg hinunter. Dort befanden sich gleich an den Felsen angebaut Marstall und Küche. Gegenüber erhoben sich Gesindehaus und Schmiede, die an die nördliche Mauer angrenzten.

Östlich an das Felsplateau schloss der hohe Bergfried an, in dem sich das Turmgemach des Grafen befand und von dem aus man die ganze Gegend sowie die Via Regalis, die große Heerstraße, überblicken konnte. Auf der Turmspitze wehte eine Fahne mit dem Wappen der Grafen von Homburg – ein weißer Löwe auf blauem Grund – im Wind. An den Turm schlossen die Schildmauer und der tiefe Halsgraben an, welche die Bergnase nach Osten sicherten.

Im Süden vor der kleinen Kapelle befanden sich Keller und Waffenkammer. Im Westen lagen die Stallungen für die Hühner, Kühe und Schweine sowie ein Garten, in dem Gemüse und Kräuter angebaut wurden und ein paar Apfelbäume wuchsen. Dort war die Anlage nur von Palisaden begrenzt, da der anschließende Hang so steil war, dass man keine Mauer benötigte.

Auf dem Unterhof trotteten ein paar Jagdhunde. Nebel und Dunst stiegen von der Burg in Richtung Tal ab. Der Gestank nach Tieren, insbesondere Schweine, Mist und Rauch hing über dem Burghof.

Margareta schlang ihren Schal fester um sich und begab sich in die Küche, wo sie die Hauswirtschafterin Johanna antraf.

„Johanna, Fuhrmann Berthold fährt dich gleich hinunter ins Tal, damit du die Bestellungen für die Jagd aufgeben kannst.“

„Wie Ihr wünscht, Herrin.“

Johanna knickste und ging hinaus auf den Hof, wo bereits der Zweispänner wartete, und nahm auf dem kleinen Karren Platz. Die Pferde setzten sich in Bewegung. Sie fuhren durch das Burgtor, den Bergrücken entlang, bis sie zu dem steilen Weg gelangten, der den Berg hinunter Richtung Dorf führte. Berthold musste den Bremshebel ordentlich ziehen und die Pferde sehr langsam traben lassen, damit sie von dem Wagen nicht den Berg hinunter getrieben wurden. Auf dem Berghügel, der früher von einem Buchenmischwald umgeben war, wuchsen nur noch Gräser und Sträucher und ein paar vereinzelte Bäume. Die übrigen Bäume waren zahlreichen Rodungen zum Opfer gefallen.

Die kleine Siedlung erschien in ihrem Blickfeld. Um einen großen Platz, auf dem sich ein Brunnen befand, gruppierten sich mehrere Häuser. Nur das große Wirtshaus und das Haus des Steinmetzes waren aus Steinen gemauert. Schultheiß, Bäcker, Krämer und Wundarzt hatten strohgedeckte Fachwerkhäuser mit Steinsockel. Um diese besseren Häuser siedelten sich die einfachen Hütten der Burgmannen an, die, wenn sie nicht gerade für den Grafen arbeiteten, einfachen Handwerken, wie Drechseln, Weben, Töpfern oder Schuhe flicken nachgingen. Weiter unten, am Erbach, der munter dahin plätscherte, befand sich das Haus des Metzgers.

Drei Mägde standen an einem Brunnen und unterhielten sich. Neugierig blickten sie zu dem Zweispänner. Der Karren hielt schließlich vor dem Haus des Krämers. Berthold sprang herunter und half Johanna beim Absteigen. Diese klopfte sogleich an die Tür des Ladens und trat ein.

„Guten Morgen, Johanna.“

„Guten Morgen. Ich möchte ein paar Dinge für die Drückjagd bestellen. Die Sachen musst du für morgen richten. Berthold holt sie in der Frühe bei dir ab.“

„Dann sag mir, was ihr braucht.“

„Wir brauchen drei Krüge Honig, vier Fässer Wein, sechs Krüge Met und ein Fass Salzheringe.“

„Morgen früh steht alles bereit.“

Johanna verabschiedete sich von dem Krämer und fuhr mit Berthold weiter zu dem Bauernhof östlich des Ortes. Das Gebiet um die Homburg herum bestand hauptsächlich aus unfruchtbarem Bruch mit Schilfgräsern. Nur auf höher gelegenen Flächen war Ackerbau möglich.

Das Gehöft, welches schon von weitem zu sehen war, war ein Lehen der Burg und hieß Naunhof. Dort ließ sie ebenfalls Dinge für die Jagd richten, in erster Linie Gemüse wie Rüben, Karotten, Kohl, und Nüsse aber auch Schinken und ein Schwein zum Braten. Bei so vielen Gästen mussten zu den Lehnabgaben noch Dinge hinzugekauft werden.

Kurz vor Mittag kehrten Johanna und Berthold zurück.

In der Zwischenzeit war der Tuchhändler eingetroffen und Margareta und die Edelfrauen hatten sich die Stoffe angesehen.

Nach einigen Verhandlungen erwarben sie grünen, braunen, hellblauen, weißen und beigen Stoff und dazu noch Wolle und Garn. Nun würden die Frauen an den kalten Wintertagen eine Beschäftigung haben.

Margareta beschloss nach Simon zu sehen und machte sich auf den Weg zum Ritterübungsplatz, der sich östlich vor der Burg befand. Dort angekommen entdeckte sie ihn gleich. Simon war mit ein paar Rittern zu Gange. Auch Walther war dabei und machte eine scherzhafte Bemerkung zu seinem Vetter. Er wirkte nicht so verbittert wie sonst. Vielleicht würden die beiden doch noch Freunde werden. Aber ganz traute sie Walther nicht über den Weg. Er war so übellaunig und verschlossen. Man konnte es ihm nicht verdenken, bei allem, was er durchgemacht hatte. Trotzdem war sie froh, dass er nach dem Winter endlich ins Kloster gehen würde.

Als Simon sie erblickte, lächelte er kurz in ihre Richtung. Die Gräfin sah eine Weile bei den Übungen zu. Sie war sehr stolz, als sie sah, wie Simon so geschickt mit dem Schwert umgehen konnte.

Als sie zurück zur Burg ging, fragte sie in der Küche die Köchin, eine ältere, rundliche und gutmütige Frau namens Berta, wann das Essen fertig sei.

„Der Eintopf ist bald gar, werte Gräfin.“

Margareta stieg hinauf in den Bergfried zu Philipps Turmgemach, um ihn zum Essen abzuholen. Sie klopfte an und trat ein.

„Na, wie war dein Morgen?“

„Ganz gut. Habt ihr Stoffe herausgesucht?“

„Ja, ich kann Simon ganz neu einkleiden. Kommst du mit zum Essen?“

„Das ist ein guter Vorschlag.“

Im Rittersaal hatten sich Ritter und Knappen einschließlich Simon und Walther bereits eingefunden, als der Graf und die Gräfin eintraten. Das Training an der frischen Luft hatte sie hungrig gemacht. Sie unterhielten sich angeregt. Margareta nickte ihnen lächelnd zu. Sie nahmen am Kopfende der Tafel Platz und der Mönch sprach einen Segensspruch. Das Mahl wurde eröffnet. Die Pagen verteilten das Essen und schenkten Getränke aus. Die Ritter aßen begierig von dem warmen Eintopf und tranken verdünnten Wein dazu. Alle sprachen von der bevorstehenden Jagd und wie man es am besten anstellen sollte, „König der Jagd“ zu werden, denn dieser bekam nicht nur das beste Stück des Bratens, sondern auch noch ein Fass Wein. Auch Simon malte sich seine Chancen aus, was Philipp aber belächelte, weil er nicht glaubte, dass ein Vierzehnjähriger, der noch nicht einmal Knappe war, zu so etwas fähig sein sollte. Bei der Jagd waren sehr erfahrene Jäger zugegen.

Als das Mittagsmahl zu Ende war, beschloss Margareta sich mit den Edelfrauen der Burg in ihren privaten Gemächern zu treffen, um zu planen, was für die Jagd noch zu richten sei.

Sie gingen den ganzen Ablauf durch. Am Vortag der Jagd würden im Laufe des Nachmittags die Gäste eintreffen. Es kamen vier Grafen und höhere Herren zusammen mit ihren Gattinnen, Rittern und Gefolgsleuten. Abends würden sie dann gemeinsam speisen. Die Edelleute würden in den Gästekammern des Palas schlafen. Ritter und Gefolge müssten bei den Knappen auf dem Dachboden und im Gesindehaus untergebracht werden. Vielleicht müsste auch jemand im Wirtshaus übernachten. Das Mahl würde nicht zu lange dauern, da die Jagd vor Sonnenaufgang eröffnet werden sollte. Nach der Jagd würden die Tiere ausgenommen, Felle gehäutet und das Fleisch, welches für abends bestimmt war, gerichtet werden. Die Reste sollten zu Schinken, Wurst und Pökelfleisch verarbeitet werden. Einen Teil durften die Grafen mitnehmen, aber der größte Teil blieb auf der Homburg. Abends würde ein Festmahl abgehalten werden, auf dem der „König der Jagd“ gefeiert werden würde. Sie hatten sogar ein paar Gaukler bestellt, die für ausreichend Unterhaltung sorgen sollten. Am darauf folgenden Tag würde die Gesellschaft wieder aufbrechen.

Kapitel 3

Nach dem Essen ging Walther, auf seinen Stock gestützt, mit Jakob hinaus. Sie begaben sich auf den Weg in Richtung Burgtor. Kurz nach dem Tor kreuzte Ritter Thomas ihren Weg. „Wo wollt ihr denn hin?“

Walther und Jakob sahen sich kurz an und Walther antwortete: „Wir wollen nur in Richtung Naunhof gehen, dort soll eine Kräuterfrau sein, die vielleicht ein paar Kräuter gegen die Schmerzen in meinem Bein hat.“

„Ach so, und ich dachte schon, ihr wolltet euch die Jagdroute ansehen, weil ihr euch irgendwelche Hoffnungen macht!“

Thomas ging grinsend von dannen und Walther und Jakob nahmen den Weg über den Bergrücken und bogen dann in Richtung Südosten zum Wald ab.

„Zum Glück hat sich Thomas abschütteln lassen.“

„Ja, da hatten wir wirklich Glück! Heute Morgen hat auch alles hervorragend geklappt. Simon ist ganz verrückt danach, mit dem Sauzahn ein Tier zu erledigen. Ich habe ihn gefragt, ob er mit mir heimlich vorgehen wolle, damit wir uns an einer günstigen Stelle im Wald verstecken können, von der aus er ganz nah an die Wildschweine herankäme. Er war Feuer und Flamme und hat mich kein einziges Mal mehr „Krüppel“ genannt.“

Sie gingen ein gutes Stück des Weges in den dichten Buchenwald hinein, bis sie zu einer Schneise kamen.

„Hier versammelt sich die Jagdgesellschaft. Zuerst werden die Schützen losgeschickt, damit sie Position beziehen können. Dann machen sich die Treiber und die Hundeführer mit den Hunden auf den Weg. Sie treiben das Wild aus dem Unterholz von den Hängen ins Tal und dieses flüchtet über seinen Fernwechsel bis zu dem Teich im Wald. Unterwegs warten die Schützen und versuchen so viele Tiere wie möglich zu erwischen, aber es werden immer noch einige Tiere unten am Teich ankommen.“

Nach einer kurzen Pause, weil Walther mit seinem Bein nicht so gut laufen konnte, brachen sie auf, den Berg hinunter in Richtung Tal. Ein paar Hasen schreckten auf und flohen hakenschlagend.

„Die Hasen brauchen bei der Jagd keine Angst zu haben. Die Herren zielen nur auf Wildschweine, Rehe, Hirsche und Auerhähne.“

Sie durchquerten das Tal und der Wald wurde lichter.

„Dort vorne links sind die Felsen, auf denen ich warten werde, und Ihr müsst dort im Unterholz vor dem Hang mit Simon ausharren.“

„Die Pferde müssen wir hinter diesem Berg verstecken. Das müsste hoffentlich weit genug sein, dass sie nicht durchgehen, wenn die Treiber mit den Hunden kommen.“

„Lasst uns zurückgehen, Herr, nicht, dass uns Thomas noch vermisst.“

„Ich werde zum Übungsplatz gehen und mich um Simon kümmern.“

Sie machten sich auf den Rückweg. Bergauf war für Walther eine große Qual, Jakob stützte ihn ab, so gut er konnte. Zum Glück konnte er bei der Jagd ein Pferd benutzen.

Am Übungsplatz waren die Ritter und Knappen fleißig damit beschäftigt, mit Pfeil und Armbrust zu üben. Thomas kam zu ihnen herüber.

„Na, habt ihr eure Kräuter bekommen?“

„Leider nicht. Wir haben die Kräuterfrau nicht mehr angetroffen.“

Simon rief von Weitem: „Wo hast du nur gesteckt, hast wohl einen Mittagsschlaf gehalten? Komm und üb dich mit Pfeil und Bogen, damit du bei der Jagd auch einen Treffer landest! Jakob kann auch probieren!“

Walther und Jakob traten zu Simon und nahmen sich Pfeil und Armbrust. Knechte nahmen nicht an der Jagd teil, mussten sich aber trotzdem von Zeit zu Zeit an den Waffen üben, damit sie bei einem Angriff auch mithelfen konnten die Burg zu verteidigen.

Walther ließ Jakob den Vortritt. Dieser nahm die Armbrust und legte einen Pfeil ein. Er spannte die Sehne und zielte auf die Zielscheibe. Der Pfeil surrte los und traf genau ins Schwarze. Jakob war ein sehr guter Schütze. Die anderen sahen ihn bewundernd an.

„Das war großartig! Schade, dass du morgen bei der Jagd nicht schießen darfst! Du hättest gute Chancen, so manch einen Edelmann auszustechen.“

Als Nächster schoss Walther. Sein Pfeil verfehlte die Mitte um einige Fingerbreit.

„Du solltest lieber deinen Reitknecht schießen lassen“, erklang Simon. Jetzt bezog dieser Stellung und schoss in Richtung Ziel. Sein Pfeil verfehlte die Mitte um Daumenbreite.

„Das war zwar noch nicht perfekt, aber immerhin besser als bei Walther!“, lobte ein Ritter. Auch die anderen Ritter und Knappen schossen nun reih um, bis sich Philipp ihnen näherte.

„Na, lasst ihr euren Grafen auch mal für die Jagd üben, damit er nicht als Schlechtester abschneidet?“

Die Ritter ließen dem Grafen den Vortritt und sahen gespannt zu, wie dieser die Armbrust nahm und mit dem Pfeil die Sehne spannte. Er kniff die Augen zusammen, zielte und traf ebenfalls genau ins Schwarze.

„Da, seht her, hat das heute schon jemand von euch geschafft?“

„Ja, Walthers Knecht Jakob!“, antwortete Simon.

„Was, ein einfacher Knecht? Das müsst ihr mir erst einmal beweisen!“

Die Knappen schoben Jakob nach vorne und reichten ihm Pfeil und Armbrust. Dieser verzog leicht das Gesicht. Er setzte den Bogen an, zielte zuerst in die Mitte und zog dann die Armbrust unmerklich etwas zur Seite. Der Pfeil landete am äußeren Rand der Zielscheibe.

„Das dachte ich mir doch gleich, dass das ein Knecht nicht kann! Das war wohl ein Zufallstreffer gewesen!“

Jakob senkte die Armbrust und reichte sie einem Ritter. Er zog sich zurück. Walther schaute ihm nach. Philipp befahl den Knappen, die Waffen wieder in die Waffenkammer zu tragen und die Übungen somit zu beenden. Die Pagen, welche zugesehen hatten, sollten zur Küche gehen, um beim Auftragen des Abendmahls zu helfen.

Doch auf einmal erklang eine leise Musik und Geklapper, welches immer lauter wurde. Schnell eilten die Jungen und Männer dem Lärm entgegen.

Ein Page rief laut: “Die Gaukler kommen! Die Gaukler!“

Tatsächlich zog eine Gruppe von Gauklern den Weg hinauf. Die Musikanten und Sänger gingen zu Fuß und spielten Flöte und Laute und einer trommelte. Auf dem kleinen Wagen saßen ein paar Frauen, die in bunte, hübsche Gewänder gehüllt waren. Das klapprige Pferd wurde von einem großen, kräftigen Mann geführt, der nur ein Feuerschlucker sein konnte. Hinter dem Wagen trotteten ein paar Kinder, Ziegen und ein Hund.

Die Pagen und Burgkinder bildeten ein Spalier und der bunte Zug bewegte sich Richtung Burgtor, wo er zum Stehen kam.

„Wo ist der Herr dieser Burg?“, fragte der Feuerschlucker, welcher der Anführer zu sein schien.

Philipp trat hervor. „Seid gegrüßt, wir haben euch eigentlich erst morgen erwartet!“

„Wir sind einen Tag früher aufgebrochen, weil es sehr kalt zu werden schien. Wir hoffen, dass ihr uns schon heute Quartier gewähren könnt, werter Graf.“

Der Feuerschlucker senkte unterwürfig den Kopf.

„Ihr könnt eure Zelte hier neben dem Übungsplatz aufbauen. Ich werde in der Küche Bescheid geben lassen, dass man euch später etwas zu Essen bringt!“

„Vielen Dank, Herr!“

Die Gaukler führten ihren Wagen zur Seite und begannen gut gelaunt ihre Zelte aufzuschlagen. Sie hofften, dass sie auch nach der Jagd noch ein paar Tage hier verbringen konnten. Philipp schickte einen Pagen zur Köchin und brach mit den Rittern zum Essen auf. Im Saal saßen bereits Margareta, die Edelfrauen und Bruder Hubertus. Dieser segnete wie immer die Mahlzeit und alle langten eifrig zu.

„Könnten die Gaukler nach dem Essen nicht schon ein bisschen für Unterhaltung sorgen, wenn sie schon hier sind?“, fragte Margareta an Philipp gewandt.

„Warum nicht? Ich werde sie vom Haushofmeister rufen lassen, sie sollen aber nur musizieren und singen. Den Rest sollen sie sich für das große Fest aufheben.“

Philipp winkte Ulrich, den Haushofmeister, herbei und unterrichtete ihn.

Als das Essen abgeräumt wurde, betraten die Musikanten und Minnesänger die Empore. Bald schon ertönten abwechselnd lustige Volkslieder und traurige Balladen. Die Sänger erzählten in ihren Liedern von mutigen Rittern, hübschen Burgfräuleins, wilden Drachen und grausamen Herrschern. Margareta liebte die Musik, sie wiegte sich im Takt hin und her. Bald sang der ganze Saal mit.

Bruder Hubertus meinte später zu Philipp: „Lasst Eure Leute nicht zu lange feiern, Herr. Morgen wird ein anstrengender Tag für alle!“

Doch der Graf ließ sie noch eine Weile gewähren, bis er den Musikanten bedeutete aufzuhören. Ohne die musikalische Unterhaltung löste sich die Gesellschaft bald auf.

Kapitel 4

Am Vortag der Jagd musste vieles erledigt werden. Philipp schickte Fuhrmann Berthold zum Krämer und zum Bauer, um die bestellten Sachen abzuholen. Mit den Jägern hielt er eine kurze Besprechung ab.

Währenddessen traf sich Margareta in der Küche mit der Köchin und der Hauswirtschafterin.

„Als Erstes muss Brot gebacken werden, eine Magd soll im Hühnerstall Eier holen. Wenn Berthold mit den Sachen da ist, müssen diese in den Vorratsraum gebracht werden. Ich habe Honig und Nüsse bestellt. Äpfel sind noch genug da. Backt dann die Kuchen.“

„Was sollen wir für heute Abend vorbereiten, Herrin?“

„Für heute Abend braten wir das Schwein, welches wir vom Bauer bekommen. Die Knechte sollen ordentlich Holz herbeischaffen. Dann reichen wir Brot, Wein und Gemüse und Salzheringe für Bruder Hubertus.“

Bruder Hubertus hatte als Mönch ein Gelübde abgelegt, dass er kein Fleisch essen würde, das von Tieren stammte, die mehr als zwei Beine hatten.

„Morgen früh gibt es nur eine schnelle Vesper aus Brot, Butter, Käse und Eiern. Die Männer werden sich für den Mittag Brot und Schinken mitnehmen, für die Frauen bereitet ihr einen Eintopf.“

Die Köchin fuhr sich nervös mit der Hand an die Schläfe. Bei dem Gedanken an die viele Arbeit, die vor ihnen lag, schoss ihr die Röte ins Gesicht und das Herz schlug ihr bis zum Halse.

„Fehlt dir etwas?“, fragte Margareta.

„Nein, nein, ich wäre nur froh, wenn es schon morgen Abend wäre und wir alles hinter uns hätten. Ich habe so ein ungutes Gefühl, als ob irgendetwas schief gehen wird, Herrin.“

„Aber Berta, was soll denn schief gehen? Du hast doch schon so oft für so viele Leute gekocht! Trink mal einen Schluck Wasser, dann wird es dir gleich wieder besser gehen! Für abends nehmen übrigens die Männer zusammen mit dem Metzger das Wild aus. Ich hoffe, sie bringen es rechtzeitig, damit wir nicht zu spät essen. Dazu gibt es Gemüse, Brot, Äpfel in Honig mit Nüssen, Kuchen, Met und Wein. Hoffentlich schießen sie auch einen Vogel für Bruder Hubertus. Rufe die Mägde zusammen, Berta, damit ihr beginnen könnt.“

Margareta wandte sich der Hauswirtschafterin zu: „Johanna, du nimmst dir Grete, Bertram und ein paar Pagen und dann werdet ihr die Gästekammern im Palas für die Grafen herrichten. Anschließend seht nach, wie viele Personen ihr bei den Rittern und Bediensteten unterbringen könnt. Wir brauchen noch zwölf Plätze. Es wäre gut, wenn wir alle hier auf der Burg unterbringen könnten und niemand nach der Feier den steilen Weg hinunter zum Wirtshaus müsste.“

„Wenn alle ein wenig zusammenrücken, wird das schon gehen. Wir machen uns gleich an die Arbeit, Herrin“, entgegnete Johanna.

Margareta machte sich auf den Weg zum Rittersaal. Dort traf sie die Edelfrauen.

„Wir wollen den Saal schmücken, damit es noch festlicher wirkt, wenn die Gäste eintreffen.“

Die Frauen begaben sich an die Arbeit. Sie legten neue Tischdecken auf und verzierten die Tische mit bunten Blättern, Eicheln und Nüssen und stellten Kerzenhalter mit frischen Kerzen auf.

„Na, was haltet ihr von den Gauklern? Hat es euch gestern Abend gefallen?“

„Der Gesang war einfach vortrefflich! Es wäre schön, wenn sie über Winter bleiben könnten. Dann hätten wir jeden Tag Unterhaltung und der Winter würde schneller vorübergehen“, sagte Eleonore, die Frau des Ritters Theodorich.

„Die frechen Frauen würden unseren Männern ganz schön den Kopf verdrehen. Ich weiß nicht, ob ich das so gut finden würde, wenn mein Mann Rupert jeden Abend im Zelt dieser Dirnen verschwinden würde!“, entgegnete Mabilia, die mit ihren vierzig Jahren schon so manches mit ihrem Gatten erlebt hatte.

„Mal doch nicht den Teufel an die Wand! Die Gaukler werden ihre Frauen schon verteidigen.“

„Ich weiß nicht so recht, denen ist doch jedes Zubrot recht.“

„Ich denke, Philipp würde seine Ritter schon im Zaum halten, er weiß schließlich, was sich schickt“, beendete Margareta dieses Gespräch.

Als die Frauen mit ihrer Arbeit fertig waren, begab sich die Gräfin in ihre Gemächer, um dort noch ein paar Sachen zu erledigen.

Auf dem Burghof herrschte reges Treiben. Mägde liefen umher und trugen Dinge von einem Gebäude zum anderen. Knechte fegten den Hof. Das Schwein briet über dem Feuer und es roch nach frischgebackenem Brot. Die Hunde spürten die allgemeine Hektik und bellten aufgeregt.

Auf einmal rannte die Frau eines Gauklers wütend über den Burghof. Sie jagte einen Knecht vor sich her, der ihr nachgestellt hatte. So leicht waren die Gauklerfrauen also doch nicht zu haben. Der Haushofmeister gebot dem ganzen Einhalt: „Knecht, geh zurück zu deiner Arbeit und lass das Weib in Ruhe.“

Der junge Mann ging mit hochrotem Kopf zurück in die Stallungen und die Frau rückte sich erleichtert das Kleid zurecht und trottete von dannen.

Kurz nach Mittag trafen die Gäste ein. Graf Michael und Johann von Kirkel machten mit ihren Frauen Agatha und Sophie den Anfang. Man begrüßte sich herzlich. Die Fuhrwerke wurden bei den Pferdeställen abgestellt und die Bediensteten luden das Reisegepäck ab. Die Hauswirtschafterin und der Haushofmeister geleiteten sie in die Unterkünfte und zeigten ihnen, wo man sich frisch machen konnte. Dann kamen Graf Egbert und Gräfin Mathilde mit ihren Leuten. Als Letzter traf Graf Augustin ein. Seine Gattin war erkrankt und konnte daher leider nicht mitkommen. Der Burghof füllte sich mehr und mehr. Johanna hatte es geschafft, dass niemand hinunter ins Wirtshaus musste. Alle kamen auf der Burg unter.

Die Frauen begaben sich in die Gemächer der Gräfin. Die Grafen und Ritter beriefen zusammen mit den Jägern eine Jagdbesprechung im Rittersaal ein. Der Ablauf der Jagd wurde besprochen und der eine oder andere Becher Wein geleert. Schließlich kennzeichnete man die Pfeile aller Grafen und Ritter für die Ermittlung des „Königs der Jagd“. Achtzehn verschiedene Symbole und Farben waren notwendig. Bruder Hubertus trug diese in eine Liste ein und versah sie mit den zugehörigen Namen. Im Anschluss wurden Ausrüstungen und Pferde gerichtet.

Dann begab man sich zum Abendmahl, die Grafen nahmen mit ihren Frauen am Herrentisch Platz. Die Pagen servierten den Schweinebraten und alles lief so, wie es sich die Burgherrin vorgestellt hatte. Man erzählte, was man in der letzten Zeit erlebt hatte, genoss das Essen und hörte der Musik und dem Gesang der Gaukler zu, die wieder für eine ausgezeichnete Unterhaltung sorgten. Sophie, die junge Frau des Johann von Kirkel berichtete, dass sie ihr erstes Kind erwartete.

„Im Frühjahr wird es das Licht der Welt erblicken.“

„Das sind gute Nachrichten, Sophie! Ich freue mich für Euch. Philipp und ich wir hätten auch gerne noch ein Kind gehabt, aber es hat nicht sollen sein.“

„Ihr habt einen großen und prächtigen Jungen. Ihr könnt stolz darauf sein, einen Sohn wie Simon zu haben. Schon so manche Burg ist gewaltigen Erbstreitigkeiten zum Opfer gefallen, weil es keine männlichen Nachkommen gab.“

„Oder zu viele.“

„Das stimmt auch wieder. Bei Eurem Bruder ist es andersherum. Es gibt einen Erben, aber kein Erbe mehr“, sagte Graf Egbert und sah mitleidig zu Walther hinüber.

„Ja, das ist wirklich eine traurige Sache. Im Frühjahr wird Walther ins Kloster Wörschweiler gehen, dort wird er hoffentlich seinen Seelenfrieden finden.“

„Da wird es bei Euch richtig ruhig, wenn dann auch Simon nach Zweibrücken geht“, warf Mathilde ein.

„Oh ja, ich werde meinen Sohn sehr vermissen. Ich werde schon ganz wehmütig, wenn ich an den Abschied denke!“

Philipp fiel seiner Frau ins Wort: „Nicht jede Mutter hat das Glück ihr Kind so lange behalten zu dürfen, die meisten Pagen verlassen ihr Elternhaus schon mit sieben oder acht Jahren.“

„Du hast recht, aber es fällt mir trotzdem schwer.“

Als das Essen sich dem Ende zu neigte, steckte sich Jakob heimlich Brot und ein paar Bratenstücke unter seinen Kittel. Während noch alle feierten, schlich er sich unbemerkt hinaus. Auf dem Burghof sah er sich vorsichtig um, ein Knecht torkelte aus dem Rittersaal, er ging die Treppen hinunter und entleerte seine Blase. Dann schwankte er wieder zurück. Er hatte Jakob, der im Schatten des Bergfrieds stand, nicht bemerkt. Nachdem die Luft rein war, begab er sich zum Palas und stieg die Treppen hinauf bis zum Dachgeschoss. Er suchte nach der Bettstatt der Ritter des Grafen Egbert. Diese waren dafür berüchtigt sehr schnell zu reiten und immer bei den ersten und besten Jägern zu sein. An dem Wappen des Schildes, welches am Bettpfosten hing, erkannte er schließlich, dass er richtig war. Dann suchte er nach der Jagdausrüstung. Als er sie gefunden hatte, nahm er sich drei der Pfeile, die mit einem schwarzen Ring gekennzeichnet waren, und schlich sich wieder hinaus. Er begab sich ins Gesindehaus, richtete seine Sachen, füllte ein Trinkhorn mit Wasser und legte sich nieder. Morgen musste er als Erster aufbrechen, damit ihn niemand sah.

Jakob war nicht der Einzige, der das Mahl vorzeitig verließ. Auch Simon verabschiedete sich, kaum dass er mit dem Essen fertig war. Er gab vor, müde zu sein.

Simon schlich sich die Treppen von der Oberburg zur Unterburg hinunter und ging um das bebaute Felsplateau herum zum südlichen Hof, wo er zur Tür der Waffenkammer gelangte. Walther hatte ihm heimlich den Schlüssel besorgt. Er sperrte die Tür auf und trat ein. Im Innern zündete er eine Kerze an und sah sich um. An den Wänden hingen Langbögen, Armbrüste, Köcher mit Pfeilen, Schwerter, Lanzen, Speere, Streitäxte, Rüstungen, Helme und Kettenhemde. Simons Blick blieb an einem langen Speer hängen, der aus einem Holzstiel und einem etwa eine Elle langen, spitz zulaufenden Teil aus Eisen bestand, welches innen hohl war. Er nahm es von der Wand, holte ein Tuch unter seinem Umhang hervor und wickelte den Sauzahn darin ein. Dann löschte er die Kerze und machte sich mit vor Vorfreude leuchtenden Augen auf den Weg in seine Kammer, wo er die Waffe unter dem Bett versteckte und sich zur Ruhe legte, aber vor Aufregung kaum schlafen konnte.

Kapitel 5

Auch Jakob konnte kaum Schlaf finden. Aus Angst, dass er verschlafen könnte, sah er dauernd aus dem Fenster, um am Stand des Mondes abzuschätzen, wie spät es war. Schließlich stand er leise auf. Er zog einen Mantel über und wickelte sein Bündel, welches aus den Essensresten, dem Trinkhorn und den Pfeilen bestand, in zwei warme Decken und schnürte sich das Ganze auf den Rücken. Dann holte er seine Armbrust, die er neben seiner Lagerstatt versteckt hielt, und hängte sie sich an einem Band über die Schulter.

Jakob verließ auf Zehenspitzen das Gesindehaus. Er konnte die Burg nicht durch das Haupttor verlassen, weil ihn die Wachen sonst bemerkt hätten. Deshalb schlich er hinter den Ställen, wo zum Glück noch alles ruhig war, zu einer kleinen Pforte zwischen den Palisaden, die im Belagerungsfall als Fluchtweg dienen konnte. Es ging von dort aus steil bergab und er schlitterte fast hinunter. Um auf den Weg zum Wald zu gelangen, musste er sich in östliche Richtung seitlich an der Bergnase entlang hoch bewegen, bis er nach dem Burggraben wieder auf den Bergrücken klettern konnte.

Er blieb im Schatten eines Busches stehen und blickte vorsichtig hoch. Der Weg lag in Blickrichtung der Wachen. Diese liefen von Zeit zu Zeit über den gewaltigen Wehrgang, um sicherzustellen, dass sich keine ungebetenen Gäste näherten. Als er gerade los wollte, entdeckte er einen der Männer und musste in seiner Position verharren. Der Wachposten ging langsam bis zum äußersten Ende der Anlage und spähte über den Übungsplatz in Richtung Wald. Er blieb eine Weile stehen, bis er seinen Gang fortsetzte.

Als Jakob sich gerade erheben wollte, drehte sich der Wachmann noch einmal um. Jakob hielt die Luft an und blieb wie erstarrt stehen, doch der Wachmann sah ihn nicht und wandte sich wieder um. Jakob wartete einen Moment, dann rannte er schnell los.

Nach kurzer Zeit erreichte er den Wald. Er kletterte durchs Unterholz, wo er nur langsam vorankam. Dornen stachen ihm durch die Kleidung ins Fleisch. Er riss sich seine Hosen leicht auf. Die Strecke bis zu den Felsen kam ihm in der Dunkelheit sehr lange vor. Hoffentlich hatte er sich nicht verlaufen. Er musste sich näher am Weg halten. Zum Glück schien der Mond, sodass er die Wege daran erkennen konnte, dass er ein dumpfes Licht sah, wenn er zum Himmel aufblickte.

Als er den Weg gefunden hatte, beschloss er auf diesem zu bleiben. Es dauerte nicht mehr lange, bis er den großen Felsen erreichte. Vorsichtig, damit er nicht abrutschte, kletterte er hinauf. Oben angekommen legte er eine Decke auf den Boden und machte es sich darauf bequem. Mit der zweiten Decke, die er mit Blättern tarnte, deckte er sich selbst zu. Pfeil und Bogen legte er in Position. So musste er nun warten, bis die Jagdgesellschaft eintraf. Falls er einschlafen würde, würde er sicher von dem Bellen der Hunde und den Rufen der Jäger rechtzeitig geweckt werden.

Zur gleichen Zeit, als Jakob noch durch den Wald irrte, wurde Simon von Walther geweckt.

„Wach auf Simon! Guten Morgen!“

Er rüttelte Simon an den Schultern. Dieser kam nur langsam zu sich.

„Was ist denn los Walther, müssen wir wirklich schon aufstehen?“

„Komm schon, du weißt doch, warum wir so früh raus müssen und mach nicht einen solchen Lärm. Es muss keiner mitkriegen, was wir vorhaben!“

Simon schlüpfte aus dem Bett und zog schnell seine Jagdkleidung über. Er packte den Sauzahn, den er, wie Walther ihm geraten hatte, unter seiner Schlafstatt versteckt hatte. Die beiden gingen über den Hof zu den Pferdeställen und sattelten zwei Pferde. Simon nahm sich seinen schwarzen Hengst und Walther nahm mit einer älteren gemächlichen Stute vorlieb, die er öfters zum Ausreiten benutzte. Die Stute würde ihn gewiss nicht abwerfen und ließ sich bei der Jagd sicher gut im Wald verstecken.

Sie warteten, bis die Wache sich auf den Weg zum Bergfried machte, um die ganze Gegend zu überblicken. Dann führten sie die Pferde zum Burgtor, öffneten es vorsichtig und brachten die Tiere zu dem großen Busch auf dem Übungsplatz, banden sie an und befestigten ihre Waffen an den Satteltaschen.

„Lasst uns zum Morgenmahl gehen, damit niemand etwas merkt.“

„Ich bin gespannt, ob ich es wirklich schaffen kann, ein Tier mit dem Sauzahn zu erledigen! Das war wirklich ein guter Plan, Walther. Ich hätte dir so etwas gar nicht zu getraut. Danke, dass du mich mitnimmst, obwohl ich in letzter Zeit nicht gerade nett zu dir war.“

„Ist schon gut, Simon! Außer dir wäre wohl niemand so verrückt, mir zu folgen!“

Walther lachte innerlich schallend, wenn Simon nur wüsste, wie das Ganze enden würde!

Er stützte sich auf seinen Gehstock und so gingen die beiden zurück in die Burg und begaben sich zum Rittersaal. Langsam erwachte der Burghof. Ritter, Jäger und Grafen ließen sich blicken, Knechte, Mägde und Pagen eilten herum und trafen Vorbereitungen für die kleine Morgenmahlzeit und die Jagd.

Im Rittersaal waren Walther und Simon die Ersten.

„Lass uns schnell etwas essen und dann verschwinden. Wir nehmen uns noch Proviant mit.“

Graf Philipp erschien ebenfalls.

„Guten Morgen Simon, du bist wohl schon ganz in Jagdstimmung und ich dachte schon, du würdest verschlafen.“

„Guten Morgen, Vater, ich muss noch ein paar Vorbereitungen treffen, Walther hilft mir dabei. Wir müssen leider schon aufbrechen, bestell Mutter liebe Grüße von mir.“

Simon und Walther erhoben sich; bevor Philipp noch etwas entgegnen konnte, trat Graf Augustin zu ihm und verwickelte ihn in ein Gespräch. So konnte er den beiden nur erstaunt nachsehen. Was die wohl jetzt noch erledigen mussten? Es waren doch schon alle Vorbereitungen getroffen.

Die beiden Vettern indes gingen wieder durch das Tor und winkten der Wache munter zu. Niemand konnte sie noch aufhalten. Sie nahmen ihre Pferde und ritten gemächlich den Weg zum Wald und folgten der Jagdroute. Da sie von Anfang an den breiten Weg benutzten, hatten sie nicht solche Probleme wie Jakob. Sie kamen gut voran und umrundeten schließlich den großen Felsen. Kurz darauf erreichten sie das Gebüsch, wo sie warten würden.

„Ich steige hier ab. Du führst die Pferde über den Hang dort drüben und bindest sie an. Dann kommst du wieder zu mir, es wird nicht mehr lange dauern, bis die Jäger kommen“, sagte Walther.

„Ich werde mich beeilen“, entgegnete Simon und brachte die beiden Pferde weg. Walther spähte zum Felsen hinüber, er kniff die Augen zusammen, doch er konnte nichts erkennen. Hoffentlich war Jakob da. Nervös kaute Walther auf seiner Unterlippe. Es dauerte eine Weile, bis Simon zurückkam.

Dieser kauerte sich gespannt neben Walther.

„Ich hoffe, es geht gleich los und es klappt, damit sich der ganze Aufwand auch gelohnt hat. Ich bin auf Vaters Blick gespannt, wenn er sieht, wie mutig ich bin!“

Gemeinsam warteten sie auf die Jäger.

Währenddessen hatte sich im Burghof die Jagdgesellschaft versammelt. Die Ritter, Grafen und Knappen saßen mit Pfeil und Armbrust bewaffnet auf ihren Pferden, die Taschen voll Proviant. Die Jäger trugen Lanzen und standen mit ihren Hunden bereit. Margareta sah durch die Reihen der Männer und versuchte Simon ausfindig zu machen, doch sie sah ihn nirgends. Sie wollte ihm noch Glück wünschen. Auch Philipp hielt nach ihm Ausschau. Wo mochte Simon nur bleiben? Sie konnten nicht länger warten, gleich würde es dämmern.

„Lasst uns losziehen bis zur Schneise!“, befahl Philipp und der Zug aus Edelmännern, Jägern und Hunden setzte sich in Bewegung. Die Hunde waren noch angeleint und zerrten ihre Herren aufgeregt hinter sich her. Sie versuchten, mit der Nase dicht am Boden die Witterung der Tiere aufzunehmen. Von Zeit zu Zeit war ein aufgeregtes Winseln zu hören. Die Reiter trabten mit ein wenig Abstand hinter den Jägern her. Als sie den Wald erreichten, dauerte es nicht mehr lange, bis sie zu der Schneise kamen, wo sie sich um Philipp versammelten.

Bruder Hubertus, der neben dem Grafen stand, sprach seinen Segen für die Jagd aus.

Dann ergriff Philipp das Wort: „Grafen, Ritter, Knappen und Jäger! Hiermit eröffne ich die Jagd! Möge derjenige mit den meisten Treffern gewinnen! Jäger los und Weidmannsheil!“

„Weidmannsdank!“, antworteten die Männer und bliesen in die Jagdhörner. Im gleichen Moment begann es zu dämmern und die Schützen machten sich auf den Weg zu ihren Positionen entlang des Fernwechsels.

Die Treiber und Hundeführer gingen langsam mit den laut bellenden Hunden los. Es dauerte nicht lange, bis die Hunde die ersten Tiere aufspürten. Von Kleintieren wie Hasen und Kaninchen wurden sie gleich wieder weggezerrt. Die Edelleute waren hinter Schwarzwild her. Ein Auerhahn wäre auch annehmbar.

Die Hunde nahmen die Fährte einer Wildschweinrotte auf und trieben die Tiere aus ihrem Einstand im Unterholz. Die Rotte, die aus fast zwanzig Tieren bestand, machte sich wütend auf den Weg durch den Wald. Die laut bellenden Hunde und lärmenden Jäger trieben die Wildschweine immer weiter. Ein Hund verbiss sich sogar im Fell eines Keilers und dieser rannte mit dem Hund im Schlepptau mit großer Geschwindigkeit weg. Die Schützen warteten bereits. Es war an der Zeit, dass man die Hunde bremste, damit sie nicht von den Pfeilen der Schützen getroffen wurden. Aus diesem Grund hatten früher die Grafen von Homburg mit einem Sauzahn gejagt, doch da dies sehr riskant für die Jäger war und so mancher einem wilden Keiler zum Opfer gefallen war, hatte man sich dazu entschlossen, lieber mit der Armbrust zu jagen.

Derweil lag Jakob in seine Decken gehüllt auf dem Felsen. Es fror ihn und die Knochen taten ihm weh. Er hatte von dem Brot und dem Braten gegessen und einen Schluck aus seinem Trinkhorn genommen. Da es nun hell war, konnte er bis zu den Büschen sehen, wo Walther und Simon warteten. Er hatte Simons Rücken genau im Visier. Von Zeit zu Zeit nahm er seinen Bogen und zielte auf Simon. Wenn nur schon alles vorbei wäre und er endlich seine unbequeme Stellung aufgeben könnte. Er hatte mehrere Äste so drapiert, dass ihn von der Jagdgesellschaft niemand sehen konnte, sogar dann nicht, wenn er sich ein wenig aufrichten würde, um besser mit zielen zu können. Sein Arm begann zu kribbeln, er machte sich Sorgen, dass die drei Pfeile, die er dabei hatte, nicht reichen würden. Hoffentlich ging kein Schuss daneben. Er musste seinem Herrn unbedingt diesen Gefallen tun, denn was würde aus ihm werden, wenn Walther ins Kloster müsste? An Walthers Seite, mit ihm als zukünftigem Grafen von Homburg, müsste er sich nie mehr um seine Zukunft Sorgen machen. Er wäre engster Vertrauter eines Grafen und könnte tun und lassen, was er wollte.

Jakob drehte den Kopf. Er hörte die Jäger näher kommen und bezog Position mit eingelegtem und gespanntem Pfeil und nahm Simon ins Visier.

Walther und Simon hielten sich ebenfalls bereit und duckten sich in den Büschen, damit die Jäger sie nicht sahen. Nun kamen die ersten Wildschweine um den Felsen geschossen. Hunde und Jäger hetzten hinter ihnen her. Sie stürzten ins Tal und Simon nahm den Sauzahn in die rechte Hand hob ihn hoch und stürmte los. Vor dem Teich wurde die Flucht der Tiere, die noch übrig waren, jäh gebremst.

„Schnell, Simon versuch eins zu treffen! Beeil dich!“, feuerte Walther seinen Vetter an und bewegte sich selbst gleichzeitig weiter nach links Richtung Hang, wo er hinkend im Unterholz verschwand. Simon hetzte mit angespanntem Blick auf einen Keiler zu und ließ den Sauzahn auf das Tier nieder krachen, als gerade die ersten Ritter um den Berg kamen, um die letzten Tiere zu erlegen. Doch da traf Simon ein Pfeil und durchbohrte die linke Seite seines Rückens. Simon zuckte zusammen und sank mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden.

Es dauerte einen Moment, bis die Männer die Situation richtig erfassten und sahen, dass einer der ihren niedergeschossen worden war und mit einem Pfeil im Rücken auf der Erde lag.

Graf Augustin zügelte sein Pferd und stieg ab. Er beugte sich zu dem Mann hinunter und drehte ihn zur Seite. Mit Entsetzen erkannte er den Sohn des Grafen. Er berührte seinen Hals, um zu fühlen, ob sein Herz noch schlug.

„Oh Gott, Simon ist tot! Der Sohn des Grafen wurde von einem Jagdpfeil getroffen!“

Die Neuigkeit ging wie ein Lauffeuer durch die Reihen der Männer, die bestürzt innehielten und keinen Gedanken mehr an das Wild verschwendeten.

Graf Philipp näherte sich bestürzt der Stelle, an der sein Sohn lag. Er konnte einfach nicht glauben, was er da sah. Sein einziger Sohn lag am Boden mit einem Pfeil im Rücken! Sein Blut tränkte den Waldboden und alles Leben war aus ihm gewichen. Philipp wurde ganz blass; er sah von einem Augenblick zum anderen um Jahre gealtert aus.