Das mechanische Hirn - Eduard Rhein - E-Book

Das mechanische Hirn E-Book

Eduard Rhein

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Beschreibung

Die Leiche des berühmten Erfinders Professor Hedlund wird aus einem Heißluftballon über Berlin abgeworfen. Die Polizei ist ratlos. Welche Rolle spielt Hedlunds Neffe und Assistent? Und welche der mysteriöse Erwin Pan, der über die Gabe verfügt, Radiowellen zu hören? Als beide Tatverdächtigen verschwinden, übernimmt der wohlhabende Amateurdetektiv Dr. Osten den Fall. Bald entdeckt er eine Spur in Paris, wo in einem populären Varieté ein gewisser Professor Bánksy mit einem Maschinenmenschen auftritt, der über erstaunliche Fähigkeiten verfügt ...

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DAS MECHANISCHE HIRN

KriminalromanvonEduard Rhein & Heinz Stratz

Herausgegeben und benachwortet von Mirko Schädel

Jaron Verlag

Eduard Rhein, geboren 1900 in Königswinter, war ein Multitalent. Er studierte Elektrotechnik, verdiente sein Geld zeitweilig als Geiger, verfasste Fachbücher über Radiotechnik, betreute beim Ullstein-Verlag eine frühe Hörfunkzeitschrift und schrieb mit Eduard Künneke die Operette Traumland. Er arbeitete an der Entwicklung eines Radargerätes mit, erfand das für die Entwicklung der Langspielplatte bahnbrechende Füllschriftverfahren, war seit der Gründung 1946 Chefredakteur der Hör Zu!, die er zur auflagenstärksten Programmzeitschrift Europas machte, und publizierte zahlreiche Bücher. Er starb 1993 in seiner Wahlheimat Cannes.

Von Heinz Stratz, Jahrgang 1897, weiß man dagegen kaum etwas. Er fiel im Zweiten Weltkrieg 1941 in Polen, seine Bücher sind heute nahezu vergessen.

Der Herausgeber Mirko Schädel, Jahrgang 1967, beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte der Kriminalliteratur. Er veröffentlichte die Titel Illustrierte Bibliographie der Kriminalliteratur im deutschen Sprachraum von 1796–1945, 2006; Bibliophilie für Amateure, oder: Auf den Spuren einer verloren gegangenen Kultur der Bücher. Ein Dutzend Weltliteraten und ihre Editionsgeschichte in Deutschland, Privatdruck 2018; Spannung 90 Grad. 333 ausgewählte Schutzumschläge der deutschen Spannungsliteratur von 1912–1942, Privatdruck 2018; und der Titel Eine illustrierte Geschichte der Kriminalliteratur von 1790–1945 befindet sich in Arbeit.

Zu dieser Ausgabe:

Grundlage des Textes ist die 1. Auflage, die unter dem Titel »Mörder neben dir« 1931 im Eden-Verlag, Berlin erschienen ist. Bereits vorher scheint der Text in einer Zeitschrift als Fortsetzungsroman unter dem Titel »Das mechanische Hirn« um 1928 veröffentlicht worden zu sein. Die Rechtschreibung wurde größtenteils der heute üblichen angepasst, offensichtliche Fehler wurden verbessert, manche Eigenarten und Altertümlichkeiten aber auch beibehalten.

Besonderer Dank gebührt dem Erben der Rechte von Eduard Rhein, der dem Verlag diese freundlichst überlassen hat!

Herausgegeben von Mirko Schädel

Erschienen erstmals 1931 im Eden-Verlag, Berlin

1. Auflage 2022

Jaron Verlag GmbH, Berlin

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Henning Lindeke

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISBN 978-3-95552-059-5

INHALT

Der Tote aus dem Freiballon

Der elektrische Mensch

LCM

LCM

Le cerveau mecanique!

Nachwort

DER TOTE AUS DEM FREIBALLON

»Tempo!« – »Acht-Uhr-Abendblatt!« – »Sieben Tage, heute neu!«

Heiser überschreien die Zeitungsverkäufer das Geklingel der Straßenbahnen und das schrille Hupen der Autos an der Ecke der Gedächtniskirche.

»Die Voss …!« – »Nachtausgabe …!«

Die Lichtreklamen des Gloria-Palastes und des Capitols zucken blau, rot und violett in den Nebel und spiegeln sich auf dem feuchten Asphalt.

Neben dem dampfenden Wurstkessel an der Ecke stehen zwei Chauffeure, die Hände in den Manteltaschen.

»Du, Fritze, kiek mal!« Er starrt angestrengt nach oben.

»Aussehen tut det Ding da wie een Ballong …!«

Der andere hebt ärgerlich den Kopf: »Wat kiekste’n dauernd da ruff?«

»Na, Mensch, siehste denn noch immer nischt?«

»Ick seh ja schon! So wat Jroßet …«

Eine helle Frauenstimme klingt auf: »Schau nur, Leo, ein Reklameballon!«

»Ein Freiballon!«

Schon staut sich eine Schar Neugieriger auf den Bürgersteigen. Alle Köpfe recken sich nach oben. Hundert Stimmen schwirren durcheinander.

»Über dem Gloria-Palast!« – »Ein Freiballon!«

»Nee sowat – mitten in der Nacht …«

»Wo – wo ist er denn jetzt?«

Die Menge wird immer aufgeregter. Auch vor den Kinos und dem Romanischen Café steht sie schwarz und gestikulierend.

Ein unheimlicher, runder Koloss, in der Dunkelheit nur schwer zu erkennen, kriecht von Nordwesten her langsam auf die Gedächtniskirche zu. Unvermittelt, gespensterhaft fast, steht er plötzlich in dem farbigen Wechsel der Lichtreklamen. Der untere Teil der Hülle hängt in welken Falten. Der Korb, noch auf dem Dach des Gloria-Palastes schleifend, scheint leer zu sein.

Da wird der Ballon von einem jähen Windstoß ergriffen, gegen die Türme der Gedächtniskirche geworfen.

Ein mehrstimmiger Schrei des Entsetzens. Für den Bruchteil einer Sekunde das Krachen des Korbes – dann das Klirren der elektrischen Leitungsdrähte – ein langer, tiefblauer Funke und ein dumpfes Aufschlagen auf der Straße.

Zugleich klatschen ein paar schwere Sandsäcke nieder, zerplatzen und überstreuen das Pflaster mit ihrem Inhalt. Erloschen ist das Licht in den Straßenbahnen. Fahrgäste drängen heraus, mischen sich aufgeregt in die Menge, die den Abgestürzten umringt hat.

»Rasch, einen Arzt!«

»Rettungswache alarmieren!«

Niemand wagt den Verunglückten zu berühren. Dicht neben ihm hängt der zerrissene Draht herab.

Aber schon hat ein Sachkundiger den Rock ausgezogen. Er wirft ihn über den Arm des Abgestürzten und zieht ihn vorsichtig auf den Bürgersteig. Ein anwesender Arzt übernimmt sofort die Untersuchung. Da naht auch schon im Laufschritt ein Hüter des Gesetzes.

»Überfahren?« Sein Auge blickt streng in der Runde, während er das Notizbuch aus der Tasche holt.

»Abgestürzt!«

»Aus dem Korb gefallen!«

»Aus dem Ballon!«

»Ruhe, nicht alle zugleich!«, kommandiert der Blaue. Dann wendet er sich an den zunächst Stehenden: »Aus welchem Ballon?«

»Dort oben aus dem Ballon, über der Gedächtniskirche.«

Die Blicke richten sich wieder empor: Der Ballon ist fort! Niemand hatte ihn in der Aufregung weiter beachtet, niemand gesehen, wohin er verschwunden.

Ein Kellner des Romanischen Cafés behauptet, der Ballon wäre, um seine Last erleichtert, wieder höher gestiegen und in der Richtung zum Tiergarten davongeflogen.

Der Polizist notiert sich umständlich den Tatbestand. Inzwischen hat der Arzt seine Untersuchung beendet und festgestellt, dass der Verunglückte tot sei.

»Hm … Also Unfall mit tödlichem Ausgang …«

Der Polizist schreibt noch ein paar Zeugen auf und ordnet den Abtransport an. Ein paar Unentwegte bleiben noch zurück und erörtern eifrig den Vorfall, dessen Zeugen sie soeben gewesen.

***

Noch in der Nacht wurde die Mordkommission von dem Vorfall an der Gedächtniskirche verständigt. Die genauere ärztliche Untersuchung hatte ergeben, dass der Tote einen Schädelbruch und mehrere Rippenbrüche erlitten hatte, die von dem Absturz herrühren mochten, dass andererseits aber der Tod bereits vor 24 Stunden eingetreten und merkwürdigerweise durch Schädelbruch verursacht sein musste. Hinzu kam noch, dass der Tote keinerlei Ausweispapiere bei sich trug. Nur in der linken Brusttasche der pelzgefütterten Lederjoppe hatte man eine dänische, elektrotechnische Zeitschrift gefunden. Barmittel waren ebenfalls nicht vorhanden, nur ein mit einem ›H‹ gezeichnetes Taschentuch und ein paar Bleistifte.

Kriminalkommissar Bernicke nahm die Verfolgung der Angelegenheit in die Hand. Er besichtigte noch in der Nacht die Leiche und ließ sich von dem Arzt genau das Resultat der Untersuchung wiederholen. Der Tote war ein mittelgroßer, etwa sechzigjähriger Mann mit intelligenten Zügen und weißem, spärlichem Haar. Das blasse Gesicht schien unnatürlich verzerrt. Gekleidet war er wie ein Mann der besseren Stände, jedoch salopp.

»Sie meinen also«, wandte sich Bernicke an den Arzt, »dass der Tod durch Verletzung der Schädeldecke am Hinterkopf eingetreten ist?«

Er war aufgrund der vorliegenden Tatsachen überzeugt, dass der Ballon aus Dänemark gekommen sei, und richtete sofort eine Anfrage nach Kopenhagen. Weiterhin ließ er allen Polizeipräsidien im Reich die genauen Tatumstände und eine Beschreibung des Toten übermitteln, indem er gleichzeitig ersuchte, ihm die Besitzer von Freiballons namhaft zu machen.

Weiter konnte er im Augenblick nichts tun.

***

Die Anfrage in Kopenhagen hatte zunächst nur den Erfolg, die Mitwirkung der dänischen Behörden bei den Untersuchungen der Berliner Mordkommission zu sichern. Eine Identifizierung des an der Gedächtniskirche abgestürzten Fremden war ihnen ohne Lichtbild nicht möglich, und ein Mann, auf den die Beschreibung passen könnte, wurde bisher in Kopenhagen nicht vermisst. Doch schickte die dänische Polizei ein kurzes Verzeichnis der ihr bekannten Besitzer von Freiballons. Bernicke musste es aber schon nach flüchtiger Prüfung beiseitelegen, da das Alter der benannten Personen nicht annähernd mit dem des Toten in Berlin übereinstimmte.

Auch die aus dem Reich eingelaufenen Meldungen enthielten nichts Beachtenswertes.

Bernicke begann zu überlegen. Hatte er vielleicht eine falsche Fährte eingeschlagen? Der Tote brauchte nicht unbedingt der Besitzer des Ballons gewesen zu sein. Man wusste ja nichts Sicheres, hatte nicht einmal feststellen können, ob sich in der Gondel noch weitere Insassen befanden. Auch wie lange der Ballon unterwegs gewesen, ließ sich nicht sagen. Unter Umständen mochte er von weit her gekommen sein! Und vielleicht lag der Aufstiegsort gar nicht in Dänemark? Gewiss, man hatte die dänische Zeitschrift bei dem Toten gefunden, aber das war schließlich kein genügender Beweis …

Am Nachmittag erhielt Bernicke die Nachricht, dass ein Ballon bei Schwiebus an der polnischen Grenze gesichtet worden sei, von wo er weiter nach Osten trieb. Ob die Gondel Insassen enthielt, ließ sich bei der Höhe des Ballons nicht feststellen.

Die fotografischen Aufnahmen waren inzwischen fertig geworden. Bernicke ordnete an, sie schnellstens an alle europäischen Hauptstädte weiterzugeben.

Als er am Abend das Polizeipräsidium verließ, war er sehr verdrießlich gestimmt. Der unnütz geopferte Sonntag hatte ihn keinen Schritt vorwärtsgebracht.

Auch der Montagvormittag stimmte ihn nicht zuversichtlicher. Es liefen immer wieder Nachrichten ein, die ihm belanglos schienen. Doch kurz nach fünf wurde er in dringender Sache angerufen. Am Apparat meldete sich Professor Lüttger, ein bekannter Berliner Arzt: »Ich erfahre soeben aus den Zeitungen von dem Vorfall an der Gedächtniskirche. Die Beschreibung, die dort von dem Toten gegeben wird, lässt mich befürchten, dass der Verunglückte ein guter Freund von mir, Professor Hedlund aus Soltau, ist –«

»Ein Däne – nicht wahr?«, unterbrach Bernicke gespannt.

»Ja, Professor Hedlund ist Däne, doch seit Jahren in Soltau ansässig. Er besitzt einen Freiballon, um Messungen der Wellenlängen in verschiedenen Luftschichten vorzunehmen. Es wäre also nicht ausgeschlossen, dass er der Abgestürzte ist – dürfte ich mich überzeugen?«

»Aber gewiss, Herr Professor. Uns ist sehr daran gelegen, den Toten zu identifizieren. Bisher blieben leider alle unsere Bemühungen in dieser Richtung erfolglos …«

»Wenn es Hedlund ist, werde ich ihn bestimmt wiedererkennen.«

»Gut, Herr Professor. Ich fahre sofort zum Schauhaus und erwarte Sie dort.«

»In einer halben Stunde bin ich zur Stelle.«

Bernicke hängte an.

Von Professor Hedlund, dem bekannten Forscher auf dem Gebiet der drahtlosen Telegrafie, hatte er natürlich schon gehört. Erst im vergangenen Jahre war sein Name in aller Munde gewesen: Er hatte damals irgendeine aufsehenerregende Erfindung gemacht, von deren Zweck und Bedeutung Bernicke allerdings wenig verstand und die er daher auch kaum beachtet hatte. Technisches Wissen war nicht seine stärkste Seite, was man ja auch von einem Kriminalbeamten nicht verlangen durfte. Er hatte genug andere Dinge im Kopf, deren Kenntnis sein Beruf erforderte.

Der Besuch im Schauhaus beseitigte die letzten Zweifel. Nach dem ersten Blick auf den Toten bestätigte Lüttger, dass es in der Tat Hedlund sei. Trotz einer gewissen Entstellung der Gesichtszüge wäre er bereit, einen Eid darauf zu leisten.

Über die Person des Toten war man nun im klaren. Doch hätte Bernicke gern noch mehr in Erfahrung gebracht. Vielleicht konnte ihm Lüttger auch gleich einen Hinweis auf den mutmaßlichen Täter geben? Er stellte eine diesbezügliche Frage, aber Lüttger wusste so wenig einen Verdacht zu äußern wie Bernicke selbst. Zudem hatte er den Ermordeten zuletzt im Sommer bei einem kurzen Besuch in Berlin gesprochen. Über die Familienverhältnisse und den Bekanntenkreis Hedlunds konnte er nur wenig berichten.

»Am besten setzen Sie sich natürlich mit Soltau in Verbindung«, meinte er, »dort wird man Ihnen wohl eine Auskunft geben können.«

Der Professor reichte ihm zum Abschied die Hand: »Wenn ich noch irgendetwas von Bedeutung höre, will ich mich gern bei Ihnen melden.«

Bernicke fuhr zum Präsidium zurück, rief sofort in Soltau an und ließ sich dort mit dem Polizeikommissar Winkler verbinden. Dieser hatte, wie er mitteilte, eben selbst die Absicht gehabt, nach Berlin zu telefonieren: »Es handelt sich um die Identifizierung des Toten an der Gedächtniskirche. Es besteht die Möglichkeit, dass es –«

»Professor Hedlund aus Soltau ist! Ganz recht, Herr Winkler. Das hätten Sie mir eigentlich schon gestern mitteilen können!«

»Entschuldigen Sie, Herr Kollege … Wir bekamen erst heute die Nachricht –«

»Schon gut – aber können Sie mir jetzt die genaueren Personalien angeben?«

»Jawohl, ich habe alles da. Professor Lars Hedlund ist dänischer Staatsangehöriger, geboren zu Esbjerg, zweiundsechzig Jahre alt und ledig. Er war früher Dozent am Polytechnikum in Kopenhagen. Seit längerer Zeit im Ruhestand, ließ er sich vor fünf Jahren in Soltau nieder. Nachteiliges ist über ihn nicht bekannt. Er besitzt hier eine Villa und ein anschließendes Wiesengrundstück, auf dem sich ein Ballonschuppen befindet. Der Ballon –«

»Einen Augenblick! Lebt der Professor allein in seiner Villa?«

»Nein, mit seinem einunddreißigjährigen Neffen Erik Hedlund und einer vierzigjährigen Hausdame, Fräulein Therese Rhaden.«

»Schön! Fahren Sie bitte fort.«

»Der Ballon dient Forschungszwecken. Professor Hedlund –«

»Wird er vermisst?«

»Bis jetzt erhielt ich keine Mitteilung darüber. Doch will ich mich sofort erkundigen.«

»Nein, lassen Sie das! Ich komme selbst hinüber und nehme die Sache in die Hand.«

»Wie Sie wünschen!«

»Erwarten Sie mich morgen früh in Soltau. Wir fahren dann zusammen zur Villa.«

»Also dann: auf Wiedersehn!«

»Auf Wiedersehen, Herr Winkler.« Bernicke lächelte. Offenbar wäre es seinem Kollegen in Soltau lieber gewesen, die Untersuchung allein einzuleiten. Aber in einer solchen Sache durfte man sich nicht auf die lokalen Polizeibehörden verlassen. Die ungewöhnliche Art dieses Mordes, der Abwurf der Leiche mitten über Berlin, deutete auf einen Verbrecher hin, der nicht leicht zu überführen sein würde. Aber nach den Resultaten des heutigen Tages war Bernicke schon etwas hoffnungsvoller geworden.

***

Am Bahnhof in Soltau wurde Bernicke von Polizeikommissar Winkler empfangen. Die Villa des Professors lag ziemlich weit draußen am Ende der Stadt.

Unterwegs fragte Bernicke: »Und nun erzählen Sie mir, was Ihnen über Hedlund und die Mitbewohner seiner Villa bekannt ist.«

»Man weiß in Soltau wenig über sie. Der Professor galt allgemein als menschenscheuer Sonderling, der sehr zurückgezogen lebte und sich jeglicher Geselligkeit fernhielt. Auch auf der Straße begegnete man ihm selten. Anfangs hat es hier viel böses Blut gemacht, dass er mit niemandem verkehren mochte, aber schließlich beruhigte man sich, da Gelehrte ja meist durch irgendwelche Schrullen auffallen. In letzter Zeit, als Hedlund sich besonders intensiv mit Forschungen auf dem Gebiet der Kurzwellen-Telegrafie befasste – so schrieben wenigstens die Zeitungen –, hat er sich noch mehr zurückgezogen.«

»Und sein Neffe?«

»Herr Erik Hedlund ist erst seit einem Jahr in Soltau. Auch von ihm merkt man wenig, da er wie sein Onkel mit keinem Menschen in der Stadt verkehrt. Man weiß nur von ihm, dass er sich sehr elegant kleidet und häufig über den Sonntag nach Hannover oder Berlin fährt. Gegenwärtig ist er für längere Zeit ins Ausland gereist.«

»Seit wann?«

»Ganz genau kann ich das nicht sagen. Aber vierzehn Tage ist es bestimmt her.«

»In der Villa des Professors lebt auch noch eine Hausdame?«

»Ja, Fräulein Therese Rhaden. Sie ist in Soltau geboren. Ihre Eltern waren einst sehr wohlhabend, büßten aber während der Inflation ihr gesamtes Vermögen ein und starben beide kurz nacheinander.«

»Wie lange ist Fräulein Rhaden in Stellung bei dem Professor?«

»Seit vier und einem halben Jahre.«

»Und welchen Eindruck haben Sie von der Dame?«

»Den allerbesten. Fräulein Rhaden stammt aus einer angesehenen Familie, ist durchaus ehrenhaft und vertrauenswürdig. Sie werden sich ja selbst überzeugen …«

»Sie hat Ihnen noch gar keine Mitteilung gemacht, dass der Professor vermisst würde?«

»Nein, bis jetzt war sie nicht bei mir.«

»Merkwürdig …«

»Die Nachricht stand ja erst heute früh in den Zeitungen.«

»Gewiss – aber zwischen dem Absturz an der Gedächtniskirche und heute liegen zwei Tage. Und eine Weile wird der Ballon wohl unterwegs gewesen sein!«

Das Auto war vor der Villa des Professors angelangt.

Ein kleiner Vorgarten schied das schmucklose, zweistöckige Haus von der Straße; die auffällig große Antenne auf dem Dach ließ die Beschäftigung des Eigentümers erraten. An allen Fenstern der Straßenfront waren die Jalousien herabgelassen und gaben so dem Haus ein unbewohntes Aussehen.

»Man gewinnt fast den Eindruck, als ob die Villa leer stehe«, sagte Bernicke, während sie den Vorgarten durchschritten. Er fasste prüfend die verhangenen Fenster ins Auge. »Gehört es auch zu den Schrullen des Professors, an den Fenstern der Straßenfront die Vorhänge herabzulassen?«

»Es wird wohl damit zusammenhängen, dass der Professor abwesend ist. Die Fenster des Wohnzimmers und des Zimmers von Fräulein Rhaden führen in den Garten hinaus.«

Bernicke hatte auf den Klingelknopf gedrückt. Aber im Hause rührte sich nichts.

Bernicke drückte etwas energischer auf die Klingel. Aber er musste sein Bemühen noch ein drittes Mal wiederholen, bis sich hinter der Tür Schritte vernehmen ließen. Dann fragte eine dunkle Frauenstimme:

»Wer ist da?«

»Polizei!«, brummte Bernicke ohne weitere Erklärungen. »Öffnen Sie bitte!«

Die Tür wurde aufgeschlossen. Ein finsterer Korridor, in dem sie, aus dem Hellen kommend, nichts zu unterscheiden vermochten, nahm die beiden Männer auf. Doch die Dame öffnete schon eine Tür und bat die Beamten, in das anstoßende Empfangszimmer zu treten.

»Ich ziehe sofort die Vorhänge auf«, sagte sie, schritt an den Besuchern vorbei und machte sich an den Fenstern zu schaffen. Bernicke konnte sie unterdessen genau in Augenschein nehmen. Dunkelblondes, glatt über die Ohren zurückgekämmtes Haar rahmte ein ebenmäßiges, schmales Gesicht, das für schön gelten konnte, hätten ihm die Linien um den Mund nicht einen Ausdruck von Verbitterung und Härte verliehen. Bewegungen und Haltung verrieten eine Dame der Gesellschaft, die sich auch in abhängiger Stellung ihr Selbstbewusstsein bewahrt hatte.

Bernicke erriet, noch bevor Winkler es ihm zugeflüstert, dass er Fräulein Rhaden vor sich habe. Eine Frau, die ganz genau weiß, was sie will, überlegte er.

Fräulein Rhaden drehte sich jetzt um und musterte die Besucher mit fragendem Blick. Winkler stellte ihr Bernicke vor, und sie begrüßte ihn durch eine leichte Neigung des Kopfes; ihre Miene zeigte keinen Schatten von Verwunderung.

»Wollten die Herren mich persönlich sprechen?«, fragte sie, während sie einladend auf zwei Ledersessel wies. »Professor Hedlund ist leider einige Tage abwesend und kann Sie nicht empfangen.«

»Abwesend?«

Bernickes Blick sog sich förmlich an ihren Zügen fest: »Ja, lesen Sie denn keine Zeitungen?«

»Wir halten nur dänische und ein paar Fachzeitschriften. Aber weshalb fragen Sie so seltsam?«