Der Brei und das Nichts - Monika Bittl - E-Book

Der Brei und das Nichts E-Book

Monika Bittl

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer meint, dass Mütter geistig nicht ausgelastet sind, irrt. Denn Kinder stellen nicht nur den Alltag ihrer Mütter auf den Kopf – sie stellen auch Fragen, die jedes großen Philosophen würdig wären. So haben Mamas nicht nur täglich mit Windeln, Wäschebergen und Hausaufgaben zu tun, sondern müssen auch Antworten parat haben auf Fragen wie: »Wieso gibt es böse Menschen?« Und sich selbst fragen die Mütter: »Gibt es einen lieben Gott und wenn ja, warum schläft er und nicht ich?« In ihrem neuen Buch erzählen Monika Bittl und Silke Neumayer unterhaltsame Geschichten aus dem philosophischen Alltagswahnsinn der Mütter.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 243

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Monika Bittl / Silke Neumayer

Der Brei und das Nichts

Der völlig unterschätzte philosophische Alltag der Mütter

Knaur e-books

Über dieses Buch

Wer meint, dass Mütter geistig nicht ausgelastet sind, irrt. Denn ohne sich dessen bewusst zu sein, stellen sie sich im Alltag ständig Fragen, die jedes großen Philosophen würdig wären.

Inhaltsübersicht

WidmungInformationVorwort1. Der Brei und das Nichts2. Ich putze, also bin ich3. ????????????????4. Anstiftung zum Glücklichsein5. Tot sind nur die anderen6. Das Salz in der Wissenschaftssuppe7. Haben nur Kindsköpfe Kinder?8. Das geht in die Hose!9. Die Jugend von heute10. Das Leben als Werk11. Diesseits von Gut und Böse12. Des Pudels Kern13. Die regelrechte Regelmode14. Münchhausen 2.015. Einer weiß alles, der andere nichts16. Das Leben ist ein Überraschungsei17. Die Gott ist tot18. Guter Rat ist billig19. Beschrieben oder unbeschrieben?20. Henne und Ei21. Interview mit Xanthippe22. Liebe und tu, was du willst!23. Panta rhei24. Was du nicht willst …25. Halte Tante Inge die Tür auf!26. Chillen mit Seneca27. Machen Kinder glücklich?28. Mit der Philosophie zu Traumschuhen29. Mutter vor Gerechtigkeit30. Papa Staat31. Pass gut auf dich auf!32. Mein philosophischer Kleiderschrank33. Liebes Tagebuch …34. Prügle deine Kinder!35. Recht und Rache für ein Federmäppchen36. Streifzug durch die Kindheit37. Voll der schwule Mongo38. Was ist guter Sex?39. Yes, you can!40. »Philosophieren heißt sterben lernen«41. Was du liebst, lass frei!42. Ich bin Mutter, also bin ich43. Wasser und WeinQuellenverzeichnis
[home]

Für unsere Kinder

[home]

Alle im Buch vorkommenden Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder mit uns lebenden Personen sind rein zufälliger Natur.

[home]

Vorwort

Mütter und Philosophie – das scheinen auf den ersten Blick zwei völlig verschiedene Welten zu sein.

Einerseits sind da die großen Denker mit ihren komplexen und komplizierten Schriften, die man oft richtig studieren muss, um sie zu verstehen – andererseits sind da die Mütter, die gefühlte sechsundzwanzig Stunden am Tag damit verbringen, das Baby mit Brei zu füttern, beim Kartoffelschälen nebenher Vokabeln abfragen und abends im Bett keinen Wittgenstein im Original lesen, sondern froh sind, wenn sie beim Vorlesen aus dem Kinderbuch nicht selbst einschlafen.

Aber das Erstaunliche ist: Mütter sind im Alltag viel mehr mit philosophischen Fragen konfrontiert, als man so denkt.

Zum einen sind Kinder geborene Philosophen, wenn man Philosophie beim Wort nimmt, sie als »Fragen stellen«, Suche nach Erkenntnis, Wahrheit und Weisheit versteht.

Warum? Weshalb? Wozu? Woher? Wohin? Wieso? Jede Mutter kennt die endlosen Fragen der Kinder. Denn Kinder betrachten die Welt noch mit Staunen und wollen alles wissen. Und jede Mutter muss dazu Antworten finden. Ständig. Täglich. Sobald das Kind seine Welt in Worte fassen kann.

Wieso gibt es böse Menschen? Warum darf ich den Leon nicht verhauen? Warum darfst du jetzt Fernsehen gucken und ich nicht? Warum muss ich Unterhosen anziehen? Woher weißt du, dass es den lieben Gott gibt? Und wo wohnt eigentlich die Schnullerfee?

Fragen über Fragen, und die Antworten sind meistens alles andere als leicht.

 

Zum anderen stellen sich Mütter im Alltag selbst oft Fragen, die durchaus eine philosophische Dimension haben.

Wie kann es sein, dass ein Kind vor seinen Eltern stirbt? Was ist das Böse, was ist das Gute? Und woher kenne ich den Unterschied? Welche moralischen Werte will ich meinem Kind vermitteln? Und woher kommt das Gewissen? Träume ich das alles vielleicht nur? Bin ich eine gute Mutter? Was ist eine gute Mutter? Und wer bitte legt das fest? Und woher hat mein Kind diesen eigenen freien Willen, den es angeblich nicht mehr gibt?

Die meisten Mütter begegnen all diesen Fragen oft instinktiv, ohne überhaupt wahrzunehmen, dass sie sich im Grunde genommen mit Philosophie beschäftigen.

 

Philosophie gilt zwar als die Mutter der Wissenschaften, doch all die großen Geister, die diese Mutter geboren und aufgezogen hat, haben sich mit allem Möglichen befasst, aber nicht mit dem Muttersein. Abgesehen von ein paar jüngeren Töchtern stritten sich in der Hauptsache Männer in akademischen Höhen unter Ausschluss des banalen Alltags über die Fragen des Seins, der Wahrheit und über Gott.

Philosophie war und ist eine sehr männliche Disziplin. Aber »das braucht ja nicht eine männliche Beschäftigung zu bleiben« (Hannah Arendt).

 

Wir fanden, es ist an der Zeit, die Mutter der Wissenschaften endlich einmal mit realen Müttern und ihrem Alltag in Verbindung zu bringen. Nicht akademisch, sondern humorvoll und mit einem Augenzwinkern. Deshalb haben wir dieses Buch geschrieben. Natürlich wissen wir dabei, dass wir nichts wissen. Wir haben keine Antworten auf die großen Fragen der Philosophie und des Lebens.

Der Brei und das Nichts ist keine philosophische Abhandlung, sondern besteht aus kleinen Geschichten rund um Mütter und Philosophie. Geschichten, in denen Mütter sich und ihren völlig unterschätzten philosophischen Alltag hoffentlich wiederfinden werden.

 

Wir Mütter sollten keine Scheu haben, die Fragen, denen und die wir uns täglich stellen, ernst zu nehmen. Wir streifen dabei oft – völlig unbewusst – große philosophische Gedanken und Themen. Denn auch wenn es keine von uns vermutet – wir Mütter sind philosophischer als gedacht.

[home]

1. Der Brei und das Nichts

Lesen Sie bitte folgenden Absatz sorgfältig durch:

»… wenn ich indessen das ›man‹ als Subjekt begreife, vor dem ich mich schäme, insofern es nicht Objekt werden kann, ohne sich in eine Vielheit anderer zu zerstreuen, wenn ich es als absolute Einheit des Subjekts setze, das in keiner Weise Objekt werden kann, dann setze ich damit die Verewigung meines Objekt-Seins und mache meine Scham zu etwas Unaufhörlichem.«

 

So, was haben Sie dabei gedacht? Bitte kreuzen Sie spontan und ehrlich eine der folgenden möglichen Antworten an (Mehrfachnennungen sind möglich):

Bahnhof. Bahnhof. Bahnhof. Und alle Züge sind schon weg. Verdammt, da fällt mir ein, Max hat morgen Geburtstagsfeier im Hort, und ich hab noch nicht mal einen Fertigkuchen zu Hause.

Ist das Kirgisisch? Oh Gott, es ist schon 19.38 Uhr, Sophie schreibt morgen eine Ex in Franz, und ich habe noch keine Vokabeln abgefragt.

Ich kam nur bis zum dritten Wort, »indessen«, dann hat das Baby den Pastinaken-Brei quer durch die Küche gespuckt. Ich werde den Absatz aber wieder lesen, wenn das Baby achtzehn ist. Versprochen.

Ich will schlafen. Einfach nur schlafen.

Hä???? Und danach habe ich laut durch das ganze Haus geschrien: »Wenn im Kinderzimmer nicht sofort Ruhe herrscht und ihr euch weiter über die PlayStation streitet, nehme ich euch das Sch…ding weg – für die nächsten hundert Jahre, damit das mal klar ist.« Äh, wo waren wir noch gleich?

Ich lese schon seit Ewigkeiten nichts mehr, was nicht mit »Es war einmal …« anfängt und mit »… und so lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende« aufhört.

Welcher Vollidiot hat mir verdammt noch mal dieses bescheuerte Buch geschenkt? Ich wollte doch eigentlich ganz dringend So schläft mein Kind garantiert in fünf Minuten ein.

Alles klar, alles verstanden. Das Sein ist die Transzendenz des Ichs, und Gott gibt es einfach nicht. Wusste ich aber sowieso schon, seit ich die Gesamtausgaben von Nietzsche, Hegel und Heidegger gelesen habe. Und wenn Klein Oskar endlich drei Jahre alt ist, werde ich ihm Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung als Gutenachtgeschichte vorlesen.

So viel Nichts gibt’s ja gar nicht, wie ich nicht mehr ich bin, seit die Zwillinge auf der Welt sind.

Auswertung:

Egal, welche Zahl Sie angekreuzt haben: Sie sind eindeutig Mutter. Und damit meistens mit drängenderen Dingen beschäftigt, als über das Nichts nachzudenken. Denn Sie müssen sich täglich um das Sein kümmern. Und zwar nicht um Ihr Sein oder das So-Sein oder das Anders-Sein, sondern um das Sein von anderen. Sonst bricht der Laden hier nämlich komplett zusammen. Ist doch so.

 

Wollen wir die Wahrheit mal ungeschönt sagen: Mütter haben keine Zeit für Philosophie. Normalerweise. Mütter kümmern sich darum, dass Kinder groß werden. Das ist ein 24/7-Job so achtzehn Jahre lang – pro Kind, versteht sich. Da steht Philosophie ganz hinten auf der To-do-Liste. So auf Platz 956834734127823723234.

Kein Wunder, dass Philosophie in der Hauptsache immer eine Männerdomäne war und immer noch ist. Nachdenken, während ein Baby schreit und jemand zum zweihundertsten Mal an einem Ich-habe-Halsweh-und-kann-nicht-in-die-Schule-Vormittag sagt: »Mir ist sooooo langweilig«, ist einfach schwierig. Kinder sind aber natürlich nicht der einzige und ganz sicher nicht der wirkliche Grund, warum so wenige Frauen in der Philosophie zu finden sind, schon klar.

Da kommt ja noch das Patriarchat und so ein paar andere nette Kleinigkeiten dazu, die über die letzten Jahrhunderte dazu geführt haben, dass Frauen nicht denken durften und sollten.

Übrigens haben ein paar Philosophen selbst so nebenher durchaus ein paar sehr uncharmante Sachen über Frauen losgelassen:

»Das Weibchen ist gleichsam ein verstümmeltes Männchen und der Monatsfluss Samen, der aber nicht rein ist, denn es fehlt ihm nur noch eines, das Prinzip der Seele.«

Aristoteles

 

»Die Frau ist ein menschliches Wesen, das sich anzieht, schwatzt und sich auszieht.«

Voltaire

 

»Das Glück des Mannes heißt: Ich will; das Glück des Weibes heißt: Er will.«

Nietzsche

Die Philosophie ist nicht sehr frauenfreundlich. Da müssen wir Frauen und Mütter uns nichts vormachen.

Wenn man einen x-beliebigen Passanten auf der Straße fragen würde, ob er den Namen einer Philosophin kennt – die meisten würden passen. Ein paar Cleveren würde vielleicht noch Hannah Arendt einfallen. Und ein paar anderen Simone de Beauvoir, die Lebensgefährtin von Jean-Paul Sartre (1905–1980), der den eingangs zitierten Text verfasst hat.

 

Übrigens geht es ja vielen so, dass sie den Text von Sartre nicht auf Anhieb verstehen. Das muss nicht immer schlecht sein. Behaupte ich jetzt mal frech.

Klar, stimmt, Mütter haben oft nicht die Zeit, die Muse etc. pp. für ausführliche Ausflüge in die Philosophie.

Aber das ist nicht immer das Schlechteste.

Manche Philosophen haben sich in ihre Denkgebäude unglaublich verstiegen.

»Als Jesus sagte, er sei auf der Welt, um die Wahrheit zu bezeugen, stellte Pilatus die rhetorische Frage: ›Was ist Wahrheit?‹ Mit diesem sprachlichen Achselzucken sei Pilatus seiner Zeit weit voraus gewesen, bemerkt der englische Philosoph John L. Austin ironisch. Denn wer von ›der Wahrheit‹ spreche, habe schon den ersten philosophischen Fehler begangen. […] Austin ordnete sich einer Strömung der Analytischen Philosophie zu, und zwar der Ordinary Language Philosophy. Deren Anhänger sind der Auffassung, dass man viele philosophische Probleme nicht lösen, sondern vielmehr auflösen müsse, indem man sie als Scheinprobleme entlarvt.« So der Stuttgarter Philosophieprofessor Philipp Hübl in seinem Buch Folge dem weißen Kaninchen. Und weiter: Sogar große Denker hätten sich selbst in die Irre geführt, indem sie aus kleinen Wörtern wie »nicht« große machten: »›Das Nichts‹. Einige haben sich dann tatsächlich gefragt, ob ›das Nichts‹ existiert oder ob es eher nichts ist. Doch wer die Alltagssprache so überdehnt, verzerrt auch seine Gedanken. Dasselbe gilt für andere große Nomen der Philosophie: ›das Sein‹, ›das Ich‹ oder eben ›die Wahrheit‹.«

 

Apropos Sartre: Seine Grundidee ist, dass wir frei sind, unser Leben zu gestalten, wie wir wollen. »Und was die Menschen angeht, nicht wie sie sind, interessiert mich, sondern was sie werden können.« Und das ist doch ein sehr schöner, einfacher und klarer Gedanke – gerade für Mütter.

[home]

2. Ich putze, also bin ich

Wie kann ich mir eigentlich sicher sein, dass ich das, was ich gerade tue, nicht bloß träume? Dass ich wirklich auf der Welt bin und mich nicht nur jemand träumt? Verhält es sich nicht so wie mit diesem Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt, der uns mal dicker, mal dünner zeigt? Und woher können wir überhaupt wissen, dass ein »normales« Spiegelbild stimmt und nicht auch verzerrt ist? Kurz: Können wir unserer eigenen Wahrnehmung überhaupt trauen?

 

In allen Umkleidekabinen von Bademodenabteilungen bezweifle ich entschieden, dass mein Spiegelbild irgendetwas mit der Realität zu tun haben kann. Meine Wahrnehmung muss mich geradezu täuschen – oder hätte Alex so eine Frau geheiratet?

Bei Elternsprechtagen bezweifele ich meine Wahrnehmungsfähigkeit noch mehr – sitze ich hier im falschen Film, oder über welches Kind spricht dieser Lehrer? Wahlweise höre ich mal von »ADHS« oder »Sozialstörung«, mal von »großer Intelligenz« oder »überragender Sozialkompetenz« – um schließlich nach der Frage »Haben Sie schon einmal an einen Psychologen gedacht?« entgeistert das Klassenzimmer zu verlassen.

Am allerwenigsten aber traue ich meiner eigenen Wahrnehmung, wenn ich in ein Kinderzimmer komme und Lukas oder Eva sagen: »Aber ich hab doch aufgeräumt!«

 

Descartes stellte 1641 mit seinen Meditationen die erkenntnistheoretische Frage: Wie kann ich sicher etwas wissen? Wie kann ich mir sicher sein, dass ich mich im Spiegelbild wirklich selbst sehe und keinen anderen? Woher nehme ich die Gewissheit, dass es draußen wirklich kalt oder warm oder hell oder dunkel ist? Könnte nicht alles einfach auch eine Täuschung meiner Sinnesorgane sein? So zweifelte Descartes.

Es gibt wirklich Menschen, die von einem Tag auf den anderen das Kälte- und Wärmeempfinden verlieren, und auch Menschen, die plötzlich hell und dunkel nicht mehr so gut unterscheiden können. Woher weiß ich, ob ich etwas so empfinde oder es sich objektiv verändert hat?

Gibt es also nichts, das wir als objektive Wahrheit annehmen können? Doch, sagt Descartes – unser eigenes Denken. Denn vielleicht täuscht uns ein Spiegel oder ein unaufgeräumtes Kinderzimmer – aber dass wir darüber überhaupt nachdenken können, ist keine Sinnestäuschung, sondern Fakt. Das Denken ist die einzig zuverlässige Sache, mit der wir uns unserer eigenen Existenz gewiss sein können. Das führte Descartes zu dem kurzen, berühmten Satz: »Ich denke, also bin ich.«

 

Über viele Jahre hinweg mit kleinen Kindern war ich mir aber nicht mehr so sicher, ob ich überhaupt noch denke (außer an Windeln, Einkaufszettel und Kontoauszüge). Denken hatte für mich eigentlich nur noch drei unabdingbare Voraussetzungen:

Ausgeschlafen sein

Ausgeschlafen sein

Ausgeschlafen sein

Auf keinen Fall hatte es etwas mit erkenntnistheoretischen Überlegungen oder Fragen zu tun.

 

Meine einzige gefühlte Gewissheit in den Jahren mit Kleinkindern war der Sauberkeitszustand der Wohnung. Skeptikern wie meinem Mann Alex zum Trotz (»Was hast du denn? Ist doch alles sauber!«) erkannte ich haarscharf und mit schlafwandlerischer Sicherheit, dass unser Zuhause oftmals kurz vor der Kür zur versifftesten Wohnung des Jahres stand. (Okay, der erkenntnistheoretische Beweis dafür wäre jetzt etwas mühsam, aber drücken Sie dazu bitte einfach einmal ein Auge zu.)

Sicher war ich mir in all diesen Jahren eigentlich nur in einem: Wenn ich putze, wird es sauber. Daraus folgt: Ich putze, also bin ich.

[home]

3. ????????????????

Als wir beschlossen haben, dieses Buch zu schreiben, hatte ich erst mal eine ausgewachsene Panikattacke. Oh mein Gott! Philosophie und Mütter! Wie konnten wir nur auf diesen absurden Gedanken kommen? Ich saß nachts um drei senkrecht im Bett. Mein Mann schnarchte einmal empört auf und drehte sich dann wieder um.

Würde ich mich da nicht auf ein Gebiet vorwagen, das äußerst kompliziert ist – mir brach der kalte Schweiß aus. Jede Menge Namen von bedeutenden Denkern rauschten mir durch den Kopf. Platon. Sokrates. Kierkegaard. Nietzsche. Wittgenstein. Foucault. Habermas.

Musste ich jetzt alle Philosophen im Original lesen? Dann würde dieses Buch niemals fertig werden, und ich sah mich schon mit siebzig ergraut über den Schreibtisch gebeugt endlich die erste Seite fertigstellen.

Die Nacht war grauenvoll, selbst Nutella auf einem Löffel mit einem Glas Milch half nicht weiter, und auch die nächsten Tage waren nicht besser.

Gerettet hat mich dann Sokrates.

Höchstpersönlich.

War wirklich klasse von ihm.

Er kam eines Nachts einfach vorbei, setzte sich an mein Bett, nahm meine schwitzende Hand und erzählte mir aus seinem Leben. Ein sehr netter Mann übrigens, und so ganz anders als erwartet. Überhaupt nicht hochnäsig und postum völlig überrascht über seinen Erfolg. Sokrates war völlig cool und tätschelte mein Händchen. Das wird schon, das wird schon, murmelte er vor sich hin. Entspannen Sie sich erst mal, so verkrampft muss man die Sache nun wirklich nicht angehen.

Ich blickte ihn mit großen Augen an. Der Mann war wirklich völlig relaxed, und es schien ihn auch nicht weiter nervös zu machen, an meinem Bettrand zu sitzen. Philosophie scheint einem echt gutzutun. Vielleicht ist das wie Yoga für den Kopf.

Und dabei ist Sokrates ja nun kein Stoiker, von denen man wohl erwarten kann, die Ruhe in Person zu sein.

Sokrates hat mir dann einfach von seinem Leben erzählt und wie er auf die Philosophie kam. Und er hat mir erzählt, auf was es ihm am meisten ankam. Das war nicht das Wissen, sondern das Fragen. Sokrates gilt als Begründer der abendländischen Philosophie. Mit seiner methodischen Art, Fragen zu stellen, hat er eine neue Form des Denkens entwickelt, genauer: einen Weg, zu prüfen, was und wie wir denken.

Sokrates hat mir mit seiner eindringlichen Stimme (war da ein leichtes Lispeln? Das kann natürlich auch an dem griechischen Zungenschlag liegen) klargemacht: Es geht gar nicht darum – oder zumindest nicht ausschließlich –, Antworten zu haben oder gar Wissen – es geht in der Philosophie, wenn man sie so begreift wie er, vor allem darum, Fragen zu stellen.

Sokrates war der große Fragensteller unter den Philosophen. Er hat seine Mitmenschen alles Mögliche gefragt und alles in Frage gestellt. Das ging für ihn selbst zwar nicht besonders gut aus. Seine ständige Fragerei und sein Alles-in-Frage-Stellen brachte ihm in Athen viele Feinde. Er wurde beschuldigt, die Jugend zu verderben, und zu Tode verurteilt. Er ist der Philosoph, der den berühmten Schierlingsbecher getrunken hat.

Sokrates schüttelt noch heute den Kopf über diesen Wahnsinn damals. Und er ist immer noch der absoluten Überzeugung, dass alles in Frage zu stellen ein wunderbarer Ausgangspunkt ist, um sich mit Philosophie zu beschäftigen.

Einfach Fragen stellen.

Einfache Fragen stellen.

Nichts als gegeben hinnehmen, alles hinterfragen.

Und Fragen stellen, das kann ich ja wohl.

Das kann jeder.

Der berühmte amerikanische Philosoph Michael Sandel sah das in einem Interview mit der Zeit übrigens genauso wie ich.

»Philosophen sollten sich nicht als Menschen verstehen, die Fragen beantworten, sondern als solche, die Fragen stellen. Sokrates hat Fragen gestellt. Bei ihm kann man in die Lehre gehen. Manche denken sich den Philosophen als jemanden, der von oben herab nach unten Weisheit verteilt. Aber das kehrt die eigentliche Rolle des Philosophen um.«

Ich muss sagen, der Mann ist mir sehr sympathisch. Und Sandel sagte auch: »Gute Fragen sind einfach. Sie stellen in Frage, was offensichtlich erscheint. Die Fragen der Kinder sind aus dem Grund gut, dass sie in ihrer Einfachheit auf Grundlegendes zielen. Die ausgeklügelten Fragen der Philosophie halten oft Abstand zum Grundlegenden.«

Natürlich respektiert Sandel die spezialisierte und akademische Philosophie sehr, das macht er in dem Interview deutlich. Aber er bringt die Philosophie auch »down to earth«, und das macht ihn bei Leuten so beliebt, die nicht Philosophie studiert haben. Denn jeder kann eben Fragen stellen. Und jeder kann über diese Fragen dann diskutieren. Und ist das nicht etwas, was wir unseren Kindern beibringen sollten?

Fragen zu stellen? Und alles in Frage zu stellen?

Einfach, um sie aufzufordern, ihren eigenen Kopf zu benutzen und nicht nur den Ideen anderer zu folgen.

Ich halte es für die Aufgabe von Eltern, Kindern genau das beizubringen. Auch wenn die Kinder dabei lernen, die Eltern selbst in Frage zu stellen. Aber tun sie das nicht sowieso irgendwann, und tut es nicht ab und zu gut, in Frage gestellt zu werden?

Vielleicht sollten Kinder das auch vermehrt in der Schule lernen.

 

In Deutschland gibt es ein paar Ansätze für Philosophie in der Schule – in manchen Bundesländern kann man das Fach im Gymnasium als Grund- oder Leistungskurs wählen.

Aber eben nicht in allen Bundesländern. An Sophies Schule zum Beispiel gibt es keine Philosophie – nur diesen Ethikunterricht für alle, die konfessionslos sind. Und Ethik – also Moralphilosophie – ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus der ganzen Welt der Philosophie.

Das ist schade, und ich frage mich, ob es wirklich sinnvoller ist, dass Sophie die Quadratkilometer aller europäischen Länder auswendig lernt, als dass sie lernt, eigenständig und frei zu denken. Schließlich kann sie in den Zeiten des Internets Information in Form von Zahlen immer direkt irgendwo abrufen. Aber das eigenständige Denken lässt sich nicht googeln. Das muss man üben.

 

Übrigens sind wir im Lauf des Schreibens auf ein paar mehr oder weniger philosophische Fragen gestoßen, die wir in diesem Buch leider nicht beantworten konnten, die wir aber unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten wollen:

Wieso weiß ich ganz besonders, dass ich nichts weiß, wenn ich Sophie bei Mathe helfen soll?

Kann man Geschwister wirklich gerecht behandeln? Oder hat man automatisch immer ein Lieblingskind?

Warum gibt es in Deutschland Kinder, die kein warmes Mittagessen bekommen, und andere tragen Schuhe für über zweihundert Euro?

Habe ich eine Seele? Und woher weiß ich das?

Ist die Welt ungerecht oder die Menschen?

Was ist die Zeit? Und warum kann eine Stunde ganz lang und ganz kurz sein?

Bin ich eine gute Mutter?

Wieso dürfen wir Tiere essen, aber die Tiere nicht uns?

Wie frei bin ich mit Kindern?

Kann man überhaupt frei sein, wenn man ein Baby stillt? Oder wenn man Kinder hat?

Und wird Freiheit nicht manchmal überbewertet?

Wenn ich die Kühlschranktür zumache, ist das Licht dann noch an?

Fragen über Fragen. Und das sind noch längst nicht alle. Wenn man erst mal damit anfängt, entdeckt man eine ganz neue Welt. Vielleicht haben Sie ja eine Antwort auf die eine oder andere Frage. Oder Sie nehmen die Fragen einfach als Grundlage für weitere Fragen. Oder Sie fangen gleich an, wie Sokrates dialektisch zu diskutieren. Sie werden sehen, es macht Spaß.

 

Sokrates ist übrigens erst im Morgengrauen wieder von meiner Bettkante verschwunden. Kurz bevor mein Mann wach wurde. Der hätte sonst auch ein paar Fragen an mich gehabt, was da ein fremder Mann in unserem Schlafzimmer macht, und dann noch auf meiner Bettkante.

Sokrates und ich hatten uns einfach festgequatscht. Dabei ging es dann schon gar nicht mehr nur um Philosophie. Er hat mir seine Beziehungsprobleme, die im Jenseits ungemindert weitergehen, geschildert, und ich habe versucht, ihm ein paar Tipps zu geben. Ich glaube, er muss einfach etwas aufmerksamer zu Xanthippe sein und sie mit seinen ewigen Fragen (»Wann gibt’s Abendessen?«, »Wo sind meine Sandalen?«) etwas verschonen. Ob ich ihm weiterhelfen konnte, weiß ich nicht, ich bin ja nicht gerade eine Beziehungsexpertin. Egal – ich glaube, es hat ihm einfach schon geholfen, sich mal auszusprechen.

[home]

4. Anstiftung zum Glücklichsein

Wie werde ich glücklich?« Diese Frage stellen sich die Menschen vermutlich schon, seitdem sie von den Bäumen heruntergeklettert sind. Aristippos von Kyrene (435 v. Chr. bis ca. 355 v. Chr.) war vermutlich der erste Philosoph, der eine komplette Glücksphilosophie entworfen hat und die sich kurz so zusammenfassen lässt: Der Weg zum Glück ist die Lust zu maximieren und dem Schmerz auszuweichen.

»Was ist Glück?«, fragen wir Mütter uns manchmal, wenn eine kinderlose Kollegin perfekt gekleidet davon berichtet, dass sie heute noch ihren Kosmetikerin-Gutschein einlöst, danach ins Theater zu einer Uraufführung geht und hinterher bei einem Sternekoch noch das neueste vegane Gericht ausprobiert – mit einem »sehr interessanten Typen« aus der anderen Abteilung vom Nebengebäude. Fragen über Fragen, die sich mir stellen, während ich nach der Arbeit noch zum Supermarkt hetze, einen Streit der Kinder nach dem Abholen von Kita und Hort schlichte, zwischen Hausaufgabenbetreuung und Mannbetreuung (SMS von IHM: »Wird später im Büro, der Chef hat einen Knall, ich kündige gleich!« SMS von MIR: »Schlaf erst einmal eine Nacht darüber, lass uns sprechen, nichts überstürzen!«) versuche, die Quadratur des Kreises beim Kochen (gesund und wohlschmeckend) zu lösen, die Waschmaschine befülle, ausgelaufene Milch aus dem Kühlschrank putze und noch schnell eine Mail des Elternbeirats beantworte – während sich meine kinderlose Kollegin wohl gerade aufgehübscht von der Kosmetikerin in das Theater zur Uraufführung begibt und sich intellektuell und ohne Sabberflecken an einem Kleidungsstück mit dem Kollegen vom Nebengebäude über die aufregenden Hauptdarsteller unterhält.

Ist sie glücklicher als ich? Hm, wer sollte das entscheiden, es gibt ja keinen »Glücksdetektor« analog zum Lügendetektor, obwohl Studien immer wieder versuchen, das Glück zu messen. Demnach leben die glücklichsten Deutschen in Süddeutschland, die unglücklichsten im Osten. Einige behaupten, das Glück liege in unseren Genen, andere sagen, es sei hausgemacht. Und wohl jede hat schon mal darüber diskutiert, ob Geld glücklich macht oder nicht. Eine Untersuchung stellte fest, dass Familie an Weihnachten glücklich macht – aber ob das auch für die restlichen 364 Tage im Jahr gilt, darüber schweigt sich die Studie aus.

 

Ich jedenfalls bin unglücklich, wenn ich an meine kinderlose Kollegin denke, die umwerfend gutaussehend wohl gerade im Sternerestaurant speist, während ich kaum mehr vor Müdigkeit die Augen aufhalten kann und in Schlabberhosen mit erstickender Stimme ins Kinderzimmer rufe: »Ist jetzt nicht endlich mal Ruhe?!«

Nicht dass jetzt der Eindruck entsteht, ich würde die kinderlose Kollegin beneiden – es handelt sich keineswegs um einen Eindruck, sondern um eine Tatsache! Wie gerne würde ich auch mal nachts schlafen, ohne nicht mindestens einmal ins Kinderzimmer gerufen zu werden, weil Bast, der Bär, einen Alptraum hatte und Eva mich deshalb zum Trösten braucht. Wie gerne würde ich zur Kosmetikerin und zum Essen ins Sternerestaurant gehen, wie gerne würde ich in der Theaterpause ein Glas Sekt trinken, wie gerne würde ich dieses und jenes tun und ganz einfach einmal in Ruhe all die wunderbaren Dinge genießen, die es außerhalb eines Mutterlebens noch gibt!

Neidisch liege ich nachts neben meinem schnarchenden Mann wach im Bett, nachdem mich Bast, der Bär, bzw. Eva aus dem ersten Schlaf gerissen hat, während die kinderlose Kollegin vielleicht gerade noch den schönsten Teil des Abends erlebt und eine heiße Nacht mit dem interessanten Kollegen aus dem Nebengebäude verbringt …

Was würde ich so ohne Anhang nicht alles tun! Ich würde Seminare in gesunder Ernährung belegen, zur Kosmetikerin und ins Theater gehen und in der Badewanne zu einem Glas Rotwein philosophische Abhandlungen über Glück lesen. Stunden, Tage und Wochen würde ich mit der körperlichen, geistigen und seelischen Pflege meiner selbst verbringen! Kein Mann, der sagt: »Kannst du ausnahmsweise heute mal aufstehen für die Kinder?« Kein Streitschlichterdasein mehr morgens um halb sieben. Kein Gehetze mehr zum Büro, weil wir nach dem Frühstück zum gefühlten millionsten Mal eins der Handys der Kinder suchen. Keine Überstunden mehr, um die von kranken Kindern verursachten Arbeitsausfälle wieder hereinzuholen. Keine Mordgelüste mehr, weil der Mann trotz Absprache immer noch im Büro hockt, während ich dringend zum Elternabend wegmüsste. Ja, keine Elternabende an Schulen mehr, das wäre ja alleine schon wunder-wunder-wunderbar!