Der Doppelagent - Alan Winnington - E-Book

Der Doppelagent E-Book

Alan Winnington

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Beschreibung

Tibet zu Beginn des 20. Jahrhunderts: ein von einheimischen Feudalcliquen geschwächtes Land, unter chinesischer Vormundschaft vegetierend, den Machthabern des zaristischen Rußlands ebenso ins Auge stechend wie denen der britischen Krone - beide interessiert, das Land unter ihren Einfluss zu bringen. Innerhalb dieses Kraftfeldes agiert John Holder, Sohn einer Tibeterin und eines Engländers. Soziale Bindungslosigkeit, der anrüchige Status eines Mischlings und ein wenig Druck durch einen englischen Geheimdienstoffizier haben ihn veranlasst, sich als Spion der in Indien residierenden britischen Kolonialmacht zu verdingen. Machthungrige Kreise zwingen ihn in die Rolle eines Doppelagenten, der Nachrichten transportiert. Dem zweiseitigen Spiel wohnen tödliche Konsequenzen inne; es reißt schließlich den in den Abgrund, der glaubte, zwischen den Fronten leben zu können.

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Impressum

Titel des englischen Originals: The Double Agent

Aus dem Englischen von Elga Abramowitz

eISBN 978-3-360-50133-2

© 2016 (1980) Das Neue Berlin, Berlin

Cover: Gerhard Medoch

Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel.com

Alan Winnington

Der Doppelagent

Das Neue Berlin

I

Der Spion

Am Paß ließ sich John Holder auf einen Felsstein sinken, keuchend, vor Anstrengung zitternd, verzweifelt. Er befand sich in nur viereinhalbtausend Meter Höhe, und obwohl der Wind wie die eisige Schneide eines Messers war und ihm Eisnadeln ins Gesicht trieb, schien es hier keine Luft zum Atmen zu geben. Daß er ein halber Tibeter war, bedeutete gar nichts auf dieser ersten Reise zum Geburtsort seiner Mutter. Da er immer nur in Darjeeling und Kalimpong gelebt hatte, war er genauso verweichlicht wie jeder im Tiefland Geborene.

Während des letzten steilen Aufstiegs hatte Holder etwa alle fünfzig Meter eine Pause eingelegt, da sein Herz, bestrebt den versagenden Muskeln mehr Sauerstoff zuzuführen, immer heftiger und schneller schlug, bis er das Gefühl hatte das tapfere Organ werde schließlich den Brustkasten sprengen. Dabei waren die Muskeln keineswegs müde, wenn sie auch seine Beine nicht mehr zu heben vermochten. Holder wußte, daß ihnen einfach Sauerstoff fehlte, weil das an die klimatischen Bedingungen des Tieflands gewöhnte Blut in der dünnen Luft des Himalaja nicht genug Nahrung fand, daß er sich aber, wenn er ein paar Minuten nach Luft gerungen hatte, erholen und imstande sein würde, seinen Weg stolpernd fortzusetzen.

Da saß er nun, schwer atmend und voller Haß – auf die Briten, auf die Inder und nicht zuletzt auf die Tibeter; Haß auf seinen englischen Vater und seine tibetische Mutter; Haß auch auf sich selber, weil er ein Anglotibeter war, ein Halbblut, ein Eurasier, weder Fisch noch Fleisch.

Zeit seines Lebens war man ihm mit Verachtung begegnet. In Britisch-Indien hatte man als Halbblut nichts davon, daß man zur Hälfte Engländer war. Inder, die in ihrer verdammten rückgratlosen Art vor den Briten katzbuckelten, spielten sich plötzlich als Herren auf, wenn sie mit einem Halbblut zu tun bekamen. Sie hatten so eine Art an sich, verächtlich den Mund zu verziehen und einen fühlen zu lassen, wohin man gehörte – waren womöglich noch schlimmer als die Engländer mit ihrer brutalen Arroganz und ihrem gottverfluchten Selbstbewußtsein. »Ach, wissen Sie, bei einem Halbblut finden Sie immer das Schlimmste von beiden Welten.« – »Die sind doch alle irgendwie verkommen.« – »Ich würde keinem Eurasier über den Weg trauen.« – »Aber die Frauen sind oft verdammt reizvoll.«

Seit Holder von Kalimpong aufgebrochen war, hatte er tatsächlich dreimal wieder kehrtgemacht und diesen Irrsinn beenden wollen, aber er war nie sehr weit gekommen, und jedesmal hatte er seine Reise fortgesetzt, sich Schritt für Schritt dem Verbotenen Land nähernd. Wenn er jetzt aufgab, war er bei den Briten unten durch, soviel war sicher.

Nachdem sein Vater, ein Alkoholiker, im Delirium gestorben war, hatte es für ihn keine andere Möglichkeit gegeben – wenigstens hatte er keine gesehen –, als weiter in Indien zu bleiben.

Unglaublich, aber seine Mutter war für ihn bereits unwirklich geworden. Es war lange her, seit er überhaupt an sie gedacht hatte – nach den ersten Monaten, in denen er vor Kummer in sein Kissen geweint hatte. Sie war seine Verbündete in dem gemeinsamen Krieg gegen seinen Vater gewesen. Sie hatte ihm Lhasa-Tibetisch beigebracht – sprechen, jedoch nicht schreiben –, aber jedesmal, wenn sein Vater erschien, mußte er sogleich wieder ins Englische verfallen. Samuel Holder haßte die britischen Raj, genauer gesagt, die Engländer, die auf ihn, den einfachen Händler, heruntersahen; aber noch mehr haßte er seine Frau, weil sie eine Tibeterin war, und seinen Sohn, weil er ein Halbtibeter war, und beide, weil er sie in seinem alkoholisierten Hirn dafür verantwortlich machte, daß ihn die arroganten britischen Raj nicht akzeptierten. Von seinem Vater hatte John Holder die Engländer hassen und gleichzeitig beneiden gelernt.

Von seiner Mutter hatte er außer Tibetisch wenig gelernt, aber sie hatte ihm den Nutzen scheinbarer Willfährigkeit vor Augen geführt, den Nutzen der Kunst, zu schweigen und Einverständnis zu heucheln. Sie hatte ihm diese Kunst demonstriert, aber er hatte sie niemals wirklich beherrscht. Der Unterschied lag darin, daß sie unter den geduldigen Tibetern und er in Britisch-Indien bei einem britischen Vater aufgewachsen war.

Samuel Holder hatte es in der Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts nach Indien verschlagen. Er hatte genügend Geld mitgebracht, um einige Monate davon leben zu können, und Briefe, die ihn zum Kommissionär verschiedener britischer Firmen bestellten, darunter eines Eisenwarenhandelsunternehmens. Es war eine Zeit wirtschaftlicher Expansion. An jedem Ort, der irgendwelche Bedeutung hatte, bauten die Engländer neue Häuser, Büros, Klubs – und überall brauchte man Wasserbehälter, Toiletten, Eisenwaren und Baumaterial. Samuel zog nach Siliguri, dem Eisenbahnknotenpunkt für Darjeeling und Kalimpong, geriet in den Bauboom und wurde fast ohne Anstrengung rasch ein wohlhabender Mann. Als gutaussehender Mittdreißiger hatte er Holders Mutter kennengelernt, Turin Boma, die damals sechzehn war. Tibetische Frauen werden später reif und altern früher als die Frauen des Tieflands, und Turin, schlank, groß, schmalhüftig wie die meisten tibetischen Mädchen, stand im besten Heiratsalter. Sie war sauber, und sie verschmähte das dunkle Kutsch, mit dem die meisten ihrer Landsmänninnen sich das Gesicht bestrichen, teils zum Schutz vor der Sonne und den Sandstürmen des Hochlands und teils aus Aberglauben. Damals begleitete sie zum ersten Mal ihren verwitweten Vater, einen alten kränklichen Kaufmann aus Lhasa, auf einer Handelsreise. Seine Frau war bei Turins Geburt gestorben – in Tibet ein ganz gewöhnliches Ereignis. Er hatte eine schwache Lunge und wußte sehr wohl, daß ihm nur die Wahl blieb, Tibet zu verlassen, in die Ebene zu ziehen und dort an Heimweh einzugehen oder im Hochland zu bleiben und dort an der Höhenluft zu sterben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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