Der Engel mit der Ukulele - Claudia H. Spelic - E-Book

Der Engel mit der Ukulele E-Book

Claudia H. Spelic

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Beschreibung

Nur noch fünf Wochen. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Bin immer noch dabei meine Kondition aufzumöbeln. Meine Trainingseinheiten liegen mittlerweile bei 10 km und 7,2 kg Gewicht. Schuhe super, blasenfrei, keine Druckstellen. Gehe jetzt aus Trainingsgründen mit Wanderschuhen und Rucksack auch zum Einkaufen. Zugegebenermaßen kommen mir die Stöcke dabei etwas albern vor und an der Kasse bereiten sie mir beim Bezahlen regelmäßig Schwierigkeiten, da ich nie weiß wo ich sie abstellen soll. Die Kassiererin schaut mich immer fragend an, aber ich werde einen Teufel tun ihr etwas zu erzählen… Ein tiefgreifend-ironisch, satirisch-sensibles Buch über die Höhen und Tiefen einer Pilgerreise.

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Vollständige eBook Ausgabe 2018

© 2018 WOLFSTEIN VERLAG

in der Spielberg Verlag GmbH, Neumarkt

Lektorat: Sigrid Müller

Umschlaggestaltung: Ronja Schießl

Umschlagfoto: Claudia Spelic

Alle Rechte vorbehalten

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung

Claudia Spelic wurde in Fulda/Hessen geboren, ist verheiratet und hat drei Töchter. Als moderne Nomadin ist sie, berufsbedingt, von Fulda über Jever im hohen Norden, Göttingen und Köln, quer durch die Republik nach Regensburg gezogen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg.

In ihrem Buch »Der Engel mit der Ukulele« erzählt sie von den Höhen und Tiefen ihrer Pilgerreise auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.

»Es braucht Mut um so zu sein, wie man sein will.«

Danke!

Meinem lieben Ehemann, der mich immer unterstützt.

Inhaltsverzeichnis

Der Engel mit der Ukulele

03. Mai 2014

Noch 4 Stunden bis zum Abflug!

04. Mai 2014

Bayonne - Saint-Jean-Pied-de-Port

05. Mai 2014

Saint-Jean-Pied-de-Port - Orisson

06. Mai 2014

Orisson - Roncesvalles

07. Mai 2014

Roncesvalles - Zubiri

08. Mai 2014

Zubiri - Pamplona

09. Mai 2014

Pamplona - Puente la Reina

10. Mai 2014

Puente la Reina - Estella

11. Mai 2014

Estella - Los Arcos

12. Mai 2014

Los Arcos - Viana

13. Mai 2014

Viana über Logroño, nach Navarrete

14. Mai 2014

Navarrete - Nájera

15. Mai 2014

Nájera - Santo Domingo de la Calzada

16. Mai 2014

Santo Domingo de la Calzada - Belorado

17. Mai 2014

Belorado - Villafranca/Montes de Oca

18. Mai 2014

Villafranca/Montes de Oca - Atapuerca

19. Mai 2014

Atapuerca - Burgos

20. Mai 2014

Burgos

21. Mai 2014

Burgos - Rabé de la Calzadas

22. Mai 2014

Rabé de la Calzadas - Hontanas

23. Mai 2014

Hontanas - Itero de la Vega

24. Mai 2014

Itero de la Vega - Frómista

25. Mai 2014

Frómista - Carrión de los Condes

26. Mai 2014

Carrión de los Condes - Calzadilla de la Cueza

27. Mai 2014

Calzadilla de la Cueza - Sahagún

28. Mai 2014

Sahagún - Reliegos

29. Mai 2014

Reliegos - Villarente

30. Mai 2014

Villarente - León

31. Mai 2014

León - La Virgen del Camino

01. Juni 2014

La Virgen del Camino - Villadangos del Páramo

02. Juni 2014

Villadangos del Páramo - Hospital de Órbigo

03. Juni 2014

Noch immer Hospital de Órbigo

04. Juni 2014

Hospital de Órbigo - Astorga

05. Juni 2014

Astorga - Rabanal del Camino

06. Juni 2014

Rabanal del Camino - El Acebo

07. Juni 2014

El Acebo - Ponferrada

08. Juni 2014

Ponferrada - Cacabelos

09. Juni 2014

Cacabelos - Trabadelo

10. Juni 2014

Trabadelo - La Faba

11. Juni 2014

La Faba - über O Cebreiro - Fonfria

12. Juni 2014

Fonfria - Samos

13. Juni 2014

Samos - Barbadelo

14. Juni 2014

Barbadelo - Portomarin

15. Juni 2014

Portomarin - Airexe

16. Juni 2014

Airexe - Melide

17. Juni 2014

Melide - Arzúa

18. Juni 2014

Arzúa - O Pedrouzo

19. Juni 2014

O Pedrouzo - Monte do Gozo

20. Juni 2014

Monte do Gozo - Santiago de Compostela

21. Juni 2014

Santiago de Compostela - Negreira

22. bis 26. Juni 2014

Muxia und Fisterra

27. Juni 2014

Fisterra - Santiago de Compostela

Fußnoten

Der Engel mit der Ukulele

»Was, Du? Das schaffst Du nie!«

»Das willst Du Deinen alten Knochen doch nicht antun?«

»Hast Du Dich schon mal über die Strecke informiert?«

»Du weißt, dass man trainieren muss – oder!?«

»Na ja, Du kannst ja abbrechen, ich wette, nach 'ner Woche sehen wir Dich wieder.«

›Na schau'n wir mal‹, denke ich und lasse mich zu keiner Reaktion hinreißen.

»Wann geht's denn los?«, fragt eine Bekannte.

»Im Mai.«

»Geh‘ bloß nicht im August, da ist es voll und wahnsinnig heiß!«

»Warst Du auch schon auf dem Jakobsweg unterwegs?«

»Ja, von der Haustür bis zum Ende der Welt[Fußnote 1].« Alle Achtung! Dann fügt sie hinzu: »Wir sind die ganze Strecke mit dem Wohnwagen unterwegs gewesen.«

Aha, eine Antwort bleibe ich ihr schuldig.

Mein Hinflug im Mai ist gebucht, einen Rückflug gibt es noch nicht, das Ende ist offen.

Was auf mich zukommen wird, haben mir Freunde und Bekannte bereits prophezeit, ich bin also gegen alles gewappnet.

»Nimm Dir unbedingt Desinfektionsmittel mit und was gegen Ungeziefer!«

»Und Pfefferspray! Du brauchst auf alle Fälle Pfefferspray für die wilden Hunde, die auf der Strecke herumstreunen und Du weißt nicht, wer oder was sich sonst noch in den Wäldern herumtreibt.«

»Denk‘ an gute Schuhe – und eingelaufen müssen sie sein.«

»Vergiss nicht ausreichend Blasenpflaster einzupacken!«

»… und auf keinen Fall zu viele Klamotten. Ich kenne jemanden, dessen Schwester hat massenhaft Zeug zurückschicken müssen. Die Portokosten sollen immens sein!«

»Mein Maximum sind 7 Kilo, damit will ich auskommen«, antworte ich.

»Ich kann Dir die Telefonnummer besorgen.«

»Nein lass mal, ich steh' auf eigene Erfahrungen.«

»Ich mein es doch nur gut, na dann eben nicht.« Etwas gekränkt verabschieden sie sich.

Glücklicherweise gibt es aber auch Anerkennung für mein Vorhaben.

»Was, das wagst Du? Alleine, über die Pyrenäen bis Santiago de Compostela? Toll! Hast Du keine Sorge, dass Du nicht zurechtkommst? Und was ist mit der Sprache?«

»Kein Problem, ich habe einen Spanischkurs belegt!«

»Wow!!!« »Alle Achtung!!!« »Super!«

Schon besser, das streichelt mein Ego!

Erste Reaktion der Familie:

»Das ist viel zu gefährlich!«, sagt meine Älteste.

»Super Idee!«, meint meine Mittlere.

»Du rufst aber regelmäßig an!«, verlangt meine Jüngste.

Mein Mann sagt nichts, verdreht die Augen und denkt, ›Aha, wieder so ein Hirngespinst, mal abwarten.‹

Zweite Reaktion als klar wurde:

»Die meint es ernst«

»Super, aber hast Du keine Angst, dass was passieren könnte?«, fragt meine Älteste.

»Super, ich begleite Dich zum Flughafen!», ruft meine Mittlere.

»Super, Du rufst aber regelmäßig an.«, fordert meine Jüngste.

Mein Mann findet den Einstieg in meinen neuen Lebensabschnitt – ich bin seit einem halben Jahr im Ruhestand – toll. Er steht voll hinter mir und ich kann anrufen wann ICH will, und ER hat von Anfang an gewusst, dass ich das durchziehe, mir ist ja alles zuzutrauen. Richtig! Na also, geht doch.

Nein, der Camino war kein Spontanentschluss. Er geisterte seit 14 Jahren in meinem Kopf herum. Damals, es war eine stressreiche und schwere Zeit durch Pflege und Tod meiner Schwiegermutter, ist mir der Jakobsweg das erste Mal begegnet. Ich war psychisch und physisch ziemlich gebeutelt, als ich einen Bericht im Fernsehen sah, der mich so berührte, dass mir die Tränen übers Gesicht liefen. Ich kann bis heute nicht erklären warum, aber die Sehnsucht den Camino zu gehen, wurde immer stärker. Es heißt ja, man findet den Camino nicht, sondern man wird gefunden. So ist es wohl auch. Ich habe jede nur greifbare Literatur gelesen, Filme gesehen, Blogs durchstöbert und ich bin sicher, ich bin gut vorbereitet. Das Gewicht des Rucksacks sollte ca. 10 % des Körpergewichts betragen, aber das wären unrealistische 5,4 kg und damit käme ich unmöglich klar. Also bleibt's dabei, 7 kg, nicht weniger und keinesfalls mehr, basta!

Um in Spanien einigermaßen die Kommunikation in den Griff zu bekommen, habe ich, wie schon gesagt, einen Spanischkurs absolviert. Laut meines Reiseführers reichen Englischkenntnissen nicht allzu weit. Damit die neuen Vokabeln einigermaßen sitzen, müssen sie ständig wiederholt und natürlich die Aussprache gelernt werden! Wie war das noch mal? C wie th-Laut aber nur vor e und i, sonst wie k, und j wie ch aber nicht vor e und i, das v wird wie b gesprochen und zum Ausgleich das b wie v, ein w gibt’s laut meinem Sprachführer nur bei Fremdworten, wie zum Beispiel »Whisky«, aber den mag ich ohnehin nicht, also gleich wieder vergessen – oh Gott, wer kann sich so was alles merken! Vielleicht hätte ich doch früher beginnen sollen.

Vorsorglich frische ich auch mein uraltes Schulfranzösisch auf, denn die Freundin eines Bekannten war der Meinung, damit komme man auch ganz gut zurecht. Ob auch sie schon auf dem Pfad der Pilger gewandelt ist, kann ich nicht sagen.

Zur Unterhaltung – zu meiner, ich bin mir nicht sicher, ob das anderen zuzumuten ist! – habe ich mir im Herbst eine Ukulele für die Reise zugelegt und nutze jede Gelegenheit mein Können zu steigern. Das Gewicht? Kann man außer Acht lassen, Ukulele plus Tasche wiegen 549 g, die spar ich natürlich irgendwo wieder ein – vielleicht halbiere ich meine Zahnbürste, da findet sich schon ein Weg!

Noch sieben Wochen. Ich bin immer noch dabei meine Kondition aufzumöbeln. Allerdings hat mich zwischenzeitlich eine Virusinfektion erwischt und etwas zurückgeworfen. Aber jetzt geht’s wieder. Guter Dinge laufe ich fleißig meine Wanderschuhe ein.

Die Frage welches Paar ich auswählen soll, stellt sich beim Kauf als große Herausforderung dar. Nachdem ich in »meiner« Stadt nichts Passendes finde, entschließe ich mich, mit dem Zug in die nächstgrößere Stadt zu fahren. Ich habe aber nicht bedacht, dass an diesem Tag das Spiel FC Bayern München gegen Borussia Dortmund stattfindet, dadurch ist der Zug entsprechend überfüllt. So sitze ich auf der Treppe des zweistöckigen ICE zwischen zahlreichen, gut gelaunten Fußballfans, die mit belegten Broten und Bierdosen ausgerüstet sind und mir großzügig davon anbieten. Na wenigstens kann ich sitzen, andere haben weniger Glück und müssen stehen.

In der Stadt angekommen, verbringe ich den Rest dieses Tages im Fachgeschäft für Wander- und Sportartikel, mit der schwierigen Aufgabe mich entscheiden zu müssen. Nachdem sich die Verkäuferin schon geraume Zeit mir und meiner Unentschlossenheit gewidmet hat, sagt sie freundlich ich möge in Ruhe überlegen, wenn ich nichts dagegen hätte, kümmere sie sich in der Zwischenzeit um die wartende Kundschaft, komme aber sofort zurück, wenn ich Hilfe bräuchte. Sehr gut, denke ich und wandere weiter über den künstlichen Parcours aus Sand, Steinen und brückenähnlichen Holzteilen. Fast habe ich ein Paar ausgewählt, die Fachkraft will mir gerade zu meiner Wahl gratulieren, als deren Kollegin, die wohl aus der Ferne meine Tests beobachtet hat, herbeieilt. Nein, diese Schuhe seien viel zu leicht. Für den Camino bräuchte ich kräftigeres Schuhwerk. Sie drückte mir ein Paar schwere Bergstiefel in die Hand, die, »…mit gutem Grip auf jedem Untergrund, mit Zwischensohle, die jeden Aufprall dämpft und einer Verstärkung durch Glasfasern für die nötige Stabilität…«, unbedingt erforderlich seien. So wandere ich erneut über die künstlich angelegte Landschaft und der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Kurz bevor aus den Druckstellen an meinen Füßen Blasen werden, stelle ich die kräftigen Bergschuhe heimlich zurück ins Regal, nehme die vor zwei Stunden auserkorenen, zahle und verlasse eilig das Geschäft.

Die Wahl des passenden Rucksacks ist um einiges leichter. Bei einem Gewicht von 960 g, gutem Belüftungssystem – AirSpeed Suspension mit Superlight Aluminiumrahmen (hab mir schon überlegt in die Werbung zu gehen) – fällt mir die Entscheidung nicht schwer. Ebenso verhält es sich mit meinem Schlafsack, er wiegt mit Hülle 554 g, und sein Name »Cumulus«, was »Schäfchenwolke« bedeutet, scheint mir eine gute Metapher.

Zurzeit bin ich emsig damit beschäftigt meinen Rucksack aus- und wieder einzupacken, Gegenstände zu wiegen und auszusortieren, um dann festzustellen: unbedingt notwendig, alles wieder rein. Inklusive Ukulele bewegen wir uns jetzt gerade mal bei 6.063 g, Mist Regenhülle vergessen: plus 94 g also 6.157 g! Alles habe ich allerdings noch nicht zusammen. Alleine das Wasser wird mit 500 g zu Buche schlagen.

Noch 5 Wochen! Meine Trainingseinheiten liegen mittlerweile bei 10 km und 7,2 kg Gewicht. Schuhe super, blasenfrei, keine Druckstellen. Ich gehe jetzt aus Trainingsgründen auch mit Wanderschuhen und Rucksack zum Einkaufen. Zugegebenermaßen kommen mir die Stöcke dabei etwas albern vor und an der Kasse bereiten sie mir beim Bezahlen regelmäßig Schwierigkeiten, da ich nie weiß wo ich sie abstellen soll. Die Kassiererin schaut mich immer fragend an, aber ich werde einen Teufel tun ihr etwas zu erzählen.

Bisher war das Laufen keine wirkliche Herausforderung. Allerdings sind die Wege hier eher flach und noch weit von den Anforderungen meiner ersten Etappe, die ich überwinden muss, nämlich den Col de Lepoeder mit einer Passhöhe von 1.437 m, entfernt. Da in meinem Reiseführer dieser erste Abschnitt mit 8 Stunden Wanderzeit und 27 km angegeben ist, entschließe ich mich in Orisson, dem ersten Refugio auf der Strecke, zu übernachten. Diese Unterkunft muss im Voraus gebucht werden, da nur 18 Betten zur Verfügung stehen. Für die restliche Strecke plane ich nichts, ich will die Freiheit haben zu übernachten wann und wo ich will.

Noch 3 Tage! Jetzt bekomme ich langsam Lampenfieber. Heute habe ich Geburtstag. Ein paar Vorbereitungen für die »Geburtstags- und dann bin ich weg- Party« lenken mich ab. Der Rucksack steht bereits in den Startlöchern und wird jetzt auch nicht mehr umgepackt. Mein Credential, das ist der Pilgerausweis, der mich berechtigt in den refugios zu übernachten, ist in der »Bauchtasche« mit Bankkarten, Geld, Notfallausweis und natürlich Reisepass sowie Flugunterlagen. »Die Sachen musst Du am Körper tragen, unter dem Shirt«, meint meine Mittlere. So nimmt also mein Bauchumfang gleich mal einige Zentimeter zu und oben drauf kommt eine zweite Tasche, gefüllt mit lebenswichtigen Dingen wie Handy, Lippenstift, Kopfschmerztabletten, Papiertaschentüchern, feuchtem Toilettenpapier, ach ja, meine Brille darf ich auch nicht vergessen, vielleicht muss ich irgendwo was Wichtiges lesen, zum Beispiel die Speisekarte.

03. Mai 2014

Noch 4 Stunden bis zum Abflug!

Um 3.30 Uhr klingelt der Wecker. Draußen ist's noch dunkel, vom Sonnenaufgang keine Spur. Nun geht es also los, mein Abenteuer. Ich habe einen weiten Weg vor mir, ungewiss was mir auf dem Camino widerfährt. Mein lieber Mann fährt mich zum Flughafen, von meinen Töchtern habe ich mich gestern schon verabschiedet.

München – Paris-Charles de Gaulle, mit dem Shuttle nach Paris-Orly dann soll's weitergehen nach Biarritz-Anglet-Bayonne. Meinen Rucksack muss ich aufgeben und die Frage, ob ich mich beim Umsteigen um mein Gepäck kümmern muss, wird verneint. Super! So bin ich, die Ukulele am Schultergurt und zwei Täschchen um den Bauch, mit leichtem Gepäck unterwegs. Das ist gut, denn ich werde in Paris-Orly vier Stunden Zeit am Flughafen verbringen und etwas herumschlendern. Es ist soweit, ich muss durch den Zoll, ein Kuss, ein letzter Blick, Winken, alleine. Ein Tropfen Wehmut – oder ist es eine Träne? – rinnt mir über das Gesicht. Ich war noch nie so lange von meiner Familie getrennt, ich schätze es werden 8 Wochen sein. Hey Moment mal, kein Trübsinn, 8 Wochen Freiheit!

Paris/Charles de Gaulle!

Der Spruch »Die Zeit vergeht wie im Flug« hat seine Berechtigung. Jetzt warte ich auf den Shuttle-Bus und bemerke: Alle haben Gepäck, nur ich nicht! Das ist nicht gut. Mein aufgemöbeltes Französisch ist hilfreich, ich frage nach dem Warum. Ach so, selbstverständlich hätte ich meinen Rucksack abholen müssen! Nun aber schnell wieder in die Flughafenhalle. Allerdings bin ich schon durch den Zoll, stehe draußen vor dem eisernen Tor und überlege, wie ich da wieder reinkomme. Na bitte, da geht auch schon die elektronische Türe auf und Passagiere kommen heraus. Ich husche hinein. So viel zu den Sicherheitsvorkehrungen. Und da ist er dann auch: mein Rucksack. Er zieht alleine auf dem Förderband seine Kreise. Jetzt aber nichts wie zurück zum Bus, der fährt in ein paar Minuten ab.

Paris/Orly!

War nichts mit dem leichtenGepäck. Ich muss meinen Rucksack noch ein paar Stündchen herumtragen. Ich nehme es als weitere Trainingseinheit, kann ja nicht schaden. Die Stöcke allerdings lasse ich verpackt. Um 14.00 Uhr ist endlich Boarding.

Bayonne!

Die kulturelle Hauptstadt des französischen Baskenlandes verdankt ihre Berühmtheit ihrem besonders bemerkenswerten architektonischen Erbe. Die aneinandergereihten hübschen Häuser mit den bunten Fensterläden bilden das typische Bild.

Um zum Hotel zu gelangen, entscheide ich mich für ein öffentliches Verkehrsmittel. Ich muss umsteigen und der freundliche Schaffner rät mir, den Omnibus mit der Nummer »6« für die Weiterfahrt zu wählen, dann sei ich in 5 Minuten am gewünschten Ort. Als erstes kommt jedoch die Linie »12«, die auch in meine Richtung fährt, schwupp steige ich ein, warum in aller Welt sollte ich auf den »6er« warten! Endlich, nach einer guten Stunde Busfahrt, erreiche ich das Ziel und habe für einen Euro gleich eine komplette Ortsrundfahrt bekommen, da die Linie 12 alle Küstenstationen abfährt und überall hält. Toll!

Das Hotel liegt zentrumsnah, Gaststätten und Restaurants in der Nähe. Nach einer kurzen Erfrischungspause mache ich mich stadtfein und los geht’s auf Erkundungstour. Erste Eindrücke, erste Fotos. Es ist eine wahre Freude, durch die alten Gassen zu bummeln und dabei die schönen Fassaden der Holzfachwerkhäuser zu betrachten. Jetzt würde ich aber gerne ein gemütliches Gasthaus finden und etwas Leckeres essen. Ernüchtert stelle ich fest, dass alle Gaststätten noch geschlossen sind. Ich kann an nichts anderes mehr denken, ich habe Hunger, doch vor 19.00 Uhr gibt’s nichts, hier gehen die Uhren anders. Also laufe ich ziellos durch die Stadt und warte mit knurrendem Magen bis endlich die Restaurants öffnen und es heißt: Essen fassen!

04. Mai 2014

Bayonne - Saint-Jean-Pied-de-Port

Nach einer unruhigen Nacht erwache ich bereits im Morgengrauen. Die Angst zu verschlafen, ist größer als meine Müdigkeit. Der Blick durch die beschlagene Fensterscheibe lässt den Sonnenaufgang erahnen. Im gegenüberliegenden Haus sind die Büroräume noch verwaist. Ausreichend Zeit erlaubt es mir in aller Ruhe zu frühstücken, dann geht’s zur Station. Um 7.20 Uhr startet der Bus. Vorsorglich habe ich Strecke und Zeit gestern schon mal abgelaufen, zu Fuß sind es knapp 10 Minuten. Der Schalter ist noch geschlossen. Fahrkarten sollte es am Automaten geben, aber der spuckt nichts aus. Verdammt, ist das Ding defekt oder liegt es an mir? Mein Rucksack ist bereits im Packraum des Busses verstaut und wenn der jetzt losfährt, sind meine Klamotten weg! Ich bekomme Panik und spreche eine Frau in französischer Sprache an, die sich ebenfalls am Fahrkartenautomaten zu schaffen macht. Sie setzt die Verständigung auf Englisch fort und gibt mir zu verstehen, dass sie nicht französisch spricht.

»Mist, jetzt wird's eng.«

Die Frau mit dem Rucksack schaut mich überrascht an. Wir bemerken, dass wir Landsleute sind und müssen lachen. Da es keine Chance gibt ein Ticket zu bekommen, lässt uns der freundliche Busfahrer kostenlos mitfahren. Eine nette Geste und ein guter Auftakt.

Felder, Dörfer, bewaldete Hügel ziehen vorüber, ein kleiner Fluss schlängelt sich durchs Tal. Je näher ich meinem Ziel komme, umso mehr steigern sich Vorfreude gepaart mit Aufregung. Elfi, meine erste Caminofreundin, will heute noch weiter. Ich lasse es langsam angehen, werde erst morgen aufbrechen, noch spüre ich Unbehagen vor dem ersten schweißtreibenden und gefährlichen Abschnitt über die Pyrenäen.

Nach kurzweiligen drei Stunden kommen wir in Saint-Jean-Pied-de-Port an. In der Rue de la Citadelle befindet sich das Pilgerbüro. Hier erhält man alle Instruktionen für die Anfangs-Etappe und wer noch kein Credential hat, kann es sich hier abholen. Das Credential del Peregrino ist der Pilgerausweis, der bestätigt, dass man als Pilger auf traditionelle Weise – zu Fuß, per Rad oder Pferd – nach Santiago de Compostela unterwegs ist und berechtigt zur Übernachtung in den refugios. Beim Verlassen des Pilgerbüros bekommen wir noch ein »Suerte por el camino« und ein »Ultreia« nachgerufen, was so viel bedeutet wie »viel Glück auf dem Weg«, »Vorwärts nach Santiago de Compostela.«

Jetzt bin ich Pilgerin!

Auch äußerlich sichtbar. Meine Muschel, das Erkennungszeichen der Jakobspilger, die während des Fluges im Rucksack verstaut war, darf jetzt ans Tageslicht.

Der Legende nach hat die Pilgermuschel folgenden Ursprung:

Ein junger Adliger ritt einst dem Schiff entgegen, mit dem der Leichnam des Apostels Jakobus der Ältere nach Spanien gebracht wurde. Unglücklicherweise versank er dabei im Meer; jedoch rettete Jakobus auf wundersame Weise sein Leben und half dem Ritter, das Ufer zu erreichen. Sein Körper war über und über von Muscheln bedeckt und aus diesem Grund wird die Muschel seitdem als Schutzzeichen getragen.[Fußnote 2]

Saint-Jean-Pied-de-Port, seit 1998 Weltkulturerbe der UNESCO, am Fuße der Pyrenäen, markiert den Endpunkt des französischen Jakobsweges Via Podiensis und den Beginn des Camino francés und gehört zum Département Pyrénées-Atlantiques. Der kleine malerische Ort mit seinen knapp 1.500 Einwohnern entspricht genau meiner Vorstellung. Schmale kopfsteingepflasterte Gassen, weißgetünchte Häuser mit grünen oder roten Fensterläden, Blumenkübel vor den Hauseingängen, strahlen Gelassenheit und Fröhlichkeit aus. Ich bin aufgeregt und glücklich zugleich. Eine Nacht werde ich hier verbringen, wie die meisten Pilger. Warum habe ich so auf diesen Tag hingefiebert, ist es Bestimmung oder Zufall diesen Weg zu gehen? Gibt es Zufälle? Was treibt mich an, lässt mich Grenzen überschreiten? Werde ich Antworten bekommen auf meinem Weg? Ich bin voller Erwartung, Hoffnung, aber auch Ungewissheit was mir bevorsteht.

Elfi, meine Reisebekanntschaft des ersten Tages, und ich betreten die kleine Kirche Notre Dame und erleben den imposanten Schlussakt eines Orgelkonzertes. Beseelt schlendern wir anschließend durch die engen Gassen. An vielen Türen hängen Muscheln aus Metall, Holz oder echte Jakobsmuscheln, das Pilgerzeichen, das auf Unterkünfte hinweist. Souvenirläden säumen den Weg. Elfi aus Bayern kauft sich einen Wanderstab, ich entscheide mich für ein Muschelmotiv, das ich gleich an meinem Hut befestige. Ansonsten bin ich mit Souvenirs zurückhaltend, da sie 900 km getragen werden wollen. Nach einem petitedèjeuner, einem kleinen Frühstück, wird Elfi ungeduldig, sie will heute noch weiter nach Huntto. Ich bleibe zurück, der erste Abschied, der erste Adressenaustausch.

Meine Herberge öffnet erst am Nachmittag, Zeit spielt für mich keine Rolle, so setze ich mich an der Zitadelle in die Sonne und genieße den Blick über das Tal. Eigentlich wollte ich ein paar Takte auf meiner Ukulele spielen, aber es gesellt sich eine Gruppe Pilger zu mir und wir kommen ins Gespräch. Zilli mit Mann und Bruder aus Frankreich, Conni mit Rahel aus der Schweiz. Es ist für alle der erste Tag, wir fotografieren uns gegenseitig, sind euphorisch und neugierig was der Weg bringen wird. Um 14.00 Uhr öffnet meine Pilgerunterkunft und ich kann mein Quartier beziehen. Das mir zugewiesene Bett ist direkt am Fenster und bietet mir einen Blick über das Tal. Ich richte mich für die erste Nacht ein, Jugendherbergsfeeling, dann treibt mich der Hunger hinaus. Welch ein Glück, heute muss ich nicht bis 19.00 Uhr warten. Ich verspeise das erste†Pilgermenue und gönne mir anschließend für 2,20 € auch noch eine Kugel Eis. Auf einer Steinbank vor meinem refugio lasse ich den Tag in der Abendsonne ausklingen. Eine ziemlich kräftige Dame im Minikleid mit Leggings läuft an mir vorbei, im Schlepptau einen riesigen Rucksack auf Rollen, an der Seite des Tornisters hängt ein Musikinstrument. Wir kommen ins Gespräch, sie heißt Kathleen und ist Australierin. Bei ihrem Anblick kommt mir unweigerlich der Gedanke, sie sei dem Film ›Pilgern auf Französisch‹ entsprungen. Sie sucht eine Unterkunft für die Nacht. Noch unschlüssig, für welche sie sich entscheiden soll, packt sie ihr Musikinstrument aus, es ist eine Ukulele. ›Schwester im Geiste‹ denke ich und erzähle, dass ich ebenfalls ein solches Teil dabeihabe. »Komm wir spielen zusammen.«, sagt Kathleen und ich werde blass. »Ich habe noch nie in der Öffentlichkeit…« Aber das ›150-Kilo-Mädchen‹ in Leggins und schrill buntem Minikleid hat ein Wahnsinns-Selbstbewusstsein und verdammt viel Überzeugungskraft. So sitzen wir kurz darauf wie ein eingespieltes Duo und geben »Blowin in the wind« – Bob Dylan möge es uns verzeihen – zum Besten. Ich muss zugeben, es macht sogar Spaß und außerdem kennt mich sowieso niemand! Es bleiben tatsächlich Passanten, Pilger wie Einheimische, stehen, lauschen unseren Klängen und applaudieren am Ende der Darbietung aus freien Stücken ohne Nötigung oder Fremdeinwirkung! Mittlerweile ist es dunkel geworden und Zeit sich zu verabschieden. Wir tauschen keine Adressen, sondern ukulele chords aus.

Jetzt aber ab ins Bett, meine erste Nacht im Schlafsack »Cumulus«, ich hoffe er macht seinem Namen alle Ehre und lässt mich »wie auf Wolken« ruhen. Morgen geht’s richtig los.

05. Mai 2014

Saint-Jean-Pied-de-Port - Orisson

Endlich ist es soweit, richtig pilgern. Um 7.30 Uhr verlasse ich bei Frühnebel die Herberge und wandere die Rue de la Citadelle hinunter. In der engen Gasse hallen meine Schritte von den Hauswänden wider. Über den Fluss Nive, durch das Spanische Tor in die Rue d'Espagne, geht es Richtung Santiago de Compostela. Das erste Hinweisschild »Chemin de St. Jacques« weist mir den Weg. Kurz hinter dem Städtchen steigt der Weg steil bergan.

Nachdem ich ein paar hundert Höhenmeter überwunden habe, bleibt der Nebel im Tal und gibt den Blick auf die wunderschöne, mittlerweile sonnige Berglandschaft, grasende Manech-Schafe und Felsformationen frei. Die Strecke ist mühsam und anstrengend, dennoch bin ich bereits nach 3 1/2 Stunden an meinem heutigen Tagesziel angekommen. Die albergue ist klein und übersichtlich mit ihren 18 Betten. Ich teile mein Zimmer zunächst mit Gudrun und Hermann, einem Ehepaar aus Bayern, Marina aus der Schweiz und Elisabeth aus Ungarn. Später gesellt sich noch eine weitere Schweizerin dazu, sie schläft oben im Doppelstockbett. Ihre erste Handlung besteht darin, mit Desinfektionsmittel ihren Schlafplatz zu bespritzen. »Alles Bio», teilt sie der etwas erschrockenen Gudrun mit, die darunterliegt und zu ihrem Entsetzen gleich mit desinfiziert wird. Die Waschräume sind hell und sauber. Spontan entschließe ich mich, meine Schminksachen hierzulassen und den »Nachkommenden« zur Verfügung zu stellen. Jedes Gramm zählt, das wurde mir heute am ersten Tag schon bewusst. Nur einen kleinen Luxus behalte ich, meinen Lippenstift, der mir nach dem Duschen das gewünschte »Ausgehfeeling« verleiht. Überhaupt stelle ich fest, dass das Pilgern ohne jeden technischen Ballast befreiend ist. Kein Föhn, die Haare trocknen im Wind und wenn keiner weht, trocknen sie trotzdem, kein Bügeleisen, glatte Kleidung ist überbewertet. Wo das nach meiner Rückkehr hinführen soll, darüber mache ich mir heute keine Gedanken. Noch habe ich massig Zeit.

Auf der Aussichtsterrasse bereiten wir uns mit diversen kühlen Getränken mental auf die morgige Passüberquerung vor. »Wir«, das sind John aus Washington DC und ich. Ihm geht es wie mir – schlecht! Auch er hat ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Mit »Yes we can!« spricht er sich – und mir! – Mut zu und bevor wir uns versehen ist der schöne Nachmittag auch schon vergangen und wir werden zum peregrinomenue