Der längste Krieg in Europa seit 1945 - Ulrich Heyden - E-Book

Der längste Krieg in Europa seit 1945 E-Book

Ulrich Heyden

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Beschreibung

Das Buch handelt vom Krieg im Donbass, der 2014 begann. Es berichtet von Menschen, deren Dörfer und Städte von der ukrainischen Armee und rechtsradikalen Freiwilligen-Bataillonen beschossen werden, von Kindern, die am Geräusch erkennen, um was für eine Granate oder Rakete es sich handelt und woher geschossen wird, von freiwilligen Kämpfern, die sich an der "Kontaktlinie" tief in die Erde eingegraben haben und gelegentlich auch zurückschießen. Der Autor hat die international nicht anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk seit 2014 mehrmals besucht. Er analysiert, warum der Konflikt in der Südostukraine entstand – wo der Anteil der Russisch-Sprechenden Ukraine-weit am höchsten ist - und warum das Waffenstillstandsabkommen "Minsk 2" immer wieder gebrochen wurde. Das Fazit des Autors: Die Ukraine könnte als neutrales Land zwischen Russland und dem Westen in Frieden leben. Jeder Versuch, das Land auf eine Seite zu ziehen, wird es zerreißen. In dem Buch werden schon veröffentlichte Analysen, Interviews und Reportagen des Autors zusammen mit neuen Texten veröffentlicht.

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Der Autor vor einem beschossenen Haus im Oktjabrski-Bezirk von Donezk, Februar 2017, Foto: privat

Ulrich Heyden wurde 1954 in Hamburg geboren. Er arbeitet seit 1992 als Moskau-Korrespondent für deutschsprachige Medien, in den letzten Jahren für der Freitag, Nachdenkseiten, Telepolis, Krass und Konkret, Rubikon und RT DE. Von 1992 bis 2014 arbeitete er für die tageszeitung, Der Tagesspiegel, Rheinischer Merkur, Deutschlandfunk, Sächsische Zeitung. Er ist Autor von „Wie Deutschland gespalten wurde. Die Politik der KPD 1945 bis 1951“ (tredition 2020), „Wer hat uns 1945 befreit?“ (tredition 2020), „Ein Krieg der Oligarchen. Das Tauziehen um die Ukraine“ (PapyRossa 2015), Co-Autor von „Opposition gegen das System Putin“ (Rotpunktverlag 2009) und Co-Regisseur von „Lauffeuer“, dem ersten deutschsprachigen Film über den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014.

Website: www.ulrich-heyden.de

Ulrich Heyden

Der längste Krieg in Europa seit 1945

Augenzeugenberichte aus dem Donbass

© 2022 Ulrich Heyden

Umschlag, Illustration: Ruben Karapetjan

Lektorat: Katrin McClean, Dr. Kerstin Schreiber

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN Softcover: 978-3-347-59284-1

ISBN Hardcover: 978-3-347-59285-8

ISBN E-Book: 978-3-347-59286-5

ISBN Großschrift: 978-3-347-59287-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Andrej Hunko (Bundestagsabgeordneter)

Vorwort Diether Dehm (Texter und Komponist)

Einleitung

Kapitel 1

Reise durch die Volksrepublik Lugansk

„In der Ukraine gibt es keine Faschisten“ (Claus Kleber)

Wie kommt man eigentlich in die „Volksrepubliken“?

An der Frontlinie in Lugansk

„Wir haben uns an den Krieg schon gewöhnt“

Ist ein Kompromiss zwischen den „Volksrepubliken und Kiew möglich?

„Kinder müssen wissen, was Krieg bedeutet und warum Krieg schlecht ist“

Raissa Steinigk über humanitäre Lieferungen nach Lugansk „Niemand konnte sich vorstellen, dass es zu

einem Krieg kommt“

Kapitel 2

Das über die Jahre zerredete Minsk-2 Abkommen

Wie kam es zum Abkommen von Minsk? Und warum wurde es nicht umgesetzt?

Donbass und Tschetschenien – was ist der Unterschied?

Will Merkel deutsche Panzer zur Friedensarbeit in die Ukraine schicken?

Vom friedlichen Europa reden, aber die Bundeswehr in die Ost-Ukraine schicken wollen

Der Bundestag und die Kriegsgefahr in der Ost-Ukraine

Der ukrainische Präsident Selenski – von der Taube zum Falken

Selenski: Ukrainer aus Donbass-Region sollen nach Russland übersiedeln

Kapitel 3

„Russischer Frühling“ für eine Föderalisierung der Ukraine

Donezker auf Wache gegen Rechte

Moskau braucht gar nicht zu locken

In der Ost-Ukraine wird der Ruf nach Selbstständigkeit lauter

„70 Prozent der Menschen unterstützen Idee des Referendums“

„Wir lassen uns von niemandem etwas sagen“

Ost-Ukraine: Unabhängigkeits-Referendum trotz Militär-Terror

„Friedensaktion“ im Zentrum des Donbass

Berge von Autoreifen, Stacheldraht und Parolen gegen die EU

Gründungskongress des Netzwerkes „Novorossija“ in Donezk

KPU-Sekretär: „Wir brauchen hier keine russischen Streitkräfte. Wir schaffen es allein.“

Linke und Liberale in Russland über den Separatismus

Kapitel 4

Die heiße Phase des Krieges 2014/15

Die Etappen des Krieges

Von 14.000 Kriegstoten kommen 9.000 aus „Volksrepubliken“

Rechte Freiwilligenbataillone, westliche Sicherheitsfirmen in der Ukraine

Mit Kopfgeldern gegen Separatisten in der Ost-Ukraine

Piroggen und Salzgurken gegen den Krieg

Wo Aufständische in Erdhöhlen hausen

Auch in Wohnvierteln von Donezk fielen Schüsse

Der Kampf um Slawjansk – Einführung

Sturm der ukrainischen Armee auf Slawjansk bleibt stecken

Ein Kommunist aus Slawjansk: „Man muss die Junta mit politischen Methoden bekämpfen“

„Anti-Terror-Krieg“ in den Innenstädten

Petro Poroschenko und die Flüchtlingsfrauen

Ukrainische Nationalgarde bestreitet Einsatz von

Phosphorbomben

Britischer Korrespondent hat schwierigen Stand in Kiewer Talk-Show

Bomben auf das Dorf Staraja Kondraschowka

Warum Igor Strelkow gehen musste

Panikstimmung in Kiew

Mit Kopfschuss im ost-ukrainischen Massengrab

Die Radikalen haben ausgedient

Kessel von Debalzewo noch nicht geschlossen

Folter-Vorwürfe aus Deutschland gegen die „Volksrepubliken“

Kapitel 5

Stellungskrieg und Jagd auf Donbass-Kommandeure

Ukrainische „Kriech-Krieger“ robben zwischen den Linien

Besuch beim „Geister-Bataillon“ im Stützpunkt Altschewsk

„Wir haben einen guten Kontakt mit der Bevölkerung“

Besuch an der Südfront: „Bei Angriff schlagen wir zurück“

Jagd auf die Feldkommandeure der Volksrepubliken

Abschied von Givi

Beim Bataillon des Abchasen

Der Ossete: „Kampferfahrung haben wir im Blut“

DNR-Präsident Sachartschenko: „Nur Dummköpfe sagen, vor dem Tod habe ich keine Angst

Mord beim Mittagessen

Kapitel 6

Oligarchen, Kohle-Schmuggel und Schienenblockaden

Unter der Erde der Tod - über der Erde die Prediger

Der Kampf um die Kohle in 750 Meter Tiefe

Bergleute: NATO nein!

Donezk und Lugansk stellen ukrainischen Oligarchen Ultimatum

Kapitel 7

Alltag im Krieg

„Wir sind jetzt nicht mehr Teil der Ukraine“

Donezker Weihnacht im Keller

Ost-Ukraine: Alles Lebendige ist wertvoll

Das Loch im Blumentopf

Scharfschützen gegen Datschen-Bewohner

Wasserfilter-Anlage von Donezk droht Zerstörung

In Donezk und Lugansk wurde das erste Mal seit 2014 wieder gewählt

„Die Leute stehen Schlange nach einem russischen Pass“

Der Pass-Streit

Wie ein kurzer Sonnenstrahl

Chronologie

Vorwort von Andrej Hunko Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke

Die Zustimmung zu Krieg wird mit Bildern erkauft. Wenn irgendwo in der Welt ein Militäreinsatz legitimiert werden soll, sind es die allabendlichen Bilder, die in die Wohnzimmer ausgestrahlt werden, die so unerträglich sind, dass der Militäreinsatz zwangsläufig erscheint, um diese Bilder zu beenden. Oder wenigstens massive Sanktionen und Waffenlieferungen.

Der Krieg im Donbass begann im April 2014, nicht im Februar 2022. Als der nicht gewählte und verfassungswidrig an die Macht gekommene ‚Übergangspräsident‘ Oleksandr Turtschynow die ‚Anti-Terror-Operation‘ ausrief, also den Einsatz des ukrainischen Militärs gegen die Aufständischen im Donbass, war ich gerade mit einer Delegation des EU-Ausschusses des Bundestages auf dem Weg von Kiew nach Donezk.

Abseits dieser Delegation besuchte ich das besetzte Verwaltungsgebäude in Donezk, sprach dort mit protestierenden Bergarbeitern. ‚Wegen dem banderistischen Regime in Kiew‘ hörte ich als Antwort auf meine Frage, warum sie dort demonstrieren. Ja, man wolle in der Ukraine bleiben, aber mit föderalem Status, mit Autonomierechten und der Akzeptanz der russischen Sprache. 69 Prozent der Bevölkerung im Oblast Donezk hätten diese Auffassung, wie uns der damalige Bürgermeister von Donezk mitteilte.

Ich ging an einem dieser lauen Aprilabende in Donezk spazieren, junge Mütter schoben Kinderwagen durch einen Park. Jemand spielte Saxophon. Ich dachte, hier wird bald der Krieg toben, ein grotesker Kontrast zu dieser Szenerie des Friedens. Und es gibt nichts, was ich tun kann, um diese Entwicklung aufzuhalten, vielleicht ein klein wenig Öffentlichkeit herstellen, sonst nichts.

Aus den Föderalisten wurden schnell Separatisten, katalysiert durch den Kiewer Einsatz der Armee und durch das Massaker in Odessa: Am 2. Mai 2014 wurden dort knapp 50 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, als sie nach einer Anti-Maidan-Demonstration in ein Gewerkschaftshaus flüchteten. Ich habe den Ort mehrfach besucht und mit den Angehörigen gesprochen: Alle Opfer kamen aus Odessa oder unmittelbarer Umgebung, es waren keine russischen ‚grünen Männchen‘, wie es viele meiner Bundestagkolleg/innen glaubten.

Ein Jahr später war ich erneut in Donezk, am Flughafen. Übriggeblieben war ein apokalyptisches Szenario. Kein Stein war mehr auf dem anderen, Baumstümpfe, die in drei Metern Höhe endeten, ließen erahnen, welche Feuerkraft hier geherrscht haben musste. Diese Bilder, ebenso wie diejenigen aus dem ebenfalls bombardierten Kinderkrankenhaus in Gorlovka, für das ich zusammen mit Wolfgang Gehrcke Medikamente brachte, haben sich bei mir eingeprägt. Diese Bilder waren nicht allabendlich in deutschen Fernsehnachrichten zu sehen.

Die Hilfslieferung für das Krankenhaus und die begleitenden Bilder habe ich teuer erkauft: Ich wurde auf eine schwarze Liste des ukrainischen Geheimdienstes SBU gesetzt, bei Einreise würden mir fünf Jahre Gefängnis drohen. Aus dem Donbass sollte ein schwarzes Loch werden, kein westlicher Journalist oder Politiker sollte sich so ohne weiteres ein Bild des von den Separatisten kontrollierten Teils machen können.

In einer Zeit, in der schon die Erinnerung an die Genese des Konflikts im Donbass und in der Ukraine, als ‚Relativierung von Putins Krieg‘ gebrandmarkt wird, ist es ein wertvolles Verdienst von Ulrich Heyden mit diesem Buch einen anderen Blickwinkel aus dem Donbass vor allem uns Leser/innen in Deutschland zu liefern.

Es mutet schon sehr befremdlich an, wenn ein Großteil derjenigen, die in Deutschland nach immer neuen Sanktionen, weiteren Waffenlieferungen oder gar einer Flugverbotszone durch die NATO rufen, noch nicht einmal wissen, was im Donbass in den letzten Jahren passiert ist oder was etwa das Minsk-2-Abkommen konkret beinhaltete. Auch wenn ich den jetzigen Krieg für eine Tragödie halte und auch entsprechend verurteile: Die Erinnerung an seine Vorgeschichte, der Blick der anderen Seite der Ukraine ist so unendlich wichtig, wenn wir aus einem dauerhaften Zyklus von Krieg und Konfrontation aussteigen wollen.

Andrej Hunko, März 2022

Andrej Hunko ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2010 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Seit 2015 ist er dort stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken

Der bei den Kämpfen zerstörte Flughafen von Donezk 2015, Foto: Ulrich Heyden

Vorwort von Dr. Diether Dehm, Texter und Komponist

Wie wenig war in den letzten Jahren „durchgedrungen“ vom Krieg gegen die Menschen im Donbass? Von den kindermordenden Scharfschützen, von den mit Drohnen und Mörsergranaten massakrierten Tausenden? Und vom Dahinsiechen durch die Wirtschaftsblockaden aus dem Kiewer Pentagon in Hunger und Krankheit? Das Minsker Abkommen II wurde zwar immer wieder westseits zitiert, auch das Völkerrecht – aber nur, soweit es Waffenbrüder mit der Hakenkreuzfahne in der rechten und der NATO-Flagge in der linken Hand nicht betraf.

Wie oft habe ich am Bundestagsmikro einer Demokratieverächterin wie Marieluise Beck – Klammer auf „Grüne“ Klammer zu - die SS-Symbole auf dem Maidan vorhalten müssen, wozu sie ihr Skelett in Keif-Anfällen durchrüttelte. Wie oft mussten Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine, Wolfgang Gehrcke, Gesine Lötzsch, Norman Paech, Ulla Jelpke, Ulrich Maurer, Volker Schneider, Herbert Schui, Jan Korte, Wolfgang Neskowic, Andrej Hunko, Heike Hänsel, Zaklin Nastic, Klaus Ernst, Ali Aldailami, Alexander Neu, Sevim Dagdelen, Alexander Ulrich, Dietmar Bartsch usw. die antirussische Medien-Querfront von NPD bis taz an die Kubakrise erinnern, um wenigstens etwas Verständnis dafür zu erwirken, dass auch Russland keine Atomraketen sekundennah vor Moskau stationiert haben möchte.

Der „Friedenswinter“ der AufrüstungsgegnerInnen wurde 2014 kurzerhand auch zur Domäne AfD-affiner Verschwörungs“theoretiker“ umdefiniert, so wie früher die Ostermärsche zu Moskaus Fellow-Travellern. Ein Widerwort - und man/frau war steckbrieflich zum Freiwild erklärt.

Die Gleichschaltbarkeit von Medien in der Innenarchitektur imperialistischer Großmächte wie USA, EU und in deren Kernstaat Deutschland, ist wahrlich bewundernswert. Wo frühere Diktatoren noch ihre Schergen gegen die Redaktionen unbotmäßiger „Ketzer“ aussenden mussten, werden Medienmultiplikator*innen heute von einem virtuellen Amalgam dirigiert: aus ihrer Angst vor Isoliertheit unter sich überschlagenden Mainstreamwogen, und darum vor sozialem Abstieg. Und aus dem verzweifelten Sich-Festklammern an den von westlichen Konsum+Börsen-Werten rückversicherten Lügen und entsprechend zuortbarem Infotainment. Abgesehen von dem, was Erich Schmidt-Eenboom in seinem Klassiker „DER BND UND DIE MEDIEN“ an Geheimdiensteinwirkungen bloßgelegt hatte, findet die Schakalisierung des Journalismus heute weitgehend ganz freiwillig und in jedem einzelnen Kopf statt.

Wie Fische über eine so geringe mentale Variabilität verfügen, dass sie auf ein Klopfen an die Aquariumsscheibe nur mit gemeinsamer Schwarmbewegung reagieren, „jagen Journalisten“, wie es der Dichter Peter Hacks über die Schreibagenten notierte, „immer nur in der Meute“. Und dergestalt sind auch die seichten Witz-Anläufe, um die sich Fernseh-Spaßarbeiter*innen wie Welke, Bosetti, Nuhr, Böhmermann, Krömer, Ehring & co krampfhaft-locker bemühen. Mit ihren denunziatorischen Späßchen auf Kosten Oppositioneller ringen sie allenfalls noch ihren Rundfunkrats-Majestäten ein seniles Schmunzeln ab. Bei sinkender Endverbrauchs-Quote! Highpremium-Journalist*innen kotzen sich den angefressenen Zorn ihrer Befehlshaber ins Display, während die Zahl derer steigt, die angesichts tödlich-langweiliger Vorverurteilungsredundanzen schon jedwede Daily News wie Staubsaugerwerbung wegzappen. In dumpfer Ahnung, dass die Kriegsmitbetreiber in den Nachrichtenredaktionen auf ihre Portemonnaies und Heizkosten abzielen.

Und als dann am Ende im irakischen Sand doch nichts von den propagierten Massenvernichtungswaffen Saddams gefunden wurde, aber dafür US-amerikanisches Erdöl, gab`s nur ein müdes Schulterzucken der Klebers und Slomkas. „Tonkin-Zwischenfall“ und „Sender Gleiwitz“ ließen grüßen.

Als sich jener Tiefflieger auf dem permanenten Tagesschau-Foto, mit dem Gaddafi angeblich seine eigene Bevölkerung bombardiert haben sollte, als getürkt herausstellte, weil der einer europäischen Luftfahrtfirma gehörte, gab es auch kein Wort der Entschuldigung.

Als serbische Menschen in dieselben Luftschutzkeller gebombt wurden, in denen sie schon unter Hitlers Luftwaffe gekauert hatten, war von Völkerrechts-Bruch medial keine Rede. So stand die gesamtdeutsche Friedensbewegung 1999 verloren und einsam mit 15 000 People (davon 7500 SerbInnen und 7500 alte Hardcore-Antiimperialist*innen) auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Die Promi-Künstler Lindenberg, BAP & co, die 1982 in Bonn noch mediengeil um TV-Auftrittsminuten gefeilscht hatten (ich weiß das, denn ich war damals sowohl oft deren Manager und gleichzeitig Sprecher von „Künstler für den Frieden“), waren mit Joschka Fischer in den Kosovo-Krieg gezogen. Heute schämen sich die meisten von ihnen. Aber sehr leise.

Auf dem NATO-Strich wird zwar für „Meinungsfreiheit“ angeworben. Vorausgesetzt aber, dass sich bereits auszubildende „Medien-Volontäre“ (= freiwillig + zeitlimitiert) zuvor Namen wie Edward Snowden, Chelsea Manning und Julian Assange frühzeitig aus dem Kopf schlagen ließen. Ein Hoch auf Dissidenten und Menschenrechte? Klar, solange diese außer Landes sind!

Chapeau also für „unsere“ Geheimdienste: der Plan der Pentagon-Spin-Doctors ist aufgegangen! Northstream II ist out, exakt so, wie von Biden früh publik gemacht. Europas Handel, ein gemeinsamer Kampf gegen Terrorismus und Pandemie, Ukraine und Russland - alle tragen den Schaden davon. Dafür ist die Rheinmetallaktie im Dollar-Höhenflug, wie das Drohnengeschäft und die Biowaffenproduktion. Die CIA scheint wieder mal auf ganzer Linie gesiegt zu haben. Bücher, wie das vorliegende, dürfen sich allenfalls rühmen, einen kleinen Nadelstich zu setzen.

Auf diesem Hintergrund und gegen diese siegreichen Mordslügenprofis, wird es mir schnurz, nochmal als Propagandist russischer Sicherheits-Interessen oder, wie als 25Jähriger, als Ostspion verleumdet zu werden. Gegen den herrschenden Giftstachel zu löcken, befördert wenigstens die Lust am eigenen Denken! Klar, Zuspitzung ruft auch Widerspruch auf den Plan. Aber, wo kein Verständnis mehr ist für Gegen-Standpunkte, dünnen sich auch immer die Chancen aus für Annäherung und Aussöhnung. (Deswegen auch betreibe ich das Portal „weltnetz.tv“ mit; auf Youtube, aber wie lange noch?).

Wo man sich solche Subversivität angewöhnt? Kaum bei kommunistischen Staatsführern! Eher bei Willy Brandt. Für den ich die eine oder andere Rede schreiben durfte - und der BILD Interviews verweigerte. Und es ist ja auch kein allzu großer Zufall, dass Albrecht Müller mit seinen „Nachdenkseiten“, der früher den erfolgreichsten Wahlkampf der SPD aller Zeiten (1972 mit der „Willy-Wahl“) und dann das Kanzleramt für Willy und Helmut Schmidt koordiniert hatte, heute Morddrohungen als Landesverräter und Russenversteher erhält.

Das vorliegende Buch legt Zeugnis ab über einen von westlichen Medien verschwiegenen und damit auch durch diese Medien befeuerten Krieg, welcher nicht im Februar 2022, sondern zumindest 2015 begonnen hat. Es mag mir als Künstler momentan das Jewtuschenko-Lied nicht leicht über die Lippen kommen: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Aber die Frage: „Meinst du, DER Westen steht für Meinungsfreiheit?“, ist endgültig rhetorisch wie obsolet geworden.

Dr. Diether Dehm war 16 Jahre für die SPD und Die Linke Abgeordneter im Bundestag, promoviert in Psychosomatik

Einleitung

Dass es in der Ost-Ukraine seit April 2014 einen Krieg gibt, darüber haben die großen Medien in Deutschland die letzten Jahre nur spärlich berichtet. So war die Öffentlichkeit in Deutschland schockiert, als Russlands Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den Beginn einer „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine bekanntgab. Das Ziel dieser Operation sei – so der Kreml-Chef - „der Schutz der Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ und die „Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“.

Diese Begründung war nach Meinung der deutschen Medien hanebüchen. Im Grunde gehe es Wladimir Putin nur um den Wiederaufbau eines russischen Imperiums. Auch andere osteuropäische Länder könnten jetzt Opfer russischer Aggression werden. Dass Russland monatelang erfolglos mit Vertretern der USA, Frankreich, Deutschland und der NATO über Sicherheitsgarantien und eine Absage bezüglich eines NATO-Beitritts der Ukraine verhandelt hatte, war plötzlich vergessen. Ob es richtig war, Russland Sicherheitsgarantien zu verweigern, stand weder vor noch nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine zur Debatte.

Die Öffentlichkeit im Westen hatte nicht mit dem russischen Einmarsch gerechnet. Zwar hatte die Bild-Zeitung schon am 4. Dezember 2021 getitelt1 „Putins geheimer Angriffsplan für die Ukraine“ und eine Grafik veröffentlicht, die faktisch das zeigte, was dann am 24. Februar 2022 wirklich begann, aber die Drohungen des US-Präsidenten mit „nie dagewesenen Sanktionen“ gegen Russland im Falle eines Angriffes auf die Ukraine, hatten wohl viele Menschen glauben lassen, dass der Kreml dieses Risiko nicht eingehen würde.

Ratlose Russland-Freunde

Wladimir Putin, sein Sprecher Dmitri Peskow, und der russische Außenminister Sergej Lawrow, hatten in den Monaten vor dem 24. Februar 2022 immer wieder erklärt, Russland werde nicht - wie von westlichen Geheimdiensten und Medien behauptet – in die Ukraine einmarschieren.

Als dann der Kreml-Chef am 24. Februar 2022 die „Spezialoperation“ bekanntgab, fühlten sich nicht wenige Russland-Freunde in Deutschland getäuscht und ratlos. Sie erklärten, sie müssten jetzt ihr Verhältnis zur russischen Politik überprüfen oder sie zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Doch war es wirklich eine Täuschung? Der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung, Dmitri Kosak, hatte bereits am 8. April 2021 erklärt, dass, wenn Kiew Kriegshandlungen im Donbass aufnehme, sei das „der Anfang vom Ende“ für die Ukraine. Russland sei in diesem Fall gezwungen, seine Bürger zu schützen. 600.000 Bewohner des Donbass hatten zu diesem Zeitpunkt bereits einen russischen Pass.

Am 21. April 2021 erklärte Wladimir Putin in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung, dass, wenn in der Ukraine „eine rote Linie überschritten wird, die wir selbst festlegen, wird die Antwort asymmetrisch, schnell und hart sein“.

Am 21. Dezember 2021 erklärte der Kreml-Chef: „Natürlich, werden wir, wie ich schon bemerkt habe, in dem Fall, dass die westlichen Kollegen eine klare aggressive Linie fortsetzen, adäquate militär-technische Maßnahmen ergreifen, auf unfreundliche Schritte werden wir hart reagieren.“2

Dass die Russland-Freunde in Deutschland in Debatten ausschließlich Russlands friedliche Absichten hervorhoben, war angesichts der antirussischen Kriegshysterie in den deutschen Medien verständlich, aber nicht weitsichtig. Russland hatte schon 1999 im Tschetschenienkrieg gezeigt, dass es bei Gefahr für seine staatliche Souveränität militärisch zuschlägt - damals ging es um von arabischen Staaten finanzierten islamischen Fundamentalismus in Tschetschenien und eine Ausbreitung des Separatismus in Russland.

Statt Fakten Stimmungsmache

Nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine spielten die großen Medien in Deutschland keine gute Rolle. Sie heizten die Stimmung gegen Russland weiter auf, indem sie unterstellten, Russland werde möglicherweise weitere osteuropäische Länder überfallen. Von Diplomatie war keine Rede mehr, nur noch von Aufrüstung. In Deutschland lebende Russen waren das erste Mal seit dem Kalten Krieg wieder mit verächtlichen Äußerungen im Alltag konfrontiert.

Die Situation wurde von den Medien auch falsch gewichtet. Es wurde behauptet, in der Ukraine habe der „erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg“ begonnen. Tatsächlich war es die NATO - unter Beteiligung der deutschen Luftwaffe – die 1999 im Kosovo-Krieg Ziele in Serbien bombardierte. Das war der erste Krieg in Europa seit 1945.

Auch verschwiegen die deutschen Politiker und großen Medien, dass der Krieg in der Ukraine nicht erst 2022 begann, sondern bereits 2014. Im Februar 2014 fand in Kiew – angeführt von rechtsradikalen, militanten Gruppen – ein Staatsstreich statt. Der amtierende Präsident Viktor Janukowitsch wurde unter Morddrohungen aus Kiew verjagt.

Zwei Monate später, am 14. April 2014, schickte der geschäftsführende nicht-gewählte ukrainische Präsident Aleksandr Turtschinow Truppen in den Donbass. Sie sollten im Rahmen einer „Antiterroristischen Operation“ die Separatisten aus Regierungsgebäuden in Donezk und Lugansk vertreiben.

Diese „Operation“ kostete bis heute etwa 14.000 Menschen das Leben. Zirka 5.000 Menschen starben in der Volksrepublik Donezk, 4.000 in der Volksrepublik Lugansk3 und 5.000 in dem von Kiew kontrollierten Teil des Donbass.

Ich habe mit den Menschen im Donbass gesprochen

Dieses Buch handelt von dem nun schon acht Jahre andauernden Krieg im Donbass. Es handelt von Menschen, deren Dörfer und Städte von der ukrainischen Armee und rechtsradikalen Freiwilligen-Bataillonen beschossen wurden, von Kindern, die am Geräusch erkennen, um was für eine Granate oder Rakete es sich handelt und woher geschossen wird, von freiwilligen Kämpfern, die sich an der „Kontaktlinie“ zur Zentralukraine tief in die Erde eingegraben haben und gelegentlich auch zurückschießen. Mein Buch handelt auch von Ärzten, die direkt an der Demarkationslinie in einem Krankenhaus arbeiten ungeachtet des Geschützdonners, der immer wieder von der ukrainischen Seite herüberhallt. Ich habe den Bewohnern der Volksrepubliken zugehört, wo sie sich auch gerade befanden, in Schulen und Kindergärten, auf Straßen, in von Geschossen zerlöcherten Häusern, an den Grenzübergängen zur Ukraine oder in den Amtsstuben von Lugansk und Donezk.

Warum ich dieses Buch geschrieben habe? Weil die großen deutschen Medien über den Krieg im Donbass nur aus der Sichtweise Kiews berichten.

Im vorliegenden Buch habe ich meine Reportagen, Interviews und Analysen aus dem Donbass zusammengefasst. Einige davon sind bereits bei Telepolis, Nachdenkseiten, der Freitag, Rubikon, Neues Deutschland, Die Wochenzeitung und RT DE veröffentlicht. Einiges liegt das erste Mal in gedruckter Form vor. Die schon veröffentlichten Texte wurden vom Autor zum Teil gekürzt.

Niemand, der aus den Volksrepubliken berichtet

In Deutschland ist es seit 2014 auf Grund einer einseitigen Medienberichterstattung nicht mehr möglich, sich eine auf Fakten beruhende, eigene Meinung über den Konflikt im Donbass zu bilden. Es fehlt die Fakten-Basis.

Die deutschen Chefredakteure schicken seit 2014 keine Journalisten mehr in die Volksrepubliken. Nur bei den Wahlen im November 2018 waren deutsche Fernsehjournalisten in Donezk und Lugansk. Deutsche Journalisten und Politiker besuchten im Donbass immer nur die ukrainische Seite vor der „Kontaktlinie“. Von dort schauten sie hinüber in „feindliches Gebiet“, in das Gebiet „der von Russland unterstützten Separatisten“. Das erinnert an die Zeit der deutschen Teilung, wo man von Aussichtsplattformen in Westberlin nach Ostberlin schauen konnte.

Man schaut, versteht aber nichts. Denn man weiß nicht, wie die Menschen in den Volksrepubliken leben. Bis auf die beiden Bundestagsabgeordneten der Partei Die LINKE, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, sowie Gunnar Lindemann von der AfD hat kein einziger deutscher Politiker der großen deutschen Parteien jemals die Volksrepubliken besucht und dort mit den Menschen gesprochen.

Die Menschen in den Volksrepubliken scheinen so etwas wie Aussätzige zu sein. Denn es ist von Seiten des Auswärtigen Amtes noch nicht einmal erwünscht, dass humanitäre Hilfe aus Deutschland über Russland an die Volksrepubliken geliefert wird. Durch die Ukraine wollen deutsche Bürgerinitiativen wie „Zukunft Donbass“ und „Friedensbrücke e.V.“ ihre humanitäre Hilfe mit Lastwagen nicht schicken. Das ist ihnen wegen der ukrainischen Nationalisten, die solche Transporte oft anhalten, zu gefährlich.

Hysterische Reaktionen auf humanitäre Hilfe

Als die Bundestagsabgeordneten der Partei DIE LINKE, Wolfgang Gehrcke und Andrej Hunko, im Februar 2015 mit einem Kleinbus und vier Kleinlastern humanitäre Hilfe für Krankenhäuser in die Volksrepublik Donezk brachten4, verurteilte5 der Berliner „Tagesspiegel“ die Reise in scharfem Ton. Die Abgeordneten – so das Blatt - hätten sich mit dem „Warlord“ Aleksandr Sachartschenko – damals Leiter der Volksrepublik Donezk – fotografieren lassen. Sachartschenko habe sich schlecht über Juden geäußert, behauptete der Tagesspiegel ohne stichhaltigen Beweis.

Während viele Menschen in den Volksrepubliken in von ukrainischen Geschossen beschädigten Häusern leben, hatten deutsche Intellektuelle, die sich der Post-Maidan-Regierung verbunden fühlten, seit 2014 nichts Besseres zu tun, als jeden Deutschen, der aus den Volksrepubliken berichtete, Hilfe dorthin organisierte oder die Kiewer Regierung kritisierte, in Internet und Medien als „Putin-Freund“, „Nationalist“ und „Antisemit“ zu brandmarken.

Lebenslanger Bann für Kiew-Kritiker

Die „Beweise“ für diese Behauptungen hatten die Anhänger der ukrainischen Regierung mühsam aus zum Teil viele Jahre alten Internet-Beiträgen zusammengeklaubt. Richtigstellungen und ein Fehlereingeständnis von Seiten des wegen „Antisemitismus“ beschuldigten ukrainischen Journalisten Ruslan Kotsaba wurden von den Anhängern der Kiewer Regierung in Deutschland ins Lächerliche gezogen. Es wurde schnell klar: Linksgrüne Ukraine-Freunde in Deutschland versuchten die Kritiker der Kiewer Regierung in Deutschland mit einem lebenslangen Bann zu belegen.

Ein Lichtblick in dieser aufgeheizten Stimmung war eine am 11. Juni 2018 von der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke in Berlin organisierte Konferenz mit dem Titel „Menschenrechte und Medienfreiheit in der Ukraine“. Auf dieser Konferenz wurde sachlich und anhand von Fakten diskutiert. Die fast vier Stunden dauernde Konferenz tagte mit über hundert Teilnehmern im Paul-Löbe-Haus, einem Nebengebäude des Bundestages.

Es sprachen die Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, Andrej Hunko, Heike Hänsel, Zaklin Nastic und Stefan Liebich, die ukrainische Aktivistin Jelena Bondarenko, der ukrainische Journalist Ruslan Kotsaba, der Kiewer Menschenrechtsanwalt Walentin Rybin und viele andere. Sie berichteten mit konkreten Beispielen über die Repressionen gegen Andersdenkende in der Ukraine. Ich hielt einen Beitrag zur Verfolgung von Journalisten in der Ukraine.6

Die großen deutschen Medien berichteten trotz hochkarätiger Besetzung nicht über die Veranstaltung. Berichte gab es aber bei RT DE, Telepolis7 und der Verdi-Journalisten-Zeitung „Menschen machen Medien“8. Die Junge Welt interviewte9 den Konferenz-Teilnehmer, Leonid Koschara, der bis zum Staatsstreich 2014 Außenminister der Ukraine war.

Eine komplette Video-Aufzeichnung der Konferenz ist bis heute im Internet abrufbar.10 Aber leider gibt es keine schriftliche Broschüre mit den Konferenz-Beiträgen. Und es gibt auch bis heute keine deutschsprachige Dokumentation über alle Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Medienfreiheit in der Ukraine. So ist es für Menschen, die weder Russisch noch Ukrainisch können, enorm schwer, sich ein Bild von den wirklichen Zuständen in der Ukraine zu machen und sich mit Faktenwissen an Diskussionen zu beteiligen.

Man muss kein Anhänger von Wladimir Putin sein, um festzustellen, dass Rechtsextremismus und Ultranationalismus in der Ukraine von staatlichen Stellen gefördert werden und einen starken Einfluss auf die Gesellschaft haben. Es gibt viele Beispiele, mit denen man diese These belegen kann. Die für mich eindeutigsten Beispiele sind der bis heute nicht von staatlichen ukrainischen Stellen geahndete Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014 und die schon acht Jahre dauernde „Antiterror-Operation“ im Donbass.

Ukraine verhängt Informationssperre

Erschwert wird der Informationszugang auch dadurch, dass die ukrainische Regierung 2014 eine Informationssperre über die Volksrepubliken verhängte. Man kann von der Ukraine aus zwar in die Volksrepubliken fahren, muss sich dann aber darauf gefasst machen, dass man auf der ukrainischen Website „Mirotworets“ (Friedensstifter) gelistet wird.

Die Website „Mirotworets“ wurde auf Initiative von Anton Geraschenko - seit 2019 stellvertretender Innenminister der Ukraine – geschaffen, um Journalisten, denen man eine Nähe zu den Separatisten unterstellt, als „Feinde der Ukraine“ an den Pranger zu stellen. Auf „Mirotworets“ sind Tausende Journalisten, Politiker und einfache Bürger mit Adressen gelistet.

Ich war seit 2014 oft in den Volksrepubliken. Bei meinen Reisen in den Donbass habe ich nicht nach russischen Panzern und russischen Militärberatern gesucht. Aber natürlich habe ich immer dann, wenn ich einen Panzer oder anderes militärisches Gerät sah, meine Begleiter gefragt, woher das Gerät ist. Und sie sagten immer, „das ist von den Ukrainern erbeutet“. Ich hatte keinen Grund, an dieser Aussage zu zweifeln. Dass es im Donbass russische Militärberater gibt, ist vorstellbar, lässt sich aber nicht beweisen.

Dass 2014/15 viele Russen als Freiwillige mit der Waffe in der Hand die Volksrepubliken mit verteidigten, hat selbst der russische Präsident Wladimir Putin nicht bestritten. Diese Freiwilligen seien „dem Ruf ihres Herzens gefolgt“, so der Kreml-Chef. Es handele sich nicht um russische Truppen. Nichtsdestotrotz behaupteten deutsche Medien und Politiker seit 2014 immer wieder ohne Belege, in den Volksrepubliken seien offiziell russische Truppen stationiert.

Die Falschdarstellungen deutscher Medien

Die wichtigsten Falschdarstellungen über die Ukraine in den deutschen Medien sind meiner Meinung nach Folgende:

Von den deutschen Medien wird konsequent verschwiegen, dass die Ukraine ein multinationaler Staat ist. Bei der Volkszählung 2001 nannten 67 Prozent Ukrainisch und 29 Prozent der Befragten Russisch ihre Muttersprache11.

Verschwiegen wird auch die Zwangsukrainisierung der russischen Bevölkerung in der Ukraine nach 2014. Seit Januar 2021 darf in der Ukraine im öffentlichen Raum nur noch Ukrainisch gesprochen werden. Russisch-Unterricht gibt es nur noch bis zur vierten Klasse.

Die deutschen Medien und Politiker übernehmen immer mehr die neue ukrainische Geschichtsschreibung, nach der die Hungersnot (ukrainisch: Holodomor) in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre ein Mittel von Stalin war, die ukrainische Bevölkerung wie bei einem Völkermord zu vernichten. Im Februar 2022 legte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Blumen am Holodomor-Denkmal in Kiew ab. Dabei ist in der Geschichtswissenschaft allgemein bekannt, dass es in der Zeit nach der Zwangskollektivierung schwere Hungersnöte nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Südrussland und im sowjetischen Kasachstan gab.

Warum, so frage ich, hat bis heute kein einziger deutscher Politiker Blumen am Gewerkschaftshaus von Odessa niedergelegt, wo am 2. Mai 2014, nachdem ukrainische Ultranationalisten Feuer gelegt hatten, 42 Regierungskritiker starben?

Der einzige Bundestagsabgeordnete, der in Odessa mit Angehörigen der im Gewerkschaftshaus Umgekommenen gesprochen hat, war Andrej Hunko von der Partei Die Linke, der Odessa 2014 mehrmals besuchte12. Warum wurde er von keinem deutschen Fernsehsender eingeladen, um als Augenzeuge über seine Gespräche mit den Angehörigen und die schleppenden Untersuchungen zum Brand zu berichten?

Frank-Walter Steinmeier, der Odessa Ende Mai 2014 – damals als Außenminister - besuchte, und angeblich einen Kranz am Gewerkschaftshaus niederlegen wollte13, nahm von seinem Vorhaben Abstand, nachdem Igor Paliza, der Vorsitzende der Gebietsverwaltung von Odessa, ihm davon abgeraten hatte. Eine Kranzniederlegung könne neue Unruhen auslösen, hatte Paliza gewarnt.

Sowjetführer vergrößerten die Ukraine

Deutsche Medien und Politiker verschwiegen, dass der Ukraine, die bis zur Oktoberrevolution zum russischen Kaiserreich gehörte, von sowjetischen Führern Territorien angegliedert wurden. 1922 trat das sowjetische Russland auf Initiative von Lenin der sowjetischen ukrainischen Republik Teile des Donbass ab, die früher zum russischen Zarenreich gehörten.

Im Westen bekam die Ukraine 1939 durch den Hitler-Stalin-Pakt von Polen die Gebiete Lviv, Iwano-Frankiwsk und Ternopil. Im Süden bekam die Ukraine 1954 - auf Anweisung von Sowjet-Führer Chruschtschow - die Krim geschenkt.

Als die Post-Maidan-Regierung im Februar 2014, einen Tag nach dem Staatsstreich, in den Gebieten mit hohem russischen Bevölkerungsanteil der russischen Sprache den Status einer zweiten offiziellen Sprache – neben dem Ukrainischen - entzog, war das der Auslöser für den „russischen Frühling“ in der Südostukraine.

Im russischsprachigen Südosten der Ukraine hatte sich schon seit der orangenen Revolution 2005 und den Zwangsukrainisierungs-Maßnahmen unter Präsident Viktor Juschtschenko Unzufriedenheit unter den russischsprachigen Ukrainern angestaut. Während des „russischen Frühlings“ wurden dann in Charkow, Donezk und Lugansk offizielle Gebäude besetzt. Doch den Grund für diese Besetzungen verschwiegen die großen deutschen Medien.

Der Donbass als Bindeglied zwischen Sowjetrussland und bäuerlicher Ukraine

Dass es am 7. April 2014 zur Gründung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk kam, hatte nicht nur aktuelle politische Gründe, sondern auch historische Wurzeln. Der Donbass war seit Beginn des 17. Jahrhunderts das zentrale russische Industrie- und Bergbaugebiet. Aus ganz Russland - und später der Sowjetunion - kamen Arbeitskräfte verschiedener Nationalitäten in den Donbass. Russisch war die Sprache, welche diese verschiedenen Nationalitäten im Donbass - Russen, Ukrainer, Tataren, Griechen und Moldauer - verband.

Die Ukraine – bzw. ihre politische Führung - wollte sich nach der Oktoberrevolution 1917 aus dem neuen sowjetischen Staat lösen und schloss mit Deutschland und Österreich-Ungarn am 9. Februar 1918 einen Separatfrieden ab, den sogenannten „Brotfrieden“. Deutschland und Österreich hofften, dass man in der Ukraine dringend benötigte Lebensmittel eintreiben könne.

Eine Woche nach Abschluss des Separatfriedens zogen deutsche und österreichische Truppen – insgesamt 500.000 Mann - in die Ukraine ein. Doch wegen der politisch und wirtschaftlich chaotischen Zustände in der Ukraine konnte nur ein Teil der erhofften Lebensmittellieferungen eingetrieben werden. Ende 1918 zogen die deutschen und österreichischen Truppen wieder aus der Ukraine ab.

Bereits vor dem deutschen Einmarsch wurde am 28. Januar 1918 in der ostukrainischen Stadt Charkow als Gegengewicht zu einer anti-sowjetischen Ukraine die sowjetische „Donezk-Kriworosch-Republik“ gegründet. Das Gebiet dieser Republik umfasste große Teile der Ost-Ukraine, wie Charkow, Donezk, Lugansk und Cherson.

Im Februar 1919 wurde die Donezk-Kriworosch-Republik auf Initiative Lenins aufgelöst. Die Sowjetmacht in der Ukraine werde – so offenbar das Kalkül von Lenin - nur auf sicheren Beinen stehen, wenn das Industriezentrum Donbass, das sprachlich und wirtschaftlich mit Russland eng verbunden war, zur „Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ gehörte. Der proletarisch-prorussische Donbass sollte - so vermutlich der Plan von Lenin - Bindeglied zwischen der bäuerlichen Ukraine und Sowjetrussland werden.

Bundeswehr sitzt im ukrainischen Verteidigungsministerium

Bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde überdeutlich: Deutschland ist im ukrainischen Bürgerkrieg Konfliktpartei. Die großen deutschen Medien und die deutsche Politik schweigen zur Verfolgung der Opposition in der Ukraine, zum Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa, zu den Morden an Oppositionellen und zur Abschaltung von vier oppositionellen ukrainischen Fernsehkanälen 2021.

Berlin schickte massiv Finanzhilfe in die Ukraine, ohne diese an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen. Seit 2014 wurden von Deutschland 1,8 Milliarden US-Dollar an Wirtschaftshilfen bereitgestellt und „Programme zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit und zur Korruptionsbekämpfung in der Ukraine unterstützt“, wie es in einer Stellungnahme der Bundesregierung heißt. „Als Mitglied der Europäischen Union und als deren größter Beitragszahler hat Deutschland die ukrainische Regierung seit 2014 mit 17 Milliarden Euro finanziell unterstützt.“

Weit fortgeschritten ist die Verzahnung zwischen der Bundeswehr und dem ukrainischen Militär. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrej Melnik, erklärte am 6. Februar 2022 in der ARD-Sendung ‘Anne Will’ überraschend: „Das deutsche Verteidigungsministerium hat seine strategischen Berater in unserem Verteidigungsministerium seit Jahren sitzen und arbeiten und die deutsche Seite ist bestens informiert, was wir brauchen und was wir nicht brauchen.”

Mit seiner Äußerung wollte Melnik klarstellen, dass Deutschland sehr genau wisse, was die Ukraine außer Helmen an militärischem Gerät brauche. Melnik zeigte mit seiner provokativen Äußerung, dass er nicht nur als Diplomat unterwegs war, sondern auch als Antreiber, welcher der Bundesregierung Nachhilfeunterricht in anti-russischer Politik gab.

Bisher galt es als offenes Geheimnis, dass Berater aus den USA und Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes CIA in den ukrainischen Regierungsinstitutionen sitzen. Dass aber die Bundeswehr „strategische Berater“ im ukrainischen Verteidigungsministerium sitzen hat, war eine Neuigkeit, welche die Bundesregierung wohl gerne unter den Teppich gekehrt hätte.

Werden Asow-Kämpfer in deutschen Krankenhäusern gesund gepflegt?

Wie weit die militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr und der ukrainischen Streitkräfte bis zum Einmarsch der russischen Truppen schon gediehen war, konnte man auf der Website der Bundesregierung nachlesen14:

„Innerhalb der militärischen Unterstützung leistet auch die Bundeswehr einen wichtigen Beitrag zur militärischen Ausbildung und Beratung in der Ukraine. Diese Form der Unterstützung ermöglicht einen intensiven Erfahrungsaustausch. Bisher konnten insgesamt 551 ukrainische Soldaten und Soldatinnen ihre Ausbildung in Deutschland erfolgreich beenden.“

Von dem intensiven Erfahrungsaustausch profitiert auch die strategische Planung der Bundeswehr. Die Erfahrungen der ukrainischen Soldaten, die gegen Separatisten kämpfen, die vermutlich russische Berater haben, sind für die Strategen der Bundeswehr und der Nato von höchstem Wert.

Weiter heißt es in einer Mitteilung der Bundesregierung: „Weitere militärische Unterstützung leistet Deutschland in Form von Sanitätsleistungen.“ Exakte Zahlen nannte15 das Internet-Portal ntv: „Seit 2019 unterstützt Deutschland daneben den Ausbau des ukrainischen Sanitätsdienstes. Derzeit finanziert Berlin ein Feldlazarett im Wert von 5,3 Millionen Euro. Zudem wurden seit 2014 insgesamt 149 verletzte Sicherheitskräfte aus der Ukraine in deutschen Krankenhäusern behandelt.“

Die aufwendige Verlegung von ukrainischen Soldaten mit einem hochmodernen Lazarett-Flugzeug der Bundeswehr nach Deutschland und die Weiterverteilung der verwundeten Ukrainer auf deutsche Krankenhäuser stieß 2018 zu Recht auf Kritik des Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke, Alexander Neu, damals Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages.

Neu fragte 2018 in einem Gespräch mit der Deutschen Welle, ob die Hilfe für die ukrainischen Soldaten unparteiisch sei, „oder stellt sie eine Solidarmaßnahme für das Putsch-Regime in Kiew dar? Warum werden keine verletzten ostukrainischen Zivilisten, die es zu Tausenden gibt, behandelt?“

Neu wollte in einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung unter anderem wissen, welche der nach Deutschland ausgeflogenen Ukrainer, „in den offiziellen Streitkräften“ dienten und „wie viele in den paramilitärischen Bataillonen wie dem faschistischen Asow-Bataillon“. Nach Recherchen16 des Fernseh-Magazins FAKT waren in den vergangenen Jahren unter den ausgeflogenen Verletzten auch Kämpfer des rechtsradikalen Regiments Asow.

Keine großen deutschen Hilfsorganisationen in den „Volksrepubliken“

Auch finanzielle Hilfen für die Infrastruktur im Donbass strich die Bundesregierung vor dem russischen Einmarsch gerne groß heraus. Doch es wurde verschwiegen, dass diese Hilfen nur dem von der Ukraine kontrollierten Nordteil des Donbass zu Gute kamen.

Im Dezember 2017 meldeten deutsche Medien, Deutschland unterstütze die Ostukraine mit 2,5 Millionen Euro „Weihnachts-Hilfe“. Die deutsche Botschaft in Kiew teilte auf ihrer Website mit, dass das Geld an die „Caritas Ukraine“ gehen würde, die dann „in den Gebieten Donezk und Lugansk“ humanitäre Hilfe leisten solle. Doch damit war nur der Nordteil der Gebiete Donezk und Lugansk gemeint, welcher unter Kontrolle von Kiew steht.

Keine der großen deutschen Hilfsorganisationen – weder der deutsche Caritasverband noch das Deutsche Rote Kreuz – sind in Donezk und Lugansk tätig. Die Menschen in dem Teil der „Ostukraine“, der nicht unter Kontrolle von Kiew steht, bekommen auch keinerlei humanitäre Hilfe vom deutschen Staat. Nur einige deutsche privat organisierte Hilfsorganisationen, wie die Berliner „Friedensbrücke Kriegsopferhilfe e.V.“ und das Thüringer Aktionsbündnis „Zukunft Donbass“ organisieren seit 2014 humanitäre Hilfslieferungen in die Volksrepubliken.

Das deutsche Außenministerium sieht diese mit deutschen Spendengeldern finanzierten Hilfslieferungen äußerst kritisch. Raissa Steinigk vom Aktionsbündnis „Zukunft Donbass“ berichtete mir 2017, sie sei vom deutschen Außenministerium angerufen worden. Man habe ihr gesagt, dass sich die ukrainische Botschaft beim deutschen Außenministerium beschwert habe. Das, was „Zukunft Donbass“ tue, sei „illegal“, so die Anruferin aus dem deutschen Außenministerium.

Deutsche Parlamentarier gegen humanitäre Hilfe für Lugansk und Donezk

Jeder Transport mit einem Zwanzig-Tonner, der, organisiert von der Initiative „Zukunft Donbass“, ausrangierte Krankenhausausrüstung aus Deutschland nach Lugansk bringt, kostet 4.000 Euro.

Um die humanitäre Aktion bekannter zu machen und mehr Spender zu gewinnen, hatte Frau Steinigk 2017 Thüringer Bundestagsabgeordnete angeschrieben. Doch keiner der Angeschriebenen machte eine Hilfszusage. Einige Bundestagsabgeordnete hätten ihr ungeschminkt erklärt, sie würden die Hilfsaktion nach Lugansk nicht unterstützen, da Russland der Urheber des Krieges im Donbass sei. Andere Abgeordnete reagierten mit Ausflüchten.

In ihrem Brief an den Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Weiler bat Raissa Steinigk nicht nur um Unterstützung. Sie äußerte auch Kritik. „Wir, das Aktionsbündnis 'Zukunft Donbass' und die Mitstreiter sind satt über Lippenbekenntnisse und die 'Unmacht' der deutschen Politiker und freuen uns über die wachsenden Aktivitäten der Kirche in Deutschland.“

Weiler reagierte verärgert. Er antwortete Steinigk: „In Ihrem Schreiben vom 23. Januar 2017 treffen Sie widersprüchliche Aussagen. Auf der einen Seite üben Sie scharfe Kritik an den politisch Verantwortlichen. Andererseits stellen Sie mit Nachdruck Forderungen an mich und meine Kollegen. Ich möchte Sie daher darauf hinweisen, dass ich in dieser Region nicht untätig bin. Ich leiste einen Beitrag zum Friedenserhalt im Baltikum und in Osteuropa und werde mich auch in Zukunft weiter stark für die Verbesserung der dortigen Situation einsetzen.“ Worin dieser „Beitrag zum Friedenserhalt in Osteuropa“ besteht, schrieb Weiler nicht.

Christian Hirte, ebenfalls CDU-Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, antwortete auf die Unterstützungs-Anfrage der Initiative „Zukunft Donbass“: „Leider kann ich nicht überall - auch wenn ich die Arbeit und das Ansinnen mit großem Respekt betrachte - eingreifen.“ Der Abgeordnete versprach die Anfrage an den Kollegen Karl-Georg Wellmann, Leiter der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe, weiterzugeben.

Doch von Wellmann hat Raissa Steinigk seitdem nichts gehört. Wellmann ist gegenüber Russland als Hardliner bekannt und vermutlich ist ihm die Initiative „Zukunft Donbass“ aus Thüringen suspekt. Im ZDF-Morgenmagazin hatte der Abgeordnete die „Separatisten“ in Lugansk und Donezk im Februar 2015 als „Werkzeuge der Russen“ bezeichnet. Es gäbe einen „permanenten Zufluss von Munition, von Waffen, von Kämpfern, von Logistik aus Russland.“

Am 24. April 2017 schrieb Raissa Steinigk alle Abgeordneten des Thüringer Landtags, auch Ministerpräsident Bodo Ramelow, an. Keiner der Abgeordneten habe geantwortet.

2014 wurden die deutschen Korrespondenten aus dem Donbass abgezogen

Schon 2014 zeichnete sich ab: Je mehr sich die Macht der Separatisten im Donbass festigte, desto weniger waren die Chefredakteure großer deutscher Medien daran interessiert, den faktischen Sieg der Separatisten auch noch durch eigene Berichte zu bestätigen. So verlegte man sich auf das Totschweigen des Donbass. Man wollte offenbar vermeiden, dass es Mitleid für die Menschen in den Volksrepubliken gibt, die unter dem Beschuss ukrainischer Artillerie leiden.

Ein deutscher Mainstream-Journalist hatte immerhin den Mut, die Abwesenheit deutscher Korrespondenten im Donbass öffentlich zu problematisieren. Im Juni 2014 schrieb17 der damalige Spiegel-Reporter Moritz Gathmann – heute Resortchef beim Magazin „Cicero“ - im Internet-Portal „Ostpol“, dass die deutschen Korrespondenten das Kriegsgebiet Donbass verlassen hätten. „Nachrichten aus der Ostukraine sind auf die hinteren Zeitungsseiten gerückt, deutsche Korrespondenten sind abgereist.“ Doch lassen wir den Reporter selbst zu Wort kommen:

„Ein lauer Sommerabend auf der Veranda des „Ramada Donezk“ unweit der seit Monaten von Separatisten besetzten Gebietsverwaltung. Man speist T-Bone-Steaks und trinkt Cocktails, aus den Lautsprechern kommt Lounge-Musik.

Auf der Terrasse sitzen polnische Journalisten, Franzosen, Amerikaner und Spanier. Bemerkenswert abwesend sind die deutschen Journalisten: Neben mir saß dort Ende vergangener Woche nur noch Stefan Scholl, langjähriger Moskau-Korrespondent für deutsche Regionalzeitungen. (…)

Es ist wenige Tage her, da lieferten sich ukrainische und russische Kämpfer heftige Kämpfe um den Flughafen der Stadt, auch rund um den Bahnhof starben Menschen bei Feuergefechten. Daraufhin gaben ARD und ZDF bekannt, dass sie aus Sicherheitsgründen ihre Teams aus Donezk abziehen. (…)

Wer erfahren will, was im Osten des Landes passiert, der muss momentan auf russischsprachige, englische oder französische Medien ausweichen.“

Die Gefahr für deutsche Journalisten schätzte Gathmann als gering ein. „Grundsätzlich gilt: Als deutscher Journalist muss man davon ausgehen, sich endlose Tiraden über die falsche Politik Angela Merkels anhören zu müssen. Die Gefahr, im Keller eines selbsternannten „Volksbürgermeisters“ zu landen, ist dagegen gering.“

Seit 1983 bin ich in der Ukraine unterwegs

Ist ein Buch über die Volksrepubliken Donezk und Lugansk nicht zwangsläufig einseitig, wird sich der Leser vielleicht fragen. Ich glaube, ich habe ein ganz gutes Bild von der Ukraine. Ich kenne das Land seit 1983, als ich das erste Mal mit einem Privatauto in der Ukraine – damals als Tourist - unterwegs war. 1992 lebte ich in Kiew zwei Monate in einer ukrainischen Familie. Von da an habe ich die Ukraine regelmäßig besucht. Im Juli 2014 drehte ich in Odessa das erste Material für den Film „Lauffeuer“18 über den Brand im Gewerkschaftshaus.

Doch mit diesem Film habe ich es mir mit der Regierung in Kiew verscherzt. Im April 2016 bekam ich im Flughafen von Odessa ein Einreisverbot für fünf Jahre in meinen deutschen Pass gestempelt. Der Grund sei, so teilte es mir das deutsche Auswärtige Amt mit, dass ich 2015 Donezk von Russland - und nicht wie vorgeschrieben - von der Ukraine aus besucht hatte.

Seit meinem Einreiseverbot habe ich mich weiter intensiv mit der Entwicklung in der Ukraine beschäftigt und immer, wenn es mir möglich war, habe ich in Russland oder Deutschland Interviews mit Bürgern aus der Ukraine geführt. Meist waren es Menschen aus dem Lager der Russland-freundlichen ukrainischen Opposition.

Warum riskierte ich ein Einreiseverbot?

In der Volksrepublik Donezk war ich 2014, 2015, 2017, 2018 und 2020. Immer reiste ich von Russland aus ein. 2015 war ich mir bewusst, dass ich mit einer Reise in die „Volksrepubliken“ ein Einreiseverbot in die Ukraine riskiere. Ich habe dieses Risiko auf mich genommen, weil ich fürchtete, dass die ukrainischen Behörden mich wegen meiner kritischen Artikel über den Maidan und meinen Film „Lauffeuer“ nicht in die Volksrepubliken weiterfahren lassen.

Auch fürchtete ich, dass mich ukrainische Nationalisten und Faschisten in der Ukraine auf der Straße anfallen, wie es seit 2014 zahlreichen Oppositionellen in der Ukraine passiert ist. Mehrere ukrainische Oppositionelle wurden seit 2014 ermordet, 2015 der Russland-freundliche Schriftsteller Oles Busina und 2016 der westlich-orientierte, liberale Journalist Pawel Scheremet.

Der mit dem Berliner Dokumentarfilmer Marco Benson, der Video-Gruppe „Leftvision“ und mir gemeinsam produzierte Film „Lauffeuer“ hatte im Internet hohe Zugriffszahlen. Der Film wurde auf zahlreichen Diskussions-Veranstaltungen zur Ukraine im deutschsprachigen Raum gezeigt. Die großen deutschen Medien verschwiegen „Lauffeuer“ allerdings. Im deutschen Fernsehen wurde unser Film nicht gezeigt.

„Öffentlich-rechtliche“ gegen unabhängige Dokumentarfilmer

Doch das war noch eine geringe Strafe für eine wahrheitsgemäße Berichterstattung. Schlimmer erging es dem deutschen Dokumentarfilmer Mark Bartalmai, der zwei Jahre in Donezk gelebt, das Kriegsgeschehen per Video dokumentiert und zwei Dokumentar-Filme gemacht hatte, „Ukrainian Agony – Der verschwiegene Krieg“19 und „Frontstadt Donezk – Die unerwünschte Republik“20.

Nach seinem ersten Dokumentar-Film über den Krieg in der Ost-Ukraine wurde Bartalmai in den Fernsehsendungen „Fakt“ (MDR) und „Frontal“ (ZDF) zur besten Sendezeit „Propaganda für Russland“ vorgeworfen. Bartalmai, der bei den Dreharbeiten sein Leben riskiert hatte, wurde dem deutschen Fernsehpublikum abfällig als „selbsternannter Kriegsreporter“ vorgestellt. Er habe den Beruf des Journalisten gar nicht erlernt, warfen ihm die Journalisten öffentlich-rechtlicher Kanäle vor. Man fragt sich, warum diese Journalisten die Präsidenten der USA und der Post-Maidan-Ukraine - die zuvor Schauspieler, Oligarchen oder Komiker waren - noch nie wegen mangelnder fachlicher Reife kritisiert haben.

Ein Mittel, Kritik an der ukrainischen Regierung in Deutschland zu unterdrücken, war auch, dass man Journalisten und Aktivisten Kontakte mit Reichsbürgern oder russischen Nationalisten vorwarf.

Als Oleg Muzyka - Überlebender des Brandes im Gewerkschaftshaus von Odessa und anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland - im Dezember 2015 ein Film-Festival mit Filmen zur Odessa-Tragödie und zum Krieg im Donbass veranstalten wollte, wurde das verhindert.21

Berliner „Haus der Demokratie“ cancelt Odessa-Film-Festival

Das Berliner Kino „Babylon“ und das Berliner „Haus der Demokratie“ zogen anfängliche Zusagen für das Film-Festival zurück. Die Leitung des „Hauses der Demokratie“ erklärte in einem Schreiben, das geplante Film-Festival widerspreche den Grundsätzen des Hauses. Festival-Organisator Oleg Muzyka habe Kontakte zu rechtspopulistischen und nationalistischen Gruppen, wie den „Reichsbürgern“. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Der Grundansatz der von Ihnen geplanten Veranstaltung erscheint uns eher als eine Fortführung des Bürgerkrieges mit diskursiven Mitteln. Damit ist es Teil des Problems und kein Ansatz zur Lösung des Konfliktes im zivilgesellschaftlichen Sinne.“

Eigene Untersuchungen, Analysen und Filme zu den Ereignissen in Odessa und im Donbass hat der deutsche Mainstream seit 2014 nicht vorgelegt. Offenbar wurde angestrebt, dass die Verbrechen der Staatsstreich-Regierung in Kiew größeren Teilen der deutschen Bevölkerung nie bekannt wurden.

Ulrich Heyden, Moskau, 21. März 2022

1 Julian Röpcke, Twitter-Meldung, 04.12.21

2 Wladimir Putin, 21.12.21, https://ria.ru/20211221/putin-1764715185.html

3 Interview DNR-Menschenrechtsbeauftragte Darja Morosowa, 26.02.22, https://lenta.ru/articles/2022/02/26/morozovadnr/

4 Andrej Hunko, Reisebericht, 19.02.15, https://www.andrej-hunko.de/7-beitrag/2497-auf-humanitaerer-mission-bericht-ueber-eine-skandaloese-reise-in-die-ostukraine

5 „Linken-Abgeordnete auf Abenteuertour im Kriegsgebiet“, Tagesspiegel, 20.02.15, https://www.tagesspiegel.de/politik/wolfgang-gehrcke-und-andrej-hunko-in-der-ostukraine-linken-abgeordnete-auf-abenteuertour-im-kriegsgebiet/11400156.html

6 Ulrich Heyden, 11.06.18, https://ulrich-heyden.de/article/meine-rede-im-bundestagdeutsche-medien-haben-angst-vor-der-wahrheit-der-ukraine

7 Peter Nowak, 13.06.18, https://www.heise.de/tp/features/Fuer-Oppositionelle-gibtes-in-der-Ukraine-keine-Menschenrechte-4077292.html?seite=all

8 Günter Herkel, 12.06.18, https://mmm.verdi.de/internationales/ukraine-leerstellenbei-berichterstattung-51493

9 Interview von Saadi Isakov und Wladimir Sergijenko, 14.06.18, https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/334099.zerst%C3%B6rung-der-vielfalt-kann-zumkollaps-f%C3%BChren.html

10 Fraktion Die Linke im Bundestag, Videos Teil 1 https://www.youtube.com/watch?v=Fj_jm1Ky8-8&t=10s Teil 2 https://www.youtube.com/watch?v=EA6iYgu6t9s&t=1490s Teil 3 https://www.youtube.com/watch?v=BOt_qGaoRd8&t=1822s

11 Michail Tulski, Die Ergebnisse der Volkszählung in der Ukraine 2001, 19.05.2003, http://www.demoscope.ru/weekly/2003/0113/analit03.php

12 Andrej Hunko, 29.10.14, https://weltnetz.tv/video/593-opfer-des-odessa-massakers-klagen

13 Ein Kranz aus Berlin für Odessa, SZ, 13.05.14, https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-analyse-ein-kranz-aus-berlin-fuer-odessa-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-140513-99-03934

14 Unterstützung der Ukraine, Bericht der Bundesregierung, 18.02.22, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/buerokratieabbau/unterstuetzungukraine-2003926

15 Wie Deutschland die Ukraine unterstützt, NTV, 14.02.22

16 Magazin „Fakt“, 01.04.15, https://www.youtube.com/watch?v=kRxRYedhBHQ

17 Moritz Gathmann, „Ukraine – Das Thema ist tot“, Ostpol, 6. Juni 2014, https://www.ostpol.de/beitrag/3996-ukraine_das_thema_ist_tot

18 Ulrich Heyden/Marco Benson, Video-Dokumentation „Lauffeuer“, 13.03.15, https://www.youtube.com/watch?v=LXRIuVNGmds

19 Mark Bartalmai, Dok. Ukrainian Agony – Der verschwiegene Krieg, 17.12.2015, https://www.youtube.com/watch?v=sy759dlJWYE

20 Mark Bartalmai, Dok. Frontstadt Donbass – Die unerwünschte Republik, 01.10.17, https://www.youtube.com/watch?v=w5-JPEcMHfg

21 Ulrich Heyden, Ostukrainische Frauen: "Womit haben wir das verdient?" 21.12.2015, Telepolis, https://www.heise.de/tp/features/Ostukrainische-Frauen-Womit-haben-wir-das-verdient-3377367.html

Die Karte zeigt die Grenzen der ukrainischen Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk. Die dunkel eingefärbte Fläche ist das Territorium der Volksrepubliken Donezk und Lugansk (Stand: 24. Februar 2022). Über die mit Quadraten gekennzeichneten Orte berichtet der Autor in diesem Buch.

Kapitel 1

Eine Reise durch die Volksrepublik Lugansk

„In der Ukraine gibt es keine Faschisten“ (Claus Kleber)

Die im November 2013 begonnenen Maidan-Proteste in Kiew gipfelten am 22. Februar 2014 in einem Staatsstreich. Der amtierende Präsident Viktor Janukowitsch war wegen Morddrohungen nationalistischer Banden von Kiew in die ostukrainische Stadt Charkow geflüchtet. In einem Fernsehinterview in Charkow erklärte Janukowitsch am 22. Februar, er werde nicht zurücktreten. Trotzdem wählte das ukrainische Parlament am selben Tag Aleksandr Turtschinow als „geschäftsführenden Präsidenten“.

Es ist nicht so, dass es in der russischsprachigen Südostukraine gar keine Kritik an Viktor Janukowitsch gab. Aber Janukowitsch stand für gute Beziehungen zu Russland. Das war den Menschen in der Südostukraine wichtig. Mit Russland waren die wirtschaftlichen Beziehungen in diesen Gebieten besonders eng. Die gewaltsame Entmachtung von Janukowitsch empfanden die Menschen in der Südostukraine als Demütigung.

Auf den Schock des Staatsstreiches folgte am 23. Februar 2014 der zweite Schlag. Die Werchowna Rada setzte das von Janukowitsch unterstützte und 2012 in Kraft getretene Gesetz über Regionalsprachen außer Kraft. Das Gesetz räumte der russischen Sprache in den Gebieten, in denen mehr als zehn Prozent der Einwohner Russisch als ihre Muttersprache angaben, den Status einer zweiten offiziellen Sprache ein.

Der dritte Schlag für die Russland-freundlichen Menschen in der Südostukraine war, als in die ukrainische Regierung im März 2014 bekennende Faschisten, Mitglieder der Partei „Swoboda“, einzogen.

Wes Geistes Kind „Swoboda“ ist, erkennt man an der Partei-Geschichte. Bis 2004 nannte sich die Organisation „Sozial-Nationale Partei der Ukraine“ (SNPU). Eine abgewandelte Nazi-“Wolfsangel“ war das Parteisymbol der SNPU.

Der Vorsitzende von „Swoboda“, Oleg Tjagnibok, der während der Maidan-Proteste stets im Trio mit den Oppositionsführern Arseni Jazenjuk und Vitali Klitschko zu sehen war, verzichtete zwar auf einen Regierungsposten, doch zum Vizepremier der Ukraine wurde sein Stellvertreter Oleksandr Sytsch ernannt.

Andrej Parubi, ebenfalls Mitglied von „Swoboda“, wurde Vorsitzender des ukrainischen Sicherheitsrates. Parubi hatte 1991 zusammen mit Tjagnibok die „Sozial-Nationale Union“ gegründet. 2013/14 war Parubi „Kommandant des Maidan“.

Zu den Gründern der SNPU gehörte auch Oleg Machnitzki. Er wurde nach dem Staatsstreich in Kiew Generalstaatsanwalt. Als Anwalt hatte er Tjagnibok verteidigt, als dieser wegen einer Hetzrede („Die Ukraine wird von einer jüdisch-Moskauer Mafia regiert“) vor Gericht stand. Igor Schwaika, gleichfalls „Swoboda“-Mitglied, wurde 2014 Landwirtschaftsminister.

Trotz dieser Zusammensetzung der ukrainischen Regierung, behauptete der ZDF-Moderator Claus Kleber: „In der Ukraine gibt es keine Faschisten, zumindest nicht an verantwortlicher Stelle in Kiew.“22

Der vierte Schlag gegen die Südostukraine erfolgte am 14. April 2014. Der geschäftsführende und nicht gewählte Präsident der Ukraine, Alexander Turtschinow, erließ einen Ukas über den Beginn einer „Antiterroroperation“ in den ostukrainischen Gebieten Lugansk und Donezk. Anlass dieser Operation war, dass Kritiker des Kiewer Staatsstreichs in Charkow, Lugansk und Donezk administrative Gebäude besetzt hatten.

Die politischen Schläge gegen die Südostukraine hatten eine Dynamik in Gang gesetzt, die sich nicht mehr stoppen ließ. Ungeachtet der von Kiew begonnenen Militäroperation wurden am 11. Mai 2014 in den Teilen der Gebiete Lugansk und Donezk, die nicht unter Kontrolle der ukrainischen Armee standen, Referenden für die Unabhängigkeit durchgeführt. Im Gebiet Donezk stimmten 89 Prozent, im Gebiet Lugansk 96 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit.

Am 12. Mai 2014 erklärten die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk (DNR und LNR) ihre „staatliche Unabhängigkeit“. Von der Gründung eigener Republiken versprachen sich die Menschen in erster Linie den Schutz der russischen Sprache und Kultur, gute Beziehungen zu Russland und Schutz vor ukrainischen Nationalisten und Faschisten. Heute leben in der LNR 1,4 Millionen und in der DNR 2,3 Millionen Menschen. Sie haben ukrainische Pässe, aber sie fürchten sich vor der Kiewer Regierung und deren Raketen.

Wie kommt man eigentlich in die Volksrepubliken?

In die Volksrepublik Donezk zu kommen, war 2014/15 noch einfach. Ich flog von Moskau mit dem Flugzeug in die südrussische Stadt Rostow am Don. Von dort ging es mit dem Taxi über die russische Grenze in die Volksrepublik Donezk. In Donezk akkreditierte ich mich beim dortigen Außenministerium.

So sieht auch heute noch mein Weg in die Volksrepubliken aus. Doch etwas hat sich seit 2017 geändert. Bei der Ein- und Ausreise aus Donezk werden mir von russischen Grenzbeamten immer viele Frage gestellt. Insbesondere wollte man stets wissen, was ich in den Volksrepubliken gemacht habe, welche Objekte ich fotografiert und gefilmt habe. Außerdem wollte man wissen, was ich für eine politische Einstellung habe und warum ich 2009 ein Buch mit dem Titel „Opposition gegen das System Putin“ publizierte. Mein Gepäck wurde nicht durchsucht.

Für jemanden, der ein positives Verhältnis zu den Volksrepubliken und zu Russland hat, ist diese Prozedur nicht angenehm.

Bei meinem letzten Besuch im Januar 2020 kam ein neues Problem hinzu. Der Grenzkontrollposten der Volksrepublik Lugansk wollte mich nicht einreisen lassen. Ich war beim Außenministerium in Lugansk angemeldet, aber der Grenzkontrollposten war offenbar nicht über mein Kommen informiert worden. So musste ich eine Nacht in einem russischen Grenzstädtchen übernachten. Nach mehreren Telefonaten mit dem Außenministerium in Lugansk konnte ich dann am nächsten Tag ohne Probleme in die Volksrepublik Lugansk einreisen.

Wer als Ausländer in die Volksrepubliken reisen will, braucht eine schriftliche Einladung einer Behörde. Am besten ist es, sich direkt an der Grenze von Vertretern dieser Behörde abholen zu lassen. Außerdem braucht man/frau ein Mehrfachvisum für Russland. Manch unbedarfte Zeitgenossen meinen, die „Volksrepubliken“gehören zum Territorium der Russischen Föderation. Doch dem ist nicht so.

Im Folgenden nun meine Berichte von einem Besuch in der Volksrepublik Lugansk im Januar 2020.

An der Frontlinie in Lugansk

veröffentlicht in: Telepolis23, 9. Februar 2020; siehe auch meine Videoreportage24

An der Trennlinie zwischen der Ukraine und den international nicht anerkannten Volksrepubliken gibt es seit Wochen vermehrt Beschießungen. Am Freitag starben vier Soldaten der Volksrepublik Lugansk.

Das Wetter in der „Volksrepublik Lugansk“ ist wechselhaft, so wechselhaft wie der Beschuss durch die ukrainische Armee. Mal fegte ein nasskalter Wind über die Steppe, mal scheint die Sonne und lässt das Weiß der dünnen Schneeschicht auf den Feldern strahlen. Mal herrscht an der Trennlinie zwischen der Zentralukraine und der „Volksrepublik Lugansk“ Ruhe, dann wummern plötzlich wieder Artilleriegeschütze.

Beim Treffen im Normandie-Format in Paris Anfang Dezember hatte man sich auf einen Waffenstillstand geeinigt. Doch dieser Waffenstillstand wird ständig verletzt. Die Beschießungen an der Trennlinie nehmen seit Wochen zu. Die OSZE stellt in ihrem am 1. Februar 2020 veröffentlichten Bericht fest, die Verletzungen des Waffenstillstands in der Region Donezk hätten zugenommen, in der Region Lugansk dagegen abgenommen.

Fünf verletzte Zivilisten allein im Januar

Die „Volkspolizei Lugansk“ meldet dagegen, allein im Januar seien fünf Zivilisten durch Beschuss der ukrainischen Armee verletzt worden.

Am Freitag teilte die „Volkspolizei Lugansk“ den Tod von vier Soldaten der „Volkspolizei Lugansk“ mit. Sie seien von der 93. Brigade der ukrainischen Streitkräfte mit 122-Millimeter-Geschützen nahe dem Dorf So-lotoje-5 getötet worden. Vier „Schützer der Volksrepublik“ seien verletzt worden.

Der Leiter der international nicht anerkannten „Volksrepublik Lugansk“, Leonid Pasetschnik, erklärte: „Die Verantwortung für den Tod der Bürger der Republik (Lugansk, Anm. U.H.) trägt der Oberkommandierende der ukrainischen Armee Wladimir Selenski.“ Obwohl Selenski sich für eine friedliche Lösung ausspreche, bleibe die Situation an der Trennlinie „äußerst angespannt“. Der Leiter der „Volkspolizei Lugansk“, Jakow Osadschi, sagte am Freitag, dass eine Einheit für Luftabwehr der „Volkspolizei“ eine Drohne der Ukraine abgeschossen habe. Die Drohne sei von einer Einheit der 44. Artillerie-Brigade der Ukraine gesteuert worden und habe die Aufgabe gehabt, die Beschießungen der ukrainischen Artillerie auf das Dorf Solotoje-5 zu korrigieren.

Nach Beschuss ausgebrannte Wohnungen in der Kuibyschew-Strasse in Perwomajsk, Volksrepublik Lugansk, Foto Ulrich Heyden 2020

Seit Anfang des Jahres habe die „Volkspolizei Lugansk“ fünf ukrainische Drohnen abgeschossen, „welche versuchten, die Trennlinie zu überfliegen“, erklärte Osadschi. Weiter erklärte er, die Verantwortlichen für die Beschießungen würden „auf jeden Fall bestraft“. Man fordere die OSZE auf, die Verletzungen des Waffenstillstandes zu dokumentieren.

Ende Januar war ich selbst in der „Volksrepublik Lugansk“. Der Besuch einer Stellung der „Volkspolizei“ an der Trennlinie wurde mir nicht genehmigt. Eine Begründung wurde nicht genannt.

In Begleitung eines Mitarbeiters des Außenministeriums der „Volksrepublik Lugansk“ (LNR) besuchte ich die an der Trennlinie zur Ukraine gelegenen Städte Kirowsk und Perwomajsk. Die beiden Städte liegen 80 Kilometer westlich von Lugansk. Fast sechs Jahre nach Kriegsbeginn im Donbass wollte ich mir einen persönlichen Eindruck verschaffen, wie die Lage an der Trennlinie zur Ukraine aussieht.