Der Narzissmus - Fritz Gerlinger - E-Book

Der Narzissmus E-Book

Fritz Gerlinger

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Narzissmus begegnet uns im Zeitalter von Schönheitsidealen, Popkultur, Erfolgsstreben und einer stark ansteigenden virtuellen Präsenz im Internet, wo jeder im Grunde sich selbst neu erschaffen kann, fast überall. Es geht darum, in einer Gesellschaft etwas darzustellen, wobei gleichzeitig die Individualität angestrebt wird und die einheitliche Übereinstimmung mit der Masse. Zwei Welten und Bestrebungen interferieren hier. Besonders neue Trends und Moden werden sofort aufgegriffen und gelebt, wenn sie helfen, sich irgendwie zu definieren. Dem gegenüber steht der Wunsch, sich von der Masse abheben zu wollen und etwas zu sein oder zu tun, das klare Unterschiede zum Rest setzt. Leider geschieht das zum Teil auch sehr radikal. Wer auffallen möchte, sucht nach Möglichkeiten auf allen Ebenen. Das kann auch sehr destruktiv oder sogar selbstzerstörerisch erfolgen. Manch einer riskiert für den Kick des Auffallens sogar sein Leben. Hinter all diesen Versuchen, dem Dasein irgendwie eine Bedeutung abzugewinnen, liegt natürlich eine Form von Eitelkeit. Zum Narzissmus ist es dann nicht weit, wobei dennoch klare Grenzen einer korrekten Zuordnung gesetzt werden müssen. Wirklicher Narzissmus hat mit der normalen Eitelkeit nämlich wenig zu tun. Dieses Buch soll daher zeigen, was Narzissmus ist, wie er sich bei den verschiedenen Geschlechtern zeigt und auswirkt, wann er krankhafte Züge annimmt und wie Menschen mit einem Narzissten umgehen können. Hier soll kein Urteil gefällt werden. Vielmehr ist ein Rundumblick angestrebt, der zeigt, wieso die narzisstische Ader beim Menschen so häufig sichtbar wird und wo die Ursachen liegen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 153

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Narzissmus

Wie Du den Umgang mitNarzissten erlernst undDein Leben nicht von ihnenbestimmen lässt

Fritz Gerlinger

Copyright © 2020 Atma Shakti

Alle Rechte vorbehalten.

Index

1.    Worum es in diesem Buch geht

2.    Der Ursprung des Narzissmus

2.1  Der Mythos Narziss oder das narzisstische Selbst

2.2  Die Auslegung und Interpretation

3.    Der Narzissmus in der modernen Welt

4.    Gesunder und krankhafter Narzissmus

5.    Die Schwankung zwischen dem verletzlichen und dem grandiosen Selbst

5.1  Das grandiose Selbst

5.2  Das verletzliche Selbst

6.    Anzeichen und Ursachen für Narzissmus

6.1  Wie erkenne ich einen Narzissten?

6.2  Arten des Narzissmus – der offene und der verdeckte Narzissmus

6.3  Ursachen für Narzissmus

6.4  Auswirkungen von Narzissmus

6.5  Wie sich der Narzisst selbst sieht

7.    Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Narzissmus

7.1  Der männliche Narzissmus

7.2  Der weibliche Narzissmus

8.    Narzisstischer Missbrauch

9.    Narzissmus in der Familie

9.1  Die Mutterliebe im Narzissmus

9.2  Der Narzissmus von Vätern

9.3  Das narzisstische Kind

10.    Die verschiedenen Gesichter des Narzissmus

10.1  Narzissmus in der Partnerschaft und Liebe

10.2  Der Narzisst als Freund

10.3  Narzissmus im Berufsleben

11.    Die Förderung von Narzissmus in der modernen Gesellschaft

11.1  Soziale Netzwerke und die virtuelle Selbstdarstellung

11.2  Körperkunst, Sucht und Selbstverletzung

11.3  Schönheitschirurgie und narzisstischer Schönheitswahn

12.    Der Umgang mit Narzissten – Tipps und Hinweise

1. Worum es in diesem Buch geht

Der Narzissmus ist zwar von Narziss aus der griechischen Mythologie abgeleitet, hat jedoch heutzutage sowohl eine umgangssprachliche als auch psychologische Bedeutung. Oftmals wird der Begriff im Alltag auf eine sehr selbstbezogene Person angewendet und bewertet so ein egoistisches Verhalten oder die Nichtbeachtung anderer Menschen. Das gilt immer dann, wenn jemand seinen Ich-Anspruch deutlich über die Ansprüche anderer stellt oder wenn jemand sich selbst erheblich überschätzt und kein Bewusstsein für die Wirklichkeit oder die reale Reaktion anderer auf ihn hat. Diese Selbstzentriertheit erfolgt dann dermaßen aufgebläht, dass die positive Selbstreflexion nicht stattfindet. Die Rücksichtnahme auf andere oder ein gutes Einfühlungsvermögen sind dann kaum möglich. Selbst gegen Kritik sind Narzissten immun. Genauso gibt es Menschen, die nur hin und wieder narzisstische Züge zeigen und ansonsten eine durchaus normale Einschätzung ihrer selbst haben.

Über die dann doch eher harmlose Selbstbewunderung hinaus kann Narzissmus allerdings auch eine sehr komplexe Persönlichkeitsstörung sein. Siegmund Freud hat neben Ödipus und dem damit verbundenen Komplex auch auf Narziss aus der griechischen Mythologie zurückgegriffen und beide psychoanalytisch gedeutet und eingeführt. Bei ihm geht es um narzisstische Neurosen, die er von den typischen Übertragungsneurosen differenzieren wollte. Bei Freud gab es einen primären und sekundären Narzissmus, der psychologische Erkrankungen auslösen kann und als eine Art starke Fixierung auftritt, die entweder nach der Kindheit endet oder sich im Erwachsenenalter fortsetzt und dann krankhaft wird. Das beinhaltet z. B. eine starke sexuelle Ausrichtung auf sich selbst mit der gedanklich-emotionalen Herausbildung eines Ich-Ideals.

Während der primäre Narzissmus bald widerlegt werden konnte, darunter von C. G. Jung und Erich Neumann, hat der sekundäre Narzissmus weiterhin einen Anteil an der Symptomerkennung in der Psychoanalyse. Ein auf sich selbst fixiertes Kind kann noch nicht zwischen Objekt und Subjekt unterscheiden und durchlebt die sogenannte magische Phase, in der es sich als Zentrum der Welt betrachtet. Wird diese Phase jedoch nicht überwunden, ist vom sekundären Narzissmus die Rede. Der Erwachsene sieht sich selbst immer noch als Mittelpunkt und bezieht alles, was ihm widerfährt und in seiner Umwelt begegnet, auf sich selbst. Das führt zu einer Selbstüberschätzung, die überhandnimmt und die Empathie für andere Menschen stark begrenzt. Alles, was zählt, ist das eigene Ich. Dafür wird fast über Leichen gegangen.

Narzissmus ist dennoch nicht nur pathologisch negativ zu bewerten, sondern es gibt tatsächlich auch einen gesunden Narzissmus. Ohne Selbstrespekt und eine gewisse Form der Selbstliebe kann sich ein Mensch nicht weiterentwickeln. Nur wer sich selbst liebt, hat überhaupt erst die Möglichkeit, liebevoll auf andere einzugehen. Dagegen werden Menschen, die sich selbst hassen, keine Hilfe sein.

Aus einer Schwäche heraus lässt sich keine Stärke übermitteln, und der Hass auf sich selbst verleitet zu Unsicherheit, Depression und Zerstörungswut. Ist Selbstliebe nicht überhöht und durch mangelnde Empathie gekennzeichnet, bleibt sie in den vielen Schattierungen des narzisstischen Erscheinungsbilds natürlich und wünschenswert.

Gefährlich wird Narzissmus nur dann, wenn die Haltung unbewusst erfolgt und sich durch Starrsinn und Unbelehrbarkeit ausdrückt. Auch wenn es zahlreiche Therapieansätze gibt, ist eine Veränderung oder Heilung bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung kaum möglich. Das liegt schon alleine daran, weil ein Narzisst niemals anerkennen würde, dass er ein Problem hat oder darunter leidet. Er würde viel eher davon ausgehen, dass alle anderen eine Behandlung benötigen und er der einzig Normale in einer verrückten Welt ist.

Wenn er sich auf eine Therapie einlässt, erwartet er natürlich eine bevorzugte Behandlung. All das ist schwierig, da gerade ein Narzisst den Respekt und die Wertschätzung seiner Person wie eine Sucht benötigt und auch bekommen muss. Der Erfolg bleibt dabei zweifelhaft, und Rückfälle sind fast unvermeidlich.

Dieses Buch soll daher zeigen, was Narzissmus ist, wie er sich bei den verschiedenen Geschlechtern zeigt und auswirkt, welche Rolle er in der modernen Gesellschaft spielt, wann er krankhafte Züge annimmt und wie Menschen mit einem Narzissten umgehen können. Untersucht werden der narzisstische Missbrauch und die Eigenschaften von narzisstischen Eltern. Hier soll kein Urteil gefällt oder der Narzisst verdammt und in eine Schublade gesteckt werden. Vielmehr ist ein Rundumblick angestrebt, der zeigt, wieso die narzisstische Ader beim Menschen so häufig sichtbar wird und wo die Ursachen liegen.

2. Der Ursprung des Narzissmus

Narzissmus ist heute ein vielgebrauchter Terminus im Alltag und in der Psychologie und nimmt sich die Selbstliebe des mythischen Jünglings Narziss aus der griechischen Mythologie zum Vorbild. Trotzdem ist der Narzissmus-Begriff nicht eindeutig festgelegt, obwohl er oft im Kontext mit einer bestimmten psychologischen Störung steht, die mit Selbstüberschätzung bzw. Selbstsucht und gleichzeitig mit einem geringen Selbstwertgefühl einhergeht. Hier handelt es sich um die fehlende Trennung zwischen Objekt und Subjekt, die in der magischen Phase des Kindes ganz natürlich ist, mit zunehmender Reife jedoch verloren gehen sollte. Bleibt das Bewusstsein jedoch auf sich selbst ausgerichtet und nimmt sich dabei selbst als Ideal zum Vorbild, verschiebt sich die natürliche Ebene und es kommt zu einer psychologischen Störung und Selbstüberschätzung.

Das magische Bewusstsein des Kindes gehört zur normalen Entwicklung und geht davon aus, dass Worte, Gedanken und Handlungen immer einen Einfluss auf alle Ereignisse haben, die dem Kind widerfahren. Es denkt, es kann bestimmte Sachen hervorrufen oder verhindern, wenn es den Wunsch dazu hat. Alles, was passiert, hängt unmittelbar mit dem eigenen Selbst zusammen. Zwischen Objekt und Subjekt kann das Kind noch nicht unterscheiden. Das ermöglicht die Einbildung von schimmernden Palästen, unsichtbaren Freunden und Monstern unter dem Bett.

Diese Phase verliert sich in der Regel mit dem Heranwachsen. Das Kind versteht entsprechend, dass die Dinge einen eigenen Zusammenhang haben und sein Einfluss darauf nur bedingt existiert. Bleibt das magische Denken jedoch Teil der Psyche, kommt es zu verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, nicht nur zu der narzisstischen, sondern auch zu einer psychotischen oder schizophrenen. Ausdruck dafür ist dann, dass die Wahrnehmung auf sich selbst und die Umwelt verschoben ist, so wie sich das Spiegelbild im Wasser verzerrt, als Narziss hineinblickt und dieses erreichen will. Das magische Denken überwiegt das rationale Denken und äußert sich durch Egozentrismus und Selbstbezug. Ein übersteigertes Bedürfnis, geliebt zu werden, ist genauso Teil der Störung wie der Hunger nach Anerkennung.

Das ist jedoch noch nicht alles, was den Narzissmus ausmacht. Abgeleitet aus dem Vorbild der griechischen Mythologie geht es um das unerreichbare Selbst, das unbewusst durch ein Ideal-Ich ersetzt werden soll. Das bringt mit sich, dass diese Liebe zu sich selbst stark überspitzt wird, obwohl sie real gar nicht vorhanden ist und als Empfinden unerreichbar bleibt. Wie der Narzisst seine Selbstüberschätzung lebt, wuchert unter dieser Maskerade ein verlorenes und verletzliches Kind, das nicht erwachsen geworden ist und nach Aufmerksamkeit giert. Diese Sucht wird so groß, dass alle Mittel recht sind, um zu bekommen, was es will. Oftmals geschieht das dann auch auf Kosten anderer.

2.1 Der Mythos Narziss oder das narzisstische Selbst

Die Geschichte von Narziss ist aus den „Metamorphosen“ von Ovid als Dichtung und aus den Schriften von Pausanias überliefert. In der griechischen Mythologie ist er der Sohn des Flussgottes Kephissos und der Wassernymphe Leiriope. Er war von unglaublich strahlender Schönheit und hatte daher auch eine starke Anziehungskraft auf andere Menschen. Als seine Mutter den Seher Tiresias über die Zukunft ihres Sohnes befragte, sagte dieser, er könne sehr alt werden, solange er sich nicht selbst erkennt.

Als Narziss heranwuchs, wirkte seine Schönheit sowohl auf Männer als auch auf Frauen. Das beeindruckte ihn jedoch nicht, so dass er keines der ihm entgegengebrachten Gefühle zuließ oder auch nur zurückgab. Das mussten auch Amainias und die Quellnymphe Echo erfahren, die beide darüber zu Tode kamen.

Echos Werben konnte Narziss nicht vernehmen, da sie selbst verflucht und nur in der Lage war, die an sie gerichteten Worte zu wiederholen. Sie machte sich dennoch die Mühe, mit seinen Worten zu jonglieren, bis Narziss sie verstand und ihre Liebe trotzdem zurückwies. Vor Trauer und Liebeskummer löste sie sich auf und hinterließ alleine ihre Stimme als Widerhall. Auch Echo hat psychoanalytische Bedeutung, worauf wir noch eingehen werden.

Amainias wiederum litt so stark an seiner Liebe zu Narziss, dass er das Schwert, das dieser ihm schenkte, zur Selbsttötung nutzte. Bevor er das tat, rief er jedoch noch verzweifelt die Götter an, seinen Tod zu rächen. Diese Bitte wurde ihm durch Nemesis erfüllt, die als Göttin der Rache und des gerechten Zorns bekannt war. Sie strafte bei Missachtung, Hybris und Selbstüberschätzung. So bekam auch Narziss sein Fett weg und wurde mit einer übersteigerten Selbstliebe bestraft. Als er sich zum ersten Mal leidenschaftlich verliebte, handelte es sich ausgerechnet um das eigene Spiegelbild im Wasser.

Schon bei Platon galt die Selbstliebe als eines der größten Übel, so dass die Deutung des Mythos darauf gemünzt ist und den Zweck einer moralischen Erziehung hat, die von der Antike bis in das Spätmittelalter reichte und ihren Ausdruck in Kunst, Epos, Traktat und Lyrik fand. Erst in der Zeit der Aufklärung konnte Narziss auch von der humorvollen Seite gesehen werden und war Teil einiger bekannter Komödien. Der Narzisst erschien darin als eitler Mensch, der meistens auf sich selbst hereinfällt.

Verbunden ist Narziss sowohl mit dem Spiegelbild als auch mit dem Echo. Im Narzissmus ist die Antwort auf den Ruf immer die eigene, und der Spiegel dient nicht der reinen Reflexion, sondern als real aufgefasstes Selbstbild. Das aber, was als Selbstliebe definiert wird, hat mit dem Narzissmus nichts zu tun. Auch in der griechischen Mythologie ist die Selbstliebe eine Bestrafung und nicht ein Zeichen der Eitelkeit.

2.2 Die Auslegung und Interpretation

Die Geschichte um Narziss wurde verschieden ausgelegt und übermittelt. Die bekannteste Version stammt aus den „Metamorphosen“ von Ovid und besagt, dass Narziss sich über eine Wasserquelle beugt und sich in das Abbild verliebt, ohne zu wissen, dass es sich um ihn selbst handelt. Jeden Tag sitzt er am See und spricht zu dem Abbild, das ihm nicht antwortet. Als er sich vorbeugt, um das Gesicht endlich erreichen zu können, fällt er ins Wasser und ertrinkt.

Eine weitere Version ist, dass er beim Anblick im Wasser versucht, sein Spiegelbild zu küssen und dabei erkennen muss, dass dies nicht möglich ist. Er wird dabei so sehr von seiner Sehnsucht übermannt, dass er stirbt und sich in eine Narzisse verwandelt.

Bei Pausanias ist der Mythos von Narziss noch einmal etwas anders überliefert. Während Narziss sich bei Ovid nicht selbst erkennt, verkörpert er bei Pausanias durchaus schon die übersteigerte Selbstliebe. Hier betrachtet Narziss sich im Wasser und genießt seinen Anblick, bis sich eines Tages ein Laubblatt auf das Wasser legt und Wellen erzeugt. Diese verzerren und trüben das Abbild. Narziss ist dadurch so stark über die eigene Hässlichkeit irritiert, dass er an dieser Vorstellung zugrunde geht.

Eine andere Version erzählt, dass nicht ein Blatt, sondern die Tränen von Narziss die Wasseroberfläche kräuseln und das Abbild verändern. Die Verzweiflung verbrennt Narziss, so dass aus seiner Asche die Narzisse wächst. Diese steht als Blume symbolisch für die Fruchtbarkeit und Frische, ist aber auch eine Todesbotschaft. In Verbindung mit Narziss repräsentiert die Blume tiefes Verlangen und Zuwendung und gilt auch als Gewächs, das rund um den Eingang der Unterwelt blüht.

Was all diese Deutungen gut aufzeigen, ist das Symptom der Selbstüberschätzung, das auch heute Gültigkeit hat. Narziss liebt weniger sich selbst als das Bild, das er von sich selbst gewonnen hat. Und dieses ist in der Regel völlig verzerrt. Er ist nicht fähig, zwischen sich und diesem Spiegelbild eine Verbindung herzustellen, die harmonisch verläuft und das Selbstwertgefühl stärkt. Das grenzt ihn automatisch auch von anderen Menschen ab, so dass er den Blick immer nur auf sich selbst und kaum auf andere richtet.

Das ist das eigentliche Dilemma des Narzissten. Innerlich leidet er stärker, ohne sein Unglück bewusst erfassen zu können. Alles, was er hat, ist seine Selbstüberschätzung. Und diese nimmt er weder wahr noch kann er sie ändern. Sie ist das, was ihn aufrechterhält. In ihm herrscht eine Spaltung, die ein verletzliches Selbst mit einem idealisierten überlagert. Das führt zu dem übersteigerten Persönlichkeitsbild, das nahezu perfekt in die moderne Welt passt, die den Narzissmus in sehr bedenklicher Form fördert.

3. Der Narzissmus in der modernen Welt

Narzissmus begegnet uns im Zeitalter von Schönheitsidealen, Popkultur, Erfolgsstreben und einer stark ansteigenden virtuellen Präsenz im Internet, wo jeder im Grunde sich selbst neu erschaffen kann, fast überall. Es geht darum, in einer Gesellschaft etwas darzustellen, wobei gleichzeitig die Individualität angestrebt wird und die einheitliche Übereinstimmung mit der Masse. Zwei Welten und Bestrebungen interferieren hier. Besonders neue Trends und Moden werden sofort aufgegriffen und gelebt, wenn sie helfen, sich irgendwie zu definieren.

Dem gegenüber steht der Wunsch, sich von der Masse abheben zu wollen und etwas zu sein oder zu tun, das klare Unterschiede zum Rest setzt. Leider geschieht das zum Teil auch sehr radikal. Wer auffallen möchte, sucht nach Möglichkeiten auf allen Ebenen. Das kann auch sehr destruktiv oder sogar selbstzerstörerisch erfolgen.

Wenn kein Talent vorhanden oder das Aussehen eher langweilig und unauffällig ist, bietet die moderne Gesellschaft zahlreiche Wege, sich irgendwie abzuheben. Das kann z. B. durch markante Körperkunst, durch Extremsport, durch Erfolg oder Machtbesessenheit sein. Manch einer riskiert für den Kick des Auffallens sogar sein Leben.

Hinter all diesen Versuchen, dem Dasein irgendwie eine Bedeutung abzugewinnen, liegt natürlich eine Form von Eitelkeit. Zum Narzissmus ist es dann nicht weit, wobei dennoch klare Grenzen einer korrekten Zuordnung gesetzt werden müssen. Der Begriff ist teilweise sehr schnell herangezogen, wenn jemand eitel, selbstbezogen, beziehungsunfähig und unnachgiebig auftritt. Wirklicher Narzissmus hat mit der normalen Eitelkeit jedoch wenig zu tun.

Er ist erst dann ein Thema, wenn die Regulierung des Selbstwertgefühls nicht funktioniert und auffällige Schwankungen zwischen dem selbstbewussten Auftritt und der tatsächlichen Selbsteinschätzung sichtbar werden. Von einer leicht narzisstischen Tendenz bis hin zu einem ausgeprägten pathologischen Problem gibt es etliche Abstufungen.

Narzissmus ist Egozentrismus, übersteigerte Selbstliebe und geht dabei oft mit einem geringen Selbstwertgefühl einher. Das Paradoxe dieser Persönlichkeitsstörung ergibt sich dadurch, dass der Narzisst zwar von sich überzeugt ist und auch lautstark das eigene Selbst in den Mittelpunkt stellt, jedoch seine Selbstakzeptanz nicht eigenständig bewältigt, sondern diese von außen bezieht. Das bedeutet, er sucht ständig nach Bewunderung und Anerkennung, um sich überhaupt wahrnehmen und spüren zu können. Ist das nicht der Fall, stürzt er in eine tiefe Krise.

Er nutzt andere Menschen wie einen Spiegel, ohne sie selbst wahrzunehmen. Er toleriert dabei auch keinen Widerspruch oder gar Kritik. Dabei versucht er für die Selbstbestätigung immer wieder neue Grenzen zu überschreiten. Das kann im Beruf, im Alltag, beim Sex oder in anderen Bereichen sein, bis das grandiose und übersteigerte Ideal-Selbst dann wieder zusammenbricht und die verletzliche Seite hervortritt, die, so bloßgelegt, versucht, sich zu wehren und zu rächen.

„Jeder denkt an sich, nur ich denke an mich!“ – diese Aussage bleibt der Grundton jeder Sehnsucht nach Bewunderung und Anerkennung und ist dabei auch ein Ausdruck des Narzissmus. Etwa seit dem 19. Jahrhundert wird der Begriff sofort mit dem Krankhaften und Negativen assoziiert. Das ist insofern gegeben, weil der Narzisst seine Anerkennung benötigt, dabei aber selbst nicht in der Lage ist, diese anderen zu gönnen. Empathie ist ihm ein Fremdwort, während die Empfindsamkeit stark übersteigert ist. Er kann sich nicht in andere einfühlen, ihre Sorgen und Probleme teilen, bemitleidet aber umso mehr sich selbst. Jeden empfindet er als Konkurrenz, der ebenfalls Zuspruch möchte, was wiederum bewirkt, dass er den anderen entwertet und verachtet.

Fühlt der Narzisst seine Großartigkeit nicht bestätigt, kommen Minderwertigkeitsgefühle auf. Das bewirkt sehr starke Schwankungen zwischen dem grandiosen und dem verletzlichem Ich, das unter der Maske der narzisstischen Selbstdarstellung verborgen liegt. Minderwertigkeitsgefühle drücken sich in Angst, Scham, Selbstzerstörung, Leere und Wut aus. Narzisstische Krisen sind sehr schwierig zu bewältigen und können auch mit Selbstmordgedanken enden. Daher ist der Narzisst keinesfalls einfach nur ein aggressiver und selbstverliebter Mensch, der Bewunderung will. Hinter der Fassade liegt eine ganze Welt an Verletzlichkeit, in der das kleine Selbst mit dem grandiosen Selbst ringt.

Heutzutage gibt es für verschiedene Persönlichkeitsstörungen gute Therapieansätze. Der Narzissmus ist dabei seit den ersten Definitionen durch Sigmund Freud über C. G. Jung, Erich Neumann, Sandor Ferenczi bis zu Heinz Kohut psychoanalytisch zergliedert worden, wobei die Konzepte systematisch das Wesen des Narzissten erschließen. Besonders heute spielt die Ich-Perspektive und damit verbundene Ich-Psychologie eine wichtige Rolle, in der die Selbstrepräsentanz viele Ausdrucksformen hat. Oft scheint es, dass mit zunehmendem Fortschritt neue und veränderte Krankheitsbilder auftreten, die vorher nicht existiert haben. Auch wenn viele psychische Erkrankungen früher einfach als Wahnsinn abgetan wurden und erst nach und nach eine Einteilung der Krankheitsbilder erfolgte, zeigen sich mit der veränderten Außenwelt auch neue Variationen. Die psychiatrische Couch ist zum Sinnbild geworden, da mit der Schnelligkeit und Hektik des modernen Lebens die wenigsten mithalten können. Von der Couch treten sie auf die Straße und werden überrannt.

Das führt immer zu Krisen und Neuorientierungsversuchen. Hinzu kommt, dass vieles bereits in der Kindheit geprägt wird. Deshalb ist nicht nur der Narzisst ein typisches Erscheinungsbild der heutigen Gesellschaft, sondern auch der Neurotiker, der Borderliner und sogar der Echoist, der wiederum eine Art Gegenteil des Narzissten ist. Während der Narzisst als empathieloser, arroganter und selbstbezogener Manipulator gilt, der die Bewunderung durch andere benötigt, ist der Echoist dann zu bescheiden und unterwürfig. Auch diese Bezeichnung geht auf die griechische Mythologie und die Geschichte von Narziss zurück und bezieht sich auf die Nymphe Echo, die sich in ihrem Kummer auflöste. Der Echoist lebt die an sich guten menschlichen Eigenschaften der Selbstlosigkeit ins Extreme. Ihm fehlen entsprechend die narzisstisch gesunden Eigenschaften, und das Selbstwertdefizit nimmt Überhand.