Der Roland von Berlin - Willibald Alexis - E-Book

Der Roland von Berlin E-Book

Alexis Willibald

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Beschreibung

Ein historischer Roman aus dem Berlin des 19. Jahrhunderts. Zwischen dem Kurfürsten und dem Städtebündnis Berlin-Köln entbrennt ein Streit um die Herrschaft in der Stadt.

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Der Roland von Berlin

Willibald Alexis

Inhalt:

Willibald Alexis  - Biografie und Bibliografie

Der Roland von Berlin

Erster Band

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Zweiter Band

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Dritter Band

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Der Roland von Berlin, W. Alexis

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849604592

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Willibald Alexis  - Biografie und Bibliografie

Eigentlich Georg Wilhelm Heinrich Häring, bekannter Romandichter, geb. 29. Juni 1798 in Breslau, gest. 16. Dez. 1871 in Arnstadt, entstammte einer französischen Refugiésfamilie aus der Bretagne, die ihren französischen Familiennamen Hareng ins Deutsche übersetzt hatte, besuchte das Werdersche Gymnasium in Berlin, machte als Freiwilliger den Feldzug von 1815 mit, widmete sich hierauf in Berlin und Breslau juristischen Studien und wurde Auskultator und Kammergerichtsreferendar in Berlin. Bald entsagte er jedoch der juristischen Laufbahn und widmete sich ausschließlich der schriftstellerischen Tätigkeit, wobei er mitten im Gewirr publizistischer Vielgeschäftigkeit große poetische Pläne festhielt und künstlerisch gestaltete. 1856 hatte H. das Unglück, bald nach seiner Übersiedelung nach Arnstadt in Thüringen, wo er sich ein anmutiges Heim gegründet, von einem Gehirnschlag getroffen zu werden, von dem er sich nie wieder vollständig erholte. Seine eigentliche literarische Tätigkeit begann H. mit einem idyllischen Epos in Hexametern: »Die Treibjagd« (Berl. 1820), dem zwei Novellen: »Die Schlacht bei Torgau und der Schatz der Tempelherren« (das. 1822), folgten. Aus einer Wette im Freundeskreis ging ein dreibändiger Roman: »Walladmor« (Berl. 1823–24, 3 Bde.), hervor, eine kecke Mystifikation, indem der Verfasser das Werk für eine Schöpfung Walter Scotts ausgab und damit überall Glauben fand. Der Roman wurde ins Englische und mehrere andre Sprachen übersetzt. Unter derselben Maske erschien auch der Roman »Schloß Avalon« (Leipz. 1827, 3 Bde.), dem die »Geächteten« (Berl. 1825) vorausgegangen waren. Bald aber trat H. mit selbständigern Produkten auf, in denen sich Anklänge an Scott und Tieck mit seinen eignen, von der jungdeutschen Bewegung beeinflußten Reflexionen mischten, ohne daß der Objektivität der Darstellung dadurch Eintrag geschah. Unter seinen »Gesammelten Novellen« (Berl. 1830–31, 4 Bde.) und »Neuen Novellen« (das. 1836, 2 Bde.) sind einzelne, wie »Venus in Rom« und »Acerbi«, vortrefflich in Ausführung und Darstellung. Sein eigenstes Gebiet, das der historischen Romandichtung mit dem Hintergrund märkisch-preußischer Geschichte, betrat H. zuerst in seinem umfangreichsten Werke: »Cabanis« (Berl. 1832, 6 Bde.; 7. Aufl. 1893), einem charakteristischen Bild aus der Zeit Friedrichs d. Gr. Aber bereits mit dem Roman »Das Haus Düsterweg« (Leipz. 1835) schien H. wieder in andre Bahnen einzulenken. Als Reiseschriftsteller trat er in seiner »Herbstreise durch Skandinavien« (Berl. 1828, 2 Bde.), den »Wanderungen im Süden« (das. 1828) und den »Wiener Bildern« (Leipz. 1833) auf, welch letztere in Preußen verboten, während umgekehrt seine »Schattenrisse aus Süddeutschland« (Berl. 1834) von den Liberalen angefeindet wurden. Seine »Zwölf Nächte« (Berl. 1838, 3 Bde.) leiden an einer gewissen Nüchternheit und Breite des Räsonnements, die der sonst trefflichen Darstellung Eintrag tun. Sein »Urban Grandier« (Berl. 1843, 2 Bde.) war als Nachtgemälde des Fanatismus von Interesse. Zwischen der Folge seiner historischen Romane erschienen noch: »Der Zauberer Virgilius« (Berl. 1851), »Märchen aus der Gegenwart« (das. 1852) und das Bruchstück eines unvollendet gebliebenen Zeitromans, das Idyll »Ja, in Neapel« (das. 1860). Für die Bühne schrieb H. in früherer Zeit die Lustspiele: »Der Prinz von Pisa« und »Die Sonette« (1828), das Drama »Ännchen von Tharau« (1829) und den Fastnachtsschwank »Der verschwundene Schneidergesell« (1841). Auch gab er »Balladen« (Berl. 1836) und mit E. Ferrand und A. Müller »Babiolen« (Leipz. 1837, 2 Bde.) heraus. Die längere Zeit geführte Redaktion des »Berliner Konversationsblattes«, womit 1830 »Der Freimütige« verbunden wurde, gab er 1835 auf. Das von ihm mit Hitzig begonnene Werk »Der neue Pitaval« (Leipz. 1842–63, Bd. 1–33) behauptet unter allen für ein größeres Publikum bestimmten Sammlungen von Kriminalgeschichten den Vorrang. Seine eigentliche Bedeutung in der neuern deutschen Literatur errang aber Willibald Alexis lediglich mit den vortrefflichen historischen Romanen, zu denen »Cabanis« der Vorläufer gewesen war. Nacheinander erschienen: »Der Roland von Berlin« (Leipz. 1840, 3 Bde.; 6. Aufl. 1902), der die letzten Kämpfe des altmärkischen Bürgertums gegen den neuaufstrebenden Hohenzollernstamm im 15. Jahrh. zum historischen Hintergrund hat; »Der falsche Woldemar« (Berl. 1842, 3 Bde.; 5. Aufl. 1893), der die denkwürdigste Episode der mittelalterlichen Geschichte der Mark Brandenburg behandelt; der Doppelroman »Die Hosen des Herrn von Bredow« (das. 1846–48, 5 Bde.; 14. Aufl. 1900), in zwei Abteilungen: »Hans Jürgen und Hans Jochem« und »Der Werwolf« (in 3 Büchern, 7. Aufl. 1899), welche die Zeit des Kurfürsten Joachim I. und der Reformation zum Hintergrund haben; »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« (das. 1852, 5 Bde.; 5. Aufl. 1898), die traurigste Zeit Preußens vor der Katastrophe von Jena darstellend; »Isegrimm« (das. 1854, 3 Bde.; 5. Aufl. 1899), aus den Tagen der Erhebung und des Aufschwunges nach 1806, und endlich »Dorothe« (das. 1856, 3 Bde.; 4. Aufl. 1896), welcher Roman wiederum in die letzte Zeit des Großen Kurfürsten zurückgreift. Alle diese Romane, obschon nicht völlig von prosaischen Elementen frei, erheben sich doch in der Hauptsache durch die Fülle charakteristischer Gestalten sowie durch die Wiedergabe der Zeitstimmung und die Schilderung märkischer Landschaften, aus denen die Eigentümlichkeiten der Menschen erwachsen, zu wahrhaft poetischer Bedeutung. Härings »Gesammelte Werke« erschienen in 20 Bänden (Berl. 1374), die »Vaterländischen Romane« besonders in 8 Bänden (zuletzt das. 1884); seine »Erinnerungen« gab M. Ewert heraus (das. 1899). Vgl. Julian Schmidt, Neue Bilder aus dem geistigen Leben unsrer Zeit (Leipz. 1873); G. Freytag in den »Gesammelten Werken«, Bd. 16 u. 23; Ad. Stern, Zur Literatur der Gegenwart (das. 1879).

Der Roland von Berlin

Erster Band

Erstes Kapitel.

Vor dem Rathaus auf der langen Brücke drängte und wogte es hin und her. Leute allerlei Standes, Männer, Frauen und Kinder standen vor dem hohen Gebäude, und es ward immer lauter drinnen. War es nur eine herkömmliche Sitzung der Ratmannen der vereinigten Städte Berlin und Köln, wie sie alle Montag um acht Uhr in der Frühe, und dann Donnerstags wieder früh gehalten werden; aber so hitzig war es seit Menschengedenken nicht zugegangen. Die Stimmen überschrieen sich, daß man itzo vor dem allgemeinen Lärmen gar nichts hörte, und es war, wie wenn Bienen summen, und die Käfer vorm Stock hören keine raus. Aber dann schrie einer so, daß alles schwieg, aber nun schrie ein anderer noch lauter, und der vorige mußte wieder schweigen, und nun hörte man sie auf Tisch und Bänke springen, und hochrote Gesichter zeigten sich an den Fenstern, wie man deutlich durch die kleinen Scheiben sehen konnte.

Es war aber das Rathaus der vereinigten Städte Berlin und Köln, ein hohes und stattliches Gebäude, als man gleich hören wird, in all dem bunten Schmuck der Zeit, wo es entstanden. Wie man weiß, führte die kurze Brücke, welche »die lange« heißt, ihren Namen damals mit mehr Recht. Sie verband Köln und Berlin; aber da, wo sie heut an der Burgstraße endet, berührte sie vorerst eine morastige Insel, über die sie hinweg nach einem nun verschwundenen Spreearm führte, welcher durch die jetzige Heiligegeiststraße floß. Über diesen hinweg berührte ihr anderes Ende erst das eigentliche Berlin, das hinausging bis ans Oberberger Thor, da wo die steinerne Brücke ist; und dahinter ist der Ochsenkopf. Also war es gewiß eine lange Brücke. Mitten auf der langen Brücke nun, wo die Sümpfe waren und Weideplätze fürs Vieh, und unten trieben die Färber ihr Wesen, da stand das gemeinschaftliche Rathaus. In der Hast ausgeführt, weil man's bedurfte, als die Städte sich zusammenthaten zu einer, war es nicht so fest und von dicken Steinen, als die großen Rathäuser in andern reichen Städten. Darum dauerte es auch nicht über das Mittelalter hinaus, und ist keine Spur davon übergeblieben. Waren kaum die Untermauern und ein Teil des Erdgeschosses von Stein, und wo's war, waren's nur Backsteine. Das andere ruhte auf Pfahlwerk, und waren die Obergeschosse alle Fachwerk. Aber zur Zeit, wo beide Städte dieses Rathaus zu gemeinsamer Ehr und Nutzen aufführten, was um ein hundert und einige Jahre früher geschah, als diese Geschichte spielt, baute man in Fachwerk nicht minder kühn und lustig, als in Stein und Mörtel. Da fand man dieselben Formen in den himmelhohen hölzernen Häusern wieder, über die wir in den gotischen Baudenkmälern der Vorzeit aus Sandstein und Marmor staunen. Ja die Laune erging sich noch wunderlicher und bunter in dem gefügigeren Holze, da der Stein strengere Gesetze und Regeln vorschreibt. Die überragenden, oberen Geschosse, mit wunderbar geschnitzten Balkenköpfen, die ausgebauten Ecktürmchen und Söller, wodurch die engen Straßen oft ganz überdacht wurden, davon war nicht der Mangel an Raum allein der Grund; es war ebenso oft die Laune des Baumeisters, der im Himmel an Spielraum gewinnen wollte, was ihm auf Erden zu schmal zugemessen war. Waren diese Bauten auch gar nicht so gefährlich, als man meint. Wenn einer so bauen wollte heut, ach was würden sie schreien, und die Nachbarn dächten, es müßte übermorgen ihnen auf die Köpfe fallen. Aber schaut Euch doch um in den vielen hölzernen Städten unseres lieben Deutschlands. Drei, vier, fünfhundert Jahre hat ein solches Holzhaus aus dem Rücken: freilich ist der Nerv kernige Eiche. Es krümmt sich auch wohl vorm Alter und liegt über, aber es fällt nicht. Noch stehen diese übergekragten, kunstvoll geschnitzten Häuser in Halberstadt, Hildesheim, Nürnberg, wie umgekehrte Pyramiden; sie verloren in keinem Jahrhundert ihr Gleichgewicht. Erst in dem unsern trägt man diese Schmuckkästlein bürgerlicher Baukunst allmählich ab, nicht aus Not und Fürsorge; aber der Sinn änderte sich. Er will itzo leere Räume um sich haben, um behaglich zu sein, wo die Väter sich einschachtelten, um warm zu sitzen.

So ragte auch das Rathaus zwischen Berlin und Köln mit seinem bunt verzierten Oberbau und den vielen zierlichen Türmchen über die anderen Häuser hinaus. Die Türmchen, nicht zur Verteidigung, es war nur Spielwerk, schauten nach allen Stadtteilen; der mächtige, vielfach ausgezackte Giebel aber war dem Spreeflusse zugewandt. Er durfte nach keiner der beiden Städte blicken. Wäre es doch zu Ungunsten der einen oder der andern gewesen. Das litt keine. Darauf gab man viel im Mittelalter, und fürchtete und scheute das Spiel des Zufalls. Das Holzwerk war nicht überputzt, aber künstlich ausgeschnitzt und rötlich gefärbt, glänzte es schon von fern Dir entgegen, und das Auge sah die ganze Gliedrung des wunderlichen Baues. Wie schöne Mohren und Türken und allerhand Ungeheuer zeigten die kunstvoll geschnitzten Balkenköpfe, und wie grimmig gähnten die Drachenköpfe von den Wettertraufen! Und wie waren die Stiele zierlich überkreuz gefugt, daß es wie ein queres Schachbrett aussah oder das Wappen der Bayernfürsten, so über das Land einmal geherrscht. Und überall, wo eine Mauerwand sich bloß gab, war sie mit bunten Malereien überdeckt. Die Helden und Weisen aller Zeiten, auch die Königinnen und Schönen der ritterlichen Höfe waren hier zu sehen; alle, Griechen, Römer und Hebräer als die der Fabel in der buntesten, scheckigsten Modetracht des abgelaufenen Jahrhunderts. Da ritt der heilige Georg und tötete den Lindwurm, der heilige Florian goß Wasser über die Feuersbrunst, und der heilige Martin teilte mit dem Schwert seinen Mantel mit dem Armen, der ihn anbettelte. Aber unter den Thüren und an den Ecken noch einmal, stand, in Holz gehauen, der große Christophel; denn der das Jesuskindlein trug, das ist die Welt, des Schultern sind wohl stark genug, um ein Haus zu tragen. Aber an allen Ecken hingen die Wappen von Berlin und Köln, ihrer Geschlechter und der verbündeten Städte. Der kaiserliche Doppeladler breitete seine Flügel über dem Hauptthor aus, der Hohenzollernsche hatte nur ein bescheidenes Plätzchen daneben. Am lustigsten sahen die bunten Fahnen aus, so von den Giebeln und Türmchen herab im Spiel der Winde flatterten. Die Würde der Obrigkeit verschmähte es nicht, auch durch ein heiteres Zeichen ihre Gegenwart den Bürgern darzuthun. Da wehten die Fähnlein der Städte von Alt- und Neu-Brandenburg und Frankfurt, von Prenzlow, Bernow, von Rathenow und Mittenwalde, und noch viele andere, und auch die Fahne des Hansebundes flaggte hoch auf der Firste; aber das kurfürstliche Banner hing sehr klein neben einem Schornstein.

Also sah das Rathaus auf der langen Brücke dazumal aus, davon jetzt keine Spur mehr ist; man weiß nicht einmal den Fleck genau, wo es gestanden. Drinnen zankten sie sich und man sah es an den Fenstern; und alle, die davor standen, sahen es; und war vorhin Ruhe, denn die Neugier machte sie ruhig, so wurden sie jetzt unruhig, und die Parteien, die oben im Saal aneinander lagen, die waren nun auch auf der Gasse, und sie steckten die Köpfe zusammen, und einer schrie laut, und ein zweiter antwortete: und blickte der eine höhnisch, so antwortete der andere grimmig, und verzog der eine den Mund, so wies ihm der andere die Zähne und streckte die Faust aus. Aber es waren diesmal nicht Geschlechter und Stände; nicht Innungen und Gewerke schieden sich, sondern Genossen derselben Zunft, auch Freunde und Blutsverwandte traten auseinander und zueinander. Denn hier war es Berlin und dort Köln; hier die um Sankt Marien und Nikolas und in der Klostergasse wohnen, dort die um Sankt Petrus und in der breiten und Brüderstraße. Und was die Herren oben ausmachten von dem Streit zwischen den beiden Städten, die eins waren und doch nicht eins bleiben wollten, warum sollten das die Kleinen nicht auch ausmachen! Wenn ein Schauspiel viel Wesens macht unter den Erwachsenen, so machen es die Kinder auf den Höfen und in den Gassen nach.

Wer die frischen Gesichter, die trotzigen Augen, die markigen Leiber, die kernige Gliederfülle der Handwerksburschen und Gesellen, der wohlbeleibten Meister, wer die Ausdrucksfülle und Frischheit aller beobachtete, mußte wissen, daß es da nur eines Funkens bedurfte, um zu zünden. Es lebte in unseren Städten vor vierhundert Jahren ein anderes Geschlecht. Jeder, der gesunde Beine und einen gesunden Arm hatte, war ein Mann der That. Und die That wartete kaum ab, bis der Rat erschöpft war. –

Wenn's die Meister wußten und die Gesellen, was wußten's die andern, weshalb die Ratmannen von Köln mit den Ratmannen von Berlin sich in den Haaren lagen, und was ging sie's an? Die am meisten schrieen, hatten ja keine Rechte. Denn was kümmerte es den Hausierer vom Lande oder den wendischen Bauer, der sein Holz zu Markte brachte, oder den Fischer draußen vom Kiez, was Männer und Weiber, die in den engen Gassen nur geduldet wurden, von jedem strengen Blicke eines zünftigen Mannes zurückgeschreckt, was kümmerte sie's, ob der Stadt-Wundarzt von den Kölnern oder den Berlinern bezahlt, und ob die Stadtuhr von diesen oder von jenen aufgezogen wurde; was kümmerte sie das Niederlagrecht, wer mehr davon zöge, und wer mehr zahlte und mehr Recht hätte bei Gericht?

Aber das ist vor Alters gewesen, daß, was die Köpfe der Großen erhitzt, in den Köpfen der Kleinen wiederbrennt, und was dort eine Flamme war, wird hier ein Brand. Manche sagen auch, daß die Großen davon leben, daß die Kleinen sich zanken um ihrer Zwiste willen; und wäre es ihnen ganz recht und lieb. Sie sprechen überhaupt, die Klugen nämlich, gar Absonderliches in Berlin; doch davon nachher.

Da flog es hin und her von anzüglichen Reden und Spitzworten, und wußte jede Stadt etwas Besonderes von der andern. Die Berlinischen schimpften die von Köln durch die Bank Fischweiber, und auch wohl wendische Bankerte, und einer rief: »Ihr seid nur die Theerbutte; die hängt unterm Karren, und der Wagen schleppt sie mit.« – »Ja,« antwortete ein kölnischer Meister, »wenn wir Euren Wagen nicht schmierten, so ginge er nicht von der Stelle.« Überhaupt waren die Kölnischen nicht auf den Kopf gefallen, und gaben's den Berlinern tüchtig wieder. Wenn diese von stinkenden Fischen sprachen, so erzählten die Kölnischen die alte Geschichte von der großen Blutwurst, so die Berliner Anno 1 gesotten zum Fasching, und hätte es den Berlinern herrlich geschmeckt, aber es wäre kein Schwein gewesen, das sie geschlachtet, sondern ein Jude. Darüber gerieten dann jedesmal die Berliner außer sich und schimpften und spuckten, zumal die Knochenhauer, und es ging selten ohne blutige Köpfe ab. Was schrieen nun die Weiber und Kinder, daß die vernünftigen Leute sich gar nicht mehr ausschimpfen konnten, es verstand's keiner! Da hob man die Stöcke, und dort griffen sie schon nach Kot und Steinen. Die da vermitteln wollten und Ruhe und Frieden herstellen, machten's nur toller, ob es wohl gut von ihnen war. Denn wo der Bürger nicht selbst in dem geschlossenen Gemeinsinn, welcher die Städte im Mittelalter stark machte, mitwirkte, war es um die Ordnung schlecht bestellt. Die wenigen, die dazu bestellt waren und eingeschworen, reichten nicht aus, so nicht jeder Bürger sich auch als ein geschworener Helfer ansah, der mit zugriff, wo der Büttel die Hand ausstreckte.

Wohl mochten manche sein, die sich recht im Herzen freuten, daß es so war. Denn der Druck bürgerlicher Berechtigung lastete so hart als irgend ein Druck auf denen, welche nicht mit drücken konnten. Wenn diese es im stillen thaten, wozu es Gründe gab, so waren andere am nahen Wirtshausfenster, desto lauter; und sie konnten es sein, denn es waren ritterliche Gäste vom Lande, die dem Treiben zusahen. Mit weit über die Fensterbrüstung gelehntem Leibe lachten sie dem Aufruhr ins Gesicht, und wenn ihre mächtigen Hände nicht klatschten, so schlugen sie dafür vor Lust hinter sich mit den klirrenden Hacken aneinander. Sie nickten den Gassenbuben zu, die schon im Kot der Gasse wühlten; und flog auch ein Scherflein dem und jenem zu, daß er nicht verdrossen bleibe. Die leeren Weinkannen auf dem großen Tische, und die Unordnung in dem niedrigen Zimmer, wo Federhüte, Lederlappen, Handschuh und Mantel durcheinander lagen und die Becher mit den Degen um die Wette auf dem Fußboden rollten, verrieten was vorangegangen, um den Junkern die Lust zu würzen, so das Schauspiel an sich gewährte. Während an dem engen und niedrigen Fenster ein wohlbeleibter Herr dermaßen mit seinen beiden Ellenbogen Platz genommen, daß der Ritter ihm zur Seite kaum genug fand, um seinen gedrungenen Oberleib durchzupressen, steckte ein dritter seinen Kopf über beide, und schrie mit boshaften, freudefunkelnden Augen in den Lärm hinein. Der hagere Ritter mit der Habichtsnase, welcher auf alles acht hatte, mochte ihm vergeblich Ruhe zuwinken; sein dicker Nachbar, das Doppelkinn auf den Armen gestützt, lachte zu aufrichtig und heftig, um die Warnungen durchdringen zu lassen. »Recht so, meine Jungen!« rief der hinten stehende, eine vierschrötige Gestalt, und sein schmutziges Lederwams stimmte zu dem eckigen, mit Narben und andern Malen verunzierten Gesicht. »Nur tiefer in den Kot! zugeschmissen, den Junkern von der Blutwurst ins Gesicht! das ist die Suppe, die man ihnen vorsetzen muß.«

»Köpkin!« wandte sich der mit der gekrümmten Nase zu ihm um, »Ihr verratet Euch. Sie können Euch von da aus sehen.«

»Ach laßt ihn doch,« sagte der wohlbeleibte Ritter. »Müssen sie nicht stören, wenn die lieben Jungen sich untereinander die Hälse brechen wollen.«

»Und wenn sie mich sehen,« schrie Köpkin. »Haben mich schon oft gesehen. Sollen mich noch oft sehen. Platz, Busso, will mich ihnen zeigen.«

»Köpkin!« rief der erste wieder, und griff ihn am Arm. »Seid Ihr toll oder trunken? Wißt Ihr nicht, daß Ihr ihnen abgesagt habt? Wißt Ihr nicht, wofür sie Euch erklärt haben? Nicht, wieviel auf Eurem Kopfe steht? Vergessen, wo der Berliner Galgen seinen Arm ausstreckt, und daß es den Ellenreitern kein größeres Gaudium gäbe, als 'nen Ritter zu sehen an ihrem selbst gesponnenen Hanfe baumeln. Wahrhaftig, der Anblick söhnte im Augenblick Köln und Berlin aus, und Rat und Bürger fielen sich um den Hals.«

Der Junker, der Köpkin genannt wurde, zog seinen breiten Degen zur Hälfte aus der Scheide: »Wo ist der Strick? Ich will alle Stricke, und wären sie dick, daß beide Städte dran zusammenhingen, mit dem Messer durchschneiden.«

»Probiert's nicht,« fiel der Hagere ein. »'S hat zu viel Seiler hier, die wieder neue drehn. Trinkt Wasser, Köpkin. Zurück, zurück! Da in den Lehnstuhl, schlaft aus.«

»Schlafen will ich nicht, ich will schlagen. Einschlagen die Glatzen und die Hirnschädel, dem alten und dem jungen Rate. Und dazu wird Rat. Was stört Ihr mich? Sie sind meine Feinde. Seid Ihr meine Freunde, und wollt mir die Lust nicht gönnen!«

Der dicke Ritter schien jetzt auch die Besorgnis seines Gefährten einigermaßen zu teilen. Er versuchte mit ihm den Erhitzten zu beruhigen und ihn in den Hintergrund der Stube zu drängen.

»Ihr seid hier wie ein bunter Hund bekannt, Köpkin, das ist wahr. Und 's ist schon tolldreist von Euch, daß Ihr zum Markt reingeritten seid. Nun dankt Gott und freut Euch, daß ihre Hunde so schlechte Witterung haben. Denn meint Ihr, daß sie's Euch vergessen können, wie Ihr ihnen das schöne Rindvieh fast aus dem Thor selbst forttriebt, und des Thorwärters Söhne, die Euren Knecht schlugen, in die Panke warft, daß sie versoffen, und dazu die Mühle am Graben anstecktet, ihnen zum puren Hohn; und die Funken flogen über die Mauer, und drei Häuser brannten ab. Nimmermehr vergessen sie Euch das.«

»Und wer ist mit Euch hier!« fiel der Ritter mit der Habichtsnase ein. »Habt Ihr einen in der Stadt, der Euch rauszieht, wenn Ihr im Loch sitzt? Ist der Büttel von Köln oder der von Berlin Euch ein besserer Freund? oder ist's Seine markgräfliche Gnaden, die vielleicht um Euch die Thore sprengen wird, so die Tuchkratzer ihm selbst verschließen? Köpkin, daß Dich, wenn Du ein Narr sein willst, sei's für Dich allein. Wir mögen keine sein, uns mit Dir fangen zu lassen.«

»Fangen!« rief der Junker und stülpte den Federhut verkehrt auf. »Rennt doch zum Haus 'aus, wenn Euch's Herz in die Hosen fuhr. Ist das Kameradschaft, Freundschaft, Rittersitte? Was gilt's, wenn's Euch säße, wo's sitzen soll, wir wollten ihnen auf die feisten Bäuche Trommel schlagen. Nur zwölf von meinen Gesellen hier, und der Fritz Rohr, der Heine Kerkowe und Wedigo Ploten, in dem Getümmel machten wir 'nen Lärm, daß ihren Urgroßkindern die Ohren von gellen sollten.«

»Und was hättet Ihr davon?« fiel der hagere Ritter, den die andern Busso nannten, ein. »Kindergeschrei und Ammenmärchen. Möglich, sie würden nach hundert Jahren den Köpkin-Zornekow als Knecht Ruprecht brauchen, wenn ihre Jören schreien. Und nicht zehn Finkenaugen mehr. Denn was Ihr ihnen im Tumult abnähmt an Plunder, das vergelten sie Euch zehnfach an Beulen, und Ihr könntet dem Herrgott und Euren Heiligen danken, wenn sie Euch die Pferde unterm Leibe nicht totstachen, bis Ihr zum Thore 'naus seid.«

»Hört mal, Busso,« sagte der Ritter, »das wäre doch auch ein Spaß! So Kind und Kindeskind von sich sprechen zu machen, und die Himmelangst der Tausendschwerenöter, wenn ihnen der Wolf im Schafstall sitzt. Beim heiligen Laurentius, ich gönne niemand Böses, aber den Berlinern gönnt ich's schon. Machte mir aus ein paar Beulen und Rissen nichts.«

»Und wär's damit abgethan!« sprach der Vermittler. »Was meint Ihr, daß Seine kurfürstliche Gnaden dazu sagen würde? Gäbe Euch das Eure Lehen zurück um ein bißchen Gestank und Lärm in seiner allerschönsten Hauptstadt?«

»Alle Wetter noch mal, die Stadtkrebse lassen ihn ja selbst nicht ins Thor rein.«

»Darum wünscht er aber noch nicht, daß Ihr drin sitzt und Euch am Haber vollfreßt, den er für sich aufschütten läßt.«

»Was schiert uns Seine Gnaden!« rief Köpkin auf den Tisch trommelnd. »Wer warm sitzt, der bleibe hocken. Wer friert, der stößt die Bärenhäuter von der Ofenbank. Haben uns schon die Nürnberger was Liebes gethan? Laß ihn mit den Pommern sich die Hälse drehen und uns für uns sorgen. Säßen wir in dem Nest, wir wollten ihm auch die Thore schließen und die Zähne besser weisen als das Schusterpack.«

Busso lächelte: »Und was hülfe Euch das! Gesetzt, eine solche Stadt, mit den verschlungenen Straßen, den Dächern, Türmen, mit steinernen Häusern und den Kellern und tausend Fenstern, ließe sich überrumpeln wie ein Schloß, das man stürmt und man hat es. Sei's, eine Hand voll guter Leute würde Meister und jagte die Tuchkratzer raus, oder wir legten ihnen eine Kette um den Hals, ein zwölf Pfund schwerer als ihre goldenen, und brauchten sie als Hunde; was wolltet Ihr denn dann? Schachern, Märkte halten, Schuh flicken? Die Zeiten sind vorbei, Sie würden uns bald abschneiden, einsperren, aushungern. Es gäbe schöne Gelegenheit, das Land zusammenzutrommeln, die Bauern, Bürger, Hunde auf die Ritterschaft zu hetzen, von neuem Friedensbruch zu schwatzen, zu klagen bei Kaiser und Reich, Achtbriefe zu schreiben, und Gerichte einzusetzen. Verteidigen wollt Ihr Euch? Wenn Plauen nicht hielt mit seinen vierzehn Fuß dicken Mauern, wenn Friesack, Lenzen fielen: meint Ihr, daß diese Wälle stärker sind, oder glaubt Ihr mit Euren Armen die Kugeln der faulen Grete aufzufangen, die seit den Tagen zehnfach gejungt hat?«

»Aber so die Gelegenheit aus der Hand zu lassen!« sprach der dicke Wedigo.

»Was für Gelegenheit?« fuhr Busso fort. »Daß die Bürger sich untereinander die Hälse brechen, daß die angewachsenen Zwillinge, Berlin und Köln, sich mit den Hacken stoßen, daß Rat und Gemeinheit, Junge und Alte, Zünfte und Gilden sich die Haare ausreißen! Das wollt Ihr hindern? Die hochmütigen Krämer, die uns damals die Brühe einrührten, die zwanzig Jahre so stolz und schnöde auf uns sahen, zerfallen; der Kleister hält nicht mehr. Das ist Eure Gelegenheit, wo Ihr wie kalt Wasser rein stürzen wollt, um zu löschen. Ich sage Euch, wenn niemand das Feuer anrührt, das wird einen Brand geben, daran Ihr Eure Augen weiden sollt, und mein Wort drauf, wenn Ihr den Spieß noch zu rechter Zeit hinhaltet, läuft Euch wohl ein Braten drauf, den Eure Zunge lange nicht gekostet hat.«

Zweites Kapitel.

Da ward ihr Gespräch durch etwas unterbrochen. Aus derselben Herberge, in deren oberm Stockwerke die Ritter zechten, kam es heraus, und war gar seltsam anzusehen. Noch war's unter dem Volke nicht zu Blut gekommen, die aufgehobenen Hände senkten sich, die grimmigen Mäuler verzogen sich zu einer Gebärde, so zwischen Verwunderung und Lächeln mitinnen lag, und die Raufhelden ließen die Arme sinken, als sie einen dicken, wohlgenährten Mann mit einem Vollmondsgesichte über ihren Häuptern schweben sahen. Dies geschah nicht durch ein Wunder, noch durch Flügel oder sonst künstliches Flugwerk, sondern vermittelst mehrerer kräftiger Arme, welche den Mann auf einem Schemel hoch über dem Gedränge und durch dasselbe trugen. Die Mehrzahl erkannte auf den ersten Blick das wohlbekannte Gesicht des ehrenwerten brandenburgischen Bürgers und Ratsherrn Niklas Perwenitz. Er zählte unter allen, die ihn sahen, keinen Feind; weder den Fleischhauern in Köln, noch den Lohgerbern in Berlin hatte der freundliche Alte einen Harm angethan. Viele kannten ihn von vor zehn Jahren her als geschickten Vermittler, einige sogar, wozu freilich sein Leib, wie er heut war, nicht mehr paßte, als einen rüstigen Kampfhelden, der das Schwert so gut zu brauchen gewußt, als später die Zunge. Der Zuruf: »Platz! Platz! für Niklas Perwenitz!« fand daher keinen andern Widerstand, als den natürlichen, daß kein Platz war. Der ehrenwerte Bürger, zu spät erst durch den Tumult aus seinem Morgenschlummer von der sehr beschwerlichen Reise von Brandenburg nach Berlin erweckt, fand zum Rathause keinen Weg mehr, als daß er aus dem Fenster auf den Stuhl stieg, welchen mehrere junge Gesellen ihm dort hinhielten, auf den gefährlichen Versuch hin, kraft ihrer Ellenbogen durch den Menschenstrom sich hinüber tragen zu lassen.

Wer ihn sah und das behagliche Gesicht des Alten, verstummte, so die Lippen auch eben zum derbsten Schimpfwort geöffnet waren. Wo sein schelmischer und doch scharfer Blick hinfiel, wirkte er wie Sonnenschein auf Schnee. Die harten Fäuste wurden weich, und ein wohlgefälliges Lächeln breitete sich aus über die Gesichter. Niklas wußte wohl, was sich schickt und was den Leuten gefällt, und ob er gleich ein ehrwürdiger Ratsherr war in seiner Stadt, liebte er doch zu den Leuten zu reden, nicht als ein Gelehrter, sondern wie sie's verstanden und gern hatten, und Lachen hielt er überall besser als Weinen. Wie sie nun vor ihm die Mützen zogen und einige sich unwillkürlich vor ihm neigten, nickte auch er feierlich doch nur mit dem Kinne; der Rücken blieb steif an der Lehne. Als man aber immer munterer und herzlicher dem »Papa Perwenitz« zujauchzte, breitete er wie segnend die Hände aus, und das machte die Lust noch größer. Aber alle konnten ihn nicht sehen, auch kannten ihn nicht alle; und seine Segenssprüche und seine heilige Miene brachten ihn um keinen Schritt weiter, als die kräftigen Rippenstöße der Bursche, die ihn trugen.

»Kinder!« rief er, »macht Platz. Denkt Ihr, daß sie in Brandenburg ihren Rat nicht besser brauchen können, als für Euch auf der Gasse? Zu Euch komme ich nicht; zu den Herren drinnen. Platz, Platz! Oder glaubt Ihr. daß unsere Weisheit wie eine Kugel durch Eure unverschämten Leiber fliegt? Soll ich Euch erzählen, was ich um Euretwillen schon geduldet und gelitten habe?«

Einem beliebten Redner und launigen Erzähler hört das Volk gern auch in Lagen zu, welche noch preßhafter sind als die, darin jetzt die Zuhörer sich befanden. Er erzählte mit breiter Umständlichkeit und Laune seine gestrige Reise, von den Rippenstößen auf dem langen Wege, dem sauren Bier, dem schlechten Brot und stinkenden Käse, von der Nachmittagsruhe auf einer so schmalen Bank, daß er zweimal herunter gerollt, als er einschlafen wollte, und wie ihn die Fliegen dreimal geweckt.

»Ja ich sage Euch, so viel schwarze, stechende Fliegen, daß mein Gesicht schwarz wurde, und dazu so viel Ungeziefer, als wenn alle Eure Jungen die Wämser und Mützen schütteln. Und alles dieses flog und hüpfte und kroch auf mich, auf der Bank im Heidekrug, daß ich schwarz wurde, wie Dein Hemdkragen da. Aber wißt Ihr, woran ich bei den schwarzen Fliegen dachte? An Euch. Und bei den hüpfenden, kriechenden, beißenden, saugenden, stechenden Tierchen? Auch an Euch! Denn so drüber her, und versessen und immer wiederkehrend, dachte ich, und unvernünftig, dachte ich, als diese unverschämten Fliegen, sind auch meine lieben Berliner, wenn sie mal was gefangen haben, und so stechend und beißend als diese munteren Flöhe, deren man nicht habhaft wird, wenn man sie zur Rede stellen will, und fragen: warum thut Ihr das? Dachte ich nun: wenn einer eine Leimrute brächte, und süßen Honig daran, so säßen alle diese Fliegen, die so viel brummen und summen, als gehörte ihnen die Welt, ehe Du Dich umsähst, daran. Darum, meine werten Freunde, kümmerte ich mich nicht um sauer Bier und den alten Käse, nicht um die Wurzelwege, die Ihr einmal ums Genick Eurer Freunde willen ausbessern könntet, nicht um Schweiß und Staub, noch um das zerbrochene Rad, sondern machte mich Hals über Kopf auf den Weg, um Euch das zu bringen, was Euch fehlt. Ihr in Berlin und Köln habt freilich von alters das Stapelrecht und die Niederlage von allem, was bei Euch ein- und ausgetragen wird, Ihr laßt Bier und Honig, Pfeffer und Wachs, Leinewand und Knackmandeln nicht ein und nicht aus, ohne daß Ihr nehmt, was Euch gefällt, aber ich hörte noch nicht, daß Ihr guten Rat, wenn er Euch ins Thor gelaufen kam, zurück behieltet. Darum, Ihr lieben Leute von Köln und guten Freunde von Berlin, schickt mich die »ratsreiche« Stadt Brandenburg, wo Ihr Rat holen sollt, wenn er Euch ausgeht, es aber selten thut, zu Euch, um ihn Euch ins Haus zu tragen; und nun macht Platz mit Euren Köpfen, daß ich durch kann.«

Den kräftigen Rippenstößen eines jungen Mannes verdankte der Brandenburger Ratsherr es wohl nicht weniger als seiner Beredsamkeit, daß so viel Luft wurde, um ihn über die Brücke bis nahe an die Umfassungsmauer des Rathauses durchzupressen, weiter aber vermochte weder die leibliche noch die geistige Kraft. Vergebens streckte Niklas Perwenitz, halb bittend, die Arme zu den Fenstern hinauf. Wenn die Herren vom Rat ihn auch in ihrem Eifer gesehen, ja auch, wenn sie gewollt, sie hätten ihm doch nicht die Hand reichen und ihn einladen können zu sich herauf, denn um Schwelle, Eingang und Treppe war das dichteste Gedränge. Selbst der Weibel, der das Volk von den geheiligten Hallen zurückzuhalten hatte, konnte seinen Stab kaum sichtbar schwingen. So umdrängten sie ihn.

Aber die Väter beider Städte mußten in ihrer Heftigkeit nicht einmal die ihrer Kinder draußen wahrgenommen haben. Eine Figur wie die des ehrenwerten Niklas Perwenitz auf den Schultern der Bürger schwebend und ihnen wie auf einem Teller ins Fenster gereicht, hätte doch den Streit unterbrochen. Denn ein Schauspiel der Thorheit ist so unwiderstehlich, daß auch der Weise ihm ein Auge schenkt.

Das mochte der brandenburgische Ratsherr bei sich bedenken, als er sah, daß er auf dem ordentlichen Wege nicht in den Rat konnte. Um dem Winde zu predigen, hätte er nicht die große Reise gemacht. Wie Herr Niklas nun auch die Ordnung liebte, hielt er doch um ihrer wegen etwas Unordnung für erlaubt, und die Würde einer Magistratsperson und eines Abgesandten nicht für gefährdet, wenn er statt zur Thüre zum Fenster eintrat.

Auf einen schlauen Blick des Alten zu dem jungen Manne, der, als wir sagten, der derbste war, und schlau blickte er auch um sich, ward Niklas Perwenitz plötzlich noch um eine Armeslänge höher gehoben. »Sieh, Papa Perwenitz will fliegen,« hieß es. Aber der Ehrenmann widersprach sogleich durch die That einer Anschuldigung, welche damals gefährlich sein konnte; denn wer kann fliegen, als wer Zauberei treibt! er faßte mit rascher Hand ein Geländer, gab sich einen Schwung, den man dem Wohlbeleibten nicht zugetraut, und stand, nicht in freier Luft, aber auf einem Gestell, wo er noch sichtbarer aller Augen schwebte, als vorhin auf dem Tragsessel.

Er stand auf der Laube. Keine grüne, von Jasmin und Rosen, welche den schweren Leib des Ratsherrn auch schwerlich ausgehalten hätte; sondern war's ein kurz austretendes, von hölzernen Pfeilern getragenes Vordach des Rathauses; darauf fußte Niklas Perwenitz. Eigentlich kein übler Platz für eine Obrigkeit; nur gehörte die Obrigkeit nicht über, sondern unter das Dach. In dieser Laube und der Flurhalle daneben saßen nämlich Richter, Schöffen und weise Männer zu Gericht, was in Berlin alle vierzehn Tage statt hatte. Ursprünglich wurde dies Gericht auf der langen Brücke im Freien gehegt. Ein Seil umspannte die Bänke der Schöffen und den Stuhl des Richters, und die erfahrenen Leute, die man anrief, wenn man sich nicht Rates wußte, was man damals nicht verbergen konnte, da es keine Akten und kein Amtsgeheimnis gab, standen darum her, und sie hießen der Umstand, und sahen zu, daß es beim Rechten blieb. Da es aber vor vierhundert Jahren so oft als itzo in Berlin zu regnen pflegte über Schuldige und Unschuldige, fanden die Richter es angemessener, so für Kläger als Beklagte, wenn beide, und der Richter auch, ein Dach über dem Kopfe hatten. Deshalb rückte man bei schlechtem Wetter die Bänke in die Flurhalle, und da hier nicht immer Raum genug war für alle Zuhörer, baute man noch ein Vordach davor. Das hieß die Laube, und solcher Lauben, zu Gunst und Schutz der Neugierigen, gab es in allen deutschen Städten, wo öffentlich gerichtet wurde. So sorgte man vor vierhundert Jahren, damit jeder wußte, was zu Recht geschah, und dabei trocken blieb. Späterhin hätte man's gern regnen lassen in die Säle hinein, damit die Zuschauer fortgingen.

Auf diesem Laubendach stand Niklas Perwenitz, und mit einem zweiten, minder gefährlichen Schwunge stand er an dem Fenster des Ratssaales und pochte so kräftig an die kleinen, runden Scheiben, daß sie's nicht allein diesseits und jenseits der Brücke in Köln und Berlin hörten, sondern auch drinnen im Saal.

Und hatten die Ratsherren auch nicht das Klopfen gehört, der Jubel, wie er jetzt war auf der Brücke, hätte doch selbst dem Stocktauben die Ohren geöffnet. Die Mützen und Hüte flogen, die Jungen sprangen vor Lust, und die Alten schüttelten sich vor Lachen. Von dem Lebehoch, Niklas Perwenitz gebracht, dröhnte die Luft.

»Ihr Väter der Stadt!« rief Niklas am Fenster, und das hörte man noch durch den Lärm. »Wenn Ihr gutem Rat die Thür verschließt, laßt ihn wenigstens zum Fenster ein. Aufgemacht, holla, Bürgermeister und Ratmannen, wohlweise, alte wie junge! der Deputierte von Brandenburg hängt an Eurem Fenstersims. Ich bin keine Schwalbe!«

Dieweil das Fenster sich öffnete, und dem Ratsherrn nicht ohne einige Mühe hineingeholfen ward, dauerte unten das Lärmen noch fort. Auch wenn der Sturm vorüber, tobt noch lange das aufgeregte Meer. Daß der Junge, welcher den alten Herrn zum Fenster geleitet, bei den Leuten etwas galt und war, ließ sich leicht erkennen, man brauchte nur dem Blondkopf in das blaue Auge zu sehen. Zu allem Lustigen und Tollen war da ein Freibrief zu lesen. Er hatte seine Freunde um sich, wie das so bei Wagehälsen ist. Aber auch ältere Bürger schienen ihm vertraut.

»Das hast Du einmal gut gemacht, Taugenichts!« sprach ein Schlossermeister und schlug ihm auf die Schulter. »Oder hast Du bös Spiel noch weiter trieben und den Brei von vorn eingerührt?«

Der Angeredete schüttelte den Kopf: »Euch aneinander bringen, warum? Habt Ihr Lust, Euch die leeren Schädel ohn' Ursach einzustoßen, thut's auch ohn' den Henning Mollner.«

Nun redeten Unterschiedliche zum Frieden. Es waren ihrer mehr, als man vorhin glauben mochte. Wo die Bürger sich feind sind untereinander und jeder Partei ist, fordert's oft mehr Mut, so einer zum Frieden redet, als wenn er den andern den Stein an den Kopf wirft. Aber wenn man die Häupter versöhnlich sieht, wird's bald auch ruhiger unter der Menge. Kölner und Berliner landen wieder gemischt untereinander. Sie stritten wohl noch, aber sie lachten, und einer klopfte dem andern auf die Schulter. So stehn oft Gewitter am Himmel, es sieht drohend aus und Hagel stürzt auf die Saaten; aber ein Regenbogen spannt sich mit seinen schillernden Farben über die grauen Massen und lacht die Furchtsamen an, und das Herz lacht dann auch und fürchtet sich nicht mehr. Den schillernden Regenbogen hatte Niklas Perwenitz über die Wolken gespannt, die über der Spree drohten.

Der Henning wollte sich entfernen, als mehrere an ihn das Wort richteten. Ein Parteiführer liebt nicht allemal, daß er dafür gilt, und er wies den Bürger Baltzer Boytin nicht sanfter zurück als den Knochenhauer: »Laßt mich in Ruh. Was geht mich Euer Gezänk an! Niklas Perwenitz ist mein Pate. Darum that ich ihm so, als Ihr ihm auch gethan hättet. Das ist alles.«

Aber Baltzer Boytin ließ ihn nicht in Ruh', hing sich an seinen Arm und wollte ihn nicht loslassen, als wär's sein guter Freund. Da sie um die Ecke gekommen, wo's frei war, sprach er: »Mach's einem andern weiß. Denkst, ich hätte das neulich vergessen, wie Du meinen wildesten Hengst haben wolltest? Warum? Ei, um vor ihrem Fenster vorbei zu sprengen, wie toll und blind, daß sie raus sehen sollte. Hab's nicht vergessen. So wenig als Du die schöne Else. Du hast recht,« fuhr er fort. »Die stolzen Herren ein bißchen aneinander gehetzt. Wenn die Reichen sich schütteln, fallen Brosamen für die Armen ab. Nur nicht aufgebraust, junger Herr! Freilich, Du willst keine Brosamen. Das Brot willst Du; Schnitte hineintun, wie's Dir gefällt; und Du hast wieder recht. Doch Fürsicht! Aber was sprech ich! Dir das predigen! Bist Du nicht der fürsichtigste und verschmitzteste Bursch von zweiundzwanzig Jahren; hat sie aneinander gehetzt und auseinander gezerrt, und trägt nun selbst den alten Kuppler ihnen ins Haus, daß er sie wieder streicheln und kirr machen soll. Vor der Hand ist's Dir genug, und Du wartest bessere Zeit ab. Denkst Du, ich verstehe Dich nicht?«

Das große Auge des Jungen verriet, daß er den Älteren nicht verstand. Aber er verbarg's.

»Henning Mollner!« sagte Boytin, die Hand ihm drückend: »die Ratmacher werden auch einmal zu Rat sitzen, und wir brauchen nicht immer Bürgermeister mit weißen Haaren und abgestandener Weisheit. Aber Du hast recht, die Stirn zu runzeln und die Lippen zu werfen. Recht, selbst mir nichts zu vertrauen: denn Du kennst Baltzer Boytin noch lange nicht genug, um zu wissen, ob er's mit der Gemeinheit ehrlich hält, ob er nicht hier die Hand Dir drückt, und wenn er Dich belauscht hat, die Hintertreppe hinausläuft zu den gestrengen Herren und spricht: Hütet Euch vor dem Henning Mollner. Er hat es eingerührt, er die Kölner Herren angetrieben, daß sie nicht zahlen wollen, er den Berliner Herren den Floh ins Ohr gesetzt, daß sie von Bruch und Klagen sprechen und auf ihre Übermacht pochen.«

»Sankt Christoph und sein Kind, das that ich nicht!« brach der junge Mann heraus.

»Das würden sie auch nicht glauben. Aber wenn ich ihnen sagte: Neulich vorm Thor in der polnischen Herberge hat er die Finger so zusammengeschnellt und beim Kruge Bier geschworen, so er die stolzen Herren, je drei und fünf, in einen Müllersack stecken könnt, wollte er in vierundzwanzig Stunden die Stadt rein machen und aus dem Thor tragen, was ihr nichts nutzt: Das glauben sie, Henning. Auch wenn ich zu ihnen sagte: Ihr Grützköpfe, was zankt Ihr Euch um Plundera, und merkt nicht, daß der Boden unter Euch lose wird, darauf Eure schönen, bunten, stolzen Häuser stehen? Die Bürgerschaft murrt, das wißt Ihr und sagt: Laß sie murren; wir sind reich und haben das Heft in Händen. Aber wenn nun einer die Fiedel spielt und Harmoniam in das Murren bringt, wie dann? Einen Kienspan, der brennt, bläst einer aus mit mäßiger Lunge. Aber wenn zehntausend Späne brennen, giebt's einen Brand, und wißt Ihr, ob die Lungen von allen stolzen Herren und ihren Muhmen und Vettern dazu stark genug sind? Und seid Ihr denn in Euerm Stolz und Hochmut so blind und taub, den Fiedler nicht zu sehen und zu hören? Er ist nur ein zünftig Kind, aber so keck und mutig und hochfahrend, um Rittersporen zu tragen, und reich dazu, und hat einen Anhang, dem er nur zu pfeifen braucht. Und solchen Bürgerssohn seid Ihr so unvernünftig gewesen, vor die Nas zu stoßen? Den abzuweisen, als er um die Stadtfähnrich-Stelle einkam, und noch dazu mit Spott und Hohn? Denkt Ihr, daß der Euch das vergißt? Und nun laßt Ihr ihn in Eurer unbegreiflichen Ruhe ungefährdet umherlaufen, Freundschaften stiften, so in als außer den Städten? Jetzt wäre der Junge vielleicht noch abgefunden mit einem Bissen süßem Brot und einem Läppchen Ehre. Weiß er vielleicht selbst noch nicht, was er unter den Bürgern gilt. Aber gebt acht, nachdem 's ihm heut gelang, Frieden zu stiften, wird er selber merken, was er kann. Hätte er heut zwischen Kölnern und Berlinern gehetzt, da wäre mancher Tropfen warmes Blut von der langen Brücke über die Spree geträufelt. Aber der Junge dachte: Wozu? Wollen's sparen, bis Zünfte und Gilden einig sind, und es gegen den Rat mitsammen losgeht. – Das würden sie glauben, Henning, wenn ich es ihnen sagte; und was gilt's, der Ratsschreiber flickte Dir was an den Hals; und meinst Du, daß sie so lange zu suchen brauchten, um zu finden, warum sie Dich ins Loch schmeißen, darin schon mancher Bürgerfreund faules Wasser trank?«

Weshalb Henning Mollner nachsann, waren nicht die Erinnerungen, um deren willen ihn ein wohlweiser Rat einstecken könnte. Waren seine Streiche doch stadtkundig. Er mochte Baltzer Boytin nicht, den gelben, leberkranken Störenfried, den streitsüchtigen, bankbrüchigen Krämer und Roßtäuscher, der immer vor Gericht lag und immer wieder zu Gelde kam, niemand wußte wie. Und Geld bringt Kundschaft und Ehre.

Baltzer lächelte, als er zum Abschiede dem Jünglinge die Hand drückte: »Unbesorgt, Henning. Du wirst mich kennen lernen. Baltzer Boytin ist ein Mann, der um Ehre und Vorteil willen auch einen Feind nicht an die Hochnäsigen verrät, geschweige seinen Freund. Aber es sind nicht alle wie ich. Was Dich wurmt, verbeiß es; was Du grübelst, thu es unter einer glatten Stirn. Im übrigen sei lustig, oder toll, wie zeither, ehe Du verliebt wardst. Denn von einem Tollkopf versieht man sich am wenigsten, daß er den hochweisen Rat – Doch, siehst Du, ich weiß zu schweigen, auch zwischen Dir und mir.«

Als Baltzer Boytin im Gedränge verschwunden war, wußte Henning Mollner noch immer nicht, was er verschweigen wollte. Noch hatte Henning von keinem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging, ein Hehl gemacht. Und doch war es jetzt anders. Ein Funke war in eine vollgespeicherte Vorratskammer gefallen, ein Blitz hatte durch die Gemächer eines dunklen Hauses geleuchtet. Henning fühlte zum ersten Male etwas wie Schreck, und zum ersten Male fühlte er, daß er etwas zu verbergen habe. Daß Baltzer Boytin dies wußte, daß er es gewesen, der den Blitz geschleudert und den Funken entzündet, verdroß ihn. Immer hatte sich das Gelbgesicht an ihn genestelt, und ihn mit seiner Vertraulichkeit belästigt. Er hatte sie zurückgewiesen. Das durfte er jetzt nicht mehr. Er war wirklich Vertrauter, wenn auch nur von einem Gedanken geworden, der in ihm erst geboren ward. Und doch mußte die Summe seiner Gedanken nicht so übel sein; seine Stirn färbte sich zum Leuchten, sein Auge glänzte, und denen, die ihn grüßten, nickte er mit einer Miene, die da sagte: »Ich weiß doch mehr als Ihr!«

Drittes Kapitel.

Inzwischen war der ehrenwerte Niklas Perwenitz wirklich, zwar mit Beschwerde, doch sonder Gefährde, zum Fenster hinein und in den Ratsaal halb gestiegen, halb gehoben, und hatte außer Atem auf einem Sessel Platz genommen, wo er vorerst mit dem leinenen Tüchlein die Stirn trocknete. Die gar verwunderten Blicke und die hundert Fragen der Ratsherren, was das bedeute, ließen ihn um keinen Augenblick früher zu sich und zu Worte kommen, als er es für gut fand. Entweder, wie er stöhnte und atmete, daß er die Rede vorbereitete, so er halten wollte, oder, was wahrscheinlicher, er beobachtete, unter dem Schweißtuche, wie denn die Dinge standen? Hier sah er nun, daß, wenn er erhitzt war, die drinnen im Saale es dreimal mehr waren. Schienen sie doch allzumal geneigt, den Streit fortzusetzen, ob doch Herr Niklas sich jetzt zum Sprechen erhub.

Die Gesichter hier waren sehr verschieden von den auf der Gasse. So Würde und Macht drückten sich eben wie in den goldenen Ketten, Knöpfen und Spangen auf schwarzem Sammet und seinem Tuche, in den beleibten Körpern, den vollen Gesichtern, den stattlichen schwarzen Bärten aus. Unter solcher Fülle von Wucht und Bedeutung glänzten auch die Augen ausdrucksvoller; der Zorn lagerte darin als ein Ungewitter. Aber vielleicht waren die Augen zu allen Jahrhunderten dieselben, und nur als die Aufregung verschieden war, ist auch der stiere Ausdruck, als ihn die Maler jener Zeiten auffaßten, uns fremd und schreckhaft. Zumal aber drückte sich die massenhafte Würde jener bürgerlichen Ehrenmänner in der Art aus, wie sie saßen; ein Rohrstuhl unserer Putzzimmer wäre unter ihnen eingebrochen. Die Würde senkte sich bis in die Beine. Dies Fußwerk giebt es nicht mehr. Ein Harnisch von Rindsleder um einen Fuß; wo er fußte, müßte er Spuren eindrücken, meinte man. Wenn ein Ratsherr von damals aufsprang, so bedeutete es etwas; wenn er den Fuß auf die Bank setzte, so hielt sie zwar, denn sie war von starken Eichenbohlen, aber sie krachte doch, und man war eines Unwetters gewärtig.

So trat jetzt ein Sprecher für Köln mit dem rechten Fuße auf die Bank, und sein Gesicht war rot, seine Augen funkelten. Er hatte nicht acht, daß auch Herr Niklas Perwenitz stand, und schier vergessen, daß er da war: »Klagen wollt Ihr!« rief er. »Worauf? daß Ihr nur einstreichen wollt, und wir sollen nur zahlen. Wir zahlen aber nicht, wir wollen nicht, wir werden nicht zahlen!«

»Ihr sollt und werdet zahlen!« fuhr ein Ratmann Berlins auf, die geballte Faust überm Kopf. Da fuhr's von beiden Seiten in die Höh', als wenn in tapferen Heeren nach Freiwilligen gerufen wird.

Aber dazwischen trat, von Berlins Seite, ein Mann, auf dessen Stirn stand die Würde, so Amt, Alter und Erfahrung geben, deutlich geschrieben. Sein Haupthaar war schon weiß gesprenkelt; aber der volle Bart prangte noch im glänzenden Schwarz, wie als wäre er im kräftigen Mannesalter. In seinem Ehrenstuhl hatte er unmutvoll gesessen, gedrückt als es schien von der Last des Körpers und der Jahre nicht minder als von Erörterungen, die seiner Seele weh thaten. Doch schien wieder die Kraft der Jugend in die Muskeln gekehrt, seine Augen leuchteten vor Zorn und Wehmut, und als er den Arm drohend aufhob, konnte man glauben, daß er in der Schlacht noch das Schwert mit Ehren schwingen würde.

»Bei Gott, Vater, Sohn und allen Heiligen, die unsere Stadt schirmen! Wenn der Hader uns Schande genug bringt vor uns, und Schaden vor unseren Feinden, schämt Euch wenigstens vor den Freunden. Zurück Deinen Arm! Im Namen der freien Städte Berlin und Köln, heischt Euer Bürgermeister Ruhe und Ordnung! In Eure Schranken, Ratmänner und Sechzehner! Hier steht der Abgeordnete von Brandenburg, unserer lieben Verbündeten und Freundin, hier steht er und will reden mit uns. Im Namen der alten Freundschaft, die uns stark macht, hört ihn an, oder ich breche die Sitzung ab.«

Niklas Perwenitz beeilte sich nicht, als er zu reden anhub: »Eigentlich sitzt er nicht, und es wäre wohl schicklich, daß man ihm vorerst einen Ehrentrunk reichte; denn der Gaumen muß feucht sein, um zu reden, und besser von Wein als von Galle. Aber freilich, was schicklich ist, das mögt Ihr hier vergessen haben; denn sonst läßt man einen Abgeordneten von Alt- und Neu-Brandenburg zur Thür ein und nicht durchs Fenster, und ein Trompeter bläst, so lange er die Treppe aufsteigt. Aber für die Musika schreibt Ihr der Bürgerschaft nichts an; Ihr macht ihnen selber Musik, daß sie's bis am Spandower Thor hören. Nun, solches Aufspielen kann ihnen gefallen, uns aber nicht. Um deshalb schickt mich der Rat von Brandenburg zu Euch und läßt Euch fragen, was für ein Teufel in Eure Pfeifen und Geigen fuhr, daß sie einen Lärm geben, davon alle guten Städte die Ohren zuhalten müssen. Das gellt und schreit aus Berlin, daß Frankfurt und Brandenburg und Spandow und Prenzlow und Stendal in die Lärmtrompete stoßen möchten, und unsere Hansefreunde in Lübeck und Hamburg uns fragen: »Sind die zu Berlin und Köln toll?« Was soll's, was giebt's nun wieder? Hat ein Berliner Knochenhauer die Kaldaunen zu kurz gehauen, oder hat eine Hexe aus Köln ihren Kehricht dahin gefegt, wo nur die alten Weiber aus Berlin ihre Lumpen abthun? Heda, Ihr weisen Herren! Raus mit der Antwort. Ich frage im Namen von Brandenburg!«

Zwanzig Stimmen schrieen Antwort statt einer. Der Schreiber von Berlin hielt die Klagepunkte in einer langen Rolle in die Höhe. Niklas Perwenitz hörte grade so viel raus, als er wollte. Der Lärm hub aufs neue an, und er war es jetzt, der auf eine Bank sprang und, beide Arme ausstreckend, in einem Tone sprach, der sehr abwich von dem, so wir vorher gehört von dem Verordneten der Alt- und Neustadt Brandenburg.

»Nieder auf Eure Bänke! Schließt Eure Münder und thut Eure Ohren auf, ehrenwerte Ratmannen, so alte als junge, Ihr Bürgermeister und Sechzehnmänner von Köln und Berlin! Die Stadt Brandenburg spricht durch mich zu Euch, die rechts- und ratreiche Stadt, die älteste in unserem Lande, die zu Euch allen in den Marken ist, wie die Mutterhenne zu den Küchlein. Schlagt auf Euer Schöffenrecht. Wenn der Rat Euch ausging, sollt Ihr ihn holen in Brandenburg, so steht's geschrieben von den alten Markgrafen und Euren Vätern. Eure starken Väter kamen und holten ihn; wir schickten ihn Euch, angesehen Eure Schwachheit und Unmündigkeit. Aber nicht wie eine Mutter ihren Kindern guten Rat aufdringt, den sie nicht mögen. Ihr seid groß geworden und steht für Euch allein da. Ihr seid hoffärtig und stolz und wollt nicht mehr hören. Vor zehn Jahren haben wir Euch vertragen, und Ihr habt wieder angefangen, wo Ihr aufhörtet. Nun, wie eine Busenfreundin, die selbst leidet, wenn es ihrer Schwester schlimm geht, schickt meine Stadt mich zu Euch, mit Bitten und Beschwörungen. Fort das Papier, ich weiß was drin steht; still, ich kenne den Plunder! Du meinst, Du giebst zu viel, und Du, der andere thäte zu wenig. Seid Ihr beide so dürftig und arm, daß Ihr mit der Goldwage messen müßt Schoß und Arbeit? Seid Ihr vielmehr beide wohlhabend und stark, seid Ihr zusammengewachsen wie zween Kirschen an einem Stengel? Ihr sitzet warm und es geht Euch wohl. Darum zankt Ihr und seid störrisch und rechthaberisch und seht nicht, derweil Ihr um den Rauch vom Schornstein streitet, daß das Haus unter Euch wackelt. Eure Väter vor hundertundfünfzig Jahren dachten anders. Sie warfen zusammen, was sie hatten und kannten, und rechneten nicht, ob der eine gewönne oder der andere verliere, beide froh, daß sie zusammen dadurch stark wurden gegen Räuber und Gesindel, gegen Adel, Land und Fürsten. Und Ihr möchtet das wieder lösen? Warum? Weil Dich eine Mücke aus Köln stach. Weil Dich ein Floh aus Berlin biß. Das merkt Ihr. Aber seid Ihr so dick gehäutet, habt Ihr Eure gestopften und geschlitzten Tuchwämser und Zobelmützen so dicht über die Ohren gezogen, daß Ihr nicht merkt, was von außen kommt, Euch zu stechen und zu beißen? Weil Ihr die Wälder gelichtet habt um Eure Mauern, und die Wölfe geschlagen und gescheucht, meint Ihr, daß es darum keine stärkeren Tiere giebt? Die Wölfe knirschen noch immer im stillen und warten auf Gelegenheit, es Euch einzutränken, daß Ihr halfet bei der großen Wolfsjagd. Aber spitzt nur schärfer Eure Ohren. Hört doch, wie's in den Lüften rauscht. Der Adler fliegt hoch, aber sein Auge sieht scharf. Er sieht durch die Spalten Eurer Dächer und die Ritzen Eurer Decken, und Eure Zwietracht ist sein Bundesgenoß. Wie stark sind denn Eure Mauern und wie tief Eure Gräben; oder baut Ihr Wälle und Türme gegen die Wolken, daß er nicht herein kann? Ihr seid reich, reich geworden durch Fleiß und Eintracht. Ist Euer Reichtum ein Panzer gegen den Neid, dadurch Pfeile und Kugeln und Steine nicht dringen? Nein, ein Köder ist er, ein glänzender Köder, der die Gewaltigen, die uns beneiden, blendet und lockt. Und Ihr hadert und zankt, und jetzt, jetzt wollt Ihr Euch trennen, wo Ihr mit zusammengebundenen Rücken stehen solltet, und ausschaun nach der Gefahr, die Euch kommt, Ihr wißt nicht von wo!«

Eine tiefe Stille herrschte, als der Redner einen Augenblick inne hielt. Seine Rede hatte gewirkt. Manche senkten die Blicke. Einige nickten mit dem Kopf. Er stieg von der Bank wieder herunter und sein Ton wurde vertraulicher, als er also fortfuhr: »Lieben Brüder, Euer Zank ist ärgerlich. Was sollen wir schreiben den Brüdern von der Hanse, den Herren in Lübeck und Hamburg? Daß die Herren in Köln und Berlin sich streiten um die Uhr am Rathaus, wer sie aufziehen, um den Stadtwundarzt, wer ihn bezahlen soll? Um Holzgeld und Stättegeld, und ob der Kölner Schreiber rechts oder links vom Richter sitzt? Und das in einer Zeit, wo die Herren und Mannen die Städte mit argen Augen ansehen, wo sie uns wieder nehmen möchten, was sie uns gaben.«

Da wurden Zeichen des Unwillens hier und dort auf den Bänken sichtbar. Auch ein stolzes Kopfschütteln.

Hans Möwes von Köln erhob sich: »Was Mannen und Adel sind, die kennen uns, denk ich. Wir fürchten sie nicht. Und seine Markgräfliche Gnaden, Friedrich der Andere, entsinnt sich wohl, daß sein Vater seliger ohn' uns als Burggraf von Nürnberg zu seinen Vätern gangen wäre.«

»Er entsinnt sich aber desgleichen,« fiel Niklas Perwenitz ein, »daß Berlin und Köln seinem Vater Kurfürstliche Gnaden das Thor vor der Nas zuschlugen, als er einreiten wollte.«

Die Ratmänner sahen sich wohlgefällig um. Von mehreren Seiten klang es: »Unser Recht!«

»Das Recht unserer Väter ist auch unseres,« sprach Konrad Ryke von Berlin. »Und so Kurfürst Friedrich der Sohn, den Gott erhalte, wie sein hochseliger Vater ans Spandower Thor geritten käme und Einlaß heischte mit Roß und Mann, würden wir ihm zurufen, wie unsere Väter seinem Vater: Es schickt sich nicht!«

»Wenn er nun aber nicht geduldig den Rücken kehrte, als sein Vater that?« sagte Niklas Perwenitz. »Sein Vater Friedrich war draußen im Reich zu Haus, bei uns nur zum Besuch. Friedrich der Andere möchte sich's aber warm machen bei uns, und ich glaube, er findet's in den Städten feiner und besser als auf dem Lande. Er hat eiserne Zähne, sagen sie.«

»Unsere Thore haben Eisennägel,« rief der kecke Pawel Strobant. »Laß die Zähne ihn dran versuchen.«

Das Wort fand doch nicht Anklang, und sie hörten wieder dem Perwenitz zu, als der, den Vordersten noch näher tretend, seine Rede in eine vertrauliche Zusprache umwandelte:

»Lieben Freunde, die Zeiten von ehedem sind vorbei, als man uns hätschelte und streichelte und mit Privilegien beschenkte, daß wir aufwüchsen und groß würden. Wir sind nun gewachsen und groß worden, und nun sehen sie uns anders an. Wir nutzen ihnen nicht mehr, was sie von uns wollten. Die Wenden, so ehedem im Lande saßen, und wir sollten ihnen die Zähne weisen und Sittigung beibringen, sind verschwunden. Der Adel ist aufs Haupt geschlagen, wir halfen; aber zu Hofschranzen taugen wir nicht, daß wir's täglich ihnen ins Ohr schrieen, was wir thaten. Der Adel taucht immer wieder auf, überall, und er raunt den Fürsten ins Ohr: »Was verfolgt Ihr uns, und seid doch unseres Blutes, derweil die Krämer da in ihren Ringmauern sich blähen und in ihrem Reichtum uns und Euch auch höhnen?« Thut doch auf Euer Auge, wie sie allerwärts rüsten zu einer großen Hetzjagd, und die wir dazumal mit ihnen hetzten, werden in ihrer Meute sein, und am lautesten klaffen und zerren.«

Der Bürgermeister von Berlin, Johannes Rathenow, so bisda ohne Bewegung still gesessen, die Augen zu Boden, erhob sich zum zweiten Male, Er schüttelte unmutig die grauen Locken, und sein zürnender Blick fiel diesmal auf den Redner selber:

»Eure Zunge geht mit Euch durch, Niklas Perwenitz. Wenn die Meute losginge, die Ihr meint, würden wir unsere Pelze und Wämser abwerfen, den Harnisch, wie vordem, umschnallen und uns schütteln, wie am Tage bei Cremmen und sonst wo. Vor dem Gerassel möchte mancher Hund nicht Stich halten.«

»Der Bär von Berlin fürchtet keine Bullenbeißer!« schrie Pawel Strobant.

»Wir zu Brandenburg auch nicht,« fiel der Abgeordnete ein, den Kopf höher werfend. »An unseren Mauern und Türmen kann man seit fünfhundert Jahren so viel zerbrochene Schädel zählen, als vor keiner Stadt dieser Marken. Unsere Väter zausten sich mit Raubtieren und Rittern, als das Land noch im Ärgsten lag, und wichen nimmer. Dennoch, Ihr Freunde und Herren, wär' es vermessen von uns, darauf zu bauen, und zu vermeinen, wir für uns seien stark genug, dem Ungewitter die Spitze zu bieten. Wodurch wurden wir Städte mächtig in den bösen Zeiten? Allein durch Einigkeit: daß zusammenhielten einer an dem anderen, Gesellen zu Gesellen, Meister zu Meister, und Meister und Gesellen in der Zunft, und die Zünfte und Gilden mit den Ratmannen. Aber das ist noch nicht genug. In den Dörfern halten sie auch zusammen, und schlagen Wölfe und Räuber fort, wo sie's vermögen. Aber was vermag ein Dorf, da keins zum anderen hält! Wir Städte schlossen Bündnisse, zwei, fünf, zehn, hundert und das machte uns fest. Die kleinen traten zusammen und wählten die größte unter sich zum Fürsprech, und die Fürsprechenden traten auch zusammen und berieten fürs gemeine Wohl. Das, lieben Brüder, gab uns Kraft. Von den Gesellen an, die in dieselbe Lade werfen ihren Scherf, bis zum großen Hansebund, der auf den Meeren herrscht und Königen und Völkern Gesetze giebt, ist's eine große Kette und Gliederung, die uns zusammenhält und umschlingt. Wo nur ein Glied ausspringt oder reißt, da ist's ums Ganze gethan. Die Kette hält nicht mehr. Die Fürsten haben stärkere Zähne als der Adel. Wie möchten sie uns itzt losreißen von der Hanse, daß wir allein stünden, abhängig von ihrer Gnade. Und wahr und wahrhaftig, ihnen gelingt's, wenn wir die verschlungenen Hände nicht festhalten. Hier auf der Brücke, zwischen beiden Städten, daß beide darauf schauen, haben Eure Väter das neue Rathaus erbaut, wo Kölner und Berliner zugleich das Regiment führen. Wollt Ihr zerstören Eurer Väter Werk, wollt Ihr niederreißen, so reißt Ihr auch die Brücke nieder, Worauf einer den anderen brachte, was ihm not that.«

Das fehlte denn doch nicht des Eindrucks, den es sollte. Es war wieder still durch den Saal. Nur einzelne blickten höhnisch auf, und nur Pawel Strobant von Berlin rief: »Meinethalben nieder mit der Brücke. Wüßte nicht, was wir in Köln zu suchen hätten. Wollen die Kölnischen zu uns: sind ja Fischer, können schwimmen.«