Der Ruul-Konflikt 11: Gefährliches Wagnis - Stefan Burban - E-Book

Der Ruul-Konflikt 11: Gefährliches Wagnis E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Der gescheiterte Putschversuch hat seine Spuren auf der Erde hinterlassen. Militär und Zivilbevölkerung sind noch dabei, den Schock und die tiefen Wunden, die die Kämpfe hinterlassen haben, zu verarbeiten. Doch der Krieg gegen die Ruul duldet keinen Aufschub. Damit sich die Feinde der Menschheit die momentane Situation nicht zu Nutze machen, startet das terranische Militär eine Großoffensive gegen das besetzte Rainbowsystem – und stößt damit in ein Wespennest ungeahnten Ausmaßes. Zeitgleich entsendet man ein Team der ROCKETS-Spezialeinheit, um den immer noch flüchtigen Kriegsverbrecher und Anführer des Putschs zu stellen und festzunehmen. Doch auch diese Operation verläuft nicht planmäßig. Denn die ROCKETS stoßen auf ihrem Weg auf ein Geheimnis, das die Waagschale des Krieges endgültig zu Gunsten der Ruul verschieben könnte. Die letzte Phase des Krieges läuft an, doch wer am Ende die Oberhand behalten wird, steht noch keineswegs fest …

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Inhalt

Prolog

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Epilog

Stefan Burban

Gefährliches Wagnis

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg April 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-488-7 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-503-7 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

»Treten in den Normalraum ein.«

Die Meldung wurde mit beinahe apathischer Tonlage vorgebracht. Normalerweise hätte Admiral Thomas Eugene Perck seine XO zurechtgewiesen. Auf seinem Flaggschiff, der TKS Providence, herrschte eine strenge Disziplin und Ausreißer ließ er gar nicht erst aufkommen. Würde man die erst einmal entschuldigen, dann öffnete man Zügellosigkeit und Stumpfsinn Tür und Tor.

Dieses Mal jedoch nahm er die Meldung lediglich mit knappem Nicken zur Kenntnis. Er brachte nicht einmal die Kraft auf, seinen Blick zu wenden und Commander Suri Perry eines Blickes zu würdigen.

Die Frau war schon seit einigen Jahren seine XO und seine rechte Hand. Er vertraute ihr mehr als jedem anderen Menschen. Und doch fühlte er sich verraten und von allen verlassen. Das war ein Gefühl, mit dem er sich gar nicht gut auskannte. Und es bezog sich nicht allein auf seine XO. Es bezog sich auf Henstridge, auf die TKA-Soldaten, die diesem gefolgt waren, und auf alle Flottenoffiziere und -soldaten, die Perck gefolgt waren. Sie alle hatten ihn enttäuscht.

Es hätte alles so einfach sein sollen. Er hatte es als chirurgischen Eingriff geplant. Und was war daraus geworden? Eine üble Kneipenschlägerei. Eine Schlägerei, in der er sogar seine Nerven verloren und die Waffen seines Schlachtschiffes auf die Erde gerichtet hatte. Er schloss die Augen, um die Bilder zu verdrängen, die sich ungewollt vor sein inneres Auge schoben. Es half jedoch nichts. Sie hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt. Bilder von Strahlbahnen, die zur Erde hinabschossen, um Teile des Planeten zu versengen, den zu schützen er geschworen hatte.

Perck öffnete erneut die Augen und betrachtete seine Hände. Für andere mochten sie vielleicht aussehen wie gewöhnlich, doch nicht für den Admiral. Für ihn sahen sie blutbesudelt aus. Ja, das Blut unschuldiger Menschen und loyaler Soldaten klebte an seinen Händen. Das war eine Schuld, die man nie wieder abwaschen konnte. Gemessen an jedem Maßstab, der infrage kam, war er ein gemeiner Mörder.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Hätte die Präsidentin nicht einfach mitspielen können? Was musste sie unbedingt die Heldin spielen und alle zum Widerstand aufstacheln? Ja, es war eigentlich alles nur ihre Schuld.

Perck zögerte. Ein winziger Teil seines Verstandes, der sich noch nicht verabschiedet hatte, zwang ihn zur Selbstkritik. War er es nicht gewesen, der zuerst die Waffen erhoben hatte? Er hatte seine eigene Regierung zu seinem Feind erklärt. Das Ergebnis war ein Blutbad gewesen. Er hatte Henstridge versprochen, dass es so wenige Opfer wie möglich geben würde. Nur ein weiteres Versprechen, das er nicht hatte halten können.

Er sah sich auf der Brücke um. Die Männer und Frauen an den Konsolen arbeiteten unter gedämpfter Stimmung. Wer aufsah und Percks Blick begegnete, senkte schnell wieder den Kopf.

Der Admiral seufzte. Er hatte ihren Respekt verloren. Hätten sie gewusst, wo sie hinsollten, so hätten die meisten ihn verlassen. Da war er sich absolut sicher. Er sah es in ihren Augen.

»Sir?«, sprach Perry ihn an und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Ihm wurde bewusst, dass sie ihn etwas gefragt hatte. Er war so damit beschäftigt gewesen, mit seinem Schicksal zu hadern, dass er nichts davon mitbekommen hatte.

»Ja?«, fragte er etwas unbeholfen.

Perry hob eine Augenbraue. Sie erkannte, dass Perck keine Ahnung hatte, wovon sie gerade gesprochen hatte.

»Standardformation für die Flotte und Trupps zur Ressourcensuche aussenden, Sir?«, fragte sie erneut. Ein leicht ungeduldiger Unterton schlich sich in ihre Stimme. Etwas, das noch vor wenigen Wochen undenkbar gewesen wäre.

Wochen? Waren sie jetzt tatsächlich schon Wochen auf der Flucht? Er überlegte angestrengt. Vielleicht waren es auch Monate. Er war sich nicht sicher. Die Zeit war verkommen zu einer unzusammenhängenden Abfolge von Erinnerungen.

»Welches System?«, fragte er heiser.

»Arvino«, gab sie zur Antwort. »Innerhalb der RIZ. Knapp hinter und oberhalb von Rainbow. Ein unbewohntes System. Hier gibt es nicht viel. Abgesehen von einer verlassenen Wissenschaftsstation über dem hiesigen Dschungelplaneten. Aber die schwebte hier schon lange vor dem Krieg herum und ist für uns von keinem Interesse.«

Perck hatte das Gefühl, er hätte den Namen ihres derzeitigen Aufenthaltsortes wissen müssen, doch wie so vieles kümmerte ihn auch dies nicht weiter. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, die Providence wäre von den bodengestützten Raumabwehrwaffen der Erde zerstört worden. Es hätte ihm den Horror des Überlebens und die Scham der Niederlage erspart, von der Peinigung durch seine immer wiederkehrenden Albträume ganz zu schweigen. Mittlerweile kamen sie sogar tagsüber, wenn er sich nicht vorsah und sich zu tief in seine trüben Gedanken vergrub. Hätte sich Alkohol an Bord befunden, er hätte Trost am Boden einer Flasche gesucht. Jedoch war ihm nicht einmal das vergönnt. Ohne ständige Unterstützung durch Nachschubtender der Flotte hatte ihre Versorgungslage einen prekären Stand erreicht.

Ihm wurde bewusst, dass Perry immer noch auf eine Antwort wartete. Er nickte abgehackt. »Tun Sie es, Commander. Status der Flotte?«

Bei dem Wort Flotte schnaubte sie kurz, doch dann besann sie sich ihrer Stellung und riss sich zusammen. »Nach dem letzten Sprung sind noch fünf Schiffe übrig. Einschließlich der Providence.«

Perck blickte auf. Ein Schatten legte sich über sein Antlitz. »Nur fünf?« Bei der Flucht aus dem Solsystem waren sie noch elf gewesen. In den letzten Wochen hatten sie nach und nach vier Schiffe verloren. Sie waren einfach nicht am vereinbarten Treffpunkt materialisiert. Perry hatte versucht ihm einzureden, dass diese Schiffe bei Fehlsprüngen zerstört worden waren. Sie waren immerhin alle schwer genug beschädigt, um diese Möglichkeit in Betracht kommen zu lassen.

Perck jedoch hatte eine andere Vermutung. Sie waren wahrscheinlich in andere Systeme gesprungen. Sie hatten sich davongemacht. Die Ratten verließen das sinkende Schiff. Wer wusste, das eine oder andere dieser Schiffe würde vielleicht als Piraten- oder Sklavenschiff enden. Gut möglich, dass die terranische Raumflotte sie irgendwann aufbrachte oder zerstörte. Er zuckte die Achseln. Ihm sollte es recht sein, wenn diese Verräter den Tod fanden.

Er stutzte bei dieser Wortwahl, dann kicherte er. Vermutlich war er nicht der Richtige, um andere des Verrats zu bezichtigen.

»Wieder Desertionen?«, wollte er wissen und gab sich keine Mühe, seine Stimme zu senken.

Perry sah sich für einen Moment auf der Brücke um. Perck war sich der teils missbilligenden, teils nervösen Blicke seiner Brückenbesatzung bewusst.

»Ich glaube nicht, Sir. Bei unserem Eintrittspunkt an der südlichen Nullgrenze des Systems gibt es ein frisches Trümmerfeld. Ich vermute, die Schiffe sind zu dicht beieinander aus dem Hyperraum gefallen und kollidiert.«

Perck ließ sich die Neuigkeit einen Moment lang durch den Kopf gehen. »Ah«, sagte er lediglich.

»Ah? Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben, Sir?«

Bei Perrys ungewohnt aggressivem Auftreten sah sich Perck erneut genötigt, zu ihr aufzublicken. »Wie meinen?«

»Wir haben gerade zwei Schiffe verloren und zwei gute Besatzungen. Diese Männer und Frauen sind Ihnen gefolgt und haben an Sie geglaubt. Trauern Sie denn kein bisschen? Tut Ihnen der Tod dieser Offiziere denn kein bisschen leid?«

»Suri, ich wünschte, ich könnte etwas fühlen. Seit unserer Flucht bin ich innerlich tot.«

Perry beugte sich tief über den Kommandosessel des Admirals. »Um Himmels willen, reißen Sie sich zusammen. Unsere Schiffe sind in einem erbärmlichen Zustand. Wenn unsere Trupps keine Ressourcen finden, dann werden uns schon bald Nahrung und Wasser ausgehen. Dann haben wir keine andere Wahl, als ein terranisches System anzufliegen und uns zu ergeben. Es sei denn, wir wollen unser Glück bei den Ruul versuchen. Dort haben wir die Wahl zwischen Arbeiten in den Minen, bis wir vor Erschöpfung tot umfallen, oder sie stecken uns als lebende Systeme in eines ihrer Schiffe.«

»Keine angenehme Vorstellung. Nichts davon.«

»Dann seien Sie endlich der Admiral, der Sie zuvor waren. Sie haben eine Niederlage einstecken müssen. So was kommt vor.«

Perck schnaubte. »Die Sache ist nicht ganz so einfach und das wissen Sie auch ganz genau. Nach einer Niederlage hat man für gewöhnlich die Möglichkeit, seine Schiffe zu reparieren und seine Verluste auszugleichen, um erneut in die Schlacht zu ziehen. Diese Möglichkeit ist uns verwehrt. Sobald wir uns einem terranischen System auch nur nähern, wird man uns sofort zerstören – wenn wir großes Glück haben. Falls nicht … nun ja … ich verspüre keine große Lust, meinen Lebensabend auf Lost Hope zu beschließen.«

»Das hat keiner von uns.«

Perck seufzte. »Dann sollten wir uns wohl besser etwas einfallen lassen.« Er stand auf, streckte sich und sah seine XO auffordernd an. »Ich bin jederzeit für Vorschläge offen.«

Perry widmete ihm lediglich einen müden Blick. »Ich befürchte, ich bin da der falsche Ansprechpartner. Keine meiner Vorschläge würde Ihnen gefallen.«

»Und wieso?«

»Weil ich nur zwei Alternativen sehe. Entweder wir kehren um und stellen uns der Justiz oder wir versuchen wirklich, uns bei den Ruul anzubiedern. Hin und wieder lassen sie Menschen für sich arbeiten.«

Perck wandte angewidert den Blick ab. »Ja, Menschen, die sie als nützlich empfinden. Ich hoffe sehr, nie so tief sinken zu müssen.«

»Würden wir denn wirklich tiefer sinken, als es ohnehin schon der Fall ist?«

Perck schüttelte den Kopf. »Ich bekämpfe die Slugs jetzt schon seit Jahrzehnten. Ich habe sie sogar schon lange vor dem Krieg bekämpft, als sie uns noch als Plünderer das Leben schwer gemacht haben. Nein, auf keinen Fall gehen wir zu den Ruul. Mal ganz davon abgesehen, dass wir wohl kaum unter die Kategorie nützlich fallen. Sobald wir auftauchen, werden sie uns entern und in die Minen schicken.«

»Wir haben durchaus etwas anzubieten.«

Perck runzelte die Stirn. »Und was?«

Perry deutete durch das Brückenfenster hinaus ins All. Perck wusste im ersten Moment nicht, worauf seine XO anspielte, doch dann begriff er. Vor dem Bug der Providence kreuzte Lelands Kriegsschiff, die Rache. Der Sioux-II-Kreuzer war von allen Schiffen noch am besten in Schuss. Vielleicht hatte Lelands Feigheit nicht unwesentlichen Anteil an diesem Umstand.

»Wir haben Technologie«, fuhr Perry fort, »etwas, das die Ruul dringend brauchen und immer suchen. Die Rache ist das derzeit modernste Schiff im Arsenal der Flotte. So modern, dass sie noch nicht einmal in Serie produziert wird. Die Ruul werden brennend an ihr interessiert sein. Mit ihr als Handelsobjekt können wir mit den Slugs einen Deal schließen.«

»Und wie viele gute Menschen werden dann durch unser Tun wieder zu Schaden kommen? Zehntausend? Hunderttausend? Eine Million?« Bei jedem Wort war seine Stimme lauter geworden. Er schüttelte den Kopf. »Nein, die Slugs bekommen die Rache nur über meine Leiche.«

»Verflucht, ich sehe nicht, was wir sonst tun können!«, schrie Perry plötzlich ihren Vorgesetzten an. Ihre Augen blitzten vor Wut. »Sagen Sie mir, Admiral, was wir jetzt tun sollen. Wir sind Ihnen gefolgt, haben an Sie geglaubt, und wo hat uns das hingeführt? Wir sind Verbannte, Ausgestoßene!«

»Was ich tat, tat ich zum Wohl der Menschheit. Ich tat es, um die Menschheit vor den Ruul zu beschützen, und jetzt erwarten Sie allen Ernstes von mir, zu den verdammten Slugs überzulaufen und ihnen auch noch ein Stück hoch entwickelte Hardware zu überlassen? Niemals!«

»Sie sturer Hund. Wir sind keine Konglomeratssoldaten mehr. Sobald wir irgendwo unser Gesicht zeigen, wird man uns hinrichten.«

»Nicht Sie, Suri. Nur mich. Ich glaube nicht, dass sie nach jedem Offizier und jedem Besatzungsmitglied suchen. Nur nach den höchsten. Und auf der Providence bin das ich. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie sind nicht wichtig genug, um eine Fahndung nach Ihnen zu rechtfertigen.«

»Ich bezweifle, dass es so einfach ist. Das Militär hat schließlich Mannschaftslisten. Die wissen sehr genau, wer auf den Schiffen dient, die mit Ihnen geflogen sind, Admiral. Sie werden nach uns allen suchen. Das Konglomerat wird keine Ruhe geben, bis wir alle gefasst sind.«

Perck überlegte einen Augenblick und seufzte schließlich. »Vielleicht haben Sie recht, Suri.« Er setzte sich erneut auf seinen Kommandosessel. »Wir brauchen dringend einen Plan.«

»Sag ich doch«, erwiderte seine XO lapidar. Sie legte Perck beinahe freundschaftlich eine Hand auf die Schulter – auch etwas, das sie früher nicht gewagt hätte. Durch die Niederlage war die Unantastbarkeit seiner Person wohl nicht mehr ganz so intakt, wie er es sich gewünscht hätte.

Das Licht der Deckenbeleuchtung flackerte. Perry fluchte. »Die Energieversorgung hatten wir eigentlich gerade repariert.« Sie betätigte einen Schalter an der Wand für die interne Kommunikation. »Chief? Das Licht setzt schon wieder aus.«

Der Chefingenieur brummte etwas, das Perck nicht verstand.

»Es ist mir ziemlich egal, wie viel Sie zu tun haben«, erwiderte Perry. »Kriegen Sie das gefälligst hin. Ohne Energieversorgung sitzen wir wie auf dem Präsentierteller.«

Sie kappte die Verbindung. Nur Sekunden später erlosch die helle Brückenbeleuchtung und wurde durch die rote Notbeleuchtung ersetzt.

»Wir müssen die Energie nur für zwei Stunden runterfahren«, erklärte sie, »dann ist die Versorgung wiederhergestellt … sagt der Chief.«

»Der niedrige Energielevel hilft uns wenigstens, uns zu verstecken. Die terranischen Horchposten werden Schwierigkeiten haben, uns zu orten.«

Perry schüttelte den Kopf. »Wir sind gute zwei Sektoren von der nächsten terranischen Einrichtung entfernt. Die haben uns längst nicht mehr auf den Schirmen.«

»Es gibt Horchposten, die verfügen über diese Reichweite.«

»Aber nicht so weit draußen. Keine Sorge, die finden uns hier nicht.« Sie schürzte die Lippen. »Ich schicke jetzt die Trupps zur Ressourcenbeschaffung nach unten auf den Planeten. Den Sensoren nach könnten wir Glück haben. Ein wenig Obst oder Gemüse wäre mal wieder nicht schlecht. Der Doc sagt, ein paar Leute leiden bereits an Mangelerscheinungen.«

Perck nickte, ohne eine Antwort zu geben. Ein Ruf von der Com lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Der diensttuende Offizier drehte sich um. Der Junge hatte Ringe unter den Augen und sie waren blutunterlaufen. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut von ihnen allen. Bald würden die Menschen, die ihm unterstellt waren, zusammenbrechen. Er war verantwortlich für diese Offiziere. Er musste sicherstellen, dass sie überlebten. Er musste für sie sorgen. Nach dem gescheiterten Putschversuch war das alles, was er noch tun konnte.

»Ein Ruf von der Rache, Sir«, meldete der ComOffizier. »Admiral Braxton möchte mit Ihnen sprechen.«

»Sagen Sie ihm, der Admiral sei beschäftigt«, erwiderte Perry, bevor Perck reagieren konnte. Seine XO war es inzwischen gewohnt, die Abläufe des Schiffes beinahe allein zu handhaben. Perck überlegte, ob ihm das wirklich gefiel. Vielleicht sollte er sich wieder darum bemühen, das Ruder an sich zu reißen.

»Der Kerl bezeichnet sich immer noch als Admiral?«, bemerkte er stattdessen.

Perry nickte. »Manche Dinge ändern sich nie. Seit der Niederlage hält er sogar noch verbissener daran fest. Eine Menge guter Leute sind während des Putschs und danach gestorben, aber Braxton hat überlebt. Eine verdammte Schande.«

Perck schüttelte den Kopf. »Die Feiglinge überleben immer.«

Perry senkte traurig den Kopf. »Da haben Sie wohl recht, Admiral.«

»Was wird er wohl wollen?«

Perry schnaubte abfällig. »Dasselbe wie immer: sich beschweren. Etwas anderes scheint der Mann nicht zu können.«

Bevor sich Perry weiter über den verhassten Schiffskommandanten auslassen konnte, drehte sich der taktische Offizier um. »Sir? Ich erhalte hier seltsame Anzeigen«, sagte er halb über die Schulter.

»Anzeigen welcher Art?«, fragten Perck und Perry gleichzeitig.

»Energieanzeigen. Hinter dem Planeten.«

Perck beugte sich interessiert vor. »Sie sagten, das System wäre unbewohnt, Perry.«

»Ist es auch.« Sie zögerte. »Zumindest nach letztem Wissensstand. Der Planet ist völlig unwichtig. Er verfügt über keine nennenswerten Bodenschätze und auch seine Lage ist militärisch völlig irrelevant. Weder die Koalition noch die Ruul haben sich deshalb die Mühe gemacht, hier eine Basis aufzubauen. Aus diesem Grund habe ich ihn ausgewählt.«

»Und woher kommen dann diese Energiewerte?«

»Das ist eine verdammt gute Frage.«

»Soll ich einen aktiven Sensorscan einleiten?«, fragte der taktische Offizier.

»Auf keinen Fall«, begehrte Perry auf. »Dann leuchten wir wie ein Weihnachtsbaum. Wer immer das ist, vielleicht haben sie uns noch nicht entdeckt.«

»Sir, die Energiewerte kommen näher.«

»Schwenken Sie das Schiff um dreißig Grad«, ordnete Perck an. »Ich will den Planeten sehen.«

Der Navigator gab den neuen Kurs eifrig in seine Konsole ein und die Providence schwenkte gehorsam in Richtung Planeten. Aus dieser Entfernung wirkte die Kugel vor ihnen schmutzig braun. Sie schien tatsächlich nicht ein Objekt zu sein, für das zu kämpfen sich lohnte.

Doch dieses Mal interessierte sich Perck nicht für den Planeten selbst, sondern für den Weltraum in unmittelbarer Nähe.

Die Brückenbesatzung wartete angespannt.

»Soll ich Generalalarm auslösen?«, fragte Perry gepresst.

»Noch nicht. Der Energieausstoß würde uns ebenfalls verraten. Noch wissen wir nicht, womit wir es zu tun haben.«

Die Sekunden und Minuten dehnten sich beinahe endlos. Als Raumoffizier war Perck es gewohnt, Geduld an den Tag zu legen, doch dieses eine Mal fiel es sogar ihm schwer, ruhig zu bleiben. Beinahe hätte er befohlen, Fahrt aufzunehmen und sich die Sache mal anzusehen, doch er zügelte sich.

Plötzlich schob sich etwas hinter dem Planeten hervor. Zunächst nur als Schatten erkennbar, gewann es schnell an Konturen. Schon bald fielen erste Lichtstrahlen der Sonne darauf.

Schockiertes Raunen ging durch die Brücke. Perry wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie erbleichte von einer Sekunde zur anderen.

»Großer Gott!«, hauchte Perck.

1

Brigadier General David Coltor hetzte durch die Korridore des Präsidentenpalais mit den Armen voller Akten und Dokumente. Er hetzte vorbei an Soldaten, zivilen Angestellten und Agenten von MAD und SES. Die Ehrenbezeugungen und verdutzten Gesichter der Männer und Frauen, an denen er vorbeikam, ignorierte er großzügig. Sein Verstand war bereits beschäftigt mit der Präsentation, die er vorbereitet hatte.

Als er endlich den persönlichen Bereich der Präsidentin erreichte, wurde er bereits von zwei Männern erwartet. Einer von ihnen fühlte sich ziemlich unwohl in seiner Haut, während der andere wirkte, als könne ihn nichts wirklich erschüttern.

Vizeadmiral Dennis Hoffer nickte David freundlich zu. »Sie wirken gestresst.«

»Bin ich auch. Man legt der Präsidentin nicht jeden Tag die Pläne für so eine kriegsentscheidende Aktion vor.« David widmete dem Offizier neben Hoffer einen verschmitzten Blick. »Sie wirken, als wären Sie jetzt lieber woanders, Colonel.«

Lieutenant Colonel Derek Carlyle vom 171. Infanterieregiment der TKA nickte leicht verlegen. »Sieht man das so deutlich?«

»Allerdings.«

»Ich weiß gar nicht, was ich hier soll.«

»Werden Sie noch früh genug erfahren, Colonel, aber ich bin sicher, Sie werden die Besprechung sehr interessant finden.«

»Glauben Sie, sie wird zustimmen?«, fragte Hoffer.

»Sie wollte einen Erfolg versprechenden Plan, um die Ruul auf eigenem Boden zu schlagen, und den haben wir entwickelt. Eigentlich sogar in Rekordzeit entwickelt.«

»Der Planet, den wir ausgewählt haben, ist bei Licht betrachtet nicht ihr eigener Boden.«

David zuckte die Achseln. »Sie wissen, was ich meine.«

Estelle, die Sekretärin der Präsidentin, trat hinzu und nickte freundlich. »Sie lässt jetzt bitten, meine Herren.«

Hoffer seufzte, Carlyle wirkte mit einem Mal noch ein wenig unglücklicher und David zwang sich zu einem schmalen Lächeln. »Auf in die Schlacht.«

Estelle führte sie zur Tür, die ins Arbeitszimmer der Präsidentin führte und klopfte an. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete sie die Tür einen Spaltbreit und steckte den Kopf hindurch. Sie wechselte zwei Worte mit einer Person im Inneren, öffnete die Tür anschließend zur ganzen Breite und trat beiseite. Auffordernd deutete sie auf die entstandene Öffnung.

David ging als Erster hinein, gefolgt von Hoffer, und Carlyle bildete das Schlusslicht. Die Tür wurde diskret hinter ihnen geschlossen.

Am Schreibtisch saß Präsidentin Gabriele Tyler, derzeitiges Oberhaupt des Terranischen Konglomerats und Architektin der Koalition, die sich mit aller Kraft der ruulanischen Invasion entgegenstellte. Die Frau wirkte trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer noch jugendlich und voller Elan. Doch wenn man genau hinsah, bemerkte man einige Falten mehr, die vor wenigen Wochen noch nicht da gewesen waren. Der Putsch und die Ereignisse seitdem hatten sich tief in Leib und Seele der Präsidentin gegraben. David überlegte kurz. Möglicherweise hatte der Putsch an ihnen allen Spuren hinterlassen.

»Meine Herren«, begrüßte sie die Offiziere. »Was ist denn so dringend, dass diese Besprechung keinen Aufschub duldet?« Die Schärfe in ihren Worten wurde durch ein Lächeln auf ihren Lippen begleitet. Es milderte die implizierte Zurechtweisung merklich ab.

»Frau Präsidentin«, begann David, nachdem er sich zuvor durch einen kurzen Blick mit Hoffer verständigt hatte, wer beginnen sollte. »Nach den Geschehnissen vor drei Monaten baten Sie uns, ein geeignetes Ziel für eine Gegenoffensive zu finden, auszukundschaften und einen Erfolg versprechenden Plan zu entwerfen. Ein Plan, der nicht nur einen Sieg verspricht, sondern auch unsere …« David zögerte. Carlyle war der Einzige im Raum, der nicht über Operation Atlas informiert war, und das würde sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Daher musste er in der Wahl seiner Worte äußerst vorsichtig sein. »… weiterführenden Pläne unterstützt.« David vermied wohlweislich jeden Hinweis auf mögliche Geheimoperationen. Wenn alles nach Plan verlief, würde Carlyle früh genug informiert werden.

Die Präsidentin legte die Unterlagen beiseite, die sie gerade studiert hatte, und musterte jeden der Anwesenden mit prüfendem Blick. Schließlich lächelte sie. »Also schön, meine Herren. Sie haben mich neugierig gemacht. Sie genießen nun meine volle Aufmerksamkeit.«

Sie lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück, doch ihre oberflächliche Haltung täuschte David zu keinem Zeitpunkt. Sie war über alle Maßen gespannt, wollte dies aber nicht zugeben.

»Beeindrucken Sie mich«, forderte sie die drei Offiziere auf.

Carlyle wusste selbst noch nicht, um was es ging, und streng genommen, war seine Anwesenheit bei dieser Unterredung auch nicht zwingend notwendig. Man musste ihm und seiner Einheit jedoch anrechnen, dass ohne ihr Eingreifen die Präsidentin mit Sicherheit den Tod gefunden hätte. Das 171. Regiment hatte sich herausragend geschlagen, allen kritischen Stimmen bei Gründung der Freiwilligenregimenter zum Trotz. Carlyle verdiente es einfach, dabei zu sein. Er wusste es noch nicht, aber dieser Augenblick würde ihm vermutlich für den Rest seines Lebens in Erinnerung bleiben – und viel bedeuten.

David nickte, trat an den Holobilderzeuger vor dem Schreibtisch der Präsidentin und legte einen Datenstick ein. Sofort baute sich über dem Schreibtisch die dreidimensionale, halbtransparente Darstellung eines Planeten auf, der grob geschätzt etwa zwanzig Prozent größer war als die Erde. Der Planet war Teil eines Systems mit acht Planeten, von denen der kleinste sogar kleiner als der Erdmond war und der größte etwa die Maße des Jupiters aufwies. Es handelte sich um den dritten Planeten des Systems.

»Das ist unser Ziel«, verkündete David stolz. »Diese Welt liegt knapp einhundertfünfzig Lichtjahre hinter der Front.«

David bemerkte, wie sich Carlyle ein wenig vorbeugte. Seine Stirn legte sich in Runzeln. David schmunzelte angesichts des Interesses des TKA-Offiziers.

»Der Planet hat sich in den letzten Jahren zunehmend zu einem Knotenpunkt ruulanischer Aktivität entwickelt. Die Welt ist für die ruulanischen Kriegsanstrengungen äußerst wichtig und der Verlust für den Gegner nur schwer zu kompensieren.«

»Interessant«, nickte Tyler. »Aber das macht diese Welt auch zu einem schwer befestigten Ziel, nehme ich an.«

»In der Tat«, fuhr David fort, »gab es auf dieser Welt mehr ruulanische Krieger, Waffen und Ausrüstung als auf nahezu jedem anderen Planeten der RIZ. Bis vor etwa einem Jahr. Diese Welt stellte einen Teil der Offensivkräfte, die Serena angriffen und belagerten. Mit der ruulanischen Niederlage gingen auch ein signifikanter Teil der beigesteuerten Truppen und Schiffe verloren. Die Ruul haben sich noch längst nicht von diesem schweren Schlag erholt. Aus diesem Grund wäre ein Angriff zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur Erfolg versprechend, sondern sogar wünschenswert. Wir könnten die Ruul aus dem System vertreiben, da sind wir uns sicher.« Er nickte Hoffer kurz zu.

»Sie haben das Ziel doch sicherlich nicht nur aufgrund seiner Verletzlichkeit ausgesucht, oder?! Da gäbe es doch weitaus einfachere Ziele.«

»Allerdings. Es spricht noch mehr für unsere Wahl. Der feindliche Stützpunkt dort beherbergt die zweitgrößte ruulanische Nachschubbasis in fünf Sektoren. Ihr Verlust würde den Gegner schwer treffen und er müsste seine Logistikwege konsolidieren oder völlig neue finden. Alles, was den Gegner stört, kann für uns nur von Vorteil sein. Des Weiteren hätten wir eine dauerhafte Basis tief in der RIZ, von der aus wir Angriffe weit hinter den feindlichen Linien fliegen könnten. Der Gegner hätte keine Chance mehr, zur Ruhe zu finden. Wir würden die Initiative an uns reißen und nicht mehr loslassen. Die Lage des Zielsystems ist außerdem von äußerst großer strategischer Bedeutung. Von dort aus können wir …« Beinahe hätte er sich verplappert und Operation Atlas gesagt, doch im letzten Moment hielt er sich zurück. »… unser weiteres Vorgehen mit den Kräften koordinieren, die wir dort als Garnison zurücklassen.«

David wechselte einen Seitenblick mit Hoffer. Die Mundwinkel des Flottenoffiziers zogen sich leicht nach oben. Er hatte Davids Vabanquespiel durchschaut und es amüsierte ihn offenbar.

»Das klingt alles schön und gut«, gab die Präsidentin zu bedenken, »aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ruul uns diesen Planeten so einfach überlassen werden, wenn er denn wirklich so wichtig ist.«

»Wohl kaum«, stimmte David zu. »Aus diesem Grund haben wir uns für eine neue Taktik entschieden.« Er betätigte einen Knopf und das Bild vergrößerte sich, bis das Hologramm einen Miniaturausschnitt der Planetenoberfläche darstellte. Carlyles Stirnrunzeln vertiefte sich.

»Wir haben festgestellt, dass die Feldzugstrategie, die bei Serena zum Einsatz kam, zwar erfolgreich sein kann, der Verlust an Leben und Material aber in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Kurz gesagt, wir verlieren bei solchen Siegen einfach zu viele Männer, Panzer, Jäger und Schiffe. Aus diesem Grund werden wir das dieses Mal gar nicht versuchen.«

»Sondern?«

»Wir gehen in drei Phasen vor. Phase eins ist relativ konventionell. Admiral Hoffer und die ihm unterstellten Raumstreitkräfte dringen in das System ein und kämpfen den ruulanischen Widerstand im Raum und dem Orbit des Zielplaneten nieder. Sobald das geschafft ist, beginnt Phase zwei.« David wechselte erneut einen schnellen Blick mit Hoffer. Dieser schien den Atem anzuhalten.

»Wir setzen die Bodentruppen ab, aber nicht in Landezonen, die wir zuerst säubern, sichern und gegen ruulanische Gegenangriffe verteidigen müssen, sondern direkt über den ruulanischen Stellungen. Es wird unsere Variante eines Kavallerieangriffs. Unsere Truppen gehen rein, wir setzen sie über den größten und wichtigsten, feindlichen Einrichtungen und Truppenkonzentrationen ab und sie kämpfen den feindlichen Widerstand nieder. Wir schätzen, dass die ganze Aktion nicht mehr als eine Woche dauern wird. Dann wird der Planet weitgehend befriedet und gesichert sein. Anschließend wird nur noch aufgeräumt.«

Damit beendete David seinen Vortrag. Er nahm den Datenstick aus dem Holobilderzeuger und steckte ihn ein. Das Bild des Planeten verschwand augenblicklich. Die drei Offiziere schwiegen, während sie auf die Reaktionen der Präsidentin warteten.

Diese musterte alle drei mit undeutbarem Gesichtsausdruck. Schließlich stieß sie einen Schwall Luft aus. »Puh, da haben Sie sich aber ganz schön was vorgenommen. Das klingt ziemlich waghalsig – und riskant.«

»Ist es auch«, stimmte David zu. »Aber Serena hat gezeigt, wenn man den Ruul nur die geringste Chance lässt, dann pumpen sie ohne Unterlass Schiffe und Truppen in eine Konfliktzone. Die Slugs sind jederzeit bereit, einen hohen Blutzoll zu bezahlen, um einen Planeten, der ihnen wichtig ist, zu erobern oder zu halten. Auf die Dauer können wir damit nicht gleichziehen. Also müssen wir von Anfang an verhindern, dass die ruulanische Verstärkung rechtzeitig eintrifft, um der einheimischen Garnison noch zu Hilfe kommen zu können.«

»Und das bedeutet, den Widerstand ruulanischer Truppen so schnell wie möglich zu überwinden«, schloss sich Hoffer an. »Sobald ruulanische Verstärkungen eintreffen, werden wir – so Gott will – schon fest im Sattel sitzen und sie aus dem Vorteil befestigter Stellungen heraus erwarten können.«

»Und wenn das noch nicht der Fall ist?«

»Tja, darin liegt das Risiko«, meinte David. »Falls wir den Widerstand nicht rechtzeitig niederkämpfen können, dann hängen wir zwischen zwei feindlichen Kräften fest. Das könnte übel ausgehen.«

»Was glauben Sie, wie die Slugs reagieren?«, fragte die Präsidentin. »Ich bin mir sicher, bevor Sie zu mir kamen, haben Ihre Analytiker mindestens tausend Machbarkeitsstudien durchgeführt.«

David senkte den Kopf und lächelte leicht verlegen. »Das haben meine Leute in der Tat getan. Wir errechnen eine fast siebzig prozentige Chance, dass unsere Taktik die Slugs überraschen wird. Ein solches Vorgehen entspricht nicht ihrer Denkweise. Sie werden Schwierigkeiten haben, sich darauf einzustellen.«

Die Präsidentin schwenkte ihren Stuhl nach links und sah aus dem Fenster, versunken in ihre Gedanken. David und Hoffer ließen ihr diesen Freiraum. Immerhin hatte sie eine schwere Entscheidung zu treffen. Carlyle hingegen versuchte sich weitestgehend unsichtbar zu machen.

»Wie viele Truppen und Schiffe würden Sie benötigen?«, wollte Tyler schließlich wissen.

David nickte Hoffer zu, der diesen Part gerne übernahm. »Wir haben bereits eine Liste infrage kommender Einheiten zusammengestellt. Um das Zielsystem erfolgreich angreifen und einnehmen zu können, benötigen wir mindestens einen Sonderkampfverband bestehend aus der 5., 7. und Elementen der 11. Flotte. Alles in allem etwas mehr als siebenhundert Schiffe. Auf unsere Verbündeten können wir dieses Mal leider nicht zählen. Das Zielsystem bedeutet ihnen nichts und sie haben allesamt eigene Operationen am Laufen oder werden durch die Slugs unter Druck gesetzt. Dieses Mal sind wir auf uns allein gestellt.«

Tyler nickte. »Und an Bodentruppen?«

»Das 3. und 5. Marine-Expeditionskorps, die 22., 35. und 105. TKA-Division sowie die komplette 2. und 5. Armee. Außerdem noch eine ganze Reihe anderer Einheiten – wie zum Beispiel Carlyles 171. Regiment –, die wir irgendwo loseisen können. Insgesamt etwa sechshunderttausend Mann.«

»Wird das überhaupt reichen?«

Hoffer zuckte die Achseln. »Mehr Truppen und Schiffe von der Front abzuziehen, würde uns an anderen Orten nur unnötig exponieren. Es muss reichen.«

Tyler nickte. »Ich verstehe.« Sie warf David einen auffordernden Blick zu. »Sie sprachen aber von drei Phasen.«

David nickte. »Ja, allerdings. Wir haben uns entschlossen, einen weiteren Schlag zu führen, sobald das Zielsystem unserer Operation erst einmal gesichert ist. Einen Schlag, den die Slugs mit Sicherheit nicht vorhersehen werden.«

»Und der wäre?«

David zog einen weiteren Datenstick aus seiner Tasche und legte ihn ein. Ein etwas kleinerer Planet erschien als Hologramm. Tyler erkannte ihn auf Anhieb und sog scharf die Luft ein. Sie musterte David und Hoffer fassungslos. »Das kann unmöglich Ihr Ernst sein.«

»Das ist schon lange überfällig«, erklärte David. »Wir schlagen gegen Taradan los. Das System ist seit über zehn Jahren von uns abgeschnitten und wird von den Ruul belagert. Das System hält immer noch durch, das ist aber schon alles, was wir wissen. Wir werden eine Einsatztruppe losschicken, die zumindest eine der Nullgrenzen erobert und so den Weg frei macht, um wieder in das und aus dem System springen zu können. Taradan könnte sich wieder dem Terranischen Konglomerat anschließen. Endlich wieder.«

Tyler musterte beide Offiziere immer noch fassungslos. »Sie beide müssen verrückt sein.« Schließlich stahl sich langsam ein Lächeln auf ihr Gesicht. »Und ich muss verrückt sein, auch nur darüber nachzudenken.« Ihr Lächeln wuchs in die Breite. »Meine Herren, wenn Sie das tatsächlich hinkriegen, dann erkläre ich Sie zu Helden der Menschheit.«

Die Tür der Präsidentin schloss sich hinter David, Hoffer und Carlyle.

David stieß erleichtert den Atem aus. »Ich hatte nicht gedacht, dass sie zustimmt.«

»Sie hat es satt, immer nur auf die Aktionen der Ruul zu reagieren. Sie will endlich agieren. Genau wie alle anderen auch – genau wie auch ich.«

»Du weißt schon, dass es ein verdammt riskanter Plan ist, Dennis?«

»Klar weiß ich das. Ich war dabei, als man ihn entworfen hat. Erinnerst du dich?« Die Lippen des Admirals teilten sich zu einem Lächeln und entblößten zwei Reihen weißer Zähne. »Aber wir kriegen das hin, da bin ich sicher. Ansonsten hätte ich den Plan gar nicht mit dir zusammen vorgestellt.«

David bemerkte, dass Carlyle immer noch etwas unschlüssig in der Nähe stand. Der Mann wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht, wie er es anstellen sollte.

»Ja, Colonel? Gibt es noch etwas?«

»Ja, General. Etwas, das mich sehr beschäftigt. Während der ganzen Besprechung haben Sie den Namen des Zielsystems mit keinem Wort erwähnt.«

David lächelte. »Ich dachte, Sie hätten ihn erkannt. Das Ziel unserer Operation ist Rainbow. Herzlichen Glückwunsch, Colonel. Sie gehen nach Hause.«

2

Als David sein Büro erreichte, wurde er schon von einem Offizier erwartet, dessen Masse den ganzen Türrahmen ausfüllte.

»Foulder!«, begrüßte David den Mann.

»Sir.« Major Alan Foulder stand augenblicklich stramm. Interessanterweise schmälerte es keineswegs die Aura der Gefährlichkeit, die der Mann ausstrahlte. »Sie wollten mich sehen?«

»In der Tat, Major, in der Tat. Folgen Sie mir.«

David übernahm die Führung, marschierte durch sein Vorzimmer an seiner Vorzimmerdame vorbei und öffnete die Tür zu seinem Büro. Er trat höflich beiseite, um Foulder den Vortritt zu überlassen. David wechselte einen schnellen Blick mit seiner Sekretärin. Sie verdrehte leicht die Augen und schien froh zu sein, dass ihr Chef nun hier war. Foulder war wohl in keiner guten Stimmung.

David folgte dem ROCKETS-Offizier und schloss die Tür hinter sich. Foulder stand mitten im Raum mit hinter dem Rücken verschränkten Händen.

»Nehmen Sie Platz, Major.«

»Nein, danke, Sir. Ich stehe lieber.«

David zuckte leicht die Achseln und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er musterte den vor ihm stehenden Offizier argwöhnisch. »Sie sehen aus wie ein Mann, der etwas zu sagen hat.«

»Erlaubnis, offen zu sprechen, Sir?«

David seufzte. »Gewährt.«

Foulder senkte erstmals den Blick und David musste an sich halten, um nicht erschrocken zu sein vor dem, was er da sah. Die Augen des Mannes blitzten wütend, doch er bemerkte noch etwas anderes: blanken Hass. Nicht auf David wohlgemerkt, doch unter der Oberfläche Foulders rumorte es gefährlich. Foulder hatte seinen Job schon immer gut gemacht, doch nie auch nur mit einem Anflug von Hass, eher mit professionellem Engagement. David wusste nicht so recht, ob ihm die neue Seite Foulders gefallen sollte.

»Sir? Seit vier Wochen sitzen meine Leute und ich nur herum, anstatt etwas wirklich Sinnvolles zu tun.«

»Und wie definieren Sie sinnvoll?«

»Lassen Sie mich Ruul jagen. Oder abtrünnige Menschen. Egal was, nur geben Sie mir eine neue Aufgabe.«

»Abtrünnige Menschen.« David ließ die Worte auf seiner Zunge zergehen und prüfte deren Geschmack. »Fällt Ihnen dabei jemand Bestimmtes ein?«

Foulders Gestalt versteifte sich. Sein Blick richtete sich erneut auf einen Punkt irgendwo über Davids Kopf. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Sir.«

»Ich denke doch, aber lassen wir das für den Moment. Wie steht es um Ihr Team?«

»Sind bereit und heiß, es dem Feind zu zeigen.«

David schmunzelte leicht. »Sie machen hier keine Reklame, Major. Ich will Ihre ehrliche Meinung hören. Also noch mal: Wie ist der Status Ihres Teams?«

Foulder zögerte erneut. »Durchwachsen, General.«

»Inwiefern?«

»Wir bestehen jetzt aus den Überresten zweier Teams. Wir haben zwar schon alle zusammengearbeitet, aber nicht auf diese Weise. Und da ist noch die Sache mit Scott … ähm … Major Fergusen.«

Ah, da war er also, der gewisse Punkt, auf den David eigentlich hatte zu sprechen kommen wollen. Foulder hatte inzwischen Team Panther nach Fergusens Tod übernommen und die Überreste seiner eigenen Einheit mitgenommen. Ob die beiden zusammengewürfelten Teams auch wirklich als Einheit funktionieren würden, musste sich erst noch erweisen.

»Es ist immer schwer für eine Einheit, den kommandierenden Offizier zu verlieren.«

»Oder einen Freund«, versetzte Foulder ungerührt.

»Natürlich, Foulder, natürlich.« David überlegte. Einerseits hatte er so seine Bedenken mit dem, was er seinem Gegenüber in den nächsten Minuten erzählen würde. Andererseits konnte er sich auch niemand Besseren dafür vorstellen. Er beschloss, das Pferd von hinten aufzuzäumen.

»Das Problem, vor dem Sie stehen, betrifft auch viele andere Teams im selben Umfang. Aufgrund der beträchtlichen Verluste, die die ROCKETS während des Putschversuchs erlitten haben, mussten wir viele Teams zusammenlegen. Es würde einfach zu lange dauern, die Lücken mit neuen Absolventen des Trainingszentrums zu füllen. Daher existieren im Moment viele Teams de facto nicht, und zwar so lange, wie es dauert, sie von Grund auf neu aufzubauen. Team Gepard wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben.«

»Spielt keine Rolle. Ich diene dort, wo ich eingesetzt werde.«

»Der Putsch hat uns alle viel gekostet.«

Foulder schluckte schwer. »Allerdings.«

»Und was wäre, wenn ich Ihnen sagen würde, dass die Zeit reif ist, auf die Jagd zu gehen?«

Foulders Blick zuckte wieder hinab. David wurde unangenehm bewusst, wie weit Foulder den Blick senken musste, um ihn anzusehen. Und das hatte nicht unbedingt etwas damit zu tun, dass David saß. Der ROCKETS-Truppführer war einfach ein Riese.

»Wie darf ich das verstehen, Sir?«

»Perck.«

Dieses einfache Wort löste eine Litanei an Gefühlen in Haltung und Mimik des Kommandosoldaten aus. Abscheu und Wut waren da nur zwei der sich abwechselnden Emotionen. »Reden Sie weiter.«

Zwei unserer Horchposten innerhalb der RIZ hatten ihn in den letzten drei Wochen immer mal wieder auf den Schirmen. Er wurde unter anderem in der Nähe der Systeme Helsinki und Mekong gesehen.«

»Dort kann er sich nicht lange rumgetrieben haben. Das sind beides besetzte Welten mit feindlichen Basen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Anwesenheit terranischer Schiffe derart dicht an wichtigen Stützpunkten den Slugs lange verborgen geblieben ist.«

»So ist es. Beide Male musste der gute Admiral überstürzt wieder aufbrechen. Seine Schiffe sind in schlechtem Zustand. Er verfügt noch über maximal fünf bis acht Schiffe. Einige haben sich abgesetzt. Wir haben sie aber inzwischen aufgestöbert und zur Strecke gebracht. Durch Gefangene, die wir nehmen konnten, wissen wir, dass Percks Flotte moralisch und ausrüstungstechnisch am Ende ist. Kurz gesagt, die pfeifen auf dem letzten Loch.«

»Und weiter?«

Unsere Horchposten konnten beim letzten Mal Percks Kurs extrapolieren. Es gibt nur vier infrage kommende Zielsysteme. Drei davon sind fest in ruulanischer Hand.«

»Das vierte?«

»Arvino. Ein unbewohntes System …«

»Ich kenne Arvino. Zumindest vom Namen her. Rainbow liegt ganz in der Nähe. Ansonsten ist das System ohne jeglichen Nutzen für beide Seiten. Das ist im Prinzip schon alles, was ich weiß.«

David nickte. »Ausgezeichnet. Das reicht auch schon. Dann muss ich über das System ja nicht mehr viel sagen. Sie und Ihr Team werden hinfliegen.«

Foulders Augen blitzten. »Mit welchem Ziel?«

»Aufklärung. Ich will, dass Sie Perck und seine Schiffe finden, sollten sie noch vor Ort sein. Sammeln Sie so viele Informationen wie möglich und senden Sie anschließend ein Hyperfunksignal. Falls sich Perck tatsächlich noch dort befindet, schicken wir Schiffe und machen dem Spuk ein Ende, auf die eine oder andere Art.«

»Wie sicher ist es, dass er überhaupt noch dort ist? Er hat in den letzten Wochen ein paar große und schwer vorherzusehende Sprünge gemacht.«

»Das ist wahr, aber wir glauben, er wird Arvino eine Weile als Versteck nutzen. Er kann nirgendwo mehr hin. Im Konglomerat kann er sich nicht blicken lassen, unsere Verbündeten haben die Beschreibung seiner Schiffe und die rege Aktivität der Ruul innerhalb der RIZ schränkt seine Bewegungsfreiheit ein. Er hat kaum eine Wahl. Seine Leute brauchen Ruhe und seine Schiffe dringend ein paar Reparaturen.« Coltor zögerte. »Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, Foulder. Kurz nach dem gescheiterten Putschversuch haben wir bereits ein Team entsandt, um Percks Aufenthaltsort zu ermitteln und sie an eine Flotteneinheit zwecks Rückführung des Admirals und seiner Getreuen weiterzuleiten. Der Kontakt zu der Einheit ist abgerissen. Wir haben seit einiger Zeit nichts mehr von ihr gehört. Das bereitet mir große Sorgen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass dem Team etwas zugestoßen ist.«

Foulder ließ sich die Ausführungen einen Augenblick lang durch den Kopf gehen, schließlich nickte er. »Wann geht’s los?«

Coltor lächelte erfreut über Alans Enthusiasmus. »Ist Ihr Team marschbereit?«

Foulder nickte. »Alle bis auf einen: Eric Lopez. Er wird hierbleiben.«

»Der Grund?«

»Hatte vor drei Tagen einen Unfall. Der Tollpatsch hat sich das Bein gebrochen. Ich hätte ihn lieber dabei, aber unser Aufbruch duldet keinen Aufschub.«

»Seh ich auch so. Sie starten noch heute.«

»Verstanden, Sir.«

»Da wären noch zwei Dinge.«

Foulder neigte fragend leicht den Kopf. »Sir?«

»Ich habe Ihrem Team Priorität gewährt und weise Ihnen zwei neue Mitglieder zu. Frisch aus dem Trainingszentrum. Ich bin der Meinung, für eine solche Mission sollte der Panther-Trupp auf nahezu voller Stärke sein. Hätte ich von der Sache mit Lopez gewusst, hätte ich Ihnen noch einen dritten besorgt, aber ich denke, es wird auch so gehen.«

Foulder zögerte.

David zog eine Augenbraue hoch. »Sie sind nicht einverstanden?«

»Bei allem Respekt, Sir, ich weiß die Geste zu schätzen …«

»Aber?«

»Aber ich würde eine solche Mission gern mit Leuten antreten, die mir vertraut sind. Das ist nicht der rechte Zeitpunkt für Experimente. Neue Leute ausgerechnet jetzt ins Team einzuführen, halte ich für eine sehr schlechte Idee.«

»Vertrauen Sie mir, Major. Die Leute sind von mir handverlesen. Sie sind wirklich gut und ich denke, Sie werden sie brauchen.«

Foulder seufzte ergeben. »Und was ist der zweite Punkt?«

»Ich weiß nur zu gut, was in Ihnen vorgeht, Major. Glauben Sie mir, niemand weiß das besser als ich. Bei Percks Putschversuch habe auch ich gute Freunde verloren. Meine Frau wäre beinahe getötet worden. Hätte ich die Möglichkeit, ich würde Perck persönlich vor mir auf den Knien sehen wollen.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Das ist eine Aufklärungsmission. Sie gehen keinesfalls gegen Perck vor. Ganz gleich, was Sie für eine Wut im Bauch haben, Sie gehen nicht gegen Perck vor. Nicht, bevor unsere Schiffe vor Ort sind. Der Mann verfügt immer noch über eine beachtliche militärische Schlagkraft, ganz egal in welchem Zustand seine Schiffe sind. Oder wollen Sie sich mit einem halben Dutzend Kriegsschiffen anlegen?«

Foulder antwortete nicht.

»Ich meine es ernst, Major«, versuchte David es noch einmal eindringlicher.

»Wenn Sie denken, ich könnte mich über Ihre Befehle hinwegsetzen, warum entsenden Sie dann ausgerechnet mich und kein anderes Team?«

»Gerade wegen Ihrer Wut. Sie sind hoch motiviert, Perck zu erwischen, und darauf setze ich. Aber Sie lassen die Hände von dem Mann. Ich will, dass er auf jeden Fall seine Kriegsgerichtsverhandlung erlebt.«

Foulder schnaubte höhnisch. »Sie glauben, er wird sich ergeben?«

David zuckte die Achseln. »Wir geben ihm auf jeden Fall die Chance dafür.« Er musterte Foulder scharf. »Sind wir uns in diesem Punkt einig?«

Foulder ließ sich mit der Antwort unangenehm viel Zeit. »Wie Sie wünschen, Sir.«

Der Kommandosoldat schien tatsächlich bemüht, so etwas wie Verständnis für Davids Befehle aufzubringen. David glaubte ihm keine Sekunde.

»Wäre das alles, General?«

David nickte. »Machen Sie Ihr Team bereit. Ihr Schiff wartet in fünf Stunden auf Sie. Man holt Ihr Team in Nairobi ab.«

Foulder nickte, salutierte und verließ schnellen Schrittes das Büro. David sah ihm noch lange nach, selbst nachdem sich die Tür hinter dem muskulösen Rücken des Mannes geschlossen hatte.

Er hatte tatsächlich kein wirklich gutes Gefühl dabei, Foulder zu schicken. Der Mann war auf Rache aus und wollte Blut sehen. Selbst ein Blinder konnte das problemlos erkennen. Doch er war der beste Mann für den Job –  und darüber hinaus auch der beste Mann, den David im Moment überhaupt zur Verfügung hatte. Der Putsch hatte einige tiefe Lücken in die Einheitsaufstellung der ROCKETS gerissen.

»Ich hoffe nur, ich mache damit keinen Fehler«, flüsterte David in die Stille seines Büros hinein.

3

Alans Gedanken rasten, als er das Büro Coltors verließ. Perck. Man setzte ihn tatsächlich auf Perck an. Etwas, das er nie zu hoffen gewagt hatte. Das war ja beinahe zu schön, um wahr zu sein. Entgegen seiner eher mürrischen Natur pfiff er ein Lied vor sich hin, als er das Hauptquartier der Streitkräfte verließ. Er war sich durchaus bewusst, dass das heitere Lied so gar nicht zu seinem ansonsten düsteren Äußeren passte, aber das war ihm herzlich egal. Genau wie die verwunderten Blicke der Offiziere, die seinen Weg kreuzten.

Er begab sich auf direkten Weg zurück nach Nairobi ins ROCKETS-Ausbildungszentrum. Mittels des suborbitalen Verkehrsnetzes dauerte der Flug keine zwei Stunden.

Normalerweise hätte er auf dem Flughafen in Nairobi aussteigen und ein Taxi zum Trainingszentrum nehmen müssen. Doch Coltor hatte ihm Sonderstatus gewährt und so setzte das Shuttle sanft am Rand des Trainingszentrums auf.

Alan ging gemächlich die Rampe hinab und sog tief die trockene, würzige Luft Afrikas ein. Mit einem Gefühl der Wehmut sah er sich auf dem Gelände um. Es herrschte weit weniger Betrieb als noch vor Percks Versuch, an die Macht zu gelangen. Viel zu viele ROCKETS waren in den erbarmungslosen Kämpfen gefallen. Verglichen mit damals wirkte der Innenhof der Anlage nun beinahe verwaist.

Das Panther-Team war eine der wenigen voll ausgebildeten Einheiten, die noch hier waren. Die meisten hatten die Erde innerhalb der letzten Wochen wieder verlassen. Da der Putsch so viele von ihnen das Leben gekostet hatte, gab es für die Übrigen mehr als genug zu tun. Perck hatte mit seinem Gaunerstück den Ruul geradewegs in die Hände gespielt. Die ROCKETS waren die stärksten Gegner der Slugs in diesem Krieg und Perck hatte sie gnadenlos dezimieren lassen.

Der Gedanke ließ erneut die Wut in seinen Eingeweiden hochkochen. Wenn er den Kerl erwischte, würde er ihm persönlich das Leben aus dem Leib quetschen.

Zu seiner Überraschung warteten zwei Personen vor den Quartieren des Panther-Teams auf ihn. Sie waren beide erschreckend jung. Alan konnte sich kaum vorstellen, dass die beiden schon volljährig waren. Das mussten die Neuzugänge des Teams sein.

Er streckte seine Gestalt und ermahnte sich selbst, nicht vorschnell zu urteilen. Diese beiden konnten nichts für Perck und dessen Taten. Wenn sie die Ausbildung der ROCKETS erfolgreich absolviert hatten, mussten sie gut sein.

Ein Gedanke schoss ungewollt durch Alans Hirn. Aber was, wenn die Ausbilder aufgrund der hohen Verluste etwas toleranter bei der Interpretation der Leistungen angehender ROCKETS waren? Die Verluste mussten schließlich schnellstmöglich ausgeglichen werden. Der Verdacht war nicht gänzlich unbegründet und eine Stimme in seinem Hinterkopf hörte nicht auf, ihm einzuflüstern, sosehr Alan sich auch bemühte, sie zum Schweigen zu bringen.

Die beiden ROCKETS standen stramm, als er näher kam. Mit einem Wink bedeutete er ihnen, bequem zu stehen. Es handelte sich um einen Mann – eigentlich einen Jungen – und eine Frau.

»Eure Namen?«, verlangte Alan kurz angebunden.

Der Junge salutierte. »Second Lieutenant Benito Cantallano, Computerspezialist«, stellte er sich vor. Er war einen guten Kopf kleiner als Alan und von eher schmächtiger Figur, machte jedoch einen intelligenten Eindruck. Ob der Eindruck der Wahrheit entsprach, musste er allerdings erst noch unter Beweis stellen.

Alans Blick glitt zu der jungen Frau. Es wirkte, als würde sie unter seinem unerbittlichen Blick noch ein klein wenig strammer stehen als zuvor.

»Second Lieutenant Susan Filipenko, Schütze«, stellte auch sie sich vor. Ihr brünettes Haar fiel ihr locker über die Schulter. An ihrem Körper gab es kein Gramm Fett und sie wirkte äußerst fit. Das war keine große Überraschung, wenn man die Ausbildung der ROCKETS absolvierte, aber auch kein Indiz für Kompetenz oder besondere Fähigkeiten. Alles in allem war Alan nicht beeindruckt von der Auswahl, die Coltor getroffen hatte. Aber man musste fair bleiben. Die beiden hatte große Stiefel auszufüllen. Verglichen mit den Freunden, die er in den letzten Jahren verloren hatte, konnten Neuankömmlinge nur schlecht abschneiden.

»Wo kommt ihr beiden her?«

»Mailand«, erwiderte Benito sofort.

»Warschau«, schloss sich Susan an.

»Also beide von der Erde. Von welchen Waffengattungen kommt ihr?«

»TKA«, erwiderten die beiden Neuzugänge im Chor.

Alan nickte. »Für große Begrüßungszeremonien bleibt wenig Zeit. In weniger als drei Stunden werden wir abgeholt. Für euch wird es die erste Mission sein, also sage ich euch das eine: Haltet euch zurück und orientiert euch an denen, die es besser wissen. Eine richtige Mission ist anders als alles, was ihr im Training gelernt habt. Haltet den Kopf unten und tut genau das, was man euch sagt, wenn man es euch sagt. Macht Fehler und Menschen sterben. Habt ihr verstanden?«

»Sir, ja, Sir«, erwiderten beide erneut im Chor.

»Willkommen beim Panther-Team. Und jetzt sucht euch ein Bett, verstaut eure wenigen Habseligkeiten und macht euch marschbereit. Ich will euch in zweieinhalb Stunden unten auf dem Hof sehen.«

Ohne weitere Worte drängte er sich an Benito und Susan vorbei, bekam jedoch noch mit, wie sich die beiden aus dem Augenwinkel irritierte Blicke zuwarfen. Es kümmerte ihn wenig. Er hatte keine Zeit, Kindermädchen für die beiden zu spielen.

Alan öffnete die Tür zum Quartier des Panther-Trupps. Es gab zwar genügend leer stehende Räume, doch die Mitglieder des Trupps hatten es vorgezogen, ein Gemeinschaftsquartier zu beziehen.

Bei seinem Eintreten sah das neu zusammengestellte Panther-Team auf. Zumindest die, die wach waren. Esteban Garzia lag in seiner Koje und schnarchte genüsslich vor sich hin. Nancy Sullyvan sah so aus, als würde sie dösen, doch aus Erfahrung wusste er, dass sie sich ihrer Umgebung voll bewusst war. Nancy besaß die Fähigkeit, selbst im Halbschlaf gleichzeitig aufmerksam zu sein und neue Kräfte sammeln zu können. Sobald sie sich erhob, war sie genauso ausgeruht, als wenn jemand anders eine ganze Nacht durchschlief. Eine beneidenswerte Eigenschaft.

Eric Lopez, Jakob Olafsson und Renée Jonois saßen um einen kleinen Tisch und spielten Karten, allerdings kein Spiel, das Alan schon mal gesehen hätte. Auch die Regeln erschlossen sich ihm auf den ersten Blick nicht wirklich. Eric hatte sein rechtes Bein auf einen Stuhl gelegt, um es still zu halten. In alter Tradition hatten bereits alle Mitglieder des Teams auf dem Gips unterschreiben – sogar die Neuen.

Jakob grinste bei Alans Erscheinen über das ganze Gesicht. »Hey, Alan. Hast du den Kindergarten da draußen schon begrüßt?«

Alan schätzte Jakobs flapsige Art, auch wenn er mit dieser Frage ein heikles Thema anschnitt.

»Allerdings. Tut mir alle einen Gefallen und behaltet sie im Auge. Wir können uns keine Unwägbarkeiten leisten. Nicht im Augenblick.«

Renée lehnte sich zurück und hob eine Augenbraue. Die Kommandosoldatin durchschaute seine Bemerkung auf Anhieb. »Wir haben endlich wieder eine Mission?«

»Ja.« Alan lächelte.

Die drei Kommandosoldaten warfen sich unschlüssige Blicke zu. Wie man ihm schon bei verschiedenen Gelegenheiten versichert hatte, war sein Lächeln kein wirklich beruhigender Anblick. Nancy Sullyvan schlug die Augen auf und setzte sich aufrecht auf ihr Bett. Sie war von einer Sekunde zur anderen hellwach und musterte ihn neugierig.

»Wir gehen wieder auf die Jagd.«

»Mit welchem Ziel?«, wollte Eric wissen.

»Wo ist Laura?«, fragte Alan stattdessen, ohne auf die Frage zu antworten.

Jakob deutete auf die Tür am anderen Ende des Quartiers. Sie führte durch einen kleinen Korridor quer durch das Gebäude und endete in einem kleinen Garten. Es war einer der wenigen Orte in dieser Anlage, wo man das Grün von Pflanzen genießen und sich etwas entspannen konnte. Im Grunde genommen hätte Alan sich das denken können. Sie hielt sich dort seit Ende der Kämpfe auf der Erde fast ausschließlich auf.

Alan nickte. »Macht euch marschbereit. Wir werden in wenigen Stunden abgeholt.« Schnellen Schrittes durchquerte er das Quartier und öffnete die Tür.

»Du hast Erics Frage nicht beantwortet«, rief Jakob ihm hinterher. »Welches Ziel hat unsere Mission?«

»Wir bringen Perck zur Strecke«, erwiderte Alan und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Er bekam noch mit, wie sich die Kommandosoldaten von ihren Stühlen erhoben und sich gegenseitig eindeutige Blicke zuwarfen. Es waren Blicke voller Vorfreude.

Er brauchte nicht lange zu suchen, um Laura zu finden. Die Soldatin saß inmitten des Gartens auf einer Parkbank unter einer Dattelpalme. Dattelpalmen wurden für gewöhnlich fünfzehn bis zwanzig Meter groß. Diese waren jedoch genetisch verändert und erreichten eine Höhe von maximal fünf Metern. Ihre Blätter mit den reifen Früchten hingen nur wenige Zentimeter über Lauras Kopf.

Noch während Alan sie beobachtete, fischte sie sich eine der Früchte vom Zweig, öffnete sie, um den Stein zu entfernen, und steckte sie sich anschließend in den Mund.

Die beachtliche Menge an Dattelsteinen auf dem Boden bewies, dass sie schon eine Weile hier saß. Alan trat wortlos hinzu und setzte sich neben sie auf die Bank. Er wusste, sie hatten eigentlich nicht viel Zeit, doch er wollte sie nicht bedrängen. Sie würde ihn zur Kenntnis nehmen, sobald sie so weit war.

Die Minuten dehnten sich schier endlos. Durch den Garten strich eine angenehm kühle Brise. Alan schloss die Augen und genoss den Luftzug.

»Was willst du?«, fragte Laura plötzlich in einem ungewohnt aggressiven Tonfall.

Alan verstand sie nur zu gut und kannte sie schon lange genug, um nicht beleidigt zu sein. »Dich aus deiner Lethargie reißen.«

»Na dann viel Glück.«

»Wir haben einen Auftrag.«

»Ich bin nicht interessiert.«

Alan lächelte schmal. »Wir sind Soldaten. Es interessiert niemanden, ob wir in Stimmung für einen Auftrag sind.«

»Nicht mehr lange.«

»Wie bitte?«

»Ich bin nicht mehr lange Soldat. Ich habe entschieden, den Dienst zu quittieren.«

»Das ist in Kriegszeiten gar nicht so einfach, wie du denkst.«

»Doch, ist es«, widersprach sie. »Ich habe mich für fünf Jahre verpflichtet und dann freiwillig den Dienst verlängert. Daher kann ich den Dienst quittieren, wann immer ich will. Ich bin jetzt schon acht Jahre dabei. Das ist mehr als genug. Es reicht mir einfach.«

»Das wusste ich nicht«, entgegnete Alan und versuchte, seine Überraschung zu überspielen.

»Also, du kannst dir jedes weitere Wort sparen und wieder Soldat spielen gehen. Ich habe die Schnauze voll.«

Sie zog ein Foto aus der Tasche. Es war leicht zerknittert, doch sie strich es liebevoll glatt. Alan musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, was darauf abgebildet war.

»Er fehlt mir auch«, erwiderte er schlicht in Ermangelung besserer Worte.

Sie wandte sich ihm endlich zu. Ihre Augen blitzten und ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut. Es war die erste echte Gefühlsregung, die Alan an ihr seit Scotts Beisetzung wahrnahm.

»Was weißt du denn schon?«, fuhr sie ihn an. »Du weißt nichts über die Art Verlust, unter der ich leide.«

»Glaubst du denn wirklich, du hast ein Monopol auf Trauer und Verlust. Was denkst du, wie viele Menschen da draußen deine Trauer teilen? Wir haben unzählige Tote aufgrund des Krieges und da kommt Perck daher und zwingt uns einen weiteren, völlig unnötigen Kampf auf.«

»Sprich diesen Namen niemals wieder in meiner Gegenwart aus«, fauchte sie. »Niemals wieder, hörst du?« Ihre Stimme troff vor Hass.

»Na schön«, erwiderte er gelassen. »Dann ist es vielleicht wirklich besser, wenn du nicht mit uns kommst.«

Sie stutzte. »Du sprichst in Rätseln.«

»Coltor persönlich hat uns auf eine Mission geschickt. Man hat ihn gefunden. Den, dessen Namen ich nicht aussprechen soll.«

Ihre Augen blitzten erneut. Diesmal vor offenkundigem Interesse. »Ist das sicher? Oder wieder mal so eine Falschmeldung wie so häufig in den vergangenen Monaten?«

»Sicher ist es keineswegs, aber die Anhaltspunkte sind konkret genug, um ein ROCKETS-Team loszuschicken. Das sagt eigentlich schon alles.«

»Und die Missionsparameter?«

Alan schnaubte. »Coltor war in seiner Wortwahl sehr deutlich: Aufklärung, aber nicht selbst eingreifen. Sollte sich Percks Anwesenheit bestätigen, rufen wir die Flotte, die den Rest übernimmt.«

Laura zuckte zurück, als hätte eine Giftschlange sie gebissen. »Das ist doch wohl nicht sein Ernst?!«

Alan schmunzelte leicht. »Nun ja, das sind zumindest seine Befehle.«

Laura neigte leicht den Kopf. »Aber?«

Alan stand auf und sah mit versteinerter Miene auf sie herab. »Aber sollte sich nur die geringste Möglichkeit bieten, dann schalten wir Perck aus. Ganz egal, was Coltor oder sonst jemand davon hält.«

Alan drehte sich um und schlenderte Richtung Gebäude zurück. Hinter sich hörte er, wie Laura von der Parkbank aufstand und ihm folgte.

4

Währenddessen beschäftigte sich Dereks Verstand mit ganz anderen Gedanken. Rainbow. Er hatte immer gehofft, eines Tages in die Heimat zurückkehren zu können, doch wirklich damit gerechnet hatte er nicht. Und nun schickte man ihn als Teil einer Invasionstruppe dorthin. Er war Teil einer Operation mit dem Ziel, seine Heimat zu befreien.

Eigentlich hätte er sich beflügelt fühlen müssen, doch Tatsache war, er fühlte im Augenblick rein gar nichts. Dies war eine Erkenntnis, die ihn zutiefst verwunderte. Von allen Gemütsregungen, die er sich bei einer solchen Nachricht hatte vorstellen können, wäre das völlige Fehlen von Gefühlen das Letzte gewesen, was er erwartet hätte.

Das Shuttle setzte sanft auf und der Pilot fuhr die Rampe aus. Derek stieg aus und atmete zum ersten Mal seit einer Woche wieder die künstliche, aufbereitete Luft von Neu-Johannesburg ein.

Nach dem Abflauen der Kämpfe war das 171. auf den Mars zurückbeordert worden, um dort bei den Aufräumarbeiten und der Aufrechterhaltung der Ordnung zu helfen.