Der Schock - Marc Raabe - E-Book
SONDERANGEBOT

Der Schock E-Book

Marc Raabe

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ohne Rücksicht auf Verluste - Bestseller-Autor Marc Raabe garantiert schlaflose Nächte! Bei einem Unwetter an der Cote d'Azur begegnet Laura Bjely ihrem schlimmsten Alptraum. Ihr Freund Jan findet später nur noch ihr Smartphone – mit einem verstörenden Film im Speicher. Kurz darauf wird in Berlin die Leiche von Jans Nachbarin entdeckt. Auf ihrer Stirn steht eine blutige Nachricht. Allen Warnungen zum Trotz sucht Jan weiter nach Laura. Dabei stößt er auf einen Abgrund aus Wahnsinn und Bösartigkeit. Vom Autor des Spiegel-Bestsellers »Schnitt«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Jan Floss braucht dringend eine Auszeit. Seine Schwester Katy organisiert einen spontanen Trip nach Südfrankreich. Mit von der Partie sind Greg und Laura, Jans heimliche Jugendliebe. Vom ersten Moment an ist der alte Zauber zwischen den beiden wieder da.

Doch dann verschwindet Laura, inmitten von einem Unwetter. Jan findet nur ihr Handy, mit einem gespenstischen Film im Speicher. Für ihn steht fest: Laura ist etwas zugestoßen, auch wenn niemand anders daran glauben will.

Ihre Spur führt nach Berlin, und je tiefer Jan bei seiner Suche in Lauras Vergangenheit gräbt, desto mehr verstrickt er sich in einen düsteren Alptraum. Plötzlich wird er von der Polizei und einem psychopathischen Phantom gejagt. Als schließlich sein Leben auf Messers Schneide steht, muss er sich fragen: Wer ist Laura wirklich?

Der Autor

Marc Raabe, 1968 geboren, ist Geschäftsführer und Gesellschafter einer Fernsehproduktion. Schnitt war sein Debüt und wurde sofort zum Bestseller. Marc Raabe lebt mit seiner Familie in Köln.

Von Marc Raabe ist in unserem Hause bereits erschienen:

Schnitt

Marc Raabe

Der Schock

Psychothriller

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juni 2013© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013

ISBN978-3-8437-0452-6

Umschlaggestaltung: Büro für Gestaltung – Cornelia NiereTitelabbildung: © plainpicture/Arcangel; © Büro für Gestaltung – Cornelia Niere (Blutstrahl)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

eBook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Für Meike und meine Jungs.

Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

ENGLISCHES SPRICHWORT

Prolog

Berlin, 26. Dezember 1969

Froggy war zehn Jahre alt, oder, um genau zu sein: 3709 Tage. Und Tag für Tag wünschte er sich verzweifelt, dass sich etwas änderte.

Froggy war nicht blöd. Er wusste, dass es eiserne Regeln gab. Eine dieser Regeln war, dass Wünsche nicht in Erfüllung gingen. Dennoch hoffte er.

Es war der zweite Weihnachtsfeiertag, am späten Abend. Es hatte geschneit, und die ganze Welt erstickte unter einer weißen Haut. Eiskristalle glühten unter den Straßenlaternen wie Phosphor. Das Einfamilienhaus mit seinem Walmdach lag wie ein Fremdkörper zwischen den klotzigen Mehrfamilienhäusern.

Froggy war ein paar Schritte die dunkle Flurtreppe hinabgeschlichen, nun lag er bäuchlings auf den unbequemen Stufen und starrte zwischen ihnen hindurch ins Wohnzimmer. Durch die Sprossenfenster der Wohnzimmertür hatte er den Fernseher gut im Blick.

Seine Eltern saßen weiter rechts auf dem Sofa, verborgen in der Nische, aus der sie sich den Rest des Abends nicht mehr hervorschälen würden. Ab und an quollen bläuliche Schlieren von Zigarettenrauch von dort hervor.

Nach dem Spielfilm kamen die Spätnachrichten. Froggy hasste Nachrichten. Ständig dieser stocksteife Typ, der sprach wie eine Maschine, zwischendurch nichts als langweilige Bilder, und wenn man Glück hatte mal ein paar Tote.

Heute gab es gar keine Toten.

Müdigkeit kroch ihm in die Augen. Er wünschte sich einen Knopf, der ihn zum Spätfilm katapultierte.

Als ihm die Augen zufielen, träumte er von Jenny.

Sie war so alt wie er, und er träumte oft von ihr, fast immer den gleichen Traum. Er kam ihr näher, streckte die Hand nach ihr aus, konnte sie riechen, wollte ihre Schulter berühren, wollte, dass sie sich umdrehte und ihn ansah. Aber jemand stieß ihm schmerzhaft in die Rippen und lachte höhnisch.

Mit einem Ruck öffnete er die Augen.

Er lag immer noch auf der Treppe. Die Kante der Stufe drückte ihm in die Rippen. Der Schlafanzugärmel, auf dem sein Kopf lag, war feucht, und aus seinem Mundwinkel rann ein Speichelfaden.

Hatte er etwa … geschlafen?

Er schrak zusammen, sah zum Fernseher. Die Nachrichten waren vorbei. Der Spätfilm lief.

O nein! Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können! Sein Blick flog panisch hinüber zur Nische. Ein dünner Faden Rauch schwebte aus der Ecke. Er atmete auf. Sie saßen immer noch da, wie festgewachsen.

Zeit zu verschwinden. Lautlos spannte er die dünnen Muskeln und richtete sich auf. Zufällig fiel sein Blick noch einmal auf den Fernseher, und er erstarrte mitten in der Bewegung. Da war ein Mann auf der Mattscheibe. Sein ganzer Kopf war mit einem breiten Wundverband umwickelt, nicht einen Zentimeter Haut konnte Froggy erkennen. Ganz langsam, mit ebenfalls verbundenen Händen, löste der Mann die Bandagen von seinem Kopf.

Wie elektrisiert starrte Froggy auf die Szene.

Denn hinter dem Verband war – nichts.

Einfach nichts.

Der Mann war unsichtbar!

Froggy bekam eine Gänsehaut. Plötzlich war ihm alles egal. Der feuchte Ärmel seines Schlafanzugs, dass er eingeschlafen war, dass er entdeckt werden könnte. Er musste diesen Film sehen.

Als der Abspann lief, fühlte er sich wie ein Astronaut, der vom Himmel fiel. Mit steifen Armen und Beinen schlich er nach oben, schlüpfte in die Enge seines Kinderzimmers. Der Widerschein der Straßenlaternen warf giftiges Licht durchs Fenster. Müde trat er an sein Bett und erschrak bis ins Mark.

Da saß jemand.

Eine massige Gestalt, die nach Rauch stank, und nach Alkohol. Die Gestalt erhob sich von der Matratze, ein schwarzes Gespenst vor der gelbgrau erleuchteten Tapete. In der Hand der Gestalt baumelte ein Ledergürtel.

»Deine Ma hat dich auf der Treppe gesehen«, sagte sein Vater. Seine Stimme klang schwer und müde, aber dennoch klar, obwohl der Geruch aus seinem Mund etwas anderes erwarten ließ.

Froggy begann zu zittern.

»Weißt du, wie viel Kummer ihr das macht, dass du so bist?«

Froggy schwieg. Es machte ihm ja selbst Kummer. Am liebsten wäre er gar nicht da gewesen.

»Ich könnte dir ja verzeihen«, sagte sein Vater. »Ich weiß ja, woher’s kommt. Aber sie weiß es auch. Na ja, und sie hasst mich dafür. Mich! Weißt du, wie weh das tut?«

Froggy biss sich auf die Lippen. Ja! Wusste er! Er hasste sich ja auch dafür. Und er versuchte schon sein ganzes Leben, ein anderer zu sein.

Als er seine Strafe bekam, biss er sich auf die Zunge. Der metallene Geschmack half ihm, nicht zu schreien. Er wollte verschwinden, aus sich heraustreten, nicht mehr da sein.

Sein Vater keuchte vor Anstrengung, als er ging. Sein Schweiß hing noch in der Luft. Froggy lag bäuchlings auf seinem Bett, mit schmerzendem Rücken. Er kam sich erbärmlich vor, schwach, und wollte sich selbst in die hinterste Ecke seiner Seele verkriechen, dorthin, wo ihn niemand sah und wo er still in sich hineinheulen konnte.

Sehnsüchtig dachte er an den Film, den er eben noch gesehen hatte. Wäre er doch nur unsichtbar, wie dieser Mann.

Wer unsichtbar war, der konnte auch nicht dumm auffallen – oder ausgelacht werden. Und vor allem: Wer unsichtbar war, der konnte auch nicht bestraft werden.

Der Wunsch überkam ihn, wie ein Schwarm Heuschrecken, dunkel und brausend. Wenn er unsichtbar wäre, dann könnte er alles tun, was er wollte!

Und niemand könnte ihn davon abhalten.

Seine Religionslehrerin schoss ihm in den Sinn. Sie hatte einmal von einem Arzt für Verrückte erzählt. Der hatte herausgefunden, dass Menschen verschiedene Wesen in sich haben. Es gab ein Es, so etwas wie ein gefräßiges Tier, und dann ein Über-Ich, wie seine Mutter, die alles kontrollierte, und irgendwo dazwischen war man selbst, jedenfalls wenn man normal war.

Aber wenn man so war wie dieser Mann im Film, dann gab es kein Über-Ich mehr. Dann war niemand mehr über einem.

Das musste großartig sein.

Er stellte sich vor, wie er in das Haus von Jennys Eltern schlich, in Jennys Zimmer, ohne dass sie ihn sehen konnte, wie er sie beobachtete, ihr beim Ausziehen zusah, bis sie ganz nackt war, wie die Frauen in Vaters Zeitschriften. Oder er konnte Herrn Broich, seinem Deutschlehrer, ein Bein stellen, am besten kurz vor dem Bordstein. Wenn er sich dann die Vorderzähne ausschlug, dann würde Broich endlich wissen, wie es sich anfühlte, ständig von allen begafft zu werden.

Langsam erhob er sich aus seinem Bett. Sein Rücken loderte vor Schmerzen. Er trat ans Fenster und öffnete es sperrangelweit. Die eisige Winterluft überzog seinen Rücken wie Raureif. Sein Atem dampfte.

Wäre ich unsichtbar, dachte er, würde man jetzt nichts von mir sehen als diese Atemwolke.

Wäre ich unsichtbar, dann könnte ich jetzt ins Schlafzimmer von Ma und Pa schleichen. Ich könnte Pa die Hoden abschneiden und sie ihm in seine gelbe Fresse stopfen. Bis er dran erstickt.

Und Ma sollte zusehen. Das würde ihr eine Lehre sein.

2011

Kapitel 1

Èze – Côte d’Azur, 17. Oktober, 21:55 Uhr

Der Moment, als das Handy klingelte, war für Jan Floss der Moment, in dem alles losbrach.

17 Minuten zuvor hatte Jan nichtsahnend vor dem Panoramafenster gestanden und durch seine eigene Spiegelung hindurch in die Dunkelheit gestarrt. Vierhundert Meter unter ihm brandete das Meer. Das Azurblau der Côte d’Azur hatte sich in schwarzes Blei verwandelt, und der Himmel schien direkt ins Meer zu fließen.

Es goss in Strömen, bereits seit drei Tagen, und eine für diesen Teil der Küste untypische klamme Kälte kroch ihm in die Glieder. Verdammte Heizung. Verdammtes Haus. Seit wie vielen Jahren war sein Vater nicht mehr hier gewesen? Eigentlich seit Mutter ausgezogen war. Und da war Jan gerade zehn geworden. Also seit 24 Jahren. Kein Wunder, dass in diesem Haus nichts mehr funktionierte. Was für eine Schnapsidee, ausgerechnet hierher zu kommen. Zu wenig Heizung, zu viele Erinnerungen.

Seit drei Tagen hockten sie jetzt zu viert hier aufeinander, in einem 120-qm-Ferienhaus, von dem gerade einmal 30 qm halbwegs bewohnbar waren: das alte Elternschlafzimmer und das große Wohn- und Esszimmer mit dem Panoramafenster. Theos altes Kinderzimmer war immer noch abgeschlossen, als würde sein Geist hinter der Tür hausen. Jan wusste nicht, wo der Schlüssel für diese Tür war. Und selbst wenn er es gewusst hätte, er hätte es nicht über sich gebracht, sie zu öffnen.

Greg, Katy und Laura hatten es nicht mehr ausgehalten und waren mit Gregs Jeep zum Einkaufen runter in die Stadt – nach Beaulieu-sur-Mer, kurz vor Nizza.

Jan hatte sich entschieden zu bleiben. 30 qm Haus gegen 4 qm Auto tauschen? Nein danke! Erst recht nicht bei diesem Regen. Außerdem konnte er seiner 37-jährigen Schwester Katy nicht länger dabei zusehen, wie sie Greg anhimmelte, ganz so als gäbe es weder ihren Mann noch ihre Zwillinge. Dazu kam, dass Jan dem Einkaufen in Supermärkten nichts abgewinnen konnte. Endlose Regale, knallbunte Produkte und pausenloses Werbegedudel. Über Jahre hatte er diesen Mist und seine Wirkung auf Kunden untersucht. Die Psychologie von Tütensuppen war viel zu lange sein Lebensinhalt gewesen.

Als Greg und Katy verkündet hatten, dass sie nach Beaulieu-sur-Mer wollten, hatte Jan gehofft, dass Laura blieb. Die Erinnerung an letzte Nacht ließ sein Herz immer noch schneller schlagen. Doch Laura litt offenbar ebenfalls unter dem Hütten-Koller, war in ihre Gummistiefel gestiegen und hatte mit Greg und Katy das Haus verlassen.

Jan starrte durch die Scheibe. Sein Spiegelbild trat deutlich auf dem Glas hervor; das erschöpfte Gesicht eines 34-jährigen Einzelgängers. Seine braunen Augen waren schwarze Punkte; seine dunklen Haare standen wild von seinem Kopf ab, so wie ihm die Gedanken durchs Hirn flogen. Und dann war da noch das Feuermal, das sich wie eine rötliche Insel von seiner linken Schläfe über die Wange bis hinab zum Mundwinkel zog. Nach der Sache mit Theo war es ihm immer vorgekommen, als hätte jemand da oben vorgehabt, ihn schon bei seiner Geburt zu brandmarken. Seht her, dieser Junge zieht das Unglück an. Seid vorsichtig. Meidet ihn.

Als das Telefon klingelte, griff Jan einfach nach rechts, drückte blind die grüne Taste und hob das Gerät ans Ohr. Da sprudelte ihm schon ihre Stimme entgegen.

»Hey. Katy hier. Sag mal, ist Laura bei dir?«

»Was?«, fragte Jan.

»Spreche ich Spanisch? Ob Laura bei dir ist.«

Jan runzelte die Stirn. »Also eben hat sie noch neben dir im Auto gesessen, aber wart mal«, meinte Jan, »ich seh mal gerade nach, vielleicht steht sie hinter der Gardine hier.« Er wedelte lautstark mit dem Stoff. »Ups. Nein. Da ist sie nicht.«

»Haha. Sehr witzig, Bruderherz.«

»Garbage in, garbage out«, sagte Jan lakonisch.

»Hä?«

Er seufzte. »Na, wenn die Frage Müll ist, dann ist die Antwort eben auch Müll.«

»Kannst du mal aus deiner destruktiven Stimmung aussteigen und mir bitte helfen?«

»Ich bin nicht destruktiv«, sagte Jan, »mir geht’s nur nicht besonders gut.«

»Kannst du mir jetzt bitte einfach sagen, ob Laura bei dir ist. Oder ob sie sich bei dir gemeldet hat.«

»Ist Laura denn weg?«

»Wie vom Erdboden verschluckt. Sonst würde ich ja wohl kaum fragen.«

»Wo seid ihr denn gerade?«

»Beim Supermarkt.«

»Bei welchem Supermarkt?«

Katy schnaubte. »Dem Hypermarché. Am Ortseingang von Beaulieu. Wo denn sonst. Könntest du mir jetzt einfach mal meine Frage beantworten?«

»Du hast dir deine Frage gerade selbst beantwortet.«

Katy stöhnte in den Hörer.

»Katy, bitte! Ihr seid vor ’ner halben Stunde losgefahren. Bis da unten braucht man mit dem Auto zehn Minuten. Den Berg hoch zu Fuß braucht man erheblich länger. Wenn Laura also nicht schon auf der Fahrt aus dem Auto gesprungen ist, weil sie Gregs Gequatsche nicht mehr ertragen hat, dann kann sie noch gar nicht hier sein.«

»Herzlichen Dank für den Kurzlehrgang in Sachen Logik! Ich mach mir einfach Sorgen, okay? Laura ist weg, und wir haben keine Ahnung, wieso. Also, wenn sie sich bei dir meldet oder bei dir auftaucht, dann sag wenigstens Bescheid«, sagte Katy bissig und legte abrupt auf.

Jan seufzte, als es in der Leitung knackte. Sofort tat ihm leid, dass er es mal wieder nicht hatte lassen können. Es war immer das Gleiche. Wenn er mit Katy sprach, saßen tausend kleine Teufel in seinem Gehirn, und er verfiel in Verhaltensmuster, die eher zu einem bockigen Teenager passten als zu einem erwachsenen Mann.

Er starrte hinaus in den Regen. Die Felskante, hinter der es steil abwärts zum Meer ging, war nur noch ein unscharfer gezackter Schatten in der Dunkelheit. Er dachte an Laura. Ihr Gesicht sah so ganz anders aus als damals in der Schule. Voller. Erwachsener. Nicht nur weil sie älter geworden war – da war noch etwas anderes. Etwas Verschlossenes, das ihn faszinierte, oder besser gesagt, ihn magisch anzog.

Schon damals in der Schule, mit 14, hatte Lauras Nähe ihn immer in Not gebracht. Sein Kopf wurde heiß, und er wusste nur zu gut, dass auch sein Feuermal dann noch deutlicher hervortrat. Dennoch suchte er immer wieder ihre Nähe. Nachts hatte er dann so intensive Träume, dass er tags darauf nur noch verlegener beiseitesah, wenn sich ihre Blicke trafen. Er wusste nicht, wie er mit all diesen Gefühlen fertig werden sollte, er kam sich dumm vor und irgendwie schuldig, als ob das alles nicht normal sei, was ihn da überwältigte.

Dann war Laura plötzlich weg gewesen, von einem Tag auf den anderen. Später erfuhr er, dass sie die Schule gewechselt hatte, aus einem Grund, den er bis heute nicht kannte. Seitdem hatte er sie nicht mehr gesehen – bis Katy diesen unseligen Trip nach Frankreich vorgeschlagen hatte.

Er sah nach links, zu der schmalen Straße, die sich den Hang nach Èze emporwand. Das Wasser floss in breiten Bächen bis zum Wendehammer vor dem Haus und sammelte sich in großen Pfützen. Zu verschwinden, das schien irgendwie eine Eigenart von Laura zu sein. Aber warum ausgerechnet in einem französischen Kaff, bei diesem Wetter, vor einem Supermarkt, der in wenigen Minuten schloss? Ihm wurde mulmig.

Instinktiv griff er zum Handy. Lauras Nummer hatte er nicht, also rief er Katy an.

Ihr gewünschter Gesprächspartner ist vorübergehend nicht erreichbar, tönte es aus dem Handy.

Na großartig! Und jetzt?

Für einen Moment kam er sich albern vor. Eine erwachsene Frau verschwand für ein paar Minuten, und schon drehte er durch. Es liegt am Regen, dachte er. Immer wenn es so regnet, drehst du durch.

Er schloss die Augen und lehnte sich mit der Stirn an die Scheibe. Das Glas drückte kalt gegen seine Haut.

Vermutlich saßen die drei im Jeep und waren irgendwo auf der Küstenstraße, auf dem Weg zu ihm. Auf der Corniche gab es bestimmt einige Stellen, an denen das Mobilfunknetz nicht gut funktionierte.

Noch zehn Minuten. Vielleicht auch etwas mehr. So lange dauerte es mit dem Wagen vom Hypermarché bis vors Haus.

So lange würde er noch warten.

Kapitel 2

Beaulieu-sur-Mer – Côte d’Azur, 17. Oktober, 22:05 Uhr

Die straffe Haut hatte kurz Wiederstand geleistet, dann war die Kanüle mit der scharfen V-förmigen Spitze eingedrungen. Unter der Haut schimmerten bläuliche Venen. Der dünne Schlauch an der Kanüle hatte sich mit Rot gefüllt. Eine weitere Ader, mit einem kleinen weißen Plastikhahn.

Dahinter war der Schlauch noch jungfräulich. Durchsichtig.

So lange, wie er es wollte.

Er begann sie zu rasieren. Nass. Etwas von dem weißen Schaum kleckste auf den Stahltisch. Frisch gefallener Schnee mit dunklen Schamhaaren. Eben hatte sie sich noch gewehrt. Gebettelt. Gerüttelt. Als er die Dreifachklinge nah ihrer Klitoris angesetzt hatte, war sie erstarrt. Jetzt flennte sie nur noch. Das beschissene Salz in den Tränen verdarb den Teint. Er musste sie wegtupfen, dabei hatte er gleichzeitig auf so vieles zu achten.

Der elektrische Gabelstapler stand bereit. Seit fünfzig Minuten härteten die ersten zwanzig Zentimeter auf dem Boden von Wanne eins aus. Es roch dementsprechend beißend. Die Lüftung lief auf Hochtouren. Sein Schwanz auch. Jeder Zug der Rasierklinge ließ ihn pulsieren.

Sie starrte an die Decke und flennte weiter.

Prinzessinnen flennten nicht.

Nicht seine.

Das nahm er ihr übel.

Selbst wenn es seinem Schwanz gefiel. Er wischte die Sauerei mit den viel zu dunklen Haaren weg. Kletterte auf die Stahlplatte. Stand über ihr, sein Glied wie ein Revolver. Jetzt sah sie ihn und wusste, dass es so weit war. Scheiße, es hatte lange gedauert. Aber jetzt war es so weit.

Er drang in sie ein, stieß zu, legte seine Linke um ihren Hals und drückte. Nur keine Würgemale. Mit der Rechten löste er die kleinen weißen Plastikhähne. Blut floss in die beiden Schläuche, und da, wo sie endeten, plätscherte es zu Boden. Sie wurde blasser und sein Schwanz immer noch steifer. Der Gestank der Chemikalien, der metallische Geruch des Blutes, seine heißlaufenden Erinnerungen, das alles war ein einziger großer Strudel.

Dann platzte etwas. Und spritzte.

Er sah auf. In Wanne eins lief Fixierer aus der Leitung, direkt ins Becken. Er sprang auf, wäre beinah in der klebrigen roten Lache ausgerutscht, und rannte zum Becken.

Aber es war schon zu spät.

Verfluchte Scheiße.

Der Zeitplan war im Arsch.

Er starrte auf den defekten Verbinder. Musste an den Verkäufer denken, der ihm das Zeug angedreht hatte. ›Klar ist das sicher. Das ist Plastik. Das hält ewig.‹ Schwachkopf, beschissener! Am liebsten hätte er ihm jeden Finger einzeln abgeschnitten.

Das war vor drei Tagen gewesen, in Berlin.

Heute musste er zugeben: Ohne die geplatzte Leitung wäre er sicher nicht noch einmal losgefahren. Dann hätte er sie nicht gesehen. Und dann wäre er jetzt nicht hier: im Regen, auf einem einsamen Parkplatz vor einem französischen Hypermarché.

Er konnte es förmlich riechen. Und sehen. Sie hatten Angst, der große Blonde und die Dunkelhaarige. Wie sie ums Auto staksten! Wie zwei blöde Flamingos.

Die Angst hüllte sie ein wie eine schwere süße Wolke Parfüm, die er gierig mit weit geöffneten Nasenflügeln einsog. Seit zwanzig Minuten waren sie in dieser Wolke, suchten, telefonierten und wurden pitschnass im Regen. Jetzt steckte die hübsche Dunkelhaarige wütend ihr Handy ein. Auch ihr Lover, der All-American-Boy mit seinem scheißbraunen Teint, sah nicht gerade glücklich aus. Eher so, als wünschte er sich auf sein Surfbrett nach Venice Beach.

Dann sah er sie.

Sie kam aus dem Supermarkt, ganz selbstverständlich, als wäre sie nicht mehr als ein paar Sekunden weg gewesen. Sie hatte diese Anmut in ihrem Gang. Der Schwung ihrer langen Haare erschlug ihn, und das obwohl sie nicht blond waren. Alles an ihr erschlug ihn. Das schmale Gesicht mit den so klaren Wangenknochen, wie eine Heilige, und dann die Augen, die wegen der hochstehenden Brauen immer etwas überrascht aussahen – und zugleich merkwürdig teilnahmslos, als würden sie eine stille Trauer verbergen. Trauer. Verbergen. Wie gut er das kannte! Sie war schon jetzt wie ein Teil von ihm. Und die Sache mit den Haaren – nun ja, Haare konnte er färben. Oder bleichen.

Bereits in Berlin, als er sie zufällig am Straßenrand gesehen hatte, wie sie mit ihrer Reisetasche zu den anderen stieß, hatte es ihm den Atem verschlagen. Er war auf dem Weg gewesen, Ersatzteile zu besorgen. Instinktiv hatte er auf die Bremse getreten und durch das getönte Heckfenster gespäht. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte geschworen, es gäbe so etwas wie Wiedergeburt, so sehr erinnerte sie ihn an Jenny.

Als sich der Cherokee-Jeep mit ihr und den anderen in Bewegung setzte, hatte er sich blitzschnell entscheiden müssen – für einen Blindflug. Ohne Planung, ohne Anlauf. Nicht einmal aufräumen konnte er vorher noch. Entweder alles stehen und liegen lassen – oder sie verlieren. Und verlieren war nicht drin. Dafür war sie zu besonders.

Also war er ihr gefolgt, 1324 Kilometer lang, bis hierher. Eine Rast auf der Autobahn hatte er genutzt, um das Kennzeichen zu wechseln. Er hatte immer eins in Reserve. Ebenso wie all das andere.

Als sie in Èze angekommen waren, hatte das Warten begonnen. Es war ihm elend schwergefallen. Erst am gestrigen Abend gab es endlich eine Gelegenheit. Sein Herz hatte schneller geschlagen, als sie alleine vor die Tür getreten war und sich eine Zigarette angesteckt hatte. Er hatte die Waffe gehoben, angelegt, die Sehnen in seinem Zeigefinger gespannt bis zum Äußersten – und dann, im letzten Augenblick, war er aufgetaucht.

Verfluchter Wichser!

Und dieses Feuermal. Dunkel, violett und hässlich. Er hatte es eine Weile mit dem Fadenkreuz des Zielfernrohrs anvisiert, sich vorgestellt, was eine Kugel anrichten würde. Da hatte er noch gehofft, dass der Kerl irgendwann wieder zurück ins Haus ging.

Stattdessen hatte er sie angegraben. Angetatscht. Besitz von ihr ergriffen.

Während er den beiden zusehen musste, quälte ihn das gleiche stechende Gefühl, das ihn schon damals gequält hatte, als er noch Froggy war – nur Froggy – und ertragen musste, wenn die anderen Jenny beim Tanzen mit ihren Blicken auszogen.

Das Zielfernrohr hatte alles unerträglich nah herangerückt. Erst als sie plötzlich erstarrte und Mr Feuermal wegen irgendetwas wütend ansah, gab es einen kurzen Moment Hoffnung. Vielleicht schickte sie ihn ja zum Teufel. Hauptsache er verschwand! Stattdessen ließ sie ihn stehen und verschwand selbst im Haus.

Scheiße.

Also weiter warten und sich zügeln.

Er war durch eine harte Schule gegangen, was das betraf. Aber jetzt und hier, auf dem Parkplatz vor diesem Supermarkt, konnte er sich kaum mehr beherrschen. Die Erregung packte ihn, sein Glied schwoll an, ein Gefühl von uneingeschränkter Macht und Kraft füllte ihn aus wie Magma. Er starrte sie an, aus seiner Höhle unter der schwarzen Kapuze. Der vom Regen feuchte Stoff lag kalt auf seiner nackten Kopfhaut.

Bleib ruhig, mahnte er sich. Konzentrier dich!

Er sah, wie der dunkelhaarige Flamingo auf sie zustürmte und wild gestikulierte. Wie schmeckte eigentlich Flamingo? Er überlegte, ob er jemals Flamingo-Fleisch gegessen hatte und welche Farbe es wohl hatte. War es rosa?

Jetzt stiegen sie ins Auto ein.

Die Lichter des Cherokee flammten auf. Der Jeep wendete rasch, und die Scheinwerfer streiften ihn, wie ein Spot einen Tänzer streift, der noch am Rand steht und darauf wartet, dass seine Musik einsetzt.

Kapitel 3

Beaulieu-sur-Mer – Côte d’Azur, 17. Oktober, 22:07 Uhr

Laura hatte sich kaum auf die Rückbank des Cherokee gesetzt, als Greg schon das Gaspedal trat und scharf wendete. Die Fliehkraft riss an der Tür, und Laura schaffte es nur mit Mühe, sie zu schließen.

»Würdest du mir bitte einen Gefallen tun und nicht fahren wie ein Teenie auf Speed«, schnappte Laura.

»Klar«, knurrte Greg, »wenn du uns das nächste Mal Bescheid sagst, bevor du für zwanzig Minuten auf dem Supermarktklo verschwindest. Und das auch noch kurz vor Ladenschluss! Wir haben uns Sorgen gemacht.«

»Glaubst du, mir macht das Spaß? Es ging halt nicht anders.«

»Es ging nicht anders?«

»Ich bin ’ne Frau, verdammt!«

»Ach ja?«, knurrte Greg. »Und Frauen können nicht Bescheid sagen?«

Laura rollte mit den Augen. »Katy, erklär du’s ihm bitte, ja.«

Katy schwieg, drehte den Kopf zur Seite und sah zum Fenster hinaus.

»Ach, Scheiße«, murmelte Laura. Sie wusste, dass Greg recht hatte – irgendwie. Und den Teil, wo er nicht recht hatte, den vollgesogenen Tampon, die blutige Hose und die ganzen übrigen Scherereien, diesen Teil konnte und wollte sie nicht erklären.

Sie beugte sich leicht nach vorne; etwas Regen war ihr unter den Kragen der Jacke gelaufen, und jetzt klebte die nasse Kleidung an ihrem Rücken. In ihrem Bauch rumorte es immer noch, und zwischen Becken und Rückenwirbeln tobte ein krampfartiger Schmerz, ganz zu schweigen von den Kopfschmerzen und der Übelkeit. Sie hatte gestern schon geahnt, dass es wieder so weit war. Doch wie immer hatte sie es verdrängt, bis es aus ihr herausbrach.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!