Der schwarze Falter - Georgette Heyer - E-Book
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Der schwarze Falter E-Book

Georgette Heyer

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Beschreibung

England, 1750: Elegant und in Schwarz und Silber gekleidet - so kennt man den Herzog von Andover, auch genannt "der schwarze Falter". Er ist berühmt und berüchtigt für seine Spielschulden und unzählige skandalöse Liebschaften. Als neues Opfer hat er die bezaubernde Diana Beauleigh erkoren, die er eines Nachts entführen will. Aber dabei stellt sich ihm der mutige Straßenräuber Jack Carr entgegen, der bei dieser Rettungsaktion schwer verwundet wird. Die dankbare Diana pflegt ihren Retter wieder gesund - nicht ahnend, dass es sich in Wirklichkeit um den in Verbannung lebenden Lord John Carstares handelt, der vor Jahren eines Verbrechens bezichtigt wurde, das er nicht begangen hat ...

"Der schwarze Falter" (im Original: "The Black Moth") ist Georgette Heyers erster Roman, den sie bereits im Alter von siebzehn Jahren schrieb. In diesem spannenden Abenteuerroman lassen sich bereits viele ihrer beliebten Themen erkennen: ein historisches Setting, außergewöhnliche Protagonisten und die zentrale Bedeutung von Freundschaft und Liebe.

"Spielschulden, schöne Frauen, gezinkte Karten und allerlei Ehrenhändel: Wer dem Herzog von Andover folgt, wird keine Minute Langeweile haben." Norddeutsche Nachrichten

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

I. Im Chequers Inn, Fallowfield

II. Mylord im White Hart

III. Sir Richard Carstares tritt auf

IV. Lady Lavinia Carstares tritt auf

V. Seine Gnaden, der Herzog von Andover

VI. Bath, Queen Square 29

VII. Man lernt einige neue Persönlichkeiten kennen

VIII. Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein

IX. Lady O'hara greift ein

X. Lady O'hara zieht sich zurück

XI. Mylord spielt den rettenden Engel und kommt dabei um ein Haar wirklich in den Himmel

XII. Mylord diktiert einen Brief und empfängt Besuch

XIII. Mylord macht seine erste Aufwartung

XIV. Mistress Diana vergisst, was sich schickt

XV. Sir Miles fasst einen Entschluss

XVI. Mr. Bettison macht einen Heiratsantrag

XVII. Ein Punkt für Lady O'hara

XVIII. Captain Harold Lovelace tritt in Erscheinung

XIX. Seine Gnaden, der Herzog von Andover, taucht wieder auf

XX. Der Herzog von Andover beteiligt sich am Spiel

XXI. Mrs. Fanshawe entfacht ein Feuer, und O'hara schürt die Flammen

XXII. Entwicklungen

XXIII. Lady Lavinia geht ins Theater

XXIV. Richard zeigt, dass er ein Mann ist

XXV. Der Herzog von Andover nimmt die Königin gefangen

XXVI. Mylord macht sich auf, um die Pläne seiner Gnaden zu durchkreuzen

XXVII. Mylord klettert durchs Fenster

XXVIII. Die Tragödie wird zur Komödie

XXIX. Lady O'hara triumphiert

Epilog

Über dieses Buch

England, 1750: Elegant und in Schwarz und Silber gekleidet – so kennt man den Herzog von Andover, auch genannt »der schwarze Falter«. Er ist berühmt und berüchtigt für seine Spielschulden und unzählige skandalöse Liebschaften. Als neues Opfer hat er die bezaubernde Diana Beauleigh erkoren, die er eines Nachts entführen will. Aber dabei stellt sich ihm der mutige Straßenräuber Jack Carr entgegen, der bei dieser Rettungsaktion schwer verwundet wird. Die dankbare Diana pflegt ihren Retter wieder gesund – nicht ahnend, dass es sich in Wirklichkeit um den in Verbannung lebenden Lord John Carstares handelt, der vor Jahren eines Verbrechens bezichtigt wurde, das er nicht begangen hat ...

Über die Autorin

Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.

Georgette Heyer

Der schwarze Falter

Aus dem Englischen von Hanna Lux

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Copyright © Georgette Heyer, 1921

Die Originalausgabe THE BLACK MOTH erschien 1921 bei William Heinemann.

Copyright der deutschen Erstausgabe:

© Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1971.

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Richard Jenkins Photography, © piolka _ GettyImages

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0306-2

www.lesejury.de

Prolog

Mit der üblichen Sorgfalt ganz in Schwarz und Silber gekleidet, das rabenschwarze Haar ungepudert, Diamanten an den Fingern und der Krawatte, saß Hugh Tracy Clare Belmanoir, Herzog von Andover, am Schreibtisch in der Bibliothek seines Stadthauses und schrieb.

Er hatte kein Rouge aufgelegt, und die beinahe unnatürliche Blässe seiner Wangen schien durch einen kleinen dunklen Fleck unter dem rechten Auge wie mit Absicht hervorgehoben. Die dichten Wimpern überschatteten die Augen, die schwarzen Brauen waren nach oben geschwungen, und die katzenhaften Pupillen unter den schweren Lidern funkelten grün und hatten einen seltsam durchdringenden Blick. Der Anflug eines spöttischen Lächelns umspielte die Mundwinkel seiner dünnen Lippen, während seine leichenblasse Hand über das Papier glitt.

... allem Anschein nach verfügt die liebliche Schöne über einen Bruder, der meine Verliebtheit zum Anlass nahm, mich zu fordern, was dem überheblichen Bürschchen eine gehörige Tracht Prügel eintrug, und damit endet die Affäre. Da Du, mein lieber Frank, besagter Dame ebenfalls ein gewisses Interesse entgegenbrachtest, will ich Dich hiermit ausdrücklich davon in Kenntnis setzen, dass ich ihr keineswegs zu nahe getreten bin und das auch in Zukunft nicht zu tun beabsichtige. Demzufolge solltest Du nicht mit dem Gedanken spielen, es sei Deine Ehrenpflicht, Dich wieder mit mir zu schlagen – der Blick Deiner Augen hat mir gestern deutlich verraten, dass Du das vorhast. Ich fände es außerordentlich bedauerlich, Dir ein zweites Mal auf diese Weise begegnen zu müssen, da ich es in diesem Fall als meine Pflicht erachten würde, Dir eine nachdrücklichere Lektion zu erteilen als zuvor, und das möchte ich schon der Zuneigung wegen, die ich für Dich empfinde, vermeiden.

Das, Frank, rät Dir in aller Freundschaft

Dein sehr ergebener »Teufel«

Seine Gnaden hielt inne, die Feder unentschlossen in der Hand. Dann glomm ein schwaches, hämisches Leuchten in seinen Augen auf, und er schrieb weiter.

Falls Du beabsichtigst, Dein Glück bei meiner vormaligen Angebeteten zu versuchen, gestatte mir, Dich vor dem Knirps von Bruder zu warnen, einem Raufbold, wie er im Buche steht, dem es ein Vergnügen wäre, sowohl aus Dir als auch mir Kleinholz zu machen. Ich hoffe, Dich Donnerstag auf der Queensberry Redoute zu sehen, wo Du wieder einmal Gelegenheit finden wirst, mich armes schwarzes Schaf auf den Dornenpfad der Tugend zu führen.

Der Herzog überflog das Postskriptum mit einem zufriedenen, ein wenig zynischen Lächeln. Dann faltete er das Blatt zusammen, brachte sein Siegel an und betätigte gebieterisch die neben ihm stehende Tischglocke.

Als Sir Frank Fortescue eine halbe Stunde später die Nachschrift las, entlockte sie auch ihm ein Lächeln, allerdings von anderer Art. Seufzend warf er den Brief ins Feuer.

»Und damit endet wieder eine Affäre ... Ich frage mich, ob du die Unverschämtheit besitzt, bis zum Äußersten zu gehen ...«, sagte er leise, während er zusah, wie das Papier in Flammen aufging. »Wollte Gott, du würdest dich ernsthaft verlieben – damit dich eine Frau vor dir selbst schützen kann – mein armer Teufel!«

I. Im Chequers Inn, Fallowfield

Der Wirt Chadber hatte ein rosiges Gesicht, einen stattlichen Körperbau und ein hochtrabend weltmännisches Gehabe. Seine Welt war der Gasthof, den sein Urgroßvater bereits im Jahre 1667 erworben hatte, als noch ein freundlicher Stuart auf Englands Thron saß und man sich die hannoverischen Kurfürsten nicht einmal träumen ließ.

Mr. Chadber war ein eingefleischter Tory. Kein anderer brachte dem kleinen Deutschen so viel Erbitterung entgegen, und niemand hatte sehnsüchtiger auf die Ankunft des tapferen Charles Edward gehofft als er. Allerdings – wer wollte es ihm schon übelnehmen, dass sein Patriotismus sich darin erschöpfte, auf den Erfolg von Prinz Charlies Feldzug zu trinken? Und wenn ein paar Whigs auf ihrem Weg zur Küste im Chequers einkehrten, nach einer Flasche Rheinwein riefen und Mr. Chadber dazu aufforderten, selbst ein Glas auf die Gesundheit Seiner Majestät zu leeren – wer konnte es ihm da wiederum verübeln, wenn er gehorchte? Was bedeutete eine so lächerliche Geste schon für einen Mann, der zwei Anhängern Seiner Hoheit, des Stuart, tatkräftig zur Seite gestanden war!

Es war Mr. Chadbers heimlicher Stolz, dem er nur vor seinen bewundernden Nachbarn, die seine politische Einstellung teilten, Ausdruck verlieh, dass er ohne Rücksicht auf die ihm drohende Todesstrafe zwei Überlebenden der verhängnisvollen »Fünfundvierziger Schlacht«, die es damals auf der Flucht in das ruhige Nest Fallowfield verschlug, Unterschlupf gewährt hatte. Zwar gab es dafür keine Zeugen, doch das war natürlich kein Grund, das Wort eines ehrbaren Schankwirts zu bezweifeln. Nebenbei bemerkt – es hätte ohnehin niemand daran gedacht, irgendeine Behauptung Mr. Chadbers in Frage zu stellen, dazu genoss der Wirt vom Chequers Inn ein viel zu hohes Ansehen in seinem Heimatort – schließlich konnte er lesen und schreiben und war in jungen Jahren sogar weit nach Norden, bis London gereist, wo er sich zehn Tage aufgehalten und keinen Geringeren erblickt hatte als den berühmten Herzog von Marlborough höchstpersönlich, als der hohe Herr über den Strand nach St. James ritt.

Außerdem war es eine Tatsache, dass Mr. Chadbers selbstgebrautes Ale besser schmeckte als jenes, das sein Konkurrent am anderen Ende des Dorfes verkaufte.

Im Großen und Ganzen war er ein sehr bedeutender Mann, und niemand war sich dieses Umstandes stärker bewusst als der ehrenwerte Mr. Chadber selbst.

Leute »vornehmen Geblüts«, die er, wie er beteuerte, auf den ersten Blick erkennen konnte, behandelte er mit fast kriecherisch wirkender Höflichkeit, an Schreiber und Gehilfen jedoch, oder Menschen, die keinen wohlhabenden Eindruck machten, verschwendete er keinen einzigen Beweis seiner Ehrerbietung.

So kam es auch, dass ein kleiner, grüngekleideter Rechtsgelehrter, der eines Tages der Postkutsche entstieg und die Schankstube des Chequers betrat, hochnäsig und mit kaum verhohlener Geringschätzung begrüßt wurde.

Offensichtlich war der Fremde nervös und ziemlich aufgeregt. Er verärgerte Mr. Chadber gleich zu Beginn, als er ihm zu verstehen gab, er sei gekommen, um sich hier mit einem Herrn zu treffen, der möglicherweise ein wenig schäbig gekleidet, recht knapp bei Kasse und sogar von etwas anstößigem Ruf sein könnte. Mr. Chadber betonte daraufhin unmissverständlich, Gäste, auf die eine solche Beschreibung passte, seien in seinem Etablissement völlig unbekannt.

Der Rechtsgelehrte hatte etwas Geheimnisvolles an sich und erweckte beinahe den Anschein, als wolle er den Wirt auf die Probe stellen. Mr. Chadber zügelte daher seinen Unmut und setzte eine zurückhaltend hochmütige Miene auf.

Als der Neuankömmling offen zu fragen wagte, ob er in letzter Zeit mit Straßenräubern in Berührung gekommen wäre, wies er ihn streng zurecht und schien ernsthaft beleidigt.

Der kleine Mann legte plötzlich seine Nervosität ab. Er musterte Mr. Chadber nachdenklich, während er eine Prise Schnupftabak an seine feine Nase hielt.

»Vielleicht logiert hier bei Ihnen ein gewisser – äh – Sir – Anthony – Ferndale?«, fragte er zögernd.

Der leicht gekränkte Ausdruck Mr. Chadbers verschwand. Gewiss sei das der Fall – besagter Herr sei erst gestern eingetroffen, um hier seinen Anwalt zu erwarten.

Der kleine Rechtsgelehrte nickte.

»Das bin ich. Wenn Sie nun die Freundlichkeit hätten, Sir Anthony meine Ankunft zu melden.«

Mr. Chadber verbeugte sich besonders tief und bat ihn, doch nicht im zugigen Gastzimmer zu bleiben. Sir Anthony würde es ihm niemals verzeihen, wenn er seinem Anwalt erlaubte, sich in dieser Stube nur eine Minute länger als notwendig aufzuhalten. Ob er ihm nicht in Sir Anthonys Privatsalon folgen wolle?

Ein kaum merkliches Lächeln überzog das hagere Gesicht des Anwalts mit Fältchen, als er hinter dem Hausherrn den Gang entlangschritt.

Er wurde in ein niedriges, freundliches Gemach geführt, dessen Fenster den Blick auf die ruhige Straße freigaben, und blieb allein zurück, während sich Mr. Chadber auf die Suche nach Sir Anthony machte.

Plafond und Wände dieses Raumes waren in Eiche getäfelt. Blaue Vorhänge hingen vor den Fenstern, blaue Kissen säumten die hohe Lehne der Sitzbank vor dem Kamin. Auf dem weißen Tischtuch des Mitteltisches standen Gedecke für zwei Personen, ein kleinerer Tisch mit Stuhl und Schemel war an den Kamin gerückt.

Der Anwalt sah sich schweigend um und sann dabei über den plötzlichen Umschwung im Verhalten des Wirtes nach. Offenbar war Sir Anthony im Chequers ein hochgeschätzter Gast.

Dennoch fühlte sich der kleine Mann ganz offensichtlich nicht wohl in seiner Haut und begann mit tief auf die Brust gesenktem Kopf und am Rücken verschränkten Händen unruhig auf und ab zu gehen. Er befand sich auf der Suche nach dem entehrten Sohn eines Earl und machte sich Sorgen über das, was er unter Umständen antreffen mochte.

Vor sechs Jahren hatte Lord John Carstares, ältester Sohn des Earl of Wyncham, seinen Bruder, Sir Richard, zu einem Kartenspielabend begleitet und war als ehrloser Mann zurückgekehrt.

John Carstares ein Falschspieler – das war so unvorstellbar, ja geradezu lächerlich, dass anfangs niemand dem Gerücht Glauben schenkte, das sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Aber er hatte die Geschichte geradezu trotzig und ohne Scham selbst bestätigt, bevor er fortritt – ins Ausland, nach Frankreich, wie man munkelte. Seinem Bruder Richard blieb es überlassen, so hieß es allgemein, die Frau zur Gemahlin zu nehmen, die sie beide liebten. Seither hatte man nichts mehr von Lord John gehört, und der empörte Earl verbot, seinen Namen in Wyncham zu erwähnen, wobei er schwor, er wolle den verlorenen Sohn enterben. Richard heiratete die schöne Lady Lavinia und führte sie nach Hause in das Herrenhaus, das nun ohne Lord Johns faszinierende Gegenwart seltsam verlassen wirkte. Richard schien weit davon entfernt zu sein, ein strahlender junger Ehemann zu sein. Von den Flitterwochen hatte er vielmehr eine unerklärliche Schwermut mitgebracht und war schweigsam und unglücklich.

Sechs Jahre gingen ohne irgendeine Nachricht von Lord John vorüber, bis Richards Kutsche vor zwei Monaten auf der Rückfahrt von London nach Wyncham überfallen wurde – von einem Wegelagerer, der sich als niemand anderer entpuppte als der missratene Peer.

Man kann sich Richards Gefühle ausmalen. Lord John dagegen zeigte sich lediglich von der grotesken Situation beeindruckt, und zwar derart, dass er in schallendes Gelächter ausbrach, was Richard wiederum die Kehle zuschnürte und ihm nur umso stärkeren Schmerz zufügte.

Auf sein Drängen hin nannte John dem Bruder das Chequers Inn »für den Eintritt eines unvorhergesehenen Ereignisses« und sagte ihm, er solle nach »Sir Anthony Ferndale« fragen, falls er jemals seiner Hilfe bedürfe. Dann gab er nach einem herzlichen Händedruck seinem Pferd die Sporen und verschwand in der Dunkelheit ...

Der Anwalt verhielt den Schritt und lauschte. Vom Gang her näherte sich das Klacken hoher Absätze auf den Holzdielen, begleitet vom leisen Rascheln starrer Seide.

Der kleine Mann griff sich plötzlich an seine Krawatte. Angenommen, der gutmütige Lord John war gar nicht mehr gutmütig? Angenommen – aber er wagte es nicht, irgendwelche Vermutungen anzustellen. Nervös zog er eine Pergamentrolle aus der Tasche und drehte sie zwischen den Fingern.

Eine Hand umfasste mit festem Griff den Türknauf und drehte ihn energisch herum. Die Tür öffnete sich, um eine bemerkenswerte Gestalt einzulassen, und fiel mit einem Schnappen wieder ins Schloss.

Der Anwalt stand verblüfft einem schlanken, großen Herrn gegenüber, der sich tief vor ihm verneigte, wobei er mit einer Hand anmutig seinen eleganten Dreispitz schwenkte und mit der anderen graziös Spazierstock und das parfümierte Taschentuch festhielt. Er war nach neuester französischer Mode gekleidet – langschößiger, mit Silberborte verbrämter Rock von zartestem Lila, weiße Beinkleider und Strümpfe, dazu eine Weste aus geblümtem Satin. Die Füße steckten in Schuhen mit hohen roten Absätzen und Silberschnallen, während eine wunderbar gepuderte und gelockte Perücke nach dem letzten Modeschrei, die ganz danach aussah, als stamme sie aus Paris, den schönen Kopf schmückte. In der Spitzenkaskade seiner Krawatte funkelte eine Diamantnadel, und an der schlanken, von den üppig herabhängenden Spitzenmanschetten halb verdeckten Hand glühte und blitzte ein riesiger Smaragd.

Der Anwalt starrte ihn stumm an. Erst als ihn ein Paar tiefblaue, etwas nachdenkliche Augen mit einem spöttischen Blick musterten, fand er seine Sprache wieder. Maßloses Erstaunen spiegelte sich auf seinem Gesicht, und er trat einen halben Schritt vor.

»Master John!«, rief er ungläubig. »Master – John!«

Der elegante Herr hob tadelnd die Hand und kam näher. Das Schönheitspflästerchen neben seinem Mundwinkel zuckte, die blauen Augen glitzerten.

»Ich merke, dass Sie mich nicht kennen, Mr. Warburton«, sagte er, und in seiner angenehmen Stimme schwang Belustigung. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Sir Anthony Ferndale, à vous servir!«

In den Augen des Anwalts blitzte es skeptisch, als er nun die ihm dargebotene Hand ergriff.

»Ich glaube, Sie kennen sich vielleicht selbst nicht, Mylord«, bemerkte er trocken.

Lord John legte Hut und Stock auf den kleinen Tisch und schien etwas verblüfft.

»Was meinen Sie damit, Mr. Warburton?«

»Ich bin gekommen, Mylord, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Herr Vater, der Earl, vor einem Monat gestorben ist.«

Die blauen Augen weiteten sich, wurden plötzlich starr und verengten sich wieder.

»Tatsächlich? Nun ja! Wohl ein Schlaganfall?«

Die Lippen des Anwalts zuckten verräterisch.

»Nein, Master John. Mylord starb an einer Herzschwäche.«

»Was Sie nicht sagen! Ach, du meine Güte! Aber wollen Sie nicht Platz nehmen, Verehrtester? Mein Diener wird den Küchenmeister sofort beauftragen, das Dinner servieren zu lassen. Sie erweisen mir doch hoffentlich die Ehre?«

Der Anwalt murmelte einige Worte des Dankes und setzte sich auf die lange Kaminbank, wobei er sein Gegenüber verwirrt betrachtete.

Seine Lordschaft zog sich einen Stuhl heran und streckte die Beine zum Feuer.

»Sechs Jahre, was? Es tut wirklich erstaunlich gut, Ihr Gesicht wiederzusehen, Mr. Warburton ... Und ich bin jetzt also der Earl? Earl und Familienoberhaupt, Gott steh mir bei!« Er lachte leise.

»Ich habe hier die Dokumente, Mylord ...«

Carstares musterte die Rolle durch sein Monokel.

»Ich sehe es. Und nun seien Sie so gut und stecken Sie das Ding wieder in die Tasche.«

»Aber es gibt gewisse gesetzlich vorgeschriebene Formalitäten, Mylord –«

»Genau dieses Thema lassen Sie uns bitte vermeiden.«

»Aber, Sir!«

Der frischgebackene Earl lächelte besonders liebenswürdig und gewinnend.

»Zumindest bis nach dem Essen, Warburton! Stattdessen erzählen Sie mir lieber, wie Sie mich gefunden haben.«

»Mr. Richard sagte mir, wohin ich mich wenden muss, Sir.«

»Ah, natürlich! Ich hatte ganz vergessen, dass ich ihm mein – Absteigequartier – genannt habe, als ich seine Kutsche überfiel.«

Den Anwalt überlief unwillkürlich ein Schauder, als Mylord so fröhlich und unverblümt seine unehrenhafte Tätigkeit erwähnte.

»Ähem – sehr wohl, Sir. Mr. Richard wartet ungeduldig auf Ihre Rückkehr.«

Das hübsche junge Gesicht verdüsterte sich. Mylord schüttelte den Kopf.

»Unmöglich, mein Lieber. Ich bin überzeugt, Dick hat niemals einen so idiotischen Vorschlag geäußert. Gestehen Sie die Wahrheit! Das ist doch Ihre Idee!«

Warburton ging nicht auf den scherzhaften Ton ein, sondern antwortete bedächtig: »Auf alle Fälle glaube ich, Mylord, ist es sein dringender Wunsch, Schadenersatz zu leisten.«

Carstares warf ihm einen wachsamen, argwöhnischen Blick zu.

»Ah!«

»Ja, Sir, Schadenersatz.«

Mylord betrachtete unter halb geschlossenen Lidern seinen Smaragd.

»Aber warum – Schadenersatz, Warburton?«, fragte er.

»Ist das nicht das richtige Wort, Sir?«

»Zugegeben, ich finde es unpassend. Anscheinend bin ich etwas schwer von Begriff.«

»Diese Eigenschaft ist mir völlig neu an Ihnen, Mylord.«

»So? Sechs Jahre verändern einen Menschen eben. Mr. Carstares geht es hoffentlich gut?«

»Ich denke schon, Sir«, antwortete der Anwalt, verärgert über den geschickten Themawechsel.

»Und Lady Lavinia?«

»Ebenfalls.« Mr. Warburton sah ihn forschend an, und als Mylord den Blick bemerkte, funkelten seine Augen wieder vor vergnügtem Spott.

»Ich bin entzückt, das zu hören. Bitte überbringen Sie Mr. Carstares meine Grüße und bitten Sie ihn in meinem Namen, ganz nach seinem Ermessen über Wyncham zu verfügen.«

»Sir! Master John! Ich flehe Sie an!«, rief der Anwalt bestürzt, sprang auf und lief aufgebracht durch den Raum.

Mylord richtete sich steif in seinem Stuhl auf. Er beobachtete einige Augenblicke besorgt seinen erregten Besucher, sprach dann aber mit gelassener und kalter Stimme.

»Nun, Sir?«

Warburton drehte sich um und kam zum Kamin zurück. Es schien ihn Mühe zu kosten, sich zu beherrschen, während er auf Mylord hinabblickte, der mit gleichgültiger Miene dasaß.

»Master John, vielleicht wäre es besser, wenn ich Ihnen sage, was Sie sicher längst erraten haben. Ich bin im Bilde.«

Eine Augenbraue hob sich arrogant. »Und worüber, verehrter Mr. Warburton?«

»Ich weiß, dass Sie es nicht getan haben!«

»Was nicht getan, mein Bester?«

»Beim Kartenspiel betrogen, Sir!«

Mylord entspannte sich und schnippte ein Staubkörnchen von seiner prachtvollen Manschette.

»Ich bedaure sehr, Sie diesbezüglich enttäuschen zu müssen.«

»Mylord, weichen Sie mir nicht aus, ich bitte Sie! Sie können mir doch vertrauen!«

»Daran zweifle ich nicht.«

»Dann versuchen Sie nicht länger, mir die falschen Tatsachen weismachen zu wollen – und sehen Sie mich nicht so ärgerlich an! Ich habe Sie aufwachsen sehen und Master Dick ebenfalls, und ich kenne Sie beide sehr genau. Ich weiß, dass Sie weder bei Colonel Dare falschgespielt haben noch sonst wo! Ich hätte damals einen Eid darauf leisten können – ja, als ich Master Dicks Gesicht sah, wusste ich sofort, dass er der Betrüger war und Sie nur die Schuld auf sich genommen haben!«

»Nein!«

»Ach, Master John, machen Sie mir doch nichts vor! Können Sie mir in die Augen schauen und bestreiten, was ich soeben gesagt habe? Können Sie das? Können Sie das wirklich?«

Mylord saß schweigend da.

Mit einem Seufzer ließ sich Warburton wieder auf die Bank sinken. Seine Wangen waren gerötet, seine Augen glänzten, doch er sprach ruhig weiter.

»Natürlich bringen Sie das nicht übers Herz, denn meines Wissens haben Sie noch nie gelogen. Keine Angst, ich verrate Sie nicht. Ich habe dem gnädigen Herrn zuliebe all die Jahre geschwiegen, und ich werde auch jetzt erst sprechen, wenn Sie mir die Erlaubnis dazu geben.«

»Die bekommen Sie niemals.«

»Master John, überlegen Sie sich gut, was Sie da tun, ich beschwöre Sie! Jetzt, wo der gnädige Herr tot ist –«

»Das spielt keine Rolle.«

»Wie? Haben Sie es denn nicht um seinetwillen getan? Weil Sie wussten, wie sehr er Master Dick liebte?«

»Nein.«

»Dann wegen Lady Lavinia –«

»Nein.«

»Aber –«

Mylord lächelte traurig.

»Ach, Warburton! Und Sie haben behauptet, Sie kennen uns sehr genau! Für wen sonst hätte ich es tun sollen, wenn nicht für ihn selbst?«

»Das habe ich befürchtet!« Der Anwalt hob mit einer hoffnungslosen Gebärde die Hände. »Sie kehren also nicht zurück?«

»Nein, mein Entschluss steht fest. Dick kann meine Güter verwalten. Ich bleibe auf der Straße.«

Warburton unternahm einen letzten Versuch.

»Mylord!«, rief er verzweifelt. »Wollen Sie nicht wenigstens die Schande bedenken, die Sie über Ihren Namen bringen, wenn man Sie verhaftet?«

Die Schatten verschwanden aus Mylords Augen.

»Mein Lieber, was für ein abwegiger Gedanke! Glauben Sie vielleicht, ich hätte diese unerfreuliche Möglichkeit nicht in Betracht gezogen? Ich bin nicht dazu bestimmt, mit einem Strick um den Hals zu sterben, das versichere ich Ihnen!«

Ein Bediensteter, der mit einem beladenen Tablett eintrat, machte der vertraulichen Unterhaltung ein Ende. Der Mann stellte die Speisen auf den Tisch, zündete die Kerzen an und schob zwei Stühle zurecht.

»Das Dinner ist angerichtet, Sir.«

Mylord nickte und deutete mit einer fast unmerklichen Handbewegung auf die Fenster. Sofort zog der Mann die schweren Vorhänge zu.

Mylord wandte sich an seinen Besucher.

»Was soll es sein: Burgunder oder Bordeaux – oder bevorzugen Sie Weißwein?«

Sein Gast entschied sich für Bordeaux.

»Bordeaux, Jim«, befahl Carstares und erhob sich.

»Ich hoffe, die Reise hat Ihren Appetit angeregt, Warburton, denn der brave Chadber wird sehr gekränkt sein, wenn Sie seine Kapaune nicht mögen.«

»Ich will ihn natürlich auf keinen Fall verletzen«, erwiderte der Anwalt zwinkernd und setzte sich zu Tisch.

So viele Schwächen Mr. Chadber auch haben mochte, eines musste man ihm lassen – er besaß einen ausgezeichneten Koch. Mr. Warburton speiste vorzüglich, angefangen bei einer fetten Ente bis zum letzten der vielen Gerichte, die darauf folgten.

Als der Tisch abgeräumt und der Bedienstete, nachdem er den Portwein bereitgestellt hatte, verschwunden war, bemühte sich der Anwalt, die Unterhaltung wieder auf das ursprüngliche Thema zu bringen. Doch er hatte die Rechnung ohne Mylord gemacht und ertappte sich nach kurzer Zeit mitten in einer Debatte über den kürzlich von Charles Stuart entfachten Aufstand. Er setzte sich mit einem Ruck auf.

»Apropos, Sir – es wurde verschiedentlich behauptet, Sie hätten auf Seiten des Prinzen gestanden.«

Carstares verschluckte sich fast vor Erstaunen.

»Ich?«

»Ja, tatsächlich. Ich habe zwar keine Ahnung, woher das Gerücht stammte, jedenfalls erreichte es eines Tages Wyncham. Der gnädige Herr verlor kein Wort darüber, aber Mr. Richard konnte es anscheinend kaum glauben.«

»Na, hoffentlich! Warum sollten mich die Leute auch plötzlich für einen Rebellen halten, mit Verlaub?«

Warburton runzelte die Stirn.

»Habe ich Sie richtig verstanden, Sir?«

»Ja doch, ich sagte Rebell. Schließlich habe ich unter Seiner Majestät gedient.«

»Die Carstares waren seit jeher Tories, Master John, und ihrem rechtmäßigen König treu ergeben.«

»Mein lieber Freund, den Stuartprinzen bin ich zu nichts verpflichtet. Ich wurde unter der Herrschaft König Georgs I. geboren und bin ein guter Whig, das möchte ich betonen.«

Warburton schüttelte missbilligend den Kopf.

»In Ihrer Familie hat es niemals einen Whig gegeben, Sir.«

»Und Sie hoffen, das wird auch in Zukunft so bleiben, was? Übrigens – wie steht's mit Dick? Hält er zu dem Stuart?«

»Ich glaube, Mr. Richard interessiert sich nicht für Politik.«

Carstares zog die Augenbrauen hoch und verfiel dann in Schweigen.

Nach ein paar Minuten räusperte sich Mr. Warburton.

»Ich – ich nehme an, Sir – Sie denken nicht daran, Ihre – äh – Tätigkeit – aufzugeben?«

Mylord konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.

»Nun, ich habe ja erst damit begonnen!«

»Ja, aber – aber – Mr. Richard wurde doch schon vor einem Jahr –«

»Von mir überfallen? Stimmt, doch um die Wahrheit zu sagen, bin ich seit damals nicht sehr häufig unterwegs gewesen.«

»Demzufolge sind Sie nicht – äh – allgemein bekannt, Sir?«

»Lieber Himmel, nein! Was für ein Gedanke! Warburton – haben Sie mich womöglich für eine Art Helden gehalten? Für ›Gentleman Harry‹ oder so etwas?«

Der Anwalt errötete.

»Nun, Sir – ich – äh – ich dachte –«

»Sosehr ich es bedaure, ich muss Ihnen diese Illusion nehmen, denn ich bezweifle, dass man in der Bow Street jemals von mir gehört hat. Und ehrlich gestanden – es ist auch keine Beschäftigung, an der ich allzu großen Gefallen finde.«

»Aber warum wollen Sie dann nicht damit aufhören, Mylord?«

»Ich brauche einen Vorwand für mein Nomadendasein«, verteidigte sich John. »Ich kann einfach nicht auf der faulen Haut liegen.«

»Sie sind nicht – gezwungen – äh – zu rauben, Mylord?«

Carstares runzelte fragend die Stirn.

»Gezwungen? Ah – ich verstehe, was Sie meinen. Nein, ich habe genug für meine Ansprüche – jetzt zumindest. Es hat einmal eine Zeit gegeben – aber das ist vorbei. Ich raube, weil es mir Spaß macht.«

Warburton blickte ihn fest an.

»Ich bin überrascht, Mylord, dass Sie, ein Carstares, daran – Vergnügen finden.«

John schwieg einen Augenblick, und als er endlich sprach, klang seine Stimme ungewohnt trotzig und verbittert.

»Meine lieben Mitmenschen haben mich nicht so freundlich behandelt, als dass mein Gewissen mich daran hindern könnte. Aber falls Sie das beruhigt – ich mime nur sehr selten den finsteren Bösewicht. Vor einer Weile sprachen Sie von meinem mutmaßlichen – äh – Ende am Galgen. Ich glaube, diese traurige Nachricht wird Ihnen niemand überbringen.«

»Ich – ich muss gestehen, ich bin sehr erleichtert, Mylord«, stotterte der Anwalt und verstummte dann verlegen. Nach einer langen Pause zog er zum zweiten Mal die umfangreiche Pergamentrolle hervor und legte sie auf den Tisch, wobei er entschuldigend murmelte: »Die leidige Pflicht, Euer Gnaden!«

Carstares musterte das Bündel mit erkennbarem Widerwillen. Dann füllte er gemächlich die Weingläser. Als er damit fertig war, stieß er einen Seufzer aus, bemerkte Mr. Warburtons amüsierten Blick, lachte hell auf und brach das Siegel.

»Da Sie darauf bestehen – tun wir, was Sie nicht lassen können.«

Mr. Warburton spielte den ganzen Abend mit Mylord Pikett und Ecarté und begab sich schließlich zu Bett, ohne Gelegenheit gefunden zu haben, seine Mission in erhoffter Weise zu erfüllen. Jedes Mal, wenn er versucht hatte, der Unterhaltung eine entsprechende Wendung zu geben, war er sanft, aber nachdrücklich auf harmlosere Themen gedrängt worden, von denen er beim besten Willen nicht loskam. Mylord war ein bezaubernder Gesellschafter von geradezu ansteckender Fröhlichkeit, aber über »Geschäftliches« zu sprechen lehnte er strikt ab. Er unterhielt den Anwalt mit pikanten Geschichten und Anekdoten aus dem Ausland, doch erlaubte ihm kein einziges Mal, von Wyncham oder seinem Bruder zu erzählen.

Als Mr. Warburton sich schließlich zur Ruhe in seinem Zimmer im Chequers begab, fühlte er sich durch die gute Laune seines Sorgenkindes einigermaßen beruhigt, gleichzeitig aber bedrückte es ihn, dass sein Versuch, Carstares zu einer Rückkehr zu bewegen, so kläglich gescheitert war.

Am nächsten Morgen schlief er bis spät in den Vormittag hinein. Trotzdem kam er, als er um zwölf Uhr endlich sein Zimmer verließ, Seiner Lordschaft noch zuvor, da dieser erst erschien, als der Lunch im eichengetäfelten Salon serviert wurde.

Mylord betrat den Raum in seiner gewohnt lässig energischen Weise und begrüßte Mr. Warburton formvollendet. Dann entführte er ihn in die Stallungen, um ihm seine Stute Jenny zu zeigen, auf die er stolz war wie ein Kind. Als sie zurückkehrten, stand der Imbiss schon bereit, und der Anwalt merkte, dass ihm kaum Zeit blieb, sein Anliegen nochmals vorzubringen.

Mylord befahl dem Diener, der sich ebenfalls in dem Raum aufhielt, sich um das Gepäck des Gastes zu kümmern. Als er sich mit einer Verbeugung entfernt und die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte Carstares sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete Mr. Warburton mit einem schwachen, fast ein wenig traurigen Lächeln.

»Ich weiß, Sie wollen mir Vernunft einreden, lieber Freund, und wenn ich unbedingt muss, höre ich Sie auch an. Aber glauben Sie mir, es wäre mir sehr viel lieber, wenn Sie's bleiben ließen.«

Warburton spürte den Ernst, der sich hinter diesen leichthin gesprochenen Worten verbarg, und verzichtete klugerweise auf seine letzte Chance.

»Ich verstehe, wie peinlich das alles für Sie ist, Mylord, und will Ihre Haltung gern respektieren. Ich bitte Sie nur um eines: sehen Sie Ihren jetzigen Entschluss nicht als endgültig an, sondern denken Sie noch einmal in Ruhe darüber nach!«

Seine sorgenvolle Miene rührte Carstares.

»Sie sind wirklich viel zu gut zu mir, Warburton. Ich versichere Ihnen, dass ich Ihre Güte – und Nachsicht – zu schätzen weiß. Und ich hoffe, Sie verzeihen mir mein scheinbar ungehobeltes Betragen und glauben mir, dass ich Ihnen von ganzem Herzen dankbar bin.«

»Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun, Master John!«, stammelte der Anwalt, den die leise Wehmut in der Stimme seines Lieblings ganz unglücklich machte. Doch es blieb ihm keine Zeit mehr. Die Zweiuhrkutsche nach Wyncham wartete bereits, sein Gepäck befand sich schon auf dem Dach. Als sie vor dem Haus standen, konnte er nur noch die Hand Mylords ergreifen und sie fest zum Abschied drücken. Dann stieg er eilig ein, und die Tür wurde hinter ihm zugeschlagen.

Mylord verbeugte sich kurz und sah dem schweren Gefährt nach, wie es über die Landstraße davonrollte. Schließlich schlenderte er mit einem unterdrückten Seufzer auf die Stallungen zu. Sein Diener sah ihn kommen und eilte ihm sofort entgegen.

»Die Stute, Sir?«

»Ganz recht, Jim – die Stute. In einer Stunde.«

Er wandte sich zum Gehen.

»Sir – Euer Gnaden!«

Er blickte über die Schulter.

»Nun?«

»Sie lauern überall, Sir. Bitte seien Sie auf der Hut.«

»Das ist mir nichts Neues, Jim. Trotzdem – danke.«

»Sie – Sie würden mich nicht mitnehmen, Sir?«, kam es flehend.

»Dich mitnehmen? Himmel, nein! Ich habe nicht die Absicht, dich in Gefahr zu bringen. Außerdem bist du mir viel nützlicher, wenn du hierbleibst, um meine Befehle auszuführen.«

Der Bursche verneigte sich gehorsam.

»Ja, Sir. Aber – aber –«

»Es gibt kein Aber, Jim.«

»Nein, Sir – aber Sie werden vorsichtig sein?«

»Natürlich, das verspreche ich dir.« Damit kehrte er ihm endgültig den Rücken und begab sich ins Haus.

Nach einer Stunde verließ er es als völlig anderer Mensch. Verschwunden waren Smaragdring und Spazierstock; auch die lässig arrogante Art legte er nicht mehr an den Tag, er war vielmehr ein sachlich wirkender, sportlicher junger Mann in Lederwams, wildledernen Reithosen und glänzenden Stulpenstiefeln. Eine einfache braune Perücke nahm den Platz des gepuderten Kunstwerks ein, und darauf saß verwegen ein schwarzer Dreispitz.

Er blieb auf der verlassenen Freitreppe stehen, beobachtete, wie Jim sein Gepäck am Sattel festschnallte, und rief ihm von Zeit zu Zeit gedämpft einen knappen Befehl zu. Kurz darauf erschien Mr. Chadber mit dem Abschiedstrunk. Mylord leerte den Becher in einem Zug, ließ eine Guinee hineinfallen und gab ihn mit einem Dankeswort wieder zurück.

In der Schankstube rief jemand laut nach dem Wirt, was diesen sogleich veranlasste, sich unter tausend Entschuldigungen zu verbeugen und ins Innere des Gebäudes zu verschwinden.

Jim warf einen letzten Blick auf den Sattelgurt und trat dann zu seinem Herrn, um ihm Handschuhe und Reitgerte zu reichen. Die Stute wartete inzwischen lammfromm auf der Straße.

Carstares nahm beides schweigend entgegen und klopfte dann mit der Gerte leicht gegen seine Stiefel, während er den Diener nachdenklich betrachtete.

»Also – du mietest eine Kutsche wie gewöhnlich«, sagte er nach einer Weile, »und schaffst mein Gepäck nach –« er überlegte stirnrunzelnd »– nach Lewes. Dort besorgst du ein Zimmer im White Hart und bestellst das Dinner. Ich werde Aprikosenfarben tragen und – hm!«

»Blau, Sir?«, wagte Jim hilfreich vorzuschlagen.

Um die Augenwinkel seines Herrn bildeten sich Fältchen.

»Du bist mir vielleicht ein Spaßvogel, Salter. Aprikosenfarben und Creme. Creme? Ja, kein schlechter Gedanke. Das wäre alles – Jenny!«

Die Stute drehte ihm den Kopf zu und wieherte ihm freudig entgegen. »Bist mein braves Mädchen!« Er stieg leichtfüßig auf und tätschelte ihren schimmernden Hals. Dann beugte er sich noch einmal zu Salter nieder, der das Pferd mit einer Hand am Zaum hielt.

»Mein Mantel?«

»Hinter Ihnen, Sir.«

»Perücke?«

»Ja, Sir.«

»Pistolen?«

»Fix und fertig geladen, Sir.«

»Gut. Ich werde rechtzeitig zum Dinner in Lewes sein – so Gott will.«

»Sehr wohl, Sir. Sie – Sie sind bestimmt vorsichtig?«, fragte Jim besorgt.

»Das hab ich dir doch schon gesagt!« Mylord richtete sich im Sattel auf, trieb die Stute mit einem leichten Schenkeldruck an, nickte seinem Diener mit einem flüchtigen Lächeln zu und trabte vergnügt davon.

II. Mylord im White Hart

»Sir Anthony Ferndale« saß vor dem Toilettentisch in seinem Zimmer im White Hart und polierte müßig seine Nägel. Ein prachtvoller seidener Schlafrock hing über der Lehne seines Stuhles, und hinter ihm legte Jim letzte Hand an die Perücke seines Herrn, wobei er gleichzeitig mit prüfenden Blicken über Rock und Weste wachte, die für Mylord bereitlagen.

Carstares ließ von seinen Nägeln ab und lehnte sich gähnend zurück – eine schlanke, geschmeidige Gestalt in Batisthemd und Kniehosen aus aprikosenfarbenem Satin. Er musterte prüfend seine Krawatte im Spiegel und hob langsam die Hand. Salter hielt den Atem an. Mit äußerster Behutsamkeit rückten die Fingerspitzen eine mit Diamanten und Smaragden besetzte Nadel eine Spur nach rechts, dann sank der Arm wieder lässig herab. Salter lenkte durch sein erleichtertes Seufzen die Aufmerksamkeit seines Gebieters auf sich.

»Alles glatt gegangen, Jim?«

»Sozusagen wie geschmiert, Sir.«

»Bei mir auch. Es war geradezu läppisch einfach. Die Burschen hatten überhaupt keinen Mumm in den Knochen. Zwei Männer in einer Kutsche – der eine ein aufgeblasener Schuft von einem Kaufmann, der andere sein Schreiber. Gott im Himmel! Der hat mir leid getan!« Er hielt inne, griff nach dem Rougetöpfchen.

Salter sah ihn fragend an.

»Ja«, nickte Carstares, »ehrlich leid. Der Fettwanst schien ihn nämlich gewaltig zu tyrannisieren, wie es solche Leute mit ihren Bediensteten gern tun. Gab sogar ihm die Schuld an meinem Erscheinen, der feiste Kerl! Ja, Jim, du hast recht – er war mir unangenehm, dieser ›Monsieur‹ Fudby. Also –« ergänzte er freimütig – »erleichterte ich ihn um seine Geldschatulle und zweihundert Guineen. Eine milde Gabe an die Armen von Lewes.«

Jim zuckte mürrisch die Schultern.

»Wenn Sie alles verschenken, warum tun Sie sich die ganze Arbeit dann überhaupt an, Sir?«, fragte er unverblümt.

Über Mylords Antlitz huschte sein wunderliches kleines Lächeln.

»Weil es meinem Leben einen Sinn gibt, du Dummkopf. Ich weihe es gewissermaßen einem edlen Zweck. Außerdem amüsiert es mich, den Robin Hood zu spielen – den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben«, fügte er Salter zu Gefallen hinzu. »Aber um zu meinen Opfern zurückzukehren – wenn ich mir vorstelle, wie du gelacht hättest, als der kleine Mann aus der Kutsche fiel!«

»Fiel, Sir? Warum sollte er fallen?«

»Es bereitete ihm selbst Mühe, das zu erklären. Offensichtlich hatte ihm der Dicke befohlen, die Klinke festzuhalten, um mein Eindringen zu verhindern – daher plumpste er, als ich den Schlag aufriss, lieber auf die Straße, bevor er losgelassen hätte. Natürlich entschuldigte ich mich überaus höflich, und wir unterhielten uns ein wenig. Wirklich ein netter kleiner Kerl ... Trotzdem musste ich lachen, als er wie ein Käfer im Staub herumkrabbelte!«

»Ach, da wär ich gern dabei gewesen, Euer Gnaden!« Jim schaute mit beträchtlichem Stolz auf seinen eleganten Herrn nieder. »Ich würde einiges dafür geben, wenn ich mal sehen könnte, wie Sie 'ne Kutsche überfallen, Sir!«

Die Hasenpfote in der Hand, fing John im Spiegel seinen bewundernden Blick auf und lachte.

»Das glaub ich dir, mein Alter! Ich hab mir übrigens eine großartige Stimme dafür zugelegt – leicht heiser und versoffen, und etwas laut, vielleicht – ah, aber grade richtig, um nachts davon zu träumen! Ich zweifle zwar, ob sie's tun«, fügte er grüblerisch hinzu, während er das Schönheitspflästerchen neben seinem Mundwinkel anbrachte.

»Was meinst du? Ein wenig tief? Na, es wird genügen – was ist denn da los?«

Unten auf der Straße herrschte plötzlich großer Lärm und aufgeregtes Durcheinander. Man hörte Pferdegetrappel, die Rufe der Stallknechte und das Rattern von Rädern auf dem Kopfsteinpflaster. Jim trat ans Fenster und reckte den Hals, um über den Balkon zu sehen.

»Eine Kutsche ist angekommen, Sir.«

»So viel hab ich auch bemerkt«, antwortete Mylord trocken aus einer Puderwolke.

»Ja, Sir. O Gott, Sir!« Er schüttelte sich vor Lachen.

»Was gibt's?«

»Hach, es ist zu komisch, Sir! Zwei Männer steigen aus – ein dicker und ein kleiner, dürrer! Der Kleine schaut ganz verschrumpelt aus, wie eine Spinne, und der andere erinnert mich fast –«

»An ein Nilpferd, vor allem im Gesicht?«

»Nun ja, Sir. So ziemlich. Und er hat lauter rote Sachen an.«

»Himmel, ja! Und zu der Purpursymphonie trägt er eine orangefarbene Weste!«

Jim spähte noch einmal.

»In der Tat, Sir! Aber woher wissen Sie das?« Noch während er die Frage aussprach, blitzte Verstehen in seinen Augen auf.

»Ich glaube fast, dass ich die Ehre hatte, diesen Herren bereits zu begegnen«, erwiderte Mylord gelassen. »Meine Schnalle, Jim ... Ist es eine auffallend große Kutsche mit gelbgestrichenen Rädern?«

»Ja, Euer Gnaden. Die Reisenden wirken ein wenig derangiert.«

»Das ist durchaus möglich. Ist die Kleidung des kleineren Herrn – äh – nicht ganz sauber?«

»Ich kann's nicht sehen, Sir, er steht hinter dem Dicken.«

»Mr. Bumble Bee ... Jim!«

»Sir?« Jim fuhr herum, so scharf hatte die Stimme geklungen.

Mylord hatte sich erhoben und hielt mit spitzen Fingern eine Weste, die ein erbsengrünes Muster auf gallgelbem Grund zeigte. Vor seinem strengen Blick schlug Jim die Augen nieder wie ein zerknirschter Schuljunge.

»Du hast diese – diese Monstrosität – für mich bereitgelegt?«, fragte sein Herr im Tonfall eines Inquisitors.

Jim sah auf die Weste mit düsterem Blick und nickte.

»Ja, Sir.«

»Hab ich nicht cremefarben gesagt?«

»Ja, Sir. Ich dachte – ich dachte, es wäre creme.«

»Mein lieber Freund, es ist – es ist – ich kann nicht sagen, was es ist. Und erbsengrün!« Er schauderte.

Jim griff hastig nach dem Kleidungsstück und schaffte es fort.

»Und bring mir den bestickten Satin. Ja, die ist richtig – eine Augenweide!«

»Ja, Sir«, stimmte der beschämte Jim zu.

»Dieses eine Mal will ich dir verzeihen«, meinte Mylord zwinkernd. »Was tun unsere beiden Freunde?«

Salter beugte sich aus dem Fenster.

»Sie sind ins Haus gegangen, Sir. Nein, da kommt grade der kleine Weberknecht! Er scheint's eilig zu haben, Euer Gnaden!«

»Ah!«, murmelte Seine Lordschaft. »Da – hilf mir in diesen Rock. Danke.«

Es dauerte geraume Zeit, bis Mylord in das Prunkstück aus Satin gekleidet war, das sich wie eine zweite Haut über seinen Rücken spannte. Er schüttelte die Handkrausen aus und streifte stirnrunzelnd den Smaragdring über seinen Finger.

»Ich glaube, ich werde ein paar Tage hierbleiben«, sagte er plötzlich. »Um – äh – jeglichen Verdacht zu zerstreuen.« Er warf Jim unter gesenkten Wimpern einen Blick zu.

Es war nicht Salters Art, seinem Herrn unnötige Fragen zu stellen oder sich über irgendeinen seiner Entschlüsse zu wundern. Es genügte ihm, seine Befehle zu empfangen und prompt auszuführen und ihn im Übrigen mit rührender Ergebenheit zu verehren. Er folgte ihm blindlings, treu wie ein Hund, und war glücklich, ihm dienen zu dürfen.

Carstares hatte ihn – heruntergekommen und arbeitslos – in Frankreich aufgelesen und als Kammerdiener engagiert. Seitdem begleitete er Mylord auf Schritt und Tritt und erwies sich bald als unschätzbarer Begleiter, denn trotz seines dämlichen Gesichtsausdrucks war er keineswegs auf den Kopf gefallen, was ihn dazu befähigte, Lord John im Zuge seiner unrühmlichen und tollkühnen Laufbahn als Straßenräuber aus mehr als einer Klemme zu helfen. Vielleicht beruhte das gute Einvernehmen zwischen den beiden auch darauf, dass Jim seinen unberechenbaren Herrn besser verstand als jeder andere. Auch jetzt erriet er dessen Absicht und erwiderte den Blick mit einem listigen Zwinkern.

»Die zwei haben Sie sich also heute vorgeknöpft, Sir?«, fragte er, indem er mit dem Daumen zum Fenster hin deutete.

»Mhm, es scheint fast so – Mr. Bumble Bee und Gefährten. Ich glaube, ich weiß den ersteren nicht so recht zu schätzen. Aber bitte – vielleicht denkt er von mir dasselbe. Ich sehe schon, ich muss diese Bekanntschaft fördern.«

Jim grunzte verächtlich, was ihm einen forschenden Blick eintrug.

»Du bist von unserem Freund nicht begeistert? Ich bitte dich – du darfst ihn nicht nach seinem Äußeren beurteilen. Wer weiß, vielleicht besitzt er eine schöne Seele. Aber ich kann's mir nicht vorstellen, nein, ich kann's mir beim besten Willen nicht vorstellen!« Mylord lachte leise. »Weißt du was, Jim? Ich habe das Gefühl, ich werde mich heute Abend köstlich amüsieren!«

»Ganz bestimmt sogar, Euer Gnaden. Es wär für Sie ein Kinderspiel, den Dicken an der Nase herumzuführen.«

»Höchstwahrscheinlich. Aber mit ihm habe ich's voraussichtlich nicht zu tun, sondern mit den erlauchten Amtspersonen dieser reizenden Stadt. Kommt da nicht gerade der kleine Weberknecht zurück?«

Salter schaute aus dem Fenster.

»Ja, Sir – mit drei anderen.«

»Aha. Sei so gut und gib mir meine Schnupftabakdose. Und meinen Stock. Danke. Es wird Zeit, dass ich in Erscheinung trete. Und bitte denk daran, dass ich direkt aus Frankreich komme und mit häufigen Unterbrechungen nach London reise. Jetzt tu mir noch den Gefallen und mach ein besonders einfältiges Gesicht. Ja, so ist es ausgezeichnet.«

Jim grinste entzückt. Er riss mit Grandezza die Tür auf und blickte »Sir Anthony« nach, wie dieser durch den Gang zur Treppe stolzierte.

Im Kaffeesalon erzählte der reiche Geschäftsmann namens Fudby mit viel Pathos und so mancher eindrucksvollen Pause dem Bürgermeister, dem Stadtsyndikus und dem Gerichtsdiener von Lewes die Geschichte seines Missgeschicks. Alle drei waren von Mr. Chilter, seinem Schreiber, herbeigeholt worden, denn je größer die Zuhörerschaft, desto besser wurde Mr. Fudbys Laune, so dass sich ihm, trotz des Verlustes seiner kostbaren Geldschatulle, Gelegenheit bot, die Situation auf seine Weise zu genießen.

Auf Mr. Hedges, den Bürgermeister, traf das nicht zu. Er war ein zappeliger kleiner Mann, der an Verdauungsstörungen litt und den die Angelegenheit schon aus dem Grund nicht interessierte, weil er viel zu hungrig war. Dieser Mensch hatte ihn nämlich vom Dinner aufgescheucht – möglicherweise fand er ihn deshalb so wenig sympathisch und sah keine Möglichkeit, etwas für ihn zu tun. Andererseits war ein Straßenraub allerdings eine ernste Sache, die sich nicht einfach ignorieren ließ. Also lauschte er mit geheuchelter Anteilnahme der epischen Schilderung des Ereignisses, bemühte sich um einen möglichst klugen Gesichtsausdruck und stieß gelegentlich mitfühlende Laute aus.

Je mehr er von dem Dicken sah und hörte, umso weniger konnte er ihn leiden. Auch der Stadtsyndikus teilte diese Ansicht, denn Mr. Fudby hatte ohne jeden Zweifel etwas an sich, was ihn bei seinen Mitmenschen nicht gerade beliebt machte, besonders wenn sie einem niedrigeren gesellschaftlichen Rang angehörten. Der Gerichtsdiener machte sich keine großen Gedanken. Nachdem er – völlig zu Recht – beschlossen hatte, dass ihn der Tatbestand nicht das Geringste anging, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und starrte gelangweilt zur Decke empor.

Mr. Fudbys Vortrag besaß überraschend wenig Ähnlichkeit mit der wahren Begebenheit, sondern war eine auf der Reise nach Lewes entstandene, fantasievoll ausgeschmückte Version seines Abenteuers, in der er sich durch bewundernswürdige Tapferkeit auszeichnete.

Er redete noch immer, als Mylord den Raum betrat. Carstares hob träge sein Monokel, um die versammelte Gesellschaft zu mustern, verbeugte sich leicht und ging zum Kamin hinüber, wo er sich in einen Lehnstuhl setzte, ohne die Anwesenden zu beachten.

Mr. Hedges hatte auf den ersten Blick erkannt, dass es sich hier um einen Grandseigneur handelte, und wünschte, Mr. Fudby würde seine Stimme etwas dämpfen. Aber dieser war so begeistert über den neuen Zuhörer, dass er noch um einen Grad lauter und mit viel Genuss das bereits ausführlich erörterte Thema weiter breittrat.

Mylord gähnte graziös und nahm eine Prise Schnupftabak.

»Ja doch, ja«, sagte Mr. Hedges leicht gereizt, »man kann die Runners aus London kommen lassen, aber sonst wüsste ich wirklich nicht, wie ich Ihnen behilflich sein könnte. Bitte – wenn Sie damit einverstanden sind? Es muss natürlich auf Ihre Kosten gehen, Sir.«

Mr. Fudby fuhr auf.

»Auf meine Kosten? Sagten Sie, auf meine Kosten? Ich bin überrascht! Ich wiederhole – ich bin überrascht!«

»Tatsächlich, Sir? Ich kann natürlich auch dem Ausrufer befehlen, die Runde zu machen. Er könnte das Pferd beschreiben und – äh – eine Belohnung für die Ergreifung eines jeden anbieten, der ein solches Tier besitzt. Aber« – er zuckte die Achseln und blickte zum Stadtsyndikus hinüber – »ich verspreche mir davon keinen großen Erfolg. Was meinen Sie, Mr. Brand?«

Der Beamte spitzte die Lippen und hob bedauernd die Hände.

»Ich fürchte, Sie haben recht, ja ich bin sogar überzeugt, dass Ihre Vermutung stimmt. Ich würde Mr. Fudby raten, überall in der Umgebung eine Proklamation anschlagen zu lassen.« Er lehnte sich mit der Miene eines Mannes zurück, der seinen Teil zur Arbeit beigetragen hat und nicht beabsichtigt, noch weitere Hilfe anzubieten.

»Ho!«, schnaufte Fudby und blies die Wangen auf. »Diese Ausgabe wird mich zwar empfindlich treffen, aber ich glaube, man muss sie riskieren. Allerdings kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass es dem Schurken nie gelungen wäre, mir meine zweihundert Guineen zu rauben, wenn Sie, Chilter, sich nicht so erbärmlich feige benommen hätten – ja, erbärmlich feige, sage ich!«

Er schnüffelte ein bisschen und bedachte seinen heftig errötenden, aber schweigenden Sekretär mit einem vorwurfsvoll verächtlichen Blick. »Mein Kutscher wenigstens versichert mir, er würde das Pferd sofort wiedererkennen. Von dem Mann selbst hat er leider nicht viel gesehen. Chilter! Wie hat er den Gaul beschrieben?«

»Oh – äh – eine Fuchsstute, Mr. Fudby, braun, mit einer weißen, halbmondförmigen Blesse und einem weißen Vorderfuß.«

John beschloss, dass es Zeit war, in das Spiel einzugreifen. Er drehte sich in seinem Stuhl um und richtete sein Monokel auf Mr. Chilter.

»Wie war das bitte?«, fragte er affektiert.

Mr. Fudbys Augen strahlten auf. Endlich bekundete der feine Herr doch noch ein wenig Interesse! Er begann eilig, seine Geschichte noch einmal hervorzusprudeln. Carstares musterte ihn kalt, worauf Mr. Hedges, der das bemerkte, den Redefluss hastig unterbrach.

»Äh – ja, Mr. Fudby – schon gut. Verzeihen Sie, Sir, aber ich habe nicht die Ehre, Ihren Namen zu kennen?«

»Ferndale«, sagte John. »Sir Anthony Ferndale.«

»Äh – ja –« Mr. Hedges verneigte sich. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen mit unseren Belangen zur Last falle –«

»Aber keineswegs«, erwiderte Mylord liebenswürdig.

»Oh – äh – es ist – die Sache ist nämlich die – diese – äh – Herren hatten das Pech, vor kurzem auf offener Straße überfallen zu werden.«

Sir Anthony betrachtete die ganze Runde durch sein Monokel. Auf seinen Zügen malte sich gelindes Erstaunen.

»Alle diese Herren?«, fragte er höflich.

»Oh, nein, nein, nein, Sir! Nicht alle! Nur Mr. – äh –«

»Fudby«, ergänzte dieser patzig und stellte fest, dass sich Sir Anthony frostig verneigte. Sofort stemmte er sich von seinem Stuhl hoch, stützte die Hände auf den Tisch und beugte langsam und mit sichtlicher Mühe sein Rückgrat. Sir Anthony neigte den Kopf, worauf Mr. Fudby die anstrengende Übung ein zweites Mal und mit noch größerer Würde als zuvor auf sich nahm. Mr. Hedges beobachtete ein krampfhaftes Zucken um Sir Anthonys Lippen. Er wartete, bis Mr. Fudby sich setzte, und fuhr dann fort: »Ja – Mr. Fudby und Mr. –«

»Mein Schreiber!«, schnappte der Dicke.

Sir Anthony bedachte Mr. Chilter mit einem besonders reizenden Lächeln und wandte sich dann wieder Mr. Hedges zu.

»Ach so. Ein Überfall bei Tag, sagen Sie?«

»Am helllichten Tag!«, trompetete Mr. Fudby.

»Ah – ja, ja«, bremste ihn der Bürgermeister, der einen neuerlichen Ausbruch befürchtete. »Vielleicht haben Sie zufällig so ein Tier gesehen, wie es Mr. – äh – Chilter beschrieben hat?«

»Tja, das ist in der Tat höchst merkwürdig«, sagte Carstares gedehnt, »aber ich habe gerade heute ein solches Pferd gekauft.« Er zog eine Augenbraue hoch und blickte mit einem forschenden Lächeln auf die verblüfften Gesichter.

»Na bitte!«, japste Mr. Fudby. »Na bitte!«

»Lieber Himmel, Sir, was für eine Fügung des Schicksals! Darf ich fragen, wo und von wem Sie es erworben haben?«

»Die Stute ist noch keine zwei Stunden in meinem Besitz. Ich habe sie auf dem Weg hierher einem schäbig aussehenden Landstreicher abgekauft. Dabei fand ich es noch eigenartig, wie der Kerl zu einem Vollblut kam, und wunderte mich, warum er es so eilig hatte, das Tier loszuwerden.«

»Wohl deshalb, weil er wusste, dass er auf einem lebenden Beweisstück saß«, erklärte Mr. Fudby zuvorkommend.

»Ach, natürlich. Vielleicht möchten Sie das Pferd gern sehen? Ich werde meinem Diener sofort –«

»Oh, nein, ich bitte Sie!«, rief der Bürgermeister. »Wir würden uns nicht im Traum einfallen lassen, Ihnen eine solche Mühe –«

»Es wäre mir ein Vergnügen«, sagte John mit einer Verbeugung, wobei er inständig hoffte, Mr. Fudby möge nicht verlangen, Jenny zu besichtigen, denn er war sicher, sie würde ihn durch ihre unverkennbare Zuneigung verraten.

»Nein, nein, Sir Anthony, das ist wirklich nicht nötig. Ich danke Ihnen vielmals. Mr. Fudby, wenn Sie nun die Güte haben wollen, auch den Mann zu beschreiben, damit ich die Verlautbarung aufsetzen kann.«

»Beschreiben Sie ihn, Chilter!«, befahl Mr. Fudby verdrießlich. Der kleine Schreiber lächelte plötzlich.

»Aber gern, Sir!«, antwortete er bereitwillig. »Es war ein richtig wüster Bursche, ungeheuer groß –«

»Wie groß?«, unterbrach ihn der Stadtsyndikus. »Sechs Fuß?«

»Mindestens!«, log Mr. Chilter. »Und dick.«

Johns Schultern zuckten.

»Dick, sagen Sie?«, fragte er sanft.

»Sehr«, versicherte Mr. Chilter. »Und ungehobelt! Diese derbe Sprache – lauter Flüche!«

»Sein Gesicht konnten Sie vermutlich nicht sehen?«

Mr. Chilter zögerte.

»Nur Mund und Kinn«, sagte er, »und da fiel mir eine lange Narbe auf, die sich von der Unterlippe zum – äh – Hals hinzog.«

Unwillkürlich streichelte Carstares sein makelloses Kinn. Entweder war der Kleine ein geborener Aufschneider, oder er wollte aus irgendeinem Grund verhindern, dass man den Räuber fasste.

»Nun, Sir Anthony?«, fragte der Bürgermeister. »Passt diese Beschreibung auf Ihren Mann?«

Mylord runzelte nachdenklich die Stirn.

»Groß«, überlegte er bedächtig, »und dick – Sie sagten doch dick, nicht wahr, Mr. Chilter?«

Eifrig bekräftigte dieser seine Behauptung.

»Ah! Und mit einer langen Narbe – ja, das ist er bestimmt. Außerdem«, fügte er hinzu, »schielt er auf dem linken Auge. Alles in allem ein ausgesprochen hässlicher Gesell.«

»Es scheint so, Sir Anthony«, warf der Bürgermeister trocken ein. Er glaubte kein Wort von dieser letzten Bemerkung, sondern nahm an, dass der noble Herr sich auf ihre Kosten amüsierte. Trotzdem hütete er sich, die lästige Sitzung auch nur durch einen Mucks zu verzögern, und schrieb fein säuberlich die ganzen lächerlichen Einzelheiten nieder. Dann erklärte er noch, es könne nicht allzu schwierig sein, den Mann zu finden, und machte sich zum Aufbruch bereit.

Der Stadtsyndikus erhob sich ebenfalls und klopfte dem Gerichtsdiener auf die Schulter, worauf dieser folgsam hinter dem Bürgermeister aus dem Zimmer trottete.

Mr. Fudby stand auf.

»Ich bezweifle sehr, dass ich mein Geld jemals wiedersehen werde«, sagte er bissig. »Chilter, wenn Sie nicht so –«

»Darf ich Ihnen eine Prise Schnupftabak offerieren, Mr. Chilter«, fragte Mylord freundlich und bot dem Sekretär seine mit Juwelen besetzte Dose an. »Sicher möchten Sie jetzt gern meine Stute sehen, Sir?«

»Ich verstehe nichts von Pferden«, schnaubte Mr. Fudby. »Es ist ja mein Schreiber, der anscheinend sämtliche Details behalten hat«, ergänzte er spitz.

»Dann erweisen Sie mir bitte die Ehre, mich zu den Stallungen zu begleiten, Mr. Chilter. Es wäre gut, in diesem Punkt Gewissheit zu haben. Mr. – äh – Fudby – Ihr ergebener Diener.«

»Und nun habe ich ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen, mein Lieber«, sagte Carstares, während sie durch den kleinen Garten gingen.

»Mit mir, Sir? Oh – äh – wirklich, Sir Anthony?«

Chilter blickte auf und sah, dass der fremde Herr lachte.

»Ja, ein ausgesprochen kapitales Huhn sogar! Sie haben mich als Fettwanst beschrieben!«

Chilter fiel beinahe in Ohnmacht.

»Sie, Sir?«, fragte er atemlos. Er war starr vor Staunen.

»Von meinen ungehobelten Flüchen und der langen Narbe ganz zu schweigen!«

Mr. Chilter blieb mitten auf dem Weg stehen.

»Sie waren das, Sir – die ganze Zeit über? Sie haben uns überfallen? Waren Sie der Mann, der den Schlag aufriss?«

»Ja, dieser Schurke bin ich, und ich möchte mich hiermit gleich noch einmal für seine unverzeihliche Unachtsamkeit entschuldigen. Aber jetzt erklären Sie mir, warum Sie sich solche Mühe gaben, diesen Siebenschläfern Sand in die Augen zu streuen!«

Sie gingen langsam weiter.

»Ich – ich weiß nicht, Sir«, stotterte der kleine Schreiber errötend. »Ich fand Sie einfach so sympathisch, und – und –«

»Verstehe. Sie haben mir wirklich sehr geholfen, Mr. Chilter. Haben Sie irgendeinen Wunsch, den ich Ihnen als Zeichen meiner Dankbarkeit erfüllen könnte?«

Wieder stieg dem kleinen Mann das Blut in die Wangen, und er hob stolz den Kopf.

»Ich danke Ihnen, Sir, aber das ist nicht nötig.«

Mittlerweile hatten sie den Stall erreicht. Carstares schob die Tür auf, und sie traten ein.

»Dann machen Sie mir die Freude, dies als Beweis meiner Hochachtung anzunehmen.«

Mr. Chilter starrte auf den Smaragdring, der ihm von der Handfläche Mylords entgegenglühte. Er hob den Blick zu den blauen Augen empor und stammelte: »Wirklich, Sir, ich – ich –«

»Er ist ehrlich erworben«, drängte John. »Kommen Sie, Mr. Chilter, Sie wollen mich doch nicht kränken! Behalten Sie ihn als Andenken an einen dicken Mann, der Sie rücksichtslos auf die Straße stieß.«

Der Schreiber nahm den Ring mit zitternden Fingern.

»Ich danke Ihnen ganz –«

»Aber nein, mein Lieber, ich habe Ihnen für Ihre Hilfe zu danken ... Und nun schauen Sie sich meine Jenny an! Na, mein Mädchen?« Die Stute hatte ihm, als sie seine Stimme hörte, sofort den Kopf zugewandt und wieherte und scharrte ungeduldig in ihrer Box.

»Ich begreife überhaupt nichts, Sir – weder dass Sie ein Straßenräuber sind, noch warum Sie gerade mich durch Ihr Vertrauen geehrt haben –, aber – ich danke Ihnen.«

Mit diesen Worten legte Mr. Chilter seine Hand in die Mylords und fühlte zum zweiten Mal in seinem Leben den festen, freundschaftlichen Druck dieser warmen Finger.

»Um Gottes willen, Euer Gnaden! Sie haben Ihren Smaragd verloren!«

»Nein, Jim. Verschenkt.«

»Sir!«

»Mhm. Dem kleinen Weberknecht.«

»A-aber –«

»Und dick hat er mich auch noch genannt.«

»Wie hat er Sie genannt, Sir?«, fragte Salter verwundert.

»Ja, sogar ausgesprochen fett. Übrigens, damit du Bescheid weißt, ich habe Jenny heute in Fittering dem frechen Kerl abgekauft, der Mr. Bumble Bee überfallen hat.« Er schilderte Jim kurz, was sich unten ereignet hatte. Als er fertig war, schüttelte der Diener streng den Kopf.

»Aber Sir!«

»Was hab ich denn getan?«

»Warum haben Sie dem Weberknecht reinen Wein eingeschenkt? So eine Unvorsichtigkeit! Wahrscheinlich wird er's dem Dicken verraten, und dann haben wir die ganze Stadt auf dem Hals!«

»Da kennst du unsern Mr. Chilter aber schlecht«, sagte sein Herr gelassen. »Reich mir den Puder.«

III. Sir Richard Carstares tritt auf

Wyncham! Ein prachtvolles altes Herrenhaus mit anmutigen Bogenfenstern, von Efeu überwucherte Mauern hoch über gewaltigen Steinterrassen ... Unendlich weiter Rasen, der sich sanft zum Fluss hinneigt, wo kristallklares Wasser funkelnd unter den Arkaden überhängender Zweige dahinplätschert und den Blick auf die Kiesel tief am Grund freigibt ... Rasen, der sich wie ein grünsamtener Teppich bis zu den fernen Obstgärten erstreckt und am Horizont in Wiesenland übergeht.

Strahlend weiß liegen auf zwei Seiten des Gebäudes die Terrassen im Sonnenlicht, Steinstufen führen hinab zu einem kleinen, von Wasserlilien übersäten Weiher, in dem winzige Fische umherhuschen.

Mit Fliesen ausgelegte Wege führen an leuchtend bunten Blumenrabatten vorbei und verlieren sich im Schatten uralter, majestätischer Bäume. Jenseits des Flusses beginnen die Wälder mit ihrem weichen, dunklen Moos, das sich im Frühling in ein Meer von Schlüsselblumen verwandelt. Doch selbst dann wirkt das dämmrige Dunkel kaum heller, so dicht sind die Laubkronen ineinander verflochten.

An den Mauern der Terrassen ranken sich Rosen empor, breiten ihre schwankenden rosaweißen und gelbroten Blütenwolken über die Brüstung, weben mit purpurner Waldrebe, Jasmin und blassem Geißblatt eine üppige Hecke bis hoch hinauf zu den Fenstern. Die Luft ist schwer von all diesem Duft, in den sich noch ein zarter Hauch Lavendel mischt, der vom Garten heraufweht. Das alte Haus scheint Dornröschenschlaf zu halten, bis auf den Pfau, der auf den Terrassenstufen sein Gefieder putzt.

Generationen von Carstares haben hier gelebt. Earl war auf Earl gefolgt, um uneingeschränkt über dieses kleine Reich zu herrschen, und erst jetzt war die Tradition zum ersten Mal gebrochen, denn niemand wusste, wo sich der älteste Sohn des vor einem Monat verstorbenen Earls, sein rechtmäßiger Nachfolger, aufhielt. Sechs Jahre war er nun schon verschwunden, und man wagte kaum, seinen Namen zu flüstern, den Namen eines Entehrten, den der eigene Vater verstoßen hatte ... Doch die armen Bauern dachten oft an ihn und erzählten einander immer wieder von seinem Mut, seinem fröhlichen, gewinnenden Wesen, seinem freundlichen Lächeln, seiner unendlichen Güte und seinem feinen Humor. Was für ein Reiter er doch gewesen war! Eine Augenweide, ihn zu Pferd zu sehen! Was für ein Fechter! Allen ist unvergessen, wie er sich vor einem Haufen Zuschauer dort drüben am Waldrand mit dem jungen Mr. Welsh geschlagen hat. Ah, das war schon ein Teufelskerl, unser Master John! Schlug dem anderen den Degen glatt aus der Hand und blieb dann stehen und wartete, dass er ihn wieder aufhob! Und wie seine Augen dabei funkelten, und wie er lachte, einfach so – aus purer Lebenslust!