Die Akte John Fowley - Jörg S. Gustmann - E-Book

Die Akte John Fowley E-Book

Jörg S. Gustmann

0,0

  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Der New Yorker Unternehmer John Fowley gerät ins Visier diverser Mächte, die seine metallverarbeitende Firma unter ihre Kontrolle bringen wollen. Er ahnt nicht, welche internationale Tragweite ein Erfolg dieses Übernahmeversuchs hätte, noch macht er sich ein Bild davon, wem er alles im Wege steht. Erst langsam beginnt Fowley auch die Dimension der geistlichen Welt zu erahnen und wird Zeuge des darin tobenden Kampfes, den sich wehrhafte Engel im Auftrag des Höchsten gegen den großen Verführer und seine niederträchtige Gefolgschaft im Kampf um das Herz eines jeden Menschen liefern. "Ein absolut packender Roman von Jörg S. Gustmann, der die Ebenen der sichtbaren und unsichtbaren Welt zu einer fesselnden Story verwebt."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 488

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

Die Akte John Fowley

Mysterythriller

 

 

von

Jörg S. Gustmann

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-195-1

MOBI ISBN 978-3-95865-196-8

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Inhalt:

Der New Yorker Unternehmer John Fowley gerät ins Visier diverser Mächte, die seine metallverarbeitende Firma unter ihre Kontrolle bringen wollen. Er ahnt nicht, welche internationale Tragweite ein Erfolg dieses Übernahmeversuchs hätte, noch macht er sich ein Bild davon, wem er alles im Wege steht. Erst langsam beginnt Fowley auch die Dimension der geistlichen Welt zu erahnen und wird Zeuge des darin tobenden Kampfes, den sich wehrhafte Engel im Auftrag des Höchsten gegen den großen Verführer und seine niederträchtige Gefolgschaft im Kampf um das Herz eines jeden Menschen liefern.

 

“Ein absolut packender Roman von Jörg S. Gustmann, der die Ebenen der sichtbaren und unsichtbaren Welt zu einer fesselnden Story verwebt.“

Felix qui potuit rerum

cognoscere causas

Glücklich, wem es gelang,

„Manchmal redet Gott auf die eine oder andere Weise,

aber man beachtet es nicht.

Im Traum, im Nachtgesicht,

im tiefen nächtlichen Schlaf,

da öffnet er das Ohr der Menschen

und schreckt sie auf und warnt sie,

um sie von ihrem Tun abzubringen

und um ihnen ihren Hochmut auszutreiben.“

Prolog

Der betagte Mönch stapfte den matschigen Weg von der Kapelle zurück zu seinem Kloster, wobei er ein rhythmisches Glucksen unter seinen Sandalen erzeugte. Obwohl er nur rund 500 Meter Wegstrecke zu gehen hatte, schien ihm der Weg in dieser Nacht schier endlos zu sein. Noch dazu hatten die wochenlangen Regen- und Schneefälle den Boden in einen unberechenbaren, rutschigen Untergrund verwandelt. Der Atem des Alten formte feine weiße Fahnen in der eisigen Winterluft. Die umliegenden Hügel umrahmten jenen Ort, der ihm die letzten 60 Jahre als Wohnstatt gedient hatte. Zu beiden Seiten des Weges begrenzten tiefe Furchen oder struppige Büsche die Felder, von denen er während der Sommermonate lebte. Es war eine klare Vollmondnacht, und Pater Ambrosius war dankbar, dass sein Pfad nicht, wie in vielen anderen Nächten, in völlige Dunkelheit getaucht war. Um ihn herum herrschte absolute Stille. Kein Lüftchen strich über das froststarre Gras zu seiner Rechten, kein Hauch spielte mit den toten braunen Blättern oder wirbelte sie durcheinander.

Der Pater schloss den Kragen seiner Kutte unter dem silbrigen Bart, denn er fror ziemlich. Allerdings, was hätte es schon ausgemacht, noch schwerer zu erkranken? Seine Lebensuhr war abgelaufen, das wusste er ganz genau. Schritt für Schritt lenkte er seine gebrechlichen Füße über das unwegsame Gelände. Im Abstand von vielen Metern folgten ihm die Brüder des alten Klosters, stumm und ehrfürchtig, wie in einer heiligen Prozession. Pater Ambrosius war schon vorausgegangen, er musste sich beeilen, schließlich wollte er sein Werk baldmöglichst vollenden.

Die kahlen Äste der Bäume, die ihn umgaben, wirkten gespenstisch wie bizarre Gerippe, dennoch hegte Ambrosius Gedanken des Friedens und der Freude. Dankbar blickte er auf ein langes, entbehrungsreiches, aber gesegnetes Leben zurück, und voller Zuversicht dachte er an die Zukunft in der Gegenwart seines Gottes, dem er mit allen Kräften und ohne Unterlass gedient hatte. Seine Freude und seine Zuversicht galt einzig und allein dieser Gewissheit: Er würde seinen Gott von Angesicht zu Angesicht sehen, so wie er wirklich war, und all die andern Bewohner des Himmels auch!

Irgendwo in der Ferne heulte ein streunender Köter. Sein Wehklagen zeugte von dem Elend der gefallenen Schöpfung, die auf baldige Erlösung harrte. Eine Schöpfung, die angesichts der Weite des Universums in Bedeutungslosigkeit versinken wollte. Ambrosius jedoch wusste genau: Vergängliches Fleisch und vergängliches Gebein würden in die Herrlichkeit der Unvergänglichkeit verwandelt werden.

Der Mönch gebot seinen Beinen mit kraftvoller Entschlossenheit, vorwärtszuschreiten. Seinen Blick hielt er auf die vor ihm liegenden, hohen Mauern gerichtet, die das Mondlicht weiß reflektierten. Man hörte seinen keuchenden, rasselnden Atem, und sein Herz hämmerte gegen die Rippen. „Nur noch wenige Meter!“, machte er sich Mut.

Ihm, dem alten Mönch, war es aufgetragen, all jene Dinge in das Buch der Weisheit niederzuschreiben, unaussprechliche und unerhörte Dinge! Er fragte sich, ob ihm deren Schau zu einem Segen oder einem Fluch geworden war. Mühsam stolperte er die ausgetretenen Stufen zu dem Gang empor, der ihn zu seiner kargen Zelle führte. Er öffnete die knarrende, von der Kälte verzogene Tür und betrat den dunklen Raum, der genug Platz bot für ein aus Stroh gefertigtes Bett, einen Schreibtisch mit einem Hocker davor und einem Regal, das vor Büchern überquoll. Es roch nach muffigem Mauerwerk, vermischt mit dem Duft selbstgetauchter Kerzen.

Er schloss die schwere Tür hinter sich und nahm die braune Kapuze ab. Ohne Umschweife setzte er sich an den von Holzwürmern zerfressenen Tisch, zündete eine Kerze an, nahm den vor ihm liegenden Gänsekiel in die Hand, tauchte ihn in die schwarze, übel riechende Tinte und vollendete auf dem Büttenpapier des Buches sein Werk, das über viele Generationen lang keine Beachtung finden sollte … Zittrig und von heiliger Erregung getrieben fuhr seine Hand über das Blatt.

Der Pater schrieb die letzten Zeilen seines irdischen Daseins: „Es gilt zu unterscheiden, zwischen dem, was des Menschen Sinne wahrnehmen können, und solchem, was ihnen verborgen bleibt. Letzteres ist für Mensch und Tier jedoch nicht minder real als all die sichtbaren und fühlbaren Dinge. Das unendliche Universum wird bevölkert von einer mannigfaltigen Anzahl verschiedener Wesen und Kreaturen, die den Sinnen des Menschen bis heute entzogen geblieben sind. Ich jedoch kenne sie und habe sie gesehen. Sie bewegen sich zwischen dem dritten Himmel und der Erde und dem Bereich unter der Erde. Ich sah herrliche, mir freundlich gesonnene Engel, und doch waren sie gewaltig in ihrer Stärke und Kraft. Ich sah aber auch hässliche, Furcht einflößende Kreaturen, untertan ihrem finsteren Meister, dem sie sich vor Urzeiten verpflichtet hatten. Gott ist der Herr der Heerscharen, und alle Mächte unterstehen seiner letzten Herrschaft. Alle, die guten wie die bösen.

Nun ist es eine unangefochtene Wahrheit, dass des Menschen Gedanken und Taten der Quelle seines Herzens entspringen. Dort werden sie geboren, doch gezeugt werden sie nicht vom Menschen allein. Es unterliegt der Entscheidung des Allerhöchsten, des Schöpfers des Himmels und der Erde, wer das Geschick der Menschenkinder mitbestimmen darf. Die Schlacht der Mächte tobt seit unzähligen Generationen, und der Siegespreis ist des Menschen Seele. Die Zukunft des Menschen wird allein von seiner Wahl bestimmt, sei sie klug oder töricht. Am Ende der Zeit, wenn des Kampfes Mühsal verwandelt werden wird in Freude und Glück, wird es nicht mehr so sein, wie es sich derzeit fügt: Es wird keinen Schmerz mehr geben, keine Tränen, kein Leid und keinen Tod. Es wird nur noch den Schöpfer geben und seine Braut, das Volk an seiner Seite. In den letzten Tagen, solange noch die Gnade vom Thron des Allerhöchsten wie ein breiter Strom herabfließt und alles Fleisch und Gemüt erreicht und zur Einsicht bewegt, wenn die Hochzeit des Lammes nicht mehr ferne ist, dann werden die Menschen Träume haben. Sie werden Dinge schauen, die ihnen das Herz öffnen, und sie werden Gott suchen, auf dass er sich von ihnen finden lasse! Der Kampf ist bereits entschieden, das Urteil über den Feind mitsamt seinen unseligen Legionen schon gefällt; doch die letzte Vollstreckung steht noch aus. Darum seid wachsam und nüchtern, seid stark und voller Hoffnung, denn Gott, der Herr der Heerscharen, wird den Triumph mit euch teilen!“

Anno Domini MDCCXIV

Pater Ambrosius legte die Feder beiseite und streckte sich ermattet auf seinem bescheidenen Lager aus. Nun konnte er endlich ruhen! Ein friedliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er schloss die Augen – und tat sie auf Erden nicht wieder auf.

Kapitel 1

New York – September 2011

Unsere Geschichte beginnt am 11. September des Jahres 2011. Es war der zehnte Jahrestag jenes denkwürdigen, feigen terroristischen Anschlags auf das World Trade Center in New York. Ein Tag der Trauer und der Erinnerung an 2749 Opfer, gleichzeitig ein Tag großer Freude. Man hatte den lähmenden Schock in fünfjähriger Bauzeit wie ein tapferer Patient sein lebensbedrohliches Krebsgeschwür erfolgreich bekämpft. Die Stadt New York präsentierte nun der Welt ein neues Wahrzeichen unerschütterlicher Freiheitsliebe: den gigantischen Freedom Tower.

Zunächst schien es in den Jahren zuvor, als ließe sich Ground Zero nie wieder bebauen. Verschiedenste, durchaus spektakuläre Baupläne waren allesamt verworfen worden. Zu groß war der Schmerz gewesen. Man hatte zunächst genug damit zu tun, die letzten, traurigen Überreste des Trümmerhaufens zu beseitigen. Dort, wo die beiden Türme gestanden hatten, klaffte für viele Jahre ein gewaltiges Loch. Der Berg aus geborstenem Stahl, zersplitterten Steinen und Glas, aus verbrannten Computern und Mobiliar sowie aus zerfetzten Leichenteilen hatte sich in eine saubere und ausgeräumte Baugrube verwandelt. Am Rand dieser Grube hingen Bilder von Verstorbenen und Verschütteten an einer speziell dafür errichteten Mauer. Manche von ihnen lösten sich bereits von ihrer Unterlage und begannen, im Wind zu flattern. Die Farben der Fotos verblichen zum größten Teil, und doch traute sich niemand, sie abzureißen. Passanten, die vorübergingen, blickten verstohlen auf die Gesichter der getöteten Menschen und besannen sich mit Freude ihrer eigenen Unversehrtheit.

Die Bilder waren ein Mahnmal des Schreckens, das nicht entfernt werden sollte.

Doch allmählich verdrängte aufkeimender Mut die Lethargie. Architekten aus allen Winkeln der Erde zeichneten Pläne für einen neuen, sicheren Tower. Rund um die Uhr tagten Spezialisten, bis die Genehmigung für einen unzerstörbaren Wolkenkratzer vorlag. 1776 Fuß Höhe sollten an das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung erinnern. Auf einem Fundament von rund 60 Metern Höhe reckte sich ein atemberaubender Obelisk in den Himmel, der schon allein durch jene perfekte Stahl-Titan-Mischung Furore machte, die selbst schwersten Explosionen standhalten würde. Als sicherstes Hochhaus der Welt, wie es stolz genannt wurde, besaß es 60 Zentimeter dicke Betonwände, die zusätzlich mit Unmengen einer speziellen Stahlmischung durchsetzt waren. 69 Stockwerke mit einer Nutzfläche von 250.000 Quadratmetern wurden an diesem Tag feierlich eingeweiht.

Anlässlich dieser, über den ganzen Globus übertragenen Eröffnungsfeier, hielt man die Erinnerung an das unsinnige Töten wach und so konnte man heute – wie in den zehn Jahren zuvor – in den Medien vielerlei Berichte, Analysen und Kommentare vernehmen, die sich mit mehr oder weniger Engagement bemühten, den Leuten das damalige Geschehen erneut begreifbar und verständlich zu machen.

„Was war in jenen Tagen geschehen, als die Bilder des Attentats um die Welt gingen?“, fragte der Reporter von GNB. „Man sah die Menschen mit ungläubigem Kopfschütteln vor den Fernsehern sitzen, zweifelnd an der Existenz eines gesunden Menschenverstands oder der eines liebenden Gottes. Grundfeste waren erschüttert worden, und eine Welle der Bestürzung hatte den gesamten Globus erfasst. Wie ist es möglich, dass menschliche Hirne in der Lage sind, derart skrupellose Handlungen zu ersinnen und überdies noch in die Tat umzusetzen?“, so lautete heute eine viel gestellte Frage. „Was treibt Menschen dazu, mehrere tausend Leben auf einen Schlag zu vernichten, imaginäre Feinde zu eliminieren, um einen Sieg, für wen auch immer, zu erringen?“

Channel 16 hatte einen Philosophen zu Gast im Studio. „Einer Ideologie zu folgen, einen Traum zu realisieren, in der Annahme, das Richtige und das Gute zu vollbringen, dieser Gedanke ist so alt wie die Menschheit selbst“, erläuterte er. „Wir tun, was wir für richtig erachten, bis wir eines Klügeren oder Wahrhaftigeren überführt werden. Doch wem folgt der Mensch? Einer Idee? Seinem Gewissen? Einem Gott? Wir sind, seitdem wir auf dem Schauplatz der Erde erschienen sind, beeinflussbar gewesen, die einen mehr, die anderen weniger. Doch manipulieren kann man alle Menschen, gleichgültig, durch welche Macht auch immer dies geschieht. Wie will man sonst erklären, dass Millionen Zuhörer der feurigen rhetorischen Ansprache eines perfekten, diabolischen Demagogen folgten und ihre Zustimmung zu einemtotalen Krieg’ gaben? Wie kann man fassen, dass man der Vernichtung von sechs Millionen Menschen zustimmte, die lediglich aufgrund ihrer Andersartigkeit als Sündenbock herhalten mussten? Ist es nachzuvollziehen, dass Menschen einem ,Führer‘ folgten, der einen Krieg gegen die gesamte Menschheit anzettelte, nur um seine Machtbesessenheit zu befriedigen?“

Der Philosoph machte eine kurze Pause, bevor er zu seinem eigentlichen Anliegen kam: „Menschen sind beeinflussbar, das ist richtig. Doch wir müssen uns fragen: Wer oder was steckt hinter all dem Chaos dieser Welt? Benötigen wir einen Schuldigen? Gehört Gott auf den Stuhl des Angeklagten? Oder der Teufel? Oder reicht das Böse im Menschen schon aus, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen? Von wem wird der Mensch gelenkt? Behauptet er nicht mit Inbrunst, er sei ein freies Wesen und könne tun und lassen was ihm gefällt? Fragen wie diese haben die Nationen immer beschäftigt und werden es tun, bis Antworten gefunden sind, die Licht in dieses Dunkel bringen …“

Von all diesen Diskussionen und Erörterungen hatte Patricia Cäcilia Highsmith nur wenig mitbekommen, als sie an jenem 11. September des Jahres 2011, einem Montag, gegen 19.30 Uhr ihren Arbeitsplatz verließ. Vermutlich war ihr die Bedeutung des Datums gar nicht mehr so bewusst. Sie war guter Stimmung, sie hatte die Bilanzen abgeschlossen, die Aktenordner sorgfältig verstaut und den Schreibtisch pedantisch aufgeräumt. Patricia freute sich schon darauf, ihrem Chef, John Fowley, am nächsten Morgen ein zufriedenstellendes Ergebnis vorlegen zu können.

Die Buchhalterin wurde zu Hause von niemandem erwartet, in dessen Armen sie hätte Ruhe und Geborgenheit finden können, dennoch trieb der Gedanke an ein heißes Bad und ein entspannendes Glas Wein sie zur Eile an. Ein letztes Mal kontrollierte sie den korrekten Sitz ihres Haarknotens, schloss den obersten Knopf ihrer weißen, gerüschten Bluse und rückte, einer Marotte folgend, die altmodische, mit dicken Gläsern versehene Hornbrille dicht an die Nasenwurzel heran. Den Traum vom Ehe- und Familienglück hatte die Fünfundfünfzigjährige schon vor Jahren aus ihrem Katalog für realistische Wünsche und Träume gestrichen. Ihr Leben war perfekt arrangiert und mit einer Arbeit ausgefüllt, die ihr große Freude bereitete und die genau zu ihren Neigungen passte. Patricia war eine patente, lebenslustige Frau, und ihren Arbeitskollegen fiel es nicht schwer, sie zu mögen – trotz ihres antiquierten, schrulligen Äußeren.

Sie warf sich den Mantel über die Schultern, schlüpfte mit den Armen hinein und griff gewohnheitsmäßig nach ihrem Schal. Doch der Garderobenhaken war leer, und so sehr sie auch suchte, sie konnte ihren roten Seidenschal nirgends finden. Verärgert schloss sie den obersten Knopf ihres Mantels und verließ das Büro. Ihr Blick fiel auf das sonderbare Paket, das am Morgen von einem arabisch aussehenden Boten bei ihr abgegeben worden war. „Welch ein Dummkopf lässt ein leeres Paket ohne Absender bei mir abliefern?“, fuhr es ihr durch den Sinn. „Ob er vielleicht meinen Schal …?“

Irritiert schüttelte sie den Kopf und schob den Gedanken beiseite.

***

Abdul Hassan saß im Schneidersitz auf dem Boden des billigen Hotelzimmers. Die Zeit schien günstig. Er wusste, wann Patricia das Büro verlassen würde und hatte dementsprechend alles für die Aktion vorbereitet. Vor ihm stand ein Holztisch, den er in gewohnter Manier in einen Altar verwandelt hatte. Bei näherer Betrachtung war es eher ein Schrein. Verschiedene Gegenstände, Steine und Amulette, lagen in einer festgelegten Ordnung auf dem Tisch und wurden von Kerzen und Räucherstäbchen umrahmt. Dünne, nach Sandelholz duftende Schwaden trieben wie der Rauch eines Kamins bei windstiller Witterung in Richtung der fleckigen Zimmerdecke und wurden durch die gleichmäßige Atmung Abduls aus ihrer Bahn gelenkt.

Abdul schloss die Augen und konzentrierte sich. Seine Unterarme ruhten auf seinen Knien, während er die Handflächen wie eine Schale geformt nach oben gerichtet hielt. Mit gleichmäßigen Bewegungen wiegte er sich im Rhythmus orientalischer Musik und murmelte unverständliche Laute vor sich hin. Abdul liebte solche Meditationsübungen. In diesem Zustand konnte er stundenlang verharren und zu seinen Ahnen und anderen Schutzgeistern, mit denen er zusammenlebte und die er befehligte, Kontakt aufnehmen.

***

Patricia strebte mit kurzen, flinken Schritten durch die Drehtür des Hochhauses ins Freie. Dieses befand sich in Manhattan, unmittelbar neben der First Baptist Church, mit Blick auf den Hudson River, circa eine Meile von den Lincoln Towers entfernt. Sie streckte sich und schaute sich nach beiden Seiten um. Freudig atmete sie die frische, kühle Abendluft in ihre vom stickigen Büromief durchsetzten Lungen ein. Sie hatte wenige Blocks Fußweg bis zur U-Bahn vor sich. Ihr Heimweg führte sie von Uptown nach Downtown. Genau an der Ecke, wo die Amsterdam Avenue den Broadway kreuzte, würde sie in die Subway hinabsteigen. Die U-Bahn würde sie geradewegs nach Greenwich Village bringen, und nachdem sie dort ausgestiegen wäre, hätte sie das Mietshaus in der Bleeker Street in weniger als zwanzig Minuten erreicht – so wie immer.

Doch an diesem Abend sollte ihr das entspannende, heiße Bad und das Glas lieblichen, weißen Weines nicht vergönnt sein …

***

Abduls Bewegungen wurden heftiger, die fremdartige Stimme nahm an Lautstärke zu. Die Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen, der Mann vor dem Altar war in eine Mischung aus Finsternis und Rauchschwaden eingehüllt. Beschwörend hob er die Hände und umfasste mit der einen Hand einen roten Seidenschal, während er mit der anderen eine Puppe festhielt. Dann streckte er die Dinge in seinen Händen über seinem Kopf zur Zimmerdecke empor, als wollte er sie jemandem als Opfer darreichen.

Zahlreiche kichernde Schatten huschten um seinen Kopf herum, und er genoss ihre Anwesenheit. Sie gaben sich als seine Schutzengel aus, als seine inneren Führer und als die Seelen seiner verstorbenen Lieben.

Er glaubte ihnen. Warum auch nicht?

***

Jeden Abend ging Patricia diesen Weg allein. Sie hatte noch nie das Gefühl gehabt, New York sei keine sichere Stadt. Doch an diesem Abend wollte sie für diese Behauptung keine Wette eingehen, sie wurde das Gefühl nicht los, von jemandem verfolgt zu werden. Wieder und wieder schaute sie sich um, obwohl niemand zu sehen war, der Interesse daran haben könnte, ihr etwas anzutun. Alles schien wie immer zu sein …

Und doch – irgendetwas stimmte nicht.

Dunkle, unsichtbare Schatten huschten um sie herum, stießen sie an, griffen nach ihrer Seele und keiften für Patricia unhörbares, irres Zeug in die schwere Dunkelheit, die sich abseits der Lampen der amerikanischen Schlachtschiffe verbarg.

Patricia hatte sich bislang für eine resolute Frau gehalten, die mit manch einem jugendlichen Straßenräuber mühelos fertig geworden wäre. Aber wie sollte sie gegen eine Macht kämpfen, die sie nicht sah, die sie nicht kannte und deren Existenz sie leugnen würde, falls ihr jemand davon erzählt hätte?

Immer öfter drehte sie sich um. Ihr Puls hämmerte in ihrem Hals, und sie schwitzte trotz sinkender Temperaturen. Zweifellos, sie hatte große Angst. Sie hörte Schritte, jedenfalls glaubte sie das in ihrem Wahn. Wie ein gehetztes Tier rannte sie durch die dunklen Gassen, so schnell, wie ihre hohen Absätze es zuließen. Sie begegnete vielen Leuten, die verwundert den Kopf schüttelten und ihr nachsahen. Sie ahnte, dass Menschen ihr nicht hätten helfen können, weil ihre Verfolger auch nicht menschlich waren.

Sie drückte sich an die Hauswände und befahl ihren Beinen, noch schneller zu rennen. Plötzlich knickte sie mit dem rechten Fuß um. Ein ziehender Schmerz im Gelenk ließ sie kurz aufschreien. Während sie heftig atmete, stieß sie ein weinerliches Flehen aus. Alle ihre Muskeln zitterten, und ihre Hirnanhangsdrüse schüttete eine so gewaltige Menge Adrenalin aus, dass sie einer Lähmung nahe war. Ihr Mund war aufgerissen, damit sie genügend Luft in die schmerzenden Lungen pressen konnte, ihre Speicheldrüsen versagten ihr den Dienst und die Zunge klebte an ihrem trockenen Gaumen.

Das letzte Mal, dass sie – in weit abgeschwächter Form – solche Symptome der Angst verspürt hatte, war am Tag ihrer Examensprüfung in Betriebswirtschaft gewesen. Damals hatte sie Sorgen um einen nur mit befriedigend benoteten Studienabschluss gehabt. Jetzt indes, bangte sie um ihr nacktes Leben!

Längst hatte sich ihr hochgestecktes Haar gelöst und wirbelte ihr haltlos durchs Gesicht. Es klebte an den schweißnassen Wangen, und sie wischte einige Strähnen aus den Augen. Einem spontanen Impuls folgend, ließ sie ihre Handtasche fallen und humpelte weiter. Vielleicht hatte ihr Verfolger es auf ihr Geld oder auf ihre Kreditkarten abgesehen? Doch als sie sich nach dreißig Metern erneut umsah, lag ihre Tasche nach wie vor am selben Ort. Ihre Verzweiflung wuchs ins schier Unermessliche.

„Was ist denn mit dir los? Da ist niemand! Du spinnst! Du bist überarbeitet! Reg dich ab! Alles ist gut, bleib ruhig!“

Pausenlos redete sie auf sich ein, beschwor sich zur Ruhe, es nützte nichts. Sie spürte, dass man ihr auf den Fersen war, und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Sie wollte beten, doch zu wem und wie? Sie wusste es nicht.

Patricia Highsmith war jemandem bei einem teuflischen Plan im Weg!

***

Abduls Erregung näherte sich dem Höhepunkt. Sein Körper zuckte, und er schüttelte sich. Sein monotones Rufen verschiedener fremdländischer Namen ging in ein Schreien übe, und sein verklärtes Lachen entblößte ungepflegte und kariöse Zähne. Abdul hatte den Seidenschal um die Füße der Puppe gewickelt. Im entscheidenden Moment gab er ihr einen Klaps auf den Rücken. Die Schatten hatten ihn verlassen. Sie waren ausgesandt, das Werk im Namen ihres Gebieters zu tun. Sie liebten diese Aufträge, sie entsprachen ihrer unheiligen Berufung.

***

Als Patricia – von vielen wurde sie liebevoll kurz „Pat“ genannt – die U-Bahn-Haltestelle sah, schöpfte sie neue Hoffnung. Nur noch wenige Schritte, dann würde sie unter wartenden, friedlichen, von der Arbeit ermüdeten Menschen sein – unter Zeugen. Sie erreichte die ersten Stufen und begann in sicheres Gebiet hinabzusteigen …

Da passierte es! Ihre Füße stießen scheinbar gegen eine Art Hindernis.

„Jetzt!“, schallte es, für Patricias Ohren unhörbar, durch die Finsternis.

Sie begann zu stolpern. Es schien ihr, als seien ihre Füße mit einer Schnur oder Ähnlichem zusammengebunden. Es war ihr nicht mehr möglich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, als hätte ihr jemand einen dumpfen Schlag auf den Rücken versetzt. Ihre Hände fanden keinen Halt, und mit einem furchterfüllten Schrei stürzte sie die Betonstufen hinunter.

Sie fiel geradewegs in den Tod.

Ihr Schädel schlug auf der Kante der zwölften Stufe auf. Ein Krachen hätte einem kundigen, in der Nähe stehenden Mediziner den Bruch ihres Genicks verraten, doch außer den dunklen Schatten, die sie in ihr irdisches Ende getrieben hatten, war niemand bei ihr. Sie rollte weiter, fiel sämtliche Stufen hinunter, bis ihr zerschundener Körper am Ende der Treppe liegen blieb. Ihre Beine lagen verdreht auf dem von Hunden verdreckten Boden, und ihr Kopf war nach hinten, eigenartig schief abgeknickt. Ihre Augen blieben geöffnet. Hätten sie noch etwas wahrnehmen können, so wäre ihr Blick direkt auf die mit bunten Graffitis beschmierten Wände gefallen, auf denen ein Schriftzug prangte, der auf makabre Weise zu ihrer Situation passte: Welcome to Hell! Darüber waren deutlich drei Zahlen zu lesen: 666.

***

Zur selben Zeit traf John Fowley im internationalen Zentrum für Meditation und Wellness ein und spürte für kurze Zeit ein fremdartig beklemmendes Gefühl.

Die globale Vereinigung der Weltreligionen hatte in vielen Städten auf der ganzen Welt Zentren eingerichtet, in denen die Menschen in die Techniken der Entspannung und der neuen Religion eingewiesen wurden. Zweimal in der Woche besuchte John das hiesige Zentrum, um unter fachkundiger Anleitung zu entspannen und dem Stress der Firma so effektiv wie möglich zu begegnen.

Das Angebot der Dienstleistungen war vielfältig, darüber klärte eine Tafel im gläsernen Portal den Besucher auf: Es gab Reiki und Seiki, Farb- und Aroma-Therapie, Dienste eines Druiden und geistigen Führers, spiritistische Sitzungen mit garantiertem Kontakt zu Verstorbenen, Einführungen in die Künste des Voodoo, Vorträge über Engel und Elfen sowie astrologische Kurse. Nicht zu vergessen die über viele Monate ausgebuchten Kurse für Führungskräfte, die auch John für sich in Anspruch genommen hatte. Hoffnung auf Wegweisung durch den Dschungel des Lebens war die Triebfeder, die die Menschen hierher brachte. Sie waren auf der Suche nach einem Tor des Geistes – nach einer anderen Ebene des Daseins und begierig nach Antworten auf existentielle Fragen. Die Glaskathedrale – so wurde die gelungene Konstruktion aus Stahl und Glas genannt, obwohl das Zentrum mit einer Kirche genau so wenig gemein hatte wie eine Moschee. Hier im Zentrum, hatte man John gesagt, wäre die Verdichtung spiritueller Energie am höchsten. Die Intensität der Lichtstrahlen, die von den im Raum verteilten, an dünnen Seilen hängenden Leuchten ausging, überzog die weißen Wände und den Marmorboden mit quirligen Schattenspielen. Das Eingangsportal vermittelte die Schwere einer geweihten Erhabenheit. Die Luft war rein, ja fast steril.

John hatte sich darauf gefreut, heute wieder die Kräfte des Kosmos mit den seinen zu vereinen, doch nun fühlte er eine ihm nicht bekannte Furcht in sich aufsteigen. Für einen kurzen Moment hatte er den Eindruck, als wäre etwas Schreckliches geschehen, etwas, das auch ihn betraf. Er verharrte für Sekunden im Eingangsbereich des Wohlfühltempels und versuchte, seine schlechte Stimmung durch rationale Gedanken zu vertreiben. Er konzentrierte sich auf die Stunde, die vor ihm lag. Im Umkleideraum des Instituts herrschte gedämpftes Licht, und wohltuende Harfenklänge beschallten von vielen Seiten seine Ohren. John trug zu seinen Meditationen lässige bequeme Sportkleidung ohne Schuhe.

Er wurde schon erwartet. Die elf männlichen Teilnehmer saßen in einem Kreis zusammen und hatten den Lotussitz eingenommen. Zu diesen Kursen wurden nie mehr als zwölf Teilnehmer zugelassen, aus welchem Grund auch immer.

„Ah, Mr. Fowley! Schön, dass Sie noch kommen! Nehmen Sie bitte Platz!“, sagte Rasul mit sanfter Stimme und deutete auf die noch freie Lücke zwischen zwei anderen Teilnehmern.

John nickte mit einem formalen Lächeln in die Runde der ihm wage bekannten Jünger und begrüßte Dr. Sharif Ben Rasul, seinen Mentor und Trainer.

Rasul war gebürtiger Inder, lebte aber geraume Zeit in New York. Seit seiner Kindheit hatte er sich in der Vervollkommnung verschiedenster Techniken der Entspannung, der Meditation und der Hinwendung zu den nichtsichtbaren, feinstofflichen Ebenen geübt. Er verstand es aufs Vortrefflichste, die alten Religionen aller Völker in die neuen Lehren der zügig aufkeimenden Welteinheitsreligion einzugliedern.

John setzte sich zu den anderen in den Kreis und versuchte, das beklemmende Gefühl, das sich seiner Minuten zuvor bemächtigt hatte, abzuschütteln. Er richtete seine Gedanken auf die Regelmäßigkeit seiner Atmung: Einatmen – drei Sekunden halten – langsam ausatmen – einatmen – drei Sekunden halten – langsam ausatmen – und wieder von vorn. Die angenehme Musik, die er schon im Umkleideraum gehört hatte, war auch hier zu vernehmen. Es roch orientalisch, wie John fand, und doch bemerkte er den Hauch einer fauligen, moderigen Komponente in dem Duft, der alle Teilnehmer in diesem Raum einnebelte. Nichts Störendes sollte den Meditierenden davon abhalten, sich in die eigenen inneren Welten zu versenken und Kontakt zum Kosmos aufzunehmen.

„Ein neues Zeitalter durch eine neue Religion!“, sagte Rasul aufs Neue und leitete die Sitzung ein.

„Meine Freunde! Wir betonen das Einende und nicht das Trennende. Alle Menschen von Mutter Erde sind gleich und unterstehen der einen kosmischen Kraft, aus der alles geworden ist und zu der wir hingelangen werden, um erneut wiedergeboren zu werden, zum Zweck der Vervollkommnung unserer menschlichen Tugenden.“

Die Jünger hörten aufmerksam und mit geschlossenen Augen zu, während Rasul mit Bedacht die rituelle Initiation formulierte. Sie nickten bestätigend dazu.

„Wir erheben unsere Hände zu der universellen Kraft des Lebens und heißen sie willkommen. Wir empfangen den Geist und die Energie des Fürsten dieser Welt.“

Rasul murmelte einige meditative Begrüßungsformeln, die von den Jüngern nachgesprochen wurden. Jeder Teilnehmer war aufgefordert, den Ausführungen Rasuls zu folgen und keine Gedanken des Zweifels zu dulden. Jeder Einzelne hob die Hände und richtete die geschlossenen Augen in Richtung der vielen Lämpchen, die die Decke auf der Unterseite auskleideten. Es war, als würden die Schüler tatsächlich jemanden erwarten, der von oben herab zu ihnen käme.

John kannte diese Prozedur hinlänglich. Die Atmosphäre veränderte sich im Raum, es wurde stiller. Johns Atem verlangsamte sich, sein Bewusstsein trat in den Hintergrund. Nach und nach öffneten sich alle Anwesenden den kosmischen Kräften, um von ihnen Stärkung und Wegweisung zu erhalten. Nicht selten fingen die Leute an zu lachen oder zu weinen, ein Ausdruck befreiender und reinigender Gefühle, die durch das Wissen des Angenommenseins durch ihren Schöpfergeist hervorgerufen wurden.

John lachte oder weinte nie!

Er entspannte sich – und das war auch schon alles. Fowley war enttäuscht darüber, nicht die gleichen, tiefen Erfahrungen wie die anderen gemacht zu haben. Er hatte sich deswegen gelegentlich schon bei Dr. Rasul beklagt. Und das tat er auch an diesem Abend. Rasul und John saßen sich noch gegenüber, als alle anderen den Meditationsraum verlassen hatten. Rasul öffnete sein schwarzes, glänzendes Gewand und legte die Falten zur Seite. Eine goldene Kette mit einem Amulett kam zum Vorschein. Es prangte vor seiner Brust und zeigte einen fünfzackigen Stern, der von einer zierlich anmutenden Schlange durchschlängelt wurde. In der Mitte des Sterns lag die Weltenkugel eingebettet. Dieses Zeichen kannte mittlerweile jeder in New York – und vermutlich auch der Rest der Welt: Es war das Symbol der neuen Weltordnung.

Gemächlich strich sich Rasul über seinen weißen Bart. „Mein Sohn, du musst alle störenden Einflüsse aus deinen Gedanken verbannen und dich auf das Fließen der universellen Energie konzentrieren!“

„Aber das tue ich doch die ganze Zeit“, antwortete John gereizt.

„Vergiss alles, was du in deinem Leben gehört und gelernt hast“.

Rasul schaute John eindringlich in die Augen und fesselte ihn mit diesem Blick. Seine Stimme wurde ruhig und gleichmäßig und nahm einen hypnotischen Charakter an. „Vergiss alle Götter dieser Welt! Vergiss vor allen Dingen den Gott der Christen! Die Lehre der Christen ist eine aggressive und trennende Religion! Sie ist unverschämt intolerant und lässt keine anderen Lehrmeinungen neben der eigenen zu!“

John nickte verstimmt und dachte an Maggie, seine Frau. Das sollte sie mal hören! Doch sie hatte nichts für „derlei neumodischen Kram“, wie sie sich ausdrückte, übrig. Rasul rutschte dichter an John heran und legte seine rechte Hand auf seinen Kopf, um ihn zu segnen. John schloss die Augen, hielt die Handflächen als eine Geste des Empfangens nach oben und hoffte, die Kraft seines Meisters in sich aufnehmen zu können.

Rasul begann: „Mein Sohn, du bist ein Kind des Himmels und der Erde. Du bist makellos und rein im Angesicht der Natur, von der du stammst. Nutze deine Erdenzeit zur Vervollkommnung und lass es dir an nichts fehlen! Verfolge deine irdischen Ziele mit Ehrgeiz! Kümmere dich in erster Linie um dein Leben und nicht um das anderer. Bleibe dir treu! Gott, der große Geist, ist in allem und in jedem. Wenn du dir treu bleibst, bleibst du auch ihm treu. So segne dich der alles in sich vereinende Geist des Universums!“

John öffnete die Augen und fühlte sich großartig. Ab jetzt würde ihm nichts und niemand mehr im Wege stehen. Er sollte seine Ziele verfolgen, hatte Rasul gesagt. Und das würde er zur Ehre des großen Geistes auch tun!

***

Abdul Hassan legte seinen Kopf zufrieden in den Nacken und summte vor sich hin. Das Werk war vollbracht, das hatten ihm die Geister mitgeteilt! Mit Genugtuung erfüllt öffnete er die Augen, blies die Kerzen aus und erhob sich von seinem Gebetsplatz. Wie schon unzählige Male zuvor, rollte er seinen Teppich zusammen und legte ihn unters Bett.

Für Patricia Highsmith kam jede Hilfe zu spät. Der herbeigerufene Rettungsarzt stellte den Unfalltod der zarten Frau durch Genickbruch fest. Ihre Personalien blieben unbekannt, bis ihre Handtasche am nächsten Tag in einem Hauseingang gefunden und das Foto auf der Personal Identity Card mit dem zerschürften Gesicht jener toten Frau verglichen wurde. Der Strichcode auf der Karte wies ihren genetischen Fingerabdruck aus, so dass Patricia zweifelsfrei identifiziert werden konnte. Ihr Körper lag nun auf einer kalten Metallbahre in einem mit weißen Fliesen gekachelten Leichenschauhaus, während ihre Seele sich erhob und geleitet wurde an einen Ort, von dem kaum jemand hier etwas ahnte.

Kapitel 2

Das Zeltlager, das im Schutz der afghanischen Berge lag, musste für westliche Verhältnisse eher als spartanisch bezeichnet werden. Es war in Eile aufgerichtet worden. Der Wüstensturm zurrte an den Seilen der einzelnen Zelte, und nur das vollständige Vermummen des Körpers konnte das Eindringen des feinen Sandes in jede Ritze halbwegs verhindern. Die hier lebenden Männer und ihre Familien führten ein unstetes Nomadenleben. Sie befanden sich permanent auf der Flucht, jederzeit bereit, die provisorische Wohnstätte abzureißen und andernorts erneut aufzuschlagen. Im Grunde waren sie überall zu Hause, an jedem Ort und in jedem Winkel der Wüste. Ihre Ziele waren in ihr Herz eingebrannt und sie zu verfolgen – wo auch immer sie das hinbringen würde -, bereitete ihnen größte Genugtuung. Seit ihrem Sieg über den Erzfeind Amerika vor zehn Jahren und zahlreichen erfolgreichen weltweiten Terrorakten, hatten sie ihre Machtposition im Kampf gegen Juden und Christen gefestigt. Und doch mussten sie auf der Hut vor überraschenden Angriffen feindlicher Militärs sein. Sie fürchteten die mit Wärmesensoren ausgestatteten Helikopter, doch ihr Vorteil war, dass das Gebiet für Unkundige kaum zu durchforsten war. Es bot mit seinen in den Felsen versteckten Höhlen eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich dem Zugriff durch die Amerikaner und deren Verbündeten zu entziehen. Nachts, wenn die Dunkelheit ausreichenden Schutz bot, krochen die Krieger wie lichtscheues Getier aus ihren Verstecken hinter ihren Steinen hervor. Tagsüber hielten sie sich bedeckt.

„Wie weit sind die Vorbereitungen zum Endkampf fortgeschritten?“, wollte Yussuf von seinem Bruder wissen, wobei er sich, einer Gewohnheit folgend, misstrauisch umschaute. „Es gibt noch Schwierigkeiten in den Vereinigten Staaten“, erwiderte Abdul Hassan mit rauer Stimme. Yussuf hielt eine Weile inne und betrachtete die sandfarbene Zeltplane, die sich im Wind sanft hin und her bewegte. In gereiztem Ton erwiderte er seinem Bruder: „Es darf keine Probleme geben, hörst du! Es steht zu viel auf dem Spiel!“

***

Zur selben Zeit, etwa 5000 Kilometer entfernt, verließ Kardinal Camerlengo Antonelli, der Zeremonienmeister, die Privatgemächer des Papstes. Er versiegelte sie und die angrenzenden Arbeitsräume gewissenhaft, so wie es die alte Apostolische Konstitution vorschrieb. Die Hände des Kardinals zitterten vor heiliger Erregung, er bemühte sich, seinen Seelenzustand vor den anderen zu verbergen.

Bischof Moretti erreichte zur gewohnten Stunde die Gemächer des Papstes und bemerkte, wie Camerlengo Antonelli die Türen verschloss. „Was tun Sie da, Kardinal?“

Antonelli erschrak und zuckte zusammen.

„Was ist passiert?“, fragte Bischof Moretti, doch eine Ahnung nahm in ihm Gestalt an. „Ist unser Papst etwa …?“

Das letzte Wort blieb unausgesprochen. Morettis Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben! Ein echtes, ungeheucheltes Entsetzen, denn Klemens XV. genoss innerhalb der Mauern des Vatikans große Achtung und Respekt.

Kardinal Antonelli drehte sich zu der Stimme um, die ihn in seinem Tun gestört hatte. Wie soll ich reagieren, ohne Argwohn zu erwecken? durchfuhr es ihn. Der Papst war tot, und bald würde die Welt über diese Tatsache Bescheid wissen. Doch wie verhält man sich angemessen, mit der nötigen Trauer und Bestürzung? Er war der einzige Mensch innerhalb dieser Mauern, der wusste, dass der Papst nicht plötzlich und unerwartet verstorben war.

Antonelli biss sich auf die Unterlippe und gewann rasch seine Fassung zurück. Ohne Eile stopfte er die Schlüssel in die Tasche unter seiner Soutane und legte die traurigste Miene auf, zu der er als gläubiger Katholik fähig war. Er wusste, dass dieses Schauspiel die größte Heuchelei seines Lebens war, doch die Gewissheit, eine führende Rolle dabei zu spielen, die neue Weltordnung einzuläuten, gab ihm große Kraft.

Behutsam legte er die Hand auf die Schulter des jungen Bischofs und sah ihn mitleidvoll an. „Ja, mein Bruder. Der Heilige Vater ist jetzt beim Herrn … vermutlich in einer besseren Welt!“ Antonelli schloss die Augen, als wollte er eine Träne daran hindern herauszutreten, und neigte den Kopf zu Boden. Währenddessen blieb seine tröstende Hand auf der Schulter des trauernden Bruders ruhen. Ernst blickte er ihm in die Augen. „Bitte noch kein Wort! Zu niemandem, hörst du? Bewahre Stillschweigen, bis ich es bekannt gegeben habe!“

Bischof Moretti nickte wortlos und ließ seinen Blick wie versteinert auf der verschlossenen Tür ruhen. Was soll ich jetzt nur tun? dachte er. Sein Amt sah vor, dem Papst zu dienen, ihm beizustehen und sich um das körperliche Wohl zu sorgen. Doch nun? Er fühlte sich nutzlos, und eine tiefe Leere breitete sich in ihm aus. Mit schlurfenden Schritten, schlich er davon.

***

Yussuf erhob sich von seinem staubigen Lager und schritt unruhig auf und ab. Der Boden knirschte unter seinen Sandalen, ansonsten störte kein Geräusch die Stille. Abdul verfolgte mit den Augen jede Bewegung seines Bruders.

Yussuf hatte sich seit dem frühen Tod der Eltern um ihn gekümmert, Abdul war ihm aus diesem Grund, wie es die Tradition verlangte, bedingungslosen Gehorsam schuldig. Yussufs fünfzehn Jahre älteres und von tiefen Furchen gezeichnetes Gesicht war von einem langen, schwarzen Vollbart umrahmt. Abdul konnte darin lesen wie in einem offenen Buch. Er sah, welche Kämpfe Yussuf gefochten, wie viele Menschen er abgeschlachtet, welch höllischer Wüstenhitze er widerstanden und welch unbändigen Sandstürmen er getrotzt hatte. In diesen Tagen gab es für seinen Bruder – wie für jeden radikalen Moslem überall auf der Welt – nur eine Sache, für die es sich lohne, zu leben oder zu sterben: den Heiligen Krieg zur Ehre ihres Gottes, den baldigen Sieg über die Juden und die übrigen Ungläubigen, sowie die Eroberung Jerusalems und deren Ernennung zum obersten Heiligtum aller Moslems. Die Welteinheitsreligion mochte ihre Ziele haben, die Bewohner des Camps hatten ihre eigenen. Niemals würde Yussuf den Tod als Märtyrer scheuen, doch lebendig war er dem Endsieg über das verhasste Israel dienlicher.

„Was ist passiert, Abdul?“, fragte Yussuf leise und holte Abdul aus seinen Gedanken zurück. Er stellte erleichtert fest, dass sich sein Bruder wieder gefangen hatte. „Boston ist nicht mehr in der Lage, Trägersysteme für das … für dieses neue Material aus Russland herzustellen. Die Maschinen sind veraltet oder defekt.“ Abdul bemerkte, wie sich Yussufs Augen verengten, und fuhr zügig fort. „Es war niemals vorgesehen, dass Boston derartige Aufträge bekommen sollte. Aber du kannst beruhigt sein, Yussuf, wir haben das Problem unter Kontrolle! Es kann sich nur noch um wenige Monate handeln, dann ist der Sieg über die Ungläubigen unser.“

Yussuf drehte sich ruckartig zu seinem Bruder um. „Red keinen Unsinn!“, fuhr er ihn an. „Was habt Ihr unternommen?“

„Es gibt eine Metallproduktionsstätte mit Hauptsitz in New York. Sie gehört einem gewissen John Fowley. Sie besitzen überall im Land große Fabrikhallen, die mit modernsten Geräten ausgestattet sind. Es wäre völlig unproblematisch, den vorhandenen Maschinenpark für unsere Zwecke umzurüsten, sobald die Firma eingenommen ist.“

Yussuf war neugierig geworden, doch seine in Falten gelegte Stirn verriet, dass er noch verärgert war. So einfach war es nicht, den als Hitzkopf bekannten Yussuf Hassan zu besänftigen, selbst dem eigenen Bruder nicht. Die Familienbande waren stark, doch mussten auch sie dem einen großen Ziel untergeordnet sein.

„Wie soll das funktionieren, Abdul? Willst du mich verspotten? Ich weiß nichts von einem Fowley! Und wer gibt schon freiwillig seine Firma aus der Hand?“

Abdul grinste verschlagen und zupfte an seiner Kopfbedeckung herum. „Freiwillig sicher nicht, wohl aber, wenn ihn eine Notlage dazu zwingt. Wir haben vor ein paar Tagen eine leitende Mitarbeiterin dieses Konzerns durch eine unserer Getreuen ausgetauscht. Du weißt schon, wie …“ Abdul führte seinen rechten Daumen mit einer raschen Bewegung vor dem Hals entlang und imitierte ein zischendes Geräusch. „Es war leicht, sie zu beseitigen. Die Mächte haben mir geholfen.“

Abdul machte eine Pause und dachte zurück an Patricia Highsmiths Tod. Wie angenehm unblutig man heutzutage töten konnte! Kein verräterischer Schuss einer Waffe, die gefunden werden konnte; kein Messer, das die Kehle durchschlitzt; kein Blut an den Händen; keine Zeugen eines tätlichen Angriffs. Alles hinterhältig und sauber! Etwas Gutes hatte diese Vereinigung der Weltreligionen eben doch, besonders die Wiederbelebung der Schamanistischen Künste Afrikas. Ärgerlich war nur, dass er den Schal der Sekretärin in dem Hotel vergessen hatte, er beschloss, diese Kleinigkeit Yussuf gegenüber nicht zu erwähnen. Der Bruder riss ihn aus seinen Gedanken und forderte ihn auf, seinen Bericht zu vollenden.

„Oh, ja. Kurz danach hat Sheila bei ihm angefangen. Sie hat sich die Haare gefärbt und wird diesen Fowley mit den Unterlagen, die wir für sie anfertigen ließen, außerordentlich beeindrucken. Sie ist wirklich gut vorbereitet … und Fowley ist ganz vernarrt in sie!“ Abdul lachte und dachte an Sheilas Verwandlung. „Sie ist blond, sie ist hübsch und sie wird bald so weit sein, dass die Bilanzen auf eine drohende Insolvenz hinweisen. Dann werden wir Boston ins Spiel bringen. Boston wird ihm eine Fusion anbieten - zu einem guten Preis … Nun, eigentlich ist es ein Trinkgeld, gemessen an dem Gewinn, den wir damit erzielen werden. Ich denke, er wird anbeißen. Genau genommen hat er keine Wahl! Er frisst Sheila aus der Hand. Du weißt ja, wie diese ungläubigen Bastarde sind: Kaum ist eine hübsche Frau in ihrer Nähe, schaltet sich ihr Gehirn aus.“

„Sehr gut, Abdul! Das sind gute Nachrichten!“ Yussuf setzte sich und nahm einen Zug aus seiner Wasserpfeife. Genüsslich ließ er den kalten Rauch in seinen Lungen wirken und blies ihn aus. Er sprach aus, wovon er träumte: „Wenn alle Trägersysteme und die Sprengköpfe aus Russland bereit sind, beginnt die Operation ‚Freiheit für Jerusalem‘!“ Er ballte seine Faust und reckte sie in einer kämpferischen Pose gen Himmel. „Wir werden über die Israelis kommen, vom Norden und vom Süden und vom Osten. Ihnen wird nichts als der Rückzug ins Meer bleiben.“

Ein furchteinflößendes Lachen ließ für einen Augenblick das Zirpen der Grillen verstummen.

***

Antonelli drehte sich um. Den verstörten Bischof hatte er inzwischen vergessen. Der Camerlengo war bemüht, gefasst und souverän auf seine Umgebung zu wirken. Eine sonderbar verzerrte Freude erfüllte tief verborgene Bereiche seiner verführten Seele. Der Eintritt des päpstlichen Todes war pünktlich und präzise gekommen, genau, wie es errechnet war. Am Morgen hatte Antonelli an die Tür des Papstes geklopft, nachdem dieser nicht – wie sonst üblich – zur gewohnten Zeit geschellt hatte. Dies kam allen ungewöhnlich vor – außer ihm. Natürlich wussten alle, dass sein Gesundheitszustand dem Papst schon seit Wochen nur noch ein beschränktes Bewegen innerhalb der Privaträume gestattete. Die meiste Zeit hockte er in seinem zu einem Thron umgerüsteten Rollstuhl, der mit den modernsten technischen Feinheiten ausgestattet war, und sinnierte vor dem Fenster vor sich hin. Gelegentlich rollte er zu seinem Schreibtisch und verfügte geheime Erlasse für die Zeit nach seinem Tod. Seine Augen waren noch lebendig und funkelten, wenn es um Fragen des Wohls der katholischen Kirche ging, und seinen engsten Vertrauten gestattete er, auch Angst und Sorge darin zu entdecken. Angst vor der Zeit nach seinem Tod, Sorge aufgrund der merkwürdigen Symptome, die sich seit seinem letzten Zahnarztbesuch vor vier Wochen eingestellt hatten.

Was war nur los mit ihm? Er erinnerte sich daran, wie ihm sein langjähriger Zahnarzt und ein enger Vertrauter des Vatikans, dringend eine Wurzelbehandlung für einen der hinteren Backenzähne empfohlen hatte. Obwohl der Papst einer der sachkundigsten Männer im Vatikan war – von Endodontie verstand er nichts.

Dr. Fatori gab dem Papst eine Betäubungsspritze und entfernte fachkundig die Goldkrone, die den Zahn bedeckt hatte. Er vollführte wahrhaft zahnärztliche Kunst an ihm. Das Reiben und Ratschen der Wurzelfeilen ließ dem Papst einen Schauer über den Rücken laufen, wann immer er daran dachte. Gründlich erweiterte der Dottore Dentale die Wurzelkanäle und füllte mit einer filigranen Förderspirale ein übelriechendes Medikament in den Zahn. Anschließend befestigte er mit einem dicht abschließenden Zement die Krone erneut und wünschte dem Papst noch ein sonderbar freundliches „Leben Sie wohl!“ Nein, er bräuchte keinen neuen Termin, alles sei nun in Ordnung! Er sprach die Worte in einem merkwürdigen Tonfall aus, als benötigte der Papst in seinem ganzen Leben nie wieder einen Zahnarzt, der sich um seine Kaukraft bemühte. Jetzt, da er darüber nachdachte, kamen ihm die Worte des Doktors merkwürdig vor, er ahnte nicht, wie Recht der Mediziner mit seiner letzten Aussage gehabt haben sollte.

Klemens XV. rieb sich die Wange - und neue Furcht gewann die Oberhand. Selbst Päpste sind nicht frei von Furcht, und er griff rasch zu einer Dose mit Tabletten. Hastig schluckte er zwei Pillen hinunter und spülte mit Mineralwasser nach. Parkinson war schon lange nicht mehr sein Problem, die modernen Medikamente wirkten fantastisch. Sie gaben ihm zwar nicht die Jugend zurück, doch er fühlte sich gestärkt und willens, der heiligen Kirche noch Jahre mit seiner Kraft zu dienen. Er spürte eine sonderbare Unruhe in seinem Geist, und es war ihm, als prophezeite ihm eine innere Stimme, dass er jene zukünftigen Jahre, von denen er träumte, nicht mehr erleben werde.

Sein Blick ruhte auf seinen letzten Notizen, und er dachte an den Nachfolger, der hoffentlich erst in ferner Zukunft den Heiligen Stuhl einnehmen würde. Ob dieser den guten alten Weg der römisch katholischen Kirche weitergehen oder sich dem Druck der ungezählten Widersacher beugen und die Richtung der neuen Weltordnung einschlagen würde? Ob er all das, woran Klemens selbst sein ganzes Leben geglaubt hatte und woran jede Faser seines Seins mit Inbrunst hing, aufgeben würde? Oder hätte er die Kraft, die leuchtende Fackel der Wahrheit der Welt in dieser Zeit der Finsternis mutig entgegen zu strecken?

Der Lebenswille des alten Papstes war ungebrochen, doch sein Leib wurde schwächer und schwächer. Er konnte nichts tun, außer zu beten und zu flehen. Auch dies würde sein Leben nicht verlängern können, die tödliche Substanz in seinem vergoldeten Backenzahn breitete sich über die darunter liegenden Adern aus und nahm Besitz von ihm ein, bis zu jenem Morgen, an dem der Camerlengo auf seine Uhr schaute und wusste, dass in den kommenden Minuten kein Schellen aus dem Schlafzimmer des Papstes ertönen würde.

***

Abdul bewunderte seinen Bruder. Allerdings stand er ihm in Sachen Verschlagenheit in nichts nach. Das Zelt öffnete sich und Mohammed Nadir trat ein. „Seid gegrüßt, meine Brüder. Allah Akbar!“

Yussuf stand sofort auf und überließ Mohammed, ihrem Führer und geistlichen Oberhaupt, den Platz und die Pfeife. „Allah Akbar! Sei gegrüßt! Bitte setz dich, Mohammed! Was gibt es zu berichten?“

Mohammed Nadir war ein stämmiger Afghane, der vom einfachen Hirtenjungen zum Führer eines großen Stammes aufgestiegen war. Er hatte verschiedene Universitäten besucht, beherrschte sieben Sprachen fließend und übertraf die Angehörigen seines Klans an Boshaftigkeit um ein Vielfaches.

„Ich bringe gute Neuigkeiten aus Moskau“, begann er mit tragender Stimme und genoss diesen Moment des Erfolges. „Es ist so gelaufen, wie wir es geplant hatten. Seid ihr über die jüngsten Abkommen informiert?“

Yussuf und Abdul schauten sich verlegen an. Sie waren Terroristen und Mörder, aber keine Politiker. Den politischen Kram überließen sie helleren Köpfen, wie dem Mohammeds. Überdies wollten sie Mohammed nicht die Gelegenheit rauben, einen herausragenden Vortrag abzuhalten.

***

Als Antonelli die Räumlichkeiten des Papstes betreten hatte, fand er diesen steif und erkaltet auf seinem Bett liegen. Augen und Mund waren aufgerissen, er sah aus wie ein Ertrinkender, der in Todesangst nach Luft gerungen hatte. Und möglicherweise hatte sich der Papst in den letzten Minuten seines Lebens auch so gefühlt.

Antonelli schloss die zu Lebzeiten gütigen, päpstlichen Augen zu und drückte den herabhängenden Unterkiefer gegen den Oberkiefer. Es kostete ihn Mühe, die Leichenstarre hatte vor Stunden eingesetzt. Dann lag er friedlich da: Die Hände übereinandergelegt, Augen und Mund geschlossen. Nach einer letzten Korrektur war es dem Camerlengo gelungen, die in Falten gelegte Stirn zu glätten.

Ein wahrhaft friedlicher Gesichtsausdruck!

Der entscheidende Moment kam, als der Leibarzt den Tod des Papstes feststellen und den Totenschein auf Herzversagen ausstellen sollte. Antonellis Herz schlug so heftig, dass er dachte, der Arzt müsse es hören können. Doch dem Arzt fiel nichts auf. Er konzentrierte sich ausschließlich darauf, den natürlichen Tod seines langjährigen Patienten festzustellen. Antonellis Erleichterung war unermesslich, als die Formalitäten endlich erledigt waren. Für alle Menschen und Gläubigen auf der ganzen Welt würde es in wenigen Minuten heißen: Unser Heiliger Vater ist nach langer, schwerer Krankheit zu Gott unserem Vater heimgegangen. Es gab keinerlei Fremdeinwirkung, die seinen Tod verursacht hatte. Gott, der Allmächtige, hat ihn in seiner Gnade zu sich gerufen. Niemand würde Argwohn hegen, dass ein 87-jähriger Papst gestorben war, und da ein Papst nie obduziert werden durfte, würde die Wahrheit verborgen bleiben – das jedenfalls hoffte Antonelli. Was sollte schon passieren? Es gab keinerlei Anzeichen äußerer Gewalt, keine Würgemale, keine vorquellenden Augen. Und ohne Obduktion würde man die tödliche Substanz in seinem Blut nicht nachweisen können. Sie hatte sich eh schon längst zersetzt.

***

Gemächlich begann Mohammed seine Ausführungen. Er genoss es, seine Überlegenheit zu demonstrieren. „Ihr wisst, dass 1991 das START-I-Abkommen abgeschlossen wurde. Vier Jahre später existierten in der Sowjetunion nur noch 6.400 nukleare Gefechtsköpfe auf 1.300 Trägern, in den USA 7.500 Gefechtsköpfe auf 1.400 Trägern. Nicht wahr?“

Die Brüder reagierten auf diese Ausführungen mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken. Sie wollten Mohammed nicht unterbrechen. Sie kannten zwar einen Großteil der Geschichte, sogen aber wissbegierig jedes neue Detail wie ein Schwamm auf.

„Im Jahr 1993 folgte der Vertrag START II. Er sah unter anderem vor, dass alle landgestützten Interkontinentalraketen mit Mehrfachgefechtsköpfen – ihr wisst schon, die russischen SS-18 ICBM und die amerikanischen Peacekeeper ICBM, zerstört werden sollten. Nachdem durch Präsident Foster das Start-III-Abkommen platzte, kam unsere große Chance.“ Mohammed lachte laut auf. „Megatonnen zu Megawatt und Schwerter zu Pflugscharen! Welch schöner Traum! Anfangs haben die Sowjets noch fleißig rund 200 t waffenfähiges Uran und 30 t waffenfähiges Plutonium aus den Arsenalen der Militärs herausgeholt, die sie zum Zweck der Energiegewinnung an Atomkraftwerke lieferten.“

Mohammed nahm einen Zug aus der Pfeife und Yussuf nutzte die Gelegenheit, dazwischen zu funken. „Wie kann man, ohne entdeckt zu werden, radioaktives Material in dieser Größenordnung transportieren?“

Mohammed betrachtete seinen gelehrigen Schüler mit Wohlwollen. „Das russische Unternehmen ‚Tarnex’ war seinerzeit für Importe und Exporte im Auftrag der russischen Regierung zuständig und dafür verantwortlich, das russisch-amerikanische Projekt ‚Megatons to Megawatts’ zu realisieren. Ihre Aufgabe ist es auch gewesen, russische Nuklearsprengköpfe in Uran umzuwandeln, das zur Generierung von Elektrizität geeignet ist. Es ist uns jedoch – gemeinsam mit führenden russischen Köpfen – gelungen, das Material nicht vollständig abzugeben, sondern einen beträchtlichen Vorrat an waffenfähigem Plutonium abzuzweigen. Ein Teil der Sprengköpfe wurde demontiert und eingemottet, doch ein großer Teil der intakten Sprengköpfe konnte in sichere Kanäle fließen.“

Bewundernd schauten Yussuf und Abdul ihren Führer an. Es wurde ihnen immer deutlicher, warum Mohammed genau der richtige Mann für diese Operation war.

„Im Mai 2002 unterschrieben die Präsidenten der USA und Russlands noch einen Vertrag, der beide Seiten verpflichtete, einen Teil ihrer Nuklearwaffen zu deaktivieren, aber nicht zwingend zu zerstören.“

Ein zynisches Lächeln huschte über ihre Gesichter.

„Versteht ihr? Dieser Vertrag hat den Weg dafür geebnet, den Kampf gegen die Ungläubigen endgültig für uns zu entscheiden.“

Mohammed nahm einen Zug an seiner Pfeife - er genoss die Situation sichtlich. Yussuf wollte ebenfalls seinen Kenntnisstand dokumentieren: „Und weil wir mehr Sprengköpfe als Träger besitzen, brauchen wir jetzt nur noch die Trägersysteme aus den USA …“

„Genau. Wir sind im Besitz einer solch großen Menge radioaktiven Materials, dass wir mühelos die Vereinigten Staaten, Europa und natürlich Israel von der Landkarte putzen könnten. Doch du hast Recht, für den endgültigen Sieg fehlt uns eine ausreichende Menge funktionstüchtiger Träger.“

***

Antonelli riss sich zusammen, so gut er konnte. Der junge Camerlengo hatte den Papst wie seinen eigenen Vater verehrt, doch er hatte nie begriffen, warum der Pontifex der universalen Kirche so dermaßen stur an den alten Statuten festgehalten hatte. Keinen Millimeter war er davon abgewichen, und so war er den Anhängern der neuen Weltordnung zunehmend ein Dorn im Auge geworden – ein schmerzender Dorn, der schleunigst ausgerissen werden musste. Antonelli gehörte ebenfalls seit langem zum inneren Zirkel, und er war fest davon überzeugt, das Richtige getan zu haben, als er sich dem geheimen Netzwerk der Neudenker angeschlossen hatte. Der Papst hat lange genug gelebt. Irgendwann musste es vorbei sein, und es wurde allerhöchste Zeit …

Antonelli konzentrierte sich. Mit gemäßigtem Tempo schritt er den Flur entlang, denn er brauchte Zeit. Zeit zum Nachdenken und Zeit, sich zu beruhigen. Seine Gesichtszüge waren glatt und ebenmäßig, doch die Schweißperlen auf seiner Stirn verrieten die innere Anspannung, die sich auch durch fernöstliche meditative Formeln nicht besänftigen ließ. Andauernd war er in Gedanken den vor ihm liegenden Ablauf durchgegangen. Die kommenden Wochen würden die bedeutendsten seiner bisherigen Amtszeit werden. Nur ihm und drei durch das Los gewählten Assistenzkardinälen waren während der bevorstehenden Vakanz jene Aufgaben anvertraut, deren gewissenhafte Erfüllung die Wende in der katholischen Kirche herbeiführen sollte. Die Wahl des nächsten Papstes stand bevor, und Antonelli und einige andere wussten bereits zu diesem Zeitpunkt, wie sie ausgehen würde! Selbstverständlich war es eine geheime Wahl. Sie würde mit Stimmzetteln begangen werden und wäre nicht nachprüfbar. Gewählt ist der Kardinal, der zwei Drittel aller Stimmen auf sich vereinigen kann. Doch auch dafür hatten die Neudenker gesorgt, es gab viele Verbündete auf der Welt, die ihre Ansichten teilten.

Antonelli beschleunigte sein Tempo. Die Absätze seiner Schuhe klackerten auf den Fliesen der ehrwürdigen Gänge. Er galt, dem Generalvikar von Rom mitzuteilen, dass der Papst friedlich, ohne Schmerzen und ohne Fremdeinwirkung entschlafen sei. Er würde die Worte benutzen: „Er ist eines natürlichen Todes gestorben!“, ein Umstand, den die Untersuchung des päpstlichen Leibarztes bestätigt hatte.

***

Die Welt reagierte mit Bestürzung auf die Nachricht vom Tod Klemens XV., obgleich das hohe Alter des Papstes ein natürliches Ableben wahrscheinlich gemacht hatte. Der Tod eines alten Mannes war die natürlichste Sache der Welt, trotz aller modernen Medikamente und Apparaturen, die man zur Lebensverlängerung erfunden hatte. Des Weiteren erregte die Wahl eines Nachfolgers des heiligen Apostels Petrus großes Aufsehen. Schon immer war das Konklave, jene mysteriöse Zusammenkunft von Kardinälen aus der ganzen Welt, ein spektakuläres Ereignis. „Con clave“, mit dem Schlüssel eingesperrt wurden sie. Hinter verschlossenen Türen tagten 187 Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle, abgeriegelt von der Umwelt, ohne Telefon, ohne Fernseher, ohne Handy und andere Kommunikationsmittel. Eine verstummte, in ihr Inneres emigrierte, betende Gruppe meist älterer Purpurträger, die darauf hofften, ihre Wahl möge sich mit den Gedanken ihres Herrn decken. Ständig hatten sie ihren Gott vor Augen: „solum Deum prae oculis habentes“, so wie es die heilige Zeremonie verlangte. Und Camerlengo Antonelli spielte seine Rolle als verantwortungsbewusster und dem Papst treuergebener Diener perfekt.

Der Leichnam des verstorbenen Klemens XV. wurde in die vatikanische Basilika überführt, um dort zur Verehrung der Gläubigen aufgebahrt zu werden. Niemand schöpfte Verdacht, der strenge Geruch, der dem Mund des Toten entwich, machte niemanden stutzig.

Die Wahl eines neuen Papstes stand an, und bohrende Fragen quälten die Nationen: Wer würde den Weltfrieden sichern, wer den unbändigen Terrorismus stoppen? Wer würde die Menschheit unter einem sie stark machenden Banner einen? Wenn es je eine bedeutungsvollere Zeit gab, war es diese, und somit fiel die Papstwahl genau auf den richtigen Zeitpunkt. Es schien, als ahnte die Welt, dass etwas Neues angebrochen war, etwas Hoffnungsvolles und Gewaltiges.

Sie sollte sich geirrt haben, die vor ihr liegende Zeit brachte alles andere als Hoffnung.

Kapitel 3

Dreizehn Monate später

Die Sonne hatte an diesem trüben Oktobervormittag große Mühe, ihre Kraft zu entfalten, der dichte Nebel kroch wie eine lautlos sich windende Schlange über die Wasserfläche zum Land hin. Es schien, als sauge er alles in sich auf, was zuvor noch unbeschwert und zuversichtlich war. Die ausgelassene Stimmung der Bürger New Yorks schlug an diesem Morgen auf mysteriöse Weise in einen Zustand finsterer Depression um, die selbst vor den oberen Gebäudeetagen nicht Halt machte. Es war, als würde der Nebel vom Fluss zu den Hochhäusern der Stadt emporschweben, bereit, jegliche Hoffnung in sich aufzusaugen. Die Präsenz böser Mächte verdichtete sich zunehmend.

New York – das Wirtschaftszentrum der Vereinigten Staaten! Wenn es in dieser Stadt einen Gott gab, der mit besonders großer Hingabe angebetet wurde, war es der Mammon! Nicht allein dieser Götze war gegenwärtig, sondern noch viele andere derselben unseligen Art.

John Fowley betrat mit diversen Tüten und Taschen beladen das Firmengebäude und passierte den eleganten Empfang, an dem die Namen der Besucher auf den Besucherlisten gecheckt wurden. John nickte der Dame hinter dem Schreibtisch zu und schritt geradewegs zum Fahrstuhl. Seinen Wagen hatte er Stunden zuvor in der Tiefgarage geparkt und noch Besorgungen in der City gemacht. Er legte den Daumen auf das Display des Bioscanners, woraufhin ein Klicken verriet, dass sich der Fahrstuhl aus den oberen Etagen nach unten in Bewegung gesetzt hatte. In seiner Büroetage angekommen gab es zwei weitere Sicherheitskontrollen, die zu überwinden waren. Zum einen musste er seinen Finger erneut auf ein vorgesehenes Erfassungsfeld legen, um seinen Abdruck zu checken, zum anderen wurde seine Augeniris durch den Retinascanner mit den Daten im Zentralcomputer verglichen. Nur durch die Kombination dieser beiden Parameter wurde der Zutritt zur Chefetage gewährt.

„Guten Morgen Mr. Fowley“, ertönte eine weibliche Automatenstimme, und sogleich öffnete sich mit einem Summen die schwere Glastür. John schritt in zügigem Tempo zu seinem Büro, legte dort die Tüten auf einen Stuhl und hing seinen Mantel in den Schrank. Dann machte er sich unverzüglich auf den Weg zum Konferenzzimmer, wo Jeff Larssen ungeduldig auf ihn wartete.

„Hallo Jeff, wie geht’s?“, grüßte John und warf sich lässig auf einen der Sessel. „Gibt’s Kaffee?“

„Danke, ganz gut, John! Klagen nützen auch nichts.“

Jeff bediente sich an der Kaffeebar und reichte seinem Chef eine Tasse dampfenden schwarzen Kaffees herüber.

„Wir sollten keine Zeit verlieren, John! Sie haben heute noch einige wichtige Punkte auf Ihrem Terminkalender, die höchste Priorität haben. Ich hatte eigentlich etwas früher mit Ihnen gerechnet.“

John nahm die Ausführungen Jeffs gelassen hin und zuckte kaum merklich mit den Schultern. Er betrachtete die Schaumbläschen, die auf der glänzenden Kaffeeoberfläche zerplatzten.

In den darauf folgenden Minuten verlas Jeff die Termine des Tages. Punkt für Punkt ging er den Plan durch, der John in ein enges Korsett spannte. John gähnte, legte die Beine auf den Tisch, schlug sie übereinander und betrachtete seine Fingernägel. „Sie machen das wirklich gut, Jeff! Wofür brauche ich eigentlich noch eine neue Sekretärin, abgesehen davon, dass sie blendend aussieht?“

John sah auf und grinste. Jeff fehlte jeglicher Sinn für diese Art von Humor und sah dieser sich nicht genötigt, den Witz zu kommentieren. Er blickte stattdessen auf den Block, den er dicht unter seine Nase hielt. „Kommen wir zur Frage der anstehenden Fusion.“

John nahm die Beine vom Tisch herunter und setzte sich kerzengerade auf seinem Stuhl auf. Jetzt war er hellwach!

Jeff kannte Johns euphorische Haltung bereits und begann, wie schon so oft zuvor, ihm die Nachteile dieser Fusion darzulegen. „Ich rate Ihnen, sich diese Geschichte gründlich durch den Kopf gehenzulassen. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, sich erfolgreich am Markt zu halten. Ich glaube, Sie wissen das genauso gut wie ich!“

Jeff Larssen vermochte seine Sorgen nicht zu unterdrücken, so sehr er sich bemühte. Er legte seine blasse, mit Altersflecken gesprenkelte Stirn in Falten, und seine Lippen verrieten bei genauem Hinsehen nicht die Spur eines Lächelns. Unruhig rieb er mit der linken Hand über die silbernen Schläfenhaare und schob den schwarzen Bügel seines Brillengestells auf und ab. Er schaute konzentriert auf die edle Mahagonifläche des Konferenztisches im neunten Stock des Fowley Towers in New York.

Ein Tisch für zehn, doch heute waren sie allein. Nur John Fowley und Jeff, sein engster Berater und langjähriger Freund seines Vaters. Der Vorstand war für diese Sitzung nicht einberufen worden, im eigentlichen Sinn war es keine Firmensitzung, sondern ein ernstes Gespräch unter vier Augen!

John knöpfte das blaue Designersakko auf und löste den Knoten seiner italienischen Krawatte. Er hatte das Gefühl, er bräuchte mehr Luft zum Atmen als noch Minuten zuvor.