Die Algenöl-Revolution - Michael Nehls - E-Book

Die Algenöl-Revolution E-Book

Michael Nehls

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Beschreibung

Omega-3-Fettsäuren waren mitentscheidend für die Evolution unserer Intelligenz. Aufgrund unserer Entwicklungsgeschichte können wir jedoch nur die aquatischen Omega-3-Fettsäuren effizient verwerten. Doch Fisch und Meeresfrüchte stehen uns aufgrund der Überfischung der Weltmeere nicht mehr ausreichend zur Verfügung, ganz zu schweigen von ihrer Belastung mit Schadstoffen. Algenöl ist die ursprüngliche und rein pflanzliche Quelle für aquatische Omega-3-Fettsäuren und zugleich die einzige nachhaltige Alternative, um den weltweiten Mangel an aquatischen Omega-3-Fettsäuren zu beheben. Dieser Mangel ist mitverantwortlich für nahezu alle Zivilisationskrankheiten – von Herzinfarkt bis Schlaganfall, von Depression bis Alzheimer, von Diabetes bis Krebs. Während der kindlichen Entwicklung führt ein Defizit an diesem unentbehrlichen Hirnbaustoff zu gravierenden Einbußen der emotionalen, sozialen und rationalen Intelligenz – nicht zuletzt zu AD(H)S und Autismus. Regelmäßig eingenommen bewahrt Algenöl vor lebensgefährlichem Omega-3-Mangel und leistet einen essenziellen Beitrag zum gesunden Leben.

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Seitenzahl: 304

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Dr. Med. Michael Nehls

DIE ALGENÖL-REVOLUTION

Lebenswichtiges Omega-3 – Das pflanzliche Lebenselixier aus dem Meer

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Klaus Gabbert

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Covergestaltung und Motiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-31948-9V002

www.heyne.de

Meinen Eltern gewidmet

Inhalt

Einleitung

DIE EVOLUTION DES MENSCHLICHEN GEISTES

Erleuchtung aus dem Meer

Vom Sehen zum Erkennen, Denken und Lernen

Vom Fischer und Sammler

EIN STREIFZUG DURCH DIE WELT DER FETTSÄUREN

Unwissen macht krank

Gesättigte Fettsäuren – einfach und gesund

Ungesättigte Fettsäuren – komplex und gesund

F-Vitamine – ein historisch bedingter Irrtum

Das Yin und Yang der essenziellen Fettsäuren

Fettsäure-Analyse – ein Tropfen Blut genügt

Giftstoffe aus ungesättigten Fettsäuren

PANDEMIEN INFOLGE VON AQUATISCHEM OMEGA-3-MANGEL

Geistige Entwicklungsstörungen

Neurodegenerative Krankheiten

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems

Stoffwechselerkrankungen

Krankheiten des Immunsystems

Krebserkrankungen

Das Alpha und Omega der natürlichen Fitness

BEDROHUNG DER WELTGESUNDHEIT

Globaler Nährstoffmangel

Warum klinische Studien oft mit Vorsicht zu genießen sind

Individueller Bedarf an aquatischen Omega-3-Fettsäuren

Globaler Omega-3-Mangel

Das Meer gibt es nicht mehr her

Gift im Fisch

Krillöl ist keine nachhaltige Lösung

MIT DEM ÖL DER MIKROALGEN RAUS AUS DER GLOBALEN KRISE

Algenöl – das A und O der menschlichen Entwicklung

Nachhaltigkeit der Algenölproduktion

Mit Algenöl zum vollständigen Fischersatz

Algenöl – Bezugsquellen und fünf Rezepte

DIE ZUKUNFT EINER FRONTALHIRNGESCHWÄCHTEN MENSCHHEIT

Warum ein sofortiges Umdenken stattfinden muss

Empathieverlust und Selbstzerstörung

Algenöl – eine Zukunftschance für uns alle

Glossar

Dank

Anmerkungen

Literaturhinweise

Register

Bildnachweis

Einleitung

Am Anfang allen Verstehens steht die Einsicht, was ist und was nicht sein kann, und der Trost, dass dies zu ändern nicht in unserer Macht steht.

Solomon ben Yehudaibn Gabirol (1021–1070)

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Zu diesem im Grundgesetz verbrieften Recht des Menschen gehört auch das Anrecht auf eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung und damit auf eine Grundversorgung mit allem dazu Notwendigen, wie beispielsweise sauberem Trinkwasser oder schadstofffreier Luft. Werden elementare Bedürfnisse ignoriert, sind geistige und körperliche Entwicklungsstörungen sowie chronische Erkrankungen die Folge. Diese stürzen Menschen in Bedürftigkeit: Ihre Würde wird angetastet.

Zu den Stoffen, die wir zwingend über die Nahrung zuführen müssen, zählen bestimmte Bausteine von Proteinen (essenzielle Aminosäuren), eine ganze Reihe von Spurenelementen sowie sämtliche Vitamine. Eine besondere Rolle dabei spielen die F-Vitamine. Das sind pflanzliche Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, die in hoher Konzentration in Leinsamen vorkommen. Allerdings entdeckte man sie – im Gegensatz zu allen anderen Vitaminen (A, B, C etc.) – nicht durch Aufklärung einer Mangelkrankheit des Menschen, sondern durch eine experimentelle Mangelernährung von Ratten. Infolge einer künstlich herbeigeführten fettfreien Ernährung starben die Tiere binnen weniger Monate. Leinsamen oder daraus gewonnenes Öl hingegen rettete die Tiere vor dem sicheren Tod.

Doch Leinöl hilft uns Menschen nur wenig, um den gesundheitlichen Folgen eines Mangels an Omega-3-Fettsäuren entgegenzuwirken. Das liegt in unserer besonderen Entwicklungsgeschichte begründet: Im Gegensatz zu Ratten waren unsere altsteinzeitlichen Vorfahren nicht nur Sammler, sondern auch Fischer! Sie lebten nämlich nicht, wie allgemein geglaubt wird, als Jäger und Sammler, die die Savannen nach Essbarem durchstreiften. Sie siedelten vielmehr küstennah und ernährten sich vorwiegend von Fischen und Schalentieren. Diese Lebensweise versorgte sie in ausreichendem Maße mit hochwertigen aquatischen Omega-3-Fettsäuren, die – im Gegensatz zu den terrestrischen Omega-3-Fettsäuren, die biologisch für uns so gut wie unwirksam sind – letztendlich entscheidend waren für die Entwicklung der außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns.

Weil diese aquatischen Nahrungsquellen in der Vorzeit unerschöpflich waren, war es für den Menschen nicht nötig, die Fähigkeit zu entwickeln, die darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren selbst herzustellen. Im Gegensatz zu Ratten können wir sie auch nicht effizient aus pflanzlichen Vorstufen bilden, wie man sie im Lein und anderen Landpflanzen findet. Dementsprechend ist das Vitamin F des Menschen ein anderes als das der Ratte: Nicht Öl aus terrestrischen Pflanzen, sondern Öl aus aquatischen Quellen benötigt unser Organismus und insbesondere unser Gehirn, um sich optimal zu entwickeln.

Mit der kulturellen Entwicklung vom altsteinzeitlichen Fischer und Sammler zum neusteinzeitlichen Viehzüchter und Ackerbauer vor etwa zehntausend Jahren kam es zu einer erheblichen Verringerung an aquatischen Omega-3-Fettsäuren bei der Nahrungszufuhr. Der dadurch verursachte Mangel ging einher mit einer gravierenden Verkleinerung des menschlichen Gehirns. Im Laufe des letzten Jahrhunderts kam es durch die zunehmende Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion zu einer weiteren, nicht weniger einschneidenden Änderung der menschlichen Ernährungsweise: Die Folge ist eine noch gravierendere Unterversorgung mit den lebenswichtigen aquatischen Omega-3-Fettsäuren, aber auch eine absolute Überversorgung mit Omega-6-Fettsäuren, die man in vielen Speiseölen und tierischen Produkten findet. Durch das Missverhältnis beider Fettsäuren ist unsere Gesundheit insgesamt und speziell die geistige Entwicklung unserer Kinder ernsthaft bedroht. Die gravierenden Einbußen beim rationalen Denken sowie der emotionalen und sozialen Intelligenz lassen sich im späteren Leben ernährungstechnisch kaum noch ausgleichen. Das Ausmaß der Problematik lässt sich auch daran erkennen, dass viele Entwicklungsstörungen und Krankheiten weltweit auf dem Vormarsch sind, die durch einen globalen aquatischen Omega-3-Mangel verursacht werden. Dazu gehören ADHS und Autismus, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herz- und Hirninfarkt), die häufigsten Formen von Krebs sowie Allergien und Asthma. Nicht zuletzt sind hier auch Erschöpfungssyndrome, Angstzustände, Depressionen sowie Alzheimer und andere Demenzen zu nennen. Alle diese Krankheiten haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte zu regelrechten Pandemien entwickelt.

Wahrscheinlich werden Sie beim weiteren Lesen immer wieder Ihre eigene Lebensgeschichte reflektieren. Ich selbst habe mir bei jedem wissenschaftlichen Fakt, mit dem ich mich zu diesem Thema beschäftigt habe, die Frage gestellt, was ich in meinem Leben hätte anders und besser machen können, in meiner Kindheit und auch später bei der Ernährung meiner eigenen Kinder. Vieles, was ich heute weiß, war mir damals nicht bekannt, erst recht zuvor nicht meinen Eltern oder Großeltern. Vorwürfe sind daher fehl am Platz, stattdessen ist ein gutes Maß an Gelassenheit nötig: Gelassenheit, um die Dinge hinzunehmen, die wir nicht mehr ändern können. Andererseits brauchen wir auch Mut: den Mut, um zu ändern, was geändert werden muss. Dazu gehört das Korrigieren weiterer Fehlentwicklungen, die unsere eigene und die Zukunft unserer Kinder bedrohen. Weise Entscheidungen darüber, was zu ändern ist und wie man vorgehen sollte, lassen sich allerdings nur fällen, wenn man bereit dazu ist, aus der Vergangenheit zu lernen. Tun wir das nicht, wird sich die katastrophale Entwicklung hin zu einer psychisch immer kränkeren und geistig immer mehr verarmenden Gesellschaft weiter verschärfen. Diese Entwicklung hat gewiss viele Gründe, aber einer der ausschlaggebenden Faktoren wird weithin verkannt – und genau dieser Faktor ist das Thema des Buches, das Sie jetzt in Händen halten: Es ist vor allem der Mangel an Omega-3-Fettsäuren, durch den es zu einem Mangel an Weitsicht und Empathie kommt.

Die Überfischung der Weltmeere, die zunehmende Verseuchung der stetig zurückgehenden Bestände mit toxischen Schwermetallen, Pestiziden und Plastikpartikeln sowie die Auswirkungen des Klimawandels lassen die natürlichen Quellen der lebensnotwendigen, bioaktiven aquatischen Omega-3-Fettsäuren versiegen. Heute schon ist eine ausreichende Versorgung von mittlerweile 7,5 Milliarden Menschen nicht mehr gewährleistet. Das Meer gibt es nicht mehr her. Es ist überlastet, überfischt und zunehmend verseucht – und daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern! Es muss also dringend eine gleichwertige Alternative gefunden werden. In diesem Buch stelle ich Ihnen ein neues Nahrungsmittel vor, mit dem man das globale Problem in den Griff bekommen kann: Omega-3-reiches Öl, gewonnen aus Mikroalgen.

Mikroalgen sind einzellige Pflanzen, die als einzige Lebewesen in der Lage sind, eigenständig hochwertige aquatische Omega-3-Fettsäuren zu produzieren. Dazu benötigen sie einfach nur Licht und Kohlendioxid. Als wesentlicher Teil des Planktons stehen Mikroalgen seit Urzeiten am Anfang der aquatischen Nahrungskette, die über Krill sowie dann über Fische, Krebse und Muscheln verläuft und an deren Ende der Mensch steht. Dem Überfluss an aquatischen Omega-3-Fettsäuren aus Mikroalgen verdanken wir als Nachkommen prähistorischer Fischer und Sammler die Entwicklung unserer außergewöhnlichen geistigen Leistungsfähigkeit. Aus dem damaligen Vorteil einer nahezu unerschöpflichen Zufuhr dieser Hirnbaustoffe ist jedoch auch eine biologische Abhängigkeit entstanden: Wir benötigen aquatische Omega-3-Fettsäuren wie Sauerstoff zum Atmen, um geistig fit und körperlich gesund zu bleiben.

Der gewaltige Vorteil einer direkten Nutzung von Mikroalgen zum Stillen unseres Bedarfs an aquatischen Omega-3-Fettsäuren – anstatt indirekt über Fische und Meeresfrüchte – liegt darin, dass diese Algen in unbegrenzter Menge und auf ökologisch völlig unbedenkliche Weise produziert werden können. Weil die Kapazität der Meere heute nicht mehr ausreicht, ist nur auf diese Weise der Bedarf der gesamten Weltbevölkerung an hochwertigen und lebenswichtigen aquatischen Omega-3-Fettsäuren kostengünstig zu decken. Darüber hinaus könnten sich als positiver Nebeneffekt auch die Fischbestände erholen.

Wir können, um artgerecht zu leben, die Uhr nicht in die Altsteinzeit zurückdrehen. Vielmehr müssen wir den Weg vorwärts in eine (r)evolutionäre Zukunft und Ernährung wagen, die sowohl ökologisch und ökonomisch als auch ethisch unbedenklich ist – und dabei so nachhaltig, dass auch zukünftige Generationen unseren Planeten noch bewohnen können. Algenöl als neues Grundnahrungsmittel ist ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Es ist vegan, lebenswichtig und – so meine Überzeugung – derzeit völlig alternativlos.

Michael Nehls, Juli 2018

Die Evolution des menschlichen Geistes

Erleuchtung aus dem Meer

Je weiter wir in die Vergangenheit schauen können, desto weiter können wir wahrscheinlich in die Zukunft schauen.

Winston Churchill (1874–1965)

… und es ward Licht.

Allerdings gab es für lange Zeit niemanden, der das hätte bemerken können – sogar für eine gewaltig lange Zeit.

Nachdem die Kraft der Gravitation die Sonne zum Leuchten gebracht hatte, dauerte es zunächst etwa eine Milliarde Jahre, bis erste Mikroorganismen die Ozeane unseres Planeten besiedelten. Danach musste die Erde noch weitere zweieinhalb Milliarden Maldie Sonne umkreisen, bis ziemlich plötzlich, vor etwa 540 Millionen Jahren, mehrzellige Wesen mit Augen und einem primitiven Nervensystem entstanden, die nicht nur sehen, sondern das Gesehene auch verarbeiten konnten.

Innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne von nur etwa zehn Millionen Jahren – geologisch betrachtet, mehr oder weniger zeitgleich – entwickelten sich nahezu sämtliche Prototypen des heutigen Tierreichs. Dieser erdgeschichtliche »Zeitpunkt« wird als kambrische Explosion bezeichnet. Der Begriff »Kambrium« geht zurück auf cambria, den lateinischen Namen von Wales, wo in den 1830er-Jahren zuallererst Gesteinsschichten aus jener Epoche untersucht wurden. Später wurden dann vor allem im Burgess-Schiefer der kanadischen Rocky Mountains in etwa 500 Millionen Jahre alten Erdschichten die versteinerten Zeugen dieser Entwicklung gefunden.

Im Kambrium (Pfeil) entstanden vor etwa 500 Millionen Jahren in erdgeschichtlich kurzer Zeit nahezu alle heutigen Tierstämme.

Die hohe Geschwindigkeit, mit der sich damals neuartiges Leben auf so vielfältige Weise entwickelte, wirft entscheidende Fragen auf: Wieso dauerte es so lange, bis das Licht der Schöpfung gesehen wurde? Und vor allem, was ermöglichte die Entstehung von Lebensformen mit immer komplexeren Nervensystemen? Das sind Fragen, die nicht nur die Vergangenheit der Menschheit betreffen, sondern auch deren Zukunft.

Nach der üblichen Erklärung des Evolutionsprozesses entstehen sämtliche Formen des Lebens durch zufällige Änderungen des Erbguts, die sogenannten Mutationen. Manchmal verleihen solche Mutationen den genetisch veränderten Nachkommen einen Vorteil, beispielsweise die Fähigkeit zu sehen oder eine etwas höhere Intelligenz und damit ein besser angepasstes Verhalten. Lebewesen mit solchen vorteilhaften Mutationen haben im Vergleich zu Lebewesen mit unverändertem Erbgut eine erhöhte Chance, ihr »verbessertes« (weil besser angepasstes) genetisches Material an die nächste Generation weitergeben zu können. Dies nennt man Selektion: Das Erbgut verbessernde Mutationen liefern einen Selektionsvorteil.

Doch reicht dieser evolutionsbiologische Mechanismus als Erklärung aus, um das Rätsel der kambrischen Explosion zu lösen? Schließlich fand in nur wenigen Millionen Jahren eine dramatische Entwicklung statt, die über mehrere Milliarden Jahre auf sich hatte warten lassen. Da muss noch etwas anderes gewesen sein, das die Evolution des Sehens und Erkennens ermöglichte.

Schon Charles Darwin, der Entdecker des evolutionären Prinzips, vermutete, dass die treibende Kraft beim Entstehen von völlig neuen Lebensformen nicht (nur) das Zusammenspiel zwischen Mutation und Selektion sein kann: Gravierenden Veränderungen des Erbguts müssen ebenso gravierende Veränderungen der Umwelt vorausgehen. Die Frage sollte also anders gestellt werden: Welche Umweltveränderungen ermöglichten die rasante Entstehung einer großen Artenvielfalt?

Lange Zeit war unser Planet aufgrund der damaligen chemischen Zusammensetzung seiner Biosphäre ein zu feindlicher Ort für komplexes Leben: Weil ihm eine Ozonschicht fehlte, konnte die UV-Strahlung der Sonne ungehindert die Erdoberfläche sterilisieren. Aber auch die Ozeane waren mit Kohlensäure und giftigem Schwefelwasserstoff gesättigt und nahezu frei von Sauerstoff. So konnte sich in den Ozeanen in Form von Mikroorganismen nur ein recht primitives, wenn auch sehr robustes Leben entwickeln.

Plankton umfasst alle im Wasser lebenden Organismen, deren Schwimmrichtung vorwiegend von der Strömung vorgegeben wird. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet »das Umherirrende«. Ein wichtiger Vertreter pflanzlichen Planktons sind Mikroalgen.

Deshalb geht die Wissenschaft davon aus, dass die kambrische Explosion auf den Anstieg des Sauerstoffgehalts in den Ozeanen zurückzuführen ist (bei gleichzeitigem Abbau des Kohlendioxids, des Schwefelwasserstoffs und vieler anderer toxischer Chemikalien). Dadurch konnten sich aerobe Organismen und immer komplexere Lebensformen mit hohem Energiebedarf entwickeln. Schließlich ist die Energiegewinnung durch einen aeroben Stoffwechsel, also einen, der Sauerstoff nutzt, knapp zwanzigmal höher als durch einen anaeroben, der völlig ohne Sauerstoff auskommen muss. Insbesondere Nervensysteme sind gewaltige Energiefresser. Beispielsweise benötigt unser Gehirn, bezogen auf sein Gewicht, über zehnmal mehr Energie als unser restlicher Körper!

Für die gravierende Veränderung dieser entscheidenden Umweltbedingungen waren aquatische, das heißt im Wasser lebende Mikroorganismen verantwortlich. Deren Stoffwechsel setzte über viele Milliarden Jahre Sauerstoff als Abfall frei. Es handelt sich hierbei um Cyanobakterien, fälschlicherweise Blaualgen genannt, und um echte, meist einzellige Mikroalgen, Urformen der später entstandenen Pflanzenwelt (mehr zu deren Entstehungsgeschichte im vorletzten Kapitel). Diese Urformen des Lebens – Cyanobakterien und Mikroalgen – sind auch heute noch wesentlicher Teil des pflanzlichen Planktons und produzieren etwa die Hälfte des Sauerstoffs, den wir über die Atmung aufnehmen.1

Ausschnitt aus der Zellmembran einer Sehsinneszelle. Ihre äußere Hülle besteht aus einer doppelten Lage Fettsäuren. Weit über die Hälfte davon ist DHA. Darin eingebettet ist der Lichtsensor.

Mit dem Anstieg des Sauerstoffgehalts konnte die Evolution einen wesentlich effizienteren Energiestoffwechsel hervorbringen. Dieser ermöglichte letztendlich sogar denkendes Leben. Doch zugleich entwickelte sich dadurch auch eine Abhängigkeit: So ist das Gehirn auch unser erstes Organ, das ohne Sauerstoff im wahrsten Sinne des Wortes seinen Geist aufgibt. Man muss nur einmal die Luft anhalten, um sich darüber bewusst zu werden, wie wir auch heute noch von der Produktionsleistung des Planktons abhängig sind.

Mikroalgen setzen aber nicht nur Sauerstoff frei, der die Energieversorgung zur Entwicklung sehender Nervensysteme sicherstellte. Sie produzieren auch noch einen unentbehrlichen Baustoff: Docosahexaensäure. Im englischen Sprachraum wird diese außergewöhnliche Fettsäure Docosahexaenoic Acid genannt und ist deshalb unter der Abkürzung DHA bekannt. DHA gehört zu den Omega-3-Fettsäuren. Mit ihrer Bedeutung für unsere geistige und körperliche Gesundheit werden wir uns noch ausführlicher beschäftigen. Hier nur so viel: Ohne DHA aus Mikroalgen wäre die Entwicklung des Sehens, wie wir es kennen, nicht möglich gewesen – und auch heute noch ist diese Fähigkeit von der DHA-Produktion durch Mikroalgen abhängig. DHA findet hauptsächlich über Fische und Meeresfrüchte den Weg zu uns, deshalb wird sie im Weiteren als eine aquatische Omega-3-Fettsäure bezeichnet. Sie kommt allerdings auch im Fleisch von Landtieren vor, dort jedoch in weitaus geringerer Menge.

Sehen findet durch Kommunikation zwischen Nervenzellen statt. Um die sichtbare Welt wahrnehmen zu können, müssen Lichtstrahlen in Nervenimpulse umgewandelt werden. Dafür sind Sehsinneszellen zuständig, die sich in der Netzhaut des Auges befinden. Als Nervenzellen sind sie der Teil des Gehirns, der auf Lichterkennung spezialisiert ist. In ihrer Außenhülle, der sogenannten Zellmembran, sind dafür Lichtsensoren eingebettet, wie in der folgenden Abbildung gezeigt.

Es handelt sich bei den Lichtsensoren um Proteine, die ihre Struktur verändern, wenn Licht einer bestimmten Wellenlänge auf sie trifft. Damit diese Strukturveränderung einen elektrischen Nervenimpuls auslöst, das eintreffende Licht also tatsächlich vom Gehirn wahrgenommen werden kann, wird DHA benötigt.2 Deshalb findet sich DHA in hoher Konzentration in der Nervenzellmembran der Sehsinneszellen. In diese DHA-reichen Abschnitte der Zellmembran sind die Lichtsensoren eingebettet.3 Beim Sehen ist die Fähigkeit von DHA, sehr viele und sehr unterschiedliche räumliche Formen annehmen zu können, von großer Bedeutung.4Wie man experimentell nachweisen konnte, kann keine andere Fettsäure, egal, wie nahe verwandt, DHA in dieser Funktion ersetzen.5 Nur mithilfe von DHA kann das vom Lichtsensor empfangene Lichtsignal in ein elektrisches Signal umgewandelt und dieses als Nervenimpuls weitergeleitet werden. Somit ist DHA entscheidend für das Sehen.6

Auch die Evolution liefert uns für die Sonderstellung der DHA gegenüber anderen Fettsäuren einen stichhaltigen Beweis: Alle bisher untersuchten Wirbeltierarten, seien es Fische, Amphibien, Reptilien oder Säugetiere, haben um die Lichtsensoren die gleiche und mit über 50 Prozent außergewöhnlich hohe Konzentration an DHA.7 Damit ist klar, dass sich seit der Entwicklung des gemeinsamen Vorfahrens in der kambrischen Explosion keine andere Fettsäure gegen DHA durchsetzen konnte – trotz des Experimentierens der Natur über eine halbe Milliarde Jahre. Diese Erkenntnis hat eine große klinische Relevanz: Beispielsweise benötigen Säuglinge für die Entwicklung einer guten Sehfähigkeit ausreichend DHA über die Muttermilch.8 Darüber hinaus gibt es triftige Hinweise, dass aquatische Omega-3-Fettsäuren vor der sogenannten Makula-Degeneration schützen.9 Sie ist die Hauptursache schwerer Sehbehinderung und Erblindung bei Menschen über 60 Jahre in der westlichen Welt.

Eine Synapse ist der Ort, an dem Nervenzellen durch das Versenden von Botenstoffen miteinander kommunizieren.

Vom Sehen zum Erkennen, Denken und Lernen

DHA ist aber nicht nur bei der Umwandlung von einem Lichtsignal in ein elektrisches Signal beziehungsweise in einen Nervenimpuls unverzichtbar, also bei der »Kommunikation« der Außenwelt mit unseren Nervenzellen. Auch beim Wahrnehmen des Gesehenen hat DHA eine vergleichbare Funktion, also bei der Kommunikation zwischen Nervenzellen. Auch hier muss ein Signal in einen elektrischen Impuls umgewandelt werden – und auch hier geht es nicht ohne DHA. Diese Signalumwandlung findet an den sogenannten Synapsen statt.

Synapsen entstehen, wenn die jeweiligen Ausstülpungen zweier Nervenzellmembranen sich fast, aber eben nur fast, berühren, wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist. Über den dazwischenliegenden sogenannten synaptischen Spalt tauschen sie Informationen aus. Das funktioniert folgendermaßen: Auf der einen Seite erreicht ein elektrischer Nervenimpuls der ersten Nervenzelle ihren Teil der Synapse. Dies führt zur Freisetzung eines Botenstoffs in den synaptischen Spalt. Dieser leitet das Signal weiter, indem er über den engen Spalt zur zweiten Nervenzelle wandert. Dort wird der Botenstoff durch Sensoren (Rezeptoren) erkannt, wieder in einen elektrischen Nervenimpuls umgewandelt und in andere Bereiche des Gehirns oder zu Muskelzellen weitergeleitet.

Und hier kommt nun der Trick der Natur, der uns fühlen und erinnern, denken und planen und handeln lässt: Die Synapsen entscheiden darüber, ob es zu einer erfolgreichen Signalübertragung von einem Nervenimpuls über einen Botenstoff zu einem anderen Nervenimpuls kommt. Dabei bestimmen frühere Signalübertragungen die Wahrscheinlichkeit, ob zukünftige Signale erfolgreich übermittelt werden oder an einer Synapse enden. Das Verhalten der Synapsen steuert damit unser Verhalten! Deren Fähigkeit, sich aufgrund von Erfahrung zu »kalibrieren«, sich zu verändern und anzupassen, nennt man in der Fachsprache »synaptische Plastizität«, dies ist die Grundlage für jegliches Erinnern oder Lernen. Eine gigantische Anzahl von über einer Billiarde Synapsen ist die Basis des komplexen menschlichen Geistes. Das Zusammenspiel all dieser Synapsen, von denen jede einzelne einen winzigen Aspekt unserer gesammelten Lebenserfahrung in einer bestimmten Kalibrierung codiert hat, macht jeden von uns einzigartig. Man könnte auch sagen: Wir sind unsere Synapsen: Alles, was wir sehen, was wir fühlen, woran wir uns erinnern, unsere Vorstellungen, Träume und Wünsche – das alles ist die Summe aller synaptischen Prozesse unseres Gehirns.

Genauso wie DHA bei der Umwandlung eines Lichtsignals in einen elektrischen Nervenimpuls unerlässlich ist, ist diese Fettsäure auch entscheidend bei der synaptischen Signalübertragung.10 Dementsprechend findet sich auch in der Nervenzellmembran der Synapsen eine außergewöhnlich hohe Konzentration an DHA von über 50 Prozent.11 Diese ist weitaus höher als im restlichen Gehirn oder in anderen Geweben.12

Entwicklungsgeschichtlich betrachtet, ermöglichte DHA aus Mikroalgen somit nicht nur das Umwandeln von Lichtsignalen in elektrische Nervenimpulse. Vielmehr war diese besondere Fettsäure auch entscheidend für die Evolution weiterer Signalsysteme, nämlich der von Nervensystemen und letztendlich des menschlichen Geistes.13 Das bedeutet: Denken ohne DHA ist nicht denkbar!

Die vielseitigen Gehirnfunktionen der DHA

DHA ist aber nicht nur ein Baustoff für Synapsen und ermöglicht nicht nur die Kommunikation zwischen Nervenzellen. Wie die folgende Abbildung zeigt und ich im Weiteren zusammenfasse, ist DHA auch ein hormoneller Wirkstoff, dessen Funktionen so vielfältig sind wie die Komplexität seiner Struktur:

DHA stimuliert als Hormon die Produktion neuer Nervenzellen. Diesen Vorgang nennt man Neurogenese.14 Eine ausreichende Versorgung mit DHA ist somit entscheidend für das Wachstum des menschlichen Gehirns im Kindesalter.15 Die Neurogenese ist aber auch von außerordentlicher Bedeutung für den Erhalt der Erinnerungsfähigkeit und für das seelische Wohlbefinden. Beim Erwachsenen spricht man in diesem Zusammenhang von adulter Neurogenese.16 Sie schützt vor Depression17 und – wie ich zeigen konnte – auch vor Alzheimer.18 Die Aktivierung der adulten Neurogenese ist der effektivste und sehr wahrscheinlich auch der einzige Weg zur Heilung dieser beiden Krankheiten.DHA stimuliert das Wachstum von Nervenzellen und die Bildung neuer Synapsen.19 Damit hat dieses Fettsäure-Hormon enorme Bedeutung für das Reifen unserer emotionalen, sozialen und intellektuellen Fähigkeiten.DHA verhindert über verschiedenste Mechanismen den Tod von Nervenzellen, wenn diese unter Stress geraten und dabei geschädigt werden.20 DHA macht Nervenzellen also stressresistent.DHA unterstützt auch den Prozess der Reparatur.21 Das hat zur Folge, dass dauerhafte Schädigungen des Nervensystems und des Gehirns, wie zum Beispiel bei einem Wirbelbruch oder nach einem Schlaganfall, unter DHA-Gabe weitaus geringer sind. Damit erhöhen sich unter DHA-Gabe die Chancen auf eine Genesung!DHA reduziert die Schmerzempfindung bei chronischer Nervenzellschädigung, dem sogenannten neuropathischen (vom Nerv ausgehenden) Schmerz.22DHA hemmt oxidativen Stress, das heißt die gesundheitsschädliche Wirkung von überschüssigen Sauerstoffradikalen, die infolge von Entzündungen oder eines erhöhten Energiestoffwechsels freigesetzt werden.23Nicht zuletzt bildet unser Organismus aus DHA eine Reihe weiterer Gewebehormone, die eine starke antientzündliche Wirkung entfalten. Ihre Aufgabe ist es, nachdem die Verursacher der Schädigungen beseitigt wurden, die Entzündungsreaktion zu beenden und die Reparatur des verletzten Hirngewebes einzuleiten.24 Unter einem chronischen, relativen wie absoluten, Mangel an DHA besteht somit die Gefahr, dass eine Entzündung dauerhaft bestehen bleibt. Schwerwiegende Hirnkrankheiten sind die Konsequenz.

DHA spielt also eine umfangreiche und insgesamt entscheidende Rolle bei allen geistigen Funktionen, sowohl bei deren Entwicklung als auch deren Erhalt. Daher drängen sich folgende Fragen geradezu auf: Wenn DHA für die Evolution des Geistes seit der kambrischen Explosion vor mehr als einer halben Milliarde Jahren unabdingbar war, wieso entwickelte dann kein Tier die Fähigkeit, DHA von Grund auf selbst herzustellen? Wieso ist insbesondere der Mensch, das mutmaßlich geistig am höchsten entwickelte Lebewesen, lebenslang von einer DHA-Zufuhr aus aquatischen Quellen abhängig?

Fische und Meeresfrüchte, an denen in unserer Evolution kein Mangel herrschte, sind so reich an aquatischen Omega-3-Fettsäuren, dass unser Organismus nie lernte, sie selbst effizient herzustellen, obwohl er sie zum Leben benötigt.

Tatsächlich ist unser Stoffwechsel nahezu völlig außerstande, DHA selbst aus schon vorgefertigten (pflanzlichen) Vorstufen effizient herzustellen. Das ist merkwürdig. Denn dass es auch anders geht, zeigt uns das Beispiel der Arachidonsäure. Arachidonsäure, englisch Arachidonic Acid, deshalb im weiteren AA abgekürzt, gehört zu den Omega-6-Fettsäuren.

AA wird uns im Weiteren ebenfalls noch ausführlich beschäftigen, denn diese Fettsäure ist für die geistige Entwicklung und den Erhalt unserer Gesundheit ebenso wichtig und unersetzlich wie DHA. Allerdings herrscht an AA kein Mangel, ganz im Gegensatz zu DHA. Deshalb müssen wir uns keine Gedanken darüber machen, ob wir ausreichend mit dieser Fettsäure versorgt sind. Dies hat mehrere Gründe. So wurde gezeigt, dass schon Säuglinge AA aus einer pflanzlichen Omega-6-Vorstufe bis zu hundertmal effizienter herstellen können als DHA aus einer entsprechenden Omega-3-Vorstufe, wie man sie in Lein und anderen pflanzlichen Quellen findet.25 Die extrem geringe Umwandlungsrate dieser terrestrischen Omega-3-Fettsäuren in die bioaktive DHA wird in Anwesenheit von pflanzlichen Omega-6-Vorstufen sogar noch weiter gesenkt.

Zudem enthalten Fleischprodukte, insbesondere die unter den Bedingungen der Massentierhaltung produziert werden, so gut wie keine DHA, jedoch besonders viel vorgefertigte AA.

Terrestrische AA kommt in Form von Fleisch und Wurstwaren bei den meisten Menschen der westlichen Welt nahezu täglich auf den Teller.

Wenn wir also auf aquatische DHA angewiesen sind, da wir sie selbst nicht ausreichend herstellen können, wenn wir hingegen AA aus chemischen Vorstufen selbst verstoffwechseln können und sie uns zudem bei terrestrischer Ernährung mehr als genügend zur Verfügung steht, dann stellt sich die entscheidende Frage: Wie haben sich unsere altsteinzeitlichen Vorfahren, an deren Lebensweise unser Stoffwechsel auch heute noch angepasst ist, primär ernährt – aquatisch oder terrestrisch, also eher von Fisch oder eher von Fleisch?

Das klassische Bild, das wir von unseren prähistorischen Vorfahren haben, beschrieb die auf menschliche Vor- und Frühgeschichte spezialisierte Wissenschaftsjournalistin Ann Gibbons im Jahre 2002 für das renommierte US-amerikanische Wissenschaftsmagazin Science. Es zeigt »stämmige Jäger, die Wildtiere nach Hause bringen, ihr Fleisch mit Steinwerkzeugen zerteilen und die Savanne nach Kadavern absuchen«.26 Dieses Bild der sogenannten Paläodiät altsteinzeitlicher Jäger und Sammler, die sich reichlich mit Fleisch sowie Früchten und Samen versorgten, wird auch gerne bemüht, um unsere moderne Ernährung mit Fleischprodukten aus der Massentierhaltung zu rechtfertigen. Auch die Wissenschaft versuchte noch bis weit ins letzte Jahrhundert hinein, uns diese Auffassung plausibel zu machen.27 Doch an diesem Bild kann etwas nicht stimmen! Um das Problem zu erkennen, hilft uns ein Blick auf ein grundlegendes Selektionskriterium der Evolution: die Energieeffizienz.

Alle Lebewesen benötigen ausreichend Energie. Wer auf Dauer nicht genügend über die Nahrung zuführen kann, gerät in Lebensgefahr. Da die Gefahr eines Nahrungsmangels immer eintreten kann, ist Sparen angesagt. Dementsprechend arbeitet unser Stoffwechsel von Natur aus so energieeffizient wie möglich. Das bedeutet, dass wir alle Produkte, die wir problemlos von außen zuführen können, nicht selbst erzeugen – das wäre schließlich reine Energievergeudung.

Verlässt sich ein Organismus auf vollständige Energiezufuhr über die Nahrung, spart er sogar doppelt: einerseits bei der Produktion dieser Naturstoffe und anderseits, weil er kein aufwendiges biochemisches Produktionsverfahren dafür entwickeln muss, um diese dann lebenslang für den Notfall bereitzuhalten. Allerdings bringt der Vorteil, auf diese Weise Energie einzusparen, auch einen Nachteil mit sich: die lebenslange Abhängigkeit von einer Versorgung von außen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass immer dann, wenn die Evolution darauf verzichtete, die genetischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, einen lebensnotwendigen Nahrungsbestandteil bei Bedarf selbst herstellen zu können – wie beispielsweise Vitamine –, zumindest kein chronischer Mangel an einem dieser Produkte geherrscht haben konnte. Sonst hätte logischerweise die Spezies nicht überleben können.

Aufgrund dieser Überlegungen lässt sich aus der relativen Effizienz, mit der wir die beiden lebenswichtigen Fettsäuren AA und DHA aus deren Vorstufen herstellen beziehungsweise eben nicht herstellen können, etwas Entscheidendes über die Lebens- und Ernährungsweise unserer Vorfahren ableiten:

Da wir bei DHA extrem ineffizient sind, muss diese lebenswichtige Omega-3-Fettsäure stets Teil der altsteinzeitlichen Grundnahrung gewesen sein.Hingegen muss AA eher Mangelware gewesen sein, weshalb deren Herstellung aus den entsprechenden (pflanzlichen) Omega-6-Vorstufen nicht nur wesentlich höher ist, sondern sogar favorisiert wird.

Wäre der Mensch in der letzten Phase seiner Entwicklung, die uns heute noch prägt, tatsächlich Jäger und Sammler gewesen, wäre er stets reichlich mit terrestrischer AA versorgt gewesen, jedoch bloß mangelhaft mit aquatischen Omega-3-Fettsäuren. Das lässt nur einen Schluss zu: Unser Bild von der Altsteinzeit ist falsch! In diesem Sinne schlussfolgert auch Gibbons im oben zitierten Science-Artikel ein akkurateres Bild, nämlich »eines von Fischern – und Fischerinnen –, die durch ruhige Seen waten und bedächtig das Ufer nach Fischen, Eiern von Seevögeln, Muscheln und anderen marinen Nahrungsmitteln durchkämmen«.

Vom Fischer und Sammler

Ernährungsexperten am Imperial College in London haben diese These bestätigt. Laut ihren umfangreichen Untersuchungen ist die Überlegung, dass »die menschliche Evolution ihren Vorteil aus der marinen [aquatischen] Nahrungskette zog, durch fossile Beweise unwiderlegbar untermauert«28: Entscheidend für die Entwicklung des heutigen Homo sapiens sapiens – doppeltes sapiens, weil wir uns nicht nur für weise, sondern für »sehr weise« halten – war somit die Entdeckung qualitativ hochwertiger, einfach zu verdauender, DHA-reicher aquatischer Nahrungsmittel aus binnenländischem Süßwasser und vor allem aus küstennahem Salzwasser: Fische, Muscheln und Krebse. Allesamt DHA-Konzentrate!

Erst und nur durch diese aquatische Art der Ernährung wuchs das Volumen des menschlichen Schädels von vor etwa 200000 Jahren bis Anfang der Frühsteinzeit vor etwa 12000 Jahren auf einen Allzeitrekord.29 Insbesondere die ersten 50000 Jahre dieser Periode waren dafür entscheidend. Dabei hatten wir Glück im Unglück: Unglück, weil vor etwa 194000 Jahren eine Eiszeit die zentral gelegenen Regionen Afrikas versteppen ließ. Diese Dürreperiode dauerte immerhin weit über 70000 Jahre und brachte die damalige Menschheit langsam, aber gnadenlos an den Rand der Ausrottung. Nur wenige Menschen überlebten. So zeigen genetische Untersuchungen, dass die Entwicklung des heutigen Menschen durch eine Art Flaschenhals verlief. Laut Erbgutanalysen stammen alle Vertreter der unterschiedlichsten Ethnien von nur wenigen gemeinsamen Vorfahren ab – und zwar von denjenigen, die die damalige lang anhaltende Katastrophe überlebten.30

Muscheln ernähren sich von Mikroalgen, die sie aus dem Meer filtern. Dadurch werden sie selbst zu kulinarischen DHA-Bomben.

Glück hatten wir hingegen, weil die vermutlich wenigen hundert Menschen, die sich in küstennahe Regionen im südlichen Afrika retten konnten, einen Garten Eden vorfanden. Dort wuchs auch tatsächlich der Baum der Erkenntnis, und zwar in Form von Muschelbänken, so weit das Auge reichte.31 Vielleicht wollte der allwissende Gott sehr wohl, anders als es die Bibel vorgibt, dass wir von diesem »Baum« naschen. Zumindest schufen die DHA-reichen und damit geistspendenden Meeresfrüchte beste Voraussetzungen für einen letzten Wachstumsschub eines großen wissbegierigen Gehirns – und für den Beginn der sozialen Eroberung der Erde.

Zudem ist die südafrikanische Kap-Flora aufgrund ihres umfangreichen und eigenständigen Pflanzenreichtums ein einzigartiges Florenreich. Dort fanden schon unsere frühesten Verwandten unzählige Pflanzen mit kohlenhydrathaltigen Wurzeln wie beispielsweise diverse Arten der Fynbos-Vegetation (afrikaans für »Büsche mit feinen Blättern«, abgeleitet vom niederländischen fijnbosch), die ihnen auch die pflanzliche Vorstufe von AA lieferten.

Dementsprechend schreibt Curtis Marean, Professor für Humanevolution der Arizona State University in Tempe, USA, und einer der Entdecker dieses altsteinzeitlichen Gartens Eden, in dem die Menschheit überlebte und reifte: »Wer mit einem Grabstock umzugehen versteht, kann dort praktisch nicht verhungern.«32

Über viele Tausend Generationen passte sich das Erbgut der in diesem Gebiet überlebenden Menschheit an die geistfördernde Ernährung aus Meeresfrüchten und Wurzelgemüse an. Auch heute noch verträgt sich diese Kost bestens mit unserer genetischen Grundausstattung. Deshalb beschert sie uns die höchste Lebenserwartung, wie man anhand einer umfangreichen Studie herausfand33: Danach sind Pesco-Vegetarier, kurz: Pescetarier, die neben pflanzlicher Nahrung auch Fische und Meeresfrüchte verzehren, deutlich gesünder und leben länger als Menschen, die stattdessen regelmäßig Fleisch essen. Pescetarier sind auch im Vorteil gegenüber sogenannten Lacto-Vegetariern, die artfremde Milchprodukte zu sich nehmen, und auch gegenüber Veganern, die völlig auf Fisch und Meeresfrüchte verzichten.

Das Rätsel um den Ursprung der außergewöhnlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit des Menschen scheint damit gelöst zu sein. Dieser Ansicht ist auch Stephen Cunnane, Physiologe an der University of Sherbrooke in Quebec, Kanada: »Sobald wir [sprich: unsere Vorfahren] in die Lage kamen, die Nahrungskette an der Küste Afrikas zu nutzen – weitaus reichhaltiger und zuverlässiger als inländische Quellen von Fisch –, explodierten Gehirnentwicklung und kulturelle Evolution.«34 Tatsächlich weisen viele Indizien in den Höhlen an Afrikas südöstlichem Kap auf eine viel frühere Evolution des menschlichen Geistes hin als lange Zeit angenommen. So entwickelte schon vor über 164000 Jahren der damalige Mensch komplexe Technologien wie etwa das gezielte Hitzebehandeln von Steinmaterialien zur Herstellung messerscharfer Klingen.35 Hierzu waren Erfahrung und geplantes Handeln nötig, ebenso wie eine komplexe Sprache, um das erworbene Wissen und Können an die nächsten Generationen weitergeben zu können.

Die Wiege der Menschheit stand in Afrika. Von dort zogen unsere frühen Vorfahren wie der Homo erectus und der Homo sapiens neanderthalis immer wieder aus. Doch erst dem »sehr weisen« Menschen, dem Homo mit dem doppelten sapiens in seiner wissenschaftlichen Namensgebung, gelang der nötige geistige Durchbruch, der es ihm ermöglichte, sich den gesamten Planeten untertan zu machen.

Die Unerschöpflichkeit lokaler Nahrungsquellen führte zur Sesshaftigkeit. Zudem genügten wenige Stunden täglich, um sich mit dem Tagesbedarf an Meeresfrüchten und nahrhaftem Wurzelgemüse zu versorgen. Damit gab es mehr freie Zeit, die kreativ genutzt werden konnte. Der Nahrungsreichtum erlaubte zudem ein Anwachsen der lokalen Population. Dieser Trend ist bei allen Wildvölkern zu beobachten, ob bei den Ureinwohnern Australiens oder denen Nord- oder Südamerikas: Wann immer eine Gemeinschaft sich vorwiegend von aquatischen Quellen anstatt terrestrischen ernährte, also als Fischer und Sammler lebte statt als Jäger und Sammler, wurde sie größer.36

In südafrikanischen Höhlen wurden meterhohe Abfallberge von Muscheln, Fischknochen und auch technischen Artefakten gefunden, Zeugnisse der Existenz menschlicher Gemeinschaften, ihrer Sesshaftigkeit und geistigen Schaffenskraft, die fast 200000 Jahre zurückreicht.

Je größer eng zusammenlebende soziale Gruppen sind, desto häufiger entstehen dann auch interne Konflikte, die es zu lösen gilt – hier ist emotionale wie soziale Intelligenz gefordert. Zugleich kommt es auch zu Besitzdenken, denn die Nahrungsquellen müssen für die eigene Familie gesichert bleiben. (Für heute noch nomadenhaft lebende, vergleichsweise kleine Gemeinschaften ist Besitz weitgehend fremd.) Der sesshafte Fischer und Sammler musste aber nicht nur lernen, innerhalb der eigenen Sozialstrukturen zu bestehen. Es war auch notwendig, das gemeinsame Territorium gegen das Eindringen fremder Gruppen zu verteidigen. Dieser Umstand förderte die Evolution kooperativen Verhaltens – eine Grundvoraussetzung für die »soziale Eroberung« der Erde durch den Menschen.37

Es ist daher nicht überraschend, dass insbesondere das Frontalhirn im Vergleich zu anderen Hirnregionen an Größe zunahm. Dieser Teil des Gehirns ist der Sitz unserer Exekutivfunktionen, hier wird geplant, entschieden und letztendlich gehandelt.38 Das Frontalhirn ist zudem die Zentrale unserer emotionalen und sozialen Intelligenz, der Sprache sowie des Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnisses und der Aufmerksamkeit, allesamt entscheidend für kooperatives Verhalten. Im Frontalhirn findet sich nicht ganz zufällig auch die höchste Konzentration an DHA des gesamten Gehirns.39

Beim Frontalhirn zeigen sich auch die größten Unterschiede zum Neandertaler: Im Vergleich zu seinem ausgeprägten Hinterhirn, in welchem sich sein Sehzentrum befand, war das Frontalhirn des Neandertalers weitaus weniger ausgebildet.40 Man nimmt an, dass sein Gehirn für die Jagd optimiert war, wofür auch seine vergleichsweise großen Augen sprechen. Seine emotionalen und sozialen Fähigkeiten sowie sein Sprachvermögen dürften hingegen sehr wahrscheinlich weitaus weniger gut entwickelt gewesen sein.

Die Exekutivfunktionen des menschlichen Frontalhirns im Zusammenspiel

Das Gehirn des Neandertalers (Schädel im Vordergrund) war optimiert für die Jagd, seine großen Augen waren mit einem großen Sehzentrum (Hinterhaupt) verbunden. Das Gehirn des schon damals modernen Menschen (Schädel im Hintergrund) hatte hingegen ein großes Frontalhirn (Vorderhaupt), optimiert für sämtliche exekutiven Funktionen.

Inzwischen bestätigen immer mehr wissenschaftliche Hinweise eine frühere Annahme, dass unsere Spezies, von Afrika ausgehend, vornehmlich an Wasserläufen entlang die Erde eroberte.41 Nur so konnte die wachsende Bevölkerung sich ausreichend aquatisch ernähren. Die primären Ausbreitungswege waren der Lauf des Nils, die Gewässer des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, der sich über rund 6000 km Länge vom heutigen Mosambik im Süden bis nach Syrien im Norden erstreckt, oder aber direkt übers Meer. Nach neuesten Erkenntnissen waren unsere direkten Vorfahren schon vor 130000 Jahren (!) dazu fähig, Boote zu bauen und über das offene Meer zu navigieren.42 Der Mensch war also schon damals alles andere als primitiv.

Noch bis vor etwa 12000 Jahren versorgten sich die europäischen Nachkommen südafrikanischer Fischer und Sammler vorwiegend aquatisch, also mit Muscheln und Fischen.43 Dies im Gegensatz zum Neandertaler, der sich als prototypischer Jäger hauptsächlich terrestrisch ernährte44, also mit dem Fleisch seiner Beute. Der Jäger war dem Fischer geistig unterlegen, und letztendlich überlebte er den Konkurrenzkampf nicht.

Die jüngsten Knochen und damit letzten Lebensreste, die man von ihm fand, datieren etwa 30000 Jahre zurück. Das sollte uns zu denken geben, denn immerhin ernährt sich heutzutage die Mehrheit der Menschheit wie einst die Neandertaler, also von den fleischlichen und pflanzlichen Produkten, die Land und Boden hergeben. Wir sind zu domestizierten Jägern und Sammlern geworden, allerdings ohne selbst zu jagen oder zu sammeln. Das überlassen wir der Agrarindustrie.

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Die Entwicklung eines sozial denkenden, planerischen und sprachbegabten Gehirns zeichnet den modernen Menschen aus. Es ist das des altsteinzeitlichen Fischers und Sammlers. Für dessen Evolution kamen im »Garten Eden« Südafrikas alle entscheidenden Faktoren zusammen: die Notwendigkeit komplexeren Sozialverhaltens, Zeit für kreatives (symbolisches) Denken und technologische Entwicklungen sowie eine schier unerschöpfliche Quelle aquatischer Nahrung, die ausreichend essenzielle Hirnbaustoffe dafür lieferte.

Aber diese Entwicklung hin zu mehr sozialer Intelligenz ist keine Einbahnstraße. Nimmt man nur einen dieser gehirn- und geistformenden Faktoren weg, kehrt sich die Richtung um. Eine entsprechende Studie, die im Jahr 1997 im renommierten britischen Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde, sollte uns alle aufhorchen lassen: Das menschliche Gehirn schrumpft. Seit der Umstellung vom Fischen und Sammeln aufs Viehzüchten und Feldbewirtschaften verläuft unsere geistige Entwicklung rückwärts – zumindest sofern die Hirngröße ein Maß für das geistige Potenzial darstellt.45 Danach reduzierte sich unser Gehirn im Durchschnitt seit dem Übergang von der altsteinzeitlichen Fischwirtschaft zur neusteinzeitlichen Agrarwirtschaft um satte elf Prozent.