Die Chroniken der Seelenwächter - Band 28: Blut und Feuer - Nicole Böhm - E-Book

Die Chroniken der Seelenwächter - Band 28: Blut und Feuer E-Book

Nicole Böhm

5,0

Beschreibung

Kedos zieht den Kreis enger. Nachdem er den halben Flughafen in Toronto demoliert hat, will er auch Valerian und Emma. Akil und der Rat geraten unter Druck und müssen ihre Kräfte auf viele Fronten verteilen. Will sieht sich mit einem Gegner konfrontiert, den er weder einschätzen noch besiegen kann. Um seinen Auftrag auszuführen, muss er umdenken und die Grenzen des Todes überwinden. Auch für Jess bleibt nichts mehr, wie es war. Sie stürmt zurück auf das zerstörte Anwesen und löst damit eine Reaktion aus, die niemand vorausahnen konnte. Dies ist der 28. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter". Empfohlene Lesereihenfolge: Empfohlene Lesereihenfolge: Bände 1-12 (Staffel 1) Die Archive der Seelenwächter 1 (Spin-Off) Bände 13-24 (Staffel 2) Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off) Bände 25-36 (Staffel 3) Bände 37-40 (Staffel 4) Das schwarze Element (die neue Reihe im Seelenwächteruniversum) Bände 1-7

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel3

11

19

24

33

42

46

57

63

69

73

77

86

95

105

113

Die Fortsetzung der Seelenwächter:122

Impressum123

Die Chroniken der Seelenwächter

Blut und Feuer

Von Nicole Böhm

1. Kapitel

Jaydee

Rußpartikel schwebten vor mir in der Luft. Sie schwirrten um meinen Schädel, tanzten wie Konfetti um mich herum und hatten sich als dünner Film überall abgesetzt. Auch auf meiner Haut. Ich wischte sie nicht weg. Ich bewegte mich nicht. Ich blinzelte nicht.

Ich atmete nur.

Ein. Aus. Ein. Aus. Ganz einfach.

Mein Körper brannte, bebte, schmerzte vom Kämpfen. Meine Zellen erneuerten sich, fügten sich zusammen, bis von den Wunden nichts mehr übrig war. Nach und nach wurde alles wieder an Ort und Stelle gesetzt. Wie immer. Ich wünschte, das könnte ich auch vom Rest meines Lebens sagen.

Anna.

Will.

Meine Familie.

Weg.

Anna war ein Teil meiner Seele gewesen. Mein Anker. Meine bessere Hälfte. Mein Lichtschein, egal wie dunkel die Nacht um mich geworden war.

Wir hatten beide in den letzten Wochen unsere Liebe gefunden. Wir hatten uns anderen Menschen zugewandt, und dennoch war unsere Freundschaft ungebrochen geblieben. Sie war das angenehme Hintergrundrauschen in meinem Leben. Wenn ich sie sah, dann wusste ich, dass alles in Ordnung kommen würde. Wenn ich an sie dachte, dann durchströmte mich eine angenehme Wärme. Wenn ich ihren Mandarinenduft inhalierte, kam alles in mir zur Ruhe.

Und nun?

War sie ins Feuer gefallen. Zu Will vielleicht – vielleicht auch nicht. Sie war einen unbekannten Weg gegangen, sie hatte sich von diesem Leben gelöst.

Wäre ich schneller gewesen, wäre ich stärker gewesen, hätte ich mehr gegeben ...

Ich hätte sie retten können! Sie zu mir zurückziehen, sie vor dem Feuer schützen. Irgendwas!

»Scheiße.« Ich zog die Beine an, legte die Ellbogen auf den Knien ab und rieb mir durchs Gesicht. Die Asche verschmierte auf meiner Haut. Meine Seele brannte genauso intensiv, wie das Feuer eben durch den Tempel gefegt war. Anna. Will.

Der Gedanke, sie beide verloren zu haben, war unerträglich.

Meine Augen fingen an zu brennen, ich wischte darüber, doch es hörte nicht auf. Eine Träne löste sich, tropfte nach unten. Ich sah den dunklen Fleck inmitten der feinen Asche am Boden. Es folgte ein zweiter und ein dritter.

Ich zog die Nase hoch, blickte nach oben und kämpfte mit aller Macht gegen das Ziehen in mir an.

»War es das?«, flüsterte ich in die Leere des Tempels. »Bist du jetzt zufrieden?«

Ich starrte nach oben, lauschte auf jedes Geräusch. Doch der Berg hatte sich beruhigt, ich vernahm nur ein leises Rauschen im Felsen. Hin und wieder brach ein Stück vom Gestein herunter.

Mühsam richtete ich mich auf. Meine Beine gaben sofort unter mir nach, doch ich zog mich weiter nach oben, bis ich mit wackeligen Knien inmitten dieser uralten Mauern stand.

»Ilai!«, rief ich und meine Stimme hallte im Echo zu mir zurück. Ilais Name erfüllte den Tempel, kroch über meine Haut und teilte mein Herz. »Hast du mich gehört?«

Ich wartete. Hoffte. Horchte.

Vorhin hatte ich ihn wahrgenommen – oder es mir zumindest eingebildet. Ich hatte seine Präsenz gespürt. Anna und ich hatten eine Verbindung zu ihm gehabt, möglicherweise hatte er sogar mit ihr gesprochen, ohne dass ich davon wusste.

»Ilai!«, plärrte ich erneut und spürte, wie die Wut in mir hochkochte. »Antworte gefälligst!«

Doch statt seiner Stimme verspottete mich mein Echo ein weiteres Mal und kurz darauf die Stille.

»War das dein verfluchter Plan? Wolltest du uns alle trennen? Uns das entreißen, was uns zusammenhält?«

Das Rauschen im Tempel nahm kurz zu, dann verebbte es wieder. Im Gegensatz zu meinem Zorn.

»Hörst du mich, du elender Mistkerl?!«

Nein. Tat er nicht. Oder wenn er es tat, dann stellte er auf Durchzug.

Ich stieß ein dunkles Knurren aus, kickte einige Steine weg. »Ja, das kannst du besonders gut! Die Ohren zumachen, wenn es für dich unangenehm ist. Schweigen, wenn du reden solltest! Du arroganter Bastard! Du hast uns zum Narren gehalten! Du hast dieser Familie mehr Schaden zugefügt, als es ein Dämon je könnte!« Hinter meiner Stirn pulsierte es dumpf, mein Blut schien überzukochen, ich spürte die Kraft der Elemente in mir, ich spürte sie um mich herum und geriet auch darüber in Rage.

Jetzt brauchte ich sie auch nicht mehr!

Sie hätten mir vorhin helfen sollen, als ich versuchte, Anna zu mir zu ziehen! Sie hätten uns beistehen und das tun müssen, was sie geschworen hatten zu tun, als Damia ihre Seele an sie band! Schließlich lebten sie durch die Seelenwächter. Sie wirkten durch die Seelenwächter. Es war ihre verdammte Pflicht, da zu sein!

Ich hob einen Stein auf und schleuderte ihn gegen den Altar. Er riss ein kleines Loch in die Oberfläche und zersprang in zwei Hälften.

»Ilai!«

Der nächste Stein flog, dieses Mal auf das Becken mit der Essenz des Feuers. Es war versteinert, das Element darin zum Stillstand gekommen. Mein Geschoss richtete nur wenig Schaden an.

»Sei ein Mal Manns genug und zeig dich! Komm zurück zu uns, komm in das, was von deiner Familie übrig ist und halte sie verflucht noch mal zusammen! Will hat dir vertraut. Anna hat dir vertraut.«

Ich habe dir vertraut.

Das hatte ich tatsächlich. Irgendwann auf diesem Weg hatte ich angefangen, ihm zu glauben. Irgendwann hatte ich begriffen, dass er mir guttat, dass er mir helfen konnte und es auch wollte. Und nun?

Ilai schwieg. Er hüllte sich in das Mysterium, das er selbst um sich erschaffen hatte. Er blieb sich treu, indem er uns im Stich ließ.

Und genau das brachte mein Fass zum Überlaufen. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Obwohl ich eben so viel Kraft und Energie im Kampf verpulvert hatte, überkam mich eine Urwut. Sie nistete ganz unten in meinen Eingeweiden, dort, wo der Jäger hauste; dort, wo alles Dunkle in mir lauerte.

Ich ließ sie hervortreten, nahm weitere Steine, schmiss sie auf die anderen Becken mit den Essenzen der Elemente. Sie verschwanden in der blubbernden Flüssigkeit, ohne dass etwas geschah. Ich schleuderte einen Brocken in das Becken des Elements Wasser und sah zu, wie er einfach so absorbiert wurde.

Dieses Element war die pure Emotion. Es durchflutete mich, seit ich sieben Jahre alt war, es hatte mir das Leben zur Hölle gemacht, es hatte sogar Jess und mich voneinander getrennt gehalten und alles Düstere in mir aktiviert. Ich entließ meine Wut auf dieses Becken. Ich trat gegen die Umrandung, versuchte, sie zu zerstören, schleuderte Steine hinein. Weiter und weiter und weiter, bis meine Muskeln erneut brannten und zitterten und ich atemlos zusammensank.

So viel Schmerz.

Er hatte sich um mich herum aufgebaut, war ein fester Bestandteil meines Lebens geworden, er war mein stetiger Begleiter, genau wie der Jäger.

Ich suchte ihn. Ich verabscheute ihn. Ich brauchte ihn.

Ich presste meine Finger auf die Umrandung des Beckens. Verbrannte. All diese Emotionen, all diese Wut. Die Verzweiflung. Der Hass. Wie lange sollte das so weitergehen? Wie lange? Bis meine Seele endgültig zerbarst?

Ich hob den Kopf und sah in die blaue Flüssigkeit. Das Becken hatte keinen Boden, es endete im Nirgendwo. Die Körper der Auserwählten wurden hineingelegt, sobald sie durch den Dolch auf dem Altar ihr Leben gelassen hatten. Sie wurden den Elementen auf diese Art übergeben, sodass sie als Seelenwächter zurückkehren konnten. Viele hatten es nicht geschafft. Viele waren dort unten geblieben. In der Stille ihres Elements. Ich streckte die Hand aus, hielt sie über die Flüssigkeit und wünschte, auch ich könnte in diese Stille kehren.

Kühle Luft strömte über meine Haut. Es zischte. Ich sah zu, wie sich die ersten Kälteverbrennungen zeigten. Das Element wies mich nach wie vor ab, wo es mich gleichzeitig an sich zog. Es wollte mich nicht und dennoch quälte es mich mein Leben lang.

»Du bist ein Idiot«, sagte ich und wusste nicht, ob ich noch Ilai meinte oder mich selbst. Ich starrte weiter auf meine Haut, die Oberfläche hatte sich schwarz verfärbt, ich hatte kein Gefühl mehr in den Fingern. Noch ein bisschen länger, und sie würden mir vermutlich absterben.

Die Flüssigkeit blubberte kurz auf, eine kleine Druckwelle kam mir entgegen, schob mich von dem Becken weg, als wollte das Element verhindern, dass ich mir weiter schadete. Ich ließ mich auf den Hintern sinken, zog die Beine an und sah auf die Hand.

Sofort arbeiteten meine Heilkräfte daran, den Schaden einzudämmen. Wie immer schafften sie es.

Ich schnaubte und fühlte mich so leer wie lange nicht mehr.

»Bleib im Feuer und verrotte.«

Die Worte lösten keine Genugtuung in mir aus. Keine Ruhe. Ich wollte Ilai nicht hassen, aber ich wusste nicht, wie ich sonst mit diesem Mist umgehen sollte. Alles was ich gelernt hatte in diesen letzten Wochen und Monaten, alles was ich geworden war: Es war nutzlos. Ich hatte nicht einmal genug Kraft gehabt, um meine Familie zusammenzuhalten.

Meine Finger wanderten zum Jadestein. Er pochte dumpf in meiner Hand.

Wäre es anders mit Lilija?

Der Gedanke überraschte mich nicht, denn ich wusste, wie es sich anfühlte, in ihrer Nähe zu sein. Ich wusste, was ihre Stimme mit mir machte. Ich wusste, dass sie mich zusammensetzen konnte, völlig egal, wie kaputt ich war.

Weil sie mich verstand. Auf einer Ebene, auf der es nie jemand könnte. Vermutlich nicht einmal Jess.

Jessamine.

Ein warmes Gefühl rauschte durch mich. Licht und Schatten. Genau das war es, was in mir herrschte. Lilija repräsentierte die dunkle Seite und all meine Macht, und Jess die Helle mit all meiner Liebe. Ich brauchte beides, ich wollte beides, aber es würde sich nie in Einklang bringen lassen, denn ich war gespalten zwischen dem Dämon in mir und dem, was ich sein konnte, sobald ich Jess in meinen Armen hielt. Die Frage war, welche Seite am Schluss gewann.

Ich drehte mich herum und sah zu Marwins Leiche.

Mein Messer ragte aus seiner Brust, Blut hatte sich unter ihm zu einer Lache ausgebreitet. Einen Meter von ihm entfernt lag die Teleportationskapsel. Ich müsste nur zugreifen und sie einsetzen.

Und dann könnte ich zurück zu ... zu meiner Familie. Zu dem, was noch von ihr übrig war. Ich schloss die Augen, weil sie mir mit jedem Atemzug unter den Fingern ein klein wenig mehr zerbröckelte. Diese Verzweiflung machte mich benommen. Ich hatte geglaubt und gehofft, dass ich nicht noch mal so etwas durchmachen müsste wie mit Mikael, dass ich nicht noch mal vor den Trümmern meines Lebens stehen würde. Doch es fühlte sich genauso an. Der Schmerz war der gleiche wie damals, als ich aus der Kirche gerannt war und zugesehen hatte, wie das Feuer mir alles nahm. Und nun hatte dieses Element schon wieder zugeschlagen. Es hatte mir schon wieder geliebte Menschen entrissen.

Ich bohrte die Fingernägel in die Handinnenflächen, konzentrierte mich erneut auf meinen Atem, denn das schien das einzig Sinnvolle zu sein.

Als ich mich einigermaßen gefangen hatte, richtete ich mich mühevoll auf. Annas Mandarinenduft klebte noch an mir und erinnerte mich an mein Versagen. Ich ging zu Marwin und zog mein Messer aus seiner Brust. Der Großteil seiner Kleidung war genauso hinüber wie meine. Ich durchwühlte dennoch seine Taschen, grub tief und fand in der Hose den Stoffbeutel, den er vorhin gebraucht hatte. Ich holte ihn heraus und öffnete ihn.

Im Inneren waren das weiße Pulver und ein kleiner Gegenstand. Das war wohl das Zeug, das Anna betäubt hatte. Hoffentlich hatte es auf mich nicht die gleiche Wirkung. Vorsichtig tippte ich hinein, nahm etwas von dem Pulver auf und zerrieb es zwischen meinen Fingerspitzen. Es geschah nichts.

Weder spürte ich eine Wirkung noch konnte ich etwas Ungewöhnliches daran feststellen. Ich griff noch mal in den Beutel, tastete nach dem Gegenstand und zog ihn ebenfalls hervor. Ein Knochenfragment. An den Kanten war es gesplittert, als wäre es irgendwo herausgebrochen geworden.

Ich hob es hoch, drehte es herum und betrachtete es von allen Seiten. Diese Form ... Es kam mir bekannt vor, aber woher?

Ich kniff die Augen zusammen, suchte in meinen Erinnerungen nach Momenten, in denen ich Knochenfragmente in der Hand gehabt hatte. Obwohl ich so viele Dämonen erledigt hatte, war ich mit ihren Skeletten eher wenig in Kontakt gekommen. Das letzte Mal, als ich so etwas zertrümmert hatte, war bei ...

Anthony.

Das Gefängnis.

Diese Zeit war für mich nach wie vor im Nebel meiner Erinnerungen versunken, aber es hatte dort zwei Momente gegeben, als ich einen Knochen zertrümmert hatte: erst den Kopf Anthonys, der sich vorher das Leben genommen hatte, und danach den Schädel von Leander, der in einem Rucksack aufbewahrt gewesen war. Will hatte später das Gefängnis besucht und Leanders Überreste mitgenommen. Alles bis auf ein letztes Fragment, das er nie hatte finden können.

Ich drehte das Bruchstück weiter in meiner Hand herum.

Das ist es.

Das fehlende Teil. Das letzte Stück fürs Puzzle.

Will hatte es nie finden können, weil Marwin es vorher mitgenommen hatte. Ich blickte zu seiner Leiche. »Bist du so auch an die Tattoos gekommen?«

Ich nahm das Knochenstück zwischen die Finger und kratzte über die Oberfläche. Feines Pulver rieselte davon herab. Mich würde wirklich interessieren, wie Marwin auf die Idee gekommen war, den Knochen hierfür einzusetzen. So etwas dachte man sich doch nicht einfach so aus!

Ich steckte das Fragment in die Hosentasche und beugte mich tiefer über die Leiche, um sie weiter zu durchsuchen. Leider fand ich nichts mehr. Also stand ich auf, lief zu dem Felsen, unter dem er eben noch eingeklemmt gewesen war, und zog die Überreste der Jacke hervor. In einer Tasche fand ich einen kleinen silbernen Schlüssel, ansonsten nichts.

Blieb nur noch die Teleportationskugel. Mein Weg nach Hause.

Ich lief zu ihr, nahm sie in die Hand und drehte sie sachte auf. Ein leichtes Glimmen trat daraus hervor und zeigte, dass sie bereit war. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich darauf, zu Jess zu kommen. Da ich nicht genau wusste, wo sie sich im Moment aufhielt, wählte ich das Anwesen in Arizona. Mein Körper bebte bei der Vorstellung, sie endlich wieder in den Armen halten zu können. Mehr denn je wollte ich sie an mich reißen, ihre Hände auf mir spüren, mich in ihr verlieren, sie festhalten, mich in ihrer Energie ausruhen und verdauen, was heute passiert war.

Ich öffnete die Kugel weiter, bis ihr Leuchten mich erfasste. Ich sah hinab zu ihr und beobachtete, wie ihre Energie meine Arme nach oben wanderte. Dann öffnete ich sie komplett und das Portal baute sich vor mir auf. Dahinter war es dunkel, vermutlich war die Nacht in Arizona angebrochen.

Ein letztes Mal blickte ich mich um, ob ich auch nichts vergessen hatte, dann spannte ich die Schultern an und schritt auf die andere Seite.

2. Kapitel

Akil wusste nicht, wie lange er schon im Flughafen stand und sich nicht von der Stelle rührte. Seine Glieder und Muskeln fühlten sich taub an, er konnte kaum atmen oder denken oder fühlen. Seine Haare klebten in seinem Gesicht, seine Kleidung war ruiniert; verbrannt durch die Seelenwächter, die seine Freunde gewesen waren – die Seite an Seite mit ihm gekämpft und am Ende verloren hatten.

Sie sind tot.

Akils Blick fiel auf Colins und Aidens verkohlte Überreste. Ihm wurde übel. Ihre Körper waren nicht mehr als Asche, als hätten sie ein Bad in ihrem Element genommen und es auf ihrer Haut trocknen lassen.

Vor ein paar Monaten erst war Colin mit den anderen gegen den Emuxor in die Schlacht gezogen. Akil selbst hatte davon nichts mitbekommen, denn er hatte seinen eigenen Krieg gegen Ananka geführt; aber als er zurückgekommen war, wurden er und Noah auf Malea Island aufgenommen.

Und Aiden?

Bei Ahriman ... Akils Herz zog sich noch enger zusammen. Die Trauer umschlang ihn mit aller Macht, zwängte alles in ihm nach unten und raubte ihm fast die Sinne. Akil blinzelte die erste Träne weg.

Er konnte und wollte nicht glauben, dass Aiden weg war. Sie war eine Freundin gewesen! Sie hatte bei ihnen gelebt, war ein Teil seiner Familie geworden. Sie hatte ihnen geholfen, ihnen beigestanden, alles getan, was sie nur konnte.

Es sollte nicht so enden. Für keinen von ihnen! Niemand hatte das verdient. Akil hätte am liebsten gebrüllt, all den Frust und Zorn und die Verzweiflung herausgelassen, aber er konnte nur dastehen und starren und atmen und nichts tun.

Natürlich hatte er über die Jahrtausende geliebte Menschen verloren. Akil kannte diesen Schmerz nur zu gut. Der Tod gehörte zu seinem Alltag, er lebte mit ihm Seite an Seite. Dennoch würde er sich nie daran gewöhnen. Vor allen Dingen nicht, wenn er derart gewaltsam kam. So unvorhergesehen. So intim. Seine Knie fingen an zu zittern, sein Körper stand kurz vor dem Bersten, doch er wusste, dass er weitermachen musste; dass er sich jetzt nicht der Trauer hingeben konnte.

Er blickte hinüber zu Iman, von der auch nur noch Asche übrig war. Akil hatte nicht viel mit ihr zu tun gehabt, doch auch ihr Verlust schmerzte. Seelenwächter waren über ihre Elemente miteinander verbunden; selbst wenn sie nicht zu einer Familie gehörten, spürten sie sich.

Ich habe versagt.

Er hatte sie alle beschützen wollen, er hatte Kedos besiegen wollen.

Akil war so dumm gewesen zu glauben, er würde es noch einmal schaffen; dass er dem Dämon die Stirn bieten könnte, dass er genügend Kraft in sich hätte, um ihn in die Schranken zu weisen.

Und nun waren seine Freund tot. Er hatte nicht einmal mitbekommen, wie ihre Seelen ins Licht gegangen waren. Alles war zu viel gewesen: die Explosion, das Feuer, das Chaos – der Schock.

Er schloss die Augen. Sofort flackerten die Ereignisse der letzten Stunde in ihm hoch. Akil hätte Aiden abhalten müssen herzukommen. Er hätte mehr kämpfen sollen, als die Verhandlungen noch gelaufen waren. Er hätte nie zulassen dürfen, dass sie und Kendra getrennt wurden. Die beiden hätten gemeinsam weggesollt. In die Einsamkeit womöglich. Alles wäre besser gewesen als das hier. Aiden wäre noch am Leben. Sie könnte bei Kendra sein, irgendwann hätten die beiden wieder gelacht, irgendwann wäre alles gut geworden, denn Aiden wäre noch am Leben gewesen!

Akil sog zischend die Luft ein. Das hier würde Kendra zerstören. Es würde sie über die Klippe stoßen, an deren Rand sie die ganze Zeit schon gewandelt war. Akil hatte keine Ahnung, wie er sie halten konnte, wie er ihr das begreiflich machen sollte.

»Was ist hier ...«, rief Marysol und eilte von der großen Halle heran, »... los?«

Akil drehte sich zu ihr. Jesper folgte ihr und hielt genauso geschockt inne. Akil beobachtete die beiden, er wusste, was sie empfanden.

Erst nahmen sie alles in sich auf: die Zerstörung, die Leichen – den Tod. Dann kamen die Erkenntnis und der Unglaube. Der Herzschlag schnellte in die Höhe, der Geist ratterte auf Hochtouren und versuchte, zu verstehen. Marysols Duft änderte sich, ebenso wie der von Jesper. Er wurde erdiger, trauriger. Akil war nicht empathisch wie die Wasserwächter, aber er kannte den Geruch dieser Emotion in all seinen Nuancen. Marysol kam näher. Langsam. Als könnte sie den Schrecken auf diese Art länger zurückhalten.

»Akil?« Ihre Stimme war leise, dennoch hörte er sie.

»Kedos«, sagte er nur. »Er hat sie mit ihrem eigenen Element vernichtet.«

»Großer Gott.«

Akil beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie lief an ihm vorbei, beugte sich über Colins verkohlte Überreste und hielt eine Hand darüber.

»Ich habe nichts mehr tun können. Gar nichts«, sagte Akil, als müsste er sich rechtfertigen.

Marysol schloss die Augen, senkte den Kopf und gab sich einen Moment ihrer eigenen Trauer hin. Akil schwieg. Sein Atem rasselte, sein Körper war am Ende. Die Unruhe im Flughafen mischte sich mit seiner eigenen. Die Menschenwelt und die Seelenwächterwelt hatten heute einen harten Schlag einstecken müssen. Sie würden beide lange daran zu knabbern haben.

»Wir ... wir müssen andere Feuerwächter kontaktieren«, sagte er schließlich. »Derek! Wir müssen ihn anfunken und herausfinden, ob es ihm gut geht.« Was, wenn es jeden Feuerwächter betroffen hatte? Was, wenn Kedos zu einem Rundumschlag ausgeholt und diesen Teil der Seelenwächter vernichtet hatte?

»Ich ...«, sagte Jesper: »Ich mache das.« Ehe jemand reagieren konnte, eilte er davon und rannte durch eines der gebrochenen Fenster nach draußen.

Marysol kniete weiter über den Toten, ihre Hände zitterten, ihr Herz bebte. Akil ließ sie in Frieden, denn jeder musste mit diesem Verlust auf seine Art umgehen.

Irgendwann jedoch richtete sie sich auf und sah zu ihm. Er zuckte zurück. Etwas hatte sich in ihrem Blick verändert. Er war kälter geworden. Fast schon gefühllos.

»Wir haben versagt«, bekundete sie, rieb ihre Hände an ihrer Kleidung sauber und strahlte noch mehr Härte aus. Marysol machte dicht. Sie schützte sich gegen das, was passiert war.

»Marysol, wir ...«

Sie hob die Hand und wiegelte ihn ab. »Später. Wir müssen handeln, nicht trauern.«

Sie trat zu Akil, griff mit ihren kühlen Fingern nach seiner Hand und strich über seine Haut. Die Berührung war intensiver als je zuvor. Vielleicht, weil Akils Sinne überdreht waren; vielleicht, weil sein Körper nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte; vielleicht, weil er und sie sich näher kamen. Er sah auf ihre Finger, und beim nächsten Atemzug bemerkte auch er eine Veränderung in sich. Der erste Schock flaute ab. Seine Gedanken wurden klarer, mehr Energie durchströmte seinen Körper. Die Trauer rückte nach hinten und schwächte sich ab, fast so, als wäre Marysol plötzlich empathisch veranlagt.

»Was ist das?«, fragte er.