Die Erbin von Montfort - Susanne Markus - E-Book

Die Erbin von Montfort E-Book

Susanne Markus

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Der Prozess, der an diesem trüben Februarmorgen auf der Tagesordnung steht, wird nur vor dem Schöffengericht verhandelt und ist von seinem strafrechtlichen Inhalt her ohne jede Sensation. Und doch drängen sich im Saal des Amtsgerichtsgebäudes im Pariser Vorort Neuilly die Menschen: Presseleute und Fotografen, Leute, die den Prozess berufshalber verfolgen, aber auch eine Menge Schaulustiger, die mit Mühe Einlass gefunden haben. Unzählige Augen richten sich auf die junge Frau, die vor dem Richter steht. Blondes schulterlanges Haar umgibt ein blasses Gesicht mit großen blauen Augen, und das schlichte dunkle Kleid unterstreicht noch die zarte Mädchenhaftigkeit ihrer Gestalt. Nichts in ihrem Aussehen gemahnt mehr daran, dass diese Frau noch vor kurzer Zeit der umschwärmte und viel beneidete Mittelpunkt der Gesellschaft gewesen war, ein Mitglied des sagenumwobenen Jet-Set und Angehörige eines uralten französischen Adelshauses: Bettina Marquise de Brinville. Der Richter blättert in der vor ihm liegenden Akte. »Sie haben gehört, was die Anklage Ihnen vorwirft, Madame.« Und als die junge Frau schweigt, fährt er mit geschäftsmäßig kühler Stimme fort: »Sie haben am fünfzehnten Dezember vergangenen Jahres den Lieferwagen des Wäschereidienstes ›Tipp-Top‹ gestohlen …« Bettinas vornüber geneigte Schultern straffen sich. Zwischen ihren zart geschwungenen dunklen Brauen bildet sich eine steile Kerbe. »Ich habe das Auto nicht gestohlen«, unterbricht sie den Richter erregt. »Ich habe es mir höchstwahrscheinlich ausgeliehen, weil ich keine andere Möglichkeit hatte. Behalten wollte ich es bestimmt nicht.« »Auch Gebrauchsdiebstahl ist Diebstahl«, versetzt der Amtsgerichtsrat kalt. »Außerdem haben Sie in Tateinheit mit diesem Diebstahl einen Unfall verschuldet, bei dem ein Mensch verletzt wurde und erheblicher Sachschaden entstand.« Bettina senkt den Blick. »Das

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Fürstenkrone – 106–

Die Erbin von Montfort

Eine junge Frau und das Geheimnis ihrer Herkunft ...

Susanne Markus

Der Prozess, der an diesem trüben Februarmorgen auf der Tagesordnung steht, wird nur vor dem Schöffengericht verhandelt und ist von seinem strafrechtlichen Inhalt her ohne jede Sensation.

Und doch drängen sich im Saal des Amtsgerichtsgebäudes im Pariser Vorort Neuilly die Menschen: Presseleute und Fotografen, Leute, die den Prozess berufshalber verfolgen, aber auch eine Menge Schaulustiger, die mit Mühe Einlass gefunden haben.

Unzählige Augen richten sich auf die junge Frau, die vor dem Richter steht. Blondes schulterlanges Haar umgibt ein blasses Gesicht mit großen blauen Augen, und das schlichte dunkle Kleid unterstreicht noch die zarte Mädchenhaftigkeit ihrer Gestalt. Nichts in ihrem Aussehen gemahnt mehr daran, dass diese Frau noch vor kurzer Zeit der umschwärmte und viel beneidete Mittelpunkt der Gesellschaft gewesen war, ein Mitglied des sagenumwobenen Jet-Set und Angehörige eines uralten französischen Adelshauses: Bettina Marquise de Brinville.

Der Richter blättert in der vor ihm liegenden Akte.

»Sie haben gehört, was die Anklage Ihnen vorwirft, Madame.«

Und als die junge Frau schweigt, fährt er mit geschäftsmäßig kühler Stimme fort: »Sie haben am fünfzehnten Dezember vergangenen Jahres den Lieferwagen des Wäschereidienstes ›Tipp-Top‹ gestohlen …«

Bettinas vornüber geneigte Schultern straffen sich. Zwischen ihren zart geschwungenen dunklen Brauen bildet sich eine steile Kerbe.

»Ich habe das Auto nicht gestohlen«, unterbricht sie den Richter erregt. »Ich habe es mir höchstwahrscheinlich ausgeliehen, weil ich keine andere Möglichkeit hatte. Behalten wollte ich es bestimmt nicht.«

»Auch Gebrauchsdiebstahl ist Diebstahl«, versetzt der Amtsgerichtsrat kalt. »Außerdem haben Sie in Tateinheit mit diesem Diebstahl einen Unfall verschuldet, bei dem ein Mensch verletzt wurde und erheblicher Sachschaden entstand.«

Bettina senkt den Blick.

»Das habe ich nicht gewollt«, murmelt sie. »Es tut mir auch sehr leid, dass es so gekommen ist. Es nieselte. Die Straße war glatt. Plötzlich befand sich ein Fahrrad vor mir. Es muss ohne Licht gefahren sein. Ich konnte es erst im letzten Augenblick erkennen. Ich versuchte zu bremsen. Da geriet der Wagen ins Schleudern.«

»Dabei fuhren Sie den Radfahrer an und anschließend den Wagen in einen Gartenzaun«, erklärt der Richter mit erhobener Stimme. »Und anstatt anzuhalten und alles Nötige zu veranlassen, haben Sie sich aller Verantwortung zu entziehen versucht und Fahrerflucht begangen. So war es doch, Madame, oder?«

Die Lippen der Frau beginnen zu zittern.

Ihre Brust hebt und senkt sich in hastigen Atemzügen.

»Ich wollte hinaus«, bricht es leidenschaftlich aus ihr hervor. »Hinaus … Können Sie denn nicht begreifen, dass ich hinaus wollte? Wissen Sie denn nicht, was man mit mir angestellt hat?«

»Ich verstehe Sie nicht ganz Madame«, bemerkt der Richter reserviert. »Sie befanden sich zur Beobachtung in einem Sanatorium.«

»Sanatorium!« Bettinas Stimme klingt hoch und heiser vor Erregung. »Jedermann weiß, was die Privatklinik von Professor Bonnat in Wirklichkeit ist, in die man mich gegen meinen Willen und mittels übler Tricks gebracht hat. Wissen Sie, was es bedeutet, in einem Zimmer zu erwachen und zu bemerken, dass es vergittert ist und die Tür keine Klinke hat?«

Wildes Schluchzen bricht sich Bahn, ein Schrei der Verzweiflung. »Ich bin doch nicht verrückt!«

Sie schwankt. Der herbeieilende Gerichtsdiener kann sie gerade noch auffangen.

In diesem Augenblick erhebt sich ein Mann rasch von der ersten Zuschauerreihe, eilt nach vorne und führt die Wankende zur Anklagebank zurück.

Er ist groß und dunkelhaarig und hat ein schmales, braun gebranntes Gesicht mit einer scharf vorspringenden Nase und buschigen schwarzen Brauen.

»Beruhige dich, Liebste«, sagte er. »Du musst dich beruhigen. Du wirst nicht bestraft werden. Du bist doch krank.«

Er legt einen Arm um Bettinas Schultern, doch sie stößt ihn zurück.

»Ich bin nicht krank«, antwortet sie, sich mühsam beherrschend. »Das weißt du so gut wie ich.«

Maitre Lavoisier, der die Verteidigung der Marquise de Brinville übernommen hat, springt auf.

»Im Namen meiner Mandantin bitte ich das Hohe Gericht um Entschuldigung für diese Szene, die Madame de Brinville bestimmt am meisten bedauern würde, wäre sie tatsächlich gesund. Aber gerade sie selbst hat durch ihr Verhalten bewiesen, dass sie sich in einem hochgradigen Erregungszustand befindet, der Teil ihrer Krankheit ist.«

Bettina hat mit erstarrtem Gesicht dieser Eröffnung gelauscht. Ein Laut des Entsetzens entringt sich ihrer Brust.

»Maitre Lavoisier«, stammelt sie hilflos. »Wollen auch Sie mich zu einer Irren stempeln?«

»Beruhigen Sie sich, Madame! Haben Sie Vertrauen!«, versetzt der Verteidiger rasch, ehe er mit erhobener Stimme fortfährt: »Ich möchte der Prozessführung nicht vorgreifen, aber es ist eine traurige Tatsache, dass sich im Hause des Marquis de Brinville seltsame Dinge abgespielt haben, in deren Mittelpunkt die Marquise stand. Sie haben erst alles Folgende ausgelöst. Erlauben Sie dem Gatten meiner Mandantin, selbst darüber zu berichten.«

Der Vorsitzende macht eine einladende Handbewegung.

»Bitte, Monsieur le Marquis!«

Gaston de Brinville tritt in den Zeugenstand. Sein Gesicht ist ernst, sein Kopf gesenkt.

»Ich bin selbstverständlich bereit, dem Hohen Gericht jede gewünschte Auskunft zu erteilen«, beginnt er mit einer Stimme, in der es wie Trauer schwingt, »wenn auch die Erinnerung für mich unendlich schmerzlich ist. Sie alle werden Verständnis dafür haben, dass mein Verstand sich noch immer sträubt, einen geliebten Menschen mit solch sinnlosen Taten belastet zu sehen und seinen geistigen Verfall mitansehen zu müssen.«

»Aber ich habe nichts getan«, ruft Bettina de Brinville in höchster Erregung dazwischen. »Ich habe in meinem ganzen Leben keinem Tier etwas zuleide getan. Ich habe selbst an dem Hund gehangen. Das alles ist doch nur ein Komplott, das gegen mich geschmiedet wurde. Glauben Sie mir doch!«

Anwalt Lavoisieur zuckt resignierend die Schultern.

»Meine Herren Richter, urteilen Sie selbst«, sagt er mit einem vielsagenden Blick auf seine Mandantin, und nimmt ein mit Maschinenschrift bedecktes Blatt Papier zur Hand. »Ich zitiere aus dem Gutachten der behandelnden Ärzte: ›Der augenscheinliche Verfolgungswahn der Patientin, diese felsenfeste Überzeugung, ihre ganze Umgebung sei im Bunde, ihr Dinge zur Last zu legen, die sie nie begangen hat, die immer wiederkehrenden Erregungszustände, die mit spontanen Depressionen wechseln, ergeben den begründeten Verdacht einer schweren psychischen Störung.«

Hohes Gericht, das ist das Untersuchungsergebnis eines unserer bedeutendsten Psychiater, in dessen Obhut der Marquis de Brinville sich schweren Herzens entschlossen hat, seine Gattin zu geben, damit dort alles menschenmögliche für sie getan werde.

Auch unverständliche Impulshandlungen gehörten mit zum Wesen dieser Krankheit. Auf eine solche ist die Flucht der Marquise aus der Klinik zurückzuführen. Würde sie sich nämlich tatsächlich im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte befinden, dann hätte sie von vornherein erkannt, dass sie nicht weit kommen würde. Sie musste mit der sofortigen Reaktion des Wäschereifahrers rechnen, sie hatte kein Geld bei sich. Nur ein Mensch, der tatsächlich geistig nicht ganz in Ordnung ist, begeht eine solche Tat.

Ich bitte daher das Hohe Gericht, dies zu berücksichtigen, und meine Mandantin aufgrund geistiger Unzurechnungsfähigkeit straffrei ausgehen zu lassen.«

Bettina ist leichenblass geworden. Ein zitternder Atemzug kommt von ihren Lippen.

»Ich bin nicht verrückt«, schreit sie entsetzt. »Bestrafen Sie mich! Stecken Sie mich ins Gefängnis! Ich gestehe ja alles ein …«

Eine Welle von Erregung geht durch den Saal. Reporter stürzen vor, Blitzlichter zucken auf, bannen das Gesicht der Verzweifelten auf den Film.

Während der Vorsitzende durch ein heftiges Klingelzeichen Ruhe fordert, hebt ein Mann in der schwarzen Robe eines Verteidigers die Hand.

Der Richter streift ihn mit einem befremdeten Blick, nickt ihm aber dann doch einladend zu.

»Bitte, Herr Rechtsanwalt. Sie haben das Wort.«

Der Mann steht auf, eine hohe, sportlich gestählte Gestalt mit dunklem Haar und markanten Gesichtszügen.

Sein Blick gleitet vom Richtertisch über den Saal und bleibt eine Sekunde lang auf der Angeklagten haften, dann beginnt er mit ruhiger, sonorer Stimme zu sprechen:

»Hohes Gericht! Meine Damen und Herren! In meiner Eigenschaft als Rechtsbeistand der durch den Fluchtversuch der Marquise de Brinville geschädigten Parteien, hatte ich eigentlich gar nicht die Absicht, schon zu diesem Zeitpunkt in diesen Prozess einzugreifen. Das berechtigte Interesse meiner Klienten nötigt mich jedoch, das Wort zu ergreifen.

Sie wissen alle, worum es geht: Eine junge Frau, Patientin der Nervenklinik von Professor Bonnant, hat versucht, sich ihrer Einweisung dorthin durch die Flucht zu entziehen und hat dabei strafbare Handlungen begangen. Ihr Verteidiger hat daraufhin, ebenfalls verfrüht, auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert.

Lassen Sie mich, ehe Sie über diesen Antrag entscheiden, der meiner Meinung nach völlig ungerechtfertigt ist, versuchen, Licht in das Dunkel dieses tragischen Geschehens zu bringen, erlauben Sie mir daher auch, zurückzugreifen auf jenen Tag vor drei Jahren, an dem alles begann …«

*

»Meine Damen und Herren! Wir befinden uns im Anflug auf Nizza. Bitte schnallen Sie sich fest und stellen Sie das Rauchen ein!«, tönte die Stimme der Stewardess über den Bordlautsprecher der Swiss-Air-Maschine Zürich-Nizza.

Bettina Brent fügte die beiden Metallenden des Sicherheitsgurtes zusammen und warf einen Blick aus dem Fenster. Eben waren noch, wie zum Greifen nahe, die eisbedeckten Gipfel der Hochalpen unter ihr gewesen, nun nahmen die Berge zusehends an Höhe ab, und in der Ferne, noch mehr Ahnung als Gewissheit, schimmerte bereits blau das Meer.

Die Maschine ging tiefer. Bettina rückte noch näher an das Fenster heran und starrte wie gebannt durch die Scheibe. Häuser wurden sichtbar, Straßen mit Autos darauf, weidendes Vieh auf den Wiesen, alles winzig klein wie Kinderspielzeug. Es war der erste Flug ihres Lebens, und sie konnte sich nicht sattsehen an dem faszinierenden Anblick der Welt von oben. Und nicht nur das: Seitdem sie in Zürich die Maschine bestiegen hatte, fühlte sie sich wie eine Dame der großen Welt.

Immer tiefer glitt die Maschine, nun setzte sie auf der Betonpiste auf und rollte allmählich aus. Die Stewardess verkündete:

»Es ist zehn Uhr zweiundfünfzig. Wir sind soeben in Nizza gelandet. Wir hoffen, Sie hatten einen guten Flug!«

Ein wenig benommen raffte Bettina ihr Handgepäck zusammen, stieg die Gangway hinunter und schloss sich dem Strom der Passagiere an, die dem Flughafengebäude zustrebten.

Ungeduldig ließ sie die Formalitäten über sich ergehen, spähte immer wieder durch die breiten Glastüren in die Wartehalle hinaus, in der sich die Menschen drängten.

Endlich erblickte sie ihn. Sie ließ den Träger mit ihrem Gepäck hinter sich und stürzte in seine Arme.

»Papa!«, rief sie. »Oh, Papa! Wartest du schon lange? Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich meine Koffer hatte.«

Der Mann erwiderte zärtlich den Kuss des Mädchens. Er war kaum mittelgroß, hatte schütteres graues Haar und ein schmales Gesicht mit klugen ausdrucksvollen Augen.

»Aber das macht doch nichts, Kind«, antwortete er. Dann schob er Bettina eine Armlänge von sich weg und betrachtete sie prüfend. »Und nun lass dich anschauen, mein Kind. Wir haben einander ja schrecklich lange nicht mehr gesehen.«

»Sogar letzte Weihnachten warst du fort«, meinte Bettina ein wenig schmollend, »und in den Osterferien auch …«

»Ach, ja, da hatte ich das Engagement in den Vereinigten Staaten und Ostern war ich in Buenos Aires«, erinnerte sich Brent mit einem kleinen Seufzer. »Kaum zu glauben, wie die Zeit dahinrast …« Er warf Bettina einen liebevollen Blick zu. »Gut siehst du aus, Kind. Ich glaube fast, du bist noch ein Stück gewachsen. Jetzt bist du schon größer als ich.« Er lachte. »Nun, das ist ja kein Kunststück.«

Sie blickte liebevoll zu ihm auf. »Trotzdem bist du der berühmte Peppo Brent, den man in aller Welt kennt und bewundert, und ich bin sehr stolz, deine Tochter zu sein.«

Brent senkte den Blick. Es war, als ginge ein Schatten über sein Gesicht. Dann ergriff er Bettinas Hand.

»Komm, Kind! Sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen. Oder möchtest du noch etwas trinken? Es ist schrecklich heiß heute.«

»Danke, Papa …«, wehrte Bettina ab, »ich habe im Flugzeug alles gehabt.«

Brent entlohnte den Träger, ließ Bettina in seinen Wagen einsteigen und setzte sich selbst hinter das Steuer.

Das Mädchen lehnte sich bequem zurück. Der Fahrtwind fächelte kühlend ihre Wangen und spielte in ihrem langen Haar.

Bald hatten sie die Stadt hinter sich gelassen und die Küstenstraße erreicht.

»Cagnessur-Mer«, stand auf einem Ortsschild, das schon nach wenigen Kilometern auftauchte. Brent durchfuhr das Dorf und bog in ein schmales Sträßchen ein, das sich in steilen Windungen den Berg hinaufschlängelte.

Das Haus, vor dem er den Wagen schließlich anhielt, lag völlig versteckt hinter einem von Glyzinien überwucherten Zaun, eine weiß verputzte kleine Villa, mit einem breiten Mansardendach, die sich, umgeben von hohen Pinien und Zypressen, an den terrassenartig angelegten Hang schmiegte.

Bettina sprang leichtfüßig aus dem Wagen und öffnete die Garageneinfahrt.

»Gibst du mir die Hausschlüssel, Papa?«

»Hier sind sie, Kind.« Brent fuhr das Auto in die Garage und sperrte den Kofferraum auf, um Bettinas Gepäck ins Haus zu schaffen.

»Wir tragen gleich alles hinauf, ja?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er den größten der drei Koffer, durchquerte die Diele und stieg in den Mansardenstock hinauf, in dem sich die Schlafzimmer befanden.

»Man wird eben alt«, dachte Brent ein wenig wehmütig, als er nach getaner Arbeit mit zitternden Knien in sein Schlafzimmer ging und das feuchte Hemd vom Körper zerrte. Doch als das kühle Wasser der Brause über seine Schultern rieselte, fühlte er sich schon wieder besser, und als er sich umgekleidet hatte, war seine alte Frische zurückgekehrt.

Mit einem unternehmungslustigen Lächeln auf den Lippen ging er in das große Wohnzimmer hinunter und mixte zwei Drinks.

»Was ist denn das?«, fragte Bettina neugierig, als sie den Raum betrat. Auch sie hatte sich umgezogen. Sie trug ein weißes blau gepunktetes Sommerkleid, das ihre zierliche Gestalt eng umschloss. Der in Falten gelegte Rock umwippte ihre hohen schlanken Beine, ihr volles blondes Haar war mit einem blauen Samtband zusammengefasst und umrahmte ihr zart gebräuntes ebenmäßiges Gesicht.

»Champagner mit Orangensaft«, antwortete Brent, während er ihr einen feingeschliffenen Kelch in die Hand schob. »Leicht, bekömmlich und erfrischend. Ich hoffe, es ist dir recht.«

»Und ob, Papa! Gerade das Richtige für meinen Durst.«

»Für meinen auch.« Brent ließ sein Glas an das Bettinas klingen. »Und nun lass dir noch einmal zu deinem bestandenen Abitur Glück wünschen und dich zu Hause von ganzem Herzen willkommen heißen«, sagte er leise.

»Ich danke dir, Papa«, antwortete Bettina, und ihre Stimme zitterte ein klein wenig dabei. Sie legte die Arme um seinen Hals. »Ich freue mich so sehr, hier zu sein. Oh, wir werden es wunderschön miteinander haben!«

»Bestimmt, mein Kind. Wir haben uns beide redlich unsere Ferien verdient, und es sollen auch schöne Ferien werden.«

Er leerte sein Glas und schlug sich plötzlich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

»Ach, nun habe ich vor lauter Reden das Wichtigste vergessen. Ich glaube, ich werde wirklich allmählich alt …«

Er wandte sich um und nahm vom Tisch ein mit Seidenpapier verhülltes schmales Päckchen.

»Ein kleines Geschenk zum Abitur«, bemerkte er lächelnd. »Ich hoffe, dass ich deinen Geschmack getroffen habe.«

Bettina löste Schnur und Papier, öffnete die längliche Schachtel und stieß einen Ruf des Entzückens aus. Vor ihr lag auf blauem Samt ein wunderschön gearbeitetes, feinziseliertes Goldarmband.

»Oh, Papa! Wie herrlich!« Sie küsste Brent stürmisch auf beide Wangen. »So etwas habe ich mir schon lange gewünscht, und du hast mir eine ganz große Freude damit gemacht.«

Er half ihr das Armband umzulegen, da sie vor lauter Aufregung mit der Schließe nicht gleich zurechtkam.

»Auch du hast mir immer nur Freude gemacht, mein Kind«, sagte er leise. Dann senkte er den Kopf und fügte kaum hörbar hinzu: »Wie schade, dass deine Mutter all diese Jahre und diesen Tag nicht mehr erleben durfte … Dass sie so früh von uns gegangen ist …«

Bettina nickte stumm. Sie hatte keinerlei Erinnerung an ihre Mutter, die gestorben war, als sie selbst noch ein Baby gewesen. Hatte sie ihre Mutter vermisst? Sie wusste es nicht. Sie hatte nie eine gehabt. Da war immer nur Papa gewesen …

Es war ihr selbstverständlich erschienen, mit ihm in einem Wohnwagen zu leben, inmitten der farbigen Welt des Zirkus. Mit ihm hatte sie ihre ersten Eindrücke gesammelt, umgeben von einer Schar anderer Kinder, bunt zusammengewürfelt aus allen Erdteilen, die genauso aufwuchsen wie sie selbst. Brent hatte nie gewünscht, dass Bettina irgendeine artistische Laufbahn einschlug. Obwohl beiden die Trennung sehr schwer fiel, hatte er darauf bestanden, dass Bettina in einem Internat erzogen wurde und dort eine gute Schulausbildung erhielt. Nur zu den Ferien, und auch dann nur, wenn Brents Engagements es erlaubten, hatten sie sich wiedergesehen. Trotzdem hing Bettina mit zärtlicher Liebe an ihrem Vater, und es bedeutete auch für sie immer wieder eine große Freude, mit ihm beisammen zu sein.

»Nun wirst du aber gewiss schön hungrig sein«, bemerkte Brent und versuchte der traurigen Erinnerung Herr zu werden, die ihn jäh überfallen hatte. »Mme. Voisard war heute Morgen noch einmal hier, um sauber zu machen. Sie hat mir geholfen, einen kleinen Imbiss vorzubereiten. Ich hielt es für besser bei dieser Hitze.« Er lächelte.

Der kleine Imbiss, den Brent angekündigt hatte, entpuppte sich als opulente kalte Platte. Es gab einen köstlichen italienischen Salat, kaltes Huhn, Roastbeef und diverse Schinken- und Käsesorten, dazu einen gut gekühlten, leichten Roséwein.

Bettina langte kräftig zu. Als sie sich noch eine Portion auf den Teller nahm, bemerkte sie erstaunt: »Du isst ja gar nichts, Papa.«

Brent nahm ein winziges Stück Fleisch auf die Gabel und erwiderte: »In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel.«

»Du und alt, Papa«, entrüstete sich Bettina. »Dabei hast du dich kein bisschen verändert. Außerdem sind achtundfünfzig Jahre heutzutage kein Alter.« Sie sah ihn auf einmal erschrocken an. »Du bist doch nicht krank, Papa?«

»Aber nein. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie krank gewesen. Die Saison war nur ein wenig anstrengend. Er lächelte ihr beruhigend zu. »Aber nun habe ich ja Zeit, mich zu erholen.«

»Wann gehst du wieder ins Engagement?«

»Erst Mitte September. Ich habe mir diesmal einen langen Urlaub ausbedungen. Es sollen ja auch für dich schöne Ferien werden.« Er seufzte ein wenig. »Im Herbst geht es dann wieder an die Arbeit. Paris, London, München … Das Programm ist schon fix und fertig.«

»Und das muss wirklich so sein?« Bettina schüttelte den Kopf. »Du könntest es dir doch ein bisschen leichter machen, Papa. Nun habe ich doch mein Abitur. Allzu lange möchte ich dir wirklich nicht mehr auf der Tasche liegen.«

»Aber Kind!« Brent sah sie erschreckt an. »Davon kann doch überhaupt keine Rede sein. Du ergreifst einen Beruf, der dir Freude macht. Es ist ganz gleichgültig, wie lange deine Ausbildung noch dauert. Ein paar Jahre möchte ich schon noch weitermachen. Aber vorerst wollen wir es uns einmal recht schön machen …«