Die Farbe der Sonne - Andrea Camilleri - E-Book + Hörbuch

Die Farbe der Sonne Hörbuch

Andrea Camilleri

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Beschreibung

Das Leben des Caravaggio, so spannend wie ein Krimi Andrea Camilleri reist in seine Heimat Sizilien, um sich die Aufführung einer griechischen Tragödie anzusehen. Doch auf der Insel geschehen mysteriöse Dinge: Während der Vorstellung steckt ihm ein Fremder einen Zettel zu. Tags darauf wird der Schriftsteller mit verbundenen Augen in ein abgelegenes Haus in der Campagna gebracht. Was soll das Spiel? Handelt es sich bloß um die übersteigerte Phantasie des berühmten Krimiautors? Aber nein. In dem Haus trifft Camilleri den Mann vom Vorabend wieder, in dessen Besitz sich das bisher unveröffentlichte Tagebuch Caravaggios befindet. Und so steigt Camilleri ein in die packende Vita des vor vierhundert Jahren verstorbenen Malers – und entdeckt, dass dessen Leben nie gekannte Geheimnisse birgt … Ein hochorigineller Roman über die letzten Lebensjahre Caravaggios – mit Camilleri in der Hauptrolle!

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Zeit:2 Std. 30 min

Sprecher:Stephan Schad
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Andrea Camilleri

Die Farbe der Sonne

Ein Caravaggio-Roman

 

 

Aus dem Italienischen von Moshe Kahn

 

Über dieses Buch

Das Leben des Caravaggio, so spannend wie ein Krimi

 

Andrea Camilleri reist in seine Heimat Sizilien, um sich die Aufführung einer griechischen Tragödie anzusehen. Doch auf der Insel geschehen mysteriöse Dinge: Während der Vorstellung steckt ihm ein Fremder einen Zettel zu. Tags darauf wird der Schriftsteller mit verbundenen Augen in ein abgelegenes Haus in der Campagna gebracht. Was soll das Spiel? Handelt es sich bloß um die übersteigerte Phantasie des berühmten Krimiautors? Aber nein. In dem Haus trifft Camilleri den Mann vom Vorabend wieder, in dessen Besitz sich das bisher unveröffentlichte Tagebuch Caravaggios befindet. Und so steigt Camilleri ein in die packende Vita des vor vierhundert Jahren verstorbenen Malers – und entdeckt, dass dessen Leben nie gekannte Geheimnisse birgt …

 

Ein hochorigineller Roman über die letzten Lebensjahre Caravaggios – mit Camilleri in der Hauptrolle!

Vita

Andrea Camilleri wurde 1925 in Porto Empedocle, Sizilien, geboren. Er war Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur und lehrte über zwanzig Jahre an der Accademia d’Arte Drammatica Silvio D’Amico. Seit 1998 stürmte jeder Titel des Autors die italienische Bestsellerliste. Mit seinem vielfach ausgezeichneten Werk hat er sich auch einen festen Platz auf den internationalen Bestsellerlisten erobert. Im Kindler Verlag sind etliche seiner Werke erschienen. Andrea Camilleri war verheiratet, hatte drei Töchter und vier Enkel und lebte in Rom. Er starb am 17. Juli 2019 im Alter von 93 Jahren in Rom.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel «Il colore del sole» bei Arnoldo Mondadori Editore SpA, Milano.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Februar 2023

Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © 2007 by Arnoldo Mondadori Editore SpA

Redaktion Susanne Van Volxem

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Coverabbildung Der Lautenspieler von Caravaggio, um 1595. St. Petersburg, Eremitage. Bridgeman Images

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-30002-6

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Für Angelo Canevari

Was mir widerfuhr

Im Spätfrühling 2004 machte ich mich von Rom nach Syrakus auf, um mir die Aufführung einer antiken Tragödie anzuschauen, die mich wegen der Neuartigkeit und Eigenwilligkeit der Inszenierung sehr interessierte und deshalb auch ein gewisses Aufsehen in der Presse erregt hatte. Das Wort «Aufsehen» ist möglicherweise übertrieben angesichts des geringen Interesses, das Fernsehen und Zeitungen heutzutage gegenüber allem bekunden, was mit Kunst zusammenhängt, doch immerhin ist diesem Theaterstück ein gewisser Raum zugestanden worden. Genug, um mich neugierig werden zu lassen.

Zudem war ich seit fast fünfzig Jahren nicht mehr in Syrakus gewesen, und auf gewisse Weise sehnte ich mich danach, dieses Theater wiederzusehen, in dem ich in jungen Jahren an einer Euripides-Inszenierung hatte mitarbeiten dürfen. Bekanntermaßen finden die Aufführungen in dem ebenso einzigartigen wie magischen Teatro Greco bei Tageslicht statt, vom Nachmittag bis zum Sonnenuntergang, und sind in der Regel zahlreich besucht.

Aber es gab noch einen anderen Grund, warum es mich gedrängt hatte, nach Sizilien zu fahren. Ich musste für einen Roman, an dem ich gerade arbeitete, den Klang des catanischen Tonfalls ins Ohr bekommen, und so hatte ich mir gedacht, dass ich am Samstagnachmittag in Syrakus ankomme, die Aufführung besuche, Montagmorgen in aller Frühe nach Catania weiterreise, dort den ganzen Tag verbringe und mit dem letzten Flugzeug abends wieder nach Rom zurückkehre.

Kaum hatte ich das Hotel betreten, erlebte ich eine unangenehme Überraschung. In der Empfangshalle erwartete mich ein Mitarbeiter eines lokalen Fernsehsenders mit entsprechender Kameraausrüstung. Offensichtlich hatte der Portier die Nachricht von meinem Eintreffen weitergegeben. Der Journalist befragte mich über meinen neuen Roman und wollte anschließend wissen, ob ich auch am Montag noch vor Ort sei, weil er mich in diesem Fall zur Eröffnung einer neuen Buchhandlung einladen wolle. Ich dankte ihm, sagte ihm aber, ich würde leider schon am Montagvormittag wieder abreisen. Der Journalist setzte mich freundlicherweise davon in Kenntnis, dass das Fernsehinterview mit mir schon am selben Abend ausgestrahlt werde. Ich fühlte mich ein bisschen erschöpft und zog mich daher auf mein Zimmer zurück, bis es dunkel wurde. Als es Zeit war, Abend essen zu gehen, machte ich mich auf nach Ortigia, wo es, wie ich wusste, ein gutes Restaurant gab, das seinem Ruf in der Tat alle Ehre machte. Danach setzte ich mich in ein Straßencafé und bestellte ein Eis. Gelegentlich nickte mir grüßend ein Passant zu, der mich erkannt hatte, zwei oder drei kamen sogar auf mich zu und gaben mir die Hand.

Am nächsten Morgen gegen zehn Uhr erhielt ich einen Anrufi von einer mir unbekannten jungen Frau. Sie erklärte mir, sie habe aus dem Fernsehinterview mit mir erfahren, dass ich in der Stadt sei; sie studiere an der Universität von Catania Literaturwissenschaften und stehe kurz vor dem Abschluss ihrer Examensarbeit über einen meiner historischen Romane, König Zosimo. Ob ich so freundlich sei, ihr ein Interview zu gewähren.

Ich brachte es nicht fertig, ihre Bitte abzulehnen. Sie erwies sich zwar als eine angenehme und intelligente junge Frau, nahm mich aber trotzdem für mehr als zwei Stunden in Beschlag. Ich hatte gerade noch Zeit für ein Mittagessen und eine halbstündige Siesta, dann musste ich mich auch schon auf den Weg ins Theater machen.

Als ich ankam, befanden sich die meisten Zuschauer, eine unglaubliche Menge an Menschen, bereits auf ihren Plätzen und warteten auf den Beginn der Aufführung. Zum Glück hatte ich mir meine Eintrittskarte schon ein paar Tage zuvor vom Hotelportier besorgen lassen.

Als ich endlich unter großen Mühen meinen Platz erreicht hatte, der durch ein buntes Kissen auf dem bloßen Stein gekennzeichnet war, sah ich, dass der Platz links neben mir noch frei war. Was mich insgeheim hoch erfreute, denn es bedeutete, dass ich ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit haben würde und weitaus bequemer sitzen könnte als die anderen Zuschauer, die auf engstem Ellbogenkontakt aneinandergepresst waren.

Meine Hoffnung auf ein kleines bisschen Bewegungsfreiheit hielt nur kurz an, denn unmittelbar vor Beginn der Aufführung wurde der Platz neben mir aufs unerfreulichste besetzt: von einem gut im Fleische stehenden, leicht apoplektisch wirkenden, verschwitzten und schnaubenden Individuum, dessen rechte Hinterbacke beim Hinsetzen nur mit knapper Not an meinem linken Bein vorbeischrammte. Ich rückte, so gut ich eben konnte, zur Seite – und dieser Mensch entschuldigte sich nicht einmal! Seinem Aussehen nach zu urteilen – zerschlissenes blaues Jeanshemd, rotes Halstuch, wirres Haar, üppig wuchernder Schnauzbart und eine gewisse, sozusagen zur Schau gestellte Vulgarität der Bewegungen (es reichte mir schon, mit ansehen zu müssen, wie er sich die Nase schnäuzte) – hatte dieser Mann wenig bis gar nichts mit einem kulturellen Ereignis wie der Inszenierung einer antiken Tragödie zu tun. Er machte den Eindruck, als wäre er gerade mit dem Abladen von Fischkisten am Marktefertig geworden und gleich darauf ins Theater gelaufen, ohne sich die Zeit zu nehmen, seine Arbeitskleidung zu wechseln und sich zu waschen.

Zum Glück befanden wir uns unter freiem Himmel, und kurz darauf trug tatsächlich ein lindes, sehr willkommenes Lüftchen den Fischgeruch von mir weg in die entgegengesetzte Richtung. Bevor die Aufführung, die sich als weitaus weniger spektakulär herausstellte, als ich gedacht hatte, zu Ende war, stand er auf und ging.

Ich dagegen war wohl der letzte Zuschauer, der das Theater verließ. Ich kann mich noch gut an das Spiel der Schwalben bei Sonnenuntergang erinnern, als sie tief zwischen den Bühnenaufbauten aus Pappmaché hin und her flogen und diese auf geheimnisvolle Weise real erscheinen ließen, durchtränkt mit echten Schmerzensschreien, mit echtem Blut.

Für diesen letzten Abend in Syrakus hatte ich eine Einladung zum Essen bei Freunden angenommen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Draußen vor dem Theater war ich einen Moment unschlüssig, ob ich den langen Fußweg in Richtung Ortigia auf mich nehmen oder zuerst ins Hotel gehen sollte. Ich entschloss mich, ins Hotel zu gehen, vor allem, um mich umzuziehen, denn es kam mir vor, als würde der Anzug, den ich anhatte, noch immer nach Fisch stinken.

Als der Portier mir meinen Zimmerschlüssel aushändigte, sagte er, dass vor wenigen Minuten jemand angerufen habe, der wissen wolle, ob ich schon zurück sei, allerdings habe er weder seinen Namen noch seine Telefonnummer hinterlassen wollen.

Es handelte sich wohl um nichts Wichtiges, sonst hätte der Anonymus mich sicher in die Lage versetzt, ihn zurückzurufen. Ich ging in mein Zimmer hinauf. Groß war die Überraschung, als ich meine drei Habseligkeiten von einem Anzug in den anderen umpacken wollte und feststellte, dass in der linken Jackentasche meines Theateranzugs ein Zettel steckte. Ich konnte mich aber nicht erinnern, ihn eingesteckt zu haben.

Der Zettel, eine nachlässig herausgerissene halbe Seite aus einem Rechenheft, war «An den Schriftsteller Andrea Camilleri» adressiert und hatte weder Absender noch Unterschrift. Der Text bestand aus dem Zeitadverb «sofort», dem Infinitiv «telefonieren» und einer Telefonnummer. Und dann gab es da noch ein PS, das nicht unbedingt beruhigend auf mich wirkte:

 

Aus einer öffentlichen Telefonzelle anrufen

 

Mir war völlig klar: Diesen Zettel musste mir der schreckliche Mensch in die Tasche gesteckt haben, der im Theater neben mir gesessen hatte und garantiert nur zu diesem Zweck dorthin geschickt worden war.

Der Portier, den ich gleich darauf antelefonierte, bestätigte meinen Verdacht: Ja, am Vorabend, während ich beim Abendessen war, habe eine Frau angerufen und nach der Nummer meines Sitzplatzes im Theater gefragt. Aus dem Fernsehen habe sie von meiner Ankunft in der Stadt erfahren, erklärte er, und versuchen wollen, einen Platz neben mir zu ergattern.

Ich bat den Portier, die Auskunft anzurufen und sich Namen und Anschrift desjenigen geben zu lassen, dem die Telefonnummer auf dem geheimnisvollen Zettel gehörte. Kurz darauf rief der Portier mich zurück: Die Auskunft sei nicht in der Lage gewesen, meiner Bitte zu entsprechen, die Nummer sei nicht im Telefonbuch verzeichnet, also offenbar geheim.

Gleich fing ich an, etwas Mysteriöses hinter der ganzen Geschichte zu wittern. Ich schreibe bekanntermaßen Kriminalromane und neige schon von Berufs wegen dazu, in jedem Umstand, der nicht eindeutig geklärt, ja, in jedem kleinsten Winkel, der nicht von sonnenhellem Licht ausgeleuchtet ist, alle möglichen Machenschaften und Ränke zu erblicken.

Von dieser plötzlich erwachten Neugier getrieben, zog ich mich schnell an, verließ das Hotel und wählte in der ersten Telefonzelle mit funktionierendem Apparat die Nummer, die auf dem Zettel stand. Das Telefon klingelte lange, und ich wollte schon wieder auflegen, als eine durchaus zuvorkommende, allerdings auch irgendwie autoritär klingende Männerstimme antwortete:

«Hallo, wer ist da?»

Ich beschloss, mit verdeckten Karten zu spielen, erst recht, weil allmählich die Gefahr drohte, dass ich viel zu spät bei meinen Freunden eintreffen würde.

«Hören Sie, ich bin … »

«Keine Namen! Ich spreche. Sind Sie derjenige, dem ein Zettel mit dieser Nummer zugesteckt wurde?»

«Ja.»

«Gut. Ich bin derjenige, der dafür gesorgt hat, dass Sie die Nummer erhalten.»

«Dann würde ich gerne wissen … »

Der Mann unterbrach mich augenblicklich.

«Lassen Sie mich reden, bitte! Wäre es Ihnen möglich, bis morgen Abend in Syrakus zu bleiben und erst übermorgen wieder abzureisen?»

Er wusste also, dass ich beabsichtigte, am nächsten Vormittag nach Catania zu fahren – was ich im Übrigen auch dem Fernsehreporter erzählt hatte. Ich muss gestehen, die Neugier verschlang mich jetzt geradezu.

«Solange es um etwas geht, das die Sache wert ist … »

Der Mann lachte.

«Und ob es das ist!»

«Können Sie mir eine Vorstellung davon geben, worum … ?»

Die Stimme wurde barsch:

«Verzeihen Sie, aber diese Unterhaltung dauert eh schon zu lange. Gehen Sie jetzt zu Ihren Freunden zum Abendessen!»

Wie zum Teufel konnte er von der Einladung meiner Freunde wissen? Davon hatte ich dem Fernsehmenschen nun wirklich nichts gesagt!

«Wie wollen wir verbleiben, Signor … ?»

Er ignorierte meine Aufforderung, mir seinen Namen zu verraten.

«Morgen früh um neun wird auf dem Hotelparkplatz ein Auto auf Sie warten. Es wird eine halbe Stunde dort stehen. Keine Minute länger. Falls Sie nicht auftauchen sollten, werde ich Sie nicht länger behelligen. Aber bitte rufen Sie dann niemals mehr diese Nummer an!»