Die Fenster des Himmels - Alexander Gruber - E-Book

Die Fenster des Himmels E-Book

Alexander Gruber

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Beschreibung

Die Erzähler der Sagen und Märchen aus der Bibel gehen deftig und handfest ans Werk, und ihre Gestalten mögen riesige Umrisse zeigen, sie bleiben menschlich. Keinen dieser vielen Erzähler kennen wir mit Namen. Es gibt keinen Homer, keinen Vergil, keinen Wolfram, Rabelais, Tolstoi oder Faulkner, nur eine lange Reihe von Schreibern, deren Geschichten uns aber seit Ewigkeiten begleiten und großen Einfluss genommen haben. In diesem Strom der Überlieferung nach Geschehnissen und Gestalten zu greifen, sie einen Augenblick festzuhalten und genauer zu betrachten als neugieriger Menschenfischer, und zu entdecken: Oh, sie sind wie wir! - das macht den Sinn dieser vorliegenden Sammlung aus und das Vergnügen und die Erkenntnis daran. Neu erzählt von Alexander Gruber

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Seitenzahl: 176

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Die Fenster des Himmels

Sagen und Märchenaus der Bibel

Herausgegeben, neu erzähltund mit einem Nachwort versehenvon Alexander Gruber

Inhalt

Ein Märchen vom Paradiesgarten

Von der Sintflut

Der Turmbau zu Babel

Sodom

Der Findling

Die Erbtöchter

Die zweite Hur

Ruth, die Ährenleserin

Jephtas Tochter

Der starke Simson

Samuel

Agag

David und Goliath

Die Hexe von Endor

Abigail

Uria

Abisag von Sunem

Ein salomonisches Urteil

Die Königin von Saba

Jona

Tobias

Daniel

Daniel abermals

Judith

Der Engel

Eutychus

Er schreibt Briefe

Berenike, schöne Königin

Der Gefangene

Nachwort

Editorische Notiz

Ein Märchen vom Paradiesgarten

Als Licht und Finsternis geschieden waren, Oben von Unten, Himmel von Erde, Land von Meer, Tag von Nacht, und die Sonne, der Mond und alle Gestirne auf- und untergingen, und alles Getier lebte und webte im Wasser, in der Luft und auf der Erde, vielerlei Vögel auch und Gewürm, da pflanzte der Herr all dessen einen Garten in Eden gegen Morgen, den er einhegte, und in den er Bäume setzte, die vielfältig blühten, Früchte und Samen trugen, auch Büsche setzte er hinein, auch Gras und Kraut, alles lustig anzusehen und gut zu essen. Ein Strom floss da, um den Garten zu wässern, der sich vierfach teilte von da aus. Ein Teil floss um das Land, wo man Gold findet, auch Onyx, den Edelstein. Das andere Wasser floss um das ganze Land; dort brennt die Sonne heiß vom Himmel herunter. Das dritte Wasser fließt vor Assyrien, das vierte aber ist der Euphrat, der sich kurz vor seiner Mündung ins Meer vereint mit dem Tigris. Mitten in diesen Garten setzte der Herr des Gartens aber zwei Bäume: den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis, aber auch den Mann und sein Weib. Von allen Früchten des wunderbaren Gartens durften sie essen, nicht aber von den Früchten des Baums der Erkenntnis, was gut oder böse sei, das wäre tödlich. Diese Warnung konnte freilich nicht gelten bei den Früchten vom Baum des Lebens, denn wer davon aß, der wurde unsterblich.

Was kümmerte das den Mann, der Adam hieß, und sein Weib, die Eva hieß! Sie spielten und lachten den ganzen Tag, tollten durch den Garten, badeten sich im Wasser, ruhten auf schwellendem Moos, versteckten sich, suchten einander und fanden einander zu neuem und leichtem Spiel, lauschten dem Summen der Bienen, dem Sirren der Käfer, dem Singen der Vögel, ahmten sie nach und fingen an, selber zu singen, Adam von hier, aber Eva von dort, und jubilierten, wenn sie sich trafen im Lied. Ein Tag verging so wie der andere. Wolken zogen über den Garten hin, und wenn es regnete, schlüpften die beiden unter ein duftendes Feigengebüsch. Da perlten die Tropfen über die Blätter und über Evas Gesicht. Das gefiel Adam. Mit seiner Zunge so rot kostete er von dem Wasser auf ihrer Haut. Das war ihm süßer als alle Beeren. Und Evas Hände kraulten in Adams Locken, nichts Weicheres kannte sie, und sie wollte ihre Hände gar nicht wieder zu sich zurücknehmen. So verging in dem Garten ein Tag wie der andere, eine Nacht wie die andere. Die Sonne ging auf und wieder unter; der Mond verblasste, erst recht wenn er tags erschien; nachts strahlten die Sterne oder bargen sich manchmal hinter Wolken, und manchmal erging sich der Herr des Gartens darin, nachsinnend, und sah, dass es gut war, freute sich und entfernte sich wieder. Doch wiegte er hin und wieder sein Haupt.

Tage gab’s, da war Eva voll Unruhe, lustig und wieder unlustig, und streifte allein durch den Garten, denn Adam war öfters faul, lag da und schlief. Jedes Mal zog es sie zur Mitte des Gartens, wo der Lebensbaum stand, dunkelgrün, mit kleinen harten Zapfen. Wer wollte die essen? Oder aufbrechen, um an die sicherlich bitteren Samen zu kommen? Wozu? Was hieß sterben? Ja, manchmal verschwanden Tiere und kamen nicht mehr zum Vorschein, aber ihre Jungen ersetzten sie. Der Baum des Wissens dagegen stand lieblich im Laub mit seinen Früchten, die ja klug machen sollten. Das war ein lustiger Baum. Ihr war, als müsste von dem gut zu essen sein. Dann aber, dann ging sie doch fröhlich weiter.

Einmal blieb sie jedoch stehen, denn da war ein Tier, das sie noch nie gesehen hatte. Es sah aus wie eine Schlange, aber der starke, schmale, geschmeidige Leib glänzte und schillerte in vielerlei Farben, die bei jeder Bewegung wechselten, als fiele ein Sonnenstrahl in perlende Wassertropfen, und dieses Tier muhte nicht, mähte nicht, blökte und röhrte nicht, krähte nicht, tirilierte auch nicht, summte und brummte nicht, keckerte oder meckerte nicht, sondern – so war es Eva – fing an zu reden und sagte: »Bist du nicht hungrig, Eva? Warum isst du von den Früchten hier nicht, die doch aussehen, als wären sie gut zu essen? Hat der Herr gesagt, dass ihr nicht von allerlei Bäumen im Garten essen sollt?« – »Wir essen ja von den Früchten der Bäume im Garten«, sagte Eva dagegen, »aber nicht von dem hier, denn von dem hat er gesagt: Esst nicht davon! Rührt’s nicht an, das wäre tödlich! Ihr würdet verlöschen wie morgens die Sterne, es würde euch nicht mehr geben.« Da sagte die Schlange, oder was es sein mochte: »Das ist aber nicht wahr! Keineswegs würdet ihr sterben, nein, und das weiß Er. Wenn ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet wie Er sein, nämlich wissen, was gut und was böse ist, was schadet und nützt. Das will Er nicht!« Und Eva sah wieder hinauf in das liebliche Laub, ergriff eine der Früchte, die da klug machen sollten, brach sie und fing an zu essen: sie schmeckte gut, saftig und säuerlich, und weil Adam aufgewacht und Eva nachgegangen war, gab sie ihm auch davon. Herzhaft biss er zu. Und sie sahen einander an, als sähen sie sich zum ersten Mal. Begehren schlug aus ihren Augen wie Feuer, und wie Feuer überlief’s ihre Leiber, und der Garten, die ganze Welt, loderte auf vor ihnen, sie aber vor ihr: sie vergingen.

Wieviel Zeit verstrichen war, wussten sie nicht, als sie des Herrn Stimme hörten, der in den Garten kam, da der Tag kühl geworden war. »Adam, wo bist du?«, rief er, denn oft unterhielt er sich dann mit ihm und freute sich über seine Zutraulichkeit, wohl auch Wissbegier und rasche Auffassungsgabe, während Eva ein leckeres Mahl aus Kräutern und buntem Obst vorbereitete, die Ohren spitzte und bei Gelegenheit Fragen einwarf, die oft und oft knifflig genug waren. Aber Adam und Eva waren nirgends zu sehen. Was war denn geschehen? Versteckten sie sich? Was hatten sie angestellt? Etwas Verbotenes getan? Doch nicht, so hoffte Er, vom Baum des Lebens gegessen. Das nämlich würde sie unsterblich machen. Vor nichts und niemandem müssten sie sich dann fürchten, nichts und niemanden mehr achten – auch Ihn nicht! Allein die Möglichkeit ärgerte Ihn. Und wieder rief Er: »Adam, wo bist du?« Da erschien Adam und hatte einen Schurz, geflochten aus Feigenblättern, um die Lenden. So auch Eva, die sich hinter ihm hielt. Fast hätte der Herr gelacht. »Wir sind nackt, darum versteckten wir uns«, sagte Adam zaghaft. »Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?«, fragte der Herr. »Das wart ihr immer und habt mir gefallen, so wie ihr wart. Hast du etwa von dem Baum des Wissens gegessen, den ich euch verboten habe?« Und Adam antwortete kleinlaut: »Das Weib da hat mir von dem Baum gegeben, und, ja, ich aß.« Der Herr fragte Eva: »Warum hast du das getan?« Und sie sagte: »Die schöne gleißende Schlange, oder was das Tier ist, hat mich beredet, und so aß ich davon.« – »Die Schlange also, soso!«, sagte der Herr, »Die verfluch ich. Und du, Eva, sollst, wenn du schwanger wirst, Kinder mit Schmerzen gebären, und dein Mann, der da, Adam, soll dein Verlangen sein und dein Haupt.« Da zuckte Eva zusammen. Und zu Adam sprach Er: »Du hast deinem Weib mehr gehorcht als mir, denn ich habe dir verboten, von dem Baum zu essen, also sollst du künftig im Schweiß deiner Arbeit dein Leben fristen. Hinaus! Ich will euch beide nicht mehr in meinem Garten haben!« Sonst, so dachte Er, essen sie doch noch vom Baum des Lebens, und dann? Er winkte einem seiner Diener, der trug ein glattes, blendend weißes Gewand und im Gürtel ein bloßes, sehr scharfes Schwert. Der führte sie zu einem Tor im Gehege des Gartens, stieß sie hinaus, blieb da stehen und bewacht seither den Weg zum Baum des Lebens – bis heute. Ja.

Von der Sintflut

Eis und Schnee bedecken das Haupt des Bergs Ararat, doch darunter glüht Magma, flüssiges Feuer – ein Widerspruch, der ihm gefiel, dem Herrn der Höhen und Tiefen. Doch als er aufblickte, wurde er zornig: am Lauf der Bäche, Flüsse und Ströme hinab bis ans Meer wohnten jetzt die bräunlichen, nach seinem Maß bemessenen Menschen, und wie schön ihre Töchter waren, hatten die geflügelten Göttersöhne gesehen, gingen ein zu ihnen und erzeugten die Geschlechter der Herrscher und Könige, die leiteten Handel und Wandel und lebten vom Fett der Länder, bekriegten einander auf Gedeih und Verderb, versklavten, wer besiegt wurde, und alle Menschen trachteten nach Bösem und nach Gewinnst – so oder so. Wo waren Ehrfurcht? Frömmigkeit? Recht? Jetzt ergrimmte er über die Brut: sollte sie untergehn! Und das Feuer brach lodernd aus der Tiefe, die Meere wallten empor und überfluteten alles Land. Aus schwarzem Gewölk fiel endlos endloser Regen. Aber zur gleichen Zeit reute es ihn, was er lieblich hatte emporkeimen lassen, für immer vernichtet zu sehen. Dem Utnapishtim ließ er sagen, dass er ein Haus aus Holz bauen solle, das schwimme davon in die Anderwelt. Und zu Noah, dem Alten, der so gern Wein trank, redete er und sagte, Tannen solle er fällen und behauen nach so und solcher Bemessung und einen Kasten mit vielen Kammern und Fächern, großen und kleinen, zimmern lassen. Der würde sich heben im Wasser und nicht untergehen. Dahinein solle er nehmen sein Weib, seine Söhne und deren Weiber und Kinder. So würden alle gerettet. Auch solle er die Arten der lebenden Tiere paarweise hereinholen, denn auch sie sollten nicht ersaufen, ihre vielerlei Arten doch nicht verloren sein.

Alles geschah so. Schrecklich war es und wunderbar. Riesengroß. Und nach hundertfünfzig Tagen verliefen sich die Gewässer. Noah ließ einen Raben durch eine Luke hinaus. Der flog und kam nicht wieder. Da ließ er die Rabe ihm nachfliegen und sandte eine Taube aus. Die kam wieder und trug einen Ölzweig im Schnabel. Die große Flut war vorüber, die Fenster des Himmels geschlossen, und abgetrocknet die Erde. Die Arche aber war gelandet am hohen Hang des Bergs Ararat, und der Herr sagte den Menschen: »Solange die Welt besteht, soll nicht aufhören Tag und Nacht, denn es dreht sich die Erde, auch Saat und Ernte nicht, Hitze und Frost, Sommer und Winter, denn die Erde kreist um die Sonne.« Des zum ewigen Zeichen setze er den Regenbogen aus siebenfach gebrochenem Licht und seinen Farben in die Wolken.

Das gilt, und gilt bis heute.

Doch in der Arche war all die Zeit keine Sünde, nur Ham hatte seinen Sohn Kanaan darin sehr lieb. Den verfluchte sein Großvater Noah aus eifersüchtiger purer Bosheit und Gehässigkeit – die erschreckenderweise bis heute währt.

Wein aber, den schweren, dunklen und süßen Wein, trank Noah noch immer gerne, um nicht geradezu zu sagen: er soff. Und war er besoffen, kippte er hintenüber, als wär er betäubt. Sein Glied blieb aber mannhaft, und seine Töchter sahen das, und weil sie Angst hatten, es gebe auf dem weiten Erdenrund keinen Mann mehr, warfen sie alle Scham von sich. Tja – die Welt will bevölkert sein.

Der Turmbau zu Babel

Er liebte die Höhen, den Wind, der da toste und zog, sich legte und ruhte in unabsehbarer Luft, dann wieder aufbrauste mit Wolken und schwarzen Gewittern, schier endlosem Regen, jetzt klarer herrlicher Sonne, und fuhr herunter vom steilen Zagrosgebirge über die Flüsse und das Land Elam und dessen Stadt Susa, dass er Babel sähe, welches sie bauten im Lande Sinear am drüberen Strom, dem Euphrat. Dort sagten sie: »Lasst uns Ziegel streichen und brennen!« Und nahmen den Lehm zu Steinen und nahmen Bitumen, das ist Erdharz, gleichsam als Mörtel und bauten eine Stadt, die nannten sie Babylon, gruben auch Gräben, tiefe Kanäle, dahinein sie das Wasser des Stromes leiteten, und fingen an, inmitten einen Turm zu bauen, der sollte bis an den Himmel reichen: so wollten sie groß sein und gelten als die Größten der Kinder Adams! Da hin fuhr er wie Sturmwind herab aus der Höhe, dass er sie sähe, die Stadt und den Turm.

Was sah er?

Von weitem sah dies Gewimmel aus wie ein Ameisenhaufen, oder, näher kommend, wie ein Bau von Termiten, denn es gab Straßen, Wege, Kammern, Unterschlupfe in alle Richtungen; noch näher kommend aber im Häusergewirr prachtvolle Bauten aus geglätteten Ziegeln, auch mit spiegelnd glasierten in tiefem Blau voll goldfarbener Bilder von heiligen Drachen und Stieren – schön anzusehen, aber ein Gräuel! Dann jedoch, riesig, ein hoch gebautes Geviert, worauf, als auf einer Plattform, ein zweites, engeres errichtet war, erreichbar über steile, akkurat bemessene Stufen, die wimmelten von kräftigen, halbnackten Männern, nach oben schleppend in Kisten und Körben an Seilen Lehm, Erde, Geröll und gebrannte Ziegel, schleppend alles für eine weitere Plattform, noch immer geräumig im Ausmaß, Platz bietend für eine weitre geplante vierte. Und so fort. Rufe hallten, Befehle, Lieder dazwischen und Flüche. Diese Menschen von Babylon wollten wohl bis an den Himmel ihrem Mondgott ein Haus erschaffen – pah, einem Gestirn aus Gestein und Schatten, einem schimmernden Götzen, einem Nichts im leeren All! – Grotesk! Lachhaft das! Verderben wir ihnen den Spaß! Verwirren wir ihre Sprache! Dann hat sich’s mit dem Tempelbau, mit dem Turm!

Und so geschah es: ein Gedanke, wie stets in der Zeit, die ihm nicht existent war, welcher sich doch aber darin entfaltete. So redeten nun die Menschen, sangen und fluchten bald in Sumerisch, Akkadisch, Assyrisch, Persisch, Semitisch, Hamitisch, Japhetisch und zuletzt auch Hebräisch, da sie auszogen mit all ihrem Vieh aus Ur in Chaldäa, darunter Sarai, die Schöne, würdig des sieghaften Pharaos von Ägyptenland und seiner Tempel des Todes, den Pyramiden.

Die Einwohner Babels aber bauten in ihrer Zeit ihren Turm, darauf auch ihren nachtblauen Tempel des Mondes. Und alles zerfiel zu Lehm und Staub im Zeitlauf, wie Er, der Herr, sich’s gedacht hat, wenn er jetzt hinauffährt zur Höhe des Bergs Sinai.

Sodom

Nein, das war ihm noch nicht passiert! Mit dieser Rotte lief er sonst nicht, hing auch mit keinem von denen sonst herum. Heute war’s Zufall. Aber als er den einen von den beiden, die hinter Lot über den Markt gingen, kurz ansah und merkte, oder sich einbildete, dass der ihn mit einem Blick streifte, schlug’s bei ihm ein in die Magengrube, nein, mittig ins Sonngeflecht, als hätte ein Blitz ihn getroffen. Obwohl er das Maul aufriss, glaubte er zu ersticken. Und jetzt folgte er Lot und den beiden Fremden willenlos, was den anderen Kerlen zum Ansporn diente, die gleichfalls hinterher liefen, sie verfolgten, ihnen Spottnamen und Lästerungen nachriefen. Stehen bleiben sollten sie, Landstreicher, die sie offenbar seien, Rede und Antwort stehen, oder man würde es ihnen zeigen! Hier hätten solche abgerissenen fremden Kerle wie sie nichts verloren! Was Lot sich eigentlich einbilde?! Wenn das seine Sippschaft sei, solle er zusamt ihr verschwinden, und zwar ein bisschen plötzlich! Sie wüssten schon, was sie mit solchen wie ihnen anstellen würden, und zwar auf der Stelle: Sie würden ihnen den Arsch versiegeln und zwar mit ihren immer zuhandenen Prügeln, ob sie sie sehen wollten?! Sie seien das sicher gewöhnt, und dann hätten beide Seiten ihren Spaß, he! Da waren sie an Lots Hoftor. Und das schlug zu.

Er wusste nicht, was mit ihm los war, ihm war heiß und irgendwie seltsam, beinah miserabel, und er lehnte sich gegen die Mauer. Das Geschrei, das Gepolter und Gemache um ihn her hörte er gar nicht. Er wollte, wünschte sich, begehrte, dass dieser Fremde wieder aus dem Tor käme, auf ihn zuträte, den eher schäbigen wollenen Kapuzenmantel um ihn schlüge – mehr wollte er nicht! Mehr wusste er nicht! Dass Lot wieder aus dem Tor kam und die Schreier beruhigen wollte, ihnen womöglich statt seiner Mägde die Töchter zur Unterhaltung anbot, kriegte er gar nicht mit. Die Kerle schrien weiter, das Tor ging wieder auf, der andere Fremde griff nach Lot und zog ihn hinein. Das Tor ging zu und blieb zu. Die Kerle liefen schließlich unter dreckigem Geschrei und Gelächter in eine vom Talglicht verqualmte Kneipe und soffen Wein. Er, im Schattenlicht eines halben Monds, fing an, sich zu besinnen, aber wusste nicht weiter. Was sollte das? Was wollte er …?

Wie schnell die Nacht um war! Im Frühlicht tat sich das Hoftor auf: Lot, seine Frau, seine Töchter und nur die beiden Fremden, alle beladen, traten heraus, gingen rasch zum Stadttor und aus der Stadt, dem Jordan zu. Er, den Schal vors Gesicht gezogen, folgte im Abstand. Inzwischen wusste er, was er wollte: Er würde, sobald sich ungestört die Gelegenheit fände, vor diesen einen Fremden hintreten und ihm sagen, er wolle ihm dienen: ohne Lohn, ohne Bedingung, mit seinem Leben, falls er’s verlange, wenn er ihn nur als letzten und niedrigsten Sklaven um sich dulde. – Ja, das würde er tun!

Die Luftexplosion, greller als jede Sonne, zerstäubte ihn und die Stadt in diesem Augenblick.

Der Findling

Die jüngste Königstochter war, was man ein Nesthäkchen nennen konnte: sie war hängen geblieben. Nachdem der ihr früh verlobte Prinz aus dem Süden in einer von anderen als eher harmlos bezeichneten Schlacht gefallen war, und sie angemessen Trauer getragen hatte, fanden die Wesire ihres Vaters, des Pharaos, keinen ihrem hohen Rang entsprechenden Bräutigam mehr für sie. Doch sie beklagte sich nicht. Sie lebte in einem kleinen Palast, der unmittelbar an einem der vielen schmalen Mündungsarme des Nils eigens für sie erbaut und eingerichtet worden war, ohne Pomp, doch mit aller Bequemlichkeit, und umhegt von einer stets freundlichen, aufmerksamen Schar von Dienerinnen und Mägden. Den Prinzen, der im Süden gefallen war, vergaß sie nicht, aber sein Bild verblasste mehr und mehr, auch vor den Augen ihrer Seele. Was sie aber niemals vergaß, was ganz im Gegenteil stärker und stärker in ihr wuchs, war der Wunsch nach einem Kind. Ein Kind hätte sie, hätte ihr Leben, hätte alles verändert. Darüber sprach sie jedoch mit niemandem, auch nicht mit ihrer Amme, die nicht wirklich ihre Amme gewesen war, sondern eine mütterliche Freundin eher als eine Bedienstete oder gar Sklavin. Sie war eine kluge und einfühlsame Frau, ahnte und wusste mehr als das, worüber gesprochen wurde, und ermutigte hin und wieder kleine Ausflüge mit der schön geschmückten Barke aus dem Bezirk des Palasts zum Dorf, das am Schilfufer des Sees lag, zu dem sich der Nilarm erweiterte.

Dort herrschte stets ein arbeitsames, lärmiges, fröhliches Leben, doch fast ohne Männer, die nur zur Regenzeit aus den riesigen Ziegeleien zu ihren Lieben heimkehren konnten. Frauen und Mädchen verrichteten ohne Murren alles, was da zu tun war. Sie pflanzten Gärten an und ernteten Gemüse und Früchte, sie deckten die bescheidenen Hütten aus Lehm mit Palmzweigen, fütterten die unzähligen Enten und Gänse, fischten im See, kochten die Mahlzeiten, rührten die Soßen, buken das Brot und die Kuchen, auf die sich Scharen von Kindern jeglichen Alters hungrig und lachend stürzten. Das war ein Fest, wenn hin und wieder die Barke der Prinzessin über den See kam! Wenn die schöne, vornehm geschmückte Frau am schmalen Landungssteg ausstieg, und ihre Mägde Körbe voller Leckerbissen ihr nachtrugen, die sie an die halb scheuen, halb zudringlichen Mädchen und Buben verteilte. Manchmal streichelte sie eins der fröhlichen Gesichter, fasste eins oder das andre am Kinn und seufzte. Alle plapperten sie und lachten und sangen in einer Sprache der Gegend, die sie nicht verstand. Doch das machte ihr nichts aus.

Am gegenüberliegenden Seeufer waren in Binsen, Schilf und grünem Papyrus bequeme Plattformen angelegt, waren bunte Sonnensegel gespannt, geschmückte Hütten errichtet, ein sanftes Badebecken bereitet. Dorthin ließ die Prinzessin oft sich rudern. Die zierlichen Dienerinnen nahmen ihr die leichten Kleider ab, den schönen Schmuck, die Perücke mit dem duftenden Salbkegel und legten alles beiseite. Waren das silberne Fäden, die sich durch ihr ebenholzdunkles Haar zogen? Gekleidet in feines durchsichtiges Leinen stieg sie ins seerosengeschmückte Wasser und lehnte sich auf die flachen Stufen. Da! Was war das? Diese Laute? So weint ein Kind! Sie stand auf. Das Wasser perlte, rieselte an ihr herab. »Ein Kind weint!«, rief sie. »Wo ist es?« Auch die Mägde hatten’s gehört. Alle gingen dem Greinen und Weinen nach. Die Amme hob ihren Rock