Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier - Immanuel Birmelin - E-Book
SONDERANGEBOT

Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier E-Book

Immanuel Birmelin

0,0
16,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie nah sind sich Mensch und Tier? Worin besteht die Nähe? Dieses Geheimnis gilt es zu lüften. In seinem Buch   Die geheimnisvolle Nähe von Mensch und Tier   entschlüsselt Immanuel Birmelin das   Menschliche im Tier und das Tierische im Menschen. Er zeigt, wie   unheimlich ähnlich   sich Mensch und Tier doch sind. Wer könnte das schließlich besser als einer, der bei allen   bahnbrechenden Forschungen, die zur   Neuausrichtung des Tierbildes   führten, live dabei war. Seine   spannend erzählten Erlebnisse   berühren, geben den Tieren eine Stimme, helfen die Kluft zwischen Mensch und Tier zu überwinden.   Emotionen und Gefühle   haben dabei einen hohen Stellenwert, denn sie sind ein wesentlicher   Baustein des Seins und der Persönlichkeit. Wer Tiere verstehen will, muss daher einen Zugang zu ihren Gefühlen finden. Coole Kreatur? Seelenloser Reflex-Roboter? Das liebe Vieh rein instinktgesteuert? All das entlarvt Immanuel Birmelin dank   neurobiologischer Erkenntnisse   und   neuester Forschungsergebnisse. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 356

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hinweis zur Optimierung

Unsere eBooks werden auf kindle paperwhite, iBooks (iPad) und tolino vision 3 HD optimiert. Auf anderen Lesegeräten bzw. in anderen Lese-Softwares und -Apps kann es zu Verschiebungen in der Darstellung von Textelementen und Tabellen kommen, die leider nicht zu vermeiden sind. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Impressum

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

Projektleitung: Anita Zellner

Lektorat: Gabriele Linke-Grün

Bildredaktion: Anita Zellner, Mat Kovacic, Natascha Klebl (Cover)

Covergestaltung: Independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Lena-Maria Stahl

ISBN 978-3-8338-7441-3

1. Auflage 2020

Bildnachweis

Coverabbildung: plainpicture

Illustrationen: Katharina Rücker-Weininger

Fotos: plainpicture; Alamy; Getty Images; iStock; Shutterstock; Heinz von Matthey; privat

Syndication: www.seasons.agency

GuU 8-7441 03_2020_01

Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.

Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de

www.facebook.com/gu.verlag

Garantie

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

wir wollen Ihnen mit diesem E-Book Informationen und Anregungen geben, um Ihnen das Leben zu erleichtern oder Sie zu inspirieren, Neues auszuprobieren. Wir achten bei der Erstellung unserer E-Books auf Aktualität und stellen höchste Ansprüche an Inhalt und Gestaltung. Alle Anleitungen und Rezepte werden von unseren Autoren, jeweils Experten auf ihren Gebieten, gewissenhaft erstellt und von unseren Redakteuren/innen mit größter Sorgfalt ausgewählt und geprüft. Haben wir Ihre Erwartungen erfüllt? Sind Sie mit diesem E-Book und seinen Inhalten zufrieden? Haben Sie weitere Fragen zu diesem Thema? Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung, auf Lob, Kritik und Anregungen, damit wir für Sie immer besser werden können. Und wir freuen uns, wenn Sie diesen Titel weiterempfehlen, in ihrem Freundeskreis oder bei Ihrem online-Kauf.

KONTAKT

GRÄFE UND UNZER VERLAG Leserservice Postfach 86 03 13 81630 München E-Mail: [email protected]

Telefon: 00800 / 72 37 33 33* Telefax: 00800 / 50 12 05 44*

Vorwort

Mit fünf Jahren schloss ich eine tiefe Freundschaft mit einer schlohweißen Chow-Chow-Hündin namens Maidi. Sie war aber kein Albino. Mit ihrer blauen Zunge leckte sie mich zärtlich und führte mich in das Leben eines zufriedenen Hundes ein. Maidi genoss alle Freiheiten. Für mich war sie ein wahrer Freund, wie meine anderen Menschen-Freunde auch. Ich habe sie bis heute nicht vergessen und denke noch viel an sie. Meine Kinder-Freunde sind in der Vergangenheit versunken. Als Kind wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich als etwas Höheres zu begreifen als meine Maidi. Der Gedanke, dass Menschen im Gegensatz zu den Tieren etwas Besonderes sein sollen, war mir fremd.

Diese Auffassung änderte sich im Laufe meines Lebens. Wie viele meiner Artgenossen auf der Erde glaubte ich, dass wir Menschen uns von den Tieren abheben. Religion und Kultur hatten mich beeinflusst und mich als Menschen auf ein höheres Podest gestellt. Selbst so ein großer Philosoph wie Descartes sah Tiere als Maschinen an. António Damásio, der berühmte Neurologe, gibt darauf die richtige Antwort und nennt eines seiner Bücher: »Descartes’ Irrtum«.

Ich hatte das besondere Glück, einen großen Teil meiner Lebenszeit den Tieren zu widmen und ihre Seelen zu berühren. Auf meine Fragen gaben sie in naturwissenschaftlich durchgeführten Versuchen Antworten. So konnte ich zum Beispiel herausfinden, dass Katzen zählen können, Afrikanische Elefanten sich im Spiegel erkennen, Wellensittiche ihren Kindern bei der Geburt helfen, Löwen und Tiger Probleme lösen können und vieles mehr.

Wann immer in mir Zweifel aufkamen in Diskussionen mit Geisteswissenschaftlern, so wurden sie durch die geistigen Leistungen von Kanzi, dem Bonobo, Alex, dem Graupapagei, und Betty, der Neukaledonische Krähe, vollkommen zerstreut. Ich konnte mich persönlich bei einem Besuch bei ihnen von ihren Leistungen überzeugen. Wie kaum ein anderer habe ich die berühmten Geistesgrößen und Gefühlsakrobaten im Tierreich besucht. Aber immer wieder zog es mich hinaus in die Natur. Seit vielen Jahren reise ich jedes Jahr mit meiner Frau Sylvia nach Afrika, um die Tiere live zu erleben. Dort fühlen wir uns eins mit unseren Mitgeschöpfen und spüren keine Trennung von Tier und Mensch. Ein großes Glück für uns, und wir zweifeln keine Minute daran, dass wir Menschen nur eine von vielen Tierarten sind.

Gehen Sie mit mir auf die Reise und nehmen Sie an der Konferenz der Tiere teil. Auf dem Tagesprogramm werden Themen behandelt, die uns staunen lassen, zu welch fantastischen Leistungen Tiere fähig sind. Mauersegler können wochenlang in der Luft bleiben, Kolibris, die kleinen bunten Vögel, können rückwärts fliegen, Wale unterhalten sich mit ihrer Geliebten, die 2 000 Kilometer entfernt ist, und Eisbären trotzen der Kälte und schlafen bei minus 35 Grad im Freien. Elefanten riechen Wasser, das weiter als 80 Kilometer entfernt ist, und tragen die größte Nase in ihrem Gesicht.

Auch die Liebe von Mensch und Tier kommt zu Wort. Es wird gefragt, welcher Klebstoff Liebespaare zusammenhält und welche Vorteile es hat, in einer Gruppe zusammenzuleben. Wer in der Gruppe lebt, muss sich verständigen. Eine Selbstverständlichkeit für uns. Wir sprechen. Auch Tiere haben Sprachen, einige von ihnen können sogar unsere Sprache lernen. Sie plappern aber nicht nur nach, sondern wissen, was sie sagen wollen. Selbst vor Tabus wird nicht zurückgeschreckt.

Bei der Konferenz der Tiere wird zum Beispiel auch diskutiert: Warum viele Tiere, selbst unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, einen Penisknochen haben und wir Männer nicht.

Auf dieser Konferenz ist der Mensch eines von vielen Tieren. Die Menschen sind so stolz auf ihre Kultur. Viele von ihnen nennen sich sogar Kulturwesen. Sie glauben, ihre Kultur berechtigt sie, eine Sonderstellung einzunehmen. Weit gefehlt. Wer Tiere sorgfältig und ohne Vorurteile beobachtet, stellt fest, dass auch sie Kultur besitzen.

In dieser Konferenz sind wir gleichberechtigte Tiere. Alle können sich frei äußern. Ohne Maulkorb. Es wird spannend. Sie sind herzlich eingeladen. Ich freue mich.

Die Konferenz der Tiere zu Gast bei Homo sapiens

Alle vier Jahre treffen sich berühmte Tierpersönlichkeiten und ein Tierfreund, um intensiv über die Lebensbedingungen und über die Beziehung von Mensch und Tier zu diskutieren. Jeder Teilnehmer trägt seine Sorgen und Nöte vor. Erfahren Sie im Folgenden mehr über die außergewöhnlichen Teilnehmer dieser Konferenz.

Im Konferenzraum

Damit Sie alle Teilnehmer der Talkrunde entsprechend kennenlernen können, werden sie zunächst kurz mit ihren typischen Charaktereigenschaften und besonderen Fähigkeiten vorgestellt.

Alex, der Graupapagei: Er kann sprechen und versteht, was er sagt. Alex wurde aufgrund seiner Sprachbegabung ein Star in der Tier- und Menschenwelt. Wer sich mit tierischer Intelligenz beschäftigt, kommt an Alex nicht vorbei.

Kanzi, der Bonobo (Zwergschimpanse): Auch Kanzi versteht unsere Sprache, und mithilfe einer Symbolsprache kann er eigenständig Sätze bilden. Er lernte die amerikanische Taubstummensprache. Die einzelnen Sprach-Symbole sind in einem Computer gespeichert. Auf Knopfdruck wählt er die einzelnen Symbole und bildet auf diese Weise Sätze. Kanzi wurde im Sprachforschungszentrum der Georgia State University geboren und wuchs dort auf. Schon als Bonobo-Kind verblüffte er die Wissenschaftler. Wie Kanzi die Sprache erlernte, war eine Sensation. Er beobachtete seine älteren Artgenossen genau und hat ihnen beim Lernen über die Schulter geschaut.

Betty, eine Neukaledonische Krähe: Ihr Wohnort ist die Universität Oxford. Sie ist in der Lage, Werkzeuge herzustellen und diese entsprechend den Erfordernissen und Funktionen klug einzusetzen. Betty besteht einen Intelligenztest, an dem Kleinkinder im Alter von drei oder vier Jahren scheitern.

Edeltraut, ein Schwein: Sie lebt im Tiergehege Mundenhof in Freiburg und hat ein Kind. Edeltraut hat eine Vorstellung von geometrischen Figuren. Sie weiß, was ein Dreieck oder Viereck ist. Sie ist »schweineschlau« mit viel Gefühl.

Nonja, eine Orang-Utan-Dame des Zoos in Wien: Nonja ist eine Künstlerin, genauer gesagt eine Malerin mit großem Erfolg. Ihre farbenfrohen Bilder verkaufen sich gut an Menschen, die von ihrer Malkunst begeistert sind.

Cora, eine Entlebucher-Hündin: Cora ist klein, aber hochintelligent. Sie konnte ihre intellektuelle Fähigkeit in der Fernsehsendung »Stern TV« von Günther Jauch vor einem Millionenpublikum unter Beweis stellen. Sie ist vielleicht der erste Hund, bei dem man sehen konnte, dass er eine Vorstellung davon hat, was ein Werkzeug ist.

Harry, ein Kater: Er ist ein Mathematik-Genie unter den Katzen. Der rot gestromte Kater kann zählen und rechnen. Auch er trat in der Fernsehsendung »Stern TV« auf. Harry zeigte vor laufender Kamera, dass hinter seiner Begabung kein Trick verborgen ist, sondern dass sie tatsächlich Realität ist.

Amadeus, ein Oktopus: Er besitzt keine Wirbelsäule, dafür hat er acht Arme und sieben Gehirne. Man nennt Tiere ohne Wirbelsäule Wirbellose. Er ist unglaublich schlau, aber auch sehr empfindsam.

Einstein, ein Fisch (Buntbarsch, Haplochromis burtoni): Er lernte, sich bei Gefahr in einer Blumenvase aus Glas zu verstecken, und erkannte seinen Halter. Einstein wusste genau, wer für ihn zuständig ist. Seinen Namen hat er nicht umsonst.

Immanuel Birmelin,Homo sapiensund Verhaltensbiologe: Er lebt seit seiner frühen Kindheit mit Hunden und Wellensittichen zusammen. Tiere sind sein Leben.

Eröffnung der Konferenz

Immanuel Birmelin eröffnet die Konferenz und bittet um Wortmeldungen. Die Talkrunde ist bereit. Als Erster meldet sich Kanzi, der Bonobo: »Hier in Atlanta habe ich Freunde sowohl unter den Menschen als auch unter meinen Artgenossen. Zu Sue Savage-Rumbaugh pflege ich eine enge Beziehung. Sie ist meine Privat-Psychologin, die mein Verhalten studiert und es mit dem von Kleinkindern vergleicht. Spannend, was sie alles herausgefunden hat. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir uns in mancher Hinsicht so ähnlich sind. Sue wunderte sich, dass ich Formen, Menschen und Affen auf einem Bildschirm erkenne. Und Freude an den Geschichten habe, die gesendet wurden. Sie schreibt: ›Allmählich stellt sich ein Gefühl für Phantasie und Erzählen ein, sodass Kanzi sich für Fernsehgeschichten interessiert, mit denen er etwas verbindet.‹ Bei der Sichtung und Auswertung der Beobachtungsprotokolle kam Sue zu dem Schluss, ich sei ebenso an solchen Geschichten interessiert wie Menschenkinder. Und sie fand heraus, dass wir Affen gern Filme anschauen, in denen Gewalt vorkommt. Bei Gewaltszenen seien wir besonders aufmerksam und gespannt.« (Quellennachweis, Savage-Rumbaugh, >) Das kennen wir Menschen aus eigener Erfahrung. Krimis sind auch beim Homo sapiens der Renner.

Nach dieser kurzen Schilderung seiner Lebensgeschichte kommt Kanzi, der Bonobo, zur eigentlichen Frage: »Warum akzeptiert ihr Menschen nicht, dass auch wir Bonobos, Schimpansen, Gorillas und viele andere unserer tierischen Brüder und Schwestern Bindungen beziehungsweise Beziehungen zu anderen Lebewesen aufbauen? Das ist für uns genauso lebenswichtig wie für euch Menschen. Wir kennen wunderbare Beispiele, in denen Menschen zu Freunden von Schimpansen, Gorillas oder Orang-Utans wurden. Die Bilder gingen um die ganze Welt und sind mit drei tapferen Frauen verbunden: Jane Goodall, Birutė Galdikas und Dian Fossey. Sie haben das Bild der Tiere revolutioniert. Sie haben einen Türspalt geöffnet, um in die Gefühlswelt von uns Tieren zu schauen.

Doch trotz dieses Wissens über uns werden unsere Lebensräume – vor allem – wegen der menschlichen Gier zerstört. Und außerdem leiden auch heute noch Hunderte unserer Artgenossen mit fadenscheinigen Begründungen bei Tierversuchen in den Forschungslaboren der Welt. Immanuel, kannst du mir eine Antwort darauf geben, warum viele Menschen so ignorant und arrogant gegenüber uns Tieren sind?«

Immanuel Birmelin meint: »Das kann ich nicht. Mein Vorschlag lautet daher: Lass uns zunächst einmal näher betrachten, wie wichtig Bindung beziehungsweise Beziehung für das Wohlbefinden und die psychische Entwicklung eines sozialen Lebewesens ist.«

Wenn Tiere mit uns reden könnten. Immanuel Birmelin gibt ihnen eine Stimme.

Die Bedeutung von Bindungen und Beziehungen

Um überhaupt eine Vorstellung zu bekommen, welche Bindungen Tiere zu Menschen eingehen, möchte ich einige spannende Geschichten erzählen. Dass Hunde, Katzen und Wellensittiche eine Bindung zum Menschen eingehen, ist bekannt. Dass aber auch gefährliche Löwen, starke Gorillas, schlaue Affen, flinke Delfine und empfindsame Oktopusse die Nähe des Menschen suchen, konnte man sich nur schwer vorstellen. Menschen sind für Tiere interessant, und in ihrer Gesellschaft fühlen sich Tiere wohl. In diesen Erzählungen möchte ich aufzeigen, wie mannigfaltig und grenzüberschreitend die Mensch-Tier-Beziehungen sind und dass sie nicht auf bestimmte Arten begrenzt sind.

Grenzgänger – die Geschichte einer engen Freundschaft

Mit meinen eigenen Augen und Ohren wurde ich Zeuge einer unglaublichen Mensch-Tier-Beziehung. Volker Arzt und ich drehten gerade den Film »Haben Tiere ein Bewusstsein?«. Wir waren auch zu Gast bei John Aspinall, Eigentümer des Howletts-Zoos in der Nähe von Canterbury. Er hat sich dort einen Zoo gebaut, der mehr auf die Bedürfnisse der Tiere schaut als auf die Wünsche der Zoobesucher.

John Aspinall hat zu all seinen Tieren einen engen Bezug, besonders ans Herz gewachsen sind ihm seine Freunde, die Gorillas. Er kann mit ihnen spielen und raufen. Nie zuvor habe ich in meinem Biologenleben so ein Vertrauen zwischen einem Gorilla und einem Menschen live miterlebt. Gorillamann Hugo ist der Chef eines Gorillarudels, das aus Frauen und Kindern besteht. John Aspinall kann sich so frei in der Gruppe bewegen, als wäre er einer von ihnen. Wir sind überglücklich über unsere Aufnahmen. Mehr konnte man nicht erwarten.

Aber was dann geschah, versetzte ein Millionenpublikum in Staunen und Schrecken. John Aspinall bat seinen Sohn, seine Enkelin Sarah zu ihm ins Gorillagehege zu setzen. John nahm die Kleine – ich glaube, sie war zwei Jahre alt – an der Hand und spazierte durch das Gehege. Plötzlich, für uns völlig unerwartet, nahm die Gorilladame Goma Sarah an ihre Hand und entführte sie. Uns und dem Publikum blieb der Atem stehen. John blieb völlig ruhig, für ihn war das Verhalten von Goma Alltag. Er vertraute ihr. Zärtlich spielte Goma mit Sarah, und die beiden wälzten sich genüsslich im Stroh. John hatte keine Sekunde Angst um seine kleine Enkelin, auch dann nicht, als Goma zwei bis drei Meter am Käfiggitter mit Sarah hochkletterte. Er war die Ruhe selbst.

Sein Verhalten verrät seine Einstellung zu unseren Mitgeschöpfen. Er ist der Meinung, dass Gorillas mehr und tiefere Gefühle besitzen als wir Menschen. Er baute für verwaiste Gorillakinder im Kongo eine Auffangstation, wo verwilderte Kinder versorgt werden. John Aspinall nahm viel Geld in die Hand, fasste allen Mut, alle Zuversicht und alles Wissen, über das er verfügte, zusammen und erfüllte sich seinen Traum. Er wagte den Versuch, fünf Gorillakinder in ihre ursprüngliche Heimat zu bringen. So etwas kann nur gelingen, wenn man über das notwendige Know-how verfügt und engagierte und »gorillaverrückte« Menschen helfen. Collin, einer seiner Tierpfleger, war so ein Verrückter. Er begleitete zwei junge Gorillas mit dem Flugzeug und dort in ihre neue Heimat. Das Unterfangen war alles andere als einfach. Es erforderte eine große Logistik. Die Reise der Tiere auf eine kleine Insel in Gabun war ein großes Abenteuer. So groß, dass sogar der renommierte Sender BBC an Bord war. Wie rührend sich Collin um seine Schützlinge kümmerte, ist wahre Tierfreundschaft. Wann immer die Tiere Angst hatten, beruhigte er sie. Er lehrte sie, aus einem Bach zu trinken oder die richtigen Pflanzen zu fressen. Auf der Insel sind die Gorillas vor Leoparden und anderen gefährlichen Raubtieren geschützt. Auch lebte keine andere Gorillagruppe auf der Insel. Die Einbürgerung gelang bis auf einen Wermutstropfen. Gorilla Acka starb nach einigen Wochen – vielleicht hatte er eine giftige Pflanze gefressen. Collin war über diesen Verlust sehr traurig. Er verlor einen Freund, der besonders an ihm hing, erzählte mir Collin, als ich ihn im Howletts-Zoo besuchte.

Wiedersehensfreude

Aber damit ist unsere Reise nach Gabun noch nicht zu Ende. Viele Jahre später, als junge Frau, machte sich Sarah auf den Weg, ihre geliebten Gorillas zu besuchen. Vom Boot aus rief sie ihre Freunde. Was dann geschah, konnte sie sich nicht einmal in ihren Träumen vorstellen. Sie rief den Namen ihres Lieblings. Er kam aus dem Wald – inzwischen hatte sie die Insel betreten –, sah seine Freundin, und sie fielen sich in die Arme. Die Freude und das Glück waren beiden Lebewesen ins Gesicht geschrieben. Sie umarmten sich immer wieder zärtlich, und ich glaube, sie küssten sich sogar. Das war Wiedersehensfreude im wahrsten Sinne des Wortes. Wer dies gesehen hat und behauptet, Tiere haben keine Gefühle, muss sich fragen lassen, ob er selber Gefühle hat.

Diese Begegnung ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass zwei artfremde Lebewesen (Gorilla–Mensch) eine Bindung eingehen können. Voraussetzung ist, dass jeder der Partner ein Stück weit in die Welt des anderen eintauchen und sie verstehen kann. Das ist eine hohe intellektuelle Leistung. Ich werde später noch genauer darauf eingehen.

Anderer Ort – andere Teilnehmer

Hier im Baobab-Hotel in Kenia dürfen Affen noch ungestört durch die Hotelanlage flanieren und Futter suchen. Manchmal klettern Paviane auf die Palmen und holen sich Kokosnüsse. So wie es sich für einen Pavian gehört. Sie verspeisen manchmal auf einem Liegestuhl eine Kokosnuss und betrachten den Strand wie ein Tourist. Die Tiere sind geduldet, aber nicht beliebt bei der Hotelleitung. Der Grund liegt auf der Hand: Einige Touristen beschweren sich.

Die Affen des Baobab-Hotels

Einmal erlebte ich eine besonders nette Geschichte. Ein Pavian machte es sich auf einem Liegestuhl bequem und betrachtete versonnen die Welt. Plötzlich tauchte ein Tourist auf. Er ging laut schreiend auf den Pavian zu und brüllte das Tier an. »Verschwinde, das ist meine Liege.« Der Pavian drehte sich gemächlich um, schaute den Tourist an, setzte sich vielleicht in zwei Metern Abstand ins Gras und betrachtete wieder in Ruhe seine schöne Heimat.

Aber in diesem Resort haben die Affen auch Freunde, nämlich Anna und ihren Mann Jerzy Axer, Professor für Artes Liberales an der Universität Warschau. Ein berühmter Wissenschaftler mit viel Liebe für Tiere. Wann immer es ihm möglich ist, besuchen er und seine Frau die Affen in Kenia. Allein im Hotelbereich leben vier Arten: Colobus, Meerkatzen, Paviane und ihre geliebten Sykes. Zu allen vier Arten haben die beiden eine Beziehung aufgebaut.

Am Anfang haben sie die Tiere mit Bananen gefüttert. Im Laufe der Zeit war Futter nicht mehr notwendig. Die Affen besuchten die beiden Freunde auch ohne Futter. Sie hatten zu den Menschen Vertrauen gefasst. Frühmorgens, kurz nachdem die Sonne aufgegangen war, saß schon eine kleine Horde auf ihrem Balkon und schaute, was die menschlichen Freunde taten. Das war für Anna und Jerzy der Startschuss, sich auf den Balkon zu setzen.

Was ich dann viele Male erlebte, konnte ich kaum glauben. Die Affen spielten bei ihnen auf dem Balkon. Sie hatten jede Scheu verloren, und ihre Neugier war geweckt. Sie untersuchten die Kamera, mit der Jerzy fotogafierte. Und als sie die Gegenstände, die auf dem Balkon waren, untersucht hatten, waren Anna und Jerzy dran. Besonders interessant war Annas Haut. In Affenmanier gingen sie ganz vorsichtig und zart vor. Mit ihren spitzen Fingernägeln drückten sie ihr Pickel aus. Sie untersuchten alle möglichen Körperteile. Auch die Nasenlöcher und Ohreingänge waren interessant für sie. Besonders das Ohrenschmalz – sie hatten es an ihren Fingern und rochen intensiv an ihm. So wie Hunde, wenn sie eine Spur aufgenommen haben. Sie schüttelten den Kopf und rieben sich die Hände. Sie wollten den Duft loswerden. Keine Frage, Ohrenschmalz von Menschen ist nicht ihr Parfüm.

Die Sykes-Affen waren die Pioniere der Beziehung, gefolgt von Pavianen und Meerkatzen. Es ist mir ein Rätsel, wie so eine innige Beziehung zwischen dem Menschen und drei verschiedenen Affenarten möglich ist. Sie hatten tiefstes Vertrauen zu den beiden. In diesem Hotel sind viele Personen zu Gast, aber ich habe in all den Jahren nie beobachtet, dass die Affen zu anderen Touristen eine Beziehung aufbauten.

Selbst ein Busch-Baby – eine Halbaffenart – suchte am Abend die beiden Tierfreunde auf und setzte sich auf ihren Schoß.

Im Laufe der Jahre verbindet meine Frau und mich eine tiefe Freundschaft mit Jerzy und Anna, wir tauschen unsere Erlebnisse mit Tieren gegenseitig aus. Wir diskutieren heftig darüber, was in den Köpfen der Affen vor sich geht. Ein Ergebnis unserer Diskussion ist, dass wir sicher sind, dass manche Wildtiere den Kontakt zum Menschen ganz bewusst suchen. Vorausgesetzt, er ist ihnen freundlich gesinnt. Aber auch andere Wildtiere suchen den Kontakt zum Menschen. Wieder einmal durfte ich Zeuge sein.

In der Hotelanlage des Baobab-Hotels treffen Affen und Menschen aufeinander.

Olin, die Delfindame, suchte sich den Fischer Abdul als Spielkameraden aus.

Olin, die Delfindame

Ort: Nuwaiba, ein verschlafenes Fischerdörfchen in Ägypten am Roten Meer. Freunde sind der Fischer Abdul und die Delfindame Olin. Abdul ist nahezu stumm und kann nur einige Laute von sich geben. Eines Tages passierte es: Die Delfindame Olin sprang aus dem Wasser und umschwamm sein Boot. Abdul wurde wütend, denn sie vertrieb alle Fische. Das hatte dem armen Fischer noch gefehlt. Immer wieder umkreiste sie sein Boot und sprang manchmal in die Höhe. Genug ist genug, dachte Abdul und sprang beherzt ins Wasser, um Olin zu vertreiben. Das war der Beginn einer intensiven und erstaunlichen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Am nächsten Tag das gleiche Schauspiel. Abdul verstand die Welt nicht mehr.

In der ersten Woche kam Olin immer zur gleichen Zeit, umkreiste das Boot und sprang häufig aus dem Wasser. In seiner Verzweiflung, da er nicht sprechen konnte, gab Abdul Arm- und Handzeichen. Olin begriff die Arm- und Handzeichen schnell. Und Abdul verstand, dass er mit seinen Gesten seine Wünsche ausdrücken konnte. Er konnte die Delfindame vom Boot aus dazu veranlassen, das Boot zu umkreisen und in die Luft zu springen. Olin und Abdul hatten eine Kommunikationsebene gefunden. Das sagt viel über die Intelligenz von Olin aus. Olin wurde nie durch Futter belohnt. Ihre Lernbereitschaft war freiwillig. Warum sie mit Abdul kommunizierte, bleibt ein Rätsel. Irgendetwas musste sie an Abdul finden.

Aber auch im Wasser verstand sie die Zeichensprache, wenn die beiden miteinander schwammen. Fast jeden Nachmittag zwischen zwölf und drei Uhr kam Olin, und die beiden schwammen und spielten miteinander. Olin störte es nicht, wenn auch andere Menschen in einiger Entfernung ihr das Spiel und ihre Zweisamkeit beobachteten.

Das war eine große Chance für mich. Schnell hatten meine Frau und ich die Flossen, die Taucherbrille und den Schnorchel angezogen und sprangen ins Wasser. Unter Wasser konnte man die Vertrautheit der beiden noch besser beobachten. Olin umkreiste Abdul und ließ sich von ihm zärtlich streicheln. Ihre Basis der Vertrautheit war nur der gegenseitige Austausch von Gefühlen. Es war, wie schon erwähnt, kein Futter im Spiel. Nach etwa einer Stunde schwamm Olin ins Meer hinaus und verschwand bis zum nächsten Tag.

Eines Tages kam Olin nicht, und Abdul machte sich schon Sorgen. Ich glaube, es waren drei oder vier Tage vergangen. Dann tauchte sie wieder auf – diesmal mit Begleitung. Sie hatte ihren Sohn Ramadan mitgebracht, wie ihn Abdul liebevoll nannte. Olin hatte nie ihre Artgenossen verlassen, dafür ist ihr Kind Ramadan der Beweis. Sie nahm sich lediglich ein bis zwei Stunden von der Truppe frei. Die beiden wurden sehr zutraulich, und Abdul konnte beide streicheln. Wenn sie keine Lust mehr hatten, verließen sie den Spielplatz und verschwanden im Meer. Meine Frau und ich waren glücklich, so etwas erleben zu dürfen.

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Eines Tages beobachteten wir, wie der junge Ramadan mit seiner Mutter kopulierte. Ich traute zunächst meinen Augen nicht. Doch ich sah genau, wie er seinen Penis in ihre Geschlechtsöffnung führte, und das nicht einmal rein zufällig, sondern gleich mehrere Male. Delfinmütter unterweisen ihre Söhne im Paarungsverhalten. Das war für mich eine Sensation. Meine Nachforschungen ergaben: Ramadan und Olin sind keine Ausnahme in diesem Punkt. Aber dass sie so viel Vertrauen zu Menschen aufbauen konnten, ist schon ungewöhnlich und schön.

Elsa, eine Löwin in zwei Welten

Auch die Löwin Elsa präsentierte ihren Nachwuchs einem Homo sapiens, nämlich Joy Adamson. Löwenmütter umsorgen und verteidigen ihren Nachwuchs sehr gut. Meist wachsen die Löwenkinder im Rudel auf. Es gibt liebe Tanten, die immer auch ein Auge auf den Nachwuchs richten, damit den putzigen Kindern kein Haar gekrümmt wird. Wer die Idylle stört, spielt mit seinem Leben.

Die Löwin Elsa gehört sicher zu einer der berühmtesten Löwinnen. Über ihr Leben wurde sogar ein Spielfilm gedreht. Warum wurde Elsa so berühmt? Beginnen wir die Geschichte von vorne. Elsas Mutter wurde erschossen, als Elsa ein Löwenbaby war. Das Ehepaar Adamson zog die verwaiste Löwin liebevoll groß. Sie lebte bei ihnen wie ein anhänglicher Hund. Sie durfte fast überall mit, ihr Lieblingsplatz war das Dach des Landrovers, wenn sie den Busch durchstreiften. Von hier hatte sie einen guten Überblick über die Landschaft. Wenn die Familie zu Fuß auf Safari ging, musste Elsa oft acht Stunden laufen. Für Löwen ist dies ein gewaltiger Marsch. Normalerweise schlafen sie 18 Stunden. Während des Spaziergangs lernte Elsa Mitbewohner ihrer Heimat kennen: Thomson-Gazellen, Impalas, Giraffen, Büffel und natürlich Elefanten.

Vermutlich hätte Elsa bis an ihr Ende so leben können. Aber Joy Adamson, ihre Ziehmutter, hatte andere Pläne mit ihr. Sie sollte die Freiheit der afrikanischen Savanne kennenlernen und dort leben. Das war der Wunsch des Ehepaares Adamson. Diesen Wunsch zu realisieren, war äußert schwierig. Zuerst musste Joy Elsa lehren, wie man Beute fängt und tötet. Das dauerte Monate. Nachdem sie das gelernt hatte, wurde es für das Ehepaar psychisch richtig schwierig. Denn sie hatten nicht mit der Anhänglichkeit Elsas gerechnet. Immer wieder fuhr Joy Adamson mit ihrem Landrover und Elsa in die Steppe hinaus. Weit weg vom Zeltcamp. Und suchte ein geeignetes Gelände, um Elsa in die Freiheit zu entlassen. Dort fütterte sie sie und verbrachte einige Stunden mit ihr. Wenn sich die Gelegenheit bot, schlich sie sich heimlich von Elsa weg und fuhr ins Camp zurück. Am nächsten Morgen suchte sie nach Elsa. Sie saß an dem Platz, wo sie sie verlassen hatte. Sie spähte nach ihr aus. Als sie Joy entdeckte, lief sie eilig zu ihr. Sie war außer sich vor Freude. Sie rieb ihren Kopf an Joys Knien und leckte ihr das Gesicht.

Mit so viel Wiedersehensfreude hatte Joy nicht gerechnet. Sie kam ins Grübeln und Zweifeln. Und wurde bei dem Gedanken, Elsa zu enttäuschen und sie der Wildnis zu überlassen, sehr traurig. Sie kämpfte gegen sich – in der Überzeugung, die Freiheit sei für Elsa das Beste. Das Ehepaar Adamson unternahm noch einige vergebliche Versuche, Elsa in die Freiheit zu entlassen. Aber letztendlich gelang es ihnen, und Elsa fand einen Löwenmann. Mit ihm bekam sie drei Löwenkinder.

Wer glaubt, die Geschichte sei jetzt zu Ende, täuscht sich und unterschätzt die Treue Elsas. Die Löwin beendete die Beziehung zu ihren menschlichen Freunden nicht, sondern besuchte sie mit ihren Kindern. Frau Adamson saß im Camp und tippte auf der Schreibmaschine.

Aber lassen wir Frau Adamson selbst erzählen: »Plötzlich hielt ich inne und wollte meinen Augen nicht trauen. Nur wenige Meter vor mir stand Elsa auf der Sandbank, eines der Jungen neben sich. Das andere stieg gerade aus dem Wasser und schüttelte sich, das dritte war noch am anderen Ufer, lief hin und her und miaute ganz jämmerlich. Elsa aber sah mich mit einem Ausdruck von Stolz und Verlegenheit unablässig an. Ich verhielt mich vollkommen ruhig. Elsa brummte ihren Jungen leise zu, ging dann zu dem eben an Land gestiegenen Jungen, leckte es zärtlich und wandte sich dem Kleinsten zu, das am anderen Ufer festsaß. Die beiden, die mit ihr zur Sandbank gekommen waren, folgten ihr auf dem Fuß, schwammen mutig durchs Wasser, und bald war die ganze Familie am anderen Ufer wieder beisammen. Sobald sie gelandet waren, leckte sie die Babys liebkosend; dann sprang sie mir nicht entgegen, wie sie es für gewöhnlich tut, wenn sie aus dem Fluss kommt, sondern ging ganz langsam, rieb sich zärtlich an mir, wälzte sich im Sand, leckte mein Gesicht und umarmte mich schließlich. Ihr Bemühen, den Jungen zu zeigen, dass wir Freunde waren, rührte mich. Diese beobachteten uns aus einiger Entfernung interessiert, aber verwirrt und entschlossen, außer Reichweite zu bleiben.« (Quellennachweis, Adamson, >) Die Bindung zwischen Elsa und dem Ehepaar Adamson hielt ein Leben lang. Leider starb Elsa früh. Die Obduktion ergab, dass die Löwin an einer Babesien-Infektion starb, einem Parasiten, der die roten Blutkörperchen zerstört.

Virgo, die Elefantendame

Die Bindung zwischen Mensch und Tier ist, wie wir sehen, nichts Ungewöhnliches. Selbst Elefantendamen in einem Rudel bauen spezifische Bindungen zu einem Menschen auf. Douglas-Hamilton und seine Frau Oria haben dies erfahren und erlebt. Er schrieb seine Doktorarbeit über das Sozialverhalten von Afrikanischen Elefanten im Lake-Manyara-Gebiet in Tansania. Die beiden bauten eine so starke Beziehung zu der Elefantendame Virgo auf, dass Oria Douglas-Hamilton mit ihrem Baby zu Virgo gehen konnte. Sie waren unbeschreiblich glücklich, als Virgo das Baby ganz vorsichtig berüsselte. Diese Beispiele belegen, dass Wildtiere mit Menschen eine Bindung eingehen, egal ob das Wildtier in der Natur oder in der Obhut des Menschen lebt.

Warum sind wir für Tiere so interessant?

Einer der Gründe liegt auf der Hand: Tiere werden vom Menschen versorgt, und das erleichtert ihnen das Überleben. Aber diese Erklärung allein reicht nicht aus. Wie soll man sich erklären, dass Wildtiere wie Gorillas, Schimpansen, Elefanten und Delfine eine Bindung zum Menschen eingegangen sind – ohne Futterbelohnung. Es muss noch andere Beweggründe geben, die den Menschen attraktiv macht für Tiere: Sie sind psychischer Natur und von der Persönlichkeit des Tieres abhängig.

Aber bevor sich Wildtiere auf das Abenteuer einer Mensch-Tier-Beziehung einlassen, muss die Furcht des Tieres gegenüber dem Menschen überwunden werden. Das Tier muss individuell erfahren, dass vom Menschen keine Gefahr ausgeht. Hat es diese Erfahrung gemacht, nähert es sich behutsam und vorsichtig dem Menschen. Das ist in der Praxis oft ein langer Weg. Jane Goodall brauchte über ein halbes Jahr, um zwei Schimpansen-Männer von ihrer Ungefährlichkeit zu überzeugen. Als es so weit war, beschrieb sie die Situation so: »Keine achtzehn Meter weit weg saßen zwei Schimpansen-Männer und sahen mich forschend an. Die beiden großen Schimpansen-Männer fuhren ganz einfach fort, mich anzustarren. Langsam ließ ich mich nieder, und wenig später fingen die beiden an, sich gegenseitig das Fell zu pflegen, und akzeptierten mich.« Dies war der Beginn einer innigen Tier-Mensch-Beziehung. (Quellennachweis, Van Lawick-Goodall, >)

Keiner kann es besser

Aus meiner langen Erfahrung sowohl mit Wildtieren als auch mit Haustieren komme ich zur Erkenntnis, dass wir Menschen für Tiere interessante Lebewesen sind. Vorausgesetzt, wir behandeln sie wie Persönlichkeiten und respektieren ihre Persönlichkeit. Tiere auf der gleichen Augenhöhe zu betrachten, ist sowohl für das Tier als auch für uns Menschen ein Gewinn. Aufgrund der Fähigkeit, Empathie zu empfinden wie kein anderes Lebewesen, haben wir einen Schlüssel in der Hand, in die innere Welt eines anderen Organismus zu blicken. Wir sind in der Lage, die Gefühle und Verhaltensweisen eines Löwen, eines Hundes oder Pferdes zu interpretieren. Und wenn wir unseren Sinnen und Gefühlen nicht trauen, führen wir einfach Experimente durch, die unsere Auffassung unterstützen oder verwerfen.

Ein Tier, das sich verstanden fühlt, entwickelt Vertrauen, Neugier und Zuneigung dem Menschen gegenüber. Kein Tier versteht womöglich ein anderes Tier so gut wie wir. Das ist eine besondere Leistung unseres Gehirns, das einem langen Evolutionsprozess unterworfen war und ist. Wir haben es im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand, eine Bindung zwischen Mensch und Tier aufzubauen.

Unsere Hände

Wir sind in der Lage, mit unseren Händen nicht nur Klavier zu spielen oder ein Werkzeug herzustellen, sondern auch Gefühle auszudrücken, indem wir mit ihnen einen anderen Organismus streicheln und unsere positiven Gefühle auf ein anderes Lebewesen übertragen. Heute sind wir sogar in der Lage, dies naturwissenschaftlich zu messen. Untersuchungen belegen, dass bei Tieren, die gestreichelt wurden, das Stresshormon Cortisol gesenkt wird und die Bindungshormone ansteigen.

Oxytocin ist solch ein Bindungshormon. So fanden Odendaal und Meintjes heraus, »dass sowohl bei Menschen als auch bei Hunden der Oxytocin-Spiegel im Plasma nach zwei- bis fünfminütigem Streicheln des Hundes signifikant ansteigt. Dieser Anstieg war höher, wenn die Versuchsperson ihren eigenen statt eines fremden Hundes streichelte. Das legt nahe, dass der Oxytocin-Anstieg von der Qualität der Beziehung zwischen Mensch und Hund abhängig ist: Also je enger die Beziehung, desto mehr Oxytocin wird wahrscheinlich durch die Interaktion freigesetzt.« (Quellennachweis, Odendaal und Meintjes, >) Neueste Untersuchungen japanischer Forscher, deren Ergebnisse in einer der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt, nämlich »Science«, erschienen sind, belegen, welch wichtige Rolle Oxytocin bei der Mensch-Tier-Bindung spielt. Die Forscher ließen 30 Herrchen und Frauchen eine halbe Stunde mit ihren vierbeinigen Freunden spielen und schmusen. Eine Gruppe von Hundehaltern bekam den Auftrag, möglichst intensiven Blickkontakt mit ihren Tieren aufzubauen. Vorher und nachher maßen sie den Oxytocingehalt in Urinproben von Mensch und Hund. Die Auswertung war überraschend, denn bei den Menschen- und Hundepaaren, die sich am längsten in die Augen sahen, wurde ein deutlich erhöhter Oxytocin-Spiegel gemessen. In einer Kontrollgruppe mit von Hand aufgezogenen Wölfen und Pflegern fehlte dieser Effekt, obwohl die Wölfe mit den Menschen sehr vertraut waren. Aber nicht nur Hunde lieben es, gestreichelt und gekitzelt zu werden, sondern auch Ratten.

Streicheleinheiten lösen auch bei Ratten ein wohliges Gefühl aus.

Streichel- und Kitzel-Experimente bei Ratten

Jaak Panksepp, einer der führenden Köpfe der Emotionsforschung, konnte dies in seinen Experimenten nachweisen. In einem ersten Experiment wurden die Ratten in Einzelkäfigen entweder mit dem Finger gekitzelt oder gestreichelt. Die Behandlung dauerte zwei Minuten und zog sich über fünf Tage hin. Dabei zeichneten die Forscher die 50-kHZ-Laute auf, die Ratten in angenehmen Situationen äußern. Wer diese Geräusche und Rufe gehört hat, vergisst sie nicht mehr so leicht. Zumindest ging es mir so. Sie verraten das Wohlbefinden der Tiere. Die mit dem Finger gekitzelten Ratten stießen siebenmal häufiger die 50-kHZ-Laute aus als die gestreichelten Ratten. Dabei nahm die Intensität der Rufe zu – offensichtlich genossen die Ratten das Kitzeln.

Um die Ergebnisse ihrer Versuche zu erhärten, maßen die Forscher die Geschwindigkeit, mit der sich die Ratten dem kitzelnden/streichelnden Forscher näherten. Um die Hand des Forschers zu erreichen, mussten die Tiere eine Strecke von 50 Zentimeter zurücklegen. Die regelmäßig gekitzelten Ratten rannten viermal schneller als die gestreichelten.

Ich habe bis jetzt häufig den Begriff Bindung und Beziehung benutzt, ohne zu erklären, was Wissenschaftler darunter verstehen. Machen Sie mit mir einen kurzen Ausflug in das Gebäude der Wissenschaftler.

Auf der Suche nach Bindung

Der Begriff Bindung stammt aus der Psychologie und wurde von den Forschern Mary Ainsworth, James Robertson und John Bowlby eingeführt. Nach ihrer Auffassung ist Bindung eine essenzielle biologische Größe, die nicht von Hunger oder Durst abhängt. Bindung entwickelt sich auf der Grundlage des Zusammenspiels und Handelns zwischen mindestens zwei Individuen. Wie gut das Zusammenspiel ist, zeigt sich daran, wie genau das Verhalten zeitlich aufeinander abgestimmt ist, wie genau die Verhaltensweisen der Individuen ständig aufeinander bezogen sind und wie sie reguliert werden. Die erste Bindung, die ein Kind eingeht, ist die zur Mutter. Zwischen Mutter und Kind wird eine enge emotionale Beziehung aufgebaut.

John Bowlby erhielt von der Weltgesundheitsorganisation den Auftrag, einen Bericht über das Schicksal heimatloser Kinder im Nachkriegs-Europa zu verfassen. Bowlby zeigte, dass Babys genetisch vorprogrammiert sind, eine Bindung an eine feste Bezugsperson zu suchen und aufzubauen. Die sichere Beziehung zu einer vertrauten Person spielt eine wichtige Rolle bei der seelischen Entwicklung des Menschen, wie es auch bei allen anderen Primaten der Fall ist.

»Die Bindungstheorie ist im ethologischen Denken der 1960er Jahre entstanden und verbindet psychoanalytisches Wissen mit evolutionsbiologischem Denken.« (Quellennachweis, Grossmann, >) Bowlby und Ainsworth beziehen sich auf die Tatsache, dass die Bindung an die Mutter ein lebensnotwendiges System in der Entwicklung vieler Tierarten darstellt und im Laufe der Stammesgeschichte einen hohen Anpassungswert erlangt hat. Beim Menschen ist dieser Mechanismus als stammesgeschichtlicher Rest noch vorhanden; der Säugling bindet sich zwangsläufig an seine Bezugsperson. Auf der Gegenseite bildet auch die Bezugsperson eine Bindung zum Kind aus.

Eine Bindung des Kindes entwickelt sich nach Auffassung von Bowlby und Ainsworth in mehreren aufeinanderfolgenden Phasen.

Vorbindungsphase: Hier reagiert der Säugling zwar allgemein auf Menschen, besonders auf das menschliche Gesicht, jedoch ohne zwischen einzelnen Personen zu unterscheiden. Die besondere Bevorzugung des Gesichts hängt mit der Reifung der Sinnesorgane zusammen.

Entstehungsphase: Das Kind unterscheidet Personen hinsichtlich ihrer Vertrautheit. Diese Entwicklungsphase wird ab dem dritten Lebensmonat angenommen.

Bindungsphase: Man nimmt an, dass etwa ab dem siebten Monat Bindungen zu individuellen Personen ausgebildet sind. Die Fähigkeit, Personen wiederzuerkennen, setzt bestimmte kognitive Leistungen voraus. Das Kind muss eine Vorstellung davon entwickelt haben, dass bestimmte Personen oder Objekte existieren, auch dann, wenn sie nicht sichtbar sind.

Ein Foto, das Bände spricht: Mutter und Kind in inniger Vertrautheit.

Qualität der Bindung

Wichtig ist auch zu wissen, dass in der Art der Qualität der Bindungen zwischen Eltern und Kind beim Menschen große Unterschiede zwischen den Individuen bestehen. Etwas Ähnliches lässt sich auch bei Vögeln und Säugetieren beobachten – und wurde bei Primaten eingehend beschrieben. Nämlich das Phänomen, dass jede Beziehung ihre eigene Ausprägung hat und dass die Bindungen durchaus unterschiedliche Qualitäten haben.

In der Frühphase menschlicher und tierlicher Entwicklung werden entscheidende Weichenstellungen für das spätere Leben vorgenommen. Und da sind wir bei der zweiten Hauptfragestellung – dem Anpassungswert –, nämlich nach den Funktionen eines Verhaltens. Das ist ganz zweifelsfrei die Vorbereitung auf das Erwachsenenleben. Beim Menschen besteht die Vorbereitung darin, dass auf der Grundlage sicherer Beziehungen Informationen erworben werden können, die letztlich ein Zurechtfinden in der Welt ermöglichen.

Wie gut oder wie schlecht sich die Persönlichkeit eines Menschen entwickelt, ist von seiner sozialen Erfahrung abhängig. Das war eine der wichtigen Erkenntnisse von Bowlby und seiner Schülerin Ainsworth. Mithilfe der Bindungstheorie kann erklärt werden, warum emotionale Schmerzen wie Angst, Wut und Hass und auch spätere Persönlichkeitsstörungen wie Depression und emotionale Entfremdung durch elterliche Zurückweisung oder durch unfreiwillige Trennung oder den Verlust der Bindungsperson entstehen.

Wichtig zu wissen

Karin und Klaus Grossmann beschreiben in ihrem hervorragenden Buch »Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit« Langzeitstudien amerikanischer Wissenschaftler. (Quellennachweis, >)

In einer der Studien untersuchten sie die soziale und emotionale Entwicklung von Kindern im Alter von 18 Monaten bis ins Kindergartenalter aus Familien der Mittelschicht. Ergebnis: Aus sicheren Bindungen entwickelt sich kindliche Kompetenz, die sich im Kindergarten in angemessener Autonomie, Kooperationsbereitschaft, Wissbegier und einer guten emotionalen Organisation, zum Beispiel in ihrem Mitgefühl und in ihrer Frustrationstoleranz, zeigt.

Die Forschungen führten zu einem besseren Verständnis in der Frage, welchen Einfluss die frühe Bindungsqualität zur Mutter auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes hat. Sie zeigten, dass die Qualität der Mutterbindung die Grundlage für das Selbstwertgefühl des Kindes ist und wie diese Qualität seine Beziehung zu Gleichaltrigen und anderen Personen, denen es begegnet, beeinflusst.

Unter natürlichen Bedingungen baut das Neugeborene eine Bindung zu seiner Mutter auf. Aber es gibt Situationen, in denen die Mutter nicht zugegen ist. Die Mutter ist beispielsweise schwer erkrankt. Glücklicherweise kann das Baby zu jeder Pflegeperson eine Bindung aufbauen, die beruhigend mit ihm umgeht, aktiv auf es eingeht und auf seine Signale verständnisvoll reagiert.

Drahtattrappe statt Mutter

Welche verheerenden Folgen das Fehlen einer Mutter-Kind-Bindung hat, konnte das Ehepaar Harlow im Tierexperiment zeigen. Heute würde man vermutlich solche Experimente nicht mehr durchführen, und ich muss gestehen, ich hätte es auch früher nicht gemacht. Aber die Ergebnisse sind sehr aufschlussreich und unterstreichen, wie wichtig Bindungen im Säuglingsalter sind.

Die Tiere, es waren Rhesusaffenjunge, wurden sofort nach der Geburt von der Mutter getrennt und in Anwesenheit von zwei Drahtpuppen als Mutterersatz aufgezogen. Bei einer der Puppen bestand der Rumpf aus einem weichen Wolltuch, bei der anderen aus einem Drahtgeflecht. Stellte man die Affenkinder vor die Wahl zwischen Drahtmutter und Wollmutter, entschieden sie sich immer für die Wollmutter, niemals für die Drahtmutter. Sogar dann, wenn man sie an der Drahtmutter durch eine Milchflasche anlocken wollte. Die Bindung des Affenkindes entsteht demnach nicht dadurch, dass das Junge durch Nahrung belohnt wurde. Es zog die weiche Wollmutter vor. Geborgenheit ist wichtiger als Nahrung.

Die körperliche Entwicklung dieser Tiere verlief zunächst normal, und sie entwickelten sogar eine Art Anhänglichkeit an eine der Attrappen, die mit weichem Stoff überzogen war. Später stellten sich bei den mit Attrappen aufgezogenen Tieren allerdings schwere Entwicklungsschäden ein. Man spricht vom Deprivationssyndrom. Dieses Syndrom zeigt folgende Merkmale: Bewegungs-Stereotypien, allgemeine Bewegungsunruhe, aggressive Reaktionen, verbreitete Apathie, Ausreißen der Haare und viele weitere abnorme Verhaltensweisen.

Die meisten Tiere paarten sich nicht mehr, diejenigen Weibchen, die sich paarten und Kinder bekamen, waren schlechte Mütter. Sie ließen ihre Kinder widerwillig saugen. Die Lernleistungen im Vergleich zu normal aufgewachsenen Tieren waren gering, ihr Erkundungs- und Spielverhalten war gestört.

Wie wichtig ist der Partner?

Jeden Morgen im Sommer fliegt eine wilde Graugänseschar in Grünau, Österreich, ein – genau wissend, dass es hier Futter gibt. Mensch und Vogel haben sich aneinander gewöhnt. Beim näheren Hinsehen bemerkt man dann, dass die Schar aus mehreren einzelnen Paaren besteht. Gans und Ganter. Ehepaare, könnte man sagen. Sie bleiben ein Leben lang zusammen, ziehen jedes Jahr gemeinsam Kinder groß und behaupten sich gegen andere Paare.

Katharina Hirschenhauser, eine Wissenschaftlerin des Konrad-Lorenz-Instituts, untersucht das Verhalten und die Stresshormone, die Graugänse bei Trennung zeigen. Sie hat die unangenehme Aufgabe, die Frau von Ganter Max zu entführen. Die Wissenschaftlerin nähert sich vorsichtig und bedächtig dem Paar. Plötzlich, ohne hastige Bewegungen, packt sie die Gans und entführt sie. Und Max bleibt allein zurück. Wie fühlt er sich, was geht in seinem Inneren vor?

Der Kot von Max wird zur Botschaft seiner inneren Belastung. In ihm ist das Stresshormon Cortisol enthalten, das Max aus seinem Körper ausscheidet. Die Menge an Stresshormonen ist ein Maß der psychischen Belastung. Je schlechter es ihm geht, umso mehr Stresshormone finden sich in seinem Kot.

Stress oder besser Distress (= dauernd anhaltender negativer Stress) entsteht in einem Organismus, wenn er die Umweltreize und Situationen nicht mehr adäquat verarbeiten kann und er bei der Verarbeitung überfordert ist. Sein psychisches und physiologisches Gleichgewicht gerät in Schieflage. Der Körper reagiert mit einer erhöhten Nebennierentätigkeit darauf und sendet Hormone ins Blut. Bei andauerndem Stress werden die Reproduktionsrate und das Immunsystem heruntergefahren. Es kommt zu Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes oder zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Tier oder der Mensch fühlt sich nicht mehr wohl. Stressmessungen mittels Cortisol sind ein Indikator für Unwohlsein eines Individuums.

Die chemische Analyse des Kots von Max ist kompliziert, aber das Ergebnis ist eindeutig. Die Stresshormone von Max jagen nach der Entführung in die Höhe, offenbar macht ihm die Trennung von seiner Partnerin zu schaffen. Sein Hormonpegel wird erst wieder normal, wenn er seine Partnerin zurückbekommt. Zumindest auf der Ebene der Stresshormone sind uns Gänse erstaunlich ähnlich.

Der Vater der Verhaltensforschung

Die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle im oberösterreichischen Grünau trägt den Namen des bedeutenden Wissenschaftlers Konrad Lorenz. Er ist einer der Väter der Verhaltensforschung und bekam für seine Forschungen den Nobelpreis. Bilder, wie er mit seinen Graugänsen im See schwamm, gingen um die ganze Welt. Er wurde ein Star in der Wissenschaft. Was war sein Forschungsfeld? Seit frühester Kindheit interessierte er sich für Tiere und schloss mit ihnen Freundschaft. Zu vielen von ihnen hatte er eine enge Bindung, und das war auch unter anderem Teil seiner Forschung. Er stellte fest, dass sich frisch geschlüpfte Enten und Gänse in einem kurzen Zeitfenster an ihre Mutter binden. Das war nicht besonders neu und keine wissenschaftliche Sensation.

Beginnen wir die Geschichte am Startpunkt. Der dreiunddreißigjährige Konrad Lorenz wollte einmal den Vorgang, wie eine Graugans aus dem Ei schlüpft, genau beobachten. Nachdem sich das Küken aus der Eischale befreit hatte, ruhte es aus und sah in das Antlitz seines Beobachters, der gerade eine Bewegung machte und irgendein Wort sagte. Der kleine Vogel vollzog daraufhin die – wie man heute weiß – angeborene Gebärde des Grüßens nach der Art der Graugänse. Das Tierchen senkte seinen Kopf mit vorgestrecktem Hals und nach unten durchgedrücktem Nacken und äußerte den dazugehörigen (Gruß-)Laut, der freilich nur wie ein Wispern klang.