Die Jungfernfalle - Georgette Heyer - E-Book

Die Jungfernfalle E-Book

Georgette Heyer

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Beschreibung

Gefährliche Versuchungen, zweifelhafte Freier und ein schurkischer Entführer ...

Nach dem Tod ihres Vaters macht sich die junge Aristokratin Judith Taverner zusammen mit ihrem Bruder Perry auf den Weg nach London, um dort in die High Society eingeführt zu werden. Aber unmittelbar nach ihrer Ankunft haben die Geschwister ein Problem: Durch einen Fehler im Testament wurde der attraktive Julian Audley, der fünfte Earl of Worth, zum Vormund der beiden ernannt.

Während der junge Perry sich ins Londoner Getümmel stürzt und dort schnell auf die schiefe Bahn gerät, wird die hübsche Judith von heiratswilligen Lords belagert. Doch ihr arroganter Vormund Julian weigert sich partout, seine Einwilligung zu ihrer Hochzeit zu geben! Als Perry nur knapp einem Unglück entgeht, muss sich Judith fragen, wem sie eigentlich vertrauen kann ...

"Die Jungfernfalle" (im Original: "Regency Buck") entführt die Leser in das London Anfang des 19. Jahrhunderts - jetzt als eBook bei beHEARTBEAT. Herzklopfen garantiert.



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Seitenzahl: 608

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

Über dieses Buch

Nach dem Tod ihres Vaters macht sich die junge Aristokratin Judith Taverner zusammen mit ihrem Bruder Perry auf den Weg nach London, um dort in die High Society eingeführt zu werden. Aber unmittelbar nach ihrer Ankunft haben die Geschwister ein Problem: Durch einen Fehler im Testament wurde der attraktive Julian Audley, der fünfte Earl of Worth, zum Vormund der beiden ernannt. Während der junge Perry sich ins Londoner Getümmel stürzt und dort schnell auf die schiefe Bahn gerät, wird die hübsche Judith von heiratswilligen Lords belagert. Doch ihr arroganter Vormund Julian weigert sich partout, seine Einwilligung zu ihrer Hochzeit zu geben! Als Perry nur knapp einem Unglück entgeht, muss sich Judith fragen, wem sie eigentlich vertrauen kann …

Über die Autorin

Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.

Georgette Heyer

Die Jungfernfalle

Aus dem Englischen von Emi Ehm

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Copyright © Georgette Heyer, 1935

Die Originalausgabe REGENCY BUCK erschien 1935 bei William Heinemann.

Copyright der deutschen Erstausgabe:

© Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1967.

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de Unter Verwendung eines Motives © Richard Jenkins

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-5896-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1. KAPITEL

Sie hatten Newark hinter sich gelassen, und der vierspännige Reisewagen fuhr nun durch flaches Land, das dem Auge wenig bot und kaum Anlass zu einer Bemerkung gab. Miss Taverner wandte also den Blick von der Landschaft ab und kehrte sich ihrem Gefährten zu, einem blonden Jüngling, der sich in einer Ecke der Kutsche rekelte und schläfrig den Rücken des ihm zunächst sitzenden Postjungen betrachtete. »Wie langweilig, stundenlang ununterbrochen still sitzen zu müssen!«, bemerkte sie. »Wann kommen wir eigentlich nach Grantham, Perry?«

Ihr Bruder gähnte. »Himmel, weiß ich doch nicht! Du warst es ja, die unbedingt nach London wollte.« Darauf erwiderte Miss Taverner nichts, sondern griff nach dem Reiseführer, der auf dem Sitz neben ihr lag, und begann ihn durchzublättern. Der junge Sir Peregrine gähnte wieder und bemerkte, die beiden Stangenpferde, die in Newark vorgespannt worden waren, seien ansehnliche, starke Biester, ganz anders als das letzte kurzatmige Paar. Miss Taverner war in den Reiseführer vertieft und stimmte ihm zu, ohne die Augen von der eng bedruckten Seite zu heben.

Sie war ein schönes junges Frauenzimmer, überdurchschnittlich groß und seit den letzten vier Jahren daran gewöhnt, dass man sie als ein bemerkenswert hübsches Mädchen bezeichnete. Sie selbst fand ihre Schönheit durchaus nicht bewundernswert, sondern war eher geneigt, ihren Typ gering zu schätzen. Sie wäre viel lieber schwarzhaarig gewesen und hielt das Blond ihrer goldenen Locken für langweilig. Zum Glück waren ihre Brauen und Wimpern dunkel; die Augen, von einem aufsehenerregenden Blau (wie bei einer Wachspuppe, hatte sie einmal verächtlich zu ihrem Bruder gesagt), waren von einer Offenheit und einem Feuer, die ihrem Gesicht sehr viel Eigenart verliehen. Auf den ersten Blick hätte man sie als eine hübsche, langweilige Meißner-Porzellan-Figur abtun können, sah man aber näher hin, entdeckte man unweigerlich Intelligenz in ihren Augen und im Schwung ihrer Lippen einen Zug von Entschlossenheit.

Sie war zwar nett, jedoch keineswegs nach der letzten Mode gekleidet; über dem schlichten Kleid mit weitem Rock aus französischem Batist und einer Rüsche aus Languettenspitze um den Hals trug sie einen ärmellosen, eng anliegenden Mantel aus geköpertem Seidentaft. Eine Schute aus Strohgeflecht mit einem gestreiften Samtband umrahmte schmeichelnd ihr Gesicht; die lohfarbenen Yorker Handschuhe waren eng um die Handgelenke geknöpft.

Der junge Mann, der seine schläfrige Betrachtung des Postillionrückens wieder aufgenommen hatte, sah ihr sehr ähnlich. Seine Haarfarbe neigte allerdings eher zu Braun, und seine Augen hatten nicht das gleiche tiefe Blau, aber er war unverkennbar ihr Bruder. Er war ein Jahr jünger als Miss Taverner und ließ es, sei es aus Gewohnheit, sei es aus Sorglosigkeit, durchaus zu, dass sie alles so ordnete, wie es ihr gefiel. »Von Newark nach Grantham sind es vierzehn Meilen«, verkündete Miss Taverner und hob die Augen vom Reiseführer. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit ist.« Sie beugte sich wieder über das Buch. »Hier steht – es ist Kearsleys ,Unterhaltsamer Reiseführer‹, den du ja in Scarborough für mich besorgt hast –, es sei eine hübsche, dicht bevölkerte Stadt am Witham-Fluss. Nach den ausgegrabenen Resten eines Kastells zu schließen, dürfte es eine römische Garnison gewesen sein. Ich muss schon sagen, ich möchte mich dort gern ein bisschen umsehen, wenn wir Zeit dazu haben, Perry.«

»Ach Himmel, weißt du, Ruinen schauen doch überall gleich aus!«, wandte Sir Peregrine ein und vergrub die Hände in den Taschen seiner Wildlederhose. »Ich sage dir schon im Voraus, Judith, wie das ausgeht: Wenn du darauf aus bist, in allen Kastellen, die am Weg liegen, herumzuschnüffeln, werden wir eine ganze Woche unterwegs sein. Ich bin dafür, dass wir nach London durchfahren.«

»Na schön«, sagte Miss Taverner nachgiebig, klappte den Reiseführer zu und legte ihn wieder auf den Sitz. »Wir werden also im George ein zeitiges Frühstück bestellen, und du musst ihnen sagen, wann du angespannt haben willst.«

»Ich dachte, wir steigen im Engel ab?«, bemerkte Sir Peregrine.

»Nein«, erwiderte seine Schwester entschieden. »Du hast den miserablen Bericht vergessen, den uns die Mincemans über die Unterbringung dort gegeben haben. Es ist das George-Hotel, und ich habe unsere Zimmer schriftlich bestellt, weil mich Mrs. Minceman gewarnt hat, was für Aufregung und Getue sie einmal hatte, als man ihr zumutete, zwei Treppen hoch zu einem elenden Appartement im Hintertrakt hinaufzusteigen.«

Sir Peregrine wandte den Kopf und grinste sie freundschaftlich an. »Na ja, ich glaube, es gelingt ihnen bestimmt nicht, dich mit einem Hinterzimmer abzuspeisen, Ju.«

»Bestimmt nicht«, erwiderte Miss Taverner mit einer Strenge, die von dem Zwinkern in ihren Augen Lügen gestraft wurde.

»Nein, das steht fest«, fuhr Peregrine fort. »Aber ich bin gespannt darauf, wie du mit dem Alten zurechtkommen wirst, mein Liebling.«

Miss Taverner sah etwas ängstlich drein. »Ich bin doch auch mit Papa zurechtgekommen, Perry, nicht? Wenn Lord Worth bloß keine Gicht hat! Ich glaube, das war das einzige Mal, dass Papa wirklich schwierig zu behandeln war.«

»Alle alten Leute haben Gicht«, sagte Peregrine.

Miss Taverner, die die Wahrheit dieser Bemerkung anerkennen musste, seufzte.

»Und ich glaube«, fügte Peregrine hinzu, »er will nicht, dass wir nach London kommen. Wenn ich es recht bedenke – hat er das nicht sogar geschrieben?«

Miss Taverner lockerte die Schnüre ihres Retiküls und grub darin nach einem schmalen Briefpäckchen. Einen davon entfaltete sie.

»Lord Worth lässt sich Sir Peregrine und Miss Taverner empfehlen, hält es aber nicht für ratsam, dass sie die Ermüdungen einer Reise nach London in dieser Jahreszeit auf sich nehmen. Seine Lordschaft werden sich die Ehre geben, sie in Yorkshire aufzusuchen, wenn er demnächst im Norden ist. Und das«, schloss Miss Taverner, »wurde vor drei Monaten geschrieben – schau dir nur das Datum an, Perry: 29. Juni 1811 –, und nicht einmal persönlich. Ich bin überzeugt, das hat irgendein Sekretär geschrieben, oder diese grässlichen Anwälte. Verlass dich darauf, Lord Worth hat vergessen, dass wir überhaupt vorhanden sind, denn du weißt ja, alle Vorkehrungen wegen des Geldes, das wir bekommen sollen, sind von den Anwälten getroffen – und wann immer ein Problem zu regeln ist, sind sie es, die uns darüber schreiben. Wenn er also nicht mag, dass wir nach London kommen, ist es nur seine Schuld, denn er hat nicht den geringsten Versuch unternommen, zu uns zu kommen oder uns zu sagen, was wir tun sollen. Ich halte ihn für einen armseligen Vormund. Ich wollte, Vater hätte einen unserer Freunde in Yorkshire ernannt, irgendjemanden, den wir kennen. Es ist sehr unangenehm, unter der Vormundschaft eines Fremden zu stehen.«

»Na ja, wenn sich Lord Worth nicht die Mühe machen will, unser Leben zu lenken, umso besser«, sagte Peregrine. »Du willst in London eine Rolle spielen, und ich bin überzeugt, ich werde mich königlich unterhalten, wenn wir keinen mürrischen alten Vormund haben, der uns fortwährend den Spaß verdirbt.«

»Ja«, stimmte ihm Miss Taverner, wenn auch etwas zweifelnd, zu. »Aber die bloße Höflichkeit verlangt es, dass wir seine Erlaubnis einholen, wenn wir uns in London einrichten. Hoffentlich entdecken wir, dass er nichts gegen uns hat, ich meine, dass er uns als Bürde empfindet; vielleicht denkt er, es hätte eher unser Onkel als er zu unserem Vormund ernannt werden sollen. Es muss ihm sehr eigenartig vorkommen. Es ist eine peinliche Sache, Perry.«

Da als einzige Antwort darauf nur ein Brummen kam, sagte sie nichts weiter, sondern lehnte sich in ihre Ecke zurück und studierte die unbefriedigenden Botschaften, die sie bisher von Lord Worth erhalten hatte.

Es war wirklich eine peinliche Sache. Seine Lordschaft, der, wie sie überlegte, etwa fünfundfünfzig oder sechsundfünfzig sein musste, zeigte eine betonte Abneigung, sich mit den Angelegenheiten seiner Mündel zu befassen; das war zwar in einiger Hinsicht als vorteilhaft, in anderer hingegen als ausgesprochenes Übel zu betrachten. Weder sie noch Peregrine waren von daheim je weiter als bis Scarborough gekommen. Sie wussten nichts über London und hatten keine Bekannten dort, die ihnen hätten behilflich sein können. Die einzigen Leute in der ganzen Stadt, die sie kannten, waren ihr Onkel und eine Kusine, die, zwar achtbar, aber in kleinen Verhältnissen, in Kensington lebte. Miss Taverner konnte nur hoffen, dass diese Dame sie in die Gesellschaft einführte, denn ihr Onkel, ein pensionierter Admiral der Blue Squadrons, war dank gegenseitiger Abneigung und tiefem Misstrauen auf derart schlechtem Fuß mit ihrem Vater gestanden, dass es von vornherein ausgeschlossen war, seine Unterstützung oder auch nur seine Bekanntschaft zu suchen.

Sir John Taverner hatte niemals freundlich von seinem Bruder gesprochen, und wenn ihn seine Gicht am schlimmsten plagte, bezeichnete er ihn immer als einen verdammt schuftigen Kerl, dem er nicht über den Weg trauen würde. Es gab sehr wenige Menschen, über die Sir John je nett gesprochen hatte, aber vom üblen Verhalten ihres Onkels hatte er seinen Kindern so viele Beispiele angeführt, dass sie überzeugt waren, er müsse tatsächlich ein schäbiger Mensch sein, nicht etwa nur das Opfer eines Vorurteils von Sir John.

Lord Worth mochte es für eigenartig halten, dass er, der seinen alten Freund in den letzten zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, zum Vormund seiner Kinder ernannt worden war, aber die Geschwister, die ja Sir John kannten, fanden es leicht verständlich. Sir John, seit jeher jähzornig, konnte in seinen letzten Lebensjahren auch nicht mehr dazu gebracht werden, mit seinen Nachbarn freundschaftlich zu verkehren; es kam immer wieder zu Streit. Da er aber seit dem Tod seiner Frau zurückgezogen auf seinen Gütern gelebt und Lord Worth in einem Dutzend Jahren nicht öfter als dreimal begegnet war, hatte er mit ihm nicht gestritten und war allmählich und unmerklich so weit gelangt, ihn für den einzig richtigen Mann zu halten, der im Fall seines eigenen Ablebens seine Kinder in Obhut nehmen müsse. Worth war ein prächtiger Bursche; Sir John konnte sich darauf verlassen, dass er das sehr beträchtliche Vermögen, das Sir John seinen Kindern hinterlassen würde, gut verwaltete; bei Worth brauchte man keine Angst zu haben, dass er sich die eigenen Taschen füllen würde. Gesagt, getan. Die Sache wurde durchgeführt, das Testament verfasst, ohne die geringste Erwähnung, dass es auf Worth oder auf die Kinder selbst ausgestellt wurde – ein Umstand, der, wie Miss Taverner wider Willen überlegen musste, völlig mit Sir Johns anmaßender Handlungsweise übereinstimmte.

Aus diesen Überlegungen wurde sie durch das Geratter und Geholper der Kutschenräder geweckt, die jetzt über Kopfsteinpflaster fuhren; sie blickte auf und sah, dass Grantham erreicht war.

Bei der Einfahrt in die Stadt mussten die Postburschen das Tempo sehr verringern, so viel Verkehr herrschte auf den Straßen und so groß war die Menschenmenge, die sich auf den Gehsteigen, ja sogar bis auf die Fahrbahn herunter drängte.

Alles war in Geschäftigkeit und Bewegung, und als die Chaise endlich auf Sichtweite des George-Hotels kam, eines riesigen Backsteinbaus an der Hauptstraße, war Miss Taverner überrascht, als sie jede nur denkbare Zahl von Kutschen, Karriols, Gigs und Phaetons davor stehen sah.

»Nun, ich bin froh, dass ich Mrs. Mincemans Rat gefolgt bin und unsere Zimmer vorbestellt habe«, sagte sie. »Ich hatte keine Ahnung, dass Grantham so überfüllt sein könnte.«

Sir Peregrine hatte sich aufgerafft und beugte sich nun vor, um aus dem Fenster zu schauen. »Der Ort scheint ja in einer teuflischen Aufregung zu sein«, bemerkte er. »Da muss etwas Außergewöhnliches los sein.«

Gleich darauf war ihr Reisewagen in die Einfahrt zum Hof eingebogen und hielt an. Hier herrschte sogar noch größere Geschäftigkeit, und jeder Stallknecht hatte derart viel zu tun, dass eine Weile niemand zu ihrer Chaise herankam oder auch nur das geringste Anzeichen von sich gab, dass ihre Ankunft überhaupt bemerkt worden wäre.

Ein schon gestiefelter und gespornter Postbursche in einem weißen Arbeitskittel über seiner Uniform, der sich an die Wand lehnte und an einem Strohhalm kaute, betrachtete zwar die Kutsche, aber teilnahmslos, denn es gehörte nicht zu seinen Obliegenheiten, Pferde zu wechseln oder nach den Wünschen der Reisenden zu fragen; daher rührte er sich nicht von der Stelle.

Mit einem ungeduldigen Ausruf stieß Sir Peregrine den Wagenschlag auf, sprang hinaus und wies seine Schwester kurz an, still sitzen zu bleiben und zu warten. Er ging auf den lümmelnden Postburschen zu, der sich bei seinem Herannahen respektvoll aufrichtete und den Strohhalm aus dem Mund nahm. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Burschen kam Sir Peregrine zu der Chaise zurückgelaufen; seine Langeweile war verschwunden, seine Augen blitzten vor Erwartung. »Judith, das nenn’ ich ein Riesenglück! Ein Boxkampf! Denk nur! Ausgerechnet an diesem einzigen Tag im Jahr nach Grantham zu kommen, und durch den reinsten Zufall!«

»Ein Boxkampf?!«, wiederholte Miss Taverner und runzelte die Stirn.

»Ja, sag’ ich dir doch! Der Champion – Tom Cribb, du weißt ja – soll morgen hier irgendwo gegen Molyneux antreten – ich habe den Namen nicht genau verstanden, aber ganz in der Nähe. Gott sei Dank, dass du so vernünftig warst und unsere Zimmer vorbestellt hast, denn es heißt, zwanzig Meilen in der Runde sei kein Bett mehr zu haben! Also komm doch schon, Ju, trödle nicht herum!«

Die Nachricht, dass sie am Vorabend eines Preisboxens nach Grantham gekommen waren, konnte Miss Taverner kaum Freude bereiten; da sie jedoch den größten Teil ihres Lebens in der Gesellschaft ihres Vaters und ihres Bruders verbracht hatte, war sie daran gewöhnt, sehr viel über Männersport zu hören. Sie hielt es daher für völlig schicklich, dass Herren an ihm teilnahmen, und fügte sich bereitwillig in Peregrines Wunsch, sich dieses Match anzusehen. Was sie selbst betraf, so wäre sie lieber anderswo gewesen. Boxkämpfe konnten sie nur anwidern, und obwohl es natürlich nicht infrage kam, dass sie dem Schauspiel beiwohnte, würde sie sich alles darüber anhören müssen und aller Wahrscheinlichkeit nach das einzige weibliche Wesen in einem Gasthof sein, der vor sportlich gesinnten Herren überquoll. Sie versuchte zwar einen Einwand, jedoch ohne viel Hoffnung, gehört zu werden. »Aber Perry, bedenke doch! Wenn der Boxkampf morgen stattfindet, ist es Sonnabend, und dann müssen wir bis Montag hierbleiben, denn du willst doch sicher sonntags nicht reisen. Wir haben aber damit gerechnet, morgen in London zu sein.«

»Ah, pah, was, um alles in der Welt, hat das schon zu sagen?«, antwortete er. »Ich möchte diesen Kampf auf gar keinen Fall versäumen! Ich sage dir etwas: Du kannst deine römischen Ruinen erforschen, so viel du willst. Das hast du ja gewollt. Bedenke: Cribb und Molyneux! Du musst dich doch erinnern, dass ich von dem Match im letzten Jahr gesprochen habe, bei dem ich gern dabei gewesen wäre. Dreiunddreißig Runden, und der Schwarze gab auf! Aber es heißt, diesmal sei er besser in Form. Es wird ein großartiger Kampf – du wirst doch bestimmt nicht wollen, dass ich ihn versäume! Als sie das letzte Mal aufeinandertrafen, dauerte er fünfundfünfzig Minuten! Sie müssen verteufelt gleichwertig sein. So steig doch schon aus, Ju!«

Nein, Miss Taverner wollte wirklich nicht, dass Peregrine etwas versäumte, das ihm Freude machte. Also nahm sie den Reiseführer und ihr Retikül, ergriff seine dargebotene Hand und stieg aus der Chaise in den Hof hinunter.

Bei ihrem Eintritt in den Gasthof kam ihnen der Wirt zwar entgegen, schien ihnen jedoch nur sehr wenig Zeit widmen zu können. Der Kaffeesalon war bereits überfüllt, und es waren ein Dutzend Herren von Rang anwesend, die seine Aufmerksamkeit verlangten. Zimmer? In seinem Haus gab es nicht einen Winkel, der nicht bestellt gewesen wäre. Er würde ihnen raten, ein frisches Gespann zu nehmen und nach Greetham oder Stamford weiterzufahren. Er wusste es nicht – aber seiner Meinung nach gab es diesseits des Norman’s Cross wohl keinen Gasthof mit freien Zimmern. Es täte ihm leid, aber sie würden verstehen, dass das Ereignis außergewöhnlich war, und alle seine Schlafzimmer seien seit Tagen besetzt.

Das jedoch ging bei Judith Taverner nicht an, die ihr ganzes Leben lang zu befehlen gewöhnt war. »Da muss ein Irrtum vorliegen«, sagte sie mit ihrer kühlen, entschiedenen Stimme. »Ich bin Miss Taverner, Sie müssen meinen Brief schon vor einer Woche bekommen haben. Ich brauche zwei Schlafzimmer, Unterbringung für meine Zofe und den Kammerdiener meines Bruders, die gleich hier eintreffen werden, und ein eigenes Wohnzimmer.«

Der Wirt warf verzweifelt die Hände hoch, wurde jedoch durch ihr sicheres Auftreten einigermaßen beeindruckt. Zuerst war er geneigt gewesen, ein so bescheiden gekleidetes Paar zu unterschätzen, aber die Erwähnung einer Zofe und eines Kammerdieners überzeugte ihn, dass er es mit Persönlichkeiten von Rang zu tun hatte, die er nicht beleidigen wollte. Er begann mit einer Flut von Erklärungen und Entschuldigungen. Er war sicher, Miss Taverner würde unter den obwaltenden Umständen nicht zu bleiben wünschen.

Judith hob die Brauen. »Wirklich? Ich nehme an, das kann ich wohl selbst am besten beurteilen. Ich verzichte auf das Wohnzimmer, aber sei Er so gut, sofort Maßnahmen wegen unserer Schlafzimmer zu treffen.«

»Das ist unmöglich, Ma’am!«, erklärte der Wirt. »Das Haus ist zum Bersten voll. Jedes Zimmer ist belegt! Ich müsste einen der Herren hinauswerfen, um Ihnen gefällig zu sein.«

»Dann tue Er es«, sagte Judith.

Der Wirt sah flehend Peregrine an. »Sie müssen doch einsehen, Sir, ich kann mir nicht helfen. Es tut mir sehr leid wegen des Irrtums, aber da kann man nichts machen, und die Gesellschaft hier ist wirklich nicht so, dass sie der Dame gefallen würde.«

»Judith, es scheint tatsächlich, dass wir anderswohin gehen müssen«, wagte Peregrine, sehr vernünftig zu sagen. »Vielleicht nach Stamford – ich könnte von dort oder sogar von noch weiter her zu dem Wettkampf fahren.«

»O nein«, sagte Judith. »Du hast gehört, was dieser Mann hier gesagt hat – dass er glaubt, diesseits von Norman’s Cross sei nicht ein einziges Zimmer zu haben. Ich habe nicht die Absicht, ins Blaue zu fahren. Unsere Zimmer wurden hier bestellt, und wenn ein Fehler gemacht wurde, dann muss er eben berichtigt werden.«

Ihre Stimme, die sehr klar war, schien an die Ohren einer Gruppe von Männern gedrungen zu sein, die drüben am Fenster standen. Ein, zwei neugierige Blicke richteten sich auf sie, und nach kurzem Zögern kam ein Mann, der Miss Taverner seit ihrem Eintritt beobachtet hatte, zu ihnen herüber und verbeugte sich vor ihr.

»Ich bitte um Verzeihung – ich möchte mich nicht aufdrängen, aber es scheint hier irgendeine Verwirrung zu geben. Ich werde mich freuen, Ihnen meine Zimmer zur Verfügung stellen zu dürfen, Ma’am, wenn Sie mir die Ehre geben, sie anzunehmen.«

Der Mann schien siebenundzwanzig bis dreißig Jahre alt zu sein. Sein Benehmen verriet den Herrn; er hatte entschieden ein modisches Air; und sein Gesicht, zwar nicht schön, war recht angenehm. Judith deutete einen Knicks an. »Sehr freundlich von Ihnen, Sir, aber Sie werden Ihre Zimmer doch nicht zwei Fremden überlassen.«

Er lächelte. »Keineswegs, Ma’am. Wer weiß, aber vielleicht sollten meine Zimmer eigentlich ursprünglich die Ihren sein. Mein Freund und ich« – er machte eine leichte Geste, als wolle er jemanden in der Gruppe hinter sich bezeichnen – »haben Bekannte in der Gegend und können leicht eine Unterkunft in Hungerton Lodge bekommen. Ich – eigentlich sollte ich sagen, wir – freuen uns, zu Diensten sein zu können.«

Es blieb nichts übrig, als ihm zu danken und sein Angebot anzunehmen. Er machte wieder eine Verbeugung und zog sich zu seinen Freunden zurück. Der Wirt, erleichtert, dass er aus einer schwierigen Lage erlöst worden war, ging aus dem Kaffeesalon voraus und übergab seine neuen Gäste der Obhut eines Stubenmädchens. Kurz darauf sahen sie sich im Besitz zweier anständiger Zimmer im ersten Stock und hatten weiter nichts mehr zu tun, als auf das Eintreffen ihrer Koffer zu warten.

Es war eines der ersten Anliegen Miss Taverners, den Namen ihres unbekannten Wohltäters zu erfahren, als sie aber ihr Gepäck untergebracht sah und dafür gesorgt hatte, dass in ihrem Zimmer ein Feldbett für ihre Zofe aufgestellt wurde, hatte er schon den Gasthof verlassen. Der Wirt kannte ihn nicht; er war erst kurz vor den Geschwistern angekommen; er war kein ständiger Reisender auf dieser Straße.

Judith war enttäuscht, musste sich aber zufriedengeben. Es war unmöglich, in der Menge, die nach Grantham strömte, herauszufinden, wer ein Einzelner sein mochte. Sie gestand, dass sie angenehm von ihm berührt war. Er hatte etwas Wohlerzogenes an sich; der Takt, mit dem er die ganze Sache geregelt hatte, weiter, dass er sich zur passenden Zeit zurückgezogen hatte – all das machte einen günstigen Eindruck auf sie. Es hätte ihr nicht leidgetan, ihn näher kennenzulernen. Peregrine stimmte zu, dass es ein höflicher Bursche war, gestand, dass er ihm sehr verbunden sei, sich freuen würde, ihn wiederzutreffen, hielt es auch für durchaus möglich, dass sie einander in der Stadt in den Weg liefen, war jedoch eher mit der Frage beschäftigt, wie er am nächsten Tag zu dem für den Boxkampf festgesetzten Ort kommen sollte. Das Match sollte am Thistleton Gap stattfinden, gute acht Meilen südwestlich von Grantham. Er musste ein Fahrzeug finden; in seinem Reisewagen konnte er nicht fahren, das war undenkbar. Er musste ein Karriol oder ein Gig mieten, daher musste er noch vor dem Abendessen fort und zusehen, ob er zu einem kommen konnte.

Es war vier Uhr, und Miss Taverner war nicht an mondäne Essenszeiten gewöhnt. Sie wollte sofort, und zwar in ihrem Zimmer, zu Abend essen. Peregrine klopfte ihr auf die Schulter und sagte, sie würde es auf ihrem Zimmer wirklich behaglicher haben.

Judith kräuselte spöttisch die Lippen. »Na ja, weil du es gern glaubst, mein Lieber.«

»Im Kaffeesalon könntest du wirklich nicht essen«, versicherte er ihr. »Bei mir geht das sehr gut, aber nicht bei dir.«

»Also geh schon und such dir dein Karriol«, sagte Judith halb belustigt, halb ärgerlich.

Eine weitere Ermutigung war nicht nötig; im Nu war er weg und kam erst nach fünf Uhr zurück. Dann aber trat er höchst erfreut und von seinem Glück erfüllt herein. Es war unmöglich gewesen, an ein Karriol heranzukommen – es war überhaupt kein Herrenfahrzeug zu haben, er hatte jedoch von einem Gig erfahren, das irgendeinem Bauern gehörte, eine schäbige Angelegenheit, kaum mehr ein Zoll Farbe daran, aber es würde genügen – er war sofort hingegangen, um den Handel abzuschließen. Kurz und gut, er hatte das Gig hergefahren und war jetzt bereit, alles zu tun, was ein Bruder zur Unterhaltung für seine Schwester tun konnte: entweder eine Ausfahrt mit ihm zur Besichtigung von Ruinen oder was sie sonst gern unternehmen wollte. Abendessen? Oh, er hatte schon ein nettes kleines Beefsteak im Kaffeesalon verzehrt und stand ihr ganz zur Verfügung. Miss Taverner hatte zwar das Gefühl, dass eine Stadt, die vor Sportsfreunden überquoll, wohl kaum das Richtige für eine Ausfahrt war, hatte jedoch ihr Zimmer herzlich satt und stimmte dem Plan zu.

Als das Gig näher untersucht wurde, stellte sich heraus, dass es nicht ganz so schlecht war, wie Peregrine es beschrieben hatte, wenn auch ein schäbiges Ding. Miss Taverner schnitt eine Grimasse, als sie es sah. »Mein lieber Peregrine, da möchte ich lieber zu Fuß gehen!«

»Zu Fuß gehen? Himmel, davon habe ich schon genug, kann ich dir sagen! Ich dürfte bereits eine gute Meile getrampt sein. Sei doch nicht so zimperlich, Ju! Ich hätte es mir ja auch nicht ausgesucht, aber hier kennt uns doch niemand.«

»Lass lieber mich kutschieren«, bemerkte sie.

Das jedoch ging natürlich nicht an. Wenn sie meinte, sie könne es besser als er, dann irrte sie gewaltig. Das Biest war hart im Maul, hatte keineswegs eine weiche Gangart, war nichts für eine Dame.

Die Hauptstraße fuhren sie in mäßigem Tempo hinunter, kaum aber waren sie aus der Stadt draußen, als Sir Peregrine die Zügel schießen ließ und sie in hoher Geschwindigkeit, wenn auch nicht im besten Stil, dahinholperten, über jede Unebenheit hopsten und um die Ecken schwankten.

»Perry, das ist unerträglich«, sagte Judith schließlich. »Mir wackelt jeder Zahn im Mund. Du wirst noch etwas anstellen. Erinnere dich doch bitte, dass du mich zu dem römischen Kastell führen wolltest. Ich bin überzeugt, du bist auf der falschen Straße.«

»Oh, dieses verdammte Kastell habe ich ganz vergessen!«, sagte er reuig. »Ich wollte sehen, welche Straße ich morgen nehmen muss – du weißt ja, nach Thistleton Gap. Schön, schön, ich wende und fahre zurück!« Er zügelte das Pferd, während er sprach, und begann sofort zu wenden, ohne die Enge der Straße an dieser Stelle und eine besonders scharfe Kurve in nächster Nähe auch nur im Geringsten zu beachten.

»Guter Gott, was wirst du als Nächstes tun?«, rief Judith aus. »Wenn irgendetwas um die Ecke kommt! Überlass die Zügel doch mir!«

Zu spät. Er hatte das Gig genau quer zur Straße gestellt, und es bestand Gefahr, dass er in den Graben geriet, wenn seine Aufmerksamkeit abgelenkt wurde. Judith hörte das Geräusch von rasch näher kommenden Pferden und wollte die Zügel an sich reißen.

In halsbrecherischem Tempo raste ein vierspänniges Karriol um die Ecke. Schon stürmte es auf sie zu; es musste mit ihnen zusammenprallen, denn es aufzuhalten war bei dieser Fahrt unmöglich. Peregrine versuchte, leise fluchend, sein Pferd herumzuwerfen; Judith war unfähig, sich zu rühren. Sie hatte wie in einem Albtraum die Vision von vier prachtvollen Kastanienbraunen, die auf sie zudonnerten, und von einer hoch aufgerichteten Gestalt in einem Kutschiermantel mit Schultercapes, die sie lenkte. Alles war blitzartig vorüber. Die Goldfüchse wurden wie durch ein Wunder nach rechts gerissen. Das schmutzige Spritzbrett des Gigs streifte nur die Räder des Karriols, und die Goldfüchse kamen mit einen Sprung im Aufbäumen zum Stehen.

Obwohl der Anprall kaum mehr als ein klirrendes Kratzen war, erschreckte er das Bauernpferd. Es versuchte durchzugehen, im nächsten Augenblick stak ein Rad des Gigs im seichten Graben, und Miss Taverner wurde fast von ihrem Sitz geschleudert.

Sie richtete sich auf, spürte, dass ihr Hut schief saß und ihre Geduld zu Ende war, und sah, dass der Herr in dem Karriol völlig unbewegt dasaß und seine Pferde leicht am Zügel hielt. Als sie sich umdrehte, um ihn anzusehen, sagte er, nicht zu ihr, sondern über die Schulter zu einem winzigen Pagen, der hinter ihm hockte: »Räum es aus dem Weg, Henry, räum’s weg.«

Ein Wutanfall, Vorwürfe, ja selbst Flüche hätte Miss Taverner verzeihen können. Die Herausforderung war groß; sie sehnte sich selbst danach, Peregrine zu ohrfeigen. Aber diese ruhige Gleichgültigkeit überstieg alles. Ihr Zorn wandte sich unvernünftigerweise gegen den Fremden. Seine Art, seine ganze Haltung erfüllten sie mit Widerwillen. Vom ersten Augenblick an, da sie ihn erblickte, wusste sie, dass sie ihn nicht mochte. Nun hatte sie Muße, ihn näher zu betrachten, und entdeckte, dass sie ihn darum nicht weniger verabscheute. Er bot das wahre Bild des eleganten Mannes. Sein Biberhut saß auf schwarzen Locken, die sorgfältig zu scheinbarer Unordnung gebürstet waren; das Halstuch aus gestärktem Musselin stützte sein Kinn mit einer Reihe wunderschöner Falten; der Kutschiermantel aus gelbbraunem Tuch wies nicht weniger als fünfzehn Capes und eine Doppelreihe von Silberknöpfen auf. Miss Taverner musste zugeben, dass er ein sehr schöner Mensch war, es fiel ihr jedoch nicht schwer, den Schnitt seines Gesichtes zu verabscheuen. Er sah selbstbewusst aus; seine Augen, die Judith ironisch unter müden Lidern betrachteten, waren die härtesten, die sie je gesehen hatte, und verrieten kein anderes Gefühl als Langeweile. Die Nase war für ihren Geschmack zu gerade. Der Mund war sehr gut geformt, fest, aber dünnlippig. Sie hatte das Gefühl, dass er höhnisch lächelte.

Am allerschlimmsten war seine Lässigkeit. Es interessierte ihn weder, dass er geschickt einen Unfall vermieden hatte, noch die schlimme Lage des Gigs. Er hatte prächtig kutschiert; in diesen elegant behandschuhten Händen, welche die Zügel scheinbar so nachlässig hielten, musste eine unvermutete Kraft stecken – aber warum, um Himmels willen, musste er eine Miene stutzerhafter Geziertheit zur Schau tragen?

Als der Page behänd auf die Straße sprang, machte sich Miss Taverners Ärger plötzlich Luft, und sie sagte: »Wir brauchen Seine Hilfe nicht! – Wollen Sie bitte weiterfahren, Sir!«

Die kalten Augen überflogen sie. Ihr Ausdruck brachte ihr die Schäbigkeit des Gigs, ihres von einer Landschneiderin genähten Kleides, die Erscheinung, die sie und Peregrine bieten mussten, zu Bewusstsein.

»Ich wäre sehr erfreut, weiterfahren zu können, mein gutes Mädchen«, sagte der Herr im Karriol, »aber Ihre anscheinend unlenksame Stute macht mir – wie Sie vielleicht bemerkt haben – das Weiterfahren unmöglich.«

Miss Taverner war es nicht gewöhnt, so angesprochen zu werden, und ihre Laune wurde dadurch keineswegs besser. Das Bauernpferd sprang in seinen verängstigten Versuchen, das Gig aus dem Graben zu ziehen, tatsächlich quer zur Straße wie wild hin und her, aber wenn Peregrine bloß das Pferd am Kopf geführt hätte, statt an ihm herumzuzerren, dann wäre alles gut gewesen. Der Page, ein scharfgesichtiges Geschöpf unbestimmten Alters in einer schicken blau-gelben Livree, war drauf und dran, die Leitung der Angelegenheit in seine Hände zu nehmen. Unfähig, diese Würdelosigkeit zu ertragen, sagte Miss Taverner wütend: »Sir, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir Ihre Hilfe nicht brauchen! Steig ab, Perry! Gib mir die Zügel!«

»Ich habe nicht die geringste Absicht, Ihnen meine Hilfe anzubieten«, sagte der noble Herr und hob ziemlich hochmütig die Brauen. »Sie werden entdecken, dass Henry durchaus imstande ist, die Straße für mich freizumachen.«

Und jetzt hatte der Page tatsächlich die Zügel des Pferdes oberhalb des Gebisses gepackt und war damit beschäftigt, das arme Tier zu beruhigen. Das gelang bald, und im nächsten Augenblick war das Gig aus dem Graben gezogen und knapp am Straßenrand aufgestellt.

»Sie sehen, es war ganz leicht«, sagte diese Stimme, die einen rasend machen konnte.

Peregrine, der bisher zu sehr damit beschäftigt war, sein Pferd zu bändigen, um an dem Gespräch teilzunehmen, sagte zornig: »Ich bin mir bewusst, dass der Fehler auf meiner Seite lag, Sir! Durchaus bewusst!«

»Dessen sind wir uns alle bewusst«, antwortete der Fremde freundschaftlich. »Nur ein Narr hätte versucht, sein Fahrzeug ausgerechnet an dieser Stelle zu wenden. Willst du mich eigentlich noch viel länger warten lassen, Henry?«

»Ich habe gesagt, ich gebe meinen Fehler zu«, sagte Peregrine hitzig und wurde rot, »und es tut mir sehr leid! Aber ich nehme mir die Freiheit, Ihnen zu sagen, Sir, dass Sie in einem empörenden Tempo gefahren sind!«

Unerwarteterweise wurde er von dem Pagen unterbrochen, der sein plötzlich wütendes Gesicht hob und in schrillem Cockney sagte: »Du halt die Klappe, Unverschämter! Er ist der beste Fahrer im ganzen Land, ah, und dabei vergess’ ich Sir John Lade durchaus nicht! Es gibt keinen, der ihn schlagen tat, und die Vollblüter, die wir da fahren, auch nicht, und wenn sich die Stangenpferde nicht jeder eine Sehne gezerrt haben, dann ist das bestimmt auch nicht deine Schuld!«

Der Herr im Karriol lachte. »Sehr richtig, Henry, aber du wirst bemerkt haben, dass ich noch immer warte.«

»Ja, um Christi willen, Chef, komm ich denn nicht eh schon?«, protestierte der Page und kletterte auf seinen Sitz zurück.

Peregrine, der sich von seinem Erstaunen über den unvermittelten Ausbruch des Pagen erholte, sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Wir treffen uns wieder, Sir, das verspreche ich Ihnen!«

»Glauben Sie wirklich?«, sagte der Herr im Karriol. »Ich hoffe, es stellt sich heraus, dass Sie nicht recht haben.«

Das Gespann schien mit einem Sprung vorwärtszupreschen. In der nächsten Sekunde war das Karriol verschwunden.

»Unerträglich!«, sagte Judith leidenschaftlich. »Einfach unerträglich!«

2. KAPITEL

Für jemanden, der die nächtliche Stille auf dem Land gewöhnt war, wurde der Schlaf im George-Gasthof in Grantham am Vorabend eines großen Boxkampfes fast unmöglich. Die Geräusche ausgelassener Lustbarkeit aus dem Kaffeesalon fluteten bis in die frühe Morgenstunde zu Miss Taverners Schlafzimmer herauf; sie schlummerte unruhig, immer wieder von einem Lachausbruch unten, von Stimmen auf der Straße unter ihrem Fenster oder einem eiligen Schritt vor ihrer Tür geweckt. Nach zwei Uhr ließ der Lärm allmählich nach, und sie konnte endlich in einen Schlaf sinken, der durch drei lange Hornstöße dreiundzwanzig Minuten nach sieben rüde unterbrochen wurde.

Sie fuhr im Bett hoch. »Guter Gott, was ist denn jetzt wieder los?«

Ihre Zofe, ebenfalls durch den plötzlichen Aufruhr geweckt, schlüpfte aus dem Feldbett und lief zum Fenster, um durch die Jalousienbrettchen hinunterzuspähen. Sie berichtete, dass es nur die Edinburgher Postkutsche war, und blieb am Fenster, um über die Erscheinung der Passagiere in Nachtmützen zu kichern, die aus der Kutsche stiegen, um im Gasthof zu frühstücken. Miss Taverner sank völlig uninteressiert in die Kissen zurück, merkte aber bald, dass es Schluss mit der Friedlichkeit war. Das Haus war wach und rührte sich geschäftig. In kürzester Zeit gab sie jeden Versuch auf, wieder einzuschlafen, und stand auf.

Vor neun Uhr klopfte Peregrine an ihre Tür. Sie musste zum Frühstück hinunterkommen; man hatte ihm geraten, zeitig nach Thistleton Gap aufzubrechen, wenn er sich einen guten Platz sichern wollte. Er konnte daher keine Zeit vertrödeln. Sie ging mit ihm in den Kaffeesalon hinunter. Es waren nur wenige Gäste anwesend, die Passagiere der Edinburgher Postkutsche waren bereits wieder auf ihre Reise südwärts getrieben worden, und die Sportliebhaber, die am Abend zuvor einen so großen Lärm vollführt hatten, zogen es anscheinend vor, in ihren Zimmern zu frühstücken.

Wie Judith vermutet hatte, war Peregrine bei der nächtlichen Gesellschaft mit von der Partie gewesen. Er hatte Bekanntschaft mit einer Gruppe von wirklich prima Burschen geschlossen, obwohl er sich im Augenblick nicht an ihre Namen erinnern konnte, und hatte mit ihnen zusammen einer Flasche den Hals gebrochen. Das Gespräch hatte sich nur um den Boxkampf gedreht; und er blieb bei diesem Thema. Er würde auf den Champion setzen; Judith musste wissen, dass er von Hauptmann Barclay von – von –, er glaubte, es war Ury oder irgendein komischer Name gewesen, trainiert worden war, aber Perry war da nicht ganz sicher. Jedenfalls war das der Mann, der ständig Gehwettkämpfe durchführte – vielleicht hatte sie schon von ihm gehört. Es hieß, er habe Cribbs Gewicht auf vierundneunzig Kilo heruntergebracht. Cribb war in Hochform; über den Schwarzen wusste Perry nichts, obwohl man nicht leugnen konnte, dass er um vier Jahre jünger als Cribb war. Cribb musste jetzt auf die dreißig zugehen. So ging das immer weiter, während Judith frühstückte und ein Ja oder Nein einwarf, wo es verlangt wurde.

Peregrine hatte keinerlei Gewissensbisse, sie am Vormittag ihren eigenen Plänen zu überlassen; die Stadt würde ausgestorben sein, und sie konnte mit völligem Anstand allein ausgehen; sie brauchte nicht einmal ihre Zofe mitzunehmen.

Sowie er gefrühstückt hatte, war er mit einem Päckchen belegter Brote in der einen und einer Flasche in der anderen Tasche auf und davon. Es war nicht schwer für ihn, den Weg zum Kampfplatz zu finden: Er brauchte nur dem Verkehrsstrom über eine Entfernung von acht Meilen zu folgen. Alles war nach Thistleton Gap unterwegs, in jedem nur erdenklichen Gefährt von plumpen Kutschen bis zu Bauernkarren, und sehr viele, die sich keinen Platz auf einem Leiterwagen erbitten oder kaufen konnten, gingen zu Fuß. Natürlich kam man nur langsam vorwärts, aber endlich war der Schauplatz des Kampfes erreicht, ein Stoppelfeld nicht weit von Crown Point. Er schien bereits überfüllt zu sein. In seiner Mitte waren Männer eifrig damit beschäftigt, ein siebeneinhalb Meter hohes Gerüst für den Boxring zu errichten.

Peregrine wurde zu einem Teil des Platzes gewiesen, wo sich die Fahrzeuge der Vornehmen aufstellen sollten, und rückte dort so nahe wie nur möglich an den Ring heran. Es war noch etwas Zeit bis zum Beginn des Kampfes, er war jedoch in gehobener Stimmung und entdeckte sehr viel, was ihn fesselte, während er die allmählich dichter werdende Menge interessiert beobachtete. Das Publikum war zum Großteil ziemlich derb, aber gegen Mittag wurde die Zahl der Kutschen größer als die der Bauernwagen. Das Einzige, was Peregrines Vergnügen etwas trübte, war der Umstand, dass er keinen einzigen Bekannten unter den ihn umgebenden Lebemännern hatte, dass sein Gig ungewöhnlich schäbig war und sich sein Kutschiermantel nur dreier bescheidener Schulterkragen rühmen konnte. Das waren einige Übel, aber er vergaß sie sofort, als jemand dicht neben ihm sagte: »Da – Jackson ist eingetroffen!«

Einsamkeit, Mantel und Gig wurden sofort unwichtig: Da war also Gentleman Jackson, der einstige Champion und jetzt der berühmteste Boxlehrer Englands.

Er ging mit einem Mann auf den Ring zu. Sowie er auf die Bretter sprang, jubelte ihm die Menge zu, was er mit einem Lächeln und einem gut gelaunten Winken zur Kenntnis nahm.

Sein Gesicht war keineswegs einnehmend, da die Stirn zu niedrig, Nase und Mund ziemlich derb und die Ohren abstehend waren; aber er hatte schöne Augen, die einen voll und durchdringend ansahen, und seine Gestalt war, obwohl er über vierzig war, mit ihrer Anmut und ihren vollkommenen Maßen noch immer bemerkenswert. Er hatte sehr kleine Hände, und von seinen Fesseln, von denen es hieß, sie seien wunderschön geformt, waren Gipsabgüsse gemacht worden. Er war gut, aber unauffällig angezogen und benahm sich ruhig und bescheiden.

Gleich darauf verließ er den Ring und kam herüber, um mit einem rothaarigen Mann in einem Tilbury in der Nähe von Peregrines Gig zu sprechen. Ein paar junge Stutzer begrüßten ihn lauthals, und es wurde sehr viel gescherzt und gelacht, worin Peregrine liebend gern eingestimmt hätte. Aber es würde ja nun nicht mehr sehr lange dauern, hoffte er, bis auch er eine Wette anbieten konnte, dass er bei Jackson während ihres nächsten gemeinsamen Sparrings unversehens einen Schlag landen würde. Und zweifellos würde John Jackson die Wette ablehnen, genauso, wie er jetzt mit humorvollem Lächeln und dem liebenswürdigen Scherz ablehnte, dass das der reinste Raub wäre. Jeder, selbst Sir Peregrine Taverner, der in seinem Leben London noch nicht näher gekommen war als bis zu der Stelle, an der er sich jetzt befand, wusste, dass es keinem von Jacksons Schülern je gelungen war, bei dem Meister einen Schlag zu landen, wenn es ihm beliebte, jemandem dieses Privileg zu verweigern.

Bald darauf kehrte Jackson zu einer Gruppe von Herren dicht am Ring zurück, denn er sollte gleich als Schiedsrichter fungieren, und leitete wie gewöhnlich die Vorbereitungen. Peregrine war so sehr damit beschäftigt, ihn zu beobachten, und an Jacksons berühmte Boxschule in der Old Bond Street Nr. 13 zu denken und wie bald er selbst dort Unterricht nehmen würde, dass er die Ankunft eines vierspännigen Karriols übersah, das sich geschickt auf einen Platz unmittelbar neben seinem Gig einreihte und anhielt.

Eine Stimme sagte: »Kraft ist etwas Vortreffliches, aber mit Maß und Ziel, Worcester, um Himmels willen, mit Maß und Ziel! Ich dachte, George hätte dir einen Wink zukommen lassen?«

Die Stimme war ganz leise, hatte jedoch zur Folge, dass Peregrine den Kopf mit einem Ruck umwandte und dass er zusammenfuhr. Sie gehörte einem Herrn, der ein Gespann von braunen Vollblütern fuhr und einen Kutschiermantel mit fünfzehn Schulterkragen trug. Er hatte zu einem Stutzer mit einem ungeheuer hohen Kragen und Halstuch gesprochen, der rot wurde und sagte: »Oh, sei verdammt, Julian!«

Wie es das Pech haben wollte, hatte Peregrine, als er zusammenfuhr, unwillkürlich die Zügel gestrafft, und das Bauernpferd begann rückwärtszugehen. Peregrine hielt es sofort wieder an, aber doch nicht rechtzeitig genug, sodass die rechte Seite seines Spritzbretts ganz leicht die linke des Karriols streifte. Er hätte vor Ärger laut fluchen können.

Der Herr im Karriol drehte sich um, die Brauen schmerzlich erstaunt gehoben. »Mein liebwertester Herr«, begann er und verstummte. Das Erstaunen wich einem resignierten Ausdruck. »Das hätte ich wissen können«, sagte er. »Schließlich haben Sie sich ja diese Begegnung versprochen, nicht?«

Es wurde ganz leise gesagt, aber Peregrine, rot vor Verdruss, hatte das Gefühl, dass nun aller Augen auf ihn gerichtet waren. Jedenfalls beugte sich der Herr mit dem hohen Kragen vor, um ihn über das dazwischenstehende Karriol hinweg anzusehen. Peregrine stieß hervor: »Ich habe Ihren Wagen kaum berührt! Ich konnte nichts dafür, wenn ich es tat!«

»Nein, das ist es ja, was ich beklage«, seufzte sein Quäler. »Ich bin überzeugt, dass Sie nichts dafür konnten.«

Sehr rot geworden, sagte Peregrine: »Sie brauchen keine Angst zu haben, Sir! Dieser Platz ist mir nicht mehr gut genug, versichere ich Ihnen!«

»Aber was ist denn los? Was hast du gesagt, Julian?«, fragte Lord Worcester neugierig. »Wer ist das?«

»Ein Bekannter von mir«, antwortete der Herr im Karriol. »Ungesucht, aber verdammt oft wiederkehrend.«

Peregrine nahm die Zügel in die Hände, die keineswegs ruhig waren. Vielleicht fand er keinen anderen Platz mehr, aber hierbleiben, das würde er nicht. Er sagte: »Ich werde Sie von meiner Anwesenheit erlösen, Sir!«

»Danke«, murmelte der andere mit einem leisen Lächeln.

Das Gig fuhr ohne Zwischenfall aus der Reihe und wurde mit ungewöhnlicher Umsicht durch das Gedränge gelenkt. In der ersten Wagenreihe gab es jetzt keine Lücke mehr, in die sich ein Gig hätte quetschen können. Nachdem Peregrine die lange Reihe entlanggefahren war, begann er seine Voreiligkeit zu bedauern. Aber gerade als er in einen Weg, der zwischen den Reihen offen gelassen worden war, einbiegen wollte, um nach hinten zu gelangen, rief ihn ein junger Herr in einem schicken Rennwagen gutmütig an und machte sich erbötig, etwas näher an die Kutsche zu seiner Rechten zu rücken und somit einen Platz für das Gig zu schaffen.

Peregrine nahm dieses Angebot dankbar an, und nach einigem Manövrieren und einigen Protesten der Männer, die auf dem Kutschendach saßen, war Platz geschaffen, und Peregrine konnte sich wieder wohlfühlen.

Der Besitzer des Rennwagens schien ein freundlicher junger Mann zu sein. Er hatte ein pausbäckiges, lächelndes Gesicht mit etwas verschmitzten Augen und war in eine blaue einreihige Jacke mit langer Taille gekleidet, trug eine blaue Weste mit zollbreiten gelben Streifen, eine Hose aus Plüsch, die am Knie mit Bändern und Rosetten gebunden war, Kurzstiefel mit sehr langen Stulpen und eine erstaunliche Krawatte aus weißem, schwarz getupftem Musselin. Über alledem trug er einen Kutschiermantel aus gelbbraunem Tuch, der nachlässig offen stand und zwei Reihen Taschen, ein Belcherbrusttuch, unzählige Schulterkragen und eine große Knopflochblume aufwies.

Nachdem dieser junge Mann befriedigt festgestellt hatte, dass Peregrine trotz seines Gigs und seiner altmodischen Kleidung kein bloßer Bauernlümmel war, begann er ein Gespräch mit ihm; und Peregrine erfuhr sehr schnell, dass der junge Mann Henry Fitzjohn hieß, in der Cork Street wohnte, noch nicht lange von Oxford abgegangen und in der Erwartung nach Thistleton Gap gekommen war, sich hier einigen Freunden anzuschließen. Er hatte sie jedoch verfehlt, entweder weil sie noch nicht eingetroffen waren oder weil die Menschenmenge zu groß war, als dass er ihren Standplatz hätte entdecken können, und er war daher gezwungen gewesen, sich ohne sie einen Platz zu sichern oder aber die Chance zu verpassen, sich den Kampf anzusehen. Sein Anzug war die Klubtracht des Four-Horse-Klubs, in den er, wie er Peregrine naiv informierte, eben erst in diesem Jahr als Mitglied aufgenommen worden war.

Er hatte auf den Champion als Gewinner dieses Kampfes gesetzt, und als er entdeckte, dass Peregrine ihn noch nie gesehen hatte – noch auch sonst jemanden der anwesenden Prominenten –, übernahm er es, ihm jede interessante Persönlichkeit zu zeigen. Das dort war Berkeley Craven, einer der Unparteiischen, der die Wetteinsätze verwahrte und jetzt mit Oberst Hervey Aston neben dem Ring stand. Aston war einer der engsten Freunde des Herzogs von York und ein großer Gönner des Boxsports. Sah Peregrine dort den etwas beleibten Mann mit der schiefen Schulter, der auf Jackson zuging? Das war Lord Sefton, ein großartiger Kerl! Und dort drüben rechts stand Hauptmann Barclay und sprach mit Sir Watkin Williams Wynne, der bei jedem Kampf anzutreffen war. Mr. Fitzjohn nahm an, dass keiner der Herzöge des königlichen Hofs anwesend war; er konnte keinen erblicken, obwohl er gehört hatte, dass man die »Alte Teerjacke« erwartete – Clarence natürlich.

Peregrine verschlang das alles und fühlte sich sehr klein und unwissend. In Yorkshire kannte er jedermann und war selbst überall bekannt, aber in Londoner Kreisen war das offenkundig anders. Beverley Hall und das Vermögen der Taverner zählte nichts; hier war er nichts als ein unbekannter Provinzler.

Mr. Fitzjohn zog eine riesige Zwiebel heraus und sah nach, wie spät es war. »Schon zwölf vorbei«, verkündete er. »Wenn die Behörden von dem hier Wind bekommen haben und es verhindern wollen, wird das einen verdammten Stunk geben!«

Eben in diesem Augenblick erhob sich ein Hurrageschrei, gemischt mit Buhrufen und einigem verächtlichem Gebrüll, und Tom Molyneux, von seinen Sekundanten, dem Schwarzen Bill Richmond, und Bill Gibbons, dem Schiedsrichter, begleitet, ging auf den Ring zu.

»Er sieht aus, als sei er ein starker Kerl«, sagte Peregrine und betrachtete prüfend das, was er von dem Neger sehen konnte, der in einen Mantel gehüllt war.

»Wiegt etwa zwischen einundneunzig und achtundneunzig Kilo«, sagte Mr. Fitzjohn kenntnisreich. »Es heißt, es gehe leicht mit ihm durch. Sie haben den Kampf im Vorjahr nicht gesehen? Nein, natürlich nicht – ich habe vergessen. Nun, wissen Sie, er war schlecht, sehr schlecht. Man hat ihn ausgepfiffen. Weiß nicht, warum, denn Richmond pfeifen sie nicht aus, und der ist auch ein Schwarzer. Vermutlich nur deshalb, weil alle wollten, dass Cribb gewinnt. Aber es war durchaus nicht das Richtige, und der Schwarze bildete sich deshalb ein, dass er nicht fair behandelt wurde, obwohl alles natürlich barer Unsinn war. Cribb ist eben der Bessere, der beste Kämpfer, den ich im Leben gesehen habe.«

»Haben Sie je Belcher gesehen?«, fragte Peregrine.

»Nein, leider«, sagte Mr. Fitzjohn bedauernd. »War noch vor meiner Zeit, obwohl ich doch die Möglichkeit gehabt hätte, bei seinem letzten Kampf vor einigen Jahren dabei zu sein, als er von Cribb geschlagen wurde. Aber es tut mir eigentlich nicht leid, dass ich es versäumt habe. Es heißt, es sei ohnehin mit ihm vorbei gewesen, und dann war da natürlich diese Sache mit seinem Auge – er hatte damals nur noch eines, müssen Sie wissen. Mein Vater sagt, es habe zu seiner Zeit keinen Boxer gegeben, der ihm das Wasser hätte reichen können. Ich werde nie vergessen, was mir mein Vater über Wimbledon erzählte, als Belcher dort Gamble in fünf Runden knock-out geschlagen hatte. Zwanzigtausend Zuschauer waren damals dabei. Mein Vater erzählte mir, dass der Ring in Sichtweite des Galgens stand und man die ganze Zeit hören konnte, wie es knarrte, wenn der Wind Jerry Avershaw, der dort in Ketten hing, bewegte. Holla, es sieht danach aus, dass es losgeht! Da bindet der alte Gibbons schon die Fähnchen in den Farben seines Mannes an die Seile. Sehen Sie, hochrot und orange. Cribb trägt das alte blaue Adonisröschen. Ha, dort ist John Gully! Cribb muss eingetroffen sein! Wer wohl sein Helfer ist? Jetzt werden sie jeden Augenblick ihre Hüte in den Ring werfen. Cribb hat heute im Blauen Ochsen im Witham Common übernachtet, und ich glaube, Molyneux im Ram Jam. Ich kann nicht genau erkennen, warum sie sich verspätet haben. Himmel, hören Sie sie nur johlen! Das muss bestimmt Cribb sein! Ja, dort geht er. Er hat Joe Ward bei sich, das muss sein Helfer sein. Sieht so aus, dass er gut in Form ist, nicht? Ich habe fünfhundert Pfund Sterling auf ihn gesetzt, und noch einmal dasselbe, dass er als Erster seinen Gegner zu Boden gehen lässt. Das Einzige ist nur, dass er langsam ist, das ist nicht zu leugnen. Aber vorzüglicher Kampfgeist, und kneift nie.«

Der Hut des Champions war nun in den Ring geworfen worden, er selbst war ihm gefolgt und beantwortete das ihn begrüßende, ermutigende Hurrageschrei und Johlen mit einem breiten Lächeln und Winken. Er war ein wenig größer als der Schwarze, ein schwer gebauter, aber leichtfüßiger Kämpfer. Er schien tatsächlich in guter Form zu sein, aber so wirkte auch Molyneux, als er sich aus seinem Mantel schälte. Der Schwarze hatte eine ungeheure Reichweite und einen muskulösen Oberkörper. Er sah ganz so aus, als sei er ein furchterregender Gegner, aber die Wette stand unentwegt auf drei zu eins für Cribb.

Kurz darauf verließen die Sekundanten und Helfer den Ring, und genau achtzehn Minuten nach zwölf (wie Mr. Fitzjohn mit einem Blick auf seine Uhr feststellte) begann der Kampf.

Ungefähr eine Minute lang sparrten beide Männer vorsichtig, dann ging Cribb spielerisch mit der Rechten und Linken vor, Molyneux gab leicht ins Gesicht zurück, und es erfolgte ein schneller Schlagwechsel. Der Champion legte einen Kehlschlag ein, und Molyneux ging zu Boden.

»Beide gleichwertig, bis jetzt«, sagte Mr. Fitzjohn weise. »Reiner Schaukampf. Aber Cribb kommt ja immer langsam in Fahrt. Kämpft regelgerecht, nicht?«

In der nächsten Kampfphase begann der Champion als Erster zu bluten, am Mund, und plötzlich begann ein flotter Schlagwechsel. Cribb legte einen guten Schlag mit der Rechten ein; Molyneux gab wie der Blitz zurück, mit einem linken Haken ins Gesicht, worauf sich ein schneller Kampf auf Halbdistanz entwickelte. Sie klammerten, und nach einem wilden Ringen warf Molyneux Cribb mit einem Cross.

Mr. Fitzjohn, der erregt aufgesprungen war, setzte sich wieder hin und sagte, es sei nichts passiert. Peregrine, der bemerkte, dass das rechte Auge des Champions seit dem letzten Schlagwechsel fast geschlossen war, hatte wider Willen das Gefühl, dass Molyneux der Bessere sei. Er besaß eine ungeheure Schlagkraft, kämpfte draufgängerisch und schien schneller als Cribb zu sein.

Die dritte Runde begann mit einem kurzen Scheinkampf; dann brachte Cribb einen Doppelschlag an, der Molyneux zurücktaumeln ließ. Die Menge brüllte auf, aber der Schwarze blieb auf den Beinen und griff wieder an. Eineinhalb Minuten kämpften sie schnell und verbissen, dann klammerten sie wieder, und von Neuem warf Molyneux Cribb zu Boden.

»Der Schwarze gewinnt!«, rief Peregrine aus. »Er kämpft wie ein Tiger. Ich wette zwei zu eins in fünfzig Pfund mit Ihnen, dass der Schwarze gewinnt!«

»Abgemacht!«, sagte Mr. Fitzjohn prompt, obwohl er eine Spur ängstlich aussah.

In der vierten Runde schlug Molyneux Cribb weiter ins Gesicht, legte einige Haken ein und ließ seinen Gegner bluten. Mr. Fitzjohn wurde unruhig, denn es war zu sehen, dass Cribb an beiden Augen verletzt war. Molyneux schien jedoch in arger Bedrängnis zu sein. Sein mächtiger Brustkasten hob und senkte sich, und der Schweiß floss in Strömen an ihm herunter. Der Champion lächelte, aber die Runde endete doch wieder damit, dass er zu Boden ging.

Peregrine war völlig überzeugt, dass der Schwarze gewinnen würde, und konnte nicht verstehen, wieso noch immer sieben zu vier zugunsten Cribbs geboten wurde.

»Pah, Cribb hat noch gar nicht begonnen!«, sagte Mr.

Fitzjohn tapfer. »Der Schwarze sieht schon mächtig hergenommen aus.«

»Aber sehen Sie Cribbs Gesicht an!«, erwiderte Peregrine.

»Himmel, da ist nichts dabei, dass ihm der Schwarze Blut abgezapft hat. Er schlägt ja die ganze Zeit ins Gesicht. Aber ich sage Ihnen, geben Sie acht, wie Cribb aufs Ganze geht. Der wird seinen Mann schon noch niederprügeln, obwohl ich nicht leugne, dass der Schwarze Mumm zeigt.«

Beide Boxer gingen in der nächsten Runde rechtzeitig aufeinander los. Molyneux behielt jedoch entschieden die Oberhand im Schlagwechsel. Cribb ging zu Boden, und die Menge stieß ein zorniges Gebrüll der Missbilligung aus. Einige schrien »Foul!«, und kurze Zeit sah es danach aus, als würde der Ring gestürmt werden.

»Ich glaube, der Schwarze hat zugeschlagen, während Cribb niederging«, sagte Mr. Fitzjohn. »Ich glaube, das muss es gewesen sein. Aber Sie sehen, Jackson macht kein Zeichen; also kann es kein fauler Schlag gewesen sein.«

Der Aufruhr legte sich, als beide Kämpfer zur sechsten Runde antraten. Es war jetzt zu sehen, dass Molyneux nach Luft rang. Cribb war noch immer sehr munter. Er wich einem ziemlich wilden Ausfall von links und rechts aus und legte einen Schlag gegen den Körper ein. Molyneux gelang es, ihn abzufangen, er krümmte sich aber sofort darauf nach einem schauerlichen Schlag gegen den Hals. Zwar entkam er, blutete jedoch grässlich.

»Was habe ich gesagt?«, schrie Mr. Fitzjohn. »Guter Gott, dem Schwarzen ist speiübel! Der ist ganz weg! Cribb treibt ihn vor sich her!«

Der Schlag schien den Schwarzen tatsächlich arg erschüttert zu haben. Er schlug zu kurz zu und taumelte derart um den Ring, dass es den rüderen Teil der Zuschauer zu Hohngelächter und gellendem Geschrei reizte. Cribb folgte ihm um den Ring herum und ließ ihn durch einen Schlag auf volle Armeslänge zu Boden gehen.

Die angebotenen Wetten stiegen auf fünf zu eins, und Mr. Fitzjohn konnte vor Aufregung kaum still sitzen. »In der nächsten Runde ist Schluss«, sagte er. »Der Schwarze ist außer sich vor Wut.«

Er behielt jedoch nicht recht. Molyneux kam rechtzeitig hoch, ging in den Angriff und brachte ein, zwei Schläge an. Cribb legte einige Geraden an die Kehle ein und trat nach jedem Schlag zurück. Der Schwarze folgte ihm nach und stürzte, aber ob von einem Schlag oder aus Erschöpfung, konnten weder Peregrine noch Fitzjohn erkennen.

Richmond brachte Molyneux rechtzeitig wieder hoch. Er kämpfte mutig, schätzte aber seine Distanz schlecht ein. Cribb tat mit ihm, was er wollte, nahm seinen Kopf in den Schwitzkasten und schlug so lange zu, bis der Schwarze zu Boden ging.

»Eine todsichere Sache!«, rief Mr. Fitzjohn aus. »Man sieht, wie Richmond und Bill Gibbons an ihm arbeiten, aber ich glaube, er ist erledigt … Nein, bei Gott, er kommt doch wieder hoch! Verdammich, der Bursche hat einen vortrefflichen Kampfgeist, sag einer, was er will! Aber erledigt ist er, Taverner. Möcht‹ wissen, warum Richmond das Handtuch nicht wirft … He, das hat ihn fertiggemacht! Was für eine Linke! Genug, um ihm den Kiefer einzudreschen!«

Der Schwarze war wie ein Holzklotz zu Boden gegangen. Er wurde zu seiner Ecke gezogen, anscheinend besinnungslos, und es schien unmöglich, dass er sich in der halben Minute erholen konnte. Cribb jedoch, der trotz seines entstellten Gesichts munter wie eh und je schien, vergab seine Chance und entzückte die Zuschauer ungeheuer, indem er einen Schottischen um den Ring tanzte.

Molyneux machte sich vom Knie seines Sekundanten los, aber es war klar, dass er nichts mehr auszurichten vermochte. Er wagte den mutigen Versuch, loszugehen, stürzte aber fast sofort.

»Ich glaube, Cribb hat ihm den Kiefer gebrochen«, sagte Mr. Fitzjohn, der den Schwarzen genau beobachtete. »Verdammt, der Mann ist erledigt. Richmond sollte das Handtuch werfen. Das ist doch nicht mehr sportlich. Gott, er ist wieder auf, voller Courage! Nein, aber fertig ist er doch. Jetzt kriegt ihn nichts mehr auf die Beine. Ah, sehen Sie –, Richmond erkennt es auch! Er wird sein Handtuch werfen.« Hier brach Mr. Fitzjohn ab, um in das Hurragebrüll einzustimmen.

Auf der Bühne tanzten der Champion und Gully, sein Sekundant, einen schottischen Rundtanz, um den Sieg zu verkünden. Peregrine schwenkte ebenso wie Mr. Fitzjohn seinen Hut, brüllte mit und setzte sich mit dem Gefühl, dass er einen großartigen Kampf gesehen hatte. Es machte ihm nicht das Geringste aus, dass er eine ziemlich große Summe an ihm verloren hatte. Er tauschte Visitenkarten mit Mr. Fitzjohn aus, ließ sich von diesem kenntnisreichen jungen Herrn das beste Hotel sagen, in dem man in London absteigen konnte, versprach ihm, ihn bei erster Gelegenheit in der Cork Street zu besuchen, um seine Schuld zu begleichen, und trennte sich von ihm in der angenehmen Überzeugung, dass er jetzt wenigstens einen Bekannten in London besaß.

3. KAPITEL

Miss Taverner verbrachte einen angenehmen Vormittag mit der Besichtigung der Stadt. Es war kaum jemand auf der Straße, und dieser Umstand sowie das schöne Wetter verlockten sie, nach ihrem Mittagsimbiss – bestehend aus Kuchen und Wein – noch einen weiteren Spaziergang zu unternehmen. Im George gab es für sie nichts zu tun, als an ihrem Schlafzimmerfenster zu sitzen und auf Peregrines Rückkehr zu warten, und diese Aussicht empfahl sich ihr nicht. Das Umherschlendern in der Stadt hatte sie nicht ermüdet; vom Stubenmädchen erfuhr sie, dass die Kirche von Great Ponton, nur drei Meilen von Grantham entfernt, allgemein für besichtigenswert gehalten wurde. Miss Taverner beschloss, zu Fuß hinzugehen, lehnte die Begleitung ihrer Zofe ab und machte sich kurz vor Mittag auf den Weg.

Der Spaziergang war hübsch, und das Erklettern der steilen Landstraße zu dem winzigen Dorf Great Ponton belohnte Miss Taverner durchaus für ihren Unternehmungsgeist. Plötzlich tat sich vor ihr ein schöner Ausblick ins Land auf, und einige Schritte bergab über einen Seitenweg führten sie zu der Kirche, einem sehr schönen Beispiel spätgotischen Stils, mit einem zinnenbewehrten Turm und einer eigenartigen Wetterfahne in Form einer Geige auf einer seiner Zinnen. Sie fand niemanden, von dem sie die Geschichte dieser seltsamen Wetterfahne hätte erfahren können; nachdem sie also die Kirche besichtigt und kurze Zeit auf einer Bank davor ausgeruht hatte, begab sie sich auf den Rückweg nach Grantham.

Am Fuß des Dorfhügels schlüpfte ein Stein in ihre rechte Sandale, und nach einem kurzen Stück Weges wurde das Gehen unbehaglich. Miss Taverner bemühte sich, den Stein mit den Zehen zu verschieben, aber es half nichts. Wenn sie nicht den ganzen Weg nach Grantham humpeln wollte, musste sie den Schuh ausziehen und den Stein herausschütteln. Sie zögerte, denn sie befand sich auf der Landstraße und wollte nicht von irgendeinem zufällig daherkommenden Reisenden in Strümpfen angetroffen werden. Ein, zwei Wagen waren schon vorbeigefahren, und sie nahm an, dass sie von Thistleton Gap zurückkamen. Im Augenblick war jedoch nichts in Sicht. Sie setzte sich auf die Böschung am Straßenrand und zog ihren Rüschenrock ein paar Zentimeter hoch, um an die Bänder ihrer Sandale heranzukommen. Wie es das Pech haben wollte, hatten sich diese zu einem Knoten verwickelt, und sie brauchte eine Weile, um ihn aufzuknüpfen. Das war ihr eben gelungen und sie schüttelte den Stein aus dem Schuh, als ein vierspänniges Karriol in Sicht kam, das in flottem Tempo in Richtung Grantham fuhr.

Miss Taverner warf die Sandale hinter sich und ließ hastig den Rock fallen, nicht jedoch, wie sie unbehaglich fühlte, bevor der Besitzer des Karriols einen Blick auf ihre wohlgeformte Fessel erhascht hatte. Sie hob ihren Sonnenschirm auf, den sie am Fuß der Böschung hatte fallen lassen, und tat, als betrachte sie interessiert die gegenüberliegende Straßenseite.

Das Karriol fuhr neben ihr vor und verlangsamte die Fahrt. Miss Taverner warf einen flüchtigen Blick hinauf und wurde steif. Das Karriol hielt.

»Wieder einmal die Schönheit in Nöten?«, erkundigte sich eine wohlbekannte Stimme.

Miss Taverner hätte alles in der Welt darum gegeben, aufstehen und in entgegengesetzter Richtung davongehen zu können. Das jedoch stand nicht in ihrer Macht. Sie konnte nur ihren Fuß unter dem Rock verstecken und sich taub stellen.

Das Karriol fuhr dicht an den Straßenrand. Auf ein Zeichen seines Fahrers sprang der Page, der hinten hockte, ab und lief zu den Köpfen der Seitenpferde vor. Miss Taverner wütete innerlich und wandte den Kopf ab.

Der Besitzer des Karriols stieg gemächlich ab und kam auf sie zu. »Warum so schüchtern?«, fragte er. »Sie hatten doch eine Menge zu sagen, als ich Sie gestern traf?«

Miss Taverner drehte sich um und sah ihn an. Ihre Wangen waren rot geworden, aber sie antwortete ohne das geringste Zeichen von Schüchternheit: »Wollen Sie bitte weiterfahren, Sir. Ich habe Ihnen nichts zu sagen, und meine Angelegenheiten gehen Sie nichts an.«

»Das – oder etwas sehr Ähnliches – haben Sie mir schon einmal gesagt«, bemerkte er. »Verraten Sie mir: Sind Sie sogar noch hübscher, wenn Sie lächeln? Ich habe nichts auszusetzen, überhaupt nichts: Die Gesamtwirkung ist reizend – und noch dazu in Grantham gefunden, von allen unwahrscheinlichen Orten! –, aber ich möchte Sie ohne den finsteren Blick sehen.«

Miss Taverners Augen blitzten.

»Prachtvoll!«, sagte der Herr. »Blondinen sind zwar derzeit nicht gerade in Mode, aber Sie sind etwas völlig Ungewöhnliches.«

»Und Sie sind unverschämt, Sir!«, sagte Miss Taverner.

Er lachte. »Im Gegenteil, ich bin äußerst höflich.«

Sie sah ihm voll in die Augen. »Wenn mein Bruder bei mir wäre, hätten Sie mich nicht auf diese Weise angesprochen.«