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Die Mirabellen meiner Mutter E-Book

Emma Blix

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Beschreibung

Die Katze ist tot, die Beziehung gescheitert. Für Andrea ist ein Neustart angesagt. Trotz aller privater Turbulenzen feiert sie ihren fünfzigsten Geburtstag mit Freunden, Familie und der Verwandtschaft – um dabei zu erkennen, dass sie in ihrem Leben noch einiges mehr ändern muss. Das Verhältnis zu ihrer Mutter zum Beispiel und das zu ihrem Bruder. Und wie ist das mit Ingi? Sie ist die beste Freundin, die ihr sofort zur Seite steht. Verbindet sie wirklich nur Freundschaft miteinander?

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Klappentext

Die Katze ist tot, die Beziehung gescheitert. Für Andrea ist ein Neustart angesagt. Trotz aller privater Turbulenzen feiert sie ihren fünfzigsten Geburtstag mit Freunden, Familie und der Verwandtschaft – um dabei zu erkennen, dass sie in ihrem Leben noch einiges mehr ändern muss.

Das Verhältnis zu ihrer Mutter zum Beispiel und das zu ihrem Bruder. Und wie ist das mit Ingi? Sie ist die beste Freundin, die ihr sofort zur Seite steht. Verbindet sie wirklich nur Freundschaft miteinander?

»Die Mirabellen meiner Mutter« ist die unterhaltsame Erzählung einer Frau, die fünfzig werden muss, um endlich klarzusehen.

Die Autorin Emma Blix ist so alt wie die Protagonistinnen, über die sie schreibt. Ein Alter, in dem es höchste Zeit wird, mit dem Sport zu beginnen, um sich die Beweglichkeit zu erhalten. Wenn Emma also nicht gerade stöhnend auf ihrer Yoga-Matte turnt, denkt sie sich neue Geschichten über frauenliebende Frauen aus.

Die Mirabellen meiner Mutter

EMMA BLIX

Fünfzig ist ein schönes Alter im Leben einer Frau.

Die größten Fehler sind gemacht und sie hat noch genügend Power, um endlich das Richtige zu tun.

Inhalt

Epilog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Nachwort

Epilog

1956

Unser Mirabellenbaum hängt übervoll mit Früchten. Süß sind sie in diesem Jahr.

Wie dein Mund.

Wir verstecken uns ganz oben in den Ästen, verbergen uns vor den Blicken anderer.

Wir kichern nicht mehr, wenn wir uns küssen.

Längst erwarte ich sehnsüchtig deine Lippen, fiebere voller Ungeduld deinen zärtlichen Händen entgegen,

atme den Duft deines Haares.

Und wir beide wissen: Niemand darf uns sehen!

Eins

Was für eine Schnapsidee!, denke ich, als ich erwache.

Eine große Fünfziger-Feier, hier in unserem Feriendomizil – ausgerechnet jetzt! Aber Rainer hat letzte Nacht den Anfang gemacht und gemeint, man müsse mich ausgiebig feiern. Dazu könnte ich doch mal die Nachbarn einladen. Hannah meinte, ich muss unbedingt alle meine Freunde und Studienkollegen dabeihaben, und ich sagte, um dem Ganzen noch eins draufzusetzen: »Ja klar, und dazu noch meine Mutter und meinen Bruder samt Familie und natürlich den ganzen Rest der Verwandtschaft.«

Dann begaben wir uns alle drei in Hannahs Arbeitszimmer. Als gelernte Grafikerin erstellte sie vor meinen Augen eine wunderschöne Einladungskarte zu einer Fete der besonderen Art.

Und Rainer war so begeistert davon, dass er mithalf, die Einladungen auf farbiges Papier zu drucken, während ich Namen und Adressen auf dazu passende Umschläge schrieb. Gemeinsam kritzelten wir zum Schluss noch ein paar persönliche Worte darunter. Slogans wie: Jetzt erst recht – mit Vollgas in die Fünfzig – auch Singles können feiern – Carpe diem … und weiß Gott, was alles.

Wir waren echt kreativ. Und, was hatten wir für einen Spaß! Gegen drei Uhr morgens warfen wir einen ansehnlichen Stapel Briefe in den Briefkasten des gegenüberliegenden Campingplatzes, und in meinem benebelten Zustand wunderte ich mich noch darüber, wie zuvorkommend er die Flut an Briefen schluckte.

Oh Gott! Was haben wir nur getan?

Vierundzwanzig Stunden zuvor.

Es ist ein ganz normaler Sonntagmorgen.

Seit die Katze gestorben ist, weckt uns morgens kein ›Miau‹ mehr. Das ist einerseits mal ganz angenehm, da es uns nie gelungen ist, die Katze an Wochenende und Feiertage zu gewöhnen, andererseits ist es sehr traurig. Obwohl immer ich es war, die sie morgens gefüttert hat, möchte Ann keine neue mehr haben.

Das Gemauze und Gekratze an der Schlafzimmertür am frühen Morgen nervte sie, andererseits wollte sie die Katze nicht zu uns ins Bett lassen. Das Fellknäuel störte Ann an den Füßen und wurde ihr zu warm. Überhaupt ist ihr alles zu warm. Ann ist in den Wechseljahren. Der Pullover, die Bettdecke, die Jacke, in allem beginnt sie zu schwitzen. Sogar, wenn ich ihr zu nahe komme.

An diesem Morgen stehe ich, wie immer, als Erste auf und koche Kaffee. Manchmal trinken wir die erste Tasse noch im Bett. Heute allerdings höre ich Anns Stimme, als ich in der Küche hantiere.

»Du kannst schon mal den Tisch decken. Ich steh gleich auf.«

Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor neun und der Himmel ist vielversprechend blau.

»Mach ich«, rufe ich zurück. Nach dem Frühstück die Sachen zu packen und zu verschwinden, wäre schön,denke ich mir.

Ich koche Eier, wachsweich, wie Ann sie mag, nehme Brötchen aus dem Gefrierschrank, benetze sie mit etwas Wasser, schiebe sie in den Backofen. Ich stelle Erdnussbutter auf den Tisch, die mit den Stückchen, Frischkäse und Marmelade. Perfekt. Oder habe ich etwas vergessen?

»Kaffee ist fertig!«, rufe ich in Richtung Schlafzimmer. Ann kommt, im Pyjama wie ich auch, setzt sich auf ihren Lieblingsplatz, ich schenke ihr ein und wir beginnen zu frühstücken.

»Ich muss mit dir reden«, sagt Ann mittendrin.

»Ich auch«, antworte ich. Ein Ausflug auf die Schwäbische Alb, das würde mir für heute gefallen. »Aber red’ erst du.«

Und Ann beginnt. »Vor ein paar Monaten hat eine neue Kollegin bei uns angefangen. Wir haben uns von Anfang an super verstanden …«

»Oh, schön«, sage ich. Dann lad’ sie doch mal zu uns ein,möchte ich sagen, doch Ann redet schon weiter.

»Ich habe dir bis jetzt nichts von ihr erzählt.« Sie hält meinen Blick fest. »Ganz bewusst nicht.« Sie kommt ohne Umschweife zur Sache. »Heidrun ist so, wie ich mir meine Traumfrau immer vorgestellt habe. So feminin, selbstbewusst, eloquent. Als sie bei uns anfing, hatte sie noch einen Freund.«

So, wie Ann es sagt, weiß ich, dass sie jetzt eine Freundin hat. Und ich ahne, wer diese neue Freundin ist. Ich lege mein Brötchen zurück auf den Teller. Mein Blick ist auf die Frau geheftet, die ich kenne wie keine andere. Sicher ist unsere anfängliche Liebe einer gewissen Routine gewichen, trotzdem dachte ich, ich bliebe den Rest meines Lebens mit ihr zusammen. Mir entgeht nicht die kleinste Regung in ihrem Gesicht.

»Wir haben uns in den letzten Wochen regelmäßig privat getroffen und haben uns auch für heute Nachmittag verabredet«, fährt Ann fort.

Wie kannst du nur! Heute, am Sonntag. Ohne mich gefragt zu haben. Der Gedanke ist nur ein kurzer Impuls. Ich weiß, eine Absprache mit mir war nicht mehr nötig.

Ann sagt: »Ich habe Heidrun versprochen, wenn wir uns heute Nachmittag treffen, wirst du über uns Bescheid wissen.«

Mein Herz beginnt so hart zu schlagen, dass ich meine, man kann es hören. Fassungslos lausche ich dem, was sie mir noch zu sagen hat.

»Andy, es ist aus zwischen uns. Heidrun und ich sind ein Paar. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt und zwischen uns passt alles. Wir lieben uns.« Ann sieht so glücklich aus. Es ist immer noch dieselbe Ann, die ich kenne. Sie trägt den Schlafanzug, den ich ihr geschenkt habe. Ihr Haar steht so ab wie jeden Morgen, und sie hat dieselbe Brille auf wie sonst auch. Alles an ihr ist wie immer und doch ist alles anders. Sie liebt eine andere.

»Wie kannst du sicher sein, dass das nicht nur eine kurze Laune ist?«, setze ich an zu einem Kampf, den ich längst verloren habe. »Vielleicht probiert sie nur mal was anderes aus und du liegst völlig falsch.«

»Nein, liege ich nicht.«

»Du kennst sie erst seit ein paar Wochen und gibst sofort alles für sie auf? Was machst du, wenn sie es nicht halb so ernst meint wie du?«

Ann seufzt auf. »Andy, ich werde mit dir nicht darüber diskutieren, was Heidrun für mich empfindet und was nicht. Ich weiß nur, sie ist meine Traumfrau – auch im Bett.«

Das sitzt! Sie schlafen schon lange miteinander. Die letzten Monate spielte ich also schon eine Nebenrolle. Ich habe nichts davon bemerkt. Mir ist nur aufgefallen, dass ich ihr nichts mehr recht machen kann. Jetzt ist mir der Grund dafür natürlich klar. »Und ich? Wer war ich für dich die letzten fünfzehn Jahre?«

»Ich konnte ja nicht wissen, dass ich eine Frau wie Heidrun kennenlernen würde.« Sie sieht mich unschuldig an, so, als wäre sie die Letzte, die an der Misere schuld sein könnte.

»Das ist doch Scheiße, Ann!«, rufe ich aus und stehe auf. »Fünfzehn Jahre! Die kannst du doch unmöglich einfach so wegwerfen. Ich bin doch nicht dein Notnagel, nur dazu da, dich auszuhalten, bis eines Tages eine Heidrun kommt!« Mein Blick bohrt sich in ihren, aber sie bleibt gelassen. Ja, genau das war ich für sie gewesen! Ein Notnagel. Und nicht der schlechteste, denn ich übernahm den größeren Anteil unserer monatlichen Ausgaben. Es war für mich selbstverständlich, denn ich habe den besser bezahlten Job. Unsere ganze Wohnungseinrichtung habe ich finanziert, bis auf wenige Ausnahmen. Hat sie mich einfach nur vorsätzlich ausgenommen?

»Wir sind nicht verheiratet«, erinnert mich Ann. »Wir können von heute auf morgen auseinandergehen.«

»Ja«, sage ich, weil sie natürlich recht hat. Aber für mich war das Versprechen bei Kerzenschein, das wir uns gegeben hatten, so bindend wie ein Ehegelübde. »Das willst du wirklich? Dass wir uns trennen?«

»Andy, ich bin verliebt wie noch nie. Ich habe nur noch diese Chance in meinem Leben, ich geh auf die Fünfzig zu. Ich werde sie nutzen.« Und Ann erzählt weiter, wie es war, als es immer mehr zwischen ihnen gefunkt hat, wie sie sich privat verabredeten und miteinander im Bett landeten. Und sie beschreibt mir sogar, was sie dort machen. Ich unterbreche sie, weil ich es nicht hören möchte. Ich begreife aber, es ist ihr absoluter Ernst. Und dann stehe ich auf, dusche, ziehe mich an und packe alles zusammen, was mir für meinen Alltag unentbehrlich ist.

Im Bad fange ich an, mache im Wohnzimmer weiter, nehme ein paar Lieblingsbücher aus dem Regal, hole mir ein paar Lebensmittel aus der Küche, packe sogar mein angebissenes Brötchen ein, dazu eine Packung Kaffee, Milch und Zucker.

»Hey«, höre ich Ann sagen, »das heißt jetzt nicht, dass du überstürzt ausziehen musst. Ich wollte es dir nur schon mal sagen. Du kannst dir Zeit lassen.«

Darauf kann ich verzichten! »Zu liebenswürdig. Die Möbel, die ich bezahlt habe, werde ich abholen lassen, sobald ich weiß, wo ich zukünftig wohne.« Ich sehe mich um. »Es wird hier leer werden. Das ist dir bewusst, oder?« Aus mir spricht der Frust, ich weiß es selbst.

»Werd jetzt nicht kindisch, Andy.«

Glaub bloß nicht, dass ich dir unser gemachtes Nest so mir nichts, dir nichts überlasse! Ich gehe in mein Büro, räume alles, was ich zum Arbeiten brauche, in zwei Wäschekörbe: Laptop, Tastatur, Monitor, Steckerleiste und Aktenordner. Ann geht ins Bad, bleibt dort, solange ich meine Reisetasche und die Wäschekörbe in meinen Kombi lade. Ich nehme ein paar Jacken mit, alle meine Schuhe, vergesse auch meine Wanderstiefel nicht.

Sie duscht immer noch, als ich gehe. Gibt es wirklich nichts mehr, was mich hält? Die Katze ist tot und Ann liebt eine andere.

So fahre ich davon.

Ich verbringe den Großteil des Tages tatsächlich auf der Schwäbischen Alb, irre bei schönstem Wetter im Wald umher, zwischen Neandertalerhöhle und dem Uracher Wasserfall, und fahre erst gegen Spätnachmittag in Richtung Heidelberg. Von dort folge ich den Neckar entlang bis zu unserem Feriendomizil. Fast zwei Wochen früher als geplant, denn ursprünglich wollte ich erst ein paar Tage vor meinem fünfzigsten Geburtstag dort aufschlagen, zu einer Feier im engsten Familienkreis. Das ist jetzt alles anders geworden. Wie schnell das gehen kann.

Über die Freisprechanlage im Auto rufe ich Hannah an, gebe Bescheid, dass ich früher komme, um es genau zu sagen: jetzt.

Hannah wohnt das ganze Jahr über in dem denkmalgeschützten Anwesen meiner Urgroßeltern, und zwar in der kleinen Wohnung des stattlichen Fachwerkhauses, die früher als Altenteil gedient hatte. Unsere sechsköpfige Erbengemeinschaft, der auch mein Bruder und meine Mutter angehören, hat sie ihr mietfrei überlassen. Im Gegenzug sieht sie dort nach dem Rechten und ist so etwas wie unsere Gutsverwalterin geworden.

Das scheidende Licht des Tages bricht sich auf dem träge dahinfließenden Neckar, als ich ankomme. Das rege Leben auf dem Campingplatz gegenüber ist am Abklingen, nur noch wenige Menschen stehen am Neckar-Schiffsanleger, an dem es tagsüber so belebt zugeht. Unser denkmalgeschützter Hof mit seinem kunstvollen Fachwerk, dem parkähnlichen Garten und der alles umschließenden hohen Mauer erscheint in dieser Umgebung wie eine kleine Welt für sich, der die Umtriebigkeit der Nachbarschaft nichts anhaben kann. Die gepflegte Rasenfläche, die akkurat angelegten Rosen- und Dahlienbeete verstärken den Eindruck eines Märchenlandes. Im hinteren Eck des Gartens befindet sich sogar ein Kneippbecken, ausgekleidet mit Pfaffenhofener Schiefer. Ich halte an, steige aus meinem Kombi, öffne das Tor und fahre die erst kürzlich mit frischem Kies aufgeschüttete Einfahrt entlang. Die Haustüren des gelb erstrahlenden Fachwerkhauses sind den Originalen nachempfunden und ein Beispiel fachlich kompetenter Restaurationsarbeit. Die größere der beiden führt in das Haus der früheren Herrschaft, die kleinere in Hannahs Einliegerwohnung.

Die Tür öffnet sich, Hannah tritt hindurch, kommt mir entgegen, fällt mir um den Hals.

»Andy! Hey! Wie kommt’s, dass du schon da bist?«

Unter Tränen erzähle ich ihr alles. Hannah bittet mich herein, schenkt mir erst mal was Ordentliches ein und ruft dann meinen Freund Rainer an, der gleich um die Ecke wohnt. Er kommt sofort, um mir ebenfalls beizustehen.

Und in Gesellschaft der beiden nimmt dann alles seinen Lauf.

Zwei

Die Tür zu meinem Schlafzimmer öffnet sich.

»Guten Morgen, du Langschläferin. Der Tag hat längst begonnen.«

Ich stöhne auf, als ich Hannahs Stimme höre.

»Komm schon!«, sagt sie gutgelaunt. »Bei mir drüben gibt es Kaffee. Ich bin schon längst auf den Beinen.«

»Du verträgst auch mehr als ich.« Ich stecke meinen Kopf unter das Kissen. »Musst du so rumschreien?«

Hannah legt die Hand auf meine Schulter und rüttelt sachte.

»Lass mich«, murre ich. »Außerdem war ich auch schon wach. Ich habe sogar schon nachgedacht. Wir haben nicht wirklich so viele Einladungen geschrieben, oder?«

»Aber natürlich haben wir das, und die Idee war echt super!«

Hannahs Stimme dröhnt in meinem Kopf und meine Hoffnung schwindet dahin. Es ist also wahr! Heute Nacht haben wir alle möglichen Leute zu einer bekloppten Geburtstagsfete eingeladen. »Meinst du, wir können den Postboten noch abfangen?«

Hannahs lautes Lachen hallt durch mein Schlafzimmer. »Nee, warum denn? Außerdem wird der um halb neun geleert, jetzt ist es gleich zehn. Mach dir also keine falschen Hoffnungen.«

Shit! Vorsichtig begebe ich meinen Oberkörper in eine Senkrechte, schiebe unwillig die Bettdecke weg, strecke erst ein Bein, dann das andere aus dem Bett. Hannah verfolgt amüsiert meine Bewegungen.

»Es war eine Schnapsidee«, sage ich. Der Druck in meinem Kopf nimmt zu. »Was haben wir da bloß angerichtet!« Ich presse die Fingerspitzen gegen die Schläfen. Es mindert den Schmerz. Und wenn ich mit den Handinnenflächen leichten Druck auf die Augäpfel ausübe, wird es sogar noch besser.

»Brauchst du eine Kopfschmerztablette?«, höre ich Hannah fragen. Da schwingt eindeutig Häme in ihrer Stimme mit! Hat sie nicht mindestens so viel wie ich getrunken? »Ich geb’ dir welche. Komm jetzt.«

»Ja, gleich«, sage ich und erhebe mich langsam, setze einen Fuß vor den anderen in Richtung Bad. »Ich muss nur erst unter die Dusche.«

»Ich bin dann mal wieder drüben.« Hannah ist fort, bevor ich überhaupt die Türschwelle erreicht habe.

Wie macht die das bloß? Wie kann man eine ganze Nacht durchzechen und am nächsten Morgen durch die Gegend springen wie ein junges Reh?

Vermutlich liegt es am Alter. Hannah ist fast zwanzig Jahre jünger als ich.

Mit steifen Beinen stakse ich ins Bad, es ist glücklicherweise gleich nebenan. Ich lasse Slip und Unterhemd, in denen ich die Nacht verbracht habe, auf den Boden fallen, und betrete die Fertig-Duschkabine vom Baumarkt, die neuste Errungenschaft meines Bruders. Seit der äußerlichen Instandsetzung des Hauses letztes Jahr verweigerte er sich allen teuren Investitionen, genauso meine Cousinen. Alle wollen hier Urlaub machen, aber niemand ist bereit, mehr dafür zu zahlen als die Miete einer vergleichbaren Ferienwohnung. Was soll’s? Den Restmonat und den ganzen nächsten habe ich das Anrecht hier zu sein und zu machen, was ich will. Die Erbengemeinschaft hat sich nämlich auf ein rotierendes System geeinigt.

Von Seiten des gegenüberliegenden Campingplatzes, der das gesamte Neckarufer einnimmt, wurde mehrfach angefragt, ob die Erbengemeinschaft das Grundstück samt Haus nicht veräußern wolle. Natürlich haben wir abgelehnt.

Ich taste nach dem Wasserhahn, drehe ihn auf. Warmes Wasser prasselt auf mich herab, achtunddreißig Grad, wie vom Thermostat eingestellt.

Der Boden dieser Scheiß-Duschkabine wird so rutschig, dass ich höllisch aufpassen muss. Ich nehme mir vor, sobald mein Kopf es zulässt, eine ebenso hässliche Anti-Rutschmatte aus dem Baumarkt zu holen. Kaum habe ich das gedacht, fährt ein stechender Schmerz in meinen Kopf. Also beschließe ich, nur noch freundliche Dinge zu denken. Als ich fertig mit Duschen bin steige ich mit einem großen Schritt aus diesem Fertigteil und rubbele mich trocken. Die Haare lasse ich nass, schlüpfe in Jeans und Shirt und gehe die Treppen hinunter, rolle beim Gehen bewusst ab, um die Erschütterung auf meinen Kopf so gering wie möglich zu halten.

Zaghaft klopfe ich bei Hannah an.

»Komm rein!«, höre ich ihre Stimme und betrete die Wohnküche, deren original bäuerliche Einrichtung jedem Freilandmuseum Konkurrenz macht, setze mich auf meinen Stammplatz auf der Küchenbank: der Platz neben dem verputzten Landhausofen, mit Blick hinaus auf die Straße, direkt auf diesen blöden Monolithen. Er liegt genau auf der Grundstücksgrenze zwischen uns und dem Campingplatz und soll offiziell die Ein- und Ausfahrt zu dessen Parkplatz markieren. Aber ich glaube, der Betreiber wollte uns damit einfach den freien Ausblick auf den Neckar nehmen, weil wir unser Grundstück nicht an ihn verkaufen wollten.

Heute habe ich nicht einmal mehr die Kraft, mich darüber aufregen.

Es riecht nach Feuer und Kaffee. Hannah bereitet es größte Freude, den alten Herd in der Küche anzufeuern und Kaffee noch von Hand aufzubrühen. Es ist das Beste, was die Erben jemals beschlossen haben, gerade ihr diese Wohnung zu vermieten. Sie ist ein Goldstück, hält alles liebevoll instand, erträgt auch die Rolle als Sprachrohr sämtlicher Erben mit Geduld und viel Humor. Sie sorgt dafür, dass es warm ist, wenn sich jemand ankündigt, räumt auf und putzt, wenn jemand das Haus verlässt. Sie stellt im Winter das Wasser der Gartenleitung ab, damit es nicht gefriert, schaut nach der Post, nach dem Müll, nach dem Telefon, einfach nach allem. Und das Schönste: Hannah ist absolut glücklich darüber, hier zu sein. Es inspiriert sie, sagt sie immer. Hauptberuflich verdient sie ihr Geld als freie Grafikerin, dazu hat sie sich einen kleinen Arbeitsplatz in ihrem Schlafzimmer eingerichtet.

»Möchtest du etwas frühstücken?«, fragt Hannah, stellt mir eine Tasse hin, gießt mir Kaffee ein. »Keine Milch, keinen Zucker. Bitte schön.« Sie grinst.

Der Kaffee riecht vielversprechend. »Soll ich das wirklich machen? Eine so große Feier?«, frage ich und gebe ein leises Stöhnen von mir.

»Natürlich! Du wirst schließlich nur einmal fünfzig.«

»Aber ausgerechnet in meiner jetzigen Situation?«

»Ja, genau. Jetzt erst recht. Haben wir doch heute Nacht lang und breit besprochen.«

»Ich war betrunken.«

»Im Wein liegt Wahrheit«, zitiert Hannah irgendeinen Philosophen, ungeachtet der Tatsache, dass wir Bier und Wodka getrunken haben, keinen Wein. »Ich finde es gut, wie offensiv du damit umgehst. Du lässt dich echt nicht unterkriegen, schon gar nicht von Ann.«

»Ich, mich nicht unterkriegen lassen?«, wiederhole ich bass erstaunt. Bis jetzt war ich der Meinung, dass mich Anns Entscheidung völlig von der Rolle gebracht hat. Da war keinerlei Gegenwehr in mir, nur totales Chaos. Aber es tut gut, wie Hannah das sieht.

Sie setzt sich zu mir, in der Hand eine Scheibe Brot, dick mit einer Haselnusscreme beschmiert. Genüsslich beißt sie hinein. »Soll deine Ex doch mal sehen, dass sie dir die Lebensfreude nicht rauben kann«, sagt sie mit vollem Mund.

Lebensfreude? Vorsichtig nehme ich ein paar Schlucke Kaffee, warte auf das wärmende Gefühl, das sich in meinem Magen einstellt. Etwas in mir rückt wieder an seinen richtigen Platz und meine Gedanken werden klarer – und mit ihnen kommt die Angst vor dem, was ich mir da aufgehalst habe. Dieses Gefühl verdrängt sogar etwas von dem Frust, von seiner Ex-Partnerin betrogen worden zu sein. »Du meinst, ich soll das wirklich durchziehen, und du hilfst mir?«, frage ich mit einem bangen Gefühl in der Magengegend.

»Natürlich. Was glaubst du denn?«

Dass ich jämmerlich Schiffbruch erleiden werde und es mir noch vollends den Rest gibt.»Vielleicht haben wir Glück und die meisten sagen ab. Mein Geburtstag ist ja schon bald«, starte ich einen letzten Versuch, das drohende Unheil abzuwenden.

»Warten wir’s ab.« So siegesgewiss, wie sie klingt, glaubt sie nicht an Absagen. Sie strahlt immer so viel Zuversicht aus, und überhaupt ist sie ein sehr positiv denkender Mensch. Warum ausgerechnet ihre Ehe scheitern musste, kann ich mir bis heute nicht erklären. So, wie ich Hannah kenne, schafft sie alles – irgendwie. Es muss schon ein sehr triftiger Grund gewesen sein, der sie dazu veranlasst hat, mit ihrer Tochter eine eigene Wohnung zu suchen. Vielleicht häusliche Gewalt oder Drogen, oder so. Irgendetwas ganz Furchtbares. Hannah redet nicht darüber. Noch nicht einmal an so einem Abend wie gestern. Nur ich habe von mir erzählt – von Ann und den fünfzehn Jahren unserer Beziehung. Da taucht plötzlich ihre Traumfrau auf, und das war’s. Aus und vorbei. Ich habe mir alles von der Seele geredet und Hannah und Rainer waren so lieb und haben sich den ganzen Mist angehört. Und dann hatten wir die Idee, meinen Geburtstag gerade deswegen ganz groß zu feiern.

Hannah strahlt immer noch.

---ENDE DER LESEPROBE---