Die Nacht am Feuer 2 – Der Krieg im Winter - Antoine de la Fère - E-Book

Die Nacht am Feuer 2 – Der Krieg im Winter E-Book

Antoine de la Fère

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Beschreibung

Band 2 schließt den packenden Zyklus "Die Burgunderkriege" über den Unabhängigkeitskampf der Schweizer Gebiete im Spätmittelalter ab. Lesen Sie jetzt das grandiose Finale!

Der Krieg gegen Karl den Kühnen schreitet unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegen. Auf dem blutgetränkten Schlachtfeld vor Murten steht Matthias dem Herzog gegenüber, als ihn unvermittelt ein Schlag niederstreckt und Karl somit entkommen kann. Und dann mischt sich auch noch der französische König ein …

Kann Matthias Herzog Karl den Kühnen bezwingen und somit nicht nur die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft bewahren, sondern auch seine große Liebe retten?

Schultern Sie Ihre Streitaxt, satteln Sie Ihren Rappen und erleben Sie das packende Finale des Zyklus "Die Burgunderkriege"!

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Antoine de la Fère

 

Die Nacht am Feuer

Band 2

Der Krieg im Winter

 

 

EK-2 Militär

 

 

Für Andrea und Nevio

Hinweis

 

Dieser Roman behandelt die Burgunderkriege und spielt somit hauptsächlich in der heutigen Schweiz. Auch ist der Autor Schweizer. Für maximale Authentizität folgt der Text den Regeln der Schweizer Rechtschreibung; so gibt es beispielsweise kein ß und die Guillemets (französische Anführungszeichen) bei wörtlicher Rede werden umgekehrt dargestellt: «» Das heißt, aus Sicht eines Deutschen oder Österreichers sind sie umgekehrt dargestellt. Für Schweizer ist ihre Darstellung in diesem Buch üblich.

Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!

 

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!

 

Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

 

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!

 

Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.

 

Schreiben Sie uns: [email protected]

 

Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!

 

Jill & Moni

von

EK-2 Publishing

Prolog – Schmerz

 

D

ie Welt war weiss.

Er versuchte sich zu bewegen, aber der Schmerz stoppte den Versuch auf der Stelle. Er öffnete die Augen. Alles um ihn herum war weiss, er konnte nichts erkennen. Dann langsam kam sein Sehvermögen zurück.

Er lag in einem Zelt. Einem weissen Zelt. Aber mehr als die Stoffbahnen, aus denen es zusammengenäht war, konnte er nicht erkennen.

Dann hörte er eine Stimme, tief, basslastig. Er kannte diese Stimme. Irgendwoher.

«Hauptmann!», machte die tiefe Stimme, «Hauptmann, er ist wach.»

Matthias versuchte seine Augen zu bewegen, aber sogar das bereitete ihm Schmerzen. Dann beugten sich zwei Gesichter über ihn. Das eine, gross, mit wildem Bart und einem riesigen Grinsen. Das andere mit schwarzem, langem Bart und dafür ernsten Augen.

Das ernste Gesicht schüttelte den Kopf. «Was zum Teufel ist in Dich gefahren?», sagte es. «Was zum Henker wolltest Du allein da oben?» Die Stimme war vorwurfsvoll und doch mehrheitlich besorgt. «Wolltest Du den feigen Hurenbock wirklich allein erledigen?»

Matthias wollte etwas sagen, aber es ging nicht. Er konnte seinen Mund nicht bewegen.

«Still!», herrschte ihn die besorgte Stimme mit den ernsten Augen an. «Bist Du denn eigentlich ganz von Sinnen? Es ist ein Wunder, dass Du überhaupt noch lebst. Wäre die berittene Garde Karls nicht so in Eile gewesen, mit ihm zu fliehen, hätte der Hieb Dich ganz bestimmt voll getroffen. Und dann wärst Du jetzt tot!» Die Stimme machte eine Pause, nahm tief Luft. «Du verd…» Die Stimme seufzte wieder. «Mach das nie wieder! Hörst Du? Nie wieder, mein Freund.»

Dann war das Gesicht mit dem ernsten Blick weg. Dafür erschien wieder das Grinsende, das mit dem wilden Bart. Es lachte Matthias immer noch an.

«Schön, seid Ihr wieder unter den Lebenden, Kapitän», sagte das grinsende Gesicht.

Matthias schloss die Augen und die Welt wurde wieder dunkel.

* * *

 

An Eure Durchlaucht, hochgeborene Fürstin Jolanda, Herzogin von Savoyen und Prinzessin von Frankreich.

Untertänigst grüsse ich Euch und wende mich an Euch in einer persönlichen wie auch in einer politischen Sache.

In erster Linie danke ich Eurer Hoheit im Namen der Stadt Zürich wie auch in meinem persönlichen von ganzem Herzen für Eure Bereitschaft, das Bündnis mit den Ständen der Eidgenossenschaft zu erneuern und im Gegenzug dasjenige mit Herzog Karl von Burgund genannt dem Kühnen aufzukündigen. Die offizielle Antwort unserer Tagsatzung wird Euch durch denselben Boten zugestellt, wofür ich Sven von Einsiedeln ausgewählt habe, welchen Ihr schon kennenlernen durftet und der als einer der ganz wenigen das volle Vertrauen von meinem werten Freund Matthias und mir besitzt.

Mit Freude darf ich Euch mitteilen, dass wir, die Gemeinschaft der Eidgenossenschaft, vor den Toren zu Murten den Herzog Karl auch im zweiten Aufeinandertreffen geschlagen haben. Des Herzogs Heer haben wir über die Hälfte dezimieren können und der Herzog selbst ist nur mit viel Mühe entkommen.

Jedoch muss ich Euch aber zu meinem Bedauern auch mitteilen, dass unser gemeinsamer Freund, Matthias von Altstetin, bei dem Versuch, den Herzog zu stellen und ihn in einen Zweikampf zu verwickeln, von einem Schwerthieb an der Seite und im Gesicht schwer verletzt wurde. Wir belassen ihn zurzeit in Murten, wo er durch Ärzte und einen Medikus versorgt wird, bis er wieder zu Kräften kommt. Die Ärzte sind aber zuversichtlich, dass dem so sein wird.

Sobald dies der Fall ist, wird er von unserer Obrigkeit zum Ritter geschlagen.

Die Tagsatzung hat Ihrem Vorschlag zugestimmt, ihn zu dem offiziellen Botschafter zwischen Eurem werten Herzogtum Savoyen und der Gemeinschaft der Eidgenossenschaft zu machen und ich werde ihn nach dem Ritterschlag zu Ihnen senden.

Somit verbleibe ich gnädigst und sende Euch demütig meine besten Glückwünsche.

Euer treuer Freund, Hans Waldmann, Ritter von Zürich. Murten, den 25. des Monats Juni 1476 ad

* * *

 

An den hochgeehrten Hans Waldmann, Ritter von Zürich, Heerführer und Hauptmann der Gemeinschaft der Eidgenossenschaft.

Mit herzoglichen Gnaden grüsse ich den werten Herrn Waldmann und danke Euch im Namen des Herzogtums Savoyen und meines ganz persönlichen Herzens für Ihre Mitteilung.

Mit grossem Schrecken habe ich Eure Nachricht über die schwere Verletzung meines geliebten Herrn Matthias von Altstetin vernommen und verbleibe in Sorge um seine Gesundheit. Trotzdem überwiegt die Freude, dass er lebt und sich auf dem Weg zur Besserung befindet. Ich habe aufgrund der Schwere der erlittenen Verletzung beschlossen, meinen persönlichen Leibarzt mit Herrn Sven von Einsiedeln eigens zur Behandlung und Betreuung von Matthias an Euch zu schicken.

Ich sende meinen Dank durch Euch auch an die Tagsatzung, dass mein Vorschlag, Herrn Matthias von Altstetin zum Ritter zu schlagen und ihn als Botschafter einzusetzen, angenommen wurde.

Ebenso teile ich Ihnen mit, dass mein ehrenwerter Bruder Louis XI., König von Frankreich, sich von Herzog Karl von Burgund abgewandt und ihm jegliche politischen Beziehungen aufgekündigt hat. Gegebenenfalls wäre es denkbar, dass die Gemeinschaft der Eidgenossenschaft eine Abordnung zu meinem werten Bruder sendet, um mit ihm ebenfalls ein mögliches neues Bündnis auszuhandeln? Ich bin der vollen Überzeugung, dass dies unseren Ländern den langersehnten Frieden bringen wird und dabei die Macht und den Einfluss von Herzog Karl gleichermassen schwächt.

Darf ich Euch bitten, dies der Tagsatzung so mitzuteilen und ich erbiete die ergebensten Grüsse.

Jolanda von Frankreich, Herzogin von Savoyen.

Chambéry, den zweiten des Monates Juli im Jahre des Herrn 1476

 

Teil 3 – Nancy

Kapitel I – Sommer

 

E

r starrte an die Decke. Unterdessen kannte er jeden der sieben Querbalken bis in das kleinste Detail. Jedes Astloch, jede Maserung, jede farbliche Differenzierung. Er zählte zum tausendsten Male die Bretter an der Wand und die Fehler in der Knüpfung der Wandteppiche. Sonnenstrahlen fielen durch das kleine Fenster und Staub flimmerte darin. Er stützte sich unter Schmerzen auf und versuchte einen Schluck Wasser aus dem Zinnbecher neben dem Bett zu trinken. Nur mit allergrösster Mühe konnte er ihn an die Lippen heben und trank ein paar Schlucke.

Auch vom Wasser hatte er so was von genug. Lieber hätte er ein kaltes Bier oder einen guten Wein gehabt, aber der savoyische Arzt hatte es ihm verboten. Wenigstens schmuggelte Hans Waldmann ab und an eine kleine Feldflasche mit Wein in sein Zimmer und erlaubte seinem alten Freund ein wenig davon zu kosten.

Der Leibarzt von Jolanda, ein weiterer Arzt aus der Stadt Thun und Linhart von Klosters, der Medikus in seiner Truppe, wechselten sich täglich mit der Betreuung von Matthias ab. Mägde und Diener gingen ihnen dabei zur Hand; wuschen ihn, halfen, die Kleider zu wechseln, fütterten ihn zu Beginn, als er den Mund noch nicht richtig bewegen konnte, bepflasterten die Wunden mit den verschiedenen Salben und wechselten die Verbände.

In den ersten Tagen nach der Verletzung konnte er sich an nichts erinnern. Matthias schlief die meiste Zeit, geplagt von teilweise fürchterlichen Träumen. Er schwitzte und fror gleichzeitig und die Mägde mussten die Laken und Decken mehrmals täglich wechseln. Erst mit der Ankunft von Jolandas Leibarzt und der neuen Salben, Tinkturen und Säfte, die er Matthias verabreichte, wurde es besser. Dennoch war an Bewegung lange nicht zu denken.

Der Schwerthieb war unter seinem hoch erhobenen linken Arm durchgegangen, hatte ihm eine tiefe, klaffende Wunde seitlich am Oberkörper zugefügt. Dabei war der Schlag mit solcher Wucht ausgeführt worden, dass es ihm dabei noch mehrere Rippen brach. Und weil der Reiter auf dem Pferd sass, war die Spitze des Schwertes am Ende des Hiebes nach oben geschnellt und über seine linke Gesichtshälfte gefahren, zerschnitt ihm die Wange, verfehlte das Auge nur um eine Fingerbreite und schlitzte ihm die Kopfhaut bis auf den Knochen auf.

Er hätte eigentlich tot sein müssen.

Auch dass die Klinge nicht zusätzlich noch die Lunge verletzte, war nur dem Umstand zu verdanken, dass der Ritter schon in vollem Galopp war und er deshalb nicht mehr richtig zielen konnte.

Jeden Tag besuchte ihn Sven oder Hans, manchmal kamen sogar beide. Sie brachten ihm die neuesten Neuigkeiten. Karl war mit den Überresten seines Heeres geflohen. Er hatte sich in das Burgund zurückgezogen, während sich seine geschlagenen Kämpfer in alle Winde zerstreuten. Wieder war der Herzog mit seinem Leben davongekommen und für Hans Waldmann wie auch für Matthias selbst trübte dieser Umstand ihre Freude über den Sieg.

Matthias machte einige Gedankenspiele, wie sie dem entgegnen könnten, aber nicht wirklich einer davon war realistisch genug, um ihn auch ausführen zu können. Er spielte einmal sogar mit dem Gedanken, mit seiner kleinen Truppe im Burgund einzufallen, beliess es aber auch hier nur bei der Idee.

Waldmann wollte ihn zuallererst wieder auf den Beinen sehen, bevor er sich erneut mit dem Burgund befasste, und erstickte alle Pläne, die ihm der Kapitän aus seinem Bett heraus vortrug. Doch das Schmieden dieser Pläne tat ihm gut. Wenn ihn schon der Schwerthieb nicht umgebracht hatte, tat es sonst die Langeweile. Matthias' Laune wurde mit jedem Tag, dem es ihm besser ging, übler und er tyrannisierte Mägde, Diener und auch die Ärzte, die jedoch seine Übellaunigkeit alle mit stoischer Ruhe und Gelassenheit entgegneten.

Erst mehrere Wochen nach der Schlacht konnte er zum ersten Mal wieder aus dem Bett aufstehen. Sein Körper ächzte und er stöhnte. Jede Bewegung schmerzte und er war noch so schwach, dass Sven ihn stützen musste. Der Hüne half ihm nach draussen.

Es war Hochsommer, die Hitze flimmerte über den Feldern und nur eine leichte Brise vom See her brachte Erleichterung. Trotzdem genoss es Matthias, endlich wieder aus diesem Zimmer hinaus zu sein. Sven führte ihn langsam die Treppe zu einem der Türme der Burg hinauf. Oben war eine Terrasse und sie konnten von dort in alle Himmelsrichtungen sehen.

Matthias sog die Luft tief in seine Lungen. Die Bewegung schmerzte, doch die frische Luft und die Gerüche überwiegten. Er genoss jeden Atemzug.

Sven setzte ihn zwischen zwei Zinnen und Matthias blinzelte in die Sonne.

«Wie geht es Jolanda?», fragte er den Hünen.

Dieser lächelte. «Ich war bei ihr in Chambéry. Es geht ihr gut, Kapitän. Sie hat sich aber um Euch grosse Sorgen gemacht.»

«Ach», machte Matthias und ächzte, da ihm die abwehrende Bewegung mit der linken Hand wehtat.

«Aber schon, Kapitän», sagte Sven ernst. «Darum hat sie ja auch ihren Arzt hierher gesandt. Und», er machte eine Pause, «sie vermisst Euch. Sehr sogar!»

Matthias lächelte bei dem Gedanken. Er sah ihr Gesicht vor sich und sein Herz wurde warm.

«Und sie hat mir das hier gegeben.» Der riesige Kämpfer nahm ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor, hielt es Matthias hin. «Sie hat mich ausdrücklich gebeten, den Brief nur Euch zu übergeben.»

Matthias streckte die rechte Hand aus, ergriff das Schreiben. «Und, das alles hast Du verstanden?», fragte er mit einem schiefen Grinsen.

Sven nickte heftig. «Aber ja doch, Kapitän. Meine Madeleine … Ihr wisst schon, die kleine Magd, sie hat es mir erklärt. Ich hatte ihr ein Buch mitgebracht. Wo die Wörter auf Deutsch und Französisch darinstehen.»

«Du meinst ein Wörterbuch?» Matthias war überrascht und erfreut und Sven nickte eifrig.

«Ich danke Dir, mein Freund!», lächelte Matthias. «Und jetzt lass mich bitte allein, ich will den Moment geniessen und den Brief lesen. Ich lasse Dich rufen, wenn ich Dich brauche.»

Der Kämpfer trollte sich mit einem unsicheren Gesichtsausdruck.

Als Matthias allein war, drehte er sich um und sah zum See hinunter. Das tiefe Blau erinnerte ihn an die Augen der Herzogin. Er lächelte leicht.

Dann zerbrach er das Siegel und begann zu lesen.

 

Mein geliebter Lancelot, Licht meines Lebens.

Ich danke unserem Herrgott, dass Du noch immer unter uns weilst, auch wenn ich zum Zeitpunkt dieses Schreibens nicht genau weiss, wie es Dir ergeht. Aber ich habe meinen Arzt, Alexandre de Crussol, gebeten, mich jede Woche schriftlich auf dem Laufenden zu halten.

Und so bete ich jeden Tag, dass Du sehr bald in der Lage sein wirst, meine Zeilen zu lesen. Und dass Du bald wieder bei Kräften bist, um die lange Reise zu Deiner Geliebten zu machen, die sehnsüchtig wartet, Dich wieder in ihre Arme zu schliessen.

Ich sende Dir meine liebsten Genesungswünsche und all meine Gebete.

Ich sende Dir meine Liebe, damit sie den Schmerz verdrängt und Dein Herz wieder in Glück hüllen möge.

Deine Guinevere

 

Matthias spürte die Tränen nicht, welche ihm über das Gesicht liefen.

Aber er spürte, dass der Schmerz aus seinem Körper wich, um diesem wunderbaren Brennen in seinem Herzen Platz zu machen.

* * *

 

Wie jeden Tag kämpfte sich Matthias langsam die Stufen des Turmes hoch. Endlich war der Himmel aufgeklart. Die Wolken zogen in schnellen Bahnen dahin, aber die Sonne brannte sie langsam, aber sicher hinweg. Mit ihren Strahlen kam auch schnell die Wärme zurück, ersetzte nach tagelangem Regen die Nässe und Kühle. Doch ihm war das schlechte Wetter egal, er genoss die Stunden ausserhalb seines Zimmers. Und jeden Tag war das Treppensteigen einfacher geworden. Langsam kamen seine Kräfte zurück. Er hatte begonnen, wieder mit dem Schwert zu üben. Zuerst mit einer einfachen, leichten Holzwaffe, dann schliesslich wieder mit seinem Langschwert.

Die Bewegungen kamen zurück, nur das Ausgleichen des Gewichtes der Waffe, was er mit seinem linken Arm machen musste, sowie die Drehungen des Oberkörpers bereiteten ihm immer noch Mühe. Zu Beginn übte er nur für ein paar Minuten, doch unterdessen schaffte er schon wieder über eine Stunde.

Er liess die Klinge durch die Luft sausen und genoss das altbekannte Gewicht der Waffe zu spüren. Er schwitzte, ächzte unter den Schmerzen, aber er biss die Zähne zusammen und arbeitete verbissen weiter.

Plötzlich knallte die Tür der Terrasse und er fuhr herum, liess das Schwert herumwirbeln. Er stöhnte leicht, als der Schmerz wieder durch seine linke Seite fuhr.

«Schlag mir doch nicht gleich meinen Kopf ab», lachte Hans Waldmann, der hinter ihm auf die Terrasse getreten war und die Holztür zugestossen hatte.

Matthias liess das Schwert sinken und stützte sich darauf ab. «Hauptmann.» Er nickte zur Begrüssung.

«Es scheint, als ob Du es wieder mit Karl aufnehmen kannst.» Waldmann lachte immer noch. «Auch wenn Deine Bewegung diejenigen eines alten Mannes sind.»

Matthias riss die Waffe hoch und vollführte einen Ausfallschritt, wobei er die Klinge durch die Luft auf Waldmanns Hals zu pfeifen liess. Nur eine Handbreite davor verharrte sie zitternd in der Luft. Der Hauptmann hatte sich nicht bewegt.

«Alter Mann?», sagte Matthias und lachte ebenfalls. «Ihr hättet es nicht mal bemerkt, bis Ihr ohne Kopf vor der Himmelstüre gestanden hättet, werter Hauptmann.» Er nahm das Schwert herunter und liess es in der Scheide verschwinden.

Waldmann ging an Matthias vorbei und stellte einen Fuss auf den Zwischenraum zwischen zwei der Zinnen. Er sah auf die Stadt herunter, dann zum See.

«Wir müssen hier weg», sagte er dann, die Stimme ernst. «Ich muss nach Zürich zurück. Die Geschäfte warten.»

Matthias stellte sich neben ihn und Waldmann drehte den Kopf, sah seinen Kapitän an. «Und Du musst zu Deiner Jolanda.»

Matthias' Herz machte einen Sprung, doch er liess sich nichts anmerken. «Und wann soll ich aufbrechen?»

«Sobald Du dafür in der Lage bist.» Hans Waldmann machte eine Pause. «Und, wenn Du zum Ritter geschlagen wurdest.»

«Vielen Dank, Hans.» Matthias sprach leise.

«Nicht mir musst Du danken, mein alter Freund. Danke unserem Herrgott! Danke ihm, dass Du überhaupt noch lebst.» Er war immer noch ernst. «Aber ich denke, der Herr im Himmel hat noch eine Aufgabe für Dich.»

Matthias wusste, was sein Hauptmann meinte.

«Ob wir ihm uns nochmals stellen werden?»

«Oh ja! Wir werden!» Waldmanns Stimme war voller Zuversicht. «Wir werden, da bin ich mir absolut sicher.»

Waldmann nahm den Fuss herunter und drehte sich um. «Die Zeremonie findet morgen statt. Es wird zuerst ein Gottesdienst abgehalten und dann vor der Kirche wirst Du Deine wohlverdiente Ehre erhalten. Von Hallwyl hat sich dagegen gewehrt, aber Feldhauptmann Wilhelm Herter von Hertneck und Oswald von Thierstein sind beide meiner Meinung, also wurde er überstimmt. Und so wird es morgen geschehen.» Waldmann sah ihn an, die Augen voller Freundschaft. «Und heute», seine Stimme wurde wieder schalkhaft, «heute Abend werden wir uns so richtig besaufen.» Waldmann grinste und liess ihn allein auf der Terrasse zurück.

Matthias lächelte.

* * *

 

Hans stellte ihm am Abend einen Säckel voller Geld hin. «Weisst Du noch, der Graf in Vaumarcus? Wir haben da ein schönes Sümmchen für seine Freilassung bekommen.»

Matthias öffnete den Lederbeutel, spähte hinein.

«Aber dafür wirst Du heute uns alle einladen müssen. Du bezahlst alles! Das Bier, den Wein, das Essen und die Huren!» Waldmann grinste und Matthias lächelte schief. «Ja, ich weiss», redete Waldmann weiter, «Du hast danach nichts mehr übrig, aber das ist nicht unser Problem. Oder was meint Ihr, Männer?»

Die hinter ihnen stehenden Söldner lachten, jubelten und riefen durcheinander.

Waldmann stand auf und knallte ihm eine Hand auf die Schulter. Matthias zuckte vor Schmerz zusammen, sagte aber nichts.

«Kommt! Lasst uns feiern gehen!» Waldmann nahm den Ledersäckel und drückte ihn Matthias in die Hand. Dann stapfte er aus dem Raum.

* * *

 

Die kleine Kirche von Murten stand direkt neben der Wehrmauer. Immer noch waren die Beschädigungen in der Mauer durch Karls Geschütze gut zu sehen. Doch das Gotteshaus war bei der Belagerung unversehrt geblieben und jetzt strömten die Besucher der Messe durch das halbrunde Portal auf den Vorplatz hinaus. Sie nahmen die vorgegebene Aufstellung an. Matthias wurde angewiesen, direkt vor dem Portal zu warten. Ein kleines Holzgestell war aufgestellt worden, worauf sein Langschwert, eine goldene Kette, ein zusammengefaltetes Wams und eine zusammengerollte Fahne lagen.

Als alle ihre vorgegebenen Plätze innehatten, stellte sich Feldhauptmann Wilhelm Herter von Hertneck neben Matthias. Seine blauen Augen sahen Matthias an, er lächelte. Seine blonden, langen Haare fielen ihm über den Nacken. Wie immer war er glattrasiert.

Er nahm tief Luft. «Geschätzte Ritter und Edelleute. Meine geliebten Waffenbrüder, wir haben uns hier und heute versammelt, um einen von unseren besten Kämpfern die Ehre zuteil kommen zu lassen, die ihm durch seine Taten, und nicht nur in Grandson und Murten, ein Verdienst sind. Ausserordentliches hat er geleistet im Kampf um unsere Freiheit.» Herter von Hertneck machte eine bedeutungsvolle Pause. «Wir sind hier zusammengekommen, um Matthias von Altstetin die Ehre des Ritterschlages zu erweisen.» Er winkte Matthias zu sich heran, zeigte mit einer Handbewegung, dass er niederknien sollte.

«So sprecht mir nach, Herr von Altstetin: Ich gelobe stets tapfer, edelmütig und grossherzig zu sein. Selbstbeherrschung und Bescheidenheit zu üben. Ich begehe nie Verrat und ich beschütze die Notleidenden. Ich werde weder Angst noch Furcht zeigen. Treu und hold werde ich immer meinen Pflichten als christlicher Ritter nachkommen. So wahr mir der Herrgott helfe.»

Getreu der Anweisung sprach Matthias ihm nach, laut und deutlich. Als er geendet hatte, schlug ihm der Feldhauptmann mit der flachen Hand ins Gesicht. «Dies soll der letzte Schlag sein, welchen Ihr entgegennehmt, ohne ihn zu erwidern.» Er machte wieder eine Pause. Matthias hatte seinen Kopf gesenkt.

«Erhebt Euch, Ritter Matthias von Altstetin!»

Jubel brandete auf. Applaus, Pfiffe und Geschrei waren zu hören. Herter von Hertneck nahm die Goldkette vom Gestell und legte sie ihm um den Hals. Dann hielt er ihm das neue Wams hin und Matthias schlüpfte hinein. Der Feldhauptmann nahm Matthias' Schwert und gürtete ihn damit. Zuletzt ergriff er die Fahne und entrollte sie. Sie hatte eine königsblaue Grundfarbe, darauf waren zwei goldene Löwen eingestickt. Diese hielten ein grosses Wappen, worauf der schwarze Turm mit den drei Zinnen, stehend auf dem roten Dreiberg auf goldenem Grund, zu sehen war. Über dem Wappen waren noch dasjenige von Zürich und das weisse Kreuz auf rotem Grund der Eidgenossenschaft aufgebracht.

Matthias besass nun sein eigenes Wappen.

* * *

 

Das Wetter blieb weiterhin unbeständig.

Die grosse Feier in der Burg war wie auch der eigentliche Akt des Ritterschlages bei warmem Wetter vonstattengegangen, jedoch nahm die Bewölkung im Laufe der Nacht wieder zu und am Morgen begann es wieder zu regnen.

Sie verabschiedeten sich voneinander. Hans Waldmann kehrte mit den zehn verbliebenen Söldnern von Matthias' Truppe nach Zürich zurück, während der Kapitän und Sven sich auf den Weg gen Süden machten, mit Ziel Chambéry. Matthias ritt noch etwas ungelenk, war die Bewegungen noch nicht gewohnt. Er und Sven liessen sich deshalb Zeit, machten oft Pausen und benötigten letztendlich über vier Tage, um die ganze Wegstrecke zu bewältigen.

Endlich durchquerten sie die Stadttore. Matthias wäre am liebsten im gestreckten Galopp durch die schmalen Gassen gesprengt, doch Plätze, Strassen und Gassen wimmelten nur so von Menschen und dies liessen nur einen sehr langsamen Gang zu. Dazu schmerzte ihn sein ganzer Körper von der Reise.

Doch schliesslich kam der grosse Platz von der Burg in Sicht.

Matthias und Sven waren angekündigt worden und Peter von Savoyen wartete bereits auf der grossen Treppe. Sie führten ihre Pferde die Rampe hinauf, die an der Treppe vorbeiführte, und sie begrüssten den Fürstbischof mit freundlichen Worten.

«Es ist schön, Euch hier bei Gesundheit empfangen zu dürfen, meine werten Herren», antwortete der Berater der Herzogin. «Darf ich Euch unterdessen mit Herr Ritter begrüssen?»

Matthias neigte den Kopf als Bestätigung und Peter verneigte sich leicht. «Es freut mich, dass Ihre Taten belohnt worden sind, Herr Ritter von Altstetin.»

«Ich danke Ihnen, Herr Fürstbischof. Leider sind diese noch nicht abgeschlossen», antwortete Matthias und Peters Miene verdunkelte sich leicht. «Das habe ich leider vernommen. Herzog Karl ist immer noch am Leben.» Er seufzte leise. «Es wäre nicht nur der Eidgenossenschaft, sondern auch Savoyen und dem französischen König sehr gelegen gekommen, Ihr wärt erfolgreich gewesen.»

Der leichte Tadel war nicht zu überhören, aber Matthias ging nicht darauf ein.

Peter von Savoyen führte sie in die Burg. «Die Herzogin ist zurzeit noch beschäftigt, aber Ihr werdet gebeten, mit ihr heute Abend zu speisen, allein.» Dann wandte er sich an Sven: «Und Ihr, Monsieur Ivarsson von Einsiedeln, werdet sehnsüchtig in der Hofküche erwartet.»

Matthias übersetzte und Sven grinste über das ganze Gesicht.

Matthias blieb mitten im grossen Hof stehen. Er sog die Gerüche in die Nase, hörte die bekannten Geräusche.

Er war zu Hause.

 

Kapitel II

 

S

ein Herz klopfte. Fast dachte er, die Diener und Mägde müssten es schlagen hören können. Er stand vor der massiven Tür, die in den grossen Saal führte. Seine Hände waren schwitzig und er atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus, um sich irgendwie zu beruhigen. Doch es gelang ihm nicht.

Dann öffnete er die Tür.

Jolanda sass auf einer der beiden Bänke vor dem Kamin. Die Öllampen im schmiedeeisernen Kronleuchter brannten, obwohl es noch nicht dunkel war. Auf der Tafel standen schon die Speisen und Getränke, der Tisch war für zwei gedeckt.

Sie drehte sich um und blickte ihn an.

Da waren sie wieder, ihre Bergsee–blauen Augen, welche er so vermisst hatte. Sie lächelte, liess ihre weissen Zähne blitzen und die Grübchen um ihre Augen erschienen. Sie trug ihr Haar offen und war gekleidet mit einem schlichten, langen Kleid in leuchtend roter Farbe. Der Ausschnitt war tief und um den Hals schmiegte sich eine einfache Kette aus schwarzen Perlen.

«Lasst uns alleine!», rief sie und die Diener und Mägde verschwanden, nicht ohne jedoch Matthias beim Vorbeigehen vielsagende Blicke zuzuwerfen.

Als die Tür ins Schloss fiel, sprang sie auf und lief ihm entgegen. Sie warf sich um seinen Hals und küsste ihn.

Ein Geruch von Lavendel und Jasmin.

Er erwiderte den Kuss heftig, innig.

Die Schmerzen seines Körpers waren wie weggeblasen, nur das altbekannte Brennen war wieder da.

Jolanda löste sich von ihrem Kuss, sah ihn an. In ihren Augen standen Tränen der Freude, ihre Hände berührten sein Gesicht, seine Haare, seine Augen, seinen Mund.

«Du bist zurück, mein Lancelot», hauchte sie. «Du hast es mir versprochen und Du hast Dein Versprechen gehalten.»

«Ich habe Dich so vermisst, meine Liebste.» Matthias antwortete ernst. «Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr.»

Ihre Augen strahlten. «Jeden Tag habe ich mir diesen Moment vorgestellt, habe ihn mir so sehr erwünscht.» Ihre Stimme so sanft, so leise.

Er hielt sie fest, wollte sie nie wieder loslassen. Er spürte ihr Zittern, ihre Spannung. Freude. Glück.

Seine Hände hielten sie sanft und doch fest. Er sog den Geruch von Lavendel und Jasmin ein. Spürte ihre Wärme und ihre Sanftheit, die er so liebte.

Sie fuhr mit einer Fingerspitze sanft über die noch frische rote Narbe in seinem Gesicht. Dabei schüttelte sie leicht den Kopf.

«Was hast Du Dir nur gedacht, mein Ritter?», hauchte sie.

Sie assen kaum.

Jolanda wollte alles wissen, jede Einzelheit der Schlacht. Sie lobte ihn bei der Darstellung, wie sie die Artilleriestellung ausgeschaltet hatten, tadelte ihn heftig bei der Erzählung seines Alleinganges in das Lager Karls und dem Versuch, diesen zu stellen und freute sich, als er darlegte, wie die Ärzte ihm geholfen hatten. Sie begutachtete die Narben, die unterdessen zwar schon gut verheilt waren, wenn sie auch manchmal, vor allem bei schlechtem Wetter, noch schmerzten. Und sie gratulierte ihm bei der Beschreibung seines Ritterschlages. Nicht ganz ernst nehmend, stand sie auf und verbeugte sich. «Mein Ritter», lachte sie und Matthias lachte mit.

Sie liebten sich direkt auf der Tafel.

Sie liebten sich auf dem Teppich, direkt vor dem grossen Kaminfeuer.

Sie liebten sich in ihrem Schlafzimmer.

* * *

 

Der Spätsommer war in vollem Gang, das Wetter mehrheitlich schön und warm. Ohne Rücksicht auf das Geschwätz in der Burg genossen sie ihre Zeit zusammen. Sie ritten aus, gingen spazieren und besuchten gemeinsam die Gottesdienste, die der Fürstbischof Peter von Savoyen in der Kapelle der Burg, Saint–Chapelle, durchführte.

Die Kapelle der Burg war nicht minder so beeindruckend wie die Burg selbst. Das Kirchenschiff wurde von einem Halbkreis abgeschlossen, in welchem fünf schmale, aber hohe Fenster eingelassen waren, die bemalte religiöse Szenen, Heilige, dazu aber auch das Wappen Savoyens zeigten. Das bogenförmige Dach war mit wunderbaren, vielfältigen Verzierungen geschmückt, ebenso die Wände, in denen Nischen eingelassen waren, worin unzählige Heiligenfiguren standen. Im Halbrund vor den Fenstern befand sich ein grosser, mehrstöckiger Steinaltar mit Intarsien aus Gold. Kerzenleuchter, ebenfalls aus purem Gold, standen darauf. Die Kerzen gaben dem Inneren der Kapelle ein warmes, schönes Licht. Und in einem Reliquienschrein hinter dem Altar lag eines der grössten Heiligtümer in der christlichen Welt: das Grabtuch Jesu.

«Es wird erzählt», flüsterte Jolanda, als sie das Grabtuch Matthias erstmals zeigte, «dass ein französischer Ritter namens Geoffroy de Chamy in einer Kirche bei Troyes das Grabtuch aufbewahrte. Da aber in Troyes in der damaligen Zeit immer wieder Banden marodierten, musste das Tuch nach Saint–Hippolyte gebracht werden, sonst wäre es gestohlen worden und wahrscheinlich für immer verschwunden.» In Jolandas Stimme schwang Ergriffenheit mit, als sie fortfuhr: «Die dortige Gräfin, Margaret de Chamy, gab es später dem Vater meines verstorbenen Ehemannes, Ludwig von Savoyen. Dessen Frau und Mutter meines Ehemannes, Anne von Zypern, liess dafür hier diesen kleinen Schrein anfertigen.» Jolanda sah ihn mit grossen Augen an, bevor sie immer noch leise flüsternd fortfuhr: «Ludwig zahlte sogar Abgaben, damit er das Tuch für immer hierbehalten konnte.»

«Und es verbleibt immer hier?», fragte Matthias, aber Jolanda schüttelte den Kopf. «Nur für die grossen, heiligen Feste. Peter lässt es immer an verschiedenste Orte versenden, sodass so viele Menschen wie möglich, vor allem auch die armen Leute, das Tuch sehen können. Es war sogar schon in Turin.»

Matthias bekreuzigte sich mehrmals, als er den Schrein sah. Welch ein Heiligtum.

Im Reliquienschrein war eine Nische und diese mit einem schmiedeeisernen Gitter und einem grossen, vergoldeten Vorhängeschloss versehen. Dahinter lag ein in rotes Tuch aus Seide gehülltes und mit purpurrotem Velours bedecktes Etui, das mit goldenen Nägeln verziert war.

«Unser Fürstbischof verfügt als einziger über den Schlüssel dazu und er nimmt das Grabtuch nur zu speziellen Anlässen hervor, wie Ostern, Christi Himmelfahrt, zum Weihnachtsfest, oder auch, das wirst Du morgen sehen, zum Erntedankfest.

Oder wenn es wieder zu einem anderen Ort gebracht werden soll.» Jolanda sprach wieder normal, als sie in das gleissende Licht des Nachmittags traten. Sie sah ihn an. Matthias war gerührt, ergriffen, noch nie hatte er eine solch heilige Reliquie gesehen.

«Vielleicht zweifelst Du an der Echtheit des Tuches, mein Geliebter?», fragte sie, aber Matthias schüttelte den Kopf. «Mit keinem Gedanken. Warum fragst Du?»

«Ach», sie seufzte, «der Bischof von Troyes und Papst Clemens VII. …»

«Der Gegenpapst?», unterbrach Matthias sie und sie nickte. «Genau der. Sie hatten erwirkt, dass das Grabtuch nicht als das Grabtuch unseres Herrn Jesu benannt werden darf. Beide meinten, es sei eine Fälschung.»

Matthias war erschüttert. «Aber wieso? Und was denkst Du?»

«Ich?» Jolanda lachte hell. «Ich bin Herzogin von Gottes Gnaden. Wer bin ich denn, dies zu beurteilen?» Sie machte eine Pause, überlegte. «Aber ob es echt ist oder nicht, spielt mir eigentlich keine Rolle. Wir haben immer viele Besucher, wenn Peter das Tuch bei einem Gottesdienst hervorkramt, und das bringt bekanntlich viel Geld in die Stadt. Viele Menschen kommen zu den Gottesdiensten oder auf Besuch, um dann das Tuch zu sehen. Da denke ich doch eigentlich sehr praktisch.»

Matthias sah sie schockiert an und Jolanda lachte wieder.

«Sieh mich nicht so an, Liebster. Ich habe ein Land auf meinen Schultern und nehme alles, was der Herrgott mir gibt, das diesem Land und seinen Menschen helfen kann.»

Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn über den Hof.

«Und jetzt lass uns nicht mehr über Politik und Kirche sprechen.» Sie strahlte ihn mit ihren blauen Augen an. «Lass uns ausreiten. Morgen wimmelt es hier nur so von Menschen und ich will noch etwas Zeit mit Dir allein verbringen können.»

* * *

 

Am nächsten Tag war der Hof überflutet mit Menschen. Capitaine Henry d’Aramitz und seine Leute der Palastwache hatten alle Hände voll zu tun, den Menschenmassen Herr zu werden. Auf Anweisung der Herzogin waren die Burgtore offen und der Gottesdienst für alle Menschen zugängig. Da Jolanda bei den kirchlichen Feiertagen auch immer Esswaren und Kleider an die ärmeren Bewohner der Stadt verteilen liess, war auch der grosse Platz vor der Festung überfüllt.

Matthias besah sich das Spektakel von der Treppe zum Aufgang in das Haupthaus, Sven war bei ihm. Obwohl der Hüne zwei Stufen weiter unten als sein Kapitän stand, überragte er diesen immer noch.

«Seht nur, Kapitän», sagte der Hüne plötzlich und zeigte auf das innere Burgtor. «Das sind doch die Mönche, welche wir auf unserer ersten Reise hierhin getroffen haben?»

Und tatsächlich, innerhalb der Gruppe von Franziskanermönchen, die soeben durch das Tor auf den Platz schritten, befand sich auch der Prediger, den Herzog Karl im Sommer aus Genf herausgeworfen hatte. Matthias studierte, suchte den Namen des Mönches.

«Du hast recht», meinte er und zwängte sich an seinem Gefährten vorbei. «Bernhardin von Feltre heisst der Mönch. Er hat für uns die Meldung betreffend Murten an den Hauptmann geliefert. Komm, wir müssen sie begrüssen, uns bedanken.»

Die beiden Söldner drängten sich durch die Menschenmassen. Der Franziskaner hatte sie schon erblickt und winkte freudig.

«Pater Bernhardin von Feltre», begrüsste ihn Matthias freundlich, «es ist mir eine grosse Freude, Euch wiederzusehen.»

«Monsieur von Altstetin», erwiderte der Mönch. «Auch ich freue mich ausserordentlich, Euch hier wohlbehalten vorzutreffen.»

«Mein allergrösster Dank an Euch, dass Ihr unsere Nachricht an Hauptmann Waldmann überbracht habt.» Matthias verneigte sich leicht.

Auch der Mönch senkte kurz den Kopf. «Es war uns ein Vergnügen. Wir haben schon gehört, dass Ihr den gottlosen Hund vor Murten wieder bezwungen habt.» Er sah Matthias fragend an. «Wie geht es dem Hauptmann?»

«Ich habe ihn zum letzten Mal in Fribourg gesehen, er wollte nach Zürich. Da ging es ihm gut.»

«Das freut mich zu hören.» Der Mönch lächelte, dann runzelte er seine Stirn. «Aber was macht Ihr hier? Ich will nicht neugierig sein, aber müsstet Ihr nicht auch in Zürich bei Eurem Hauptmann sein?»

Matthias lächelte ebenfalls. «Ich bin offiziell als Botschafter zwischen dem Herzogtum Savoyen und der Eidgenossenschaft eingesetzt.»

Der Franziskanermönch unterbrach ihn: «Aber das bedeutet, Ihr müsstet offiziell dem Ritterstand angehören?»

«Ich hatte die Ehre, ja», antwortete Matthias und Bernhardin klatschte in die Hände.

«Ich gratuliere Ihnen, Monsieur. Aber jetzt müssen wir weiter, sonst kommen wir nicht mehr in die Kirche und wir wollen doch unbedingt unseres Herrn Jesu Grabtuch sehen. Habt Ihr es schon gesehen?»

«Ich hatte das Privileg, die Herzogin selbst hat es mir gezeigt.»

Die Antwort löste bei Von Feltre ein leichtes Stirnrunzeln aus, er fragte aber nicht weiter.

«Ich würde mich freuen, wenn ich Euch nach dem Gottesdienst der Herzogin persönlich vorstellen dürfte», sagte Matthias und der Franziskaner zeigte sich erfreut.

«Dann sprechen wir uns später, werter Herr von Altstetin», antwortete er und machte sich daran, durch die Menge hindurch seinen Ordensbrüdern nachzueilen.

Sie nahmen das Abendessen wieder im grossen Saal zu sich. Neben Matthias und der Herzogin, welche immer noch dem Anlass gebührend mit einem schlichten, weissen Kleid und passender Haube gekleidet war, sassen auch der Fürstbischof Peter von Savoyen und Bernhardin von Feltre am Tisch. Seine Brüder assen zusammen mit Sven im Saal des Pavillons.

«Werter Vater», sprach Jolanda zu dem Mönch, der sichtlich die guten Speisen genoss, «Herr Matthias von Altstetin hier hat uns erzählt, Ihr wart auf Pilgerreise nach Einsiedeln zu der schwarzen Madonna?» Der Franziskaner nickte, während er sich einen grossen Bissen gebratenes Hähnchen in den Mund schob.

«Habt Ihr sie gesehen?»

«Aber ja, meine Herzogin», antwortete er, nachdem er heruntergeschluckt hatte. «Und sie ist wunderschön! Der Abt hat sie bekleidet mit einem einfachen, weissen Gewand und sie steht in der sogenannten Gnadenkapelle. Diese ist mitten im Kirchenschiff gebaut und besteht, ganz im Gegensatz zu der ganz in weiss gehaltenen Kirche, aus schwarzem Stein. Goldene Engel bewachen den Eingang der Kapelle und die heilige Mutter Gottes», er bekreuzigte sich, «steht auf einem hohen Altar und blickt auf uns arme Sünder hinab.»

«Aber ist die Kirche nicht abgebrannt?», fragte Jolanda, da ihr Sven schon die Geschichte des Klosters seiner Heimat erzählt hatte.

«Aber ja, meine werte Herzogin. Die Kirche ist zurzeit eine einzige Baustelle und deshalb leider nicht in ganzer Pracht sichtbar.» Er schob sich wieder einen Bissen ein, dann sprach er weiter: «Der Abt hat mir aber die Pläne gezeigt und diese sind wirklich ambitioniert. Ich hoffe, er kann sie realisieren. Und wegen des Brandes musste die Madonna auch ersetzt werden.» Er trank einen Schluck seines Weines. «Das war auch der Grund, dass wir uns damals auf die Pilgerreise aufgemacht hatten.»

Peter von Savoyen schaltete sich in das Gespräch mit ein: «Und Ihr habt einen grossen Beitrag geleistet im Kampf gegen Herzog Karl von Burgund.»

«Aber nein, Herr Fürstbischof», Bernhardin von Feltre schüttelte entschieden den Kopf. «Unser Herr hat uns mit den Herren Matthias und Sven zusammengeführt.» Er zeigte mit seiner Hand auf Matthias. Und da uns der gottlose Mensch aus Genf hinausgeworfen hatte, war es uns ein Vergnügen, die Nachricht an den Herrn Hauptmann Waldmann zu überbringen.»

«Aber das war doch ein ziemlich grosser Umweg?», fragte der Fürstbischof.

«Als Dank für die Überbringung durfte ich in den Orten auf unserem Weg predigen. Hauptmann Waldmann hat uns extra ein Schreiben dafür ausgestellt. So hat der Herr uns geleitet und so durfte ich mein Wort über diese gottlosen …» Matthias stiess den Franziskaner unter dem Tisch mit dem Fuss an. «Diese …» Er stockte wieder und Matthias musste lächeln. «Jedenfalls durfte ich das Wort Gottes verbreiten auf dem Weg, und das zeigte doch, dass unser Zusammentreffen eine Fügung unseres Herrn war.»

Jolanda und Matthias blieben noch an der Tafel, nachdem Peter und Bernhardin sie verlassen hatten.

«Ein sehr …» Jolanda suchte nach dem richtigen Wort, «ehrgeiziger Mann, dieser Bernhardin von Feltre.»

«Er prangert die Banken und die Geldverleiher an», antwortete Matthias, dann nahm er einen Schluck Wein. «Und die Juden.»

Jolanda runzelte die Stirn. «Die Juden?»

Matthias nickte. «Er gibt ihnen die Schuld für das heutige Geldsystem mit den Wucherzinsen. Er glaubt, dass sie das Ganze unter sich aufteilen und sich dabei bereichern wollen.»

«Aber eine Arbeit mit Geld will ja auch sonst niemand erledigen.» Jolanda spielte mit ihrem Weinglas, trank aber nicht. «Es sei niederere Arbeit, wird gesagt.»

«Dem ist in der Stadt Zürich ebenfalls so», führte Matthias aus. «Auch da haben die Zünfte die Arbeit mit Geld als schmutzig erklärt. Also haben die Juden das Geschäft übernommen und verdienen sich dabei eine goldene Nase. Was ich persönlich als ziemlich klug empfinde.»

«Und er bekämpft dies?»

«Und wie!» Matthias lachte. «Er wurde schon aus mehreren Städten geworfen, unter anderem aus Genf von Karl, weil er das System so heftig kritisierte und die Juden als die Geissel Gottes unserer Zeit beschimpft hatte.» Er zuckte mit den Schultern. «Dabei ist das doch völliger Blödsinn, auch wenn das mit den Wucherzinsen sicherlich ein Problem darstellt.»

«Mir war zu Ohren gekommen, dass sich die Florentiner als Juden verkleidet hätten, um es diesen unterzuschieben. Aber hier in der Stadt konnte es nie nachgewiesen werden. Also haben wir es dabei belassen. Zudem, es sind mehr die Politiker, welche dies mit ihren unsinnigen Gesetzen und Geboten überhaupt möglich machten.» Sie machte eine Pause. «Und diejenigen mit dem Geld kontrollieren die Obrigkeit», unterbrach ihn Jolanda, als Matthias etwas entgegnen wollte. «Aber so ist die Welt. Diejenigen mit viel kontrollieren diejenigen mit wenig.» Sie seufzte leise. «Das ist so bei Königen und Herzögen wie auch im gemeinen Volk.»

Matthias goss sich Wein ein, nahm einen kleinen Schluck. «Du hast heute viel an Dein Volk verteilt.» Er nickte anerkennend.

«Das ist nicht viel», entgegnete sie. «Wir haben mehr als genug und der Frühling und Sommer waren schön, also ist die Ernte gut dieses Jahr.» Sie nippte ebenfalls an ihrem Glas. «Und es gibt so viele Menschen in dieser Zeit, die einfach zu wenig haben. Es ist meine Pflicht.»

«Deshalb lieben Dich die Menschen», sagte Matthias leise.

Jolanda sah ihn mit ihren grossen Augen an. «Liebst Du mich?», fragte sie und er lächelte wie immer, wenn sie diese Frage stellte.

«Mit meiner ganzen Seele, meine Guinevere.»

Jolanda stand von der Tafel auf, ging zu ihm hinüber und küsste ihn.

* * *

 

Wie meistens an Abenden, an denen das Wetter nicht allzu gut war, sassen sie noch lange zusammen. Sie redeten oft, wussten voneinander unterdessen so viel, als würden sie sich das ganze Leben über kennen. Oder sie spielten gemeinsam Schach. Jolanda beherrschte das königliche Spiel so gut, dass Matthias meistens ohne Chance gegen sie war und so gut wie fast nie gewinnen konnte. Dafür brachte er ihr Kartenspiele bei. Sie war davon so begeistert, dass sie sogar bei einem Kartenmacher Spielkarten mit eigenen Sujets anfertigen liess. Jolanda wusste von Matthias' Problemen, dass er kaum einem Karnöffelspiel um Geld aus dem Weg gehen konnte, und hielt es für besser, wenn er mit ihr spielte. Oder besser, gegen sie. Auch lud sie manchmal den Capitaine ihres Heeres, Isac De Porteau, denjenigen der Stadtwache, Henry d’Aramitz und Peter von Savoyen zu den Spielen ein. Der Fürstbischof war eigentlich der Meinung, dass es sich nicht geziemte, als Herzogin diese Spiele des gemeinen Volkes zu spielen, aber sie überstimmte ihn und so gab es doch den einen oder anderen Abend, an dem sie an der grossen Tafel im Saal zusammensassen und sogar um Geld spielten. Ausgerechnet der Fürstbischof wies sogar ein bestimmtes Talent dafür auf und ging meistens mit mehr Livre in der Tasche, als er gekommen war.

Die Tage wurden kühler, aber an denjenigen mit besserem Wetter ritten sie immer noch viel aus oder spazierten in den Park hinter der Burg. Unterdessen schickten ihnen d’Aramitz und Peter keine Soldaten mehr nach, nachdem diese einmal berichtet hatten, dass sie versehentlich die beiden beim Liebesspiel beobachtet hatten. Jolanda wurde so wütend, dass sie den Soldaten beide Augen ausstechen lassen wollte, aber der Fürstbischof und Matthias konnten sie in letzter Minute davon überzeugen, Gnade walten zu lassen. So wurden die beiden aus der Palastwache entlassen, konnten aber wenigstens ihr Augenlicht behalten.

«Weisst Du noch, als wir zum ersten Mal hier waren?», fragte sie mit ihrer leisen, sanften Stimme. Es war einer der wärmeren Herbstabende und sie lagen beide unter der grossen, alten Linde im Park auf dem Rücken und sahen zu den Sternen. Es war kein Mond zu sehen und die Sterne waren in dieser Nacht besonders schön.

«Als könnte ich das je vergessen, meine Liebste.» Auch Matthias' Stimme war leise. «Du wolltest fliegen wie ein Vogel, bis hinauf zu den Sternen.» Er lächelte, sie ebenfalls.

«Du hast mein Herz zum Fliegen gebracht, mein Lancelot.» Sie sog die frische Luft tief ein, liess sie langsam wieder entweichen. «Ich sah Dich damals, wie Du in den Stall gingst, um Artus zu striegeln. Ich wusste, wer Du warst, Peter hatte mir erzählt, dass zwei Abgesandte angekommen seien und dass Ihr eine Nachricht überbringen solltet.» Sie machte eine Pause, schwelgte in der Vergangenheit. «Ich sah Dich und mein Herz überschlug sich. Ich wollte das nicht, aber ich konnte nicht anders. Ich liebte Dich vom ersten Augenblick an.» Jolanda sah zu ihm.

Er lächelte bei dem Gedanken. «Du hast mich verzaubert.» Er seufzte glücklich. «Du hast mich mit Deinem Finger berührt und mein Herz verzaubert.»

Matthias nahm ihre Hand in die seine, sah sie an, seine Augen ernst. «Ich will nie wieder von Dir weg. Jeden Tag meines Lebens mit Dir verbringen.»

«Ich weiss.» Jolanda sagte es so leise, dass er sie fast nicht verstand. «Aber Du wirst wieder wegreiten müssen, mein Ritter. Du hast zwei Söhne.»

«Die hole ich hierher, dann müssen wir uns nie wieder trennen», rief er dazwischen.

Sie schüttelte leicht den Kopf. «Mach das. Bring Deine Söhne hierher. Es wäre mir eine Ehre, sie kennenzulernen. Aber Du hast Verpflichtungen, mein Liebster. Irgendwann wirst Du wieder nach Zürich müssen. Ausserdemn…» Sie beendete den Satz nicht. Er wusste trotzdem, was sie meinte.

Seine Miene verdunkelte sich.

«Aber lass uns nicht von solchen Dingen sprechen.» Ihre Stimme war immer noch sanft und ganz leise. «Nicht heute und nicht jetzt. Lass uns jeden Augenblick geniessen, den uns der Herr im Himmel schenkt.»

Matthias nickte, aber es fiel ihm schwer, die dunklen Gedanken wegzuscheuchen. Jolanda nahm einen Finger, fuhr ihm damit sanft über das Gesicht, ganz leicht über die Narbe. Dann legte sie ihn ihm auf die Brust. «Brennt Dein Herz immer noch so?»

«Unentwegt.»

Sie setzte sich auf, öffnete die Bändel ihres Kleides, zog es sich über die Schultern. Dann fingerte sie an den Haken des Kleides hinter ihrem Rücken, öffnete es weiter und weiter und schliesslich auch den Gürtel. Sie schlüpfte heraus und er sah ihr dabei zu.

Letztlich war sie nackt.

Sie kniete neben ihm, sah ihn mit undefinierbarer Miene und mit grossen, sanften Augen an. Matthias getraute sich nicht, ein Wort zu sagen oder eine Bewegung zu machen. Nichts sollte den Augenblick zerstören, für immer sollte dieser Moment verweilen.

Er sah sie an und er wusste, nie würde er dieses Bild vergessen.

Doch irgendwann. Irgendwann war der Moment vorüber.

Jolanda beugte sich zu ihm hoch und küsste ihn.

Heftig. Leidenschaftlich. Unersättlich nach Liebe.

Sie zerrte an seinem Gürtel, öffnete seine Hose. Sie nahm in rittlings. Sie ritt auf ihm, in unendlicher Ekstase, in endloser Begierde, in ewiger Sehnsucht.

Matthias liebkoste ihre Brüste, streichelte ihren Nacken, ihren Rücken, ihre Schenkel. Er spürte die Hitze in ihr, die Flamme, die durch ihren Körper brannte. Ihr Leib loderte in einem inneren Feuer. Sie ritt ihn immer schneller und schneller. Dann bäumte sie sich auf, warf ihren Kopf zurück und ihre Haare wehten in der Nacht.

Und wieder, wie jedes Mal, wenn sie sich liebten, flog Jolanda zu den Sternen. Sie flog wie ein Vogel, höher und höher.

Sie schrie ihre Erregung in die Nacht hinaus.

* * *

 

Der Brief kam am nächsten Tag.

Die Herzogin hiess sie alle in den grossen Saal zu kommen. Peter von Savoyen, der Capitaine ihrer Palastwache, Henry d’Aramitz und Capitaine Isaac De Porteau, der Heerführer Savoyens. Auch Matthias und Sven wurden von einem Diener gerufen, zu erscheinen.

Sie stand an der Tafel, wo sie normalerweise zu Abend assen. Vor ihr lag ein aufgerollter Brief, das Siegel zerbrochen.

«Meine werten Herren», fing sie an und Matthias übersetzte an Sven, obwohl dessen Französisch durch seine Liaison mit der Magd immer besser und besser wurde, «wir haben eine Nachricht erhalten von grosser Wichtigkeit.» Jolanda, wieder ganz die Herzogin, sah sie einen nach dem anderen an. «Louis XI., der König von Frankreich, mein geliebter Bruder, hat uns eingeladen, an seinen Sitz in Montils–les–Tours zu kommen.»

Sven sah Matthias mit grossen Augen an und dieser schüttelte leicht den Kopf.

«Er hat Korrespondenz mit Ritter Hans Waldmann von Zürich geführt und sie wollen das Bündnis zwischen Frankreich und den Ständen der Eidgenossenschaft erneuern.» Jolanda machte eine Pause, sah Matthias ernst an. «Und er will auch, dass Savoyen das Bündnis mit Bern und mit den sieben Zehnden für das Wallis neu aushandelt.» Sie nahm den Brief auf, der ein grosses, wunderschönes Siegel in Blau trug, und hielt ihn Matthias hin. Dieser nahm ihn auf, rollte ihn auseinander. Doch das Lesen auf Französisch war ihm noch nicht so geläufig wie das Sprechen, und dazu war die Schrift des Königs ziemlich unleserlich, sodass er den Brief letztlich ungelesen an Peter übergab, der neben ihm stand. Dieser las ihn, reichte ihn dann weiter an De Porteau, doch der Heerführer schmiss das Papier einfach auf den grossen Tisch.

«Mein werter Bruder macht keine Angaben, was ihm da vorschwebt, oder was er mit den Bernern und mit diesem verfluchten Bischof von Sitten ausgehandelt hat, aber es kann kaum etwas Gutes sein.» Matthias hatte Jolanda noch nie fluchen gehört und war dementsprechend entsetzt. Er wusste, dass Jolanda ihren Bruder liebte, aber er war sich auch sicher, dass sie ihm nicht wirklich traute.

Sie drehte sich um, ging zur Kommode und goss sich aus der Glaskaraffe Wein in ein Weinglas, welches weiss war und wie Porzellan aussah. Sofort begann ein Diener loszulaufen, um sie zu bedienen, doch ein lautes «Nein!» stoppte den armen Mann abrupt. Sie blitzte ihn an, sagte aber kein weiteres Wort und der Diener zog sich wieder auf seinen Platz zurück. Ihren Gästen bot sie keinen Wein an.

«Ich kenne meinen Bruder nur zu gut. Er ist verschlagen, aber äusserst klug. Und er denkt nur an sich, immer nur an sich!» Sie zischte wütend. «Wir müssen uns auf alles gefasst machen!» Sie schüttelte den Kopf, presste ihre Lippen zusammen. «Wir werden morgen die Vorbereitungen für die Reise treffen. Ich will, dass zehn Männer von der Palastwache bereit sind.» Sie sprach zu d’Aramitz. «In voller Montur und voll bewaffnet.»

«Ja, Herzogin.»

«Und ich will, dass Ihr, Capitaine De Porteau, mit uns reitet.»

Der Heerführer wollte etwas entgegnen, aber der Blick von Jolanda war so scharf, dass er gar nicht dazu kam.

«Keine Diskussion! Herr Peter von Savoyen, Ihr werdet mich in der Kutsche begleiten!» Der Fürstbischof nickte nur, dann wandte sich Jolanda an die beiden Söldner: «Meine Herren, auch Ihr werdet mich beide begleiten. Ihr habt Euch schon bewiesen und ich brauche jede Unterstützung. Und dazu seid Ihr, Herr Ritter von Altstetin, unser offizieller Botschafter.» Sie streckte sich. «Und jetzt lasst mich bitte allein. Ich habe Vorbereitungen zu treffen!»

Matthias blieb draussen auf dem Hof stehen. Er sog so viel Luft in die Lungen, wie es nur ging. Dann atmete er langsam aus.

Er erinnerte sich gut an sein Gespräch mit Waldmann in Fribourg, an dem Tage seiner Ankunft. Vor seinem inneren Auge sah er den Blick, welchen der Hauptmann ihm damals zugeworfen, hörte die Frage, die dieser ihm gestellt hatte: «Und, was, wenn Du Dich zwischen Deinem Freund und Deiner Herzensdame entscheiden musst?»

Matthias wusste es immer noch nicht.

 

Kapitel III

 

D

ie Vorbereitungen dauerten den ganzen Tag. Diener beluden die Kutsche mit dem Gepäck der Herzogin, Lastpferde mit Ausrüstung und Proviant. Der Fürstbischof überwachte die gesamten Vorbereitungen mit scharfem, geübtem Auge. Sven und Matthias ihrerseits machten ihre Pferde fertig, überprüften mehrfach ihre Bewaffnung. Ihre Kleidung war gewaschen und in einer Kiste auf der Kutsche verstaut. Sven verabschiedete sich von seiner kleinen Magd, die herzzerreissend weinte. Der Riese nahm sie in die Hände und schwang sie durch die Luft, als wäre sie eine Puppe. Er lachte sie an, küsste und drückte sie und schwang sich letztendlich auf sein Pferd. Matthias nickte der Magd kurz zu, verabschiedete sich von Capitaine d’Aramitz und sie ritten vom Hof.

* * *

 

Ihre Reise dauerte fast zwei ganze Wochen. Der Sommer war zu Ende und das Wetter war umgeschlagen und überwiegend regnete es, mal mehr, mal weniger. Matthias ritt meistens auf Artus, nahm jedoch auch immer wieder für ein paar Stunden in der Kutsche Platz, wo er mit der Herzogin und dem Fürstbischof über die Möglichkeiten der Verhandlungen sprach.

Als Matthias wieder einmal in der Kutsche sass, fragte ihn Jolanda: «Was meint Ihr, was werden die Berner von mir fordern? Eigentlich hatte Herr Waldmann mir durch Euch versprochen, einen Teil der umkämpften Gebiete an Savoyen später angliedern zu können.»

Sie und Peter sahen ihn gespannt an.

Matthias überlegte. «Meine Herzogin», meinte er schliesslich, «Walter auf der Flüe, oder Bischof Supersaxo, wie er sich jetzt nennt, wird sicher versuchen, das gesamte Tal Wallis unter seinen Fittichen zu halten. Da müssen wir alles daransetzen, dass dies nicht gelingt. Wenn doch, habt Ihr kein Recht mehr, Steuern oder Abgaben zu verlangen oder auch militärisch einzugreifen, wenn dies vonnöten wäre.» Matthias machte eine Pause, überlegte sich die weitere Antwort. Keiner der beiden unterbrach ihn. «Bern hingegen wird die gesamte Vaud einfordern.» Peter sog hörbar die Luft ein und Matthias nickte. «Ja, werter Herr Fürstbischof, das war das erklärte Ziel der Berner. Ihnen kam die Kriegslust von Herzog Karl gerade recht. Sie wollten den Konflikt ebenso wie er. Jede der beiden Parteien hatte dasselbe Ziel und jeder wusste vom anderen auch, mit welchen Schritten der Krieg vom Zaun zu brechen war. Nur hatten beide Seiten den Konflikt gewinnen wollen, dies hat dann Bern mit Hilfe der Eidgenossenschaft auch erreicht. Zumindest teilweise, da Karl ja noch lebt und das Burgund somit weiterhin besteht.» Wieder machte er eine Pause, überlegte. «Und solange dies der Fall ist, kann die Vaud weder an Bern noch an Savoyen gehen.»

«Oder an Frankreich», warf Jolanda ein.

«Oder an Frankreich», nickte Matthias.

«Und, was ratet Ihr uns?», fragte Peter. «Immerhin kennt Ihr Niklaus von Diesbach persönlich.»

«Von Diesbach ist ein verschlagener Hund.» Matthias spie das letzte Wort richtiggehend aus. «Er wird Euch unter starken Druck setzen. Ich denke, dass Euer Bruder, der König, das Zünglein an der Waage sein wird, gegebenenfalls zusammen mit meinem Hauptmann Hans Waldmann. Wenn Ihr Gebiete der Vaud an Bern abgeben müsst, meine Herzogin, dann nur unter der Bedingung von hohen Geldzahlungen.»

«Von wie viel?», fragte der Fürstbischof und Matthias zuckte mit den Schultern. «Schwer zu sagen, Monsieur. Es wird auf die Grösse des Gebietes, die Anzahl der Gemeinden ankommen. Und beim Wallis würde ich keinen Schritt weichen. Supersaxo soll gefälligst entweder zurückweichen oder Abgaben bezahlen.»

«Und was hätten wir davon?», fragte Jolanda. «Unser Gebiet wäre um einiges kleiner.»

«Das ist richtig. Jedoch ist der Ausgang des Krieges immer noch völlig offen. Zurzeit haben wir durch Karls Niederlage in Murten, eine Pattsituation, die immer noch auf beide Seiten ausschlagen kann. Sollte der Herzog gewinnen, habt Ihr Euren Bruder im Rücken. Da wird meines Erachtens Karl nicht versuchen, etwas vom Zaun zu brechen. Dazu will er unbedingt sein Gebiet nach Norden erweitern, um das burgundische Holland mit seinem Kernland zu verbinden. Also kaum gegen Süden und Savoyen.» Er holte tief Luft. «Sollte Bern den Konflikt gewinnen, bekommt Ihr eine gewisse Summe und durch den Frieden mit Frankreich sowie der Tatsache, dass der See und die Berge eine natürliche Barriere bilden, ebenfalls eine gewisse Sicherheit.»

Jolanda überlegte lange, liess sich seine Worte durch den Kopf gehen. Schliesslich fragte sie: «Und, wenn sie es doch wagen?»

«Dann habt Ihr, wie erwähnt, Euren Bruder, der schlichten kann und zum anderen würde ich dann mit Hauptmann Waldmanns Hilfe die Eidgenossenschaft dazu bringen können, sich für Eure Seite zu entscheiden. Ihnen ist diese Kriegstreiberei der Berner schon länger ein Dorn im Auge.»

«Warum habt Ihr dann für deren Sache gekämpft?» Peter von Savoyen sah ihn zweifelnd an.

«Auch wir waren vertraglich daran gebunden», erklärte er. «Die Stände haben sich zuerst stark dagegen gewehrt, jedoch hat Karl beim Feldzug von Murten die offizielle Grenze zu Bern überschritten und somit war der Vertrag in Kraft getreten.»

«Und Ihr habt gutes Geld damit verdient», warf Jolanda ein und lächelte schief.

«Das ist richtig, meine Herzogin.» Auch er lächelte. «Vor allem in Grandson.»

Schweigen hielt Einzug. Alle drei überlegten.

Es war Jolanda, die das Schweigen brach: «Ihr müsst wissen, dass Louis alles daransetzen wird, dass andere für ihn Herzog Karl unschädlich machen. Schon früher wollte er das Burgund an Frankreich binden, hatte deshalb eine Heirat zwischen seinem Sohn und Maria von Burgund, der Tochter von Herzog Karl, durchsetzen wollen, aber das hat die Frau von Karl dem Kühnen und Stiefmutter von Maria, Margarete von York, vereitelt.» Sie machte eine Pause, reinigte mit dem Ärmel das Fenster von der Feuchtigkeit und sah hinaus in den Regen.

---ENDE DER LESEPROBE---