Die neuen Leiden des alten M. - Harald Martenstein - E-Book

Die neuen Leiden des alten M. E-Book

Harald Martenstein

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Beschreibung

Er wird geliebt und gehasst. Harald Martenstein schreibt weiter an seiner großen Chronik der deutschen Gegenwart. – hübsch portioniert in kleinen Texten über die Politik und den Alltag, Männer und Frauen, über das Älterwerden, das Vatersein, die Irrungen und Wirrungen der politischen Korrektheit. Wahrscheinlich ist dieses Buch sein bisher bösestes, witzig und entspannt ist es trotzdem. Der Kolumnist Martenstein wurde mit allen Preisen ausgezeichnet, die in diesem Genre in Deutschland vergeben werden. Wer unser Land verstehen will, muss lesen, was Martenstein über Genderforschung, über Sprachvorschriften, über die Diskriminierung von Menschen bei Schönheitswettbewerben oder über Steuerbetrüger zu sagen hat.

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Harald Martenstein

Die neuen Leiden des alten M.

Unartige Beobachtungenzum deutschen Alltag

C. Bertelsmann

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© 2014 by C. Bertelsmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Covergestaltung: buxdesign, München

Lektorat: Rainer Wieland

Satz: Uhl +Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-15077-8V002

www.cbertelsmann.de

Inhalt

Das Schreiben

Die Männer

Straßenumbenennungen

Belgrad, Kaliningrad, Pjöngjang

Die Universität

Ehrgeiz

Klassenkampf

Umweltschutz

Sargpflicht

Die Schweiz

Spielhallen

Schönheitswettbewerbe

Terrorexperten

Prokrastination

Luxusprobleme

Böse Hunde

Politisches Engagement

Geschichten

Toiletten in Kreuzberg

Andere Meinungen

Die E-Zigarette

Die EU

Ein Leserbrief

Maxim Biller

Christian Kracht und Roberto Blanco

Sibylle Berg und Günter Grass

Fußball

Justiz und Sexismus

Sexismus und Justiz

Schmähgedichte

Frauenliteratur

Die USA

Broken English

Jungs

Mütter

Väter

Mitleid

Täter

Sitzenbleiber

Rechtschreibung

Gerechtigkeit

Schulnoten

Risotto, Sir!

Für Negerfreunde

Akif Pirinçci

Der Abhörskandal

Steuerhinterziehung

Steuererhöhungen

Wahlen

Der Fall Guttenberg

Lichtschalter

Einladungen

Statussymbole

Pleiten

Intimbehaarung

Veggie-Day

Prostitution

Religion

Werbung

Frei.Wild

Berlin

Machos

Krankenhäuser

Mein Vater

Abschiede

Das Glück

Das Schreiben

Ach, Sie sind Maler? Wie interessant. Ich bin gegen die bildende Kunst. Den Kunstbetrieb lehne ich ab. Warum? Hauptsächlich aus Neid. Ich bin Autor, wissen Sie. Ich schreibe Kolumnen, Reportagen, Romane, ich erfinde Geschichten, man könnte wohl sagen, dass ich künstlerisch tätig bin, wenngleich auf einem anderen Feld.

Das Problem dabei ist, dass man sich immer was Neues einfallen lassen muss. Ein gewisser Sound ist natürlich da, ein Autor muss einen Sound haben. Wenn aber jeder Text klingt wie der andere, wendet das Publikum sich ab. Das Publikum verlangt schon ein bisschen Abwechslung.

Die Leute wollen unterhalten werden, oder berührt. Wenn Sie Unterhaltung nicht hinbekommen, können Sie es als Autor mit tiefen Gedanken probieren, gehen Sie halt auf die intellektuelle Schiene. Und wenn Sie auch das nicht hinkriegen, dann tun Sie so, als ob. Werden Sie dunkel, raunen Sie, weichen Sie aus ins Ungefähre. Oft funktioniert das. Wenn die Leute etwas nicht verstehen, dann werden zumindest einige von ihnen denken, es sei groß, was, wie wir beide wissen, nur selten tatsächlich der Fall ist. Die Musik funktioniert übrigens ganz ähnlich wie die Literatur, meiner Erfahrung nach.

In der bildenden Kunst brauchen Sie eine Idee, nur eine. Und das ziehen Sie dann durch, wieder und immer wieder. Sie gießen Tiere in Plastik ein. Oder Autos in Beton. Sie verfremden Schreibmaschinen. Malen Sie einfarbig. Machen Sie Bilder aus lauter Nägeln, aus lauter Punkten, aus Buchstaben, malen Sie mit Blut, kommen Sie, Ihnen wird schon was einfallen. Es muss natürlich neu sein, das, was ich gerade aufgezählt habe, gibt es alles schon. Sie müssen eine Marke werden, wiedererkennbar.

Wenn Sie zu Ihrem Kram eine Theorie haben und reden können, umso besser, aber das muss nicht sein. Wichtig ist, dass Sie als Typ was hermachen. Sie müssen ein Typ sein. Es muss rüberkommen, dass Sie das, was Sie tun, einfach tun müssen, verstehen Sie.

Handwerkliche Fertigkeiten sind nicht erforderlich, Handwerk ist 19. Jahrhundert. Es muss nicht gefallen oder gut gemacht sein, es muss beeindrucken, es muss wirken. Legen Sie ein geschlachtetes Tier in eine Glasbox, stellen Sie den Verwesungsprozess aus, Maden, Fliegen, das gefällt nicht, aber es beeindruckt. Leider gibt es auch das schon.

Wenn Sie Glück haben, kommen Sie mit einer einzigen Idee Ihr ganzes Leben lang über die Runden. Das ist es, worauf ich neidisch bin. Klar, bei uns Autoren wird auch mit Wasser gekocht. Viele schreiben immer wieder das gleiche Buch, ich könnte Namen nennen. Aber das darf bei uns eben nicht zu sehr auffallen. Bei euch ist es ein Vorteil, bei uns ist es ein Nachteil. Wenn ich ein Jahr lang über das gleiche Thema etwa das Gleiche schreibe, immer besser vielleicht sogar, immer perfekter, werfen die mich raus. Wenn Sie zwanzig Jahre lang das Gleiche machen, sind Sie am Ende vielleicht Millionär.

Sie werden lachen: Ich kaufe Kunst. O ja. Ich investiere. Festgeld wirft nichts mehr ab, für Aktien bin ich nicht blöd genug oder nicht schlau genug. Wirtschaftlich glaube ich an die bildende Kunst. Im Herzen bin ich für die Realisten, ich glaube, das habe ich deutlich gemacht. Ich bin Realist, oder Reaktionär, wenn Sie so wollen. Das ist ja fast das Gleiche. Die Neue Leipziger Schule finde ich ganz gut, Neo Rauch und so was, obwohl die natürlich nicht mehr so gut malen können wie die Alte Leipziger Schule, Tübke, Mattheuer und Konsorten, die Alten waren besser, klar. Aber der Wille zählt. Die Jungen probieren es wenigstens. Das ist alles sehr teuer, leider. Ich kaufe, was ich mir leisten kann, auch wenn ich nicht immer überzeugt bin.

Ein Buch würde ich niemals als Geldanlage kaufen, nur aus Neugier, ein Buch ist eine ganz miese Investition. Das ist der Unterschied.

Die Männer

Ich erkläre hiermit, wieso ich so oft die Männer verteidige. Der Grund ist: Es tut sonst niemand. Es ist eine Marktlücke, wie das Katholischsein, aber das macht schon der Matussek. Im Grunde bin ich der größte Feminist von allen, nur, als Autor bringt mir das nichts. Weil aus allen anderen halbwegs talentierten Autoren bittersüßer Feminismus herausströmt, bin ich gezwungen, meinen eigenen Feminismus privat auszuleben und beruflich diese furchtbaren, aber immerhin unverwechselbaren Macho-Texte zu produzieren. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch für mich ein Problem.

Ich sollte während der Strauss-Kahn-Affäre einen Kommentar schreiben. Der Kommentar mündete in eine These, die ich für nicht sehr originell hielt. Aber mir fiel einfach nichts Besseres ein, außerdem wollte ich ins Schwimmbad. Ich brauche das, also das Schwimmen. Folglich schrieb ich: »Männer sind trotz allem keine schlechteren Menschen als Frauen.«

Im Schwimmbad hatte ich beim Schwimmen die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, wegen der Banalität meiner These. Aber am nächsten Morgen fand ich im Computer etliche empörte Briefe vor. Der Satz ist ja offenbar doch provokativ und so gesehen eine echte Granate gewesen. Das kriege ich selber oft gar nicht mit. Man denkt, man schreibt eine Allerweltswahrheit – und halb Deutschland tobt vor Wut. Eine Frau schrieb: »Natürlich sind Männer schlechtere Menschen, Beweis: In den Gefängnissen sitzen fast nur Männer.«

Es war mir sofort klar, dass diese Frau sachlich im Recht ist. In deutschen Gefängnissen sind die Männer interessanterweise fast genau ebenso stark repräsentiert wie in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen, nämlich mit 95 Prozent. Andererseits sitzen in den amerikanischen Gefängnissen, bezogen auf den Bevölkerungsanteil, viel mehr schwarze als weiße Amerikaner. Es wird häufig gesagt, dies sei ein Beweis für den Rassismus der dortigen Justiz. Also könnte man sagen: »Die Tatsache, dass viel mehr Männer im Gefängnis sitzen als Frauen, ist ein wissenschaftlicher Beweis dafür, wie männerfeindlich unsere Justiz ist.« Wenn ich schwarz wäre, würde ich das sagen, und alle wären mit mir solidarisch.

Ich habe dann herausgefunden, dass Frauen und Männer sich in der Kriminalitätsmenge gar nicht so stark unterscheiden – nur, Männer begehen häufiger Gewaltverbrechen, zum Beispiel Mord, für Mord kommt man eher ins Gefängnis als für Ladendiebstahl oder üble Nachrede. Als ich dann tiefer in die Materie einstieg, fand ich heraus, dass auch die Mordopfer meistens Männer sind, nämlich zu 84 Prozent. Suizide werden zu 74 Prozent von Männern begangen. Mit den Worten der Frau, die mir den Brief geschrieben hat: Schlechte Menschen, also Männer, bringen meistens andere schlechte Menschen um. Insofern hilft die Natur sich selber.

Und es kommt noch besser. Die Obdachlosen sind zu 70 Prozent Männer, die Drogenabhängigen zu 80 Prozent, von den Kindern mit Lernbehinderungen sind 70 Prozent Jungen. Wenn man solche Zahlen liest, wundert man sich, dass überhaupt genügend Männer für die Besetzung der Aufsichtsratsposten übrig bleiben. Wahrscheinlich gibt es einige Drogenabhängige und auch ein paar Lernbehinderte in den Aufsichtsräten.

Aus Ritterlichkeit bin ich strikt dagegen, im Gegenzug zur Frauenquote in den Aufsichtsräten auch eine 40-Prozent-Frauenquote bei den Obdachlosen, den Mordopfern und den Schulversagern einzuführen. Das übernehmen gerne weiter wir Männer, ganz im Geiste eines Superhits aus dem Jahre 1913, gesungen von Walter Kollo: »Die Männer sind alle Verbrecher. Aber lieb, aber lieb sind sie doch.«

Straßenumbenennungen

In Friedrichshain-Kreuzberg hat die Bezirksverordnetenversammlung vor einiger Zeit beschlossen, dass Straßen und Plätze nur noch nach Frauen benannt werden. Und zwar so lange, bis im Stadtbild von Kreuzberg und Friedrichshain 50 Prozent der Straßennamen weiblich sind.

Es handelt sich um ein Jahrhundertprojekt. Denn jedes Jahr wird nur eine Handvoll Straßen neu oder umbenannt. Eine Zeitung hat ausgerechnet, dass es einige Menschenleben dauern könnte, bis die Quote erreicht ist. Sollte also irgendwann ein Kreuzberger sämtliche Nobelpreise auf einmal gewinnen, das Perpetuum mobile erfinden oder einen Impfstoff gegen das HI-Virus entdecken, der gleichzeitig Marshmallows in Gold verwandelt und gegen den Welthunger hilft, dann sollte er sich in Kreuzberg keine falschen Hoffnungen auf eine Ehrung machen, falls es zufällig ein Mann ist.

Nein – sie haben in den vergangenen Jahren immerhin zwei Ausnahmen gemacht. In Kreuzberg sind unter grüner Bezirksregierung erstens eine Straße nach Rudi Dutschke und zweitens eine Straße nach Silvio Meier benannt worden, einem von Neonazis ermordeten Hausbesetzer. Rudi Dutschke ist quasi der Konrad Adenauer der Grünen.

Nun gab es dieses Problem mit dem Philosophen Moses Mendelssohn. Ein Platz am Jüdischen Museum, vor der neuen Akademie des Hauses, sollte nach Mendelssohn benannt werden, der als Denker der Aufklärung schon auch ein relativ fortschrittlicher Mensch war, andererseits war er nicht direkt ein Revolutionär und auch kein Mitglied der Grünen wie Rudi Dutschke. Das machte die Sache schwierig. Andererseits war Mendelssohn Jude, da ist Fingerspitzengefühl vielleicht nicht ganz unangebracht. Insofern haben die Kreuzberger Bezirkspolitikerinnen nach langem Widerstand und hartem Kampf am Ende doch einem genderpolitischen Kompromiss zugestimmt. Der Platz darf jetzt »Fromet- und Moses-Mendelssohn-Platz« heißen. Fromet, eine geborene Gugenheim, war die Ehefrau von Moses.

Alle sind erleichtert, auch weil der Philosoph Moses Mendelssohn ein solider Typ und zum Glück nur einmal verheiratet war. Im Falle von Willy Brandt müsste so ein Platz ja »Carola-Brandt-, Rut-Brandt-, Brigitte-Seebacher-Brandt- und Willy-Brandt-Platz« heißen, wobei nicht auszuschließen ist, dass Brigitte Seebacher-Brandt gegen die Nennung ihrer beiden Vorgängerinnen klagt. Manche Männer heiraten, wenn überhaupt, leider gar keine Frau. »Die-Frau-die-er-geheiratet-hätte-wenn-er-hetero-gewesen-wäre-und-Dirk-Bach-Platz«, geht das überhaupt? Andere leben, was ja völlig legitim ist, den häufigen Partnerwechsel. Immerhin könnte man mit dem »Alle-Freundinnen-von-Rolf-Eden-und-Rolf-Eden-Platz« die Kreuzberger Straßenfrauenquote wahrscheinlich, rein quantitativ, mit einem Schlag erfüllen.

Belgrad, Kaliningrad, Pjöngjang

Vor einiger Zeit wurde gemeldet, dass der Termin für die Eröffnung des Berliner Flughafens wieder einmal geplatzt ist. Bis dahin war die Eröffnung für den 8. Mai 2012, für den 3. Juni 2012, dann für den 17. März 2013 angekündigt worden. Ein Manager sagt: »Es herrscht völliges Chaos.« Von einem anderen Manager wurde der Satz bekannt: »Es stellt sich die Frage, ob die Entrauchungsanlage jemals funktionieren wird.«

Es wäre sehr ungerecht, zu behaupten, dass so etwas nur in Berlin vorkommt. Als Vergleichsobjekt drängt sich der neue Hauptbahnhof der serbischen Metropole Belgrad auf. Die Station »Belgrad Zentrum« sollte am 1. Mai 1979 feierlich eröffnet werden. Die Eröffnung wurde zuerst auf 1980 verschoben, dann auf 1989, schließlich auf 1999. Inzwischen sind etliche weitere Jahre verstrichen. Die Bauarbeiten laufen angeblich weiter auf Hochtouren, der fünfte Eröffnungstermin steht noch nicht fest. Ursache der Probleme ist die komplexe Topographie der Stadt Belgrad, unter anderem gibt es dort Berge und Flüsse, ein Umstand, der den Planern zunächst nicht bewusst gewesen ist.

In Kaliningrad, dem früheren Königsberg, wird seit den siebziger Jahren versucht, ein Hochhaus zu errichten, das ursprünglich den Sowjet der Stadt beherbergen sollte. Zuletzt ist sogar der Versuch gescheitert, in den Rohbau Fenster einzubauen – angeblich herrscht völliges Chaos. Es stellt sich die Frage, ob die Fenster jemals funktionieren werden. Inzwischen ist die Ruine allerdings eine Sehenswürdigkeit. Sie soll offiziell zum Denkmal für das Scheitern der Sowjetunion erklärt werden.

In der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang wird seit 1987 an einem Hotel gebaut, das 1987 sogar das höchste Hotel der Welt gewesen wäre, mit 320 Metern, 3000 Zimmern und sieben Drehrestaurants. Das Hotel wird die Form einer Pyramide haben, wenn es fertig ist, was ursprünglich wohl 1992 der Fall sein sollte. Was genau das Problem ist, weiß nur Präsident Kim Jong Un. Zuletzt wurde angekündigt, das Hotel werde zum 100. Geburtstag des früheren Präsidenten Kim Il Sung eröffnet, also im April 2012, ein Termin, der offenbar nicht gehalten werden konnte.

Man kann also sagen, dass derartige Probleme eine Spezialität eher östlich gelegener Metropolen mit einer lebendigen sozialistischen Tradition sind, insofern stellt die schwierige Baugeschichte der Berliner Flughafen-Entrauchungsanlage keine ganz so große Überraschung dar.

Von Kaliningrad und Pjöngjang aber können wir Berliner lernen, dass der Flughafen auch im Fall der Nichtfertigstellung eine neue Touristenattraktion werden könnte, als Berlin-Denkmal oder Partylocation, und dass der 1. Oktober 2053, der 100. Geburtstag von Klaus Wowereit, im Grunde ein idealer Eröffnungstermin wäre.

Die Universität

Zum ersten Mal seit meinem Examen habe ich wieder ein Seminar an der Universität besucht. Ich war jetzt der Dozent. Es handelte sich um Germanisten. Junge Germanisten sind offenbar sympathische, intelligente, freundliche Menschen. Viele von ihnen können allerdings nicht fehlerfrei Deutsch. Ich finde das nicht schlimm, nur überraschend. Andererseits, es gibt einen relativ berühmten Fotografen, der blind ist. Es gibt ängstliche Boxer und ewige Jungs, die achtzig sind. Da mag auch ein Germanist, der nicht Deutsch kann, seinen Platz im Gebäude der Schöpfung finden.

Ein typischer Germanistensatz in einer Seminararbeit des Jahres 2012 lautet: »Ich glaube das viele menschen gahr nicht Wissen wie schlimm es, um Die Germanistik, Steht und das bei uns Germaitn Vieles verbessert werden, könnte.« Am schlimmsten steht es nämlich um die Kommas, um Satzzeichen sowie Groß- und Kleinschreibung. Der Fortbestand der freilebenden sibirischen Tiger ist weniger bedroht als der Fortbestand des korrekt gesetzten deutschen Kommas.

Kulturpessimismus? Ohne mich. Manche Kulturtechniken werden bedeutungslos, andere steigen dafür auf. Weiß ich alles. Hey, ich sitze nicht auf dem hohen Ross. Auch ich mache Fehler. Vor allem der Konjunktiv gehört nicht zu meinen Spezialdisziplinen.

Ich erzählte, dass mein Großvater die Hauptschule besucht hat, wo er nicht zu den besten Schülern gehörte, und dass damals eine Hauptschule in der Lage gewesen ist, fast allen Leuten Rechtschreibung beizubringen. Dieses Kunststück gelingt heute nicht mal mehr den Gymnasien. Schreiben und Rechnen sind im Alltag immer noch hilfreich, oder irre ich mich da? Die Studenten sagten, dass sie sich schriftlich meistens im Internet bewegen, und da komme oder käme es auf Kommas und Großschreibung nicht an. Ich meine, hallo, das Deutsche und das Englische sind auch verschieden, da klappt es auch, beides zu beherrschen, wieso geht es dann nicht mit Internetsprache und Schriftsprache? Die Studenten sagten, seit der Rechtschreibreform wisse eh keiner mehr irgendwas.

Ich habe mich dann an diese Schreibweisen erstaunlich schnell, gewöhnt. Man kann sich nicht über jeden fehler aufregen, dass sind zu viele, da würde man verrückt werden.

Auch die Professoren sagen, man kann nichts mehr tun. Nur ein Don Quijote könne heute noch verlangen, dass Germanisten auf dem Rechtschreibniveau eines Hauptschülers von 1912 sind. Im Mittelalter gab es schließlich auch keine verbindlichen Schreibweisen, die Normierung der deutschen Sprache kam doch sowieso erst im 19. Jahrhundert. Im Mittelalter schrieb man alles Wichtige auf Lateinisch. Die Bildungsreformer haben das Schulwesen so lange reformiert, so lange Ansprüche gesänkt und Leistungsdruck gemiltert, bis die Schule wieder im Mittelalter angekommen ist, nur halt sine latinum. Wenn es auf diesem Weg weitergeht, erreichen die Bildungsreformen, vielleicht wieder das alte Rom, es kann nur besser werden. Und wenn in der Schule keiner mehr die Chance hat, richtig Deutsch zu lernen, dann hat man ja auch das Ziel der Chancengleichheit verwirklicht, noch dazu ohne Mühen und Kosten.

Was aber richtig lustig werden wird, hoffentlich erlebe ich das noch: Wenn die heute ausgebildeten Germanisten als Deutschlehrer und Germanistikprofessoren an den Start gehen. Hauptseminar: »der aufstieg, der Piratenpartei Und die literatuhr«. Aber vielleicht sind die Unis ja bis dahin abgeschafft, mit der gleichen Begründung wie die Hauptschulen. Der Abschluss bringt bei der Jobsuche irgendwie nichts.

Ehrgeiz

Im Fernsehen kam ein Interview mit der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD. Sie sollte sich zu der Frage äußern, ob sie irgendwann gerne Kanzlerin werden möchte. Die Frage wird auch ihrem Rivalen von der nordrhein-westfälischen CDU manchmal gestellt. Frau Kraft wand sich wie eine Würmin. Das ist eine Journalisten-Lieblingsfrage an Politiker: »Was wollen Sie irgendwann einmal werden?« Ich möchte sie ein für alle Mal beantworten.

Wenn man in irgendeinen Beruf hineingeht und über ein Normalmaß an Ehrgeiz verfügt, dann will man was erreichen in diesem Beruf, am besten wäre natürlich der Topjob. Jeder 16-jährige Fußballer träumt davon, in der Nationalmannschaft zu spielen, eines Tages. Jeder leidenschaftliche Koch besäße gern drei Sterne, kein Literat hätte ernsthaft etwas gegen den Literaturnobelpreis einzuwenden. Sogar die meisten Redakteure würden erfreut annehmen, wenn man ihnen die Chefredaktion anbietet. Was mich betrifft: Ich nehme alles an, außer Papst.

Was ist daran verwerflich? Gar nichts. Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass man es schafft, und das weiß man auch. Es hängt, selbst wenn man tatsächlich das Zeug dazu hat, auch von Glück und Umständen ab. Und es wäre blöd, sich nicht innerlich auf den Normalfall einzustellen, dass es nämlich nichts wird mit dem Nobelpreis, der Kanzlerschaft oder der Papstwürde. Auch jenseits dessen hat das Leben viel zu bieten. Noch blöder wäre es allerdings, seine Lebensträume vor allen Leuten laut herauszuposaunen. Obwohl es ganz normale Träume sind.

Ehrgeiz ist eines der letzten Tabus. Viele haben ihn. Niemand gibt es zu. Auch das Lexikon Wikipedia macht den Ehrgeiz schlecht: »Unter E. versteht man die Gier einer Person nach Ehre, oft verbunden mit dem Streben nach Macht und Ruhm.« Angeblich darf es allen immer nur um die sogenannte »Sache« gehen. Alle tun so verdammt demütig. Aber das ist doch völlig unrealistisch und verlogen. Wenn Menschen nicht ehrgeizig wären, würden wir immer noch auf den Bäumen hocken und uns gegenseitig total relaxed lausen, so sieht nämlich die Wahrheit aus. Wie soll jemand aus der Unterschicht hochkommen, wenn man den Leuten dauernd erzählt, Ehrgeiz sei schlecht?

Ich habe festgestellt, dass die evangelische Kirche in diesem Jahr eine Fastenaktion »Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz« ausgerufen hat. Man soll als Christ in Deutschland ab dem Aschermittwoch sieben Wochen lang beim Autofahren, beim Sport, beim Singen, Kochen und Sparen keinen Ehrgeiz haben, zumindest keinen falschen. Wie man den richtigen von falschem Ehrgeiz unterscheidet, haben sie leider nicht erklärt. Ich bin jedenfalls froh, dass ich in der Fastenzeit bei keinem engagierten Christen zum Essen eingeladen war oder seinem ehrgeizlosen Gesang lauschen musste. Hoffentlich haben Christen nicht zu viele Autounfälle gebaut. Was alles passieren kann, wenn man beim Sparen völlig ehrgeizlos ist, zeigt Griechenland. Womöglich hing auch der plötzliche, nach Aschermittwoch beginnende Absturz des Fußballvereins Borussia Mönchengladbach mit der Fastenaktion zusammen.

Meiner Meinung nach wäre Jesus ohne ein bisschen Ehrgeiz nie so erfolgreich gewesen. Pilatus hielt Jesus für den »König der Juden«. Da kommt man ohne Ehrgeiz nicht hin. Aber wie viel Ehrgeiz ist erlaubt? Um diese komplizierte Frage befriedigend beantworten zu können, müsste man ein extrem ehrgeiziger Kolumnist sein. Mir aber geht es selbstverständlich nur um die Sache.

Klassenkampf

In Berlin formiert sich gerade eine neue politische Bewegung. Auf mehreren Partys wurde darüber gesprochen. Es waren Partys, die hauptsächlich von Wohlhabenden besucht wurden, also Leuten, die in großen Altbauwohnungen leben, Bio essen, Honorarrechnungen ausdrucken und Smartphones benutzen.

Viele Berliner Wohlhabende mussten in letzter Zeit erleben, dass in ihrer Straße ein Auto angezündet wurde. Es ist in Berlin eine Mode geworden. Sogenannte Autonome oder Menschen mit Erlebnishunger gehen nachts in die Altbauviertel der Bioesser und Honorarrechnungen-Ausdrucker hinein und stecken dort mithilfe brennbarer Flüssigkeiten, meistens Grillanzünder, Autos an. Sie wollen damit politisch etwas ausdrücken. Sie machen ihrem Unbehagen über den Reichtum in unserer Gesellschaft Luft. Die Polizei kann nicht viel dagegen tun.

»Wir müssen zurückschlagen«, sagte mir ein Betroffener, ein erfolgreicher Kulturmanager. Wer sage denn, dass der Kampf der Armen gegen die Reichen eine Einbahnstraße sein müsse? Ihm sei aufgefallen, dass in seinen Kreisen, unter den wohlhabenden Kreativen, immer weniger Leute einen Fernseher besäßen. Höchstens, dass man noch ein Altgerät hat, das irgendwo versteckt herumsteht und bei wichtigen Fußballspielen oder bei Bundestagswahlen benutzt wird. Alles Übrige regelt man mit dem Laptop. Neue Fernseher kauft sich kein Mensch mehr, der es im tertiären Sektor zu etwas gebracht hat.