Nettsein ist auch keine Lösung - Harald Martenstein - E-Book

Nettsein ist auch keine Lösung E-Book

Harald Martenstein

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Beschreibung

Der neue Kolumnenband von Harald Martenstein – frech, böse, voll bissigen Humors

Harald Martenstein gilt vielen als Deutschlands wichtigster Kolumnist. Seine Themen findet er in der großen Politik genauso wie in den kleinen Zumutungen des Alltags. Wenn alle sich aufregen, plädiert er für Gelassenheit, wenn alle lieb sein möchten, fallen ihm Bosheiten ein. Egal, ob er über die Staatsfinanzen, schöne Russinnen, das Kinderkriegen oder deutsche Radfahrer schreibt – Martenstein ist immer eigensinnig, geistreich und unterhaltsam. Sein liebstes Werkzeug ist der gesunde Menschenverstand, sein Feindbild sind Nörgler, Besserwisser und Dogmatiker. Dabei fürchtet er sich weder vor Hasstiraden noch vor Shitstürmen.

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Seitenzahl: 187

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Harald Martenstein

Nettsein ist auch keine Lösung

Einfache Geschichtenaus einem schwierigen Land

C. Bertelsmann

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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2016 by C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Rainer Wieland

Umschlaggestaltung: buxdesign München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-18625-8V001

www.cbertelsmann.de

Für Harry Rowohlt(1945–2015)

Inhalt

Standortbestimmung

Hitler und seine Katzen

Bestseller

Engagierte Literatur

Michel Houellebecq

Missionare

Nachrufe

Wort des Jahres

Pegida

Heino

Die Flüchtlingskrise

Lob der Toleranz

Lob der Repression

Router

Neinsagen

Die Zukunft

ASMR

Humblebragging

Slimming

Social Freezing

Kinder kriegen

Kinder haben

Späte Väter

Über unperfekte Eltern

Berlin ist cool

Die Griechenlandkrise

Komplimente

Witze

Kinder und Karriere

Der Zorn abgehängter Männer

Beleidigungen

Die Karl-Marx-Straße

Sexistische Werbung

Schwanzdominante Wörter

Das soziale Geschlecht

Fehlbarkeit

Freundlichkeit

Mitgefühl

Ehrlichkeit

Leidenschaft

Deutsch-russische Beziehungen

Was Frauen wollen

Die sexuelle Orientierung der SPD

Gott

Fasten

Nudelsiebe

Die Naina-Debatte

Intelligenz

Ambivalenz

Universalgenies

Gerechtigkeit

Armut

Nichtschwimmer

Sommer 14

Das Böse

Mythos »Tatort«

Kapitalismus und Islam

Gutmenschen

Arschlöcher

Oliver Pocher

Schnittblumen

Geschenke

Ikea

Ausmisten

To-do-Listen

Das Ende

Standortbestimmung

Als Kolumnist habe ich mich dafür entschieden, alle Facetten meines Daseins zum Thema zu machen, dies scheint mir bei einer an eine Person gebundenen Kolumne das überzeugendste Konzept zu sein. Ich schreibe über meinen Alltag, über mein Leben als Vater, über Politik, über Gesundheitsprobleme, Frauen und Männer, meinen Hund, Sex und Nudelsiebe, über alles, was in meinem Leben eine Rolle spielt, immer in der Hoffnung, dass es für andere interessant sein könnte und dass andere sich in diesen Gedanken, Problemen und Geschichten wiederfinden. Oder sich darüber aufregen, was für ein Depp ich doch bin, auch aus dem Grund werden Kolumnen gelesen.

Dieses breite Spektrum hat, wie alles, Vor- und Nachteile. Oft schreiben mir Leser, dass sie sich nicht für Kinder interessieren, oder nicht für Hunde, oder dass ich zu oft über Politik schreibe und zu selten über Hunde oder doch bitte mal wieder das Kind auftreten lassen soll. Bei mir weiß man nie, was kommt. Ich selber weiß es auch nicht.

Seit ein paar Jahren hat sich etwas geändert. Ich bin für manche ein Feindbild geworden, und für manche eine Art Held, seit ich mich zu Themen wie Gender, politische Korrektheit und Feminismus äußere und mich über einige Aspekte dieser Ideologien lustig mache. Ich bin da so hineingeschlittert. Halten Sie mich gern für naiv, aber ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ, als ich den ersten Text dieser Art geschrieben habe. Ich fand etwas lustig und bizarr, ich weiß gar nicht mehr, was es war. Verbissene Leute sind fast immer komisch. Dann merkte ich, dass es in Kommentaren und Briefen ein aggressiveres Feedback gab als üblich, auch ein sehr begeistertes aus dem Gegenlager. Hoppla, dachte ich.

Als Nächstes merkte ich, dass ich ziemlich allein dastand, in der Presselandschaft. Solche Themen werden von den meisten, so jedenfalls mein Eindruck, mit äußerster Vorsicht behandelt. Kritik, Witze oder Spott gibt es fast nie, obwohl es an Anlässen nicht mangelt. Und wenn jemand es wagt, wird sofort versucht, diese Person auszugrenzen, das sind dann Spinner, Ahnungslose oder gefährliche Subjekte.

Da muss ich natürlich weitermachen, diese Baustelle kann ich nicht einfach wieder verlassen. Wer Kritik und Spott nicht aushält, muss in einer offenen Gesellschaft dringend desensibilisiert werden. Dass man sich gegen Kritik wehrt, die man für unzutreffend hält, ist natürlich das Normalste der Welt. Aber wenn man sich Kritik grundsätzlich verbittet und nicht mit Argumenten oder Gegenspott reagiert, sondern mit Bannflüchen, hört der Spaß auf.

Seltsamerweise habe ich weder gegen politische Korrektheit noch gegen Feminismus grundsätzlich etwas, sofern man darunter respektvollen Umgang miteinander und Gleichberechtigung versteht. Diesen Satz sage ich in meinen Lesungen oft. Ich finde nur, dass man keine neue Religion daraus machen sollte, mit Inquisition und virtuellem Scheiterhaufen.

Wo stehe ich? Bin ich womöglich ein Rechter? Manchmal nenne ich mich, spielerisch, einen Reaktionär, um dieses Wort salonfähig zu machen, wie es mit dem Wort »schwul« ja auch gelungen ist. Wenn »reaktionär« bedeutet, dass man dem sogenannten Zeitgeist nicht gedankenlos hinterherläuft, dann hat es viel für sich, ein Reaktionär zu sein. Ein Fortschrittsapostel kann es sich leisten, dumm zu sein, niemand legt seine Worte auf die Goldwaage. Ein Reaktionär muss klug sein, um im Betrieb zu überleben. Aber das, woran ich mich tatsächlich ausrichte, sind, so überkandidelt es auch klingt, die Ideen der Aufklärung. Habe den Mut, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen, befreie dich aus dem Zustand der Unmündigkeit. Zweifle alle Wahrheiten an, die man dir vorsetzt. Kusche nicht vor den Mächtigen. Wenn alle »ja« sagen, denke trotzdem sorgfältig nach, vielleicht ist »nein« die richtige Antwort. Ich habe immer gedacht, diese Ideen seien linke Ideen.

Die Texte dieses Buches sind hoffentlich unterhaltsam, sie erheben nicht den Anspruch auf ewige Wahrheit. Sie sind zum größten Teil in der ZEIT erschienen, ein anderer Teil stand im Tagesspiegel, einige wenige stammen aus verschiedenen Zeitschriften. Ich habe sie für dieses Buch überarbeitet und geändert, was mir nicht mehr gefiel oder falsch vorkam. Bei Lesungen werde ich oft gefragt, ob ich in der ZEIT wegen meiner Haltung nicht Schwierigkeiten hätte. Nein, das ist nicht der Fall. Das Gleiche gilt für den Tagesspiegel. Vielleicht bin ich eine Art Hofnarr – das ist für mich in Ordnung. Ich bin beiden Blättern und den Kollegen dort dankbar für die Langmut, mit der sie mich ertragen. Gelebte diversity.

Anders als in früheren Büchern habe ich an die meisten Texte einen oder zwei Kommentare angehängt, die aus dem Netz stammen. Einige sind sehr kritisch, andere liefern eine interessante Zusatzinformation, wieder andere führen das Thema weiter. Auf lobende Kommentare, die zum Glück zahlreich sind, habe ich schweren Herzens verzichtet, der Grund ist wohl klar. Einige Gegenpositionen finde ich dumm, andere bedenkenswert, manche richtig – bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil. Die Kommentare erscheinen unter den Netznamen der User, die meistens erfunden sind. Ich habe sie gekürzt und Flüchtigkeitsfehler korrigiert, außer in den Fällen, in denen mir Form und Inhalt eine untrennbare Einheit zu sein schienen. Natürlich ist meine Auswahl subjektiv, und ob ich meinen Vorsatz, fair zu sein, eingelöst habe, weiß ich nicht.

Warum habe ich das gemacht? Dieses Buch sollte eine »kommentierte Ausgabe« werden. (Das ist eine Anspielung.)

Mein Lieblingskolumnist heißt übrigens Harry Rowohlt. Er ist tot, einen wie ihn wird es nicht wieder geben.

Hitler und seine Katzen

Auch die New York Times hat ein Magazin, ähnlich wie die ZEIT. Da veranstalten sie jede Woche eine Umfrage unter ihren Lesern. Die Umfrage vom 23. Oktober 2014 hat für Aufsehen gesorgt. Das Magazin fragte, ob man, falls man eine Zeitmaschine besäße, damit ins Jahr 1889 reisen könnte und, falls sich dort die Gelegenheit ergäbe, das Baby Adolf Hitler töten würde. Auf Englisch: »Could you kill a Baby Hitler?« 42 Prozent antworteten »Yes«, 30 Prozent sagten »No«, 28 Prozent sind »Not sure«.

Ich wäre bei den 28 Prozent. Man könnte Baby Hitler doch auch entführen, mit dem brüllenden und sich heftig wehrenden Baby Hitler in die Gegenwart reisen und ihn in eine inklusive Waldorfschule stecken.

Mir sind sofort weitere Umfragethemen für die New York Times eingefallen. »Wenn Hitlers Schäferhund Blondi den Krieg überlebt hätte und Sie zufällig Hunde mögen würden – würden Sie Blondi ein neues Zuhause geben?« Da sage ich: »Yes«, ein Hund kann doch nichts für sein Herrchen. Oder: »Wenn Hitler der beste Liebhaber des Universums wäre und Ihnen den spektakulärsten Orgasmus Ihres Lebens verschaffen könnte – würden Sie dann mit Hitler Sex haben?« Ich glaube, da wäre ich eher bei »No«. Aber ich respektiere natürlich alle, die sich anders entscheiden, es ist ja eine sehr intime Frage, und ich bin für diversity. Ich habe auch was für eine Umfrage unter Neonazis. »Falls sich herausstellen sollte, dass Hitler Jude war, würden Sie dann aufhören, Antisemit zu sein?«

Ich habe, inspiriert von der New York Times, mal wieder auf eine meiner Lieblingsseiten im Internet geklickt, sie heißt Cats that look like Hitler und zeigt Fotos von Katzen, die Hitler ähnlich sehen. Man nennt diese Tiere auch Kitlers. Die Betreiber schreiben: »Wachen Sie jede Nacht schweißnass auf und fragen sich, ob Ihre Katze gleich Polen überfällt? Hält sie ihre rechte Pfote hoch und macht dabei ein Geräusch, das wie ›Sieg Miau‹ klingt? Dann ist dies Ihre Seite.«

Es gibt, vor allem unter jüdischen Usern, eine lebhafte Diskussion darüber, ob diese Art von schwarzem Humor zulässig ist. Gavin meint: »Als Jude mit einem (zugegeben, kranken) Sinn für Humor kann ich zugeben, dass ich eure Seite mehr liebe als gefillten Fisch. Ich zeigte die Seite meiner Mutter, die an der Uni Holocaust Studies unterrichtet. Sie mochte sie so sehr, dass sie versucht, die Seite in ihren Unterricht zu integrieren.« Am überzeugendsten fand ich das Pro-Argument des Diskutanten Rockell: Wenn Hitler eine von diesen süßen Katzen gesehen hätte, die ihm ähnlich sehen, dann hätte er doch garantiert einen Wutanfall bekommen und das arme Tier sofort umbringen lassen.

Jetzt muss ich für alle arischen Leser kurz was über Humor sagen. Humor hat fast immer mit Tabuverletzung zu tun. Deshalb ist politisch korrektes Kabarett so langweilig. Außerdem besteht ein bewährtes Humorrezept darin, Dinge zusammenzubringen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, zum Beispiel Hitler und Katzenbabys. Schäferhunde, die wie Hitler aussehen, wären langweilig.

Warum schreibe ich das alles überhaupt? Meine Agentin hat mir mal gesagt, dass es vier Themen gibt, mit denen man als Autor besonders große Chancen auf einen Hit hat. Sie heißen Sex, Kinder, Tiere und Nazis. Ich wollte wenigstens ein Mal eine Kolumne schreiben, in der alle vier Themen vorkommen.

Bestseller

Ich lese alles, was man mir hinhält, das war schon immer so. Ich lese sogar Coelho. Kaum ein Autor wird von der professionellen Literaturkritik so skeptisch gesehen wie dieser Paulo Coelho, obwohl er eine neue Romangattung erfunden hat, den Schwadroneur-Roman. Im Schwadroneur-Roman gibt es eine Seite Handlung, danach breitet der Schwadroneur über etwa zehn Seiten Lebensweisheiten aus, die nicht immer originell sind, anschließend setzt rumpelnd die Handlung wieder ein. Im Grunde ist so ein Coelho-Roman eine Art Kolumne, nur dass er für eine Kolumne viel zu lang ist.

In Untreue, dem neuen Werk, lautet das Leitthema: »Zu einer großen Liebe ist man ein ganzes Leben lang unterwegs.« Weil der Weg zur großen Liebe so weit ist, erquickt sich der Wanderer unterwegs bisweilen mit einer kleinen Liebe, dies nennt man »Untreue«.

Eine Buchhändlerin erzählte mir, dass sie den Internethändler Amazon selbstverständlich ablehnt, aber die Leser-Rezensionen auf Amazon nutze sie recht gern zur Information. Ähnlich wie der Autohandel hat sich auch das Geschäft der Literaturkritik zum Teil ins Internet verlagert, so traurig es für uns Journalisten ist. Tatsächlich findet man bei Amazon eine bemerkenswert pointierte Zusammenfassung von Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung: »Ein Drittel war pornografisch. Ein Drittel war Anregung für gutes Essen und Trinken. Der Rest war Politik und Islam.«

Seit dem Welterfolg von Fifty Shades of Grey liegt Sadomasochismus irgendwie im Trend, dies schlägt sich auch in den Rezensionen nieder. Martin M. schreibt über Unterwerfung: »Der Protagonist ist ein trauriger Charakter mit Weltschmerz. Es macht Spaß, das Buch zu lesen.« Eine ähnliche Herangehensweise wählt »Amazon Customer«, wenn er über Das Mädchen, das verstummte schreibt, den Krimi-Bestseller von Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt: »Die Story fand ich ganz nett. Alle Charaktere waren mir zuwider.«

Im Genre »Humor« spielt immer noch Jürgen von der Lippe vorne mit, Beim Dehnen singe ich Balladen schaffte es in der Bestsellerliste immerhin auf Platz 3. Die Debatte im Netz kreist um die Frage, ob es erlaubt ist, über schlüpfrige Witze zu lachen, oder ob nur traurige Charaktere Spaß machen dürfen, die beim schlüpfrigen Tun Weltschmerz empfinden. Zu von der Lippes Buch ist meine Amazon-Lieblingsrezension erschienen: »Das Buch war sehr schnell bei mir. Ich finde es gut. Leider kam ich noch nicht dazu, es ganz zu lesen.« Der Rezensent vergab vier von fünf Sternen. Alles in allem glaube ich trotzdem, dass die professionelle Literaturkritik in der Zeitung bessere Überlebenschancen besitzt als die Anzeige für Gebrauchtwagen.

Engagierte Literatur

Sie fragen nach der engagierten Literatur? Ob es die wieder in stärkerem Maße geben sollte? Da frage ich zurück: Wozu soll das gut sein? Was soll das bewirken? Vorbilder, nach denen andere Menschen sich in größerer Zahl eventuell richten, arbeiten heutzutage fürs Fernsehen, fürs Kino oder im Musikbusiness. Wer engagierte Literatur schreibt, ist ein eitler Fratz, der sich überschätzt. Der will sich vor den Spiegel stellen, sich selbstverliebt übers Haar streichen und sagen: »Schaut her, ein engagierter Autor. Je suis Sartre.«

Engagierte Literatur kämpft fürs Gute, für eine bessere Welt, oder? Sie denken an J’accuse von Zola oder an Onkel Toms Hütte. Klar, man kann sich auch für den Bau von Konzentrationslagern oder für die Ausrottung des Breitmaulnashorns engagieren, das wäre ebenfalls Engagement, aber so verstehen Sie den Begriff sicher nicht.

Wissen Sie, für das Gute kämpft heutzutage jeder, dafür braucht man die Literatur nicht mehr. Neben der Bild-Zeitung mit ihrer herzzerreißenden Titelseite, auf der Prominente sich für Flüchtlinge engagieren, neben den engagierten Fernsehmoderatoren, die vor Rührung über ihre eigenen Kommentare mit den Tränen kämpfen, neben all den engagierten Bloggern und den NGOs und den besorgten Leitartiklern und, nicht zu vergessen, den sexy Liedermacherinnen mit dem engagierten Augenaufschlag soll ich mich auch noch engagieren? Sind Sie irre? Ich soll dem Armageddon an Moralismus, in dessen Mitte wir uns befinden, diesem sauren Regen aus säuselndem Philistertum, auch noch was hinzufügen? Wenn’s hilft, gerne. Aber wenn nicht mal Claus Kleber die Welt retten kann, dann bleibt sie eh ungerettet.

Eine bessere Welt, was ist das überhaupt? Kein Hass, keine Kriege, so was in der John-Lennon-Richtung? Es gibt Kriege, die ich richtig finde, und es gibt vielleicht sogar Hass, den ich richtig finde, also, zurzeit. Alle zwanzig Jahre ändere ich sowieso meine Meinung und Sie auch. Aber Literatur sollte länger halten. Um mich engagieren zu können, müsste ich mir meiner eigenen Meinung sicher sein und Antworten besitzen, kurz, ich müsste das Gegenteil eines interessanten Autors sein.

Ich schreibe einen Roman, wenn ich eine Frage habe, auf die ich keine Antwort weiß. Deshalb erzähle ich eine Geschichte, um dabei selbst klüger zu werden, um zu suchen, und nicht, um anderen etwas beizubringen. Ich bin nicht Jesus, I am only the piano player. Wenn ein Buch uneindeutig ist, wenn es mehrere Sichtweisen zulässt, wenn es mich an meinen wackligen Ansichten zweifeln lässt, wenn ich über die Guten wütend werde und um die Bösen weine, wenn ich mich im Kopf eines Menschen befinde, der ein bisschen anders tickt als ich, dann ist es für mich ein gutes Buch. Das hat nichts mit Meinungen zu tun. Für Literaturkritiker, welche die Qualität eines Buches vor allem daran messen, ob es mit ihrer Meinung übereinstimmt, habe ich nur Mitleid übrig.

Ich könnte eine engagierte Geschichte über ein Flüchtlingsmädchen schreiben, das gibt es ja tausendfach und ist manchmal auch gut geschrieben. Nicht dass ich so was nie gelesen hätte. Das lesen die ohnehin Überzeugten, das ist wie politisches Kabarett anno 1970, nur in rührend. Was Literatur im besten Fall erreichen kann, wenn sie denn unbedingt etwas erreichen soll: Sie kann das Denkvermögen stärken. Und je länger du nachdenkst, desto weniger Gewissheiten hast du, desto misstrauischer wirst du in Bezug auf dich selbst. Und eine Welt, in der alle an ihren Gewissheiten zweifeln, wäre tatsächlich eine bessere Welt.

Wer um alles in der Welt hat Sie denn nach engagierter Literatur gefragt, bzw. wer würde Ihnen das zutrauen? Sie leben in einem Land, in dem es sich exzellent mit Nebensächlichkeiten kuscheln läßt, und meinen deshalb engagierte Literatur von Menschen, die mit weniger kuscheligen Situationen fertig werden müssen, als Produkt von Eitelkeiten abtun zu können? Alle zwanzig Jahre ändern Sie Ihre Meinung? So lange möchte ich nicht warten. Wenn Sie ernsthaft glauben, daß man nur illusions- und hoffnungslos, lediglich mit (klein)bürgerlicher Sinnsuche gute Literatur schreiben kann, dann bin ich sehr froh, daß Sie es nicht versuchen. Oder ist es doch der Frust darüber, daß ihre Problemchen im Verhältnis zu anderen sich wie Poesiealbum-Einträge lesen würden?

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Michel Houellebecq

Aus Anlass des Romans Unterwerfung von Michel Houellebecq möchte ich eine Gebrauchsanweisung für die Benutzung von Romanen verfassen. Immer weniger Menschen wissen, wie man sachgerecht mit Romanen umgeht. Es gibt auch immer mehr Ängste.

Vor einigen Monaten meldete die New York Times, dass Studenten in den USA Warnhinweise auf Büchern verlangen, falls diese Rassismus oder Sexismus enthalten. Shakespeares Kaufmann von Venedig könne zum Beispiel jüdische Studenten traumatisieren, deshalb müsse das Theaterstück mit dem Hinweis »Achtung, enthält Antisemitismus!« versehen werden. Unterwerfung handelt übrigens davon, wie Frankreich in einen islamischen Staat verwandelt wird.

Ganz wichtig ist es, dass man zwischen dem Schriftsteller und den Figuren seines Romans oder Stückes unterscheidet. Manchmal sind Bücher in der Ich-Form erzählt. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Wenn in einem Roman der Satz steht: »Ich möchte alle Albaner skalpieren, ich will Pferde töten und allen Schmetterlingen die Beine ausreißen«, dann ist dies nicht unbedingt ein persönlicher Wunsch des Autors. Der Satz ist auch nicht als Aufforderung zu verstehen, etwas Derartiges zu tun. Wenn in einem Roman schlimme Dinge beschrieben werden, dann versuchen Sie bitte auf keinen Fall, diese Dinge zu Hause nachzumachen. Die meisten Schmetterlingsarten stehen unter Schutz.