Die Old Order Amish - Silke Langwasser - E-Book

Die Old Order Amish E-Book

Silke Langwasser

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Beschreibung

Das Leben der Old Order Amish hat sich in den vergangenen zwei Jahrhunderten kaum verändert. Mit Pferdekutschen, alten Trachten und ihrem altertümlichen deutschen Dialekt leugnen sie beharrlich alle Entwicklungen der Industriellen und Postindustriellen Revolution. Etwa 85 000 Menschen leben noch heute in den USA und Kanada nach den strengen Regeln des konservativsten Teils der Mennoniten. Silke Langwasser gibt einen Überblick über die faszinierende Geschichte der Old Order Amish. Ihre Herkunft aus dem Täufertum und die Abspaltung von 1693, ihre Lebensweise, ihre Reaktion auf den Amerikanischen Bürgerkrieg und die Weltkriege im 20. Jahrhundert erläutert sie ebenso anschaulich wie die sozialen Strukturen, die im Lauf der Jahrhunderte eine ungewöhnliche Kontinuität aufwiesen. Religiöse Aspekte wie Gottesdienst, Taufe und Beerdigung und ihre Bedeutung für das Überleben der Gemeinschaft sind weitere Themen. Mit einem religionssoziologischen Ansatz gelingt der Germanistin und Historikerin eine möglichst ungefärbte Darstellung dieser außergewöhnlichen Minderheit.

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Seitenzahl: 244

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Silke Langwasser

Die Old Order Amish. Eine Glaubensgemeinschaft zwischen Beharrlichkeit und Entwicklung

© Tectum Verlag Marburg, 2008

ISBN 978-3-8288-5631-8

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3- 8288-9586-7 im Tectum Verlag erschienen.)

Besuchen Sie uns im Internet unter www.tectum-verlag.de

www.facebook.com/Tectum.Verlag

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

1 Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema, Forschungsdiskussion, Quellen- und Literaturgrundlage

1.2 Fragestellung, Ansatz und Vorgehensweise

2 Die Ursprünge der Amischen

2.1 Das Täufertum in seinen Anfängen

2.2 Die Abspaltung 1693: Die Geburtsstunde der Amischen

3 Der Weg in die Neue Welt und die Suche der Amischen nach einer Heimat in Europa

3.1 Die ersten Ansiedlungen in Nordamerika

3.1.1 Die Auswanderungswellen im 18. Jahrhundert

3.1.2 Die Krisen des 18. Jahrhunderts: Der Siebenjährige Krieg und die Erweckungsbewegung

3.1.3 Die Zeit des Unabhängigkeitskriegs

3.2 Die weitere Entwicklung amischer Gemeinden in Deutschland

3.2.1 Das Verhältnis zur Obrigkeit und den Mitbürgern

3.2.2 Die Handhabung der Ordnung im europäischen 18. Jahrhundert

3.2.3 Die weitere Entwicklung der Amischen in Europa

4 Die weitere Entwicklung in den USA vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis heute

4.1 Zeit des Wohlstand am Anfang des 19. Jahrhunderts

4.1.1 Die Migrationswelle des 19. Jahrhunderts

4.1.2 Spannungen innerhalb der Glaubensgemeinde und kulturelle Konflikte

4.1.3 Politisches Engagement zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs

4.2 Die Spaltungen von 1850-1878: Die Formierung der Old-Order-Amischen

4.2.1 Der Konflikt um das richtige Verständnis der Ordnung

4.2.2 Die Dienerversammlungen als Schlichtungsversuch....

4.2.3 Die historische Entwicklung der Amischen Mennoniten im 19. Jahrhundert

4.3 Bewahrung und Ausdauer: Die Old Order Amish von 1865-1900

4.3.2 Die Abgrenzung innerhalb der amischen Gruppen und die Distanzierung von der amerikanischen Gesellschaft

4.3.3 Die Wirtschaftslage am Ende des 19. Jahrhunderts

4.4 Die Amischen zur Zeit der Weltkriege

4.4.1 Die Auseinandersetzung um und mit der modernen Technik

4.4.2 Der Erste Weltkrieg

4.4.3 Die Entstehung der Beachy-Amischen

4.4.4 Der amische Kampf gegen das staatliche Bildungssystem

4.4.5 Die Auswirkungen der großen Depression

4.4.6 Die Amischen im Zweiten Weltkrieg

4.5 Die Entwicklung von 1945 bis in die Gegenwart

4.5.1 Problemfelder amischen Lebens in der Nachkriegszeit

4.5.2 Die Problematik des Alternative Service

4.5.3 Der Sieg der Amischen über das amerikanische Schulsystem

4.5.4 Die innere Entwicklung der Glaubensgemeinschaft in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts

4.5.5 Die Abgrenzung der Amischen vom amerikanischen Wohlfahrtsstaat

4.5.6 Beschäftigungsvielfalt und soziale Veränderung gegen Ende des 20. Jahrhunderts

4.5.7 Die wachsende Aufmerksamkeit innerhalb der Gesellschaft

4.5.8 Wachstum als Merkmal der heutigen Situation

5 Religiöse Aspekte amischen Lebens

5.1 Die amische Ordnung

5.2 Der Gemeindeaufbau

5.2.1 Der Völlige Diener oder Bischof

5.2.2 Der Diener zum Buch

5.2.3 Armendiener

5.3 Zeremonielle Ereignisse

5.3.1 Der Gottesdienst

5.3.2 Ordnungsgemeinde und Großgemeinde

5.3.3 Die Taufe

5.3.4 Die Hochzeit

5.3.5 Die Beerdigung

6 Soziale Aspekte amischen Lebens

6.1 Die Erwerbsstrukturen

6.1.1 Agrarwirtschaft

6.1.2 Entstehung von Kleinunternehmen

6.1.3 Fabrikarbeit

6.2 Das Leben innerhalb der Familie

6.3 Erziehung und Schulsystem

6.3.1 Die Anforderungen der Amischen an das Schulsystem

6.3.2 Die amische Grundschule und die Postelementary School

6.4 Abgrenzung von der Welt am Beispiel von materieller Kultur

6.4.1 Der Kleidungskodex

6.4.2 Die Kutsche

6.4.3 Die Sprache

6.5 Politische Partizipation

6.6 Die Adaption technischer Neuerungen

7 Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

8.1 Quellen

8. 2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

1.1 Hinführung zum Thema, Forschungsdiskussion, Quellen- und Literaturgrundlage

Heute leben etwa 180.000 Amische in den USA und Kanada. Etwa 85.000 davon sind Mitglieder1 der so genannten Old Order Amish, eine Gruppe, die sich im 19. Jahrhundert durch ein Schisma innerhalb der amischen Bewegung herausbildete. Gleichzeitig ist sie auch der konservativste Flügel der mennonitischen Glaubensbewegung, aus der sie hervorgegangen ist. Die Amischen leben über den Kontinent verstreut in kleinen Gemeinden, von denen nur wenige mehr als 1.000 Mitglieder haben. Aus historischen und politischen Gründen unterscheiden sich die Gemeinden leicht in ihren Sitten und Traditionen, doch alle gehören der gleichen Gemeinschaft an. Die ersten Gemeinden und der Ursprung der Amischen in Nordamerika befinden sich in Pennsylvania. Durch die anschließende Expansion auf der Suche nach Land bildeten sich amische Gemeinden in 26 Staaten der USA und in zwei Provinzen Kanadas. Inzwischen haben sich die Siedlungen bis über die Grenzen der Staaten hinaus erstreckt, so dass in den letzten Jahren weitere Gemeinden in Lateinamerika hinzukamen.2

Bekannt geworden sind die Amischen Alter Ordnung vor allem durch ihre anachronistisch wirkende materielle Kultur, wie ihre Kutschen oder Kleidung. Die Äußerlichkeiten dienen als Mittel, sich deutlich sichtbar von der Umwelt3 abzugrenzen und erinnern den Beobachter an längst vergangene Zeiten vor der Industrialisierung. Zudem erregen sie Aufmerksamkeit durch einen deutschen Dialekt, der als Pennsylvania Dutch4bekannt und immer noch die Alltagssprache der Amischen ist, was auch das große Traditionsbewusstsein der Gemeinschaft zum Ausdruck bringt.

Durch die zurückgezogene Art ihres Lebens gerieten die Amischen gegen ihren eigenen Willen in den Mittelpunkt des Interesses von amerikanischen Touristen. Eines der größten zusammenhängenden Siedlungsgebiete in Lancaster County im US-Bundesstaat Pennsylvania wurde bereits in den 1990er Jahren jährlich von etwa 5 Millionen Touristen besucht.5

Weniger sind dabei die geschichtlichen Wurzeln der Amischen bekannt, die von der Gründung der Täufer zur Zeit der Reformation über eine bewegte Immigrations- und Siedlungsgeschichte, die sie von Europa wegführte, reicht. Doch gerade das so gewonnene Spannungsfeld zwischen ihrer Kultur und Tradition und der Umwelt brachte die Ausprägung ihres Selbstverständnisses, das sich auch in der Forschung an wachsendem Interesse erfreut, mit sich.

Arbeiten über die historische Entwicklung der Amischen sind spärlich. Eine umfassende Untersuchung der amischen Geschichte, die von ihrer Entstehung bis in die Gegenwart reicht, ist bisher einmalig von Nolt realisiert worden, dessen Überarbeitung von "A History of the Amish"6dank einer neuen Auflage aus dem Jahr 2003 von hoher Aktualität für die Forschungsdiskussion ist. Daneben finden sich Werke zur Entstehung einzelner amischer Gemeinden, wie beispielsweise bei Stoltzfus7 oder regionale Untersuchungen wie die der beiden mennonitischen Forscher Horst Gerlach8 und Hermann Guth9. Dabei handelt es sich zumeist um Aufsätze, die in mennonitischen Jahrbüchern veröffentlicht wurden. Eine weitere Ausnahme in der sonst eher vernachlässigten Geschichte der Amischen bildet die Arbeit von Paton Yoder10 über die Old Order Amish im 19. Jahrhundert.

Neben dem geschichtlichen Ansatz, der eine deutliche Minderheit bildet, gibt es jedoch eine Vielzahl soziologischer Untersuchungen, unter denen insbesondere Kraybill11 und John A. Hostetier12 hervorzuheben sind. Beide stellen die neuesten sozio-kulturellen Entwicklungen der Amischen dar und zeigen die Einflüsse der Umwelt auf Glaubensgemeinschaft auf.

Zu den frühen Veröffentlichungen gehört ein allgemeineres Werk von Smith,13 das einen Überblick über die gesamte mennonitische Auswanderung bietet. Problematisch ist bei diesen älteren Beiträgen neben dem mehr deskriptiven als analytischen Charakter der Arbeiten auch die subjektive Haltung der Verfasser, von denen einerseits viele Mennoniten und manche auf der anderen Seite scharfe Kritiker der Amischen waren.

Erwähnenswertsindaußerdemreligionssoziologische Untersuchungen zu den Amischen, zu denen Kollmorgen14 und Bachman15 schon frühe Beiträge leisteten, die in jüngerer Zeit von Nagata16 und vor allem von Vossen17 im Bereich der Feldforschung vervollständigt wurden.

Da die Amischen sich selbst nie als Schriftsteller verstanden haben18 und es als hochmütig ansahen, der eigenen Person zu viel Aufmerksamkeit zu schenken, ist die Quellenlage zur frühen amischen Geschichte vergleichsweise dürftig. Neben Urkunden von amischen Ministertreffen, die z. B. Ordnungen oder Glaubensbekenntnisse enthalten, finden sich nur vereinzelte Briefe, die ein wenig Aufschluss über das amische Alltagsleben geben. Von besonderem Wert sind hierbei die Briefwechsel unter den amischen Führern wie Jakob und Uli Amman sowie Hans Reist, unter denen sich 1693 die Abspaltung der Amischen von den Mennoniten vollzog. Des weiteren finden sich vereinzelte Briefe anderer amischer Ältesten19 wie Hans Naffziger, die in späterer Zeit, als die Migration weiter vorgeschritten war, verfasst wurden um durch einen solchen Austausch den Kontakt zu einander zu bewahren.

Von staatlicher Seite sind die Amischen und Täufer während ihrer Zeit in Europa vor allem in den sogenannten "Täuferakten"20 erfasst und registriert, wobei hier auch einige Angaben, besonders über die Zahlen von Verhaftungen unwahrscheinlich erscheinen. Ähnlich verhält es sich mit dem Märtyrerspiegel, der von Seiten der Täufer eine Bestandsaufnahme über die Verfolgten und Getöteten führt.21

Auch das Leben der Amischen in Amerika im 19. und 20. Jahrhundert wurde kaum von Seiten des Staates dokumentiert, bedingt durch die in den USA übliche strikte Trennung zwischen Staat und Kirche. Jedoch nimmt auf Seiten der Amischen seit dem 19. Jahrhundert die Schriftlichkeit stark zu. Neben Zeitschriften wie dem Herold der Wahrheit, der schon früh publiziert wurde, gibt es heute noch weitere amische Journale wie The Diary oder The Budget, die sich aus Beiträgen der Amischen zum Alltagsleben zusammensetzen. Darüber hinaus sind aus den letzten beiden Jahrhunderten Dokumente einiger Ministertreffen erhalten, sowie Ordnungen der Gemeinden, die im Laufe der Zeit noch durch das Amish Directory oder den jährlich erscheinenden Almanac erweitert wurden. Darin finden sich Zählungen der amischen Bevölkerung, der Bezirke und der Gemeinden verzeichnet, ebenso wie Auflistungen der verschiedenen geistlichen Vorsteher oder der Berufe.

Ausnahmewert besitzen aber immer noch Selbstdarstellungen Amischer, wie Memoiren oder Interviews, die, wenn auch subjektiv gefärbt, dennoch Aufschluss über ihr Selbstverständnis. Hostetlers Werk "Amish Roots" enthält eine große Sammlung derartiger Dokumente.22

Eine Vielzahl an Quellen findet sich besonders in Bezug auf das amische Schulsystem, das inzwischen mit eigenen Lehrplänen, den so genannten "Guidelines", ausgestattet ist und daneben auch über eigene Schulbücher verfügt.

Während sich die Quellenlage im religiösen Bereich als eingeschränkt erweist, ist sie in Bezug auf soziale Aspekte besonders in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden.

1.2 Fragestellung, Ansatz und Vorgehensweise

Im Zuge dieser historischen Untersuchung, die die Entwicklung einer religiösen Gemeinschaft von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart nachvollzieht, sollen insbesondere soziale und kulturelle Veränderungen verdeutlicht werden. Ein Blick auf das Kräftefeld der Gesellschaft, beugt dabei einer isolierten und verzerrenden Beobachtung vor.

Wichtig ist beispielsweise die Rolle der Amischen als landwirtschaftliche Innovatoren: Vor allem die frühe Geschichte der Amischen in Europa zeichnete die Glaubensgemeinschaft als fortschrittliche Landwirte aus, was neben ihrer Verfolgung zum bestimmenden Merkmal wurde. Als sie nach ihrer Auswanderung nach Amerika erstmals in völliger Religionsfreiheit leben konnten, schienen sie den progressiven Charakter innerhalb der letzten beiden Jahrhunderten allmählich zu verlieren. Im folgenden wird zu überprüfen sein, ob sich dieser, durch ihr äußeres Auftreten bedingte Eindruck, aufrecht erhalten lässt.

Gerade im 20. Jahrhundert stieg der Druck, den die Umwelt ausübte, stark an. So mussten die Amischen in den letzten Jahren viele Zugeständnisse an die industrielle Gesellschaft machen um auf ihren kleinen althergebrachten Familienfarmen überleben zu können.23 Neben steigenden Landpreisen entstanden weitere Bedrohungen durch poltisch-rechtliche Bestimmungen, wie z. B. den Schulgesetzen des 20. Jahrhunderts. Im Zuge solcher Auseinandersetzung mit der Außenwelt kam es immer wieder zu inneren Spannungen und manchmal zu Teilungen.

Daher stellt sich die zentrale Frage, wo und wie diese Veränderungen bewusst von Seiten der Amischen vorgenommen wurden und wie sie es schafften, trotz der Beeinflussungen ihre Identität zu bewahren. Welche Kriterien gibt es dabei seitens der Amischen für einen Wandel? Anhand der Quellen soll soweit möglich festgestellt werden, welche Veränderungen neuerer Natur sind und welche Prozesse Teile einer längeren Entwicklung sind. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurde ein religionssoziologischer Ansatz gewählt. Grundlage ist eine konstruktivistische Idee Anthony Giddens, der die Wirklichkeit als von der Gesellschaft selbst erschaffen ansieht:

"Soziologie beschäftigt sich nicht mit einer "vorgegebenen" Welt von Objekten, sondern mit einer, die durch das aktive Tun von Subjekten konstituiert und reproduziert wird. [...] Die Produktion und Reproduktion der Gesellschaft muß daher als eine auf Fertigkeiten beruhende Leistung ihrer Mitglieder betrachtet werden."24

In seiner Theorie der Strukturierung erstellt Giddens einen Regelkreis, der sich aus den Begriffen "Struktur" und "Handeln" zusammensetzt. Strukturen selbst existieren dabei nicht als eigenständige Phänomene räumlicher und zeitlicher Natur, sondern immer nur in der Form von Handlungen oder Praktiken menschlicher Individuen. Struktur wird immer nur wirklich in den konkreten Vollzügen der handlungspraktischen Strukturierung sozialer Systeme.25 Struktur und Handlung bedingen sich dabei gegenseitig: Handeln wird als eingebunden in strukturelle Kontexte verstanden.

Dieser Untersuchung liegt die Frage zugrunde, ob die Amischen anhand spezifischer Handlungsformen, die es herauszuarbeiten gilt, sich durchaus moderner Methoden bedienen um im Gegenzug ihre Struktur, insbesondere die religiöse, unverändert zu lassen. Dies wiederum könnte bei Außenstehenden den anachronistisch wirkenden Eindruck erwecken. Im Terminus der Theoriestruktur würde dies bedeuten, dass die amische Gemeinschaft versucht, eine Reproduktion ihrer selbst zu verwirklichen. Zu beachten bleibt dabei immer die wechselseitige Abhängigkeit von Handlung und Struktur.

Neben der Grundannahme, dass jede Gesellschaft nach einem Regelkreis agiert, tritt bei der Betrachtung der Amischen das religiöse Prinzip hinzu, welches von Thomas Luckmann und Max Weber genauer untersucht wurde. Wichtig für das Überleben einer religiösen Gemeinschaft ist nach Luckmann vor allem eine Absonderung von der Gesellschaft um ausreichend Schutz vor fremden Weltansichten zu bieten. Solange dabei eine gewisse Distanz gewahrt bleibe, können durchaus freundliche Beziehungen zur Umwelt aufrechterhalten werden.26 Im weiteren wird noch zu prüfen sein, ob dies auch der Einstellung der Amischen entspricht. Zudem stellt Luckmann die Frage nach der Legitimierung des Handelns und propagiert dabei den Eigenwert der Tradition, der auch bei den Amischen stark ausgeprägt erscheint:

"Gewisse Dinge tut man, nicht weil sie nützlich, sondern weil sie "richtig" sind, und zwar im Sinne der absoluten Bestimmungen von Wirklichkeit, wie sie die Welt-Spezialisten verkünden."27

Auch in der amischen Geschichte gab es immer wieder charismatische Führer wie Menno Simons oder Jakob Amman, die ein Regelwerk erschufen, das von den Amischen adaptiert und bis heute ohne größere Kritik befolgt wird. Gerade im Bezug auf die Gemeindestruktur muss daher auf das Autoritätsmaß der Gemeindediener geachtet werden.

Weber führt diese allgemeinen Konsequenzen von Religion in einer religionssoziologischen Untersuchung auch explizit am Beispiel protestantischer Sekten aus, wobei anhand seiner Thesen zuerst einmal zu überprüfen sein wird, inwieweit der Begriff Sekte tatsächlich auf die Amischen zu trifft.

Weber weist darauf hin, dass die Täufer selbst die Bezeichnung stets abgelehnt und sich als Kirche gesehen haben. Er selbst hält die Terminologie aber aus mehreren Gründen für angebracht. Das wichtigste Merkmal ist dabei die voluntaristische Organisation.28 Seine Definition von Sekte lautet folgendermaßen:

"Sekte dagegen, ein voluntaristischer Verband ausschließlich (der Idee nach) religiös-ethisch Qualifizierter, in den man freiwillig eintritt, wenn man freiwillig Kraft religiöser Bewährung Aufnahme findet."29

Diese Merkmale lassen sich durchaus auf die amische Kultur übertragen. Auch die Beschreibung der Kirchenzucht bei Sekten, wie es Weber in "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" darstellt, ähnelt dem Vorgehen der Old Order Gruppe. Zum Ersten läge sie oft ganz und gar in den Händen von Laien, zweitens wirke sie durch das Mittel der Notwendigkeit der Selbstbehauptung und zum Dritten erfüllte sie die Funktion einer Auslese.30 Betrachtet man also Webers Charakterisierung, erscheint der Terminus passend. Peter Ester jedoch lehnt die Bezeichnung ab, auch wenn er zugibt, dass sie durchaus Übereinstimmungen mit der amischen Kultur aufweist:

"In klassisch religionssoziologischen Begriffen würden wir die Amish als eine Sekte umschreiben: als eine religiöse Gruppierung, die sich bestehenden religiösen Werten und Normen und sozialen Instanzen widersetzt, welche im weiteren gesellschaftlichen Umfeld dominieren, und die in der eigenen Lehre nach Vollkommenheit strebt. Das Verhältnis zur umgebenden Gesellschaft ist durchweg gespannt."31

Aufgrund des negativen Beigeschmacks, den der Ausdruck in den letzten Jahren erhielt, will er sich aber von dessen Verwendung distanzieren. Ein weiterer Grund besteht darin, dass die Amischen seiner Ansicht nach mehr darstellen als nur eine Sekte, da sie durch die geringe Zahl von Neuaufnahmen und der fast ausschließlichen Heirat untereinander eine ethnische Ausprägung erhalten haben, weswegen er sie als ethnisch-religiöse Subkultur umschreibt.32 In Anlehnung daran wird im Weiteren der Begriff der Sekte nicht verwendet, wenn auch dabei zu beachten bleibt, dass viele Gemeinsamkeiten mit dem beschriebenen Prototyp bestehen.

Der erläuterte konstruktivistische Ansatz soll in der vorliegenden Arbeit im Sinne der historischen Methode durch eine gründliche Quellenanalyse und -kritik Anwendung finden. Ein Randbereich dabei wird auch die Anwendung der Oral History sein, die inzwischen Teil des geschichtlichen Quellenrepertoires ist, ihre Ursprünge aber in der Kulturanthropologie hat. Anhand von Interviews, Briefwechseln und Memoiren soll so ein zusätzliches Spektrum zugänglich gemacht werden, das andere Quellen nicht erschließen konnten.

Wie oben bereits erwähnt lautet die zu überprüfende Hypothese folgendermaßen: Die Amischen versuchen anhand moderner Methoden ihr traditionelles, religiöses Leben zu bewahren und lassen Veränderungen innerhalb der Gemeinschaft deshalb nur im sozialen Bereich zu.

Hieraus leitet sich die Gliederung der Arbeit ab. In einem ersten Schritt wird die Geschichte der Amischen zur Gründungszeit untersucht, die bis zur Reformation und Entstehung der Täufer zurückreicht. Die Auseinandersetzung Jakob Ammans um das richtige Verständnis der Ordnung bildet den Anfang der explizit amischen Geschichte. Neben den Ereignissen im Zuge der Abspaltung, sind besonders die Lebensumstände der Amischen in Zeiten der Verfolgung und Suche nach einer sicheren Heimat von Bedeutung. Gegenstand des dritten Kapitels ist die Migration nach Amerika sowie die ersten Siedlungen in der Neuen Welt. Zudem erfolgt ein kurzer Einblick über die Zurückbildung der Amischen in Europa.

Das anschließende Kapitel 4 beschreibt die weitere Entwicklung der Amischen in den USA bis in die Gegenwart und bildet den Schwerpunkt innerhalb der historischen Darstellung. Das 19. Jahrhundert begann mit einer weiteren Migrationswelle, welche die amischen Gemeinden vergrößerte, und wurde von der Bedrohung der Gemeinschaft in Amerika durch die Neue Apostolische Bewegung abgelöst. Durch weitere Spannungen innerhalb der Gemeinde kam es schließlich zur ersten Spaltung der amischen Gruppierung und der Herausbildung der Old-Order-Amischen, die den Fokus der daran anschließenden Kapitel bilden. Das Leben im 20. Jahrhundert wurde neben den beiden Weltkriegen vor allem durch die stark zunehmende Bevölkerung und der damit verbundenen Expansion, sowie die Auseinandersetzungen mit einem immer stärker intervenierenden Staat, geprägt.

Zur Verdeutlichung der historischen Grundzüge werden in den beiden darauf folgenden Kapiteln Aspekte der religiösen und sozialen Entwicklungen dargestellt, die ihrerseits durch die politische Ereignisgeschichte beeinflusst wurden. Auch wenn dabei aus methodischen Gründen eine Trennung zwischen den religiösen und sozialen Bereichen vorgenommen wurde, ist es wichtig, dabei zu beachten, dass beides sakrale Bereiche amischen Lebens sind, da es innerhalb der Gemeinschaft keine Unterscheidung zwischen säkularen und sakralen Aktivitäten gibt.33 Der religiöse Bereich setzt sich aus der amischen Ordnung, dem Gemeindeaufbau, sowie dem Gottesdienst zusammen. Auch der Lebenskreislauf von Taufe, Hochzeit und Beerdigung wird im fünften Kapitel dargestellt.

Neben der Erwerbsstruktur und dem Familienleben ist auf der sozialen Ebene amischen Lebens insbesondere die Erziehung und das damit verbundene Schulsystem von Bedeutung. Doch auch die Abgrenzung von der äußeren Gesellschaft durch die materielle Kultur, wie Kleidung, Kutschen oder die Sprache ist ein wichtiger Bestandteil der sozialen Entwicklung. Komplettiert wird das sechste Kapitel mit einer Darstellung der politischen Partizipation, die zwar kein auffälliger Bestandteil im Leben der Old Order ist, deren Einfluss aber dennoch nicht gering ist.

1 Bei diesen Berechnungen wurden auch die Kinder der Amischen, die noch nicht getauft sind, formal also noch nicht den amischen Glauben angenommen haben, berücksichtigt.

2 Ausführlicher bei Nolt, Steven M.: A History of the Amish. Intercourse 22003, S. 312 -314.

3 Näheres zu den sozialen Beziehungen zu Nicht-Amischen, die sich in Piain People und "Englische" unterteilen findet sich in Kapitel 5.1.

4 Ein ebenfalls gängiges Synonym ist die Bezeichnung Pennsylvania German, die im Gegensatz zu dem leicht missverständlichen Begriff "dutch", eben eine ältere Form für deutsch, ebenso auf das Herkunftsland der Sprache verweist.

5 Vgl. Testa, Randy-Michael: After the fire. The Destruction of the Lancaster County Amish. Hanover 1992, S. 53-54.

6 Vgl. Nolt: A History of the Amish. Intercourse, Pennsylvania 22003.

7 Vgl. Stoltzfus, Grant M.: History of the First Amish Mennonite Communities in America. Harrisonburg, Virginia 1958.

8 Vgl. Gerlach, Horst: Amish Congregations in Germany and Adjacent Territories in the Eighteenth and Nineteenth Centimes. In: PMH 13 (April 1990), S. 2-8.

9 Vgl. Guth, Hermann: Amische Mennoniten in Deutschland. Saarbrücken 1992.

10 Vgl. Yoder, Paton: Tradition and Transition. Amish Mennonites and Old Order Amish, 1800-1900. Scottdale 1991.

11 Vgl. Kraybill, Donald B./Marc A. Olshan: The Amish Struggle with Modernity. Hanover 1994; Kraybill, Donald B.: The Amish and the State. Baltimore/London2 2003; Kraybill, Donald B.: The Riddle of Amish Culture. Baltimore, Maryland 1988.

12 Vgl. Hostetier, John A.: Amish Society. Baltimore, Maryland 41993.

13 Vgl. Smith, C. Henry: The Mennonite Immigration to Pennsylvania. Norristown 1929.

14 Vgl. Kollmorgen, Walter M.: Culture of a Contemporary Rural Community: The Old Order Amish of Lancaster County, Pennsylvania. Washington D.C 1942.

15 Vgl. Bachman, Calvin G.: The Old Order Amish of Lancaster County, Pennsylvania. Norristown 1942.

16 Vgl. Nagata, Judith A.: Continuity and Change Among the Old Order Amish of Illinois. New York 1989.

17 Vgl. Vossen, Joachim: Die Amischen Alter Ordnung in Lancaster County, Pennsylvania. Religions- und wirtschaftsgeographische Signifikanz einer religiösen Gruppe im Kräftefeld der amerikanischen Gesellschaft, [o. J. o.O.]

18 Stoltzfus weist darauf hin, dass insbesondere in den ersten 150 Jahren in Amerika kaum Aufzeichnungen von Seiten der Amischen angefertigt wurden. Vgl. Stoltzfus, S. 14.

19 Die Amischen kennen drei kirchliche Funktionen, deren Amtsträger man als Diener bezeichnet. Der genaue Gemeindeaufbau findet sich in Kapitel 5.2.

20 Vgl. Bossert, Gustav: Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer. Bd. I. Leipzig 1930.

21 Als weiterführende Literatur zum Märtyrerspiegel empfehlen sich: Lowry, James W.: The Martyrs' Mirror Made Piain. How to Study and Profit From the Martyrs' Mirror. Aylmer, Ontario 1997; Mennonitisches Lexikon. Hrsg. v. Christian Hege und Christian Neff: Stichwort. Märtyrer spie gel. Frankfurt/ M.1958, S. 50-53; Oyer, John S./Kreider, Robert S.: Märtyrerschicksale. Berichte über Täufer des 16. Jahrhunderts, die für ihren Glauben ihr Leben hingaben. [o.O]. 1990; Pennypacker, Samuel Whitaker: Der blutige Schau-Platz oder Märtyrer Spiegel, Ephrata, Pa. 1748. A noteworthy Book. Philadelphia 1881. In: Historical and Biographical Sketches, Philadelphia 1883, S. 157-173; Studer, Gerald C: A History of the Martyrs' Mirror. In: MQR 22 (1984), S 163-179.

22 Vgl. Hostetier, John A.: Amish Roots: A Treasury of History, Wisdom and Lore. Baltimore 1989.

23 Vgl. Nagata, S. 6.

24 Giddens, Anthony: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt/M. 1997, S. 197.

25 Vgl. Giddens, Anthony: Die "Theorie der Strukturierung". Ein Interview mit Anthony Giddens (geführt von Bernd Kießling). In: Zeitschrift für Soziologie 17 (1988), S. 12.

26 Vgl. Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit. Frankfurt 1997, S. 131.

27 Luckmann, S. 126.

28 Vgl. Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen 91988, S. 153.

29 Weber, S. 211.

30 Vgl. Weber, S. 234.

31 Ester, Peter: Die Amish People. Überlebenskünstler in der modernen Gesellschaft. Düsseldorf 2005, S. 55.

32 Vgl. Ester, S. 56.

33 Vgl. Cronk, Sandra: Gelassenheit: The Rites of the Redemptive Process in Old Order Amish and Old Order Mennonite Communities. In: MQR 55, S. 8-14.

2 Die Ursprünge der Amischen

2.1 Das Täufertum in seinen Anfängen

Die erstaunliche Vielzahl von Nonkonformisten im 16. Jahrhundert demonstrierte die Ernsthaftigkeit, mit welcher die Menschen nach Wegen zu einem besseren Leben suchten. Neben der mit Luther verbundenen Reformation, forderten auch Ulrich Zwingli und Jean Calvin in der Schweiz eine noch extremere Reformierung der Kirche. Beide der daraus entstandenen Gruppen behielten das Konzept von Trennung zwischen Staat und Kirche bei, und lehnten die Kindstaufe ab.34

Ebenso wie Luther postulierte auch Zwingli, dass die Vergebung der Sünde allein durch die Gnade Gottes erfolgen könne. Um Zwingli herum fand eine Gruppe junger Männer und Frauen zusammen, die sich unter seiner Führung dem Bibelstudium widmeten. Die prominentesten Mitglieder dieses Kreises waren Konrad Grebel, Felix Manz und George Blaurock. Auf Zwinglis Anhänger beziehen die Historiker der Täuferbewegung ihren Ursprung.35

Schon bald wandte sich die Gruppe jedoch gegen ihren bisherigen Führer, der ihnen zu wenig engagiert erschien und nicht bereit war, die völlige Trennung von Kirche und Staat zu akzeptieren, sondern stattdessen mit dem Züricher Stadtrat verhandelte.36 Am 21. Januar 1525 taufte sich die Gruppe gegenseitig im Haus von Felix Manz, weswegen dieser Tag auch als die Geburtsstunde der Täuferbewegung zu sehen ist.37

In den folgenden vier Jahren kamen dabei die meisten Mitglieder der Gruppe durch die Folgen einer Inhaftierung oder gar Hinrichtung zu Tode. Manz wurde öffentlich wegen seiner Wiedertaufe ertränkt, Blaurock wegen seines Glaubens verbrannt. Die Verfolgungen erklären sich durch die beunruhigende Wirkung, welche die Lehren der Täufer sowohl auf die kirchliche als auch weltliche Obrigkeit entfaltete. Die Obrigkeit begründete das harsche Vorgehen ihrerseits damit, dass die Täufer es ablehnten, der von Gott eingesetzten Regierung zu gehorchen.38 Nach Schätzungen von John Horsch lag die Zahl der Opfer, die alle als Märtyrer in die Geschichte der Täufer eingingen, bei über 2.000.39 Doch auch durch die Jagd auf die Anabaptisten konnte ihre rasche Verbreitung in der Schweiz, Süddeutschland, Böhmen oder Tirol nicht mehr verhindert werden.

Bedingt durch das schnelle, unkontrollierte Wachstum wurde es notwendig, wichtige Glaubensgrundsätze festzuhalten und dadurch konkrete Richtlinien zu schaffen.40 Ein anderer bedeutender Führer der Bewegung war Michael Sattler, der seine Position als Prior eines Benediktinerklosters verließ um den Täufern beizutreten. Unter seiner Führung entstand im Februar 1527 in Schleitheim (Schweiz), das Bekenntnis von Schleitheim, dessen sieben Artikel bis heute die Glaubensgrundlage der Schweizer Täufer widerspiegeln.41

Um 1530 erreichte die Täuferbewegung auch Norddeutschland und Holland42, wo sie sich unabhängig von den Brüdern in der Schweiz entwickelte.43 Nach dem Drama um Münster44 verstärkte sich die Verfolgung der Täufer noch weiter, wobei Quellen wie der Ausbund45oder Märtyrerspiegel46Auskunft darüber geben. Noch heute nehmen die beiden Werte einen hohen Stellenwert im amischen Leben ein. Auch die Täuferakten47geben Aufschluss über damalige Inhaftierungen.

In diesem frühen Stadium des Täufertums und zugleich einer Zeit der Krise trat Menno Simons, zuvor katholischer Priester, der Bewegung bei, als er 1536 konvertierte. Seine Werke haben bis zum heutigen Tag bleibenden Einfluss auf die Täuferbewegung.48 Von ihm leitet sich der Name Mennoniten ab, unter dem die Anhänger bis heute bekannt sind.49

Unter den holländischen Täufern kam in den nächsten Jahren eine harte Form der Meidung auf, die so nicht von allen akzeptiert wurde, weswegen es 1632 zu einem Treffen in Dordrecht kam. Dort entstand in 18 Artikeln das Dordrechter Bekenntnis,50das von den Schweizer Brüdern eben wegen der strengen Auslegung der Meidung abgelehnt wurde, während es nach wie vor noch die Grundlage des amischen Glaubens ist.51 Die Auseinandersetzung um das richtige Verhalten bei einer Exkommunizierung sollte etwa 60 Jahre später auch der Grund für die Abspaltung der Amischen von der Täuferbewegung sein.

Bevor dieses Ereignis aber untersucht wird, empfiehlt sich noch ein kurzer Einblick in die religiösen Ziele und ökonomische Entwicklung der Täufer. Neben der Erwachsenentaufe gab es weitere Merkmale, die die Gruppe von ihrer Umwelt unterschieden.52 Zum einen war dies eine strikte Einstellung gegen das Schwören, aber auch der gewaltlose Glauben, der sie zu wehrlosen Christen machte und ihnen jeden physischen Widerstand verbot.53 Ihr wirtschaftliches Überleben leitete sich aus diesen Grundsätzen ab.54 So verließen sie lieber ihre Heimat und Ländereien, wenn es zu Übergriffen kam, statt um ihren Besitz zu kämpfen.

Um die ökonomische Rolle der Mennoniten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zu verstehen, muss man sich bewusst machen, dass es sich um eine verfolgte Glaubensgemeinschaft handelte, die wortwörtlich nach Land zum Leben suchte. In den meisten Fällen wurden sie Pächter von Ländereien, was durch ihre politische Situation bedingt war. Auch als die Verfolgung abnahm, fiel es den Mennoniten schwer wegen diskriminierender Regulierungen Land zu erwerben und den Status eines Pächters abzulegen.55 Daher zog es sie weg aus ihrer produktiven Heimat in der Schweiz,56 nach Deutschland, wo sie in den Bergen und anderen weniger fruchtbaren Gebieten versuchten, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften Auf diese Weise entwickelten sie neue Methoden der Fruchtbarmachung oder Bepflanzung. Mit Arbeitsweisen, die denen ihrer Nachbarn weit überlegen waren, begannen sie die Aufmerksamkeit der Landbesitzer zu erregen, die sie als Pächter für riesige Gebiete anheuerten.57 Wichtig sowohl in religiöser als auch in wirtschaftlicher Hinsicht war die gegenseitige Hilfe, die zum Überleben notwendig war und zudem durch strenge religiöse Gebote verstärkt wurde. Es herrschte ein, für diese Zeit, wohl eher außergewöhnlich demokratischer Geist. Im Gottesdienst wurden Gleichheit und Demut gepredigt, was sich auch auf das Verhalten im Alltagsleben übertrug.58 Große Unternehmen oder Gewinne waren aber trotz des landwirtschaftlichen Erfolgs nicht üblich. Ihre Gemeinden galten als gut wirtschaftend, ohne beträchtlichen Wohlstand oder strenge Armut.59

2.2 Die Abspaltung 1693: Die Geburtsstunde der Amischen

Um die Ereignisse, die um das Jahr 1693 herum zur amischen Spaltung führten, besser nachvollziehen zu können, ist es wichtig, die Lehre der Schweizer Brüder und der mennonitischen Nachfahren genauer zu untersuchen.60 Zentrales Element ist das Schleitheimer Glaubensbekenntnis: Es war unter den Brüdern weit verbreitet und gab Aufschluss über die Taufe, Exkommunikation, das Brechen des Brotes, die Absonderung vom Bösen, die Pflichten des Pastors, usw. Insbesondere der zweite Artikel, der sich mit dem Bann befasste, zeigte das Streben der Gemeinde nach Reinheit und ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung.61 Unter den Brüdern und ebenso bei den Predigertreffen herrschte nämlich keine Einigkeit über die notwendigen Maßnahmen bei einer Exkommunikation. 1557 wurde bei der Konferenz in Straßburg über diese Problematik debattiert. Größere Präsenz als in der Schweiz und Süddeutschland besaß das Thema vor allem in Holland. Die Brüder im Süden handhabten diesen Artikel nicht so streng wie es von den niederländischen Mennoniten gefordert wurde.

Da darüber kein Konsens erzielt werden konnte, setzten die nördlichen Gemeinden eine strikte Meidung fort, während sie im Süden darauf beschränkt wurde, keine spirituelle Beziehung zu den Betreffenden zu pflegen, d. h. den Gottesdienst ohne sie abzuhalten. Das oben erwähnte Dordrechter Glaubensbekenntnis gab bezüglich der Meidung eine strenge Auslegung vor und war von 51 Predigern aus Holland, Norddeutschland, aber auch aus der Pfalz und vom Oberrhein unterzeichnet worden. 1660 unterzeichneten weitere 13 Minister aus dem Elsass. Die Schweizer Mennoniten bekannten sich nie zu dem Dordrechter Bekenntnis.62