Die Prüfung der Heilerin oder: Lasra und der Herr der Inseln: Eine Schottland-Saga – Band 2 - Susanne Tschirner - E-Book
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Die Prüfung der Heilerin oder: Lasra und der Herr der Inseln: Eine Schottland-Saga – Band 2 E-Book

Susanne Tschirner

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Beschreibung

Wo die alten Götter wohnen: Der packende historische Roman »Die Prüfung der Heilerin« von Susanne Tschirner jetzt als eBook bei dotbooks. Die schottischen Orkney-Inseln, 2352 vor Christus: Vier lange Jahre schon gilt Nomak als verschollen, nun steht er wieder im Dorf der Adlerleute. Er behauptet, er sei im Süden gewesen und habe Geheimnisse mitgebracht, die das Leben auf den Inseln für immer verändern werden. Die Heilerin Lasra glaubt ihm, kennt sie Nomak doch besser als alle anderen. Doch sie befürchtet, dass sein Wissen und die neuen Bräuche nur Unheil und Verderben über ihr Volk bringen werden. Am nächsten Tag ist Nomak tot – erschlagen mit einer Bronzeaxt aus dem Süden. Lasra weiß, dass sie und die Stämme der Inseln keinen Frieden finden werden, bis sie das Rätsel gelöst hat, das Nomaks Schicksal umgibt … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Prüfung der Heilerin der Heilerin«, der zweite historische Roman aus der Orkney-Saga von Susanne Tschirner. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 828

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Über dieses Buch:

Die schottischen Orkney-Inseln, 2352 vor Christus: Vier lange Jahre schon gilt Nomak als verschollen, nun steht er wieder im Dorf der Adlerleute. Er behauptet, er sei im Süden gewesen und habe Geheimnisse mitgebracht, die das Leben auf den Inseln für immer verändern werden. Die Heilerin Lasra glaubt ihm, kennt sie Nomak doch besser als alle anderen. Doch sie befürchtet, dass sein Wissen und die neuen Bräuche nur Unheil und Verderben über ihr Volk bringen werden. Am nächsten Tag ist Nomak tot - erschlagen mit einer Bronzeaxt aus dem Süden. Lasra weiß, dass sie und die Stämme der Inseln keinen Frieden finden werden, bis sie das Rätsel gelöst hat, das Nomaks Schicksal umgibt …

Über die Autorin:

Susanne Tschirner, 1959 in Herne geboren, war Lektorin und Übersetzerin und hat zahlreiche Reiseführer geschrieben, u.a. über Schottland und die Orkney-Inseln. Sie lebt mit ihrer Familie in Bonn.

Bei dotbooks erscheint ihre Orkney-Saga über die Heilerin Lasra mit den Einzelbänden »Der Weg der Heilerin« und »Die Prüfung der Heilerin«.

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Aktualisierte eBook-Neuausgabe Februar 2020

Dieses Buch erschien bereits 2009 unter dem Titel »Lasra und der Herr der Inseln« bei Rütten & Loening, Berlin

Copyright © der Originalausgabe 2009 Rütten & Loening, Berlin

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Transia Design, Tatiana Volgutova, Lukasz Szey, Dave Clayton

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-025-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook - anders als ein gedrucktes Buch - nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist - wie der illegale Download von Musikdateien und Videos - untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Susanne Tschirner

Die Prüfung der Heilerin

Historischer Roman

dotbooks.

Personen der Handlung

Die Adlerleute

Lasra, Erdfrau, Witwe Nomaks und Braut Errills, muss mit zwei Männern und mindestens einem Mord fertig werden.

Mirko, ihr frecher Bruder, will Baumeister, soll aber Schamane werden.

Ulera, Lasras Großmutter, genießt als Ahnfrau die Achtung der Sippe.

Lin, die zweite ehrwürdige Ahnfrau in Lasras Haus, muss harte Entscheidungen treffen.

Nomak, Lins Sohn und Lasras Mann, gilt seit langem als verschollen.

Regi, Lasras ältere Schwester, ist die kinderreiche und zänkische Frau von Wollmeister Ibbe.

Adlersohn ist der Schamane der Adlerleute, der geachtetsten Langhüglersippe auf den Inseln; als Wahrer des alten Wegs sieht er sich vielfältigen Schwierigkeiten gegenüber.

Madragena, die alte Erdfrau und Lehrmeisterin Lasras, trägt schwer am Abfall der Sippen von den alten Göttern.

Gorg, der bärenhafte Häuptling der Adlerleute, versucht Steine und Menschen nach seinen Vorstellungen zu formen.

Ard ist schön, jung und schwanger von ihrem toten Geliebten Sihrus, wodurch sie zum Spielball der Mächte wird.

Die Hirschleute

Errill, Lasras Liebster, versteht sich nicht nur auf Kerrags und Bögen; er wird in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt.

Eppe, sein Freund, hat mehr Treue als Humor.

Korm, Errills väterlicher Freund, erwärmt sich für üppige Frauen.

Hirschtochter, die Schamanin dieser Langhüglersippe, verteidigt den alten Weg gegen Freund und Feind.

Die Stierleute

Jonbro Stierherr steht als Häuptling der mächtigsten Sippe der Inseln der Gemeinschaft vor, einem Zusammenschluss von Rundhüglersippen des neuen Wegs; der Macht opfert er fast alles.

Sternenseher, der Schamane, liest die Wege seines Gottes Alako aus den Gestirnen.

Ragh, Neffe Jonbros und Steinmeister, ist mit der unfruchtbaren Kes geschlagen, die nichts als Alakos Willen zu tun meint.

Ibarek, Großneffe Jonbros und Baumeister, ist gemeinsam mit Ragli ein möglicher Nachfolger Jonbro Stierherrs; ist er auch Herr seiner Frau Allib, die sich erstaunlich gut mit Kräutern auskennt?

Ela, Lasras jüngste Schwester, ist aus Liebe eine Stierleutefrau geworden; ihr Mann, Beinmeister Yarbro, gibt alles für die Stierherren.

Jonara Steinkraut, die dicke Erdfrau, leistet schier Unglaubliches im Dienste der Kranken.

Aleha, die Frau von Hundemeister Ribi, hat ihre eigenen Pläne mit den Hunden der Inseln.

Jechilo, geehrter Gast der Stierleute, ist ein glühender Anhänger Alakos.

Warib von den Forellenleuten, Ards Dienerin, möchte auf keinen Fall zurück zu ihrer Sippe.

Die Eberleute

Gehfo, der weise Häuptling dieser Langhüglersippe auf der Äußeren, erzählt gern Geschichten von Kraken und anderen Meeresbewohnern.

Kortni, Bogenmeisterin und Erdfrau, ist, sehr zu Lasras Verdruss Errills Freundin.

Ebersohn, der junge Schamane, weiß gute Bögen zu schätzen und den alten Weg zu leben.

BUCH IHochzeitsschalen

In sanftem Glanz stand die Scheibe des Mondherrn am erblassenden Himmel. Seine Sonnenschwester sandte ihm den Abendgruß, hauchte letzte Glut über die verdorrenden Gräser und die unbewegte Wasserfläche des Sees. Er liebte diese Zeit zwischen Tag und Nacht, die würzige Klarheit der Luft, die ihm vorgaukelte, der Winter werde nie kommen. Tief sanken seine Stiefel in den Boden, sein Körper wog so schwer, der Atem ging stoßweise. Wo war die Kraft seiner Lenden geblieben, die Kraft seines Herzens, dessen unregelmäßigen Schlag die Erdfrau mit immer stärkeren Tränken beruhigen musste? Er war müde, dennoch hatte er den Mann, der ihn vom Dorf auf die Halbinsel zwischen den beiden Seen gepaddelt hatte, im Kerrag warten lassen. Er wollte allein sein, wenn er sie besuchte, jeden Abend.

Meine Tochter, meine schöne Tochter. Meine Perle hatte er sie genannt, Jonara, meine Perle. Bei seinem Vater lag sie im Hügel, er selbst hatte sie dort auf Otterfelle gebettet, sie sollte weich liegen. Das Auge des Vaters hatte Mühe gehabt, sie wiederzuerkennen, nachdem der Mob im Steinkreis über sie getrampelt war. Weiß war sie gewesen, alles Blut war in den Boden geflossen, in ihr ockerrotes Kleid, aus jener Wunde um ihren Hals. Toshag hatte sein Messer tief durch ihre Kehle gezogen, sie hatte nicht gelitten. Toshag hatte gelitten. Viele und nochmals viele waren sie gewesen, die Menschen der Inseln, die sich am Tag der Sommersonnenwende zwischen den Steinen von Naps Kreis versammelt hatten. Und dort hatten sie Toshag zerschlagen, zerrissen, ins Feuer geworfen. Auch seine Sippengeschwister hatten nicht zurückgestanden, auch an den Händen der Stierleute klebte sein Mörderblut.

Ihm, dem Mörder seiner Tochter, hatte er Vaters Hügel verweigert. Er war der Schuldige. Alle Schuld lag bei ihm. Und doch war Toshag der älteste Sohn seines Bruders gewesen, der einzige, der nach ihm hätte Stierherr werden können. Er hatte ja geahnt, dass Toshag den Helden der Langhügler getötet hatte, diesen Sihrus von den Adlerleuten, der seinen Kopf so hoch getragen hatte, zu hoch. Ach, gewusst hatte er es. Er hatte gewusst, dass Toshag sich jenes unbedarften Schafhirten von den Adlerleuten bedient hatte - wie hatte er gleich geheißen? Wibo, glaubte er - um Sihrus zu töten. Ja, das hatte Toshag meisterhaft verstanden. Den Sinn der Menschen so zu wenden, dass sie seinem Willen dienten, dass der Sippenbruder den Sippenbruder erschlug.

Er selbst hatte es wohl gutgeheißen? Seine Erinnerung trog ihn in letzter Zeit so häufig. Auch ihr konnte er nicht mehr trauen. Hatte er jenen ersten Mord befohlen, der den Frieden der Inseln gebrochen hatte? Wer sonst als der Stierherr hätte denn eine solche Tat befehlen dürfen? Hatte er eine Wahl gehabt?

Dass die Macht des Zufalls von der Torheit der Menschen noch übertroffen wird! Zu spät hatte Toshag diese hartnäckige Frau von den Adlerleuten ernst genommen. Für unantastbar hatte er sich gehalten. Und Lasra hatte gefragt und gesucht, und am Ende hatte sie den Mörder ihres Helden gefunden, den mächtigen Toshag besiegt. Diese Frau! Eine Zeitlang hatte er sie gehasst. Aber sie war stark. Wenn er sich dieser Stärke irgendwie versichern könnte!

Nun war niemand mehr da, der seinen Platz hätte einnehmen können. Nun musste er ausharren, über seine Zeit hinaus. Musste die bitteren Tränke schlucken und seine Müdigkeit bezwingen. Er kannte niemanden, den er hätte lieben wollen, und Hass konnte er sich nicht leisten. Wer die Inseln einen wollte - und das wollte, das musste er - , tat gut daran zu vergessen. Nur so, einig unter seiner Führung, konnten sie dem Feind entgegentreten. Es war zum Besten der Inseln.

Die Dämmerung sank über das Land. Zwei, drei Steinwürfe vor ihm erhob sich der Hügel seines Vaters. Er blieb stehen. Er hätte nicht verhindern können, dass Toshag seiner Jonara die Kehle durchschnitt. Es war notwendig gewesen, seine eigene Tochter zum Opfer zu bringen. Das war der fernste Punkt seines Lebens gewesen, der Gipfel seiner Erfahrung. Aus dem Herzen der Finsternis war das Licht erschienen und hatte sich auf ihn gelegt, auch noch in seine Gedanken hinein. Tochter, dachte er, ich werde dich um Verzeihung bitten, wenn wir uns einst auf den Feldern des Mondherrn wiedersehen. Und dann wird eitel Freude herrschen, und wir werden lachen und tanzen. Alako, betete er, Mondherr, gib mir Kraft! Gib mir die Kraft meiner Lenden zurück, dass ich einen Sohn zeugen kann.

Er kehrte um, die Beine trugen ihn kaum noch. Weiter näherte er sich dem Hügel nie. An keinem Abend.

Kapitel 1

»Ich bringe ihn um!«, rief Lin.

Meine Großmutter Ulera hob die Hand und zeichnete zur Abwehr des üblen Worts das Dreieck in die Luft. Ihre Finger verschwanden hinter der duftenden Rauchsäule, die von dem Hasen über dem Herdfeuer aufstieg. »Besinn dich, Lin! Ist es das Beispiel der Stierleute, das dir Zunge und Gedanken gelöst hat, oder nur das Alter?«

Lin, die Mutter meines verstorbenen Mannes, grunzte zufrieden, ihre Widersacherin so aufgebracht zu haben. Mit ihren feinen grauen Haaren, dem hämischen Gesichtsausdruck und der knochigen Gestalt war sie das genaue Gegenteil von Ulera, aus der das Alter eine gütig wirkende Greisin mit vollem Haar, vollem Gesicht und vollen Gliedern gemacht hatte. Mir wollte es scheinen, als lasse der beinah rituelle Streit der beiden ehrwürdigen Ahnfrauen ein wenig von dem Feuer vermissen, das ihn sonst auszeichnete.

»Pass auf, dass er nicht verbrennt!«, raunzte Lin meinen Bruder Mirko an, obwohl der sich der Aufgabe des Bratenwendens bereits mit der ganzen Hingabe widmete, die sein ewig hungriger dreizehnjähriger Magen ihm eingab. Mirkos schmale Augen blitzten auf. Er schüttelte die braunen Haare, die ihm stets ins Gesicht hingen, verzog den breiten Mund und verzichtete klugerweise darauf, sich zu verteidigen. Gegen Lins Bosheit konnte man sich nicht verteidigen.

Uns allen lief das Wasser im Mund zusammen. Demjenigen, dem Lins Drohung gegolten hatte, lief es sogar heraus. Er sabberte in die frischen Binsen und reckte das Hinterteil mit der wedelnden Rute in die Höhe, was deshalb besonders lächerlich aussah, weil man so seine behaarten Hoden sah. Der Übeltäter scharrte mit Vorderpfoten in den Binsen, die für seine knochigen Beine viel zu dick zu sein schienen. Dann drehte er sich in dem vergeblichen Versuch, seine Schwanzspitze zu fangen, um die eigene Achse. Schon wieder flog Staub auf, schon wieder geriet der Braten in Gefahr.

»Er ist lästig«, sagte meine jüngste Schwester Ela und drehte sich schützend zur Seite, als wolle ein Ungeheuer das Neugeborene in ihren Armen verschlingen. Ihre prächtigen honigblonden Haare trug sie, seit sie Mutter geworden war, zum Kranz geflochten und am Hinterkopf festgesteckt. So hielten es die Stierleutefrauen, die Mann und Kind hatten, so hielt es Ela.

»Ich finde ihn putzig!«, behauptete Mirko. »Wie er gestern Nacht das ganze Dorf zusammengeheult hat, als wir ihn vor dem Tor angebunden haben! Lieber lässt er sich von uns verprügeln, als allein draußen zu bleiben.«

»Er ist hässlich. Hat aber ein dichtes Fell«, krächzte Lin, während sie dem Hund über den Rücken fuhr. Möglicherweise war er hässlich, auf alle Fälle aber dumm, weil er immer wieder zu Lin ging, obwohl sie ihre schlechte Laune an ihm ausließ. »Gebt es mir! Meine armen alten Knochen brauchen viel Wärme. Ich würde es sogar selbst weich kauen.« Zum Beweis bleckte sie ihre noch annähernd vollständigen Zähne, die so gelb waren wie die eines alten Bibers.

»Natürlich ist es nicht so nett, dass er immer an den Pfosten von Großmutters Bett pinkelt.« Mirko grinste. Zwar hatte er auf dem Sprechtag vor einem Mond seinen Erwachsenennamen erhalten, auf seine Reife hatte sich das jedoch nicht ausgewirkt.

»Und alles ableckt. Sogar das Gesicht von meinem Kleinen. Neulich hat er ... Pfui, weg!« Tapfer hielt Ela ihren nackten Arm zwischen die feuchte schwarze Schnauze und das Kindergesicht. Wie lang so eine Hundezunge werden konnte! Dabei hatte Ela wirklich genug Verdruss. Die Sehnsucht nach ihrem Mann plagte sie. Seit den Morden im Steinkreis, als wir alle das Dorf der Stierleute mehr oder weniger fluchtartig verlassen hatten, wartete sie darauf, dass er sie endlich zu sich holte.

Ich konnte meine jüngste Schwester verstehen. Was blieb ihr denn als zu hoffen? Wie viel Stolz konnte sich eine Frau leisten, wenn die Sehnsucht nach einem Mann sie selbst in ihren Träumen heimsuchte? Wie viele Tage und Nächte hatte ich mich nach Errill gesehnt! Und morgen - morgen würden wir die Hochzeitsschale zerbrechen. Warum erst morgen? Ich atmete tief ein, doch gegen meine Unruhe half das nicht.

»Warum hast du den Hund ins Haus genommen?« wollte Ela von mir wissen.

»Er ist wertvoll. Ihr wisst doch, die Stierherren wollten ihn unbedingt haben. Jeder Hundezüchter auf den Inseln wird dir bestätigen, dass er etwas ganz Besonderes ist, weil sein Vater nicht von den Inseln stammte und besonders stark und mutig war.«

»Ach komm, gib es schon zu!« Mirko lächelte mich an. »Meine große Schwester hat eben ein gutes Herz.«

»Sie hat Mitleid mit der geschundenen Kreatur«, bestätigte Lin, und es klang nicht wie ein Lob. »Als sie ihren Bräutigam kennengelernt hat, wurde er gerade zusammengeschlagen. Bah!«

Mir wurde warm.

»Den Göttern sei Dank, jetzt hat sie wieder Farbe im Gesicht. Ich dachte schon, du wirst kurz vor deiner Hochzeit krank«, stichelte Lin.

»Errill ist ... er hat ... er hat Toshag besiegt! Und der war der Neffe des Stierherrn und ein ausgezeichneter Kämpfer!« Meine Stimme klang viel zu aufgeregt.

»Erstaunlich.«

»Was meinst du damit?«

Lin zögerte kurz, als sei die Antwort ihr peinlich. »Na, ein bisschen schmächtig ist er ja schon. Ich mag sie lieber mit etwas Fett auf den Knochen.«

»Er ist überhaupt nicht schmächtig!«, sprang Mirko mir bei. »Er ist der beste Kerragfahrer der Inseln, und auf der Südmeerinsel hat er kämpfen gelernt wie ein Krieger. Ich kenne niemanden, der so gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann wie er. Und außerdem ist er nett.«

»Was man von der alten Frau da nicht behaupten kann«, erklärte Ulera, die, so gütig sie wirkte, eine ebenso scharfe Zunge wie Lin besaß. Nur sah man es ihr im Gegensatz zu Lin nicht an, wie garstig sie sein konnte.

Lin zuckte die Schulter und rührte Wiesenkerbel, Dost und ein klein wenig Spitzwegerich in den Gerstenbrei, der neben dem Herd in einer unverzierten Schale abkühlte. Der Hund setzte sich vor sie hin und schmachtete sie an. Lin schien sich von seinen traurigen braunen Augen rühren zu lassen und gab ihm etwas, was er sofort wieder ausspuckte. Zu Lins Erheiterung wollte er gar nicht mehr mit dem Niesen und Schütteln aufhören. Eine bittere Wegerichwurzel lag auf dem Boden.

»Für meinen Geschmack ist er zu knochig«, fuhr sie fort. »Aber ich gebe zu, dass er schöne weiße Zähne hat. Die Brust ist ziemlich breit, aber ich habe schon breitere gesehen.«

Mein Blick wanderte zu der Hochzeitsschale auf der Anrichte, die meine gesamte Familie, wie es Brauch war beim Volk der Langhügler, für Errill und mich getöpfert hatte. Ela hatte wohl den größten Anteil daran. Meine jüngste Schwester hatte sich vom Tonmeister der Stierleute einige Handgriffe abgeschaut: Zwar war der Boden der Hochzeitsschale unseren Gebräuchen entsprechend gerundet, aber der Schmuck aus aufgesetzten Kügelchen und eingeritzten Zickzackstreifen wirkte für unsere Augen fremdartig. Er überzog die gesamte Außenhaut.

»Mich wundert nur, dass die Hochzeitsschale nicht von all der Häme platzt, die du in sie hineingelegt hast«, sagte ich betont ruhig zu Lin.

»Häme nennst du meine aufrichtige Sorge um dich? Ein gutes Herz hilft dir bei dem nicht weiter. Er ist frech. Solltest ihm ab und zu eins drübergeben.«

»Ehrwürdige Ahnfrau!«, rief Ela entsetzt. »Du vergisst dich!« Lin wandte uns die geöffneten Handflächen zu und seufzte übertrieben. »Also gut: Wenigstens ist er anhänglich.«

»Anhänglich?«, wunderte sich Ulera. »Seit den furchtbaren Ereignissen zur Sommersonnenwende hat er die Adlerleute ganze drei Mal besucht!«

»Besucht?« Lin schüttelte verwirrt den Kopf.

»Und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er sich mit zwei Besuchen begnügt. Hat er doch tatsächlich behauptet, die Hammelkeule, die er Lasra im Dorf der Stierleute gebracht hatte, wäre seine erste Brautgabe gewesen! Ich selbst musste ihm ins Gewissen reden, damit er seinen Irrtum einsah.«

Keine Peinlichkeit ersparten sie mir, diese alten Weiber! Wie meine Sippengeschwister mich damit aufgezogen hatten! Ist dein zukünftiger Mann vielleicht geizig, liebe Lasra? Oder bist du ihm keine Hammelkeule mehr als nötig wert? Wie hatte Errill mich so demütigen können? Mir fiel nur eine Antwort ein: Er wollte mich ärgern. Die wenigen Male, die wir zusammen gewesen waren, hatten wir fast ständig gestritten. Dann spürte ich einen kalten Stich in der Brust. Vielleicht ... wollte er mich ja gar nicht. Unsinn, sagte ich mir, warum sollte er dich heiraten, wenn er dich nicht will? Aber er war so ernst gewesen bei seinen drei Brautbesuchen! So zurückhaltend. Und weil er so zurückhaltend gewesen war, hatte auch ich keinen Anlass zum Lächeln und Schöntun gesehen. Ich war auch ernst gewesen.

»Ehrwürdige Ahnfrau Ulera«, hörte ich Lin sagen, »du musst mich missverstanden haben. Ich sprach von dem Hund.« Ihr Grinsen verriet sie. »Was Errill angeht, hat deine inselweit bekannte Weisheit dich nicht getrogen. Er könnte anhänglicher sein.«

Ungehindert stieg der Rauch vom Herd in der Mitte des runden Raums durch die Dachöffnung nach draußen. Wir hatten die Schweinsblase abgenommen, die das Haus sonst vor den Unbilden der Witterung schützte. Am liebsten wäre ich mit dem Rauch in die Luft gestiegen. Vielleicht trug der ewige Wind der Inseln mich ja fort. Über unsere Insel, die Südliche, und immer weiter nach Norden. Zum Dorf der Hirschleute. Zu Errill. Auf der anderen Seite, warum sollte ich zu ihm kommen? Sollte er doch zu mir kommen!

»Andererseits könnte er auch weniger anhänglich sein«, sagte Lin gerade. »Etwa so wie Elas Mann.«

Es wurde still im Kreis. Nur hin und wieder zischte es, wenn der Bratensaft in die Flammen tropfte. Ela schmiegte ihr Gesicht an den Kopf des Säuglings. Zwischen dem spärlichen schwarzen Flaum und dem Milchschorf glänzte eine Tränenspur.

»Du bist gemein!«, sagte Mirko.

»Ja, das ist sie. Und ein schlechtes Gedächtnis hat sie auch. Von ihrem eigenen Mann hat sie nämlich kaum mehr als den Rücken gesehen.« Ulera richtete den Blick auf ihre Widersacherin. »Wofür jeder, der sie kennt, Verständnis haben dürfte.« Sie erhob sich von ihrem Sitz, um einen hohen Topf Milch zu holen. Sogar die fette Sommermilch schmeckte mir nicht so gut wie die Herbstmilch aus Kräutern und Gras, die bereits zu verdorren beginnen, eine würzige Erinnerung an ihre Blüte, süßer noch als diese selbst. »Trotzdem fand der arme Mann zwischen all seinen Reisen Zeit, einen Sohn zu zeugen. Lin lebte eine Zeitlang bei seiner Sippe, dann kehrte sie zu uns zurück. Es war zu jener Zeit, als« - Uleras Stirn legte sich in Falten - »unsere alte Kornmeisterin -«

»Es ist lange her«, schnitt Lin ihr das Wort ab.

Wieder wurde es still in unserem Haus. Die Wände, wie all unser Mauerwerk ohne Lehm in den Fugen aus sorgfältig aufeinandergeschichteten Steinen errichtet, schien jedes Wort aufzusaugen, noch bevor es ausgesprochen wurde. Das schläfrige Schmatzen des Kindes, das Hecheln des Hundes, Feuerknistern und Fettzischen stiegen zu den Treibholzbalken des Dachgerüsts auf. Das glühende Herdfeuer in seiner steinernen Umfassung, die Felle und Ledervorhänge der beiden Steinbetten an den Wänden, der Duft der Binsen auf dem Boden und des Räucherschinkens unter dem Dach, all das war Geborgenheit, unser Heim seit Anbeginn. Und doch schien sich unser Leben zu verändern. Seit der Mord Einzug auf die Inseln gehalten hatte. Seitdem häuften sich die Momente des Schweigens. In allen Häusern der Adlerleute.

Ein scharfer Geruch stieg mir in die Nase. Ela, Mirko und ich sahen uns an. Wir drei Geschwister waren im Steinkreis gewesen, als der rasende Mob Toshag ins Feuer geworfen hatte.

»Jetzt hast du ihn doch anbrennen lassen!«, sagte Lin mit erstaunlich milder Stimme. Mirko beeilte sich, den Haselspieß mit dem Hasen aus den beiden Geweihgabeln zu lösen, auf denen er geruht hatte. Mit seinem Tschörtmesser schabte er die schwarzen Stellen ab, bevor er den Braten auf eine Steinplatte legte, den Spieß herauszog und mit dem Zerlegen begann. Ulera spritzte ein wenig Milch als Dankopfer in den Herd. Ihr Gebet fiel kurz aus, und auch während der Mahlzeit wurde nicht viel gesprochen.

Immer, wenn meine Gedanken sich zu sehr zu verdüstern drohten, sah ich zur Hochzeitsschale hinüber.

»Morgen kommt er!« Mirko grinste und spitzte die Lippen zum Kuss. »Morgen heiratet meine große Schwester.«

Kapitel 2

»Nimm ein Bad«, riet mir Lin mit dem ihr eigenen Zartgefühl. »Hinterher ist es egal, aber an ihrem Hochzeitstag sollte eine Frau nicht wie eine Fischreuse riechen.«

Genau das hatte ich mir vorgenommen, denn in letzter Zeit war ich auf der Suche nach Augentrost und Wundklee, nach Beifuß und Baldrian, Dost und Ehrenpreis weit herum und gehörig ins Schwitzen gekommen. Ich verließ unser Dorf mit einem Kopf, der so rot wie die Hagebutten war, die nun allmählich reiften. Der Hund kam mit. Er kam immer mit. Nicht, dass er an meinem Knie geklebt hätte. Aber er war immer um mich, zwei, drei Mannlängen entfernt, schnüffelnd, witternd, als sei er mit einer ernsthaften Arbeit beschäftigt. Mutter Erde mochte wissen, wo er das helle, fast sandfarbene Braun seines Fells herhatte, jedenfalls nicht von seinem Vater, dem schwarzen Hund, den Sihrus von seiner Reise ins Südmeer mitgebracht hatte, oder seiner Mutter Lele, der Schönsten unserer großen weißen Herdenhunde.

Auf dem Kerragpfad durchquerte ich das Weizenfeld. Nach der heißen Zeit um die Sommersonnenwende hatte Ahntochter Sonne uns im Stich gelassen, so dass wir das Getreide in diesem Jahr sehr spät geerntet hatten. Trittsteine brachten mich über den Bach, zur Rechten senkten sich die steilen Felswände der Schwarzspalte zum Meer, das heute so still war wie Wasser in einer Steinkiste.

In der Schwarzspalte lagen unsere Kerrags. Hier hatte ich zum ersten Mal allein mit Errill gesprochen. Ich sah ihn vor mir, wie er sein Kerrag nach dem Platzregen leer schöpfte, die schweißbedeckte Haut, die lange Narbe über seiner Brust, weißer noch als die Haut. Ich sah sein Lächeln, als er mir den Schöpfbecher reichte, damit ich ihn ablöste. Die Bewegung, mit der er die langen schwarzen Haare in den Nacken warf und zusammenband. Und da er nicht hier war, da ich sein Lächeln nicht wirklich sehen, seine Haare nicht berühren, seine Brust nicht umfassen konnte, dachte ich schnell an etwas anderes.

Ich schloss das Pferchtor hinter mir und wanderte auf dem weichen, federnden Grasland im Rücken der Klippen nach Norden. Der Himmel war hoch und grau, der Wind kräftig, die Luft kühl. Ziemlich kühl für ein Meerbad. Unwillkürlich schüttelte ich mich.

Nach einer guten Weile kletterte ich über die niedrigen Felsen im Rücken der geschützten Badebucht, die wir Borhs Zuflucht nannten. Ahnvater Borh hatte sich unseren Überlieferungen zufolge häufig in ihren Felsbadewannen gesäubert. Ein beruhigendes Gefühl breitete sich in mir aus, als ich meine Zöpfe löste, Kleid und Schuhe auszog, zu einem ordentlichen Haufen zusammenfaltete und mit einem Stein beschwerte. Hier hatte vor langer Zeit mein Vorfahr im Meerwind gezittert, wie ich den großen Zeh in die erste Felswanne gesteckt und die Zähne zusammengebissen hatte. Das Wasser der ersten Felswanne, nach dem verregneten Sommer kalt wie sonst im Frühling, reichte mir nur bis zu den Waden.

Auf den Felsschären draußen in der Bucht hatte sich ein Schwarm Kormorane niedergelassen. Paarweise spreizten sie die schwarzen Flügel und hielten sie zum Trocknen in den Wind. Ein paar Junggesellen auf den äußeren Felsen versuchten flatternd und krächzend die Weibchen zu beeindrucken, doch keins verließ seinen Partner.

Ich kletterte über den Felsriegel, der die erste Wanne von den meereinwärts gelegenen trennte, holte einmal tief Luft und ließ mich fallen. Die Kälte trieb mir die Luft aus der Lunge. Ich prustete, schnaufte, strampelte und wehrte mich mit aller Macht gegen die Umklammerung, die Glieder und Rumpf zusammenzupressen schien. Die ersten Herzschläge glaubt man nicht, dass man es überlebt. Dann begann ich mit hektischen Bewegungen zu schwimmen, und die Kälte wurde erträglich.

Der Hund sprang geschickt über die Felsen, ohne sich die Pfoten nass zu machen. Immer suchte er sich den höchsten Punkt aus, witterte in die Luft und sah sich um. Für einen Hund, fand ich, wirkte er sehr geschäftig.

Ich schwamm zu der Tangwanne unterhalb des Felsblocks, von dem wir als Kinder immer in das grüne Glibberdickicht gesprungen waren. Mein Körper verschwand von den Zehen bis zur Brust in den Pflanzen. Glatte Bänder umschmeichelten meine Beine, wogten in der sanften Dünung um meine Hüften und umschlangen meine Arme wie ein aufdringlicher Liebhaber.

Beherzt griff ich mir einen dicken Strang Knotentang und begann mich abzureiben. Winzige Krabben und Muscheln, Gefangene oder freiwillige Gäste der Schlingpflanzen wie ich, kratzten und pieksten mich. Fischchen flitzten pfeilschnell davon. Zu guter Letzt zerquetschte ich eine Handvoll Algen zu grünem Schleim, tauchte auch die Haare unter und reinigte sie. Als ich zum zweiten Mal untertauchte, um das Algenmus auszuspülen, merkte ich, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb. Das Taubheitsgefühl begann an Zehen und Fingern, die sich nicht mehr recht bewegen wollten.

Das Bellen des Hundes klang, als komme es von weit her. Tatsächlich war er ein Stück nach Norden gelaufen. Ich meinte eine Bewegung hinter den Felsen dort auszumachen, die höher waren als die in Borhs Zuflucht. Errill? dachte ich freudig und aufgeregt. War er schon heute gekommen, entgegen allen Heiratsbräuchen?

Mit kräftigen, weit ausholenden Zügen schwamm ich durch die tieferen Wannen zum Einstieg zurück. Wenn die Kälte einmal Einlass gefunden hat, geht es sehr schnell. Die Glieder werden gefühllos, um die Brust legt sich ein dumpfer Druck. Meine Bewegungen erlahmten. Schaudernd stellte ich mir vor, ich sei auf hoher See ins Wasser gefallen.

So musste Nomak gestorben sein, Lins Sohn, mit dem ich vier Jahre lang verheiratet gewesen war. Ein paar Schwimmzüge vom Ufer entfernt streifte mich eine jämmerliche Ahnung vom Tod. Wie ein behäbiger Seehund kroch ich auf den Felsriegel vor der Einstiegswanne und sah zu, wie das Wasser an meinem Körper herunterlief. Als ich mich aufrichtete, meinte ich, meine Beine müssten abbrechen wie Eiszapfen.

Dann kam das Schönste: das Auftauen. Die frische Brise erschien mir wie ein Glutofen. Ich streifte das restliche Wasser mit den Händen ab, drückte die Haare aus und hüpfte so lange herum, bis der Wind auch die letzten Reste von Feuchtigkeit getrocknet hatte. Immer wieder spähte ich zu den Felsen im Norden hinüber, ob sich dort nicht ein Mann mit langen schwarzen Haaren zeigte, mit einem Bogen in der Hand und Sihrus' Bronzeaxt am Gürtel. Doch außer den üblichen Möwen war nichts zu sehen, und auch der Hund hatte mit dem Bellen aufgehört. Ein kaltes Rinnsal aus den Haaren lief meine Wirbelsäule herunter.

Fröstelnd sehnte ich mich nach der Wärme meiner Kleider, aber zuerst wollte ich mich einreiben. Die Zusammensetzung der Salbe hatte meine Mutter Kea an mich weitergegeben, und ich hoffte, sie einmal an eine Tochter weiterzugeben. Nach einem streng gehüteten Mischverhältnis enthielt die Salbe Alkfett, Erdrauch, Heckenrosenblätter und Grasblüten. Während ich mich von Kopf bis Fuß einfettete und die Salbe so kräftig einmassierte, dass mir wieder halbwegs warm wurde, wanderte mein Blick an meinem Körper hinunter. Ich war zufrieden mit dem, was ich sah, und unzufrieden damit, dass er nicht hier war, um es auch zu sehen. Einen kurzen Augenblick lang hatte ich fest damit gerechnet, er würde gleich hier sein und mich in die Arme nehmen. Würde gegen den einen oder anderen Hochzeitsbrauch verstoßen, um mir zu beweisen, dass er mich wollte. Aber das einzige männliche Wesen, das meinen nackten Körper hätte sehen können, war der Hund, und der döste neben dem Kleiderhaufen.

Kapitel 3

Obwohl mir jeder Herzschlag wie ein ganzer Tag vorgekommen war, obwohl ich nachts kein Auge zugetan hatte - doch, hast du, ich habe dich schnarchen gehört, behauptete Mirko -, war es Morgen geworden. Ein albernes Lachen stieg in mir auf. Sollte ich heute heiraten? Ich sehnte es herbei, aber fassen konnte ich es immer noch nicht.

In unserem Haus konnte man von all den Vorräten kaum eintreten. Binsenkörbe voller Gerstenfladen und Weizenküchlein, Haselnüsse in Honig, Ziegenkäse mit Löwenzahnblättern, Töpfe mit glänzend schwarzen Brombeeren, mattblauen Heidelbeeren, roten Preisel- und Steinbeeren, dazwischen die aromatischen Kügelchen der Walderdbeeren. Der in Milch gegarte Stockfisch roch streng, schmeckte aber mit den gehackten Bärlauchknollen und der kleinen Gabe Honig ausgesprochen gut - zu dieser Neuerung aus dem Reich der Stierleute hatte Ela mich nicht lange überreden müssen. Unter Mirkos Führung schafften die Kinder die Köstlichkeiten zum Zeremonienvorhof vor dem Ahnenhaus, wo das Festmahl stattfinden würde. Ständige Wachen verhinderten, dass die Vögel sich nahmen, was uns schmecken sollte.

Die Gäste von der Südlichen trafen ein, große Abordnungen unserer unmittelbaren Nachbarn, der Silbermöwenleute, Seehundleute und Otterleute, die zu Fuß über den Inselweg eintrafen, und etwas kleinere Gruppen der Sturmschwalbenleute, Walleute und Wanderfalkenleute, die übers Wasser zu uns kamen. Eine kleine Flotte von Kerrags schaukelte vor dem Landungssteg in der Schwarzspalte.

Um alle Festgäste zu bewirten, hatten die Adlerleute Errill und mir die Ehre erwiesen, drei Jungschafe zu schlachten. Um die Huftiere und Fische zuzubereiten, wurde ein Feuer aus Dung errichtet und eine Kochgrube gegraben. Unsere Jäger hatten sich selbst übertroffen. Im Meer konnte es nicht mehr viel Fische geben, wenn ich mir die Haufen von Kabeljau und Lippfisch, Seeskorpion und Köhlerfisch ansah, die Sira in ihre Netze gelockt hatte. Gänse und Enten, Schnepfen, Tölpel und Waldhühner, von Enos und Luras treffsicheren Pfeilen erlegt, wurden im Haus der Frauen in Fett eingemacht, gepökelt oder zu sämiger Brühe verarbeitet. Auf ein Rehkitz hatten die beiden Jäger verzichtet, denn die Sippe des Bräutigams, die Hirschleute, durfte nach den Gesetzen des alten Wegs auf keinen Fall ihr Sippentier verzehren. Gerührt dachte ich daran, wie meine Freunde sich in den letzten Tagen angestrengt hatten, Errill und mir eine großzügige Hochzeit auszurichten. Und was übrigblieb, würden die Adlerleute drei Tage später am Tag des Überflusses verzehren. Nun, da überall die Ernte eingebracht war, begann die kurze, unbeschwerte Zeit vor den Herbststürmen, in der wir mehr feierten als arbeiteten und die Früchte unserer Mühen genossen.

Da unsere Hochzeitsbräuche verboten, dass ich das Haus verließ, blieben mir nur Mirkos Berichte und die unbefriedigende Aufgabe, zum wiederholten Mal das Bündel mit meinem Festkleid und dem Hochzeitsschmuck auseinander- und zusammenzulegen.

»Er ist auch nur ein Mann«, meckerte Lin. »Wird sich nicht viel schlimmer benehmen als andere Männer auch. Schon gut«, sie hob abwehrend die Hand, »aber du wirst sehen, mit der Zeit wird er sich auch nicht mehr viel besser benehmen als andere Männer. Heute Nacht wird er gar nicht merken, was für ein Kleid du trägst oder nach welcher Salbe du duftest. Weißt du, er hat dieses Ding zwischen seinen Beinen, und das -«

»Verehrte Mutter meines ersten Mannes«, unterbrach ich sie. »Ich bin eine erwachsene Frau, und ich weiß alles, was es über dieses Ding zwischen ihren Beinen zu wissen gibt, also bitte verschone mich mit deinen Ratschlägen.«

Lin zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. Plötzlich umklammerten ihre knochigen Finger meine Hand. »Ach, und warum sind deine Hände kalt und nass wie Entenfüße? Glaub mir, damit lässt sich kein Mann gerne -«

»Lin, bitte!«, rief ich, und sie verstummte gekränkt. Gewiss war es ein schwerer Tag für sie, musste er sie doch ständig daran erinnern, dass ihr Sohn hatte sterben müssen, damit ich heute den Sohn einer anderen heiraten konnte. »Es tut mir leid, Lin! Wir werden Nomaks Ahngeist heute ein besonderes Opfer bringen. Ich denke auch oft an ihn«, sagte ich, obwohl das nicht stimmte. Sie wedelte mit dem Arm, als wolle sie einen schlechten Geruch verscheuchen, und knurrte ungnädig.

»Sie sind da!« Mein Bruder stürzte ins Haus und brachte eine Ladung frischer Luft mit herein. »Die Hirschleute sind eingetroffen! Hirschtochter, Errills Freunde Eppe und Korm, eine Frau, vermutlich Errills Schwester Luwe, und zwei Kinder.« Er hielt kurz inne, bevor er hinzufügte: »Errill haben sie natürlich auch dabei. Zerren ihn gerade an Stricken ins Dorf, obwohl er sich verzweifelt wehrt.«

Die beiden alten Frauen kicherten wie junge Mädchen. Ich putzte mir ein letztes Mal die Zähne mit Stöckchen und Ruß, gurgelte mit Wasserminze und versuchte meine Hände am Feuer zu wärmen.

»Ich, Madragena, Erdfrau der Adlerleute, bitte um Einlass!«, erklang eine Stimme am Türvorhang.

»Tritt ein, Madragena, du ehrst unser Haus mit deiner Anwesenheit«, erwiderte Ulera.

Die hagere Gestalt meiner Lehrmeisterin trat vor den Herd und warf eine Handvoll Distelwolle als Dankopfer ins Feuer. In der einen Hand hielt sie meinen Hochzeitskranz, in der anderen den Sprechstein. »Die Hirschleute wollen ein Fest mit uns feiern«, sagte sie ohne die Spur eines Lächelns, ganz die würdige Erdfrau. »Einen Sippenbruder haben sie mitgebracht, Kerragmeister Errill, und sagen, er habe drei Brautgaben entrichtet und wolle heute seine Braut freien. Dreierlei sollst du haben: Sehnsucht, Willen, Freude.«

»Dreierlei habe ich: Sehnsucht, Willen, Freude«, gab ich zurück.

»Dann nimm die Hochzeitsschale.«

Ulera und Lin, beide in ihren lange vorbereiteten Festtagskleidern, führten mich das kurze Stück durch den Nebengang zu Madragenas Haus. Da alle unsere Häuser halb in die Erde gegraben und - wie es sich für das Dorf einer Langhüglersippe gehörte - mit gedeckten Gängen verbunden waren, war es auch im Sommer dämmrig und verräuchert.

Sämtliche Frauen der Adlerleute sowie Luwe, Errills Schwester, drängten sich auf engem Raum zusammen, denn Madragenas Haus war das kleinste im Dorf. Vor dem Herdfeuer begann Madragena mich zu entkleiden. Sie benetzte ihre Finger mit Wasser aus der Hochzeitsschale und zeichnete das heilige Dreieck des alten Wegs auf Stirn, Brust, Leib und Schenkel, um die feuchten Spuren dann mit Mutter Erdes Kreis zu umrunden.

»Ist es diese Braut, die du für deinen Bruder suchst?«, fragte Madragena, und Luwe begann mich spielerisch abzutasten, in den Po zu kneifen und meine Zähne zu untersuchen, Anlass zu großer Heiterkeit unter den versammelten Frauen.

»Sie ist es«, bestätigte die rundliche kleine Frau mit einem letzten Klaps.

Ulera kleidete mich wieder an. Sie zog mir das Kleid aus hellem Lammleder über den Kopf, das sie selbst bei ihrer Hochzeit getragen hatte und das sie meiner Mutter Kea bei deren Hochzeit mit Simo angezogen hatte. Da meine Eltern tot waren, fiel ihr als meine nächste Ahnfrau diese Ehre zu. Am Saum des Kleides, der bis zu den Waden reichte, waren rosafarbene Meerschnecken aufgenäht. Lin bückte sich ächzend und zog mir die Strohschuhe an, auf denen jede Braut der Inseln zu ihrem Bräutigam ging. Dann legte Ulera mir die lange Kette aus Otterzähnen und Federn um, streifte die glänzend polierten Walbeinreifen über meinen rechten Arm und stellte sich mit schräg gelegtem Kopf vor mich. Sie ließ sich Zeit mit der Musterung und zupfte hier und da eine Falte zurecht, bis sie endlich anerkennend nickte.

Meine Freundinnen Ard und Sira flochten meine Haare zu zwei Zöpfen, deren Enden sie am Hinterkopf mit kleinen Beinnadeln feststeckten.

Madragena setzte mir den Hochzeitskranz auf den Scheitel. »Gelb sind die Blumen des Herbstes wie Butter und Stroh. Ackersenf für die Würze, Blutwurz für die Reinheit, Johanniskraut für die Heiterkeit. Möge alles Weh heilen mit den Kräften des Wundklees, möget ihr Nachkommen bekommen, wie das Labkraut Blüten hat.«

»Vielleicht nicht ganz so viele«, scherzten die Frauen, während sie mir die Augen verbanden und mich aus dem Dorf führten. Auf dem Platz vor unserem Tor hörte ich die Männer vor dem Steinehaus, in dem Errill sich seiner Waschung und Einkleidung unterzogen hatte. Ihrem Grölen nach zu urteilen waren die Scherze, die sie mit Errill getrieben hatten, grober gewesen als die, die ich zu ertragen gehabt hatte. Auch Errill würde eine Augenbinde tragen, denn wir durften uns heute erst auf dem Zeremonienplatz vor dem Ahnenhaus sehen. Flöten und Trommeln begleiteten die Lieder, die Frauen und Männer im Wechsel anstimmten.

»Wirst treu du sein, mein Schöner?«, sangen die Frauen hinter mir, und vor mir antworteten die Männerstimmen: »Ist denn der Wind den Inseln treu, du Kluge?«

Er war es, ausgerechnet heute. Kichernd jagten die Frauen immer wieder meinem Hochzeitskranz hinterher und drückten ihn mir noch ein bisschen fester auf die Stirn. Gleichzeitig mussten sie die Männer abwehren, denn immer wieder versuchte einer von ihnen, zu mir vorzudringen, mich zu berühren oder mir etwas ins Ohr zu flüstern.

Ich hörte, wie das Meertor in der Feldmauer geöffnet wurde, und stellte mir vor, wie der Wind, der mir das Kleid an den Körper presste, auch an ihm zerrte, während die Männer ihn aus lauter Übermut hin und her schubsten. Währenddessen versuchten die jungen Frauen aus dem Tross hinter mir, die Reihen der Männer zu durchdringen. Das Juchzen und die anzüglichen Rufe um mich herum schienen zu beweisen, dass eine von ihnen bis zum Bräutigam vorgedrungen war.

»Hat 'nen knackigen Arsch. Viel Spaß heute Nacht!«, hauchte eine verstellte Stimme in mein Ohr, so dass ich ihre Besitzerin nicht erkennen konnte.

»Hoffentlich hält er, was er verspricht«, rief eine andere lachend. »Seine Nase ist ja ziemlich -« Das Ende des Satzes ging in haltlosem Lachen unter.

Unfreiwillig kam mir Errills Nase in den Sinn. Eigentlich war sie weder groß noch klein, sondern eher ... mittel. Jetzt hätte ich auch gern gegrinst, aber eine Braut durfte, bis sie ihren Bräutigam sah, keine Miene verziehen. Mein Bauch kribbelte vor Aufregung.

»Werd nur ich zwischen deinen Schenkeln ruhn, du Schöne?«, sangen die Männer.

»Kann ich dem Wind der Inseln wehrn, du Kluger?«, gaben die Frauen zurück.

Der veränderte Hall der Stimmen und der nachlassende Wind sagten mir, dass wir am Ahnenhaus angelangt waren. Der breit gelagerte Steinhügel des Ahnenhauses, zwei Mannlängen hoch und zehn mächtige Mannlängen breit, nahm den Windböen ihre Kraft. Wie zwei gebogene Stierhörner umfassten die Mauern des Hornwerks den Zeremonienplatz und boten zusätzlichen Schutz. Trotz meiner Augenbinde meinte ich die klippenartige Trockensteinmauer der Ahnenhausfront vor mir zu sehen, als die Frauen mich vor sie stellten. Scherze und Gespräche verstummten, in meinem Rücken klatschten die Wellen gegen die Uferfelsen, über mir verlangten die Vögel des Meers kreischend ihren Anteil am Festmahl.

Die Männer schoben Errill neben mich. Ich meinte Salz zu riechen und einen Hauch würziges Birkenpech. Seine Gerüche, denn das Meer und sein Kerrag gehörten zu ihm wie ... Wie ich? wagte ich zu denken. Gehörte ich zu ihm?

Sie lösten unsere Augenbinden, drehten uns aufeinander zu und legten unsere Hände über Kreuz ineinander. Seine Haut war heller, seine Augen grauer, seine Haare länger als in meiner Erinnerung. Er war ganz ernst, mit unbewegten Zügen, nur sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, wenn er schluckte. Auf seiner Stirn stand eine winzige Schweißperle. Ich wollte sie ihm wegwischen. Mutter Erde, er war ja genauso aufgeregt wie ich!

Die Worte Adlersohns, unseres Schamanen, hörte ich, ohne auf sie achtzugeben. Götter, Ahngeister, unsere eigenen Namen, untermalt vom Klimpern und Rasseln der Muschelketten, Tierknochen und Hundezähne, die den Schamanenumhang schmückten und zu einer Art Musikinstrument machten. Ich spürte Errills warme Hände, ich betrachtete die Kette aus Ebenholzperlen um seinen Hals, ich nahm den Boden unter unseren Füßen in Augenschein. Unmöglich konnte ich die ganze Zeremonie über in seine Augen schauen!

»Wir bitten um das Glück eines Nabels, so groß wie ein Topf, um einen Schoß so groß wie ein Bett, wir bitten um die Lebenskraft der Bullen mit großen Hoden, der Kühe mit prallen Eutern.« Madragena spritzte ein wenig Milch hinter sich, die alte Bitte um Fruchtbarkeit.

Jetzt ihm bloß nicht in die Augen sehen! Die Hitze stieg mir in die Wangen. Ich fühlte Errills Blick auf mir und errötete noch mehr. Als ich es endlich wagte, meinen Blick zu heben, merkte ich, dass seiner nicht auf meinem Gesicht ruhte.

Die Menge in unserem Rücken wurde unruhig. »... noch mehr Besucher ...«, schnappte ich auf.

Errill kniete nieder, um mir die Strohschuhe auszuziehen. Als seine Hände über meine Knöchel strichen, wurden mir die Knie weich. »Ich will die Hochzeitsschale mit dir zerbrechen, Lasra von den Adlerleuten«, sagte er, während er mir einen geflochtenen Riemen aus Rindsleder um den rechten und eine Girlande aus Gerstenähren um den linken Knöchel band. Mein ganzer Körper schien zu kribbeln. Heute Nacht. Mir wurde heiß und kalt. Heute. Nacht.

Als er sich wieder aufrichtete, war die Unruhe unter den Zuschauern so groß geworden, dass Errill sich umdrehte. Ich sah den überraschten Ausdruck in Adlersohns Augen und wandte mich auch um. Kein Wunder, dass die Zeremonie stockte. Die Stierleute, die mächtigste Sippe der Inseln, erwiesen uns die Ehre ihrer Anwesenheit!

Ibarek, der Baumeister und wohl aussichtsreichste Erbe von Jonbro Stierherr, führte die Gruppe aus fünf Männern an, die sich von Norden her dem Ahnenhaus näherten. Er und die beiden Hünen neben ihm, Steinmeister Klebh und Beinmeister Yarbro, trugen die ockerroten Lederumhänge der Stierherren mit den Geweihperlen und Hundezähnen am Saum. Hinter ihnen gingen zwei gewöhnlich gekleidete Männer mit Steinäxten, die ich nicht kannte. Wahrscheinlich stammten sie aus einer der Sippen, die unter der Führung der Stierleute die Gemeinschaft bildeten.

»Yarbro!«, schrie Ela, lief auf die Ankömmlinge zu und warf sich ihrem Mann an den Hals. Yarbro schob sie von sich und sagte etwas zu ihr, woraufhin sie sich wieder zu den Adlerleuten begab. Ihre Wangen brannten, als wäre sie geohrfeigt worden.

»Seid uns willkommen, Gesandte der Stierleute!«, rief Adlersohn und lud sie mit einer schwungvollen Geste ein, sich zu der Festgesellschaft zu stellen. »Feiert mit uns die Hochzeit von Errill, Kerragmeister der Hirschleute, und Lasra, der künftigen Erdfrau der Adlerleute.«

Er bedeutete mir, mich hinzuknien, um Errill seine Lederschuhe auszuziehen und ihm die Hochzeitsbänder umzulegen. Empörte Ausrufe wurden laut, als die beiden Axtmänner den Umhangträgern eine Gasse durch die Menge bahnten, bis sie neben Adlersohn vor dem Ahnenhaus standen. Ibarek reckte Jonbros Prunkaxt mit dem kunstvoll verzierten Birkenschaft in die Höhe. Klebh und Yarbro flankierten ihn mit grimmiger Miene. Ibareks Stimme, nicht für große Versammlungen geschaffen, überschlug sich: »Die Botschaft von Jonbro Stierherr duldet keinen Aufschub. Hört, was der Erbe Naps euch mitzuteilen hat!« Nicht nur ich starrte ihn mit offenem Mund an. Was für eine Unhöflichkeit! In der Stille, die dem Eindringen der Stierleute folgte, trug der Wind das wütende Bellen des Hundes, den wir vor dem Dorftor angebunden hatten, bis zum Ahnenhaus.

Ich packte Errills Hand und wandte mich Ibarek zu, doch Errill drückte meine Hand so fest, dass es wehtat, und kam mir zuvor. »Dringlichkeit hat schon manch einen höflichen Mann dazu gebracht, die guten Sitten zu vergessen. So sprich denn, Gesandter der Stierherrn, aber sprich schnell. Auch ich habe es eilig.«

Zustimmendes Gemurmel wurde laut, und hier und da hörte man ein Lachen.

»Das will ich meinen, Kerragmeister. Seit wann ist eine Rede wichtiger als eine Frau im Bett?«, ertönte eine Frauenstimme.

Die Stierleute verzogen keine Miene. »Ein Unrecht ist geschehen auf den Inseln, und die Menschen haben darauf geantwortet, indem sie Schande um Schande auf sich und ihre Sippen gehäuft haben«, begann Ibarek. »Jeder hat Anteil an dieser Schande, sei er nun Langhügler oder ein Mitglied der Gemeinschaft. Sühne fordern die Götter, Sühne wollen wir leisten. Am Tag des Überflusses sollt ihr zum Nabel der Inseln kommen. Häuptling und Tiersohn einer jeden Sippe sollen kommen. Dann werdet ihr erfahren, welcher Art die Sühne ist, die die Götter von den Menschen der Inseln fordern.«

»Wenn ihr die Ratgeber einer jeden Sippe einladet, tut ihr gut daran, auch die Erdfrauen zu laden«, sagte Adlersohn im großen Schamanentonfall. Seine gelben Augen hinter den Schlitzen der Adlermaske funkelten ärgerlich.

»Für euch Adlerleute aber habe ich eine eigene Botschaft«, fuhr Ibarek fort, ohne auf Adlersohns Einwurf einzugehen. »Das sage ich, Jonbro Stierherr: Es ist an der Zeit, dass die Menschen der Inseln zusammenfinden und wieder ein Volk werden. Eine starke Hand brauchen Langhügler und Rundhügler, wollen sie den Gefahren trotzen, die das Böse schafft. Das Böse in ihren Reihen und das Böse von jenseits des Meers ist geweckt und wird nicht ruhen, bis es uns ganz und gar verwüstet hat. Hört mich an: Ich, Jonbro Stierherr, will Ard von den Adlerleuten zur Frau nehmen. Mörder raubten ihr den Vater des Kindes, den ehrwürdigen Sihrus. Dies Unrecht soll wiedergutgemacht werden. Dem Kind, das sie trägt, will ich Vater sein. Wenn ich dereinst im Ahnenhaus liege, soll dieses Kind der neue Stierherr sein. So spreche ich, Jonbro Stierherr.« Ibareks Rede endete mit einem Krächzen, als hätten die Worte ihm den Rachen verätzt.

Auch den anderen hatte es die Sprache verschlagen. Welch ungeheuerlicher Vorschlag! Mit einem Seufzen wichen die Menschen auseinander und gaben den Blick auf Ard frei. Meine schöne Freundin hatte die Hände schützend auf ihren Leib gelegt. Der Wind fuhr durch ihre hellblonde Haarpracht, die offen über ihre schmalen Schultern fiel. Ihre Gestalt, vorher zart und zerbrechlich, war durch die Schwangerschaft voller geworden, was ihr gut stand. Sie rührte sich nicht, nur ihre Rechte fuhr an die Halskette aus Sihrus' Haaren, mit der sie an Naps Tag den Wettbewerb um das schönste Schmuckstück gewonnen hatte.

Madragena, die die Zeremonie gemeinsam mit Adlersohn leitete, fasste sich als Erste. »Ein ehrenwerter Antrag, den Jonbro von den Stierleuten da macht. Morgen Abend, wenn das Hochzeitsfest beendet ist, werde ich einen Sprechtag einberufen. Dann werden die Adlerleute ihrer Sippenschwester mit Rat zur Seite stehen und entscheiden, ob diese Ehe klug ist. Wo wollen die Jungvermählten denn wohnen? Wird Jonbro ins Dorf der Adlerleute kommen, wie es der Stierleutemann Kebro tat, als er unsere Sippenschwester Sira nahm?«

Nun war Ibarek um Worte verlegen. Sein blasses Gesicht über dem grauen Bart nahm die Farbe einer Hundsrose an. Es war Yarbro, der antwortete: »Auch ich habe eine Frau der Adlerleute genommen, und sie hat mir ein Kind geboren. Ich hole sie zurück in mein Haus. Mein Haus steht im Dorf der Stierleute. Ehrwürdige Erdfrau, auch Ard wird in Jonbros Haus ziehen.« Yarbro schüttelte seine schwarzen Zöpfe, ungläubig, dass eine solche Frage überhaupt gestellt worden war.

In der Menge hinter uns schluchzte Ela auf. Ulera hatte den Arm um ihre Enkelin gelegt. Der Blick, den sie Yarbro zuwarf, war alles andere als gütig. Als ich mich wieder zurückwandte, glitt mein Blick nach Norden. Über das windgepeitschte Grasland zwischen Ahnenhaus und Dorf näherte sich eine weitere Gestalt. Dass es stets Menschen gab, denen Verspätung zur zweiten Natur geworden war! Lin, die wegen ihres Alters und ihrer Verwandtschaft zu mir in der Ehrenreihe unmittelbar hinter uns stand, hatte den Nachzügler ebenfalls entdeckt. Ihr Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an.

Der Schamanenumhang rasselte, als unser Tiersohn die Arme ausbreitete. Mit seiner Adlermaske überragte er selbst den stattlichen Klebh. »Madragena sprach weise. Wir Langhügler halten nichts davon, die Dinge zu überstürzen. Bevor eine Hochzeit beredet wird, muss man über die Morde sprechen, die das Antlitz der Inseln besudelt -«

»Was hat das mit Jonbros Antrag zu tun?«, unterbrach ihn Ibarek.

In der Menge wurde angesichts dieser erneuten Taktlosigkeit Unmut laut. »Jonbros letzte Frau ist Jahre tot, da wird er es schon noch ein paar Tage allein aushalten!« Das war Siras Stimme. Herausfordernd reckte unsere Meerjägerin ihr schönes Gesicht mit dem markanten Kinn in die Höhe, während die schwarzen, von vereinzelten grauen Strähnen durchzogenen Haare über ihren Rücken wallten.

Lin verließ ihren Platz und ging mit langsamen Schritten dem Nachzügler entgegen. Was für eine Feier! Da stand ich nun, die Hochzeitsbänder in der Hand, und war noch nicht einmal dazu gekommen, meinem Bräutigam die Schuhe auszuziehen. Die Ehrengäste verließen uns ohne ein Wort, die Hochzeitsschale ruhte unzertrümmert auf dem Boden, und diese anmaßenden Leute störten die Zeremonie!

»Vielleicht -« Ich verstummte, denn Errill hatte gleichzeitig mit mir angefangen zu sprechen. Wir lächelten uns an. Errill berührte sacht meinen Zeigefinger, an dem die Hochzeitsbänder baumelten.

»Vielleicht könnten wir nun mit der Zeremonie fortfahren«, sagte Errill mit Ungeduld in der Stimme. »Verehrte Stierherren, gesellt euch doch zu den anderen Gästen.«

Unser Häuptling Gorg trat vor, legte Ibarek den Arm um die Schulter und nötigte ihn mit sanftem Druck in Richtung Zuschauer. Seine hünenhafte Statur verlieh dem verbindlichen Lächeln den rechten Nachdruck.

Mit einer stummen Bewegung wies ich Errill auf Lin hin, die mittlerweile lief. Erstaunlich schnell für eine alte Frau. Wären nicht ihre grauen Haare gewesen, hätte man denken können, ein junges Mädchen laufe seinem Liebsten entgegen. Die hohen Gräser teilten sich vor ihr wie das Wasser vor dem Kerrag. Auch der Nachzügler hatte sich in Bewegung gesetzt, doch schien es mir, als taumele er leicht.

Errill zog die Augenbraue hoch. Ich verbannte alles außer Errill aus meinen Gedanken und kniete vor ihm nieder, um ihm endlich die Hochzeitsbänder anzulegen. Ich spürte die langen Knochen seiner Füße, streichelte über die Knöchel, die ziemlich weit herausstanden, und hatte Mühe, die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. Wie konnte ich verhindern, dass Steine auf diese Zehen fielen, Dornen sich unter diese Nägel bohrten? Wie sollte ich etwas so Schutzloses wie diese Füße schützen?

Madragena zupfte eine Beere Johanniskraut aus meinem Brautkranz und zerrieb sie zwischen ihren Fingern. Roter Saft quoll heraus. Meine Lehrmeisterin lächelte mich an. »Glück hast du, Braut, roter Saft ist im Kraut, dein Schatz ist dir gut, sei dennoch auf der Hut!«

Die Menge jubelte und stampfte mit den Füßen. Errill zog mich an sich, küsste mich sittsam auf die Wange und flüsterte mir ins Ohr: »Wer ist das?«

Ich spähte verstohlen nach Norden. Lin und der Ankömmling lagen sich inzwischen in den Armen. Ein ungutes Gefühl beschlich mich, als ich die Schulter zuckte.

Kapitel 4

Madragena hob die Hochzeitsschale vom Boden auf und sprach den Segen von Mutter Erde auf sie, bevor Adlersohn seine Hände ebenfalls an ihren Rand legte und Vater Himmels Segen hinzufügte. Gorgs dicke Tochter Hummel, die seit kurzem bei Madragena in die Lehre ging, schüttete Wasser in die Schale, aus der erst Errill und dann ich tranken. Als wir die Schale anfassten, um sie gemeinsam zu zerschlagen, hörten wir Lins Stimme »Nein! Halt!« rufen.

Ein ungeduldiges Murren ging durch die Zuschauer. »Zerschlag sie!«, zischte Errill mich an.

»Nein!«, zischte ich zurück. »Ich will, dass das hier in Würde geschieht.«

Ein wütender Blick traf mich. Musste er denn immer mit mir streiten? Ich drehte mich um.

Lin eilte auf uns zu. Die wenigen Schritte bis zu uns hatten sie und ihr Begleiter rasch zurückgelegt. Sie hielt die Hand eines schlanken Manns mit schulterlangem, glattem schwarzem Haar, der nur unwesentlich größer war als sie. Ein Fremder hätte ihn vermutlich unauffällig genannt. Doch die weiße Haut, die dunklen Augen in dem breiten Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen, die strahlend weißen Zähne, die schmalen Augen waren mir nur allzu vertraut. Um Mund und Kinn lag ein dunkler Schatten, denn sein Bartwuchs war immer stark gewesen, auch wenn er sich jeden Morgen sorgfältig rasiert hatte. Er stützte sich schwer auf Lins Arm und keuchte, obwohl auf den ersten Blick keine Verletzungen offenbar waren. Seine Kleidung war ebenso unauffällig wie der ganze Mann: ein weit geschnittenes Hemd, von einem Gürtel zusammengehalten, eine eng anliegende Hose und Stiefel, das alles aus Lederstücken zusammengenäht. Er trug keinen Umhang, und da das Hemd aus feinem Schafleder offen stand, war die weiße Brust mit den schwarzen Haaren zu sehen.

Immer, wenn er mir das Gesicht zugewandt und gelächelt hatte, hatte ich ihn für einen gutaussehenden Mann gehalten. Doch wenn ich ihn von der Seite betrachtet hatte, in einem unbeobachteten Augenblick, war er wie ein Fremder für mich gewesen, den ich zum ersten Mal sah. Allein mit ihm, hatte ich häufig die Augen geschlossen, um seiner Stimme ganz nah zu sein. Seine Stimme war es gewesen, die mich berührt hatte. Wenn er gesungen hatte, waren alle anderen Stimmen der Inseln für mich verstummt. Er war gewiss das Beste gewesen, was mir damals hatte widerfahren können. Und ich hatte ihn vermisst, als er eines Tages nicht vom Meer zurückgekehrt war. Doch irgendwann hatte er aufgehört, in meinen Gedanken zu singen.

»Lasra!«, sagte er und streckte den anderen Arm, den, mit dem er sich nicht an Lin festhielt, nach mir aus.

Ich wich zurück und stieß gegen Errill. Sein Arm legte sich um meine Schulter. Die Festgäste, alle Köpfe so weit vorgereckt, wie ihre Hälse es zuließen, schwiegen.

»Mein Sohn lebt!«, rief Lin. Unter ihrem ledrigen Altersgesicht lag eine beinah strahlende Blässe. »Mein Sohn ist zurückgekommen!« Sie streichelte Nomaks Arm. Ihr Sohn. Mein Mann.

Behutsam nahm Madragena Errill die Hochzeitsschale ab, die er achtlos noch immer festhielt. Wie in Trance ließ er sie los und legte die Hand auf die Bronzeaxt an seinem Gürtel. Sein Arm um meine Schulter war so hart wie Stein. »Errill!«, sagte ich tonlos und schmiegte mich an ihn.

»Ein Glück, dass die Hochzeitsschale noch nicht zerbrochen ist!« Lin weinte und lachte zugleich. »Lasra, dein Mann ist wieder da! Mein Nomak!«

Der Augenblick würde nie zu Ende gehen. Ich starrte Nomak an. Seine Stirn war ein wenig höher geworden, das Haar lichter. Seine Lederhose glänzte speckig. Ich starrte und starrte. Freude sah anders aus, das musste selbst Lin allmählich klar werden.

Dann stürzten die Silbermöwenleute, unter denen sich auch einige seiner Verwandten befanden, und einige Adlerleute auf ihn zu, klopften ihm auf die Schulter und begrüßten ihn. Nomak war beliebt gewesen. Nur die Kinder hatten ihn nicht gemocht, obwohl er viel mit ihnen gelacht hatte.

Mirko zupfte an meinem Kleid. »Wir müssen ihn zusammen begrüßen, Erdfrau-Schwester!«, flüsterte er mir zu. Errills Arm wurde von Sandstein zu Granit. »Wir drei müssen ihn begrüßen«, sagte er.

Mirko und Errill nahmen mich in die Mitte. Meine Beine gingen mit ihnen mit, bis ich vor Lin und Nomak stand. Wo Lins verdorrter Körper nur das viele Wasser hernahm! Ich versuchte mich zu erinnern, aber mir wollte nicht einfallen, wann ich sie je hatte weinen sehen. Ich wusste, dass etwas von mir erwartet wurde, konnte mich aber nicht von meinen Gedanken losreißen. An jenem Abend, als wir hatten einsehen müssen, dass Nomak nicht von seinem Fischzug zurückkehren würde, hatte Lin nicht geweint. Später dann am Tag der Wiedergeburt, als der Seeadler, steif gefroren in den Winterstürmen, für Nomak ins Ahnenhaus gelegt wurde? Ihr Gesicht wollte nicht in meinen Gedanken erscheinen. Ich sah nur Schnee und Steine.

»Willkommen, Nomak. Sei willkommen bei den Adlerleuten. Es ist eine freudige Überraschung für uns, dass du lebst. Wo bist du die ganze Zeit gewesen?« War das wirklich mein kleiner Bruder, der diese wohlgesetzten Worte gefunden hatte und dem Totgeglaubten nun den Verwandtenkuss gab?

»Danke für dein Willkommen, Bruder meiner Frau. Verzeih, aber ich bin heute über die Förde gekommen, und meine Reise war anstrengend und gefahrvoll. Ich fühle mich noch zu schwach, um die lange Geschichte meiner Abwesenheit zu erzählen. Das Glück überwältigt mich.« Es war Nomaks Stimme, diese weiche, klingende Stimme, die mich aus meiner Erstarrung riss.

Lin streichelte seinen Arm. »Wir haben später noch Zeit zum Erzählen, liebes Kind.«

Ulera streifte sie mit einem Blick, der vor Misstrauen triefte.

»Auch ich grüße dich, Nomak. Ich bin Errill von den Hirschleuten, und Lasra und ich haben heute geheiratet. Sei unser Freund und grolle nicht, dass Lasra einen neuen Mann genommen hat. Du galtest für tot bei den Sippen der Inseln. Die Dinge haben sich verändert.«

»O nein!« Lin lächelte. »Ihr seid nicht verheiratet. Die Hochzeitsschale wurde nicht zerbrochen. Komm, Lasra, reich deinem Mann die Hand.« Sie griff nach meiner Hand und versuchte, sie in Nomaks zu legen. Ich zuckte zurück.

»Lasra, meine Frau, willst du mich nicht begrüßen?«

»Sei gegrüßt, Nomak«, sagte ich mit heiserer Stimme. »Aber ich habe jetzt einen neuen Mann. Ich bin Errills Frau. Du warst tot ... ich meine, der Seeadler ... Ich bin nicht mehr deine Frau, du musst ...«

Ja, was musste er denn? Niemand schien so recht zu wissen, was nun zu geschehen hatte.

»Willst du mir nicht den Verwandtenkuss geben?«, fragte Nomak mit brechender Stimme.

Errill ließ meine Hand los. Ich umfasste Nomaks Schultern, um ihn so weit wie möglich von mir weg zu halten, und berührte seine stopplige Wange mit den Lippen. Er roch nicht nach Krankheit oder Schweiß, er roch überhaupt nicht.

»Lasst uns mit der Zeremonie fortfahren«, sagte Madragena schließlich. »Nomak, sei unser Ehrengast. Mutter Erdes und Vater Himmels Segen liegen bereits in der Hochzeitsschale. Sie können nicht zurückgenommen werden.«

Silbermöwensohn, der Schamane unserer nächsten Nachbarn und Vater von Gorgs junger Frau Osi, gestikulierte wild, und mehrere Sippenmitglieder schwangen sich zur Verteidigung von Nomaks Anspruch auf. Da hielten auch die Hirschleute nicht mehr an sich und unterstützten lauthals ihren Sippenbruder.

»Erst hat sie gar keinen Mann und jetzt einen zuviel!« Leles Zwischenruf brachte ihr ein paar Lacher, wenn auch nicht mein Wohlwollen ein. Doch das hatte sie noch nie besessen. Wie üblich hatte sie ihren üppigen Körper in ein viel zu enges Kleid gezwängt.

»Aber Lasra hat sich doch entschieden!«, rief Ela. »Sie will Errill!« Niemand hörte ihr zu. Dann nahm Yarbro sie und den Kleinen in die Arme, und sie war verloren für die übrige Welt.

Hirschtochter, die zwar ihren Schamanenumhang, nicht jedoch die ausladende Hirschmaske trug, hob die Hand. »Ich sehe erregte Gesichter, ich höre wütende Stimmen. Haben wir an Naps Tag nicht den furchtbaren Beweis erleben müssen, wohin das führen kann? Beruhigt euch, setzt euch, mäßigt euren Zorn.«

»Ja, setzt euch, verehrte Gäste!«, sprang Adlersohn ihr bei und holte Hirschtochter und Silbermöwensohn an seine Seite. Lin und Nomak ließen sich zu ihrer Rechten, Errill, Mirko und ich zu ihrer Linken nieder.

»Wollt ihr das Festmahl für euch behalten, Adlerleute?«, rief ein junger Mann.

»Richtig, was geschieht mit all den Köstlichkeiten?«, wollte ein anderer wissen.

Adlersohn gab ein Zeichen, und die älteren Kinder unserer Sippe boten den Gästen reihum von Beeren und Fleisch, Fisch und Brei an. Selbst die Stierleute hatten die Umhänge abgelegt, um es sich schmecken zu lassen. Ich bekam keinen Bissen hinunter, doch Errill und Nomak langten kräftig zu, als würden sie um die Wette essen.

»Was für ein Hochzeitsschmaus!«, sagte mein zweiter Mann mit diesem Zucken um den Mundwinkel, das ihm eigen war.

»Ein Schmaus für Augen und Zunge, fürwahr«, entgegnete mein erster Mann, »doch eine Hochzeit kann ich nicht entdecken.«

»Die lange Reise muss dich und dein Augenlicht geschwächt haben, doch es wird gewiss zurückkommen«, sagte Errill mit einem sparsamen Lächeln.

»Du bist sehr freundlich in deiner Sorge um mich. Aber glaube mir, ich sehe, was ich vor mir habe. Zum Beispiel diese Bronzeaxt. Ein prächtiges Stück. Seit wann trägt man Waffen auf den Inseln?«

Errill blickte nicht auf, aber ich sah, wie seine Schultern sich anspannten. »Diese Axt gehört meinem Freund Sihrus, der ermordet wurde.«

»Ermordet? Sihrus? Bei Mutter Erde!« Nomak schüttelte ungläubig den Kopf.

»Wenn er am Tag der Wiedergeburt ins Ahnenhaus geht, wird sie ihn begleiten. Ich bewahre sie nur für ihn auf.«

»Und ich dachte schon, du wärst ein Meister der Metalle, ein mächtiger Mann!« Nomaks Stimme klang weich wie Lammwolle.

»Ich bin nur der Kerragmeister der Hirschleute«, entgegnete Errill. Lächelnd strich er sich eine schwarze Strähne aus der Stirn. »Von Metall weiß ich nichts, nach Macht strebe ich nicht.«

»Errill ist mit Sihrus bis zu einer großen Insel im Südmeer gefahren!«, mischte Mirko sich in den Wortwechsel der beiden Männer ein. »Er muss dir einmal erzählen, was für Wunder er kennengelernt hat. Es ist unvorstellbar!«

»Ah!« Nomak nickte, ohne den Blick von Errill zu nehmen. »Und du bewunderst ihn.« Sein Oberkörper war so schlaff wie Errills straff, seine Augen aber blickten hellwach.

Beiläufig plätscherten die Worte dahin, doch die Münder der beiden Männer waren hart, als spuckten sie kleine Steine. Kein Wunder, sagte ich mir und fühlte mich geschmeichelt.

Als alle gesättigt waren, erhob sich Adlersohn und breitete mit der ihm eigenen Bedächtigkeit die Arme aus. »Dies ist ein denkwürdiger Tag. Nomak von den Silbermöwenleuten und Errill von den Hirschleuten erheben beide Anspruch auf Lasra von den Adlerleuten. Zahlreiche Festgäste sind zu uns gekommen, sie sollen nun Zeugen der Entscheidung werden, die wir zu fällen haben.«

Zustimmendes Gemurmel wurde laut.