Die Stahlhöhlen - Isaac Asimov - E-Book

Die Stahlhöhlen E-Book

Isaac Asimov

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Beschreibung

Ist eine Zusammenarbeit zwischen Robotern und Menschen möglich?

Zu Beginn des 30. Jahrhunderts ist die Menschheit gespalten: Die einen leben auf der Erde, zusammengepfercht unter riesigen Kuppeln, die anderen – die sogenannten „Spacer“ – haben sich auf fremden Planeten niedergelassen. Doch mit der räumlichen Trennung entwickeln beide Parteien auch ganz unterschiedliche Weltanschauungen, vor allem, was die auf der Erde verpönten Roboter betrifft. Elijah Baley von der New York City Police ist alles andere als begeistert von seinem neuen Fall: ein Diplomat der Spacer wird ermordet aufgefunden. Baley soll ausgerechnet zusammen mit einem Roboter ermitteln und so jede politische Ausweitung dieses unangenehmen Falles verhindern. Dass R. Daneel ein hochentwickelter Android ist, der von einem Menschen nicht mehr unterschieden werden kann, macht die Zusammenarbeit für Baley zunächst nicht einfacher …

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Seitenzahl: 379

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Das Buch

Zu Beginn des 30. Jahrhunderts ist die Menschheit gespalten: Die einen leben auf der Erde, zusammengepfercht unter riesigen Kuppeln, die anderen – die sogenannten »Spacer« – haben sich auf fremden Planeten niedergelassen. Doch mit der räumlichen Trennung entwickeln beide Parteien auch ganz unterschiedliche Weltanschauungen, vor allem, was die auf der Erde verpönten Roboter betrifft. Elijah Baley von der New York City Police ist alles andere als begeistert von seinem neuen Fall: ein Diplomat der Spacer wird ermordet vor seinem Haus aufgefunden. Baley soll ausgerechnet zusammen mit einem Roboter ermitteln und so jede politische Ausweitung dieses unangenehmen Falles verhindern. Dass R. Daneel ein hochentwickelter Android ist, der von einem Menschen nicht mehr unterschieden werden kann und obendrein dem Mordopfer, seinem Erbauer, optisch nachempfunden ist, macht die Zusammenarbeit für Baley zunächst nicht einfacher …

Mit seinen Romanen um Elijah Baley und R. Daneel Olivaw verbindet Isaac Asimov sein Roboter- mit dem Foundation-Universum und erschafft so seine werkumspannende Future History, mit der er weltbekannt wurde. Vor allem R. Daneel Olivaw ist eine der zentralen Figuren des Roboter/Foundation-Zyklus. In Die Stahlhöhlen beginnt seine Geschichte, die unter anderem in Die nackte Sonne und Die Foundation-Trilogie sowie Die Suche nach der Erde fortgesetzt wird.

Der Autor

Isaac Asimov zählt gemeinsam mit Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein zu den bedeutendsten SF-Autoren, die je gelebt haben. Er wurde 1920 in Petrowitsch, einem Vorort von Smolensk, in der Sowjetunion geboren. 1923 wanderten seine Eltern in die USA aus und ließen sich in New York nieder. Während seines Chemiestudiums an der Columbia University begann er SF-Geschichten zu schreiben. Seine erste Story erschien im Juli 1939, und in den folgenden Jahren veröffentlichte er in rascher Folge die Erzählungen und Romane, die ihn weltberühmt machten. Neben der SF schrieb Asimov auch zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher zu den unterschiedlichsten Themen. Er starb im April 1992.

Mehr über Isaac Asimov und seine Romane auf:

ISAAC ASIMOV

DIESTAHLHÖHLEN

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

THE CAVES OF STEEL

Deutsche Übersetzung von Heinz Nagel

Copyright © 1954 by Nightfall Inc.

Mit freundlicher Genehmigung der Erben des Autors

Copyright © 2014 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von shutterstock 93673543

Satz: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN 978-3-641-13203-3

www.diezukunft.de

INHALT

1.     Gespräch mit einem Kommissar

2.     Auf den Expressways

3.     Zwischenfall in einem Schuhgeschäft

4.     Einführung in eine Familie

5.     Analyse eines Mordes

6.     Flüstern im Schlafzimmer

7.     Ausflug nach Spacetown

8.     Diskussion über einen Roboter

9.     Belehrung durch einen Spacer

10.   Der Nachmittag eines Ermittlungsbeamten

11.   Flucht über die Streifen

12.   Die Auskunft eines Fachmanns

13.   Die Maschine ergreift die Initiative

14.   Die Verschwörer

15.   Verhaftung eines Verschwörers

16.   Fragen nach dem Motiv

17.   Abschluss eines Projekts

18.   Ende einer Ermittlung

1.   Gespräch mit einem Kommissar

Lije Baley hatte gerade seinen Schreibtisch erreicht, als ihm auffiel, dass R. Sammy ihn erwartungsvoll ansah.

Die mürrisch wirkenden Linien in seinem langen Gesicht verhärteten sich. »Was willst du?«

»Der Chef will Sie sprechen, Lije. Gleich wenn Sie hereinkommen.«

»In Ordnung.«

R. Sammy blieb unbewegt stehen.

»In Ordnung, hab ich gesagt«, sagte Baley. »Geh jetzt!«

R. Sammy machte kehrt und entfernte sich, um seinen Pflichten nachzugehen. Baley fragte sich gereizt, warum diese Pflichten nicht auch von einem Menschen erfüllt werden konnten.

Er holte seinen Tabaksbeutel heraus, öffnete ihn und überlegte. Wenn er sich auf zwei Pfeifen pro Tag beschränkte, würde es bis zur nächsten Zuteilung reichen.

Dann trat er hinter seiner Trennwand hervor (sein Rang verlieh ihm seit zwei Jahren Anspruch auf eine Trennwand) und ging durch den Gemeinschaftsraum.

Simpson blickte von seinem Bildschirm auf, als er an ihm vorbeiging. »Der Chef will Sie sprechen, Lije.«

»Ich weiß. R. Sammy hat es mir gesagt.«

Ein Codeband quoll seitlich aus dem Bildschirm heraus, während das kleine Gerät sein Gedächtnis nach den gewünschten Informationen absuchte, die in winzigen Schwingungsmustern der glänzenden Quecksilberfläche im unteren Teil des Gerätes enthalten waren.

»Ich würde R. Sammy gerne in den Hintern treten, wenn ich nicht Angst hätte, mir dabei ein Bein zu brechen«, sagte Simpson. »Neulich habe ich Vince Barrett gesehen.«

»Oh?«

»Er hat sich nach seinem Job umgesehen, den er gern wieder hätte. Oder irgendeinen anderen Job hier bei uns. Der arme Teufel ist verzweifelt. Aber was hätte ich ihm denn sagen sollen? R. Sammy macht seine Arbeit, mehr gibt es da nicht zu sagen. Der Junge bedient jetzt irgendeinen Apparat in den Hefefarmen. Ein intelligenter Bursche war das übrigens. Und alle haben ihn gemocht.«

Baley zuckte die Achseln und meinte, wesentlich steifer als er das vorgehabt hatte oder als es seinen Empfindungen entsprach: »Das ist etwas, mit dem wir alle fertigwerden müssen.«

Der Chef hatte Anspruch auf ein Einzelbüro. Auf der Milchglasscheibe stand:

JULIUS ENDERBY

Schöne, hübsche Buchstaben, sorgfältig in das Glas eingeritzt. Und darunter stand:

COMMISSIONER OF POLICE,

CITY OF NEW YORK

Baley trat ein und sagte: »Sie wollten mich sprechen, Commissioner?«

Enderby blickte auf. Er trug eine Brille, weil er empfindliche Augen hatte und die üblichen Kontaktlinsen nicht vertrug. Es dauerte eine Weile, bis man sich an den Anblick gewöhnte, und erst anschließend kam man dann dazu, den Rest des Gesichts auf sich einwirken zu lassen; ein Gesicht, das nicht besonders auffällig war. Baley war davon überzeugt, dass der Commissioner seine Brille deshalb besonders schätzte, weil sie ihm Persönlichkeit verlieh. Und dann konnte er sich des Verdachts nicht erwehren, dass seine Augen vielleicht gar nicht so empfindlich waren.

Der Commissioner wirkte ausgesprochen nervös. Er schob sich die Manschetten zurecht, lehnte sich zurück und sagte mit viel zu herzlicher Stimme: »Setzen Sie sich, Lije. Setzen Sie sich doch!«

Baley nahm steif Platz und wartete.

»Wie geht’s Jessie?«, wollte Enderby wissen. »Und dem Jungen?«

»Gut«, sagte Baley ausdruckslos. »Gut, danke. Und Ihrer Familie?«

»Gut«, kam es wie ein Echo von Enderby. »Danke, gut.«

Es war ein schlechter Anfang gewesen.

Und Baley dachte: Irgendetwas mit seinem Gesicht stimmt nicht.

Und sagte: »Commissioner, es wäre mir recht, wenn Sie nicht R. Sammy schicken würden, wenn Sie mich sprechen wollen.«

»Nun, Sie wissen ja, wie ich über diese Dinge denke, Lije. Aber man hat ihn uns nun einmal geschickt, und ich muss ihn ja für irgendetwas einsetzen.«

»Es macht mich irgendwie unbehaglich, Commissioner. Er sagt mir, dass Sie mich sprechen wollen, und dann steht er einfach da. Sie wissen schon, wie ich das meine. Ich muss ihm sagen, dass er weggehen soll, sonst bleibt er einfach stehen.«

»Oh, das ist meine Schuld, Lije. Ich hab ihm den Auftrag gegeben und vergessen, ihm ausdrücklich zu sagen, dass er anschließend wieder an seine Arbeit gehen soll, wenn er fertig ist.«

Baley seufzte. Die feinen Runzeln um seine auffällig braunen Augen traten deutlicher hervor. »Nun, Sie wollten mich jedenfalls sprechen.«

»Ja, Lije«, sagte der Commissioner, »aber das ist eine recht schwierige Angelegenheit.«

Er stand auf, wandte sich ab und ging an die Wand hinter seinem Schreibtisch. Er berührte einen unauffälligen Schalter, worauf ein Teil der Wand durchsichtig wurde.

Bei dem unerwartet grellen, grau wirkenden Licht kniff Baley unwillkürlich die Augen zusammen.

Der Commissioner lächelte. »Ich habe mir das letztes Jahr einrichten lassen, Lije. Ich glaube nicht, dass ich es Ihnen schon einmal gezeigt habe. Kommen Sie her und sehen Sie sich das an. Früher hatten alle Zimmer so etwas. Man nannte das ›Fenster‹. Haben Sie das gewusst?«

Baley wusste das sehr wohl; schließlich hatte er viele historische Romane gesichtet.

»Ich habe davon gehört«, sagte er.

»Kommen Sie her!«

Baley zögerte etwas, tat dann aber, was der andere wollte. An dem Vorgang, das Privatleben eines Zimmers der Außenwelt offenzulegen, war irgendwie etwas Ungehöriges. Manchmal ging der Commissioner mit seiner Vorliebe für das Mittelalterliche etwas weit, und dann wurde es peinlich – um nicht zu sagen albern.

So wie seine Brille, dachte Baley.

Das war es! Das hatte ihn an seinem Gesicht gestört!

Und dann meinte er: »Entschuldigen Sie, Commissioner, aber Sie tragen eine neue Brille, nicht wahr?«

Der Commissioner starrte ihn etwas überrascht an, nahm die Brille ab und sah zuerst sie und dann Baley an. Ohne Brille wirkte sein rundes Gesicht noch runder, und sein Kinn ein wenig auffälliger. Und irgendwie wirkte er auch vage, weil seine Augen offenbar nicht richtig fokussierten.

»Ja«, sagte er.

Er setzte sich die Brille wieder auf und fügte mit echtem Zorn hinzu: »Ich hab die alte vor drei Tagen zerbrochen. Und dann war ich die ganze Zeit irgendwie beschäftigt und konnte mir erst heute Morgen eine neue besorgen. Lije, diese drei Tage waren scheußlich.«

»Wegen der Brille?«

»Und auch wegen anderer Dinge. Darauf komm ich gleich.«

Er wandte sich wieder zum Fenster, und Baley tat es ihm gleich. Baley erkannte mit einem leichten Schock, dass es regnete. Einen Augenblick lang nahm ihn das Schauspiel vom Himmel fallenden Wassers völlig gefangen, während der Commissioner sichtlich stolz wirkte, ganz so, als hätte er das Phänomen arrangiert, um es seinem Besucher vorzuführen.

»Das ist jetzt das dritte Mal in diesem Monat, dass ich es regnen sehe. Ein interessanter Anblick, finden Sie nicht?«

Baley musste sich widerwillig eingestehen, dass es ein eindrucksvolles Bild war. In seinen zweiundvierzig Jahren hatte er selten Regen gesehen oder, was das betraf, irgendwelche anderen Naturphänomene.

Er meinte: »Mir kommt es immer wie Verschwendung vor, dass so viel Wasser auf die Stadt herunterfällt. Es sollte sich auf die Reservoirs beschränken.«

»Lije«, sagte der Commissioner, »Sie sehen die Dinge nur von der modernen Warte. Das ist ja unser Problem. Im Mittelalter haben die Leute im Freien gelebt. Ich meine nicht nur auf den Farmen, ich meine auch in den Städten. Selbst in New York. Wenn es damals regnete, empfanden die das nicht als Verschwendung. Sie haben es genossen. Sie haben in enger Beziehung zur Natur gelebt. Das ist gesünder, besser. Die meisten Probleme des modernen Lebens kommen daher, dass wir uns von der Natur abgekapselt haben. Sie sollten einmal über das Kohle-Jahrhundert nachlesen.«

Das hatte Baley. Er hatte viele Leute über die Erfindung der Atomkraftwerke klagen hören. Er klagte selbst darüber, wenn etwas schiefging oder wenn er müde wurde. Solche Klagen gehörten mit zur Natur des Menschen. Im Kohle-Jahrhundert hatten sich die Menschen über die Erfindung der Dampfmaschine beklagt. In einem der Stücke Shakespeares hatte sich eine der Personen über die Erfindung des Schießpulvers beklagt. Und tausend Jahre später würde man sich wahrscheinlich über die Erfindung des Positronengehirns beklagen.

Zum Teufel damit!

Er meinte verstimmt: »Schauen Sie, Julius.« (Es war nicht seine Art, sich während der Arbeitszeit anzubiedern, und wenn der Commissioner ihm auch noch so viele »Lijes« an den Kopf warf; aber jetzt schien die Zeit für etwas Besonderes gekommen zu sein.) »Schauen Sie, Julius, Sie reden hier von allem und jedem, nur nicht von dem, weshalb Sie mich zu sich gerufen haben, und das beunruhigt mich. Um was geht es denn?«

»Darauf komme ich gleich, Lije«, sagte der Commissioner. »Lassen Sie es mich auf meine Art tun. Es … es ist unangenehm.«

»Sicher. Was wäre das nicht auf diesem Planeten? Wieder Ärger mit den Rs?«

»In gewisser Weise, ja, Lije. Ich stehe hier und frage mich, wie viel Ärger die alte Welt noch ertragen kann. Als ich dieses Fenster einbauen ließ, wollte ich damit nicht nur hin und wieder den Himmel hereinlassen. Ich wollte die Stadt hereinlassen. Ich sehe sie mir an und frage mich, was in weiteren hundert Jahren aus ihr geworden sein wird.«

Die Sentimentalität des anderen stieß Baley irgendwie ab, aber trotzdem ertappte er sich dabei, wie er fasziniert nach draußen starrte. Selbst jetzt, wo das Wetter die Konturen etwas verdeckte, war die City doch ein grandioser Anblick. Und das Polizeipräsidium befand sich in den oberen Etagen der City Hall, und die City Hall war ein ausgesprochen hoher Bau. Vom Fenster des Commissioners aus konnte man auf die benachbarten Türme hinuntersehen. Sie waren wie Finger, die nach oben tasteten. Ihre Mauern waren glatt und ausdruckslos. Sie waren wie die Außenschalen menschlicher Waben.

»In gewisser Weise«, meinte der Commissioner, »bedaure ich, dass es regnet. So können wir Spacetown nicht sehen.«

Baley blickte nach Westen, aber es war so, wie der Commissioner gesagt hatte. Der Horizont versperrte den Blick. Die Türme von New York wurden neblig und endeten vor einer ausdruckslosen, weißen Wand.

»Ich weiß, wie Spacetown aussieht«, sagte Baley.

»Mir gefällt das Bild von hier aus«, sagte der Commissioner. »Man kann es in der Lücke zwischen den beiden Brunswick-Sektoren deutlich sehen. Niedrige, verstreute Kuppeln. Das ist der Unterschied zwischen uns und den Spacern. Wir greifen nach oben und drängen uns dicht aneinander. Bei ihnen hat jede Familie ihre eigene Kuppel. Eine Familie – ein Haus. Und Land zwischen jeder Kuppel. Haben Sie schon einmal mit einem Spacer gesprochen, Lije?«

»Ein paarmal. Vor etwa einem Monat habe ich hier an Ihrem Intercom mit einem gesprochen«, sagte Baley geduldig.

»Ja, ich erinnere mich. Aber ich fange wohl an zu philosophieren. Wir und die. Unterschiedliche Lebensweisen.«

Baleys Magen verkrampfte sich ein wenig. Je umständlicher der Commissioner an die Sache heranging, desto unangenehmer würde der Schluss sein.

»Nun gut«, sagte er. »Aber was ist daran so überraschend? Schließlich kann man nicht mehr als acht Milliarden Menschen in kleinen Kuppeln über die Erde verteilen. Die haben auf ihren Welten genügend Platz, lassen Sie sie also doch auf ihre Art leben.«

Der Commissioner ging zu seinem Sessel und setzte sich. Seine Augen sahen Baley unverwandt an; die Konkavlinsen seiner Brille ließen sie etwas kleiner erscheinen. Er sagte: »Nicht jedermann ist in Bezug auf die Unterschiede in der Zivilisation so tolerant. Bei uns nicht, und auch bei den Spacern nicht.«

»Nun gut. Und?«

»Vor drei Tagen ist ein Spacer gestorben.«

Jetzt kam es. Baleys schmale Lippen schoben sich in den Mundwinkeln etwas nach oben, aber das veränderte an seinem langen, traurigen Gesicht noch nichts. »Das ist schade«, sagte er. »Etwas Ansteckendes? Ein Virus? Eine Erkältung vielleicht? Hoffe ich.«

Der Commissioner sah ihn verblüfft an. »Wovon reden Sie denn?«

Baley verzichtete auf eine Erklärung. Die Präzision, mit der die Spacer alle Krankheiten aus ihrer Gemeinschaft verdrängt hatten, war wohlbekannt. Die Sorgfalt, mit der sie, soweit das möglich war, jeden Kontakt mit den von Krankheiten geplagten Erdbewohnern vermieden, war sogar noch besser bekannt. Aber Sarkasmus war an den Commissioner vergeudet.

»Ich rede nur so«, sagte Baley. »Woran ist er gestorben?« Er wandte sich wieder dem Fenster zu.

»Daran, dass er keine Brust mehr hatte«, sagte der Commissioner. »Jemand hat mit einem Blaster auf ihn geschossen.«

Baleys Haltung wurde starr. Er sagte, ohne sich umzudrehen: »Wovon reden Sie denn?«

»Ich rede von Mord«, sagte der Commissioner leise. »Sie sind Polizeibeamter. Sie wissen, was Mord ist.«

Jetzt drehte Baley sich um. »Aber ein Spacer! Vor drei Tagen?«

»Ja.«

»Aber wer ist der Täter? Wie ist es geschehen?«

»Die Spacer sagen, es sei ein Erdenmensch gewesen.«

»Das kann nicht sein.«

»Warum nicht? Sie mögen die Spacer nicht. Ich auch nicht. Ich hasse sie. Gibt es auf der Erde überhaupt jemanden, der sie mag? Jemand hat seine Abneigung etwas zu deutlich gezeigt, das ist alles.«

»Sicher. Aber …«

»Da war die Brandstiftung in den Fabriken in Los Angeles, die R-Krawalle in Berlin, die Ausschreitungen in Shanghai.«

»Richtig.«

»Das alles deutet auf wachsende Unzufriedenheit hin. Vielleicht auf irgendeine Organisation.«

»Ich verstehe das nicht, Commissioner«, sagte Baley. »Stellen Sie mich hier aus irgendeinem Grund auf die Probe?«

»Was?« Der Commissioner wirkte ehrlich verblüfft.

Baley musterte ihn scharf. »Vor drei Tagen ist ein Spacer ermordet worden, und die Spacer glauben, dass ein Erdenmensch der Täter ist. Bis zu diesem Augenblick«, und dabei tippte sein Finger auf den Schreibtisch, »ist davon nichts bekannt geworden. Stimmt das? Commissioner, das ist unglaublich. Jehoshaphat, Commissioner, wenn das wirklich passiert wäre, dann hätten die inzwischen ganz New York in die Luft gejagt.«

Der Commissioner schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht. Schauen Sie, Lije. Ich bin jetzt in dieser Sache seit drei Tagen auf den Beinen. Ich habe mit dem Bürgermeister verhandelt. Ich war draußen in Spacetown. Ich war in Washington und habe mit dem Terrestrial Bureau of Investigation gesprochen.«

»Oh. Und was haben die Terries dazu zu sagen?«

»Die sagen, das sei unsere Sache. Innerhalb der Stadtgrenzen. Spacetown untersteht der New Yorker Gerichtsbarkeit.«

»Aber mit extraterritorialen Rechten.«

»Ich weiß. Darauf komme ich gleich.« Die Augen des Commissioners wichen Baleys Blick aus. Sein Verhalten erweckte im Augenblick den Eindruck, als wäre er ein Untergebener Baleys. Und Baley verhielt sich so, als akzeptierte er die Tatsache.

»Die Spacer könnten das doch selbst erledigen«, sagte Baley.

»Augenblick, Lije!«, bat der Commissioner. »Sie sollten mich nicht drängen. Ich versuche das mit Ihnen zu bereden, sozusagen unter Freunden. Ich möchte, dass Sie meine Position begreifen. Ich war dort, als die Sache bekannt wurde. Ich war mit ihm verabredet – mit Roj Nemennuh Sarton.«

»Dem Opfer?«

»Dem Opfer.« Der Commissioner stöhnte. »Fünf Minuten später, und ich selbst hätte die Leiche entdeckt. Das wäre ein Schock gewesen! Es war brutal, wirklich brutal. Sie haben mich abgeholt und es mir gesagt. Und damit fing ein Albtraum an, der jetzt seit drei Tagen andauert, Lije. Und ich die ganze Zeit fast blind, weil ich keine Zeit hatte, mir eine neue Brille zu besorgen. Das zumindest wird mir nicht noch einmal passieren. Ich habe mir gleich drei bestellt.«

Baley ließ vor seinem geistigen Auge das Bild ablaufen, das er sich von dem Vorfall machte. Er sah die hochgewachsenen, blonden Spacer, wie sie auf den Commissioner zugingen und ihm in ihrer völlig emotionslosen Art die Nachricht übermittelten. Und dann sah er Julius, wie er die Brille abnahm und sie polierte. Und dann hatte er sie natürlich unter dem Eindruck der Ereignisse fallen gelassen und mit einem Zittern seiner weichen, vollen Lippen auf die Fragmente hinuntergestarrt. Baley war ganz sicher, dass den Commissioner wenigstens fünf Minuten lang der Verlust seiner Brille mehr beunruhigt hatte als der Mord.

»Eine scheußliche Situation«, sagte der Commissioner. »Wie Sie richtig sagen, die Spacer haben extraterritoriale Rechte. Sie können darauf bestehen, selbst die Ermittlungen zu übernehmen, und können ihren Regierungen zu Hause berichten, was sie wollen. Die Äußeren Welten könnten das als Vorwand benutzen, eine Entschädigung zu verlangen. Sie wissen selbst, was das bei der Bevölkerung auslösen würde.«

»Für das Weiße Haus wäre es politischer Selbstmord, einer solchen Zahlung zuzustimmen.«

»Und eine andere Art von Selbstmord, es nicht zu tun.«

»Sie brauchen es mir nicht zu erklären«, sagte Baley. Er war ein kleiner Junge gewesen, als die glänzenden Raumschiffe aus dem Weltraum ihre Soldaten in Washington, New York und Moskau abgesetzt hatten, um sich das zu nehmen, was – wie sie behaupteten – ihnen gehörte.

»Dann begreifen Sie das auch. Ob wir nun zahlen oder nicht – Ärger gibt es in jedem Fall. Die einzige Chance, die wir haben, ist, selbst den Mörder zu finden und ihn den Spacern zu übergeben. Das liegt jetzt bei uns.«

»Warum übergeben wir den Fall nicht dem TBI? Selbst wenn die Angelegenheit formell unserer Gerichtsbarkeit untersteht, geht es hier doch um interstellare Beziehungen …«

»Das TBI will nichts damit zu tun haben. Die Sache ist heiß, und wir haben sie im Nacken.« Er hob einen Augenblick lang den Kopf und sah seinen Untergebenen an. »Und sie ist unangenehm, Lije. Jeder von uns läuft Gefahr, dabei seine Stellung zu verlieren.«

»Die sollten uns alle ersetzen?«, sagte Baley. »Quatsch! Dazu haben die gar nicht genug ausgebildete Leute.«

»Rs«, sagte der Commissioner. »Die gibt es.«

»Was?«

»R. Sammy ist erst ein Anfang. Er wird für Botendienste eingesetzt. Andere könnte man als Streifen auf den Expressways einsetzen. Verdammt noch mal, Mann, ich kenne die Spacer besser als Sie, und ich weiß, was die tun. Es gibt Rs, die Ihre Arbeit tun können und die meine. Man kann uns zurückstufen. Bilden Sie sich ja nichts ein! Und in unserem Alter zum Arbeitsamt zu gehen …«

»Also gut«, sagte Baley mürrisch.

Der Commissioner wirkte niedergeschlagen. »Es tut mir leid, Lije.«

Baley nickte und versuchte, nicht an seinen Vater zu denken. Der Commissioner kannte die Geschichte natürlich.

»Wann ist denn diese Geschichte mit dem Arbeitsamt und so zur Sprache gekommen?«, fragte Baley.

»Jetzt sind Sie naiv, Lije. Das läuft doch schon die ganze Zeit. Seit fünfundzwanzig Jahren läuft das. Seit die Spacer gekommen sind. Das wissen Sie ganz genau. Es reicht jetzt nur weiter nach oben hinauf, das ist alles. Wenn wir diesen Fall verpatzen, dann ist das ein weiterer Schritt auf den Punkt zu, wo wir uns langsam mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass wir unsere Heftchen mit den Pensionsabschnitten nicht mehr bekommen. Andrerseits, Lije, wenn wir die Sache gut zu Ende führen, dann kann es sein, dass damit dieser Punkt weit in die Zukunft geschoben wird. Und für Sie wäre es eine besondere Chance.«

»Für mich?«, fragte Baley.

»Sie werden die Ermittlungen leiten, Lije.«

»Das entspricht nicht meinem Rang, Commissioner. Ich bin ein C-5.«

»Sie wollen doch C-6 werden, oder?«

Wollte er das? Baley kannte die Privilegien, die einem die Einstufung als C-6 einbrachte. Ein Sitzplatz auf den Expressways während der Stoßzeit, nicht nur zwischen zehn und vier. Eine größere Auswahl in den Sektionsküchen. Vielleicht sogar eine bessere Wohnung und für Jessie ein Ticket für die Etagen mit den Solarien.

»Natürlich will ich das«, sagte er. »Warum auch nicht? Aber was ist, wenn ich es nicht schaffe?«

»Warum sollten Sie es nicht schaffen, Lije?«, bettelte der Commissioner. »Sie sind ein guter Mann. Einer der besten, die wir haben.«

»Aber in meiner Abteilung gibt es ein halbes Dutzend Männer mit höherer Einstufung. Warum sollten die übergangen werden?«

Baley sprach es nicht aus, ließ es aber durch seine Haltung erkennen, dass der Commissioner sich nie über das Protokoll hinwegsetzte, nur in Fällen äußerster Not.

Der Commissioner faltete die Hände. »Aus zwei Gründen. Für mich sind Sie nicht einfach nur irgendein Detective, Lije. Schließlich sind wir auch Freunde. Ich habe nicht vergessen, dass wir gemeinsam auf dem College waren. Manchmal sieht es vielleicht so aus, als hätte ich das vergessen. Aber das liegt am Rangunterschied. Ich bin Commissioner, und Sie wissen, was das bedeutet. Aber trotzdem bin ich auch noch Ihr Freund, und das ist eine ungeheure Chance für den richtigen Mann. Ich möchte, dass Sie diese Chance bekommen.«

»Das ist ein Grund«, sagte Baley ohne besondere Wärme.

»Der zweite Grund ist, dass ich glaube, Sie sind mein Freund. Und als solcher sollten Sie mir einen Gefallen tun.«

»Was für einen Gefallen?«

»Ich möchte, dass Sie sich in dieser Geschichte einen Spacer zum Partner nehmen. Das war die Bedingung, die die Spacer gestellt haben. Sie haben sich bereit erklärt, den Mord nicht zu melden. Sie haben zugestimmt, dass wir die Ermittlungen übernehmen. Und als Gegenleistung dafür bestehen sie darauf, dass einer ihrer eigenen Leute eingeschaltet wird, in sämtliche Ermittlungen.«

»Das klingt, als würden sie uns doch nicht völlig vertrauen.«

»Sie müssen doch ihren Standpunkt verstehen. Wenn die Sache schiefgeht, werden einige von ihnen Schwierigkeiten mit ihren eigenen Regierungen bekommen. Ich will denen zunächst keine schlechten Absichten unterstellen, Lije. Ich will davon ausgehen, dass sie es gut meinen.«

»Sicher tun sie das, Commissioner. Das ist ja das Ärgerliche mit denen.«

Der Commissioner sah ihn ausdruckslos an und schien nicht zu verstehen, was er meinte, und fuhr fort: »Sind Sie bereit, einen Spacer als Partner zu akzeptieren, Lije?«

»Ist das die Gefälligkeit, um die Sie mich bitten?«

»Ja. Ich bitte Sie, den Auftrag zu übernehmen, und zwar mit allen Bedingungen, die die Spacer gestellt haben.«

»Ich akzeptiere den Spacer als Partner, Commissioner.«

»Danke, Lije. Er wird bei Ihnen wohnen müssen.«

»Oh, Augenblick! Jetzt aber mal langsam!«

»Ich weiß! Ich weiß! Aber Sie haben eine große Wohnung, Lije. Drei Zimmer. Nur ein Kind. Sie können ihn unterbringen. Er wird Ihnen nicht lästig fallen. Überhaupt nicht. Und es ist notwendig.«

»Jessie wird das nicht gefallen, das weiß ich.«

»Sagen Sie Jessie«, und der Commissioner war ganz ernst, als er das sagte; so ernst, dass seine Augen durch die Glasscheiben, die ihm den Blick versperrten, Löcher zu bohren schienen, »sagen Sie Jessie, wenn Sie das für mich tun, werde ich, wenn das alles vorbei ist, alles in meiner Macht Stehende tun, dass Sie eine Stufe überspringen dürfen. C-7, Lije. C-7!«

»Also gut, Commissioner. Einverstanden.«

Baley stand halb aus seinem Stuhl auf, bemerkte Enderbys Blick und setzte sich wieder.

»Ist noch etwas?«

Der Commissioner nickte langsam. »Eins noch.«

»Und das wäre?«

»Der Name Ihres Partners.«

»Welchen Unterschied macht der denn?«

»Die Spacer sind manchmal sehr eigenartig«, sagte der Commissioner. »Der Partner, den sie Ihnen stellen, ist nicht … ah … ist nicht …«

Baleys Augen weiteten sich. »Augenblick!«

»Sie müssen, Lije. Sie müssen! Es gibt keinen Ausweg.«

»Und der soll in meiner Wohnung wohnen? Ein solches Ding?«

»Als Ihr Freund bitte ich Sie darum!«

»Nein. Nein!«

»Lije, ich kann in dieser Sache sonst niemandem vertrauen. Muss ich denn noch deutlicher werden? Wir müssen mit den Spacern zusammenarbeiten. Wir müssen Erfolg haben, wenn wir vermeiden wollen, dass die wieder eine Flotte schicken. Aber wir können nicht auf irgendeine beliebige Art Erfolg haben. Sie werden einen ihrer Rs als Partner bekommen. Wenn er den Fall löst, wenn er berichten kann, dass wir unfähig sind, sind wir ohnehin erledigt. Wir als Polizeiverwaltung. Das sehen Sie doch ein, oder? Sie haben da eine höchst diffizile Geschichte zu lösen. Sie müssen mit ihm zusammenarbeiten, aber sorgen Sie dafür, dass Sie den Fall lösen und nicht er. Verstehen Sie?«

»Sie meinen, ich soll mit ihm hundertprozentig zusammenarbeiten, nur um ihm dabei die Kehle durchzuschneiden? Ihm mit einem Messer in der Hand auf den Rücken klopfen?«

»Was bleibt uns denn sonst für eine Wahl? Es gibt keinen anderen Ausweg.«

Lije Baley stand unschlüssig da. »Ich weiß nicht, was Jessie sagen wird.«

»Wenn Sie wollen, rede ich mit ihr.«

»Nein, Commissioner.« Er holte tief Luft, es klang wie ein Seufzer. »Wie ist denn der Name meines Partners?«

»R. Daneel Olivaw.«

»Das ist jetzt nicht die Zeit für Beschönigungen«, sagte Baley traurig. »Ich übernehme den Fall, Commissioner, also wollen wir auch seinen vollen Namen benutzen. Roboter Daneel Olivaw.«

2.   Auf den Expressways

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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