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In seinem neuen Buch setzt Hans-Werner Sinn dort an, wo sein Bestseller »Der Corona-Schock« endete: die Finanzierung des Euroraums aus der Druckerpresse hat in der Finanz- und Coronakrise ungeheure Ausmaße angenommen. Es wird für Deutschland und seine Nachbarn immer schwieriger, überhaupt noch einen Weg zwischen der Zombifizierung ganzer Wirtschaftszweige und einer Inflation zu finden. Der bekannteste deutschsprachige Ökonom warnt eindringlich vor den Gefahren der massiven Ausweitung der Geldmenge, die aus dem europäischen Traum von gemeinsamen Frieden und Wohlstand einen Albtraum machen könnte.
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Seitenzahl: 648
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Hans-Werner Sinn
Die wundersame Geldvermehrung
Staatsverschuldung, Negativzinsen, Inflation
Meiner lieben Gerlinde zur Goldenen Hochzeit
in Anerkennung einer bewundernswerten Lebensleistung
3., aktualisierte Auflage 2021
Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlagmotiv: © Wael Khalill Alfuzai / shutterstock
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern
ISBN E-Book (E-Pub): 978-3-451-82579-8
ISBN E-Book (pdf): 978-3-451-82580-4
ISBN Print: 978-3-451-39127-9
Vorbemerkungen und Danksagung
1. Einleitung und Kurzübersicht: Die Inflationsgefahr
2. Die drei großen Krisen
Europa in der Dauerkrise
Erstens: Die Subprime-Krise
Zweitens: Die Wettbewerbskrise des Mittelmeerraums
Drittens: Die Coronakrise
Der Absturz
Wird nun auch Deutschland erfasst?
3. Wie die EZB zur Rettungsinstanz wurde
Geld- und Fiskalpolitik
Ursachentherapien hätte es gegeben
Der Druck des Finanzkapitals
Die Rettungspolitik und das Mandat der EZB
Die Maßnahmen beim Zusammenbruch des Interbankenmarktes 2008
Die ersten Rettungsschirme: Der EZB-Präsident bedrängt die Regierungen
Austeritätspolitik, Staatenrettung und die Tricks der öffentlichen Kommunikation
Die heiße Phase der Eurokrise und die Geheimverhandlungen über Euroaustritte
Der erste griechische Konkurs im Eurosystem
Die Targetsalden
Transmission der Geldpolitik, Zinsspreads und Länderrisiken
4. Selbstbedienung mit der Druckerpresse
Die Verschleppung des zweiten griechischen Konkurses durch ELA-Kredite
Der Umtausch der Kredite aus der Druckerpresse in offene fiskalische Kredite: Der dritte Rettungsschirm
ANFA-Anlagen: Das geheime Investmentgeschäft der nationalen Notenbanken
Nationale Pfandkriterien
5. Die Geldmenge läuft völlig aus dem Ruder
Die Anfänge der neuen Politik: Das Securities Markets Programme (SMP)
OMT: Whatever it takes
Wem hilft und wen belastet das OMT-Programm?
Das große Staatspapier-Kaufprogramm
PSPP vor Gericht
Dicke Bertas: LTRO und TLTRO
In der Coronakrise fallen die letzten Barrieren
6. Schulden ohne Ende
Die Schuldenexplosion
Mark gleich Mark oder Scala mobile: Welches Modell wählt Europa?
Die Verletzungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
Die Schwarze Null
Schulden gegen Corona
Die Coronahilfen der EU, Eurobonds und das Helikoptergeld
Die anderen Coronamaßnahmen
Solidarität geht auch anders
Widerstand gegen die schleichend eingeführte Transferunion und eine massive Kritik des Bundesrechnungshofes
Die Verantwortung der EZB für die Schulden
7. Sind Schulden gar nicht schlimm?
Der Hamilton-Moment
Es geht auch anders: Leukerbad und Kalifornien
Wachstum durch Schulden: Funktioniert der von den Politikern beschworene Münchhausen-Trick?
Schneebälle im Urwald und dynamische Ineffizienz
Spitzeder, Ponzi, Madoff & Co.
Geldschwemme oder Sparschwemme?
Warum Politiker Schulden lieben und warum linke Politiker das ganz besonders tun
Piketty oder Schulden ohne Reue
Deutschlands Demografieproblem und die Staatsverschuldung
8. Warum das viele Geld lange Zeit keine Inflation erzeugt hat: Das Phänomen der Horte
Der Geldüberhang
Ein Vergleich mit den USA
Die Quantitätstheorie des Geldes
Wo liegt das viele Geld?
Der Geldkreislauf und die Geldhorte
Wehe, wenn die Banken ihre Horte in Kredite verwandeln
9. Geldpolitik trotz Liquiditätsfalle: Warum versucht die EZB, was sie nicht kann und nicht darf?
Die Liquiditätsfalle
Preisstabilität oder Inflation: Was ist das Mandat der EZB?
Preisstabilität heißt nicht 2 % Inflation
Angst vor der Deflation als ökonomischer Grund für eine Umdefinition des Mandats
Die Nachteile instabiler Preise
Warum der EZB-Rat nicht selbst über die Interpretation der Preisstabilität entscheiden sollte
Aber andere machen es auch so!
Geldpolitik wirkt nicht in der Liquiditätsfalle, außer vielleicht über eine Stimulierung der verbotenen Staatsverschuldung
Die Staatspapierkäufe stehen auf einer dubiosen Rechtsgrundlage
Die Stellungnahme der Ex-Gouverneure
Der Niedrigzins als sozialer Sprengstoff
Internationale Verteilungswirkungen der Niedrigzinspolitik
10. Negativzinsen, digitales Geld und die gedruckte Freiheit
Störfaktor Bargeld oder gedruckte Freiheit?
Bargeld, Tresore und Zinsen
Digitales Zentralbankgeld für jeden
Die Gedankenspiele des IWF: Wie das Bargeld abgewertet werden kann
Der französische Sachverständigenrat und das digitale Helikoptergeld
Ein juristisches Verdikt
11. Die Zerstörung der Inflationsbremse
Warum die Inflationsbremse blockiert ist
Ein Rückverkauf der Staatspapiere würde deren Kurse und Zinsen massiv verändern
Bei der ursprünglich gewählten Geldmengensteuerung hätte das Problem vermieden werden können
Der Wille zur Umkehr fehlt
Der EZB-Rat schafft die Obergrenze für die Inflationsrate ab
Könnte man die Staatsschulden bei der Notenbank nicht einfach streichen?
Könnte man nicht statt der Staatspapierbestände die Refinanzierungskredite zurückfahren?
Sollen die Notenbanken bei den Geschäftsbanken Kredit aufnehmen?
12. Die möglichen Anstoßeffekte
Wie der Ketchup aus der Flasche kommt
Der Preisanstieg bei den Immobilien: Ursachen, Messprobleme, Ansteckungseffekte
Die große Knappheit am Bau
Riesige Konjunktur- und Rettungsprogramme
Die Wirtschaft nach Corona: Aus der Transaktions- in die Angebotskrise
Beginnt nun die Inflation?
Die Erfahrung mit den Ölpreisschocks
Die »europäische OPEC«
Kinderarmut als Inflationsrisiko
Wenn die Amerikaner bremsen und die Europäer nicht: Abwertung und Inflationsschub
13. Den Gefahren entkommen
Die große Inflation muss vermieden werden
Die Inflation vor 100 Jahren
Andere Inflationen in der Geschichte
Die Gefahr der Zombifizierung à la Japan
Wird Südeuropa nun zu einem großen Mezzogiorno?
Was nun zu tun ist
Epilog: Der Weg nach Europa
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Stellungnahmen zu diesem Buch
Über den Autor
»Vber all erfindett sych der groste gebrech vnd ein vnleydelicher Irthum wo der Landes herre, adir die Regirer der Lande, adir der gemeynen eynn gewyn suchenn ausz der Munczunge als nemlich wan sye der forigenn vnnd ganckbaren Muntcz eyne neuve Muntcze zcugeben, die Im grann adir im schroett vnfulkommene ist, vnnd doch in der achtunge mit der forigen vorgeleichett wirdtt ... Dis vber vorwustett die wirdickeit der Muncze gleich wye Rathe adir ander vnnkrautt, das getreyde. Welchs zo es vberhant nympt vnnd Spaett wirtt befundenn mag es der Herre nicht liderlichenn bussenn adir abewenndenn, ane eyne andere beswerunge, der vnderthane. Ouch nicht ane sein vngelymp, dweyle er dasselbige geursachett.«
Das größte Gebrechen und der unerträglichste Irrtum ist es aber, wenn der Landesherr oder der Inhaber der Staatsgewalt oder der gemeine Mensch aus der Münzprägung einen Gewinn zu ziehen sucht, indem er nämlich der bisherigen Münze eine neue zur Seite stellt, die im Material oder im Gewicht mangelhaft ist, und doch mit der alten gleichgesetzt wird. ... Dieses Übel verwüstet die Bewertung der Münze ebenso wie der Rost oder anderes Unkraut das Getreide. Wenn es überhandgenommen hat und zu spät entdeckt worden ist, kann es der Herr nicht ohne Mühe und nicht ohne erneute Belastung seiner Untertanen beseitigen und erst recht nicht ohne Unglimpf, da er ja selbst die Ursache dafür gesetzt hat.«
Nicolaus Copernicus, Denkschrift über das Münzwesen, 1519, vorgetragen 1522 beim Preußischen Landtag in Graudenz
Zitiert nach H. M. Nobis und M. Folkerts, Hrsg., Nicolaus Copernicus Gesamtausgabe, Band V: Opera Minora. Die humanistischen, ökonomischen und medizinischen Schriften, Texte und Übersetzungen, bearbeitet von Stefan Kirschner und Andreas Kühne, Akademie Verlag: Berlin 1999, S. 130 (frühneuhochdeutsch) und S. 119 (hochdeutsch, hier leicht redigiert). Zur Entstehungsgeschichte des Textes, zum Vortrag in Graudenz und zu den Abweichungen von anderen früheren und späteren Fassungen siehe S. 124–128. Copernicus hat sein Traktat im Auftrag der preußischen Landstände im Jahr 1519 auf der Basis eines früheren lateinischen Textes (Meditata) erstellt und am 21. März 1522 vor dem Preußischen Landtag in Graudenz persönlich in seiner Muttersprache verlesen.
Seit dem Jahr 2008 habe ich stets in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München eine »Weihnachtsvorlesung« zu wechselnden Themen der Wirtschaftspolitik gehalten. Der Auslöser war damals die allgemeine Sorge vor den Auswirkungen der Finanzkrise, die kurz zuvor mit dem Konkurs der Investmentbank Lehman Brothers und dem Zusammenbruch des weltweiten Interbankenmarktes ihren Höhepunkt erreicht hatte. Anders als meine normalen Vorlesungen als Hochschullehrer richteten sich diese Vorlesungen an die Studenten aller Fakultäten und an die allgemeine Öffentlichkeit. Sie wurden allesamt per Video aufgezeichnet und per YouTube im Internet verfügbar gemacht.
Meine bislang letzte Vorlesung vom Dezember 2020 trug den Titel »Corona und die wundersame Geldvermehrung in Europa«. Die Sorge um den Geldwert und die Stabilität unseres Finanzsystems trieb mich zu diesem Thema. Zu dem Titel selbst wurde ich durch Gabor Steingart inspiriert, der über die unnachahmliche Gabe verfügt, die Dinge sprachlich auf den Punkt zu bringen.
Die Vorlesung wurde im Internet bis zum Sommer 2021 mehr als 1,6 Millionen Mal angeklickt. Offenbar traf das Thema den Nerv der Zeit. Das wird im Übrigen auch dadurch belegt, dass in den Monaten danach führende Volkswirte in den USA, allen voran Lawrence Summers und Olivier Blanchard, mit ähnlichen Sorgen eine weltweite Diskussion des Themas haben anstoßen können. Dem Drängen meines Verlages und vieler Zuschauer folgend ist dies nun das Buch zur Vorlesung für jene, die es genauer wissen wollen.
Sicher: Hohe Klickzahlen im Internet sind noch kein Garant für den wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt von Aussagen, sie sind aber ein Zeichen von Relevanz. Das ist ein Aspekt, dem sich auch jener Teil der wissenschaftlichen Forschung stellen sollte, der allein auf das Interesse von Fachkollegen ausgerichtet ist.
Der langjährige Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Herbert Giersch, der für mich beim Wiederaufbau des ifo Instituts in München stets ein Vorbild war und der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, hat immer von der Bringschuld der Ökonomen gegenüber der Gesellschaft gesprochen. Diese Bringschuld empfinde ich in hohem Maße, denn während meiner akademischen Karriere wurde ich von den Steuerzahlern unseres Landes bezahlt. Sie können mit Fug und Recht erwarten, dass ein in ihren Diensten stehender Ökonom ihnen seine Argumente und Erkenntnisse in verständlicher Sprache vorträgt und über Themen schreibt, die für sie von Bedeutung sind.
Ich verlange meinen Lesern mit einer teilweise detaillierten und komplexen Analyse, die auf einer großen Zahl von Fakten basiert, einiges ab. Sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen ist aber enorm wichtig, denn es geht um viel. Ein Elend der aktuellen Politik scheint mir zu sein, dass viele Entscheidungsträger selbst oft die ökonomischen Zusammenhänge nicht einmal ansatzweise verstehen, in die sie mit ihren Entscheidungen eingreifen. Und auch die journalistische Berichterstattung darüber ist häufig nicht bereit, sich auf diese Komplexität einzulassen. Aber genau das öffnet einer übergriffigen, demokratisch nicht legitimierten und durch die EU-Verträge nicht vollständig abgedeckten Politik der EZB ebenso Tür und Tor wie einer mit Blick auf das Umweltziel ineffektiven und die Wirtschaft bedrohenden Energiepolitik. Umso wichtiger ist es vor diesem Hintergrund, die Bürger1 mit validen Informationen zu versorgen und ihnen die drohenden Gefahren möglichst umfassend vor Augen zu führen, wie ich es in diesem Buch versuche, damit endlich eine ungeschönte und faktenbasierte öffentliche Debatte stattfinden kann, die zu einer dringend notwendigen Weiterentwicklung oder Neubestimmung der europäischen Institutionen führt.
Ich kann versichern, dass ich es wie stets angestrebt habe, dieses Buch so zu schreiben, dass es nicht nur für meine Fachkollegen, sondern auch für interessierte Laien verständlich ist, und gleichzeitig wahrhaftig zu bleiben. Nach bestem Wissen und Gewissen habe ich versucht, eine faire Abwägung zwischen den relevanten Argumenten vorzunehmen und den Blick auf das Wesentliche zu lenken.
Ich bedanke mich bei all jenen Kollegen und Zentralbankern, von denen ich bei der Diskussion der hier genannten Themen habe lernen oder an denen ich mich zumindest habe reiben können. Schließlich fällt die Erkenntnis nicht vom Himmel, sondern entwickelt sich im Disput. Genannt seien, in alphabetischer Reihenfolge, insbesondere Ernst Baltensperger, Peter Bernholz, Peter Bofinger, Clemens Fuest, Bruno Frey, Martin Hellwig, Stefan Homburg, Otmar Issing, Georg Milbradt, Dietrich Murswiek, Wolfram Richter, Kenneth Rogoff, Helmut Schlesinger, Fritz Schneider, Christian Seidl, Jürgen Stark, Harald Uhlig, Carl Christian von Weizsäcker, Frank Westermann und Franz-Christoph Zeitler. Ich danke Friedrich Breyer, Udo di Fabio, Harold James, Paul Kirchhof, Albrecht Ritschl und Nout Wellink für nützliche Hinweise zu diesem Manuskript. Friedrich Breyer möchte ich besonders hervorheben, denn er hat zudem das gesamte Manuskript redigiert.
Vorlesungen und Bücher verlangen technischen Aufwand bei der Erstellung von Grafiken und der Literatursuche. Ich danke der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem ifo Institut, dass sie mir dabei auch nach meiner Emeritierung im Jahr 2016 noch beistanden. Anja Hülsewig hat mir bei der Literatursuche sowie der Zusammenstellung der Daten geholfen. Sie wurde von Monika Habier stellenweise unterstützt. Daniel Weishaar hat das Manuskript kritisch gelesen. Christoph Zeiner, im Einzelfall unterstützt durch Christiane Nowack, hat die Grafiken erstellt. Allen Mitarbeitern bin ich zu großem Dank verpflichtet, ohne ihnen eine Mitverantwortung für möglicherweise verbleibende Ungenauigkeiten geben zu wollen.
Beim Verlag Herder, der dieses Buch wie schon die letzten Bücher aus meiner Feder betreut hat, möchte ich mich ebenfalls herzlich für das Vertrauen und die Ermunterung bedanken. Hervorheben möchte ich vor allem meinen Lektor Patrick Oelze, der dieses Buch sorgfältig redigiert und mancherlei Präzisierung, Erläuterung und Verdichtung verlangt hat. Ia die ersten beiden Auflagen des zuerst am 22. November 2021 erschienenen Buches im Nu vergriffen waren, folgt nun bereits eine dritte, leicht überarbeitete Auflage.
München, im Dezember 2021Hans-Werner Sinn
1 Dieses Buch verwendet, wie es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, generische Geschlechtsformen und verzichtet auf das »Gendern«.
Europa schwimmt im Geld, aber es ist deswegen nicht reich, denn Geld ist nur Papier oder eine Ziffer im Computer. Es kann gefährliche Illusionen wecken, wie eine Vielzahl von Inflationen in der Geschichte der Menschheit gezeigt hat. Ähnlich wie so viele Vorläufer in den vergangenen Jahrhunderten haben sich auch die Regierungen der Euroländer bei ihren Zentralbanken das Geld drucken lassen, das sie den Bürgern in der Eurokrise und der nachfolgenden Coronakrise nicht glaubten abnehmen zu können. Das Geld haben die Staaten verwendet, um die von ihnen in Anspruch genommenen Arbeitsleistungen und die von ihnen erworbenen Güter zu bezahlen und auch um Sozialtransfers und Subventionen auszuschütten. Die Wirtschaft und die Bürger erhielten Ersatzeinkommen aus der Druckerpresse, die an die Stelle der nur noch zögerlich fließenden Markteinkommen traten. Es floss im Übrigen auch etwas neues Geld als Kredit an die private Wirtschaft inklusive der Bauherren, aber das war nur ein kleiner Teil des Geschehens.
Sicher, das Geld wurde von den Empfängern anschließend an andere weitergereicht, die ihre Leistungen nun besser verkaufen konnten. Es gab positive Multiplikatoreffekte auf den Wirtschaftskreislauf. Und es floss niemals direkt an die Staaten. Stets wurden private Geschäftsbanken als Kreditvermittler zwischengeschaltet. Sie besorgten sich bei den Zentralbanken neu gedrucktes Kreditgeld, das sie alsbald an die Staaten und zum Teil auch an die Firmen und Haushalte weiterverliehen. Von der Möglichkeit, zusätzlich auch noch Kreditgeld aus dem Bodensatz an Zentralbankgeld zu schaffen, das bei ihnen zirkulierte, machten die Banken wenig Gebrauch. Mit dem neuen Geld wurden Ansprüche auf Güter und Leistungen verteilt, die weit über das hinausgingen, was produziert werden konnte.
Während die Erlöse der Firmen und die Einnahmen der Staaten normalerweise aus dem bereits in Umlauf befindlichen Geld stammen, das beim Verkaufsakt und bei der Steuerzahlung nur den Besitzer wechselt, wird das von den Zentralbanken verliehene Geld zur Verfügung gestellt, ohne dass der staatliche Sektor dafür eine Leistung hätte erbringen oder das Geld jemandem hätte wegnehmen müssen. Scheinbar muss dafür niemand auf den Erwerb von Gütern verzichten, die er sonst mit seinem Geld hätte kaufen können. Manna scheint vom Himmel zu regnen.
Aber der Schein trügt, denn es gibt keine geheimnisvollen Mächte, die in der Lage sind, für eine Volkswirtschaft Ressourcen aus dem Nichts herbeizuzaubern. Geld stellt Verfügungsrechte über Teile des Sozialprodukts dar, und wenn seine Menge schneller wächst als das Sozialprodukt, gibt es eine Inflationsgefahr. Die Gefahr ist dann nicht virulent, wenn dieses Geld ungenutzt in der bloßen Finanzwelt zirkuliert oder auch nur in Horten aufbewahrt wird. Wenn aber im Übermaß Geld geschaffen und verteilt wird und wenn die Geldhalter plötzlich auf die Idee kommen, dieses Geld für den Kauf von Konsum- und Investitionsgütern zu verwenden, und die Verkäufer dasselbe mit dem erhaltenen Geld machen, kann der Geldwert sehr rasch erodieren.
Das spricht nicht grundsätzlich gegen eine Politik der temporären Geldvermehrung. Es gibt Situationen, in denen die Droge frischen Geldes eine lahmende Wirtschaft wieder ankurbeln oder vor den Kräften der internationalen Spekulation retten kann. So kann man vermuten, dass der Erwerb von Staatspapieren mit dem neuen Geld Finanzkrisen und Staatskonkurse in Europa kurzfristig hat vermeiden können, als die internationale Spekulation in den Jahren nach der Finanzkrise den Glauben an die Stabilität des Euroraums verloren hatte. Die Staaten und Banken blieben solvent, und ihre Gläubiger, die Anleger aus aller Welt, wurden vor Konkursen geschützt. Kettenreaktionen, die zu einem Finanzcrash führen, wurden vermieden. In Maßen lässt sich der Druck neuen Geldes tatsächlich rechtfertigen, wenn es dazu dient, vorübergehende Liquiditätsengpässe und nicht etwa eine echte Insolvenz aufgrund eines falschen Geschäftsmodells zu vermeiden. Danach müsste jedoch wieder eine Phase der Verringerung der Geldmenge folgen.
Die Geldmenge wurde im Euroraum vor allem durch umfangreiche Staatspapierkäufe aufgebläht, von denen die EZB behauptet, sie tätige sie, um damit eine mäßige Inflation zu erzeugen. Zu einer solchen Inflation verpflichte sie der Maastrichter Vertrag, denn sie sei gleichbedeutend mit Preisstabilität. Lange Jahre kam die Inflation aber nicht zustande, weil das neue Geld von den Banken und anderen Marktteilnehmern gehortet wurde. Die fehlende Wirkung nahm die EZB zum Anlass, immer mehr von den Staatspapieren mit frischem Geld aus den Druckerpressen zu erwerben.
Der Bestand an Zentralbankgeld im Euroraum hat sich seit dem Beginn der Finanzkrise im Sommer des Jahres 2008 bis zur letzten Überarbeitung des Manuskripts im September 2021 fast versiebenfacht, von 880 Milliarden auf ziemlich genau 6 Billionen Euro, viel schneller, als die Wirtschaftsleistung stieg. Davon sind 4,9 Billionen ein Geldüberhang über jenes Niveau der Geldmenge, das sich in Relation zur Wirtschaftsleistung vor der Lehman-Krise schon einmal als ausreichend für die Eurozone erwiesen hatte. Von diesem Geldüberhang waren bis zum September 2021 etwa vier Fünftel durch die Käufe staatlicher Papiere in Umlauf gekommen. Drei Viertel des Zuwachses der Schulden der Eurostaaten während der Krisenjahre seit Ende 2008 wurden auf dem Umweg über zwischengeschaltete Banken von den nationalen Notenbanken und der EZB-Zentrale finanziert. Dennoch fand nach Meinung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die vom Maastrichter Vertrag verbotene Monetisierung von Staatsschulden nicht statt. Alles entspreche den vereinbarten Regeln, erklärte er dem skeptischen Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
Mittlerweile hat die Inflation aber begonnen. Da der Nachfrageeffekt staatlicher Defizite mit der Materialknappheit am Ausgang der Pandemie zusammentraf, kam es im Jahr 2021 zu einer Anstoßinflation. Perspektivisch sind in den nächsten Jahren weitere Anstoßeffekte in einem Kostenschub durch die Energiewende, in der Pensionierung der Babyboomer und in einer durch Zinsdifferenziale erzeugten Euroabwertung zu sehen. All diese Anstoßeffekte können zu einer Änderung der Inflationserwartungen führen, die eine sich selbst verstärkende Inflationsspirale in Gang setzt, bei der sich der Geldüberhang inflationär entlädt, ähnlich wie der Ketchup, der lange im Kühlschrank lag und nach dem Schütteln auf einmal aus der Flasche herausspritzt.
Wenn eine solche Situation droht, müssten die Zentralbanken das überschüssige Geld wieder einsammeln, indem sie die Staatspapiere, die sie in Besitz genommen haben, wieder verkaufen. Da die Staaten dabei erhebliche Schwierigkeiten in Form steigender Finanzierungslasten und die Banken, die ähnliche Papiere in ihren Büchern haben, gefährliche Abwertungsverluste auf ihre Anlageportfolios zu verkraften hätten, ist jedoch zu erwarten, dass der Rat der Europäischen Zentralbank die Geldmengenreduktion nur sehr zögerlich angehen wird, wenn überhaupt. Die Anstoßinflation trifft eine Ökonomie, deren Inflationsbremse zerstört ist.
Die Umverteilungseffekte, die von einer möglichen Inflation ausgelöst würden, sind bereits für sich genommen sehr problematisch, denn sie betreffen nicht nur die Geldhalter im engeren Sinne, sondern generell jene Teile der Bevölkerung, deren Einkommen nicht inflationsgesichert ist und die nicht reich genug sind, um Realkapital in Form von Immobilien oder Unternehmensbeteiligungen erwerben zu können. Wer Riester-Verträge, Sparbücher, Rentenpapiere oder Lebensversicherungspolicen besitzt, nämlich das Kleinbürgertum, gehört zu den Verlierern. Diese Sparer verlieren durch die lockere Geldpolitik bereits ihre Zinsen und sehen ihrem Rentenalter mit Bangen entgegen. Wenn sie eines Tages feststellen müssen, dass sie wegen einer Inflation außerdem noch das ersparte Kapital selbst verlieren, werden sie aufbegehren und ihren Unmut kundtun. Politische Konsequenzen erheblichen Ausmaßes sind nicht ausgeschlossen.
Der Ärger wäre ja auch nur zu verständlich. Da sind Millionen von Bürgern, die tagaus, tagein ihre mühsame Arbeit verrichten, um sich die Güter des täglichen Bedarfs zu kaufen und ein paar Euros für ihr Alter zusammenzusparen. Bevor sie einen Euro ausgeben, drehen sie ihn dreimal um. Und auf der anderen Seite stehen diejenigen, die direkt oder indirekt in den Genuss der zusätzlichen Geldschöpfung im Umfang von Tausenden von Milliarden Euro gekommen sind, für die sie eben solche Güter erwerben konnten. Das sind nicht nur diejenigen, deren Einkommen im Zuge der Coronamaßnahmen gestützt wurden, sondern auch die Inhaber großer Investmentportfolios aus aller Welt, deren Ansprüche gegen Staaten und private Schuldner, die sonst vielleicht in Konkurs gegangen wären, gerettet wurden.
Der eine schuftet, um ein bisschen Geld zusammenzukratzen, und der andere wird über politische Prozesse vor den Konsequenzen der eigenen Fehlinvestition geschützt, oder er kommt zu ungeahntem Geldsegen, ohne sich anstrengen zu müssen. Der Hinweis auf diesen Verteilungskonflikt klingt vielleicht populistisch, doch verdeutlicht er den Kern des gesellschaftlichen Problems. Jeder, der verantwortlich denkt, sollte diesen Sachverhalt zutiefst verinnerlichen.
Die Nonchalance, mit der in Brüssel und Berlin Hunderte von Milliarden Euro aus der Druckerpresse verteilt werden, damit Gläubiger vor dem Konkurs ihrer Schuldner geschützt oder Geschenke verteilt werden können, steht in einem erheblichen gedanklichen Widerspruch zu der Bedeutung, die das Geld für den Bürger hat, der es Tag für Tag durch seine Arbeitsleistung neu erwerben muss, um über die Runden zu kommen.
Die Verteilungsfrage stellt sich im Übrigen nicht nur innerhalb eines Landes, sondern auch international, denn, wie durch die sogenannten Targetsalden gemessen, landete besonders viel von dem neuen Geld im Austausch für Güter und Vermögensobjekte in Deutschland. Die Inflationsgefahr beinhaltet für die Bundesbank und damit für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürger auch die Gefahr, Forderungen zu verlieren, die aus den Ungleichgewichten des innereuropäischen Zahlungsverkehrs resultieren.
Das alles ist schon deshalb problematisch, weil die grundlegenden Entscheidungen von einer Institution, der EZB, getroffen wurden, die außerhalb jeglicher demokratischer Kontrolle arbeitet, nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Verdacht steht, ihr Mandat zu verletzten, und noch nicht einmal durch einen Rechnungshof kontrolliert wird. Diese Institution verteilt Rettungsgelder aus der Druckerpresse und gibt Rettungsversprechen nach eigenem Gutdünken. Sie rettet nicht nur Staaten, sondern vor allem die Investoren aus aller Welt, die sich hemmungslos mit den Schuldscheinen hoch verschuldeter Staaten eingedeckt haben, wohl wissend, dass die EZB die Risiken übernimmt.
Die Stabilität des Geldes ist eine Grundvoraussetzung der marktwirtschaftlichen Ordnung, denn erst sie ermöglicht einen reibungslosen Gütertausch innerhalb einer Zeitperiode und vor allem zwischen diesen Perioden. Der eine wagt es zu sparen, verzichtet heute und gibt dafür in Form von Geld seine Anspruchsrechte auf Güter anderen, die damit Investitionen finanzieren, die sie aus dem laufenden Einkommen nicht stemmen können. Aus den Investitionen entsteht ein realer Kapitalbestand, der, wenn er nicht durch Kriege zerstört wird, im Laufe der Zeit immer mehr Bedarf an Arbeitskräften bedeutet, so dass sich im Wettbewerb der Unternehmen immer höhere Löhne und ein höherer Lebensstandard der Massen ergeben. Der Prozess, mittels dessen Ersparnis in Investitionen und reales Kapital verwandelt wird, ist die Quelle des wirtschaftlichen Wachstums und des Wohlstands für alle. Bei einer Inflation besteht die Gefahr, dass die Sparer sich nicht mehr trauen, ihr Geld zu verleihen, denn eine Inflation ist grundsätzlich nicht kalkulierbar und schafft sowohl beim Gläubiger als auch beim Schuldner Unsicherheit bezüglich der Höhe der realen Tilgungs- und Zinslasten, die aus einem Kreditkontrakt zu erbringen sind. Diese Unsicherheit ist Sand im Getriebe der Marktwirtschaft und der Gesellschaft.
Bei einer Hyperinflation wie in Deutschland vor 100 Jahren kann sogar der normale Tausch von Gütern und Leistungen beeinträchtigt werden, weil bereits zwischen der Einnahme eines Geldbetrages und seiner Verausgabung für baldigen Konsum eine erhebliche Geldentwertung stattfindet. Dann verliert das Geld seine Funktion als Tauschmittel, und die Menschen müssen sich in den umständlichen Naturaltausch flüchten, wie er vor der Entwicklung des Geldwesens üblich war.
Stefan Zweig hat in seinen Lebenserinnerungen sehr plastisch beschrieben, wie sich die große deutsche Inflation der Jahre bis 1923 auf das tägliche Leben der Menschen auswirkte, wie das Kleinbürgertum verarmte und wie zermürbend es war, wenn die Frauen ihren Männern an den Werktoren die Lohntüten abnahmen, um sie vor der täglichen Entwertung durch die Inflation in Konsumgüter umzutauschen. Und er hat klargemacht, wie auch die politische Radikalisierung der Menschen in der Weimarer Republik durch die Inflation verursacht wurde:1
»Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.«2
Auch ein nüchterner Ökonom, der die Inflation gerne in eine blasse mathematische Formel überführt, tut gut daran, die vielen plastischen Schilderungen des Autors über das Leben und die persönlichen Katastrophen in Zeiten der Inflation zu lesen, um auch einmal intuitiv zu begreifen, was auf dem Spiele steht, und um zu verstehen, welch hohes Gut die Stabilität des Geldwertes ist.
Dieses Buch prognostiziert nicht, dass sich eine Inflation wie vor 100 Jahren wiederholt. Dafür gibt es keine konkrete Veranlassung. Es zeigt aber, dass bezüglich der Anstoßeffekte Parallelen zu der Inflation der 1970er Jahre durchaus bestehen. Die durchschnittliche jährliche Inflationsrate in Deutschland lag damals bei etwa 5 %. Deshalb ist es angebracht, wachsam zu sein. Tatsächlich lief die Geldmenge im Euroraum seit dem Jahr 2015 derart aus dem Ruder, dass man sich Sorgen um die Stabilität des Geldwertes machen muss. Das Buch diskutiert die Mechanismen und Bedingungen, unter denen eine Inflation schlummert, erwacht und dann möglicherweise nicht mehr gezähmt werden kann, verweist auf historische Parallelen und versucht den Weg zurück zu einem soliden Finanzwesen zu beschreiben, wie es in den Maastrichter Verträgen angedacht war, aber bislang noch nicht zustande gekommen ist.
1 St. Zweig, Die Welt von Gestern, Kopenhagen 1942, 5. Auflage, Insel Verlag: Berlin 2019, S. 334 ff.
2 Ebenda, S. 359.