Drei Tage, zwei Frauen, ein Affe und der Sinn des Lebens - Karolien Notebaert - E-Book
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Drei Tage, zwei Frauen, ein Affe und der Sinn des Lebens E-Book

Karolien Notebaert

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Beschreibung

Eine berührende Erzählung über die Kraft der Gedanken
Wir alle stehen manchmal vor den großen Lebensfragen: Wer bin ich? Wo will ich im Leben eigentlich hin? Wie treffe ich für mich die richtigen Entscheidungen? So geht es auch Marie, und sie beschließt, gemeinsam mit ihrer Mutter den Wicklow Way in Irland zu gehen. Zwischen Bergen, grünen Wiesen und malerischen Gebirgsseen begegnen sie Schafen, ungewöhnlichen Menschen und einem Affen, den es in Schach zu halten gilt. Marie versteht, warum Gedanken unseren Lebensweg beeinflussen und wie wir sie positiv steuern können. Sie begreift, was uns als Menschen antreibt und dabei so oft unglücklich macht – aber auch, was es braucht, um sein Leben mutig in die Hand zu nehmen und erfüllt zu leben.
Drei Tage, die Maries Leben verändern – liebevoll illustriert von der Autorin.

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Eine berührende Erzählung über die Kraft der Gedanken

Wir alle stehen manchmal vor den großen Lebensfragen: Wer bin ich? Wo will ich im Leben eigentlich hin? Wie treffe ich für mich die richtigen Entscheidungen? So geht es auch Marie, und sie beschließt, gemeinsam mit ihrer Mutter den Wicklow Way in Irland zu gehen. Zwischen Bergen, grünen Wiesen und malerischen Gebirgsseen begegnen sie Schafen, ungewöhnlichen Menschen und einem Affen, den es in Schach zu halten gilt. Marie versteht, warum Gedanken unseren Lebensweg beeinflussen und wie wir sie positiv steuern können. Sie begreift, was uns als Menschen antreibt und dabei so oft unglücklich macht – aber auch, was es braucht, um sein Leben mutig in die Hand zu nehmen und erfüllt zu leben.

Drei Tage, die Maries Leben verändern – liebevoll illustriert von der Autorin.

Karolien Notebaert

DREI TAGE, ZWEI FRAUEN, EIN AFFE UND DER SINN DES LEBENS

Eine inspirierende Reise zu unseren Gedanken, Gefühlen und unserem verborgenen Potenzial

übersetzt aus dem Englischen von Britta Fietzke

Wilhelm Heyne Verlag München

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel The Pilgrim Who Trained Her Monkey: What the brain reveals about how to lead a fulfilled lifeim Selbstverlag.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 7/2022 

© by Karolien Notebaert 2020 

© der deutschsprachigen Ausgabe 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

© der Illustrationen: Karolien Notebaert

© Gehirnzeichnungen: Sofie Verhoeve

Redaktion: Bettina Traub

Umschlaggestaltung: Guter Punkt GmbH & Co. KG

unter Verwendung eines Motives von © Karolien Notebaert

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-28937-9V002

www.heyne.de

Wie ich den Affen in mir besser verstehe

Tag 1

Von Drumgoft nach Glendalough

Unsere Gedanken ,formen unsere Zukunft

»Mama, woher weiß ich, wer ich bin?«

Ich war gerade dabei, meine Wanderschuhe zu schnüren, hielt inne und schaute meine siebzehnjährige Tochter erstaunt an. Sie runzelte die Stirn, als schwirrte ihr der Kopf, als sei sie sich nicht sicher, woher diese Frage plötzlich gekommen war.

Gestern Nachmittag waren wir auf dem Flughafen in Dublin gelandet. Nach einer Zugfahrt durch malerische Landschaften entlang der Ostküste von Dublin hatten wir abends unser Bed and Breakfest in Drumgoft erreicht. Die kleine Pension gehörte zu einem romantischen Bauernhof im Herzen des Glenmalure-Tals, nur wenige Minuten vom Ausgangspunkt unserer Wandertour entfernt. Heute Morgen war ich vom plätschernden Avonbeg geweckt worden, ein kleiner reißender Fluss, der gleich neben unserer Pension den Berg herunterströmte.

»Also Mama, woher weiß ich, wer ich als Mensch bin? Und wer ich werden möchte?«, fragte Marie, als wir loswanderten.

Wie sollte ich diese elementaren Fragen in nur wenigen Sätzen beantworten?

Einmal im Jahr machten wir beide zusammen eine Urlaubsreise, um unsere Liebe zur Natur zu zelebrieren und den Weg zu uns selbst und zueinander zu stärken. Marie – halb irisch, halb belgisch – wollte schon längst einmal ihre irische Heimat zu Fuß erkunden. Dieses Jahr haben wir uns für die Wicklow Mountains im Osten Irlands entschieden. Sie sind älter als der Himalaya und die Alpen und strahlen eine besondere Schönheit und Ruhe aus.

Wir ließen das Bed and Breakfast hinter uns und überquerten den Avonbeg über eine steinerne Brücke, um den 130 Kilometer langen Wicklow Way zu erreichen. Die »Herz-Wicklow-Tour« zwischen Drumgoft und Enniskerry mit unberührten Wanderwegen und spektakulären Landschaften war unser Ziel, das Glendalough-Tal mit seinen Seen und einem der höchsten Wasserfälle Irlands bei Powerscourt faszinierten mich besonders.

Bis einen Tag vor unserer Abreise aus Frankfurt hatte ich in der Arbeit noch alle Hände voll zu tun und brauchte diese Pause umso nötiger. Ich konnte mir im Moment nichts Schöneres vorstellen als Natur, Stille, Laufen, Reden – und all das mit meiner Tochter zusammen.

»Na ja, zuallererst: Du bist schon jemand«, nahm ich das Gespräch auf. »Ich glaube fest daran, dass wir bei jedem Schritt unseres Weges vollkommen sind, aber nicht vollendet. Deshalb entwickeln wir uns kontinuierlich weiter und verändern uns«, dachte ich eher laut vor mich hin, als ich Marie eine konkrete Antwort geben wollte.

»Woher weiß ich denn, zu welcher Art Mensch ich mich verändern möchte?«

Anscheinend hatte ich bei Marie mehr Verwirrung gestiftet als für Klarheit gesorgt.

»Woher weißt du, wer du bist?«, fügte sie hinzu.

Ich dachte einen Moment nach. »Manchmal habe ich für mich herausgefunden, wer ich war, indem ich lernte, wer ich nicht sein wollte.«

»Wie meinst du das?«

»Lass es mich an einem Beispiel erklären. Als du noch ein kleines Kind warst, arbeitete ich bereits über zehn Jahre als Neurowissenschaftlerin. Ich sammelte Daten über das menschliche Gehirn und beschäftigte mich mit diversen Fragen, vor allem wie das Gehirn Hochleistungen erbringen kann. Dazu habe ich mit meinem Team viele Experimente durchgeführt. Eines Tages ging ich mit einer Kollegin zum Mittagessen. Wir diskutierten dabei über unsere Projekte, und sie sagte plötzlich: ›Wenn ich nur ein paar freie Tage allein mit mir, meinen Daten und Analysen hätte – ich wäre der glücklichste Mensch der Welt!‹ Im ersten Moment dachte ich, sie würde mich aufs Korn nehmen. Aber ihrem Gesichtsausdruck zufolge würde genau das sie glücklich machen – sie allein mit ihren Daten. Zuerst fragte ich mich, ob sie noch ganz bei Trost war. Denn ich würde mir eher eine Pause von meinen Daten gönnen, wenn ich ein paar Tage freihätte. Danach dämmerte mir aber ebenso schnell, dass es – ganz im Gegenteil – meiner Kollegin gut ging, aber mir nicht. Sie war, zumindest in ihrem Job, glücklich, während mich meine Arbeit so gar nicht erfüllte. Was aber noch viel schlimmer war: Bis zu diesem Gespräch hatte ich geglaubt, dass es normal sei, nicht von seinem Job begeistert zu sein. Es war doch schließlich Arbeit. Auch wenn mich neueste wissenschaftliche Erkenntnisse begeistern konnten und ich gerne großartigen Forschern und Forscherinnen zuhörte, fehlte mir bei so viel Theorie immer irgendetwas. In dieser Mittagspause hatte ich ein richtiges Aha-Erlebnis, denn ich realisierte, dass ich nicht diese Art Wissenschaftlerin sein wollte. Diese Erkenntnis hat mich mehr und mehr erleichtert, ich fühlte mich innerlich befreit und konnte es kaum erwarten, neue Wege zu entdecken.«

Beide saßen wir gedankenversunken da, bis Marie nach einiger Zeit fragte: »Heißt das, du hast zehn Jahre deines Lebens verschwendet?«

Ich musste lachen. »Nein, auf keinen Fall. Die Neurowissenschaft ist meine Leidenschaft. Aber ich muss nicht in der Forschung tätig sein, um dieser Leidenschaft nachzugehen.«

»Woher wusstest du nach der Schule, dass du ausgerechnet das studieren willst?«, fragte mich Marie herausfordernd.

»Oh, für diesen Teil der Geschichte müssen wir mindestens zwanzig Jahre in die Vergangenheit reisen, denn ich war schon als Kind sehr neugierig. Ich bin es ja immer noch, wie du weißt.« Ich zwinkerte ihr zu. »Es fühlt sich einfach gut an, etwas über die Welt zu erfahren und es auch zu verstehen. Das erfüllt mich. In der elften Klasse konnte ich es mir schlicht nicht vorstellen, noch die gesamte Oberstufe hinter mich bringen zu müssen, um endlich auf die Uni gehen zu können. Zu Hause hatte ich damals ein kleines Buch, in dem alle möglichen Unikurse aufgelistet waren. Das las ich mir abends immer und immer wieder durch und überlegte, für welche Kurse ich mich gerne einschreiben würde.«

»Welche Kurse waren das?«, hakte Marie nach.

»Das weiß ich nicht mehr genau, aber ich interessierte mich sehr für Medizin, Jura und Kunstgeschichte. Und dann schlug mir ein Freund eines Tages vor, meine zwei Jahre bis zum Abitur zu einem zu verschmelzen. Auch wenn es von ihm eher scherzhaft gemeint war, nahm ich mir den Vorschlag zu Herzen. Und tat letztlich genau das.«

»Das klingt völlig verrückt!«, rief Marie aus. »War das nicht super viel Arbeit?«

»Es klingt nach mehr Arbeit, als es dann am Ende war. Mein Wunsch, schnellstmöglich an die Uni zu gehen, trieb mich an. Ich war nicht klüger als die anderen in meinem Alter – aber ich war außerordentlich motiviert. Wenn du etwas wirklich, wirklich willst, dann ziehst du aus diesem Wunsch die Energie dafür. Ich verlieh mir sozusagen selbst Flügel. Und so schrieb ich mich mit siebzehn an der Universität in Leuven ein.«

Marie schaute mich nachdenklich an. »Da warst du ja genau so alt wie ich jetzt! Hattest du kein Heimweh, nachdem du von zu Hause ausgezogen warst?«

»Natürlich«, bekräftigte ich, während ich eine Locke aus meinem Gesicht strich. »Nur weil man intellektuell zu etwas in der Lage ist, heißt das noch lange nicht, dass man auch die emotionaler Reife dafür hat. Ich habe in meinem Leben immer wieder lernen müssen, dass emotionale Entwicklungen ihre Zeit brauchen und dass man sie nicht beschleunigen kann, indem man das Ganze mit dem Verstand angeht.« Ich hielt einen Moment inne und versetzte mich gedanklich in die Zeit zurück, dabei kam mir meine Mutter in den Sinn. »Ich glaube, das war Großmama auch bewusst, und sie versuchte, es mir mehrere Male zu sagen.«

»Das verstehe ich jetzt nicht«, sagte Marie.

»Großmama hat nie viel gesprochen. Sie war ein Mensch, der sich lieber im Hintergrund hielt, statt ihre Kinder aktiv anzuleiten oder ihnen Ratschläge zu geben. Aber an dem Tag, als ich meine Sachen packte, meinte sie: ›Juliet, ich weiß, dass du ein großes Potenzial hast. Vergiss deshalb nie, dass du das Beste im Leben für dich erreichen kannst, wenn du dein Potenzial nutzt, um die beste Version deiner selbst zu werden.‹«

»So einen Satz hätte ich von Großmama echt nicht erwartet«, meinte Marie schmunzelnd und band ihre langen roten Haare zu einem Zopf, weil ihr der leichte Wind immer wieder feine Strähnen ins Gesicht wehte.

»Ich auch nicht«, sagte ich lachend. »Aber damals dachte ich nicht viel darüber nach. Ich war ein Teenager und interessierte mich nicht sonderlich dafür, was meine Eltern sagten. Doch später war es genau dieser Satz, der mein Leben wirklich beeinflussen sollte. Und jetzt komme ich auf deine Frage zurück: Er half mir in der Tat dabei herauszufinden, wer ich war.«

Wieder strich ich mir eine Locke aus dem Gesicht, weil der Wind auffrischte. Hinsichtlich des Wetters gab es in Irland zwei Gewissheiten, wie man sagte: Entweder es stürmte, oder es regnete. Ich hoffte, wir blieben während unserer Tour vom Regen verschont.

»Während meiner ersten Vorlesung in den Neurowissenschaften stellte ich fest, wie leidenschaftlich mich dieses Fach interessierte. Der Professor erklärte damals, wie eine Gehirnzelle, ein Neuron, funktioniert. Ich erinnere mich noch genau daran, wie mich der Aufbau eines Neurons, diese Schönheit der Natur, gefangen nahm – mich geradezu auf emotionale Art und Weise erfüllte. Und deswegen beschloss ich, mich in den Neurowissenschaften zu spezialisieren. Und eines Tages fiel mir dann wieder Großmamas Ratschlag ein.«

In der Erinnerung daran wurde mir gerade klar, dass ich zu diesem Zeitpunkt damals anfing, auch über Familienplanung nachzudenken. Lächelnd schaute ich meine Tochter an. Als mein erstgeborenes Kind war sie diejenige, die mich diese instinktive Liebe spüren ließ, die Eltern erfahren dürfen. Ich habe mich immer gefragt, wie es möglich ist, einen Menschen so intensiv und grenzenlos zu lieben. Schon als kleines Mädchen hatte mich Marie mit zahlreichen Fragen über das Leben gelöchert, und im Laufe der Zeit entwickelte sie sehr feine Antennen für die Welt der Emotionen.

Wir wanderten durch einen Fichtenwald, und der Boden ringsum war dicht mit Königsfarnen bewachsen. Außer dem Knirschen der Steine unter unseren Schuhen war nichts zu hören. Ich genoss unseren Gleichschritt und empfand mich als Teil der Natur. Ein wohliges Gefühl von Frieden durchströmte mich.

»Nämlich: die beste Version deiner selbst zu werden?«, unterbrach Marie die meditative Stille.

»Ja genau. Ich fragte mich damals dann, was es bedeuten würde, sein volles Potenzial zu nutzen und die beste Version seiner selbst zu werden. Dabei ging ich noch einen Schritt weiter: Wie kann das Gehirn sein volles Potenzial für die bestmögliche Leistung nutzen?«

»Und: Was hast du herausgefunden?«, fragte Marie forsch.

»Dieser Frage wissenschaftlich nachzugehen war der Beginn einer faszinierenden Reise. Eine Reise, auf der ich sowohl auf theoretischer als auch auf persönlicher Ebene viel darüber erfahren habe, was es bedeutet, sein individuelles Potenzial zu erschließen, um auch im Außen sein wahres Ich zu entfalten. Dabei habe ich gelernt, wie ich die beste Version meiner selbst werden kann.«

Marie schwieg zunächst und schien meine Worte zu verarbeiten. Auch sie betrat Neuland, hatte gerade Abitur gemacht und stand am Beginn einer neuen Lebensphase. Die Wanderung auf dem Wicklow Way diente sicherlich auch dazu, sich mit ihren irischen Wurzeln zu beschäftigen und dadurch ihr wahres Ich besser kennenzulernen.

»Ich glaube nicht, dass du immer die beste Version deiner selbst bist«, sagte Marie mit Zweifel in der Stimme.

Ich knuffte sie in die Seite. »Nein, ich bin ganz sicherlich nicht immer die beste Version meiner selbst! Ich sehe es als eine nie endende Reise, die mir interessante Einblicke darüber bietet, wie mein Gehirn funktioniert und wer ich wirklich sein möchte. Das half und hilft mir bei meinen Lebensentscheidungen – sowohl bei den wichtigen als auch bei den unwichtigen.«

Wir waren am Waldrand angekommen und wurden mit einer betörenden Aussicht belohnt. So weit das Auge reichte, sahen wir grüne Heidelandschaften, die ab und an von lilafarbenen Riesenblüten durchbrochen wurden. Das violette Heidekraut stand hier in voller Blüte. Ich betrachtete Marie von der Seite – und war dankbar dafür, dass ich mit ihr hier stehen durfte, an exakt diesem Punkt, in exakt diesem Moment, auf exakt diese Weise.

Mutter geworden zu sein ist das wertvollste Geschenk und gleichzeitig die wichtigste Aufgabe in meinem Leben. Gerade spürte ich vor allem Liebe und Dankbarkeit für die junge Frau, die mich begleitete und ihre Lebensfragen mit mir teilte.

Nachdem ich Marie als Kind einmal eine Gutenachtgeschichte vorgelesen und gemeint hatte, dass es nun an der Zeit sei, sich schlafen zu legen, sah sie mich mit ihren großen blauen Augen ernsthaft an und bemerkte, dass ich keine Bestimmerin, sondern eine Begleiterin in ihrem Leben sein sollte. Ein sehr weiser Satz für ein kleines Mädchen. Die Worte, die ich damals schon verstanden hatte, durfte ich jetzt tief erleben. Ich umarmte meine Tochter und gab ihr einen Kuss.

»Die Jahre in der Forschung waren also niemals verschwendet«, bekräftigte ich. »Denn während dieser Zeit durfte ich lernen, wie das Gehirn funktioniert. Das half mir dabei, mich selbst und andere zu akzeptieren. Und noch viel entscheidender war es herauszufinden, wer ich selbst bin.«

»Können mir diese Erkenntnisse bei meiner Suche nach mir selbst ebenfalls helfen?«, wollte Marie wissen.

»Ich kann dir nur erzählen, was ich auf meiner Reise gelernt habe. Aber das hilft dir vielleicht, deinen eigenen Weg zu finden«, antwortete ich.

»Der Weg, der mich glücklich macht?«

»Ja, der Weg, der dich erfüllt. Oder anders ausgedrückt: Verstehen, wer du selbst bist und wie du leben möchtest.«

Schweigend gingen wir den Hügel hinauf. Als der Anstieg steiler wurde, beschleunigte sich mein Herzschlag, und ich verlangsamte das Tempo, bis wir die Hügelkuppe erreichten. Seit wir die Wälder hinter uns gelassen hatten, wurden wir nun das erste Mal seit Beginn der Wanderung mit einer Aussicht über die Wicklow Mountains belohnt. Es war überwältigend! Ich spürte die frische Luft in meinen Lungen und freute mich an der schier endlosen Weite der grünen Hügel. Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte mich.

Ein Blick auf die Karte zeigte mir, dass wir bald schon den Carrawaystick-Wasserfall auf der anderen Talseite erreichen würden. Ich schloss die Augen, und es kam mir vor, als könnte ich das Rauschen des Wassers in der Ferne bereits hören – aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

»Es ist so friedvoll hier«, stellte Marie fest und breitete die Arme aus, als wollte sie die Welt umarmen. »Es fühlt sich an, als würde die Zeit stehen bleiben, wenn man durch die Natur wandert und allein ist.«

Bis jetzt hatten wir keine Menschenseele getroffen.

»Ja, es ist wirklich friedvoll hier«, antwortete ich, während ich in die Stille lauschte. Ich ließ meine Gedanken schweifen und erinnerte mich daran, dass ich früher öfter in die Natur geflüchtet war, um diese Ruhe und diesen Frieden zu finden. Ich glaubte damals, dass dies die einzige Möglichkeit sei, um meinen Kopf zu beruhigen und die ungewollten Gedanken oder Sorgen loszuwerden. Da hatte ich noch nicht verstanden, dass es eine Frage der inneren Ruhe ist – statt eine des uns umgebenden Friedens. Man kann auch in einer ruhigen Umgebung von Sorgen erdrückt werden – und in einer chaotischen Welt einen inneren Frieden finden.

»War es ruhig in deinem Kopf, während wir gelaufen sind?«, fragte ich Marie.

»Meinst du, ob es still war?«

Marie runzelte die Stirn, und ich nickte.

»Das kann ich gar nicht genau sagen, denn ich habe nicht darauf geachtet, was gerade in meinem Kopf passiert.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber ich erinnere mich, dass es nicht still war. Ich bin mir nicht sicher, ob es das je ist. Wahrscheinlich wandern meine Gedanken einfach umher.«

»Sind dir dabei irgendwelche besonderen Gedanken gekommen?«

»Ich hatte Bilder vom Frühstück im Kopf. Das war wirklich ein gigantisches irisches Frühstück«, fasste sie es lachend zusammen.

Nach unserer Ankunft gestern waren wir beide ziemlich erschöpft gewesen und früh zu Bett gegangen. Heute Morgen hatten wir einen Bärenhunger gehabt und ein komplettes irisches Frühstück mit Speck, Rührei, Würstchen, Tomaten, Bohnen und Toast bestellt.

»Ich frage nach der Ruhe in deinem Kopf, weil ich dir gerne erklären würde, woher die umherschweifenden Gedanken kommen.« Ich blickte Richtung Tal. »Um zu verstehen, wer wir sind, hilft es, sich zuerst die eigenen Gedanken anzuschauen, von denen unser Gehirn laufend Unmengen produziert. Wir haben diese leise, kontinuierlich redende Stimme im Kopf.« Ich schaute sie an. »Diese Stimme hat dir gerade erzählt, dass unser Frühstück gigantisch war. Ich wiederum dachte über das Buch nach, das ich momentan lese. Die Stimme erinnert mich aber auch daran, regelmäßig auf die Karte zu schauen, damit wir uns nicht verlaufen.«

»Sie redet scheinbar unaufhörlich, wie ein aufgeregt vor sich hin schnatterndes Äffchen«, flachste Marie.

Ich musste lächeln.

»Das ist ein schönes Bild, um das permanente Gequatsche in unserem Kopf zu beschreiben: ein Affe, der uns andauernd sagt, was wir zu denken, zu fühlen und zu machen haben!«

»Woher kommt diese Stimme?«

»Unser Kopf befindet sich nie im Leerlauf. Deshalb haben wir das Gefühl, dass nie wirklich Stille da drin herrscht.« Ich tippte mir mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Und um in deinem Bild zu bleiben: Das Äffchen redet unaufhörlich. Lange Zeit dachten wir in der Neurowissenschaft, dass unser Gehirn nur dann aktiv sei, wenn wir es für geistige Herausforderungen nutzen wollten, bei denen wir Informationen verarbeiten oder manipulieren müssen, wie zum Beispiel bei mathematischen Aufgaben oder komplexen Problemen.«

»Mathematische Aufgaben brauchen wirklich viel Hirnschmalz«, bekräftigte Marie, »aber was meinst du mit ›Manipulation von Informationen‹?«, hakte sie nach.

»Lass es mich wieder an einem Beispiel erklären.« Ich überlegte kurz. »Ich gebe dir ein Rätsel auf, weil du das als Kind immer so gern mochtest: Zwei Menschen stehen an einem Fluss und wollen das andere Flussufer erreichen. Auf das Boot passt aber nur eine Person, dennoch müssen beide den Fluss überqueren. Nur wie?«

Marie blickte sich um und setzte sich auf einen Baumstumpf am Wegesrand. Sie kämpfte mit einigen Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten.

»Kann eine Person auf dem Schoß der anderen im Boot sitzen?«

»Nein, dann sinkt das Boot.«

»Gibt es zwei Boote?«

»Das ist ein guter Gedanke, aber nein, es gibt nur das eine«, antwortete ich. »Soll ich dir einen Tipp geben?«

»Nein!«, antwortete Marie blitzschnell. »Ich will die Antwort selbst herausfinden. Auch wenn es nicht einfach ist!«

»Stimmt, es ist wirklich ein schwieriges Rätsel! Aber ich möchte dir auf diese Weise zeigen, wie wir Informationen in unserem Gehirn manipulieren können. Ich habe dir ein paar Brocken hingeworfen, die du verarbeitet hast. Du stellst dir die zwei Menschen bildlich vor, den Fluss und das Boot, das immer nur eine Person transportieren kann. Jetzt, da du versuchst, das Rätsel zu knacken, manipulierst du diese Informationen für dich. Du probierst dabei verschiedene Szenarien aus, um die richtige Antwort zu finden.«

»Ah, verstehe. Die Möglichkeit, dass es vielleicht sogar zwei Boote statt einem gibt? Oder dass eine Person auf dem Schoß der anderen sitzen könnte«, dachte Marie laut nach.

»Genau. Wie gesagt: Die Wissenschaft glaubte lange, dass unser Gehirn nur für geistig herausfordernde Aufgaben in Aktion treten und die restliche Zeit in einer Art Ruhezustand verharren würde.«

»Wie beim Chillen auf dem Sofa?«

»Ja genau, wie beim Chillen auf dem Sofa oder bei der Gartenarbeit. Tätigkeiten, die nicht unbedingt einen geistigen Aufwand erfordern.« Ich streckte Marie meine Hand entgegen, als Signal dafür, dass wir weitergehen sollten, und zog sie vom Baumstumpf hoch. »Allerdings entdeckte man vor ungefähr einem Jahrhundert, dass unser Gehirn nie wirklich in einen Ruhezustand verfällt und auch dann aktiv ist, wenn wir gerade keine schwierigen Aufgaben meistern müssen. Manche Teile des Gehirns sind sogar aktiver, wenn der Rest des Körpers eine Pause einlegt. In der Neurowissenschaft nennen wir das spontane Aktivierung. Diese Aktivierung findet automatisch statt oder wird spontan von unserem Gehirn ausgelöst.«

»Spontane Aktivierung«, wiederholte Marie langsam, als ob ihr beim Aussprechen des Begriffs die Bedeutung klarer würde. »Stimmt!«, bekräftigte sie dann. »Es fühlt sich eher so an, als würden meine Gedanken kommen und gehen, wie es ihnen gerade passt.«

Hügelabwärts folgten wir dem schmalen steinigen Weg, der sich durch das dichte Heidekraut schlängelte und zum Fuß des Mullacor Hills führte.

»Waren es meine umherschweifenden Gedanken, die mich an unser gigantisches Frühstück erinnert haben?«