Dunkle Zeiten - Herbert Theiler - E-Book

Dunkle Zeiten E-Book

Herbert Theiler

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

3000 Jahren vor unserer Zeit erloschen im östlichen Mittelmeerraum die hochentwickelten Zivilisationen der Minoer und Mykener, um im Dunkel der Geschichte zu versinken. Diomedes, der älteste Sohn eines zur See fahrenden zyprischen Handelsmannes, begleitet seinen Vater erstmals auf eine Reise an die Grenzen der damals bekannten Welt. Unterwegs durchläuft er eine harte Ausbildung unter den Fittichen seines Lehrers und Freundes Deimos. Zu weit nach Westen abgetrieben, überwintern die Besatzungen auf ihren Schiffen. Mit den ersten Frühlingsboten treten sie die Fahrt ins heimische Zypern an. Entlang der nordafrikanischen und phönizischen Küste nähern sie sich dem Ziel ihrer Reise. Gerade noch rechtzeitig vor Einbruch der neuerlichen kalten Jahreszeit erreichen sie ihren Heimathafen, wo Diomedes neue Ungemach erwartet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1353

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Cover
Dunkle Zeiten
Reiseroute
Widmung
Originalausgabe:
IMPRESSUM
Vorwort
Prolog
Abschied
Tyros
Flaute und Sturm
Die Reise geht weiter
Angst
Glück und Fortschritt
Großvater
Hellas
Deimos
Fahrt ins Ungewisse
Im Lande der Barbaren
Erfahrungen
Die neuen Schiffe
Frühling
Südwärts
Utica
Neue Gefahren
Libyen
Aigyptos
Im Lande der Peleset
Heimwärts
Nea Salamis
Rückkehr
GLOSSAR
Der Autor
Unmenschlich
Fünf Jahre und vierzehn Zentimeter
Schnecken an der Kaffekanne
Die Reise mit Ramses
Das Tarot der Unsterblichkeit
Das Tarot der Unsterblichkeit Band 2
Die Katze, die ein Engel war
Notaufnahme

Dunkle Zeiten

Herbert Theiler

Erzählung über eine zur See fahrende

Kaufmannsfamilie aus Zypern während der

ausgehenden Bronze- und beginnenden Eisenzeit

Reiseroute

Widmung

für Niels und Philipp

Reiseroute

Originalausgabe:

Herbert Theiler – Dunkle Zeiten

ISBN 978-3-940868-59-6

© copyright 2009 Herbert Theiler

© copyright 2009 Hierophant-Verlag

© Cover: Torsten Peters

© Coverillustration: Siemaja Sue Lane

1. Auflage März 2010

Hierophant-Verlag

Im Bollerts 4 - 64646 Heppenheim

http://www.hierophant-verlag.de

Alle Rechte, auch der fotomechanischen Vervielfältigung und des auszugsweisen Abdrucks, vorbehalten.

IMPRESSUM

Herbert Theiler – Dunkle Zeiten

ISBN 978-3-944163-69-7

© copyright 2009 Herbert Theiler

© copyright 2009 Hierophant-Verlag

© Cover: Torsten Peters

© Coverillustration: Siemaja Sue Lane

1. Digitale-Auflage Juni 2013

Hierophant-Verlag

Im Bollerts 4 - 64646 Heppenheim

http://www.hierophant-verlag.de

Alle Rechte, auch der fotomechanischen Vervielfältigung und des auszugsweisen Abdrucks, vorbehalten.

Vorwort

Die Handlung dieser Erzählung liegt lange vor unserer Zeit, genauer gesagt, um das Jahr 1000 BC am Ende der Bronze- respektive zu Beginn der Eisenzeit. Diese Periode wird innerhalb der Geschichte des östlichen Mittelmeeres gemeinhin als die sog. „dunklen Zeiten“ benannt (ca. 1100 BC – 750 BC). Im Verlaufe dieser Epoche verschoben sich die damals bestehenden Machtgefüge zu Ungunsten dazumal herrschender Völker. Große kulturelle Errungenschaften, wie beispielsweise die minoisch-/kyprische Schrift oder die bereits hoch entwickelte Baukunst, gingen in den Wirren jener stürmischen Jahre endgültig oder zumindest für eine längere Zeit verloren. Jedenfalls dauerte es an die drei Jahrhunderte, bis die Nachfolgezivilisationen dieser Landstriche das verlorene Wissen und die zuvor weitverbreiteten Fertigkeiten wiederum zurückgewinnen konnten. Desgleichen wurden damals die minoischen und mykenischen Volksgruppen von den allmählich eindringenden oder bereits im Lande sesshaften dorischen Stämmen verdrängt und gerieten langsam in Vergessenheit. Darüber hinaus zwangen in jenem Zeitabschnitt mehrere aufeinander folgende Naturkatastrophen viele Völker aus Mittel-, West- und Nordeuropa zum Verlassen ihrer angestammten Gebiete. Die Wanderungen dieser Gemeinschaften sind als die geheimnisvollen, indes auch berüchtigten Seevölker in die Geschichte eingegangen; wobei zu erwähnen ist, dass neuere Forschungen die geografische Herkunft der Seevölker eher in Kleinasien oder im nahen Osten ansiedeln. Berichte über Kämpfe mit den bunt zusammengewürfelten Barbaren können unter anderem in den in Stein gemeißelten Aufzeichnungen der alten Ägypter oder auch im alten Testament (Philister, David und Goliath, usw.) nachgelesen werden.

Binnen weniger Jahrzehnte wurden in jener Epoche viele der mykenischen Paläste und Städte verlassen. Die Gründe, die zu den fluchtartigen Auswanderungswellen geführt haben, lassen sich heute nicht mehr eindeutig feststellen. Ereignisse aus den dunklen Zeiten wurden erst gegen Ende des achten Jahrhunderts BC in den Versen Homers (Ilias, Odyssee) eindrücklich besungen und niedergeschrieben. Obwohl die Geschehnisse bereits über vierhundert Jahre mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurden, geht man heute davon aus, dass in den erst später aufgezeichneten Geschehnissen ein wahrer Kern steckt. Noch vor jener in Homers Epen beschriebenen Schlacht um Ilion war bereits das Großreich der Hethiter, welche lange Zeit über Kleinasien, Zypern und den nahen Ostens geherrscht hatten, binnen kurzem zusammengebrochen. Als sich die Hethiter um ca. 1200 BC endgültig aus der Geschichte verabschiedet hatten, nahm eine längere und halbwegs friedliche Periode in Kleinasien ein abruptes Ende. In diesen Wirren gingen leider zu großen Teilen die Archive der hethitischen Könige und Fürsten verloren und wurden erst in der Neuzeit teilweise wieder ausgegraben (beispielsweise Keilschrifttafeln aus Hattusa und Ugarit) und der Forschung zugeführt. Ohne die Keilschriftarchive des hethitischen Volkes wüsste die Menschheit heute nur einen Bruchteil dessen, was am Anfang der archaischen Zivilisation stand. Seitdem Minoer, Hethiter und Mykener in Vergessenheit geraten sind und das Pharaonenreich durch die Seevölkerwirren erheblich geschwächt worden war, konnten im östlichen Mittelmeer einzig die Phönizier eine gewisse Kontinuität aufrechterhalten. Das Kernland dieses semitischen Volkes aus Kanaan lag damals noch ausschließlich in den Küstengebieten des heutigen Libanons. Indes, bereits lange vor der Gründung Karthagos hatten insbesondere die Städte Tyros, Sidon und Arados eine Kette kleinerer und größerer Handelsniederlassungen entlang den Küsten Zyperns, Nordafrikas, Maltas, Siziliens, Sardiniens und bis in den Süden Spaniens aufgebaut.

Die Südküste Zyperns, mit Handelsplätzen wie Kition, Amathus, Marion, Kourion und Paphos wurden zu jener Zeit mehr oder weniger von den Phöniziern beherrscht. Erst mit der Gründung von Salamis (nahe dem heutigen Famagusta) um ca. 1200 BC baute sich damals ein griechisch orientierter Gegenpol auf. Aus dieser Gegend stammt denn auch die Handelsfamilie, die dem Autor den Anstoß zu dieser Erzählung gegeben hat. Das Buch soll vorab das tägliche Geschehen sowie die Probleme, mit denen damalige Handelsfahrer konfrontiert wurden, erhellen. Es ist ein letztes Aufflammen eines goldenen Zeitalters, bevor eine große geschichtliche Ära in den „dunklen Zeiten“ versank.

Prolog

Ich, Diomedes, Händler und Seefahrer, habe die Jahreszeiten nun schon über siebzig Mal kommen und gehen sehen. Vor acht Jahren kehrte ich von meiner letzten Handelsfahrt zurück und habe meine Schiffe den Söhnen meiner Schwester überschrieben. Als Gegenleistung versprachen sie, mir meinen Lebensabend so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Seit meinem Rückzug aus dem Geschäftsleben ist die Welt nicht besser indessen auch nicht schlechter geworden. Zurückschauend und mit ein wenig Stolz darf ich sagen, dass ich es in meinem Leben zu einigem Wohlstand gebracht habe. Mir gehören neben dem väterlichen Gut weiteres Land und Häuser in unserem Dorf Halepi und auch in der nahen Stadt Nea Salamis verfüge ich über Besitztümer, die mir seinerzeit von meinem Vater vererbt worden sind. Zu all dem besitze ich beträchtliche Anteile an der Handelsniederlassung meines jüngeren Bruders im kretischen Zakros, der Heimatstadt meiner längst verstorbenen Mutter. Materiell gesehen kann ich mir mit all den Erträgen sowie einem Hort von zurückgelegten Gold- und Silbermünzen einen sorgenfreien, um nicht zu sagen einen luxuriösen Lebensabend leisten. Aber was soll’s, mit jedem Jahr werde ich älter und meine persönlichen Ansprüche gehen naturgemäß mehr und mehr zurück. Leider nehmen auch die kleinen Gebrechen des Alters langsam aber stetig zu. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich in den Augen meiner Nachbarn und Bekannten als vermögender Mann gelte. An materiellen Schätzen gemessen trifft dies sicherlich auch zu. Wenn ich aber auf mein langes Leben zurückschaue, habe ich im Grunde nur gearbeitet, mich abgerackert und dabei oft vergessen, die gewonnenen Früchte auch zu genießen. Mit meiner ausgeprägt altruistischen Ader kann ich Glück und Unbeschwertheit ohnehin nur empfinden, wenn auch die mir Nahestehenden guter Dinge sind.

Ich versuche stets, geistig rege zu bleiben und nicht in jenes Gefühl zu verfallen, völlig unnütz zu sein, deshalb packe ich jede sich bietende Gelegenheit beim Schopfe, um meinen großen Erfahrungsschatz weiterzugeben; selbstverständlich dränge ich mich dabei niemandem auf.

Wie fast jeden Tag um diese Zeit erklimme ich das steile Sträßchen, welches vom belebten Hafen unseres stattlich gewordenen Dorfes zu meinem Gutshaus hinaufführt. Hier lebe ich seit dem Rückzug von der Seefahrerei zusammen mit meiner überaus fürsorglichen, noch etwas älteren Schwester Aglaia. Bei gutem Wetter fahre ich schon frühmorgens hinaus zum Fischen, wobei die Beute eher Nebensache ist. In erster Linie geht es mir darum, noch erdenklich viele Stunden auf meiner geliebten See zu verbringen. In solchen Augenblicken denke ich über mein abwechslungsreiches Leben nach und träume mit offenen Augen von den vergangenen, wenn auch nicht immer einfachen Zeiten. Aglaia ist schon seit vielen Jahren verwitwet. Sie betreut, ja verwöhnt mich, wie es eben nur eine Schwester zu tun vermag und dies, obwohl sie noch drei Jahre mehr auf ihren Schultern trägt als ich. Sie war lange Zeit glücklich mit meinem besten Freund und Lehrer Deimos verheiratet gewesen. Ihre drei Söhne führen nun die Familientradition als Handelsfahrer fort und verbringen, zum Leidwesen ihrer Mutter, nur die Wintermonate im heimatlichen Dorf. Die übrige Zeit sind sie als Kaufleute auf dem großen grünen Meer unterwegs.

Jetzt, wo die Sonne jeden Tag ein wenig früher hinter den zackenreichen Bergkuppen des Fünffingergebirges untergeht, hofft Aglaia, ihre Söhne bald wieder wohlbehalten in ihre Arme schließen zu dürfen. Mein jüngerer Bruder Kleitos hat Alashia oder Kyprou, wie wir die Insel auch nennen, schon vor geraumer Zeit verlassen und war dazumal in Großvaters Manufakturen in Zakros auf Kreta eingetreten. Seit dieser Zeit lebt er mit seiner Frau und ihren vier Kindern in der Heimat unserer Mutter. Zu meinem ehrlichen Bedauern ist er seit seinem Weggang nie mehr ins heimatliche Dorf zurückgekehrt.

In letzter Zeit ist der Pfad hinauf zu meinem Anwesen für meine alten Knochen recht anstrengend geworden. Besonders jetzt, zu Beginn der kühleren Jahreszeit, schmerzen mich die abgenutzten Gelenke und die alt gewordenen Knochen. Zudem machen sich all die Narben, welche ich in Kämpfen oder bei anderen Gelegenheiten davongetragen habe, durch unangenehmes Ziehen und Zerren bemerkbar. Deshalb stütze ich mich auf meinen knorrigen, mannshohen Wanderstock und stapfe schwerfällig die Serpentinen durch die längst abgeernteten Rebstöcke hinauf. Immer wieder bleibe ich stehen und schaue zurück auf den vertrauten, geschäftigen Hafen. Selbst in meinem hohen Alter komme ich nicht umhin, die prächtigen Farben des Meeres zu bewundern, wie sie in all ihren Schattierungen von hellgrün bis dunkelblau schimmern. Insbesondere jetzt, im Spätherbst, ist die Luft so klar, dass man die gebirgige Landzunge ganz im Osten von Alashia in ihrer vollen Größe sehen und fast mit Händen greifen kann.

Zwischen den niedrig wachsenden Weinstöcken stehen vereinzelt Feigen- und Granatapfelbäume, teilweise noch behangen mit einzelnen Früchten, an denen sich auch die allgegenwärtigen Spatzen gütlich tun. Am gegenüberliegenden Hang liegt einer unserer Olivenhaine, die uns reichlich mit den für uns lebensnotwendigen Früchten sowie dem daraus gepressten, bekömmlichen Öl versorgen. Hin und wieder kann ich nicht widerstehen, mir eine der süßen, beinahe schon überreifen Feigen zu pflücken und in den Mund zu stecken. Die Finger wische ich mir der Einfachheit halber an den Kleidern ab, wohlwissend, dass mir dies eine Schelte und vorwurfsvolles Kopfschütteln seitens Aglaias eintragen wird.

An kühleren Tagen wandere ich oft auch zur Begräbnisstätte meiner Familie, die sich etwas abseits, im Schatten des roten Felsens, über dem Hafen befindet. Nach Sitte der Zeit hatten sich meine Vorfahren eine Begräbnisstätte mit einer befahrbaren Auffahrt und einer kuppelförmigen Grabkammer bauen lassen. Neben meinen Eltern liegt dort ebenfalls mein langjähriger Freund Deimos begraben und auch ich werde wohl dereinst in dieser Gruft zur letzten Ruhe gebettet werden. Mein heimisches Dorf liegt im südöstlichen Teil der großen Insel Kyprou, etwa hundert Stadien südwestlich der blühenden Hafenstadt Nea Salamis und nur vernachlässigbar weiter von der bedeutend älteren Kupferstand Enkomi entfernt. Diese einst mächtige und heute in die Bedeutungslosigkeit abgesunkene Nachbarssiedlung von Nea Salamis ist im Landesinneren, am immer mehr versandenden Fluss Pedheios, zu finden. Früher konnte man diesen zu jener Zeit von Reichtum nur so strotzenden Ort von der See her per Schiff erreichen. Indes, heute können bestenfalls, und dies nur während der Regenzeit, noch flachbödige Kähne bis in die Nähe der vor zwei Jahrhunderten noch größten Stadt Alashia gelangen. Nach zwei aufeinander folgenden Erdbebenkatastrophen und einem Überfall der grausamen Seevölker ist der überwiegende Teil ihrer Bewohner in die neue Stadt an der Küste umgezogen. Anlässlich meines letzten Besuchs hatte Enkomi kaum mehr die Größe unseres Dorfes.

Die Mehrzahl der Gebäude unserer Siedlung sind von der See her nicht einsehbar, weil sie, aus Sicherheitsgründen, verborgen hinter einem aus dem Meer steil ansteigenden, rötlich gefärbten Felsen, vor einiger Zeit dort neu erstellt wurden. Vater nannte die neue Siedlung, nach den hier häufig vorkommenden Kiefern, Halepi. Diese Bezeichnung soll auf eine uralte Stadt im Orient zurückgehen, nach der diese Nadelbäume ihren Namen erhalten haben sollen. Der geschützten Lage wegen müssen sich so die Bewohner weniger vor überraschenden Piratenüberfällen fürchten und haben bei eventuellen Bedrohungen vom Meer her mehr Zeit, sich abzusetzen. Im Inselinneren ist das Land, ausgenommen mehrerer mit Pinien und Zedern überwachsener Hügel, mehrheitlich flach. Die hier rote Erde ist so fruchtbar, dass in guten Jahren fleißige Bauern mehr als nur eine Ernte einbringen können. Einzig mit dem kostbaren Wasser muss sorgfältig und haushälterisch umgegangen werden, da viele Bäche nur während des Winters oder nach einer der seltenen Regenperioden überhaupt Wasser führen; zumal die Bevölkerung in unserer Umgebung stetig zunimmt, müssen die lebenswichtigen Brunnen immer tiefer gegraben werden und es soll schon vorgekommen sein, dass man anstelle von Trinkwasser auf Salzwasser gestoßen ist.

Der kleine Hafen von Halepi liegt im Schutze einer Bucht mit steil aufragenden Klippen und man hat die Wahl, die Schiffe entweder auf den sandigen Strand zu ziehen oder, was bequemer ist, sie seitwärts an einer von den von Vaters Familie erbauten Molen anzulegen. Weiter östlich errichteten nach meiner ersten Handelsfahrt Vaters Freunde Saflienos und Dendu eine Werft. Obwohl die Beiden längst nicht mehr unter den Lebenden weilen, werden dort von ihren Nachfahren heute noch die besten Schiffe des ganzen östlichen großen Meeres gebaut. Da Vater seinerzeit durch eine namhafte Einlage eigener Mittel die Entstehung dieser Schiffsbauanlage erst ermöglicht hat, fällt nach wie vor ein Teil der erzielten Gewinne zu meinen Gunsten ab.

Für mich gibt es noch heute keinen schöneren und angenehmeren Ort, um die mir noch verbleibenden Tage zu genießen. Die Schönheit des Fleckens ist zu meinem Leidwesen auch den begüterten Familien von Nea Salamis nicht verborgen geblieben. So sind im Verlaufe der letzten Jahre die südlichen Abhänge der Hügel außerhalb des Ortes teilweise gerodet worden und in den geschlagenen Lichtungen wurden zahlreiche kleinere und größere Sommerhäuser aufgestellt. Im Gegensatz zu Nea Salamis, dessen Hinterland insbesondere gegen Nordwesten hin flach und offen daliegt, weht bei uns dank der Nähe zum Meer fast immer eine erfrischende Brise. Die Älteren unseres Dorfes, zu denen ich wohl jetzt auch gehöre, erzählen voller Stolz all jenen, die es hören wollen, dass der privilegierten Lage Halepis wegen, die ersten Blumen des Frühlings jeweils bei uns sprießen würden. Selbst über meinen Gedankenwirrwarr lächelnd, schreite ich weiter meines Weges.

Noch bevor ich mein herrschaftliches Zuhause erreicht habe, rennen mir eine Schar von Nichten, Neffen und Nachbarskindern entgegen. Sie schreien: „Pappous, der Seefahrer kommt“, und die Kleinsten zanken sich darum, wer von ihnen mich an der Hand nehmen darf. Trotz meiner allgegenwärtigen Schmerzen hebe ich den Kleinsten auf meine Schultern. Einträchtig nähern wir uns gemütlich und schnatternd wie eine Schar Gänse unserem Ziel. Vor dem Haus, unter der uralten Zeder mit ihren breitausladenden Ästen, setze ich mich auf eine der steinernen Bänke, um wieder zu Atem zu kommen. Zum wiederholten Male beginnt die lebhafte Schar, mich zu bestürmen, ihnen eine Geschichte aus vergangenen Zeiten zu erzählen. Sie quälen mich so lange, bis ich mich bereit erkläre, ihnen an den kommenden Abenden Ereignisse und Abenteuer aus meinem langen Leben als Handelsmann auf dem großen grünen Meer zu berichten.

Nach der üblichen Schelte wegen der fleckigen Kleider und der Unvernunft, in meinem Alter Kinder herumzutragen, setzt mir Aglaia persönlich einen wohlschmeckenden, in reichlich Olivenöl gebratenen Fisch sowie einen Topf gekochter Kichererbsen zum Abendessen vor. Natürlich gestattet sie mir zum Mahle einen Becher unseres selbst gekelterten Weines. Meine Schwester ist die gute Seele des für uns beide viel zu groß gewordenen Gutshauses und wenn es um ihren kleinen Bruder geht, legt sie in der Küche des Öfteren noch selbst Hand an. Dies geschieht sicherlich nur, um zu vermeiden, dass ich etwas meiner Gesundheit nicht Zuträgliches zu mir nehmen könnte. Treuherzig wie sie ist, drängt sie mich, tüchtig zuzugreifen. Ich esse indes nur leicht, denn aus Erfahrung weiß ich, dass zuviel des Guten mir auf die Nacht nicht bekömmlich ist. Als auch Aglaia ihre Mahlzeit beendet hat, danke ich ihr, küsse sie auf ihre Wange und erhebe mich ächzend vom großen Tisch. Ich begebe mich wieder vor das Tor und lasse mich schnaufend auf der steinernen Bank nieder. Wie nicht anders zu erwarten war, warten die Kinder, es war inzwischen mindestens ein Dutzend geworden, schon ungeduldig auf ihr Opfer. Obwohl die Sonne bereits hinter den Erhebungen am westlichen Horizont verschwunden ist, kann man die Wärme des zu Neige gegangenen Tages noch deutlich spüren. Im stetig schwindenden Tageslicht entzünde ich einige Fackeln und stecke sie in die kunstvoll geschmiedeten Halterungen entlang der Hauswand. Meine Zuhörerschaft nimmt gespannt und voller Aufregung vor mir auf dem Boden oder zu meinen beiden Seiten auf der harten Sitzgelegenheit ihre Plätze ein. Mich in mein Schicksal ergebend, gelobe ich, ihnen von den Geschehnissen anlässlich meiner ersten großen Fahrt zu erzählen; selbstverständlich nur solange, wie sie brav wären und keinen Unsinn anstellen würden. Ernsthaft versprechen sie alles, was ich auch immer von ihnen verlange. Mit ihren dunklen Kinderaugen schauen sie mich voller Erwartung und Wissbegier an. So bleibt mir denn nichts Anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu fügen.

Ich beginne mit meiner Geschichte und werde sie an den künftigen Abenden solange fortsetzen, bis ich und meine Begleiter damals, nach fast zwei Jahren Abwesenheit, wieder in unser Dorf Halepi zurückgefunden haben.

Zu Beginn hatte ich keine Vorstellung davon, wie viele Abende schlussendlich bis zum Ende der Geschichte vergehen würden. Jedenfalls blühten schon die ersten Mimosensträucher, als ich der dankbaren Kinderschar endlich alle tatsächlichen und auch einige geflunkerte Begebenheiten meiner ersten Reise auf dem großen grünen Meer offenbart hatte.

Abschied

„Diomedes, steh endlich auf, es ist schon spät und Vater wartet am Hafen seit geraumer Zeit auf dich“, rief meine Mutter und zog an meiner wollenen Bettdecke. Herzhaft gähnend brummte ich etwas in meinen nicht vorhandenen Bart und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Zögerlich erhob ich mich von meinem bequemen Lager und stellte fest, dass die Schlafstellen meiner Geschwister in den Nebenzimmern schon verlassen waren. Nach einer minimalen Katzenwäsche an der gefassten Quelle im Hofe unseres Hauses aß ich mehrere frische, mit Honig bestrichene Brotfladen und machte mich auf den Weg zur kleinen Anlegestelle unterhalb des Dorfes.

Vor einigen Jahren hatten wir unser altes Heim unten am Hafen verlassen. Mein Vater, genannt „Aiakos, der Handelsfahrer“, baute mit der Unterstützung seiner drei Brüder, unseren Angestellten sowie Sklaven ein neues, bedeutend größeres Haus mit zwei Stockwerken an einer Stelle im Landesinneren, wo es vom Meer aus nicht gesehen werden konnte. Das feudale Gebäude verfügt über eine rechteckige Form und die einzelnen Räume wurden um einen schattigen Innenhof angelegt. Außen und innen sind die Wände weiß getüncht und zum Teil mit Fresken bemalt, welche an die kretische Herkunft meiner Mutter erinnern. Unser Domizil verfügt über insgesamt vierzehn Gemächer und ein geräumiges Flachdach, wo wir uns während der Sommernächte zurückziehen können, wenn es drinnen, infolge der Hitze, nicht mehr auszuhalten ist. Ein bis zwei Stadien vom herrschaftlichen Gebäude entfernt wurden die schachtelförmigen Häuschen für das Gesinde und die Sklaven errichtet. Von seinem Vetter Euelthon, dem König von Nea Salamis, kaufte Vater Land hinzu, sodass man von unserem Besitz, ohne zu übertreiben, von einem feudalen Anwesen sprechen kann. Auch die Mehrheit der Nachbarn folgte unserem Beispiel und verlegte ihre Wohnsitze an sicherere Orte, außerhalb der Sichtweite der See. So entstand schon bald ein kleines Dorf hinter dem wuchtigen Felsen, der das Hafenbecken an dessen Ostseite dominierte. Die Verlegung der Wohnhäuser war rückblickend eine wohlüberlegte Vorsichtsmaßnahme, denn die barbarischen Überfälle der überall auftauchenden und dreisten Seeräuber nahmen auch auf Kyprou wieder zu.

Die Piraten waren durchwegs rücksichtslose Horden unterschiedlichster Herkunft. Zumeist handelte es sich um Stämme und Völker, die aufgrund von Kriegswirren, Naturkatastrophen oder Seuchen ihre heimatlichen Gefilde fern im Westen und Nordwesten des großen Meeres verlassen mussten. Immer mehr mischten sich indes auch organisierte Banden von Entwurzelten, die sich schon über Generationen in Schlupfwinkeln an der kleinasiatischen Küste aufgehalten hatten, unter die Eroberer. Weil niemand genaues über die Herkunft dieser Leute weiß und sie ihre Untaten vorwiegend von der See aus verüben, nennt man sie der Einfachheit halber die Seevölker. Die Einfälle dieser mordenden und sengenden Barbaren dauerten nun schon über Jahrhunderte an und hatten zu größeren und kleineren Kriegen in der uns bekannten Welt geführt. Insbesondere das mittlere und östliche große grüne Meer war und ist ihren ununterbrochenen Eroberungs- und Raubzügen ausgesetzt. Verschiedene Stämme hatten sich schon vor mehreren Generationen in eroberten oder zugewiesenen Gebieten niedergelassen und sich über die Jahrzehnte hin mit der dort einheimischen Bevölkerung vermischt. So auch in vielen Gegenden meiner Heimat Alashia, wo sie als Söldner verschiedener Stadtkönige mitgeholfen hatten, die zuvor herrschenden Hethiter zu verjagen.

Vor sechs bis sieben Menschenaltern waren während der ersten Einwanderungswellen einige der damals blühenden Städte Kyprous massiv zerstört worden, Sie wurden indes, mit wenigen Ausnahmen, anschließend schöner und größer wieder aufgebaut. Jedoch, der Zusammenbruch des hethitischen Reiches und insbesondere die Zerstörung der großen Handelsstadt Ugarit an der uns gegenüberliegenden Küste hatten auch für meine Heimatinsel spürbar negative Folgen.

Handelswege nach Osten und Norden wurden unterbrochen, dabei kamen viele Geschäftsbeziehungen fast vollständig zum Erliegen. Im selben Zeitraum verschwanden auch die für die Herstellung der wertvollen Bronze bekannten Kupferstädte Enkomi, Maroni und Kalavassos mehr oder weniger von der Bildfläche, weil das zur Herstellung dieses Metalls notwendige Zinn nur noch über große Umwege in die Regionen im Osten des großen Meeres gelangte.

Ebenfalls im Ablauf dieses bewegten Zeitabschnittes wurden die minoischen und mykenischen Stammlande mit ihren dazugehörenden Inseln durch die immer weiter vordringenden Dorer in ihrer Existenz bedroht. Bei den Dorern handelt es sich um einen den Seevölkern zugerechneten Stamm, welcher schon viele Jahrzehnte im Norden des Peloponnes gelebt hatte und die aufgetretenen Katastrophen gnadenlos ausnutzte, um ihren Machtbereich auszuweiten. Heute muss man zugestehen, dass ausgedehnte Gebiete der hellenischen Stammlande längst von den Dorern beherrscht werden und sie ihre Vorgänger in den minoischen sowie auch den mykenischen Stammlanden weitgehend verdrängt haben. Naturgemäß sehen sich die Dorer selbst nicht als Barbaren, sondern als die Nachkommen des sagenhaften Halbgottes Herakles. Aus diesem Grunde werden sie oft auch als das Volk der Herakliden bezeichnet. Die Machtergreifung der Dorer in Hellas hatte unter anderem zur Folge, dass viele mykenische Familien nach Osten, so auch nach Alashia, flohen. Manche Leute, darunter ebenfalls mein Freund und Lehrer Deimos, führen die Gründung meiner Heimatstadt Nea Salamis auf diese Wirren zurück. Ich, für meine Person, fühle mich als Achaier reinsten Blutes, aber um ehrlich zu sein muss ich einräumen, dass sich die heutige Bevölkerung Kyprous aus Menschen verschiedenster Herkunft zusammensetzt.

Nachdem in unseren Landstrichen über Jahrzehnte hinweg einigermaßen Ruhe geherrscht hatte, überzogen nun neue Wellen kriegerischer Völker meuchelnd und plündernd Hellas, die Südküste Kleinasiens bis nach Phönizien und selbst das sagenhafte Land Aigyptos. Das Schlimme an dieser Situation war, dass es offenbar gegenwärtig keine Macht gab oder geben wollte, die den Eindringlingen ebenbürtig und wirkungsvoll entgegentreten konnte. Auch das einst so mächtige Reich der Pharaonen hielt sich vornehm zurück und reagierte nur, wenn es unmittelbar selbst bedroht war. Aus Erzählungen meines Vaters erinnerte ich mich, dass vor ungefähr sechs Generationen der legendäre Pharao Ramesses III vor den Toren seines Reiches die Streitmacht der Seevölkerstämme Seleket und Zekel entscheidend schlug und so für eine längere Frist für Ruhe gesorgt hatte. Weil indes zurzeit kein Herrscher den grausamen Eindringlingen entscheidend die Stirn bieten konnte, waren ganze Landstriche den Eroberungszügen mehr oder weniger hilflos ausgesetzt.

Mein Heimatdorf Halepi, welches, wie bereits erwähnt, nicht allzu weit von der erst seit rund drei Generationen bestehenden Stadt Nea Salamis liegt, gehört zum Einflussbereich der Könige dieser neuen Metropole. Die Stadt und das darum herum entstandene Königreich Salamis soll, der Legende nach, von meinem Urururgroßonkel Teukros einige Jahre nach der großen Schlacht um Ilion gegründet und erbaut worden sein. Teukros war einer der Helden vor Troja und wurde nach seiner Heimkehr auf die hellenische Insel Salamis von seinem Vater, dem König Telamon beschuldigt, seinen Halbbruder „Aias der Größere“ nicht vor dem Wahnsinn und dem damit in Verbindung stehenden Selbstmord beschützt zu haben. Zudem warf ihm Telamon vor, dass er Aias nicht nach den vorgeschriebenen Riten bestattet und nach dem festgeschriebenen Gesetz gerächt hatte. Teukros galt im trojanischen Krieg, noch vor Odysseus und Idomeneus von Knossos, als der treffsichersten Bogenschütze der achaischen Belagerungstruppen. Mein Vater achtete denn auch sehr darauf, dass die Tradition als vortreffliche Bogenschützen in unserer Familie hochgehalten wurde.

Die Geschichten der Schlacht um Ilion, der Irrfahrten des Odysseus und auch jene der schreckensverbreitenden Seevölker wurden insbesondere während der kalten Jahreszeit von herumziehenden Sängern verbreitet. Sie erzählten die vergangenen Geschehnisse in rhythmischen Gesängen, welche manchmal viele Stunden oder gar Tage andauern konnten. Solche Geschichten wurden von Generation zu Generation weitergegeben und, zugegebenerweise, manchmal auch mit Ereignissen neueren Datums erweitert oder angepasst. Naturgemäß standen in meiner Familie die Legenden um Telamons Familie im Vordergrund. Wie dem auch sei, Teukros musste seine hellenische Heimatinsel verlassen und siedelte sich mit seiner Familie, einer Anzahl Getreuen und einer Schar Sklaven nach langem Suchen an einer sanftgeschwungenen Meeresbucht an, in welche sich der größte kyprische Fluss mit Namen Pedheios ergießt. Dieser prächtige Ort befindet sich im Südosten meiner Heimatinsel, an jener Stelle, wo das bewaldete und gegen Osten hin hügelige Land in die nadelförmige Karpass-Halbinsel übergeht.

Nea Salamis wurde auf kaum merklich erhöhtes Gebiet direkt an der See errichtet. Die Ufer der Bucht westlich und östlich der Stadt sind feinsandig und fast bis ans Wasser bewaldet. Der geräumige Hafen wurde an einem von der Natur her geeigneten Ort gebaut und noch zusätzlich mit zyklopischen Mauern gegen Wind und Wetter geschützt. Der Platz der neuen Siedlung war ausnehmend gut gewählt, lag er doch an der Route zwischen dem großen Stadtstaat Ugarit, welcher aber bereits vor mehreren Generation zerstört worden war, und Arados, Beritus, Byblos, Sidon sowie Tyros im Osten und den Gebieten des mehrheitlich hellenischen Einflussbereiches im Westen. Zudem lagen auch die Gebiete der Philistäer sowie das sagenumwobene Äigyptos absolut in Reichweite der kyprischen Handelschiffe. Das Klima hier war mild und die Erde so fruchtbar, dass fast alle Jahre mit mehr als einer Ernte gerechnet werden durfte. Bald schon entwickelte sich Nea Salamis zu einem wichtigen Umschlagplatz für die Versorgung der verschiedenen Handelsflotten im östlichen Meer sowie für die Ausfuhr der einheimischen Güter, wie Kupfer, Wein, Olivenöl, Keramik aber auch Holz für den Bau von Schiffen.

Die viel ältere Nachbarstadt von Nea Salamis, mit dem fremdklingenden Namen Enkomi, lag etwas weiter im Inneren des Landes, indes ebenfalls an der Lebensader des Pedheios. Sie war vor etwa sechs bis sieben Generationen von Banden der Seevölker gestürmt und großflächig verwüstet worden. Fast zur selben Zeit traten im ganzen Gebiet des großen Meeres verheerende Katastrophen auf. See- und Erdbeben verursachten vorher noch nie gesehene Flutwellen und Erdrutsche, die ihrerseits wiederum Hungersnöte und Seuchen nach sich zogen. Gemäß Erzählungen der Alten und Sänger wurden damals ganze Landstriche entvölkert. Wie dem auch sei, Enkomi wurde nach seiner Zerstörung von den Bewohnern wieder aufgebaut. Jedoch, nur vier oder fünf Generationen später erschütterte ein schreckliches Erdbeben die Stadt erneut und sie wurde dem Erdboden gleichgemacht. Nach dieser Verheerung konnte Enkomi seine frühere Bedeutung als Kupfermetropole nie mehr zurückgewinnen. Aus Mutters Geschichten weiß ich aber, dass der Ort in seiner Hochblüte sehr schön und mächtig gewesen sein muss. Nach diesem neuerlichen Schicksalsschlag sind viele der früheren Einwohner von Enkomi in das sich im Aufbau befindliche Nea Salamis gezogen und haben dort etliches zur Entwicklung der neuen Stadt beigetragen. In diesem Zusammenhang erzählen die heute herumziehenden Sänger, dass die großen Seevölker-Wanderungen ihrerseits durch die von den Göttern gesandten Katastrophen ausgelöst worden wären.

Bis zum heutigen Tage haben es die Seevölker noch nie gewagt, Nea Salamis direkt anzugreifen; wahrscheinlich aus dem Grunde, weil die Bevölkerung um einiges besser gerüstet und der Ort zudem stärker befestigt ist als andere Städte. Es waren aber hauptsächlich die gut ausgebildeten Krieger des salaminischen Stadtkönigs, welche die vor einigen Jahren in die umliegenden Dörfer eingefallenen Horden gestellt und aufgerieben haben. Während diesen Wirren wurden hunderte der Eindringlinge getötet oder mussten den bitteren Weg in die Sklaverei antreten. Da sich solche Ereignisse in der heutigen Zeit schnell herumsprechen, werden sich die Fremden für ihre Raubzüge künftig wohl einfachere Ziele auswählen als Nea Salamis.

Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass es gegenwärtig im Reich von König Euelthon wieder etwas ruhiger zu und her geht. Die Hethiter, welche die Insel zuvor lange Zeit beherrscht hatten, waren schon nach Ende des trojanischen Krieges von den Stadtkönigen und ihren aus Einwanderern bestehenden Söldnertruppen in mehreren Schlachten geschlagen und im Verlaufe von Jahren vollständig von der Insel vertrieben worden. Die Seevölker hatten nach ihrer Niederlage bei Nea Salamis, aus welchen Gründen auch immer, weitere Eroberungsversuche im Osten von Kyprou unterlassen. Wohl aber wüteten sie im mittleren und westlichen Teil von Alashia sowie an den Gestaden von Kilikien bis hinunter nach Kanaan. Selbst das stolze Aigyptos war gegen gelegentliche Einfälle nicht gefeit. Bereits vor Generationen hatten sich einzelne, den Seevölkern zugehörende Stämme nach langen Wanderungen auch im westlichen und nördlichen Kyprou niedergelassen. Heute sind diese Menschen allerdings gut integriert und in der einheimischen Bevölkerung aufgegangen. Teilweise befinden sie sich bereits seit rund sieben Generationen im Lande und werden demnach selbstverständlich nicht mehr als Fremde betrachtet. Es ist heute auf Alashia ohnehin schwierig, von „einheimischen“ Bewohnern zu sprechen, da das Volk aus einem Gemisch von Hellenen, Phöniziern, Vertretern der Seevölker und der ursprünglich aus Anatolien stammenden, luvischen Urbevölkerung besteht.

Die trügerische Ruhe wurde indessen dadurch gestört, weil die Raubzüge der Seevölker, mit all ihren gefährlichen und unangenehmen Begleiterscheinungen, in letzter Zeit wieder zunahmen. Dies bestätigte auch die Nachricht eines phönizischen Kapitäns, der Vater berichtete, dass die Barbaren die blühende Stadt Sidon angegriffen und teilweise zerstört hätten. Vater hatte in der Hafentaverne noch lange mit diesem Seemann gesprochen und ich fühlte, dass große Sorgen ihn plagten, als er abends nach Hause zurückgekommen war. Da wir wussten, dass die Anzahl der Angehörigen dieser umher streunenden Horden sich ständig änderte und damit eine unberechenbare Größe darstellte, durften auch wir uns auf Kyprou nie in Sicherheit wähnen.

Ich versuchte, die düsteren Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen und ging den steilen, mit den vielen Kehren versehenen Weg hinunter zum Hafen. Bald schon konnte ich die drei Schiffe meines Vaters erkennen und stellte fest, dass alle bereits zu Wasser gelassen waren. Demzufolge waren alle Reparaturen, die während der kühlen und stürmischen Jahreszeit an Land vorgenommen worden waren, abgeschlossen. Bei den fällig gewordenen Ausbesserungen wurde bei allen drei Seglern der Kielbalken ersetzt, angegriffene Planken erneuert und die beiden Steuerruder im Heck verstärkt. Die Boote waren nach Ahnen aus Telamons Sippe benannt, nämlich Hesione, Teukros und Aias. Vaters Flaggschiff nannte sich Hesione. Vor langer Zeit war sie die Gattin des Königs Telamon von Salamis und die Mutter des Teukros gewesen.

Die drei Schiffe sahen sich zum Verwechseln ähnlich, sie trugen alle denselben schwarzen Anstrich und beidseitig des Bugs war mit roter Farbe ein großes Auge aufgemalt worden. Sie waren etwa zwölf Mannslängen lang und deren drei breit. Sowohl Bug und Heck waren leicht erhöht worden, um über bessere Ausblicksmöglichkeiten zu verfügen. Im Heck war ein einfacher, überdachter Platz eingerichtet worden, wo man bei schlechtem Wetter oder bei großer Hitze ein wenig Schutz finden konnte. Auch die seitlichen Deckabgrenzungen wurden mit festeren Planken verstärkt und zugleich erhöht, um den Besatzungen bei etwaigen Piratenangriffen oder hohem Seegang mehr Sicherheit zu bieten. Vater erklärte mir, dass diese Umbauten der Wendigkeit und Schnelligkeit der Schiffe keinen Abbruch täten. Unter den verpichten Deckplanken lag der eigentliche Frachtraum, dessen Eingangsöffnung konnte bei Bedarf mit einer mit Pech und Werg wasserdicht gemachten Klappe verschlossen werden. Im Frachtraum konnte man sich nur gebückt bewegen, was besonders beim Verladen oder Entladen von Gütern nicht unbedingt angenehm war. Die Besatzungen setzten sich aus dem Kapitän, zwei Steuerleuten und zwanzig Matrosen, respektive Rudersklaven zusammen. Dadurch wurden die Platzverhältnisse natürlich äußerst eng, aber diese Mindestanzahl von Leuten wurde benötigt, um die Boote bei Flauten oder Gegenwind notfalls durch Rudern vorwärts bewegen zu können. Den freien Seeleuten war am Ende jeder Fahrt ein im Voraus festgelegter Lohn sowie ein ausgehandelter Anteil am erzielten Gewinn zugesichert worden. Den Tüchtigsten unter den Sklaven winkte bei Rückkehr ein Freibrief, der ihnen einen Ausstieg aus ihrem harten Dasein erlaubte. Das Leben an Bord wickelte sich hauptsächlich auf Deck ab, da der Laderaum beinahe ausschließlich für die Lagerung der Handelsgüter benötigt wurde.

Mein Vater Aiakos war ein erfahrener und weit herum respektierter Kaufmann und Seefahrer. Bisher hatte er vorwiegend mit Zinn gehandelt, welches in den phönizischen Handelsstädten im Osten eingekauft wurde sowie dem anderswo begehrten einheimischen Kupfer. Die beiden Metalle wurden benötigt, um die, trotz des Aufkommens des schwarzen Eisens, nach wie vor sehr begehrte Bronze herzustellen. Bronze konnte für vieles verwendet werden, aber in diesen unsicheren Zeiten stand wohl die Herstellung von Waffen im Vordergrund. Bronzene Schwerter, Speer- und Pfeilspitzen galten immer noch als härter und langlebiger als jene aus Eisen. Je nach Bestimmungsort einer Fahrt wurden auch einheimisches Zedern- und Pinienholz, Olivenöl, der süße Wein der Insel sowie Töpfereierzeugnisse geladen. Vom Festland im Osten drängte speziell Eisen auf den Markt und Vater überlegte sich, ob er im Verlaufe der kommenden Reise nicht versuchen sollte, einen größeren Posten dieses Metalls für Polydoros, den Schmied, einen seiner Brüder, zu kaufen. Onkel Polydoros hatte sich in Hafennähe, allerdings ein wenig vorborgen in einem Pinienhain, eine größere Schmiede aufgebaut. Den Bedürfnissen der unsicheren Zeit folgend, stellte er in erster Linie Schwerter, Lanzen- und Pfeilspitzen, indes auf Bestellung ebenfalls Pflugscharen oder sogar Schmuck her. Dies waren Güter, mit denen man gegenwärtig die ertragreichsten Geschäfte machen konnten. Es waren aber auch Waren, hinter denen die Piraten her waren.

Inzwischen war ich unter den gestrengen Blicken meines Vaters an der Mole, wo die Hesione, Teukros und Aias vertäut lagen, angekommen. Vater sagte nichts, aber ich fühlte, dass er mich schon um einiges früher erwartet hatte. Ich tat indes so, als ob nichts wäre und fragte nach einem kurzen Gruß, wo ich mich nützlich machen könnte. Kurz angebunden verwies er mich an Deimos, den Führer der Teukros. Deimos war ein überdurchschnittlich großer und sehr kräftig gebauter Mann mit blauen Augen und einem scharfgeschnittenen, von Wind und Wetter gebräunten Gesicht. Sein langes, kastanienbraunes Haar wurde durch ein geflochtenes und mit Silberfäden verziertes Lederband gebändigt. Wenn ich vor Deimos stand, reichte ich ihm gerade bis zu seinen Schultern. Auf See unterschied sich seine Kleidung kaum von derjenigen der übrigen Besatzung; indes, aufgrund seiner Ausstrahlung und seiner natürlichen Autorität war er unter der Mannschaft unschwer als die bestimmende Kraft auszumachen. Von seinen Männern wurde er geachtet und respektiert, aber im Versteckten zugegebenermaßen auch ein wenig gefürchtet. Er war ein enger Freund meines Vaters, jedoch, wenn ich es mir genau überlegte, wusste ich eigentlich nichts über seiner Herkunft. Zudem sprach er einen völlig anderen hellenischen Dialekt als die einheimische Bevölkerung auf Alashia. Vor Jahren hatte mir Mutter mal erzählt, dass Vater Deimos von einer seiner Reise mitgebracht und ihn als guten Freund vorgestellt hatte. Über seine Abstammung, Familie oder was auch immer hätte er indessen nie etwas verlauten lassen. Dadurch, und insbesondere aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten, umgab ihn, vor allem bei uns Jugendlichen, eine Aura des Geheimnisvollen. Trotz oder gerade wegen seines ruhigen Wesens mochte ich Deimos sehr. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit und soweit ich mich zurückerinnere, hat er sich immer, wenn es seine Zeit erlaubte, um mich und meine Geschwister gekümmert. An langen Winterabenden, seit langem verbrachte der die kühle Jahreszeit in unserem Gutshaus, erzählte er mir und meinen Geschwistern spannende Geschichten über Völker und Länder, von denen ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Von ihm lernte ich schon von klein auf, mit Pfeil und Bogen umzugehen. Sein Bogen, es war eine sehr alte, indes prächtig gearbeitete Waffe, weckte logischerweise meine kindliche Neugier und ich fragte ihn öfters, wie er an diese Waffe gekommen wäre. Eine Antwort habe ich allerdings dazumal nie erhalten. Der eigentliche Bogen bestand aus einem mir unbekannten dunklen Holz und war gegen die Mitte hin durch Hornplatten verstärkt; der reich verzierte Handgriff war seinerseits aus reinem Silber gefertigt. Zudem war die Waffe unheimlich schwer zu spannen, nicht einmal Vater konnte damit vernünftig schießen. Deimos hingegen traf noch auf weit entfernte Ziele mit einer schon fast unheimlich anmutenden Treffsicherheit. Ein anderes Merkmal der Waffe war, dass Deimos sie jeweils gegen die natürlich Beugung des Holzes spannte.

Meine Eltern und Deimos hatten während der drei letzten Winter mit aller Strenge damit begonnen, mich und meine Geschwister im Lesen, Schreiben und Rechnen zu unterrichten. Zudem brachte Vater Kleitos und mir die ersten Grundbegriffe der phönizischen Sprache bei. In freien Stunden durften mein Bruder und ich, zusammen mit Deimos, manchmal die Wälder nahe unserem Dorf durchstreifen. Bei diesen Gelegenheiten jagten wir jeweils Hasen, Wachteln oder was uns eben vor den Bogen geriet. Wir lernten aber auch viel Nützliches über Pflanzen, Kräuter und Früchte, welche die Erdgöttin Demeter im Überfluss in der Natur gedeihen ließ. Es war ebenfalls Deimos, der uns Kindern spielerisch das Schwimmen und Tauchen beibrachte, sodass wir bald mit den zutraulichen Delfinen wetteifern konnten. Hiram, der Kapitän der Aias, setzte bei seinen Anwesenheiten in unserem Haus den von Vater begonnenen Unterricht in phönizischer Sprache fort. Hiram selbst war phönizischer Herkunft und stammte aus Kition einer Stadt, die etwa vierhundert Stadien westlich von Nea Salamis liegt. Wie Deimos war auch Hiram ein guter Freund und Vertrauter meines Vaters.

Morgen würde ich Vater erstmals auf einer seiner Handelsfahrten begleiten, mit dem Ziel, rechzeitig alles Wichtige und Notwendige für meine Zukunft als Seefahrer und Händler zu lernen. Für die Dauer dieser Reise wurde Deimos von Vater als mein Lehrer und Kapitän bestimmt. Als Vater mir dies mitteilte, wies er mich in aller Strenge darauf hin, dass ich Deimos in allen Situationen bedingungslos zu gehorchen und mich jederzeit seinen Anordnungen unterzuordnen hätte. Damit wurde ich ein Mitglied der Mannschaft der Teukros.

Als ich am Ende der kalten Jahreszeit vierzehn Jahre alt geworden war, fand Vater, dass es für mich an der Zeit wäre, etwas Vernünftiges zu tun und mich an den Ernst des Lebens heranzutasten. Meine Mutter Demeter, welche von der fernen Insel Kreta stammte, fand es sei wohl noch etwas gar früh für mich, in die große, gefährliche Welt hinaus zu fahren. Zu meiner Freude ließ sich Vater indessen nicht mehr umstimmen. Natürlich war ich auf die bevorstehende Fahrt gespannt wie ein Flitzebogen und konnte es kaum erwarten, bis es endlich losginge. Mit klopfendem Herzen stellte ich mir vor, welche Abenteuer ich zu bestehen hätte und freute mich unheimlich darauf, all die neuen Länder und Gegenden kennen zu lernen. Damals konnte ich selbstverständlich noch nicht wissen, was mir alles bevorstand.

Deimos befehlsgewohnte Stimme weckte mich unsanft aus meinen Träumereien und er gab mir Anweisung, die mir zugedachten Arbeiten in Angriff zu nehmen. Als erstes musste ich im Hinterschiff aller drei Boote Kohlenbecken einrichten, um unterwegs auch auf dem Schiff warme Mahlzeiten zubereiten zu können. Diese Vorrichtung wurde an einem bronzenen Dreifuß, der auf den Planken gut verankert werden musste, befestigt. Nach Erledigung dieser Obliegenheit wurde deren Ausführung vom Kapitän genauestens kontrolliert. Er machte mich auf verschiedene Kleinigkeiten aufmerksam, die noch zu verbessern waren, aber im Großen und Ganzen schien er mit mir zufrieden zu sein. Nach einer kurzen Essenspause, Mutter hatte für uns Fladenbrot, Zwiebeln, Oliven und kaltes Fleisch als Verpflegung bringen lassen, gingen die Vorbereitungen für die bevorstehende Wegfahrt weiter.

Mein künftiger Kapitän beauftragte mich nun, die mitzuführende Verpflegung möglichst wetterfest im Schiffsbauch zu verstauen und zwar so, dass sie einigermaßen in Reichweite der Kochstelle lagen. Infolge dessen stapelte ich unter anderem mehrere Säcke Dinkelmehl, getrocknete Erbsen, Bohnen und massenhaft Zwiebeln sowie Krüge mit schwarzen, eingelegten Oliven in die entsprechenden Stauräume. Dazu kam getrockneter Fisch, geräucherter Speck, einige Amphoren Wein und ein großer Wasserbehälter, welchen ich vor dem Verlassen des Hafens noch mit frischem Quellwasser füllen musste. Zudem war es von großer Wichtigkeit, immer über einen genügend großen Vorrat an Getreidekörnern sowie Hefe zu verfügen, sodass jederzeit das unentbehrliche Bier für die Besatzung gebraut werden konnte. Unterwegs war Bier, neben Brot und Fisch das wohl wichtigste Nahrungsmittel. Man musste einzig dafür sorgen, dass man es nicht zu lange stehen ließ, da mit zunehmendem Alter der Alkoholgehalt zunahm. Der eingelagerte Proviant musste mit einer in Pech getränkten Plane zugedeckt werden, um sie so vor eindringendem Wasser zu schützen. Deimos erklärte mir, dass auf einem Schiff vor allem die Frischwasservorräte absolut unentbehrlich und kostbar wären, vor allem dann, wenn man in eine Flaute geriet oder sonst aus bestimmten Gründen nicht an Land gehen konnte. Außerdem wies er mich an, einige Angelschnüre mitzunehmen, damit wir mit den gefangenen Fischen eine willkommene Abwechslung in die ansonsten eintönige Kost bringen könnten. Ein weiterer Bruder meines Vaters, der weit herum als Heilkundiger wirkte, gab uns den Rat, wann immer möglich Äpfel oder andere frische Früchte mit auf See zu nehmen; damit könnten den in jener Zeit weit verbreiteten Mangelkrankheiten vorgebeugt werden.

Erwartungsgemäß bemerkte ich Im Dunkel des Laderaumes nutzungsbereite Waffen für alle Mannschaftsmitglieder. Da lagen Bogen und dazugehörende Pfeile, kurze Schwerter, scharfe bronzene Messer aber auch Enterhaken, einzelne Streitäxte sowie Lanzen. Auf allen drei Schiffen waren darüber hinaus Amphoren mit flüssigem Erdpech geladen worden. Dieses zähflüssige schwarze Etwas konnte man verwenden, um Brandpfeile zu verschießen. Brände, die durch diese klebrige Masse verursacht wurden, waren nur schwer wieder zu löschen und konnten bei den getroffenen Zielen große Schäden anrichten. Mein Vater ließ also jegliche Vorsicht walten und so waren wir für viele Eventualitäten gewappnet. Ich nahm mir vor, auch meinen von Deimos geschnitzten Bogen mit an Bord zu nehmen.

Ich bewunderte die aus freien Männern sowie besonders ausgewählten Sklaven bestehenden Mannschaften und staunte, wie sie ihre Pflichten, wie beispielsweise das Verladen der Handelsware gekonnt und speditiv erledigten. Dabei hoffte ich, selbst bald soweit zu sein, als vollwertiges Besatzungsmitglied alle an Bord anfallenden Arbeiten ausführen zu können. Meine gegenwärtigen Beiträge kamen mir, ehrlich gesagt, doch eher bescheiden vor. Mit den letzten Handgriffen und dem Aufrollen der rechteckigen Segel neigte sich der Tag langsam seinem Ende entgegen. Abschließend überprüften die Kapitäne, ob die Fracht korrekt verladen und vor allem so festgezurrt war, dass auch bei rauer See oder einem Sturm nichts durcheinander geraten konnte.

Die Schiffsführer ließen eine Wache bei den Booten zurück und nahmen anschließend, zusammen mit ihren Steuerleuten, den Weg hinauf zu unserem Haus unter die Füße. Vor der Abfahrt hatte Vater sie eingeladen, den Beginn der Reise und den Abschied von den Familien mit einem festlichen Essen zu begehen. Die freien Besatzungsmitglieder waren ebenfalls eingeladen worden, wobei eine Mehrheit von ihnen es vorzog, den letzten Abend im Kreise ihrer Lieben zu verbringen. Mutter hatte eine Gemüsesuppe, mit frischen Kräutern und Knoblauch gewürztes Lamm am Spieß, gekochtes Frühlingsgemüse, viel Brot sowie genügend Wein und Wasser aufstellen lassen. Auf unserem Hausaltar brachte Vater zu Beginn der kleinen Feier Poseidon, dem Gotte der Meere und Flüsse, ein Opfer, bestehend aus dem Blut sowie den minderwertigeren Teilen der für diesen Anlass geschlachteten Lämmer dar. Er schaute mit ernster Miene den in Richtung des nächtlichen Himmel entschwindenden Rauchschwaden hinterher. In seinem Gebet bat er um eine erfolgreiche Reise und eine heile Heimkehr. Die üppige und wohlschmeckende Mahlzeit wurde an mehreren, im Garten vor unserem Haus aufgestellten Tischen eingenommen. Die Sklaven unter der Mannschaft wurden im dunklen Schatten der Bäume hinter dem Hause verpflegt, wobei ihre Kost etwas karger ausfiel. Vater schickte zwei Leute in Begleitung meines jüngeren Bruders Kleitos zu den Booten, um auch den Wachen ihr Essen zukommen zu lassen. Nach dem delikaten Schmaus räumte das Gesinde das Geschirr ab. Danach zogen sich auch Mutter und Aglaia ins Innere des Hauses zurück. Im Lichte funkensprühender Fackeln wiederholte Vater gegenüber den Mannschaften nochmals alles, was in aller Frühe noch zu tun wäre und entließ danach die Leute, damit sie noch über genügend Ruhezeit verfügen konnten. Nicht ohne Stolz ging mir durch den Kopf, dass auch ich nun zur Besatzung von Vaters Frachtern gehörte.

Ich rief mir zum wiederholten Male ins Gedächtnis, dass wir als ersten Hafen die phönizische Stadt Tyros an der levantinischen Küste anlaufen würden. Dort war vorgesehen, möglichst viel Zinn und je nach Angebot auch Eisen sowie weißes Leinen einzukaufen oder gegen verschiedene, in den Bäuchen unserer Boote geladenen Waren einzutauschen. Im Anschluss daran war beabsichtigt, zurück nach Kyprou zu segeln und in der mehrheitlich von Phöniziern bewohnten Stadt Kition das in Tyros eingehandelte Eisen an den Mann zu bringen. Von Hiram hatten wir erfahren, dass unter den Schmieden Kitions Eisen gegenwärtig sehr begehrt war. Von Hirams Heimatstadt aus würden wir über Amathus und Paphos, später entlang der kleinasiatischen Küste, bis nach Rhodos Stadt oder Ialysos segeln. Dort würden wir versuchen, einen Teil unserer Kupfer- und Zinnvorräte zu einem möglichst hohen Preis abzustoßen, damit Frachtraum für neue Güter gewonnen werden könnte.

Nach der Wegfahrt aus Rhodos war geplant, Zakros im Südosten von Keftiu und zugleich die Heimatstadt meiner Mutter, anzusteuern. Sofern uns die Götter gewogen waren, würde ich daselbst erstmals in meinem Leben die Eltern meiner Mutter kennenlernen, natürlich vorausgesetzt, sie lebten noch. Von Keftiu, welches die Hellenen auch Kreta nannten, ginge es vorerst weiter nach Westen, um später einen nördlichen Kurs einzuschlagen. Falls die Zeit ausreichen würde, sah Vater vor, bis zur fernen, geheimnisumwitterten Insel Trinacria vorzustoßen. Soweit von der Zivilisation entfernt versprach er sich besonders gute Geschäfte, wobei ich meine leisen Zweifel hatte, ob dieses Eiland überhaupt existierte oder nur Seemannsgarn war. Dies waren momentan unsere Vorstellungen, aber ob auch alles so ablaufen würde, war von vielen unberechenbaren Einflüssen wie Wind und Wetter abhängig. In Anbetracht, dass Handelsware aus Alashia überall begehrt war, konnten unsere Vorhaben jederzeit neuen Gegebenheiten angepasst werden, ohne dabei größere Verluste in Kauf nehmen zu müssen.

Die restlichen Stunden meines für lange Zeit letzten Abends zuhause flogen nur so dahin und bald schickte Vater mich schlafen, weil ich am frühen Morgen ja noch die Wasserbehälter aufzufüllen hatte. Bevor ich mich schlafen legte, schloss mich Mutter in ihre Arme und drückte mich fest an sich. Sie verlor keine Worte, aber ich fühlte, sie machte sich große Sorgen um ihren Ältesten und war zwischen Stolz und Traurigkeit hin und her gerissen. Mein Schlaf war kurz und leicht. In meiner Aufregung war ich schon munter, als Vater mich bei Tagesanbruch wecken wollte. Selbstverständlich waren auch Mutter und meine Geschwister schon aufgestanden, um uns gebührend zu verabschieden. Ich umarmte meine Lieben inniglich, dabei fiel mir das Sprechen schwer, weil ich das Gefühl hatte, einen Kloß im Hals zu haben und war, ohne mich dafür zu schämen, den Tränen nahe. Das Letzte, was ich hörte war, wie mir meine Geschwister nachriefen, ich solle ihnen etwas Schönes von der Reise mitbringen. Ohne noch einmal zurückzuschauen lief ich den Weg hinunter zum Hafen und begann, mit Hilfe der Wachen, die Wassergefäße an Bord aufzufüllen. Dazu verwendeten wir auf einer Seite zugenähte Schläuche aus Ziegenleder. Um die großen Krüge zu füllen, mussten wir den Weg von der Quelle zu den Booten so oft gehen, dass mir schon bald die Arme wehtaten. Zuletzt deckten wir die Behälter mit einem hölzernen Deckel zu, so konnte man vermeiden, dass Staub, Salzwasser oder anderer Schmutz in die Gefäße gelangen konnten.

Als die Sonne am Horizont, am äußersten Rande des wunderbar blauen Meeres aufging, waren die Kapitäne und Mannschaften vollständig auf der Mole versammelt. Die Männer waren noch damit beschäftigt, ihre wenigen persönlichen Habseligkeiten an Deck zu verstauen, als Vater uns zu einer letzten Befehlsausgabe zusammenrief. Danach ging es endlich an Bord. Die Steuermänner senkten ihre beiden Ruder zu Wasser, doch die vorsorglich bereits hochgezogenen Segel hingen wie nasse Säcke an den Masten. Infolge dessen mussten die Besatzungen, darunter auch ich, an die Ruder, mit dem Ziel, möglichst schnell offenes Wasser zu gewinnen. Also pullten wir in dem vom Steuermann vorgegebenen Takt von der Küste weg und es dauerte nicht allzu lange, bis meine Hände zu schmerzen begannen; indes ich hütete mich zu klagen, wohlwissend, dass es mir nichts nützen, bestenfalls Spott seitens der Mannschaft einbringen würde. Doch dann, den Göttern sei es gedankt, in einer Entfernung von fünf bis sechs Stadien vom Lande entfernt, gerieten die Boote in eine genügend starke Brise, sodass die Segel gesetzt werden konnten. Jetzt endlich konnte die Reise beginnen.

Tyros

Ich saß im Bug der Teukros und ließ meine Beine über die Reling baumeln. Mit frischem Wind segelten wir der Küste entlang in Richtung Osten. Bereits konnte ich hinter feinen Dunstschleiern noch die Umrisse von Nea Salamis erkennen. Ich bewunderte die Aussicht auf die Stadt, wie sie im hellen Sonnenschein glitzerte, und staunte, wie weit sie sich in letzter Zeit nach allen Seiten ausgedehnt hatte. Bald entschwand auch sie meinen Blicken. Vor uns lag nun die Halbinsel des Karpassgebirges. Die Ansicht der Küste erschien mir sehr abwechslungsreich; Klippen mit dunklen Höhlen und ausgewaschenen Spalten wechselten ab mit sanftgeschwungenen Buchten, welche schon kurz hinter den Stränden in blühende Wiesen und hellgrün sprießende Nadelgehölze übergingen. Neben den dunkelgelben Flecken der unzähligen Mimosensträucher fielen die ebenfalls mit gelben Ackerwucherblumen bewachsenen Grünflächen sowie der leuchtend rote Mohn in die Augen. Ich dachte bei mir, dass Alashia während der kurzen Zeit des erwachenden Frühlings am schönsten war. In der Gegend von Nea Salamis und dem weiter im Inneren gelegenen Enkomi war auffallend, wie gelichtet dort die anderswo noch dichten Pinien- und Zedernwälder standen. Laut meinem Vater waren diese Wälder schon mehrere Male abgeholzt und wieder aufgeforstet worden. Das geschlagene Holz wurde jeweils für die Gewinnung von Holzkohle verwendet; diese wurde bekannterweise für die Erzeugung von Bronze bebraucht und bildete nach wie vor eine der Grundlagen für den Wohlstand in meiner Heimat.

Jäh wurde ich aus meiner Geistesabwesenheit gerissen, als Deimos mir zurief, ich solle den Steuermann kurz ablösen, da er etwas mit ihm zu besprechen hätte. Im Heck schärfte mir jener mit drohender Stimme ein, ja den Kurs zu halten, sonst würde es was setzen. Dies war leichter gesagt als getan, denn unsere Schiffe waren sowohl Steuer- als auch Backbord mit je einem Steuerruder ausgerüstet und diese lagen gut eine Mannslänge voneinander entfernt. Insbesondere musste man immer auf der Hut sein, nicht etwa den in unregelmäßigen Abständen vom Lande her wehenden Fallwinden zum Opfer zu fallen, ansonsten konnten die Boote unversehens auf ein Riff geworfen und beschädigt werden. Glücklicherweise bemerkte ich, dass Kastor, unser Steuermann, eines der Ruder mit einem Strick an der Reling festgezurrt hatte, was mir ermöglichte, die Teukros mit nur einer Stange zu führen. Indes, schon nach einer kurzen Weile rief mir Deimos zu, ich solle mich gefälligst aufs Steuern konzentrieren und fuhr fort, ich wäre nicht an Bord, um die Aussicht zu genießen. Bei diesen Worten schaute er mich derart strafend an, dass ich mich schleunigst nur noch damit beschäftigte, seinem Befehl nachzukommen.

Die Teukros fuhr zwischen Vaters und Hirams Booten, was mir erlaubte, den Kurs jeweils der vor uns segelnden Hesione anzupassen. Ich sah, dass mich Vater von der Hesione aus beobachtete und hoffte, dass er an meiner Tätigkeit nichts auszusetzen hatte. Nach einiger Zeit kam der Steuermann zurück, brummte etwas und nahm die Ruder wieder in seine Hände. Deimos wies mich an, im Kohlenbecken Feuer zu entfachen und die Holzkohle zur Glut zu bringen. Wenn ich soweit wäre, soll ich damit anfangen, genügend Brotfladen für einen ganzen Tag zu backen. Zu meiner Schande stellte ich fest, dass sowohl auf der Hesione als auch auf der Aias schon Rauchkringel zum Himmel aufstiegen. Die für die Verpflegung verantwortlichen Matrosen waren dort so schlau gewesen, sich noch an Land mit glühenden Kohlen einzudecken. Während sie von den anderen Schiffen mitfühlend, oder doch eher mit etwas Schadenfreude meinen Bemühungen zuschauten, war ich bestrebt, mit den mitgebrachten Feuersteinen und einem Bausch brennbarer Steinwolle das Feuer zu entfachen. Beifallheischend sah ich mich um, als schon nach kurzer Zeit der Zunder zu glimmen begann und ich mit Hilfe einiger feiner Späne das Feuer zum Brennen brachte. Indes schien meine Leistung die Besatzung nicht besonders zu beeindrucken, da Deimos mich anknurrte, endlich mit der Brotzubereitung zu beginnen. So buk ich denn Fladen um Fladen und legte sie auf einer sauberen Unterlage vor mir auf Deck zum späteren Verzehr bereit. Als endlich in genügender Anzahl Brote bereitlagen, stellte ich einen Topf mit eingelegten Oliven, in Viertel geschnittene Zwiebeln, Würfel von Schafskäse sowie haufenweise getrocknete Feigen dazu. Die Männer aßen ihre einfache Mahlzeit, wo sie sich gerade aufhielten, während ich dem Kapitän und dem Steuermann ihre Kost ins Heck brachte.

Ich bemerkte kaum, wie die Zeit verging und bald stand die Sonne schon tief am westlichen Horizont. Bereits seit mehr als einer Stunde befand sich die Küste von Alashia außerhalb unserer Sichtweite, aber eine angenehme Brise brachte uns auf dem eingeschlagenen Kurs stetig voran. Nach einem wunderschönen Sonnenuntergang bestimmte Deimos die Wachposten für die Nacht. Zusammen mit einem erfahrenen Matrosen wurde ich für die letzte, jene bis zum Morgengrauen dauernden Ablösung eingeteilt. Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich eine derartige Tätigkeit bis zum heutigen Tage noch nie ausgeführt. Beim Erscheinen des Abendsternes schickte man mich schlafen. Aber noch bevor ich mich auf Deck hinlegte, wurde ich von Deimos darauf hingewiesen, während meiner Wache Augen und Ohren offen zu halten. Einmal mehr bekam ich zu hören, dass die Piraterie während der Monate des vergangenen Herbstes zugenommen hätte und der Aufenthalt auf dem Meer dadurch wieder gefährlicher, ja lebensbedrohlicher geworden wäre. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit könnte verheerende Folgen haben und mit Sklaverei oder gar dem Tode enden. Nichts davon wäre für mich noch für die Anderen erstrebenswert, also solle ich mein Verhalten dementsprechend ausrichten. Ich sah noch, wie der ersten Wachablösung Waffen ausgegeben wurden und muss bald darauf eingeschlafen sein.

Ich träumte eben noch, wie ich mich mit meinem Bruder im Hafen von Halepi vergnügte, als jemand mich unsanft aus dem Schlafe riss und mit einem Ruck die Decke wegzog. Es war einer der Männer, dessen Wache eben zu Ende gegangen war. Er sagte mir, dass mein Kollege schon am Steuer stehen würde, und dass ich mich schleunigst dorthin begeben sollte. Mit diesen Worten legte er sich auf die Planken und war auch schon eingeschlafen. Missmutig und verschlafen trollte ich mich nach Achtern und fragte die Steuerwache, was ich zu tun hätte. Mürrisch wies er mich an, nach vorn in den Bug zu gehen und dort Augen und Ohren offen zu halten. Jede Unregelmäßigkeit, jedes verdächtige Geräusch müsste ihm unverzüglich gemeldet werden, sonst könnte ich was erleben. Eingeschüchtert beschloss ich, seinen Worten nachzukommen, denn auf eine Ohrfeige von meinem älteren Gefährten konnte ich gut verzichten. Vorsichtig stieg ich über die Schlafenden hinweg und begab mich in den vordersten Teil des Bootes, von wo aus man im fahlen Lichte der Sterne den besten Überblick hatte. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich schaute in die Unendlichkeit des Meeres hinaus. Zu meiner Beruhigung segelten die Hesione und Aias fast auf einem Parallelkurs und waren so jederzeit in unserer Rufweite. Es war eine klare, indessen kühle Nacht, alle mir bekannten Sterne und Sternbilder waren klar zu sehen; ja, ich konnte sogar die Wachen auf dem Deck der Hesione erkennen. Schleppend vergingen die Stunden, ich wurde langsam wieder schläfrig und musste mich anstrengen, die Augen offen zu behalten. Aber ich hatte immer noch die Drohung des Mannes am Steuer in den Ohren und ich zwickte mich von Zeit zu Zeit kräftig in den Arm, um nicht aus Versehen doch noch einzuschlafen.

Schließlich begannen sich am östlichen Rand der See blassrote Streifen abzuzeichnen, ein sicheres Zeichen, dass die Sonne bald aufgehen würde. Als ich mich der Schönheit eines Sonnenaufgangs auf See ein wenig hingeben wollte, hörte ich im Luv der Teukros ein Geräusch, das sich wie plätscherndes oder spritzendes Wasser anhörte. Ich schrak auf, geriet beinahe in Panik und lief ins Heck, um meine Wahrnehmung der Steuerwache zu melden. Zusammen stellten wir fest, dass das Geräusch immer näher kam. Mein Gefährte signalisierte der Wache der Aias, die dichter an den verdächtigen Lauten dahinsegelte, dass etwas in unserem Rücken auf uns zukäme. Inzwischen war es bereits heller geworden. Mir stockte der Atem als ich erkennen konnte, dass sich mit einem Male achtern ein größeres Schiff näherte. Verängstigt sah ich, wie auf dem Deck des aufschließenden Schiffes bewaffnete und mit Harnischen gewappnete Männer standen. Indessen, auch auf unseren Schiffen waren nach dem Alarm die Besatzungen auf ihre vorbestimmten Verteidigungspositionen geeilt. In meiner Aufregung hatte ich nicht mal bemerkt, wie Waffen ausgegeben worden waren und jedermann, ausgenommen mir, genau zu wissen schien, wie man sich in einem solchen Falle zu verhalten hatte. Inmitten dieser spannenden Situation rief mir Deimos zu, mich schleunigst unter Deck zu verziehen und mich darauf vorzubereiten, im Notfalle das Schiff zu verlassen. Schmollend kletterte ich in den Laderaum, suchte dort meine Waffen zusammen und legte sie in Reichweite bereit.

Doch schon nach wenigen Augenblicken ertönte von der Aias die weittragende Stimme von Kapitän Hiram zu uns herüber. Er rief das fremde Schiff in phönizischer Sprache an und erhielt umgehend Antwort. Erleichtert erkannte ich, wie sich die Lage in Kürze entspannte und folglich wagte ich mich wieder an Deck. Es stellte sich heraus, dass es sich beim fremden Schiff um einen Händler aus Sidon handelte, welcher sich auf dem Weg in seine Heimatstadt befand und Hiram schon auf früheren Reisen begegnet war. Die Kapitäne beschlossen, aus Sicherheitsgründen die Strecke bis Sidon gemeinsam zu segeln, von dort aus wäre es für uns ein Leichtes, bis in das knapp zweihundert Stadien südlicher gelegenen Tyros weiterzufahren.

Mein zweiter Tag an Bord der Teukros war nach den Aufregungen am frühen Morgen schon so etwas wie Routine. Ich verrichtete die mir zugewiesenen Arbeiten mit Fleiß und gutem Willen, wurde aber trotzdem öfters korrigiert oder vereinzelt auch gescholten. Es gab Matrosen, welche bei der Verteilung der Gabe Geduld wohl nicht anwesend gewesen waren. Von diesen Männern bekam ich einiges zu hören, wobei der Spruch, ich hätte zwei linke Hände, noch das Gnädigste war. Zu meinem Leidwesen ließ der Kapitän die Grobiane gewähren und, was ich als noch gemeiner empfand, er grinste über jeden faulen Spruch, der meiner Person zugedacht war. Unter solchen Bedingungen wurde mir bereits frühzeitig bewusst, dass ich nicht als Söhnchen des Schiffeigners, sondern als Lehrling auf unterster Stufe auf dieser Fahrt zugegen war.

Zwischendurch versuchte ich immer wieder, einen Blick vom phönizischen Boot zu erhaschen. Dieses segelte elegant neben der Aias und ich stellte mit Bewunderung fest, dass die Mannschaft auf dem fremden Boot ihre Arbeiten mit großer Erfahrung und scheinbar spielend erledigte. Am Horizont in Richtung Sonnenaufgang nahm ein sichtbar gewordener dunkler Streifen langsam festere Konturen an. Deimos klärte mich auf, dass es sich bei diesem Strich um die asiatische Festlandküste, nahe der Stadt Beritus, handeln würde. Südlich von Beritus, eine der ältesten der phönizischen Städte, würde als nächstes Sidon und anschließend Tyros ich Sicht kommen, freilich würde dies noch eine Weile dauern. Zu unserem Vorteil trieb uns der Wind südostwärts und fast spielerisch brachten wir so Stadion um Stadion hinter uns. Ich beobachtete, wie sich die Hesione der Aias näherte und Vater kurz mit Hiram sprach. Danach steuerte die Hesione auf uns zu und ging so nahe wie möglich längsseits. Vater erklärte Deimos, dass wir uns nicht mehr weiter Sidon annähern, sondern auf südlichem Kurs direkt Tyros ansteuern sollten. Die Beiden diskutierten noch eine Weile miteinander; indessen, ich konnte, neugierig wie ich war, nicht mehr alles mitbekommen, weil der Steuermann mir befahl, ihm beim Umlegen der Steuerruder behilflich zu sein.

Vom Vorderschiff aus war Sidon jetzt gut zu sehen. Die Stadt lag am südlichen Ende einer langgezogenen Bucht, wo sich offensichtlich auch der, durch künstlich angelegte Wellenbrecher geschützte Hafen des Ortes befand. Im Hinterland erhoben sich dicht bewaldete Hügel und weiter entfernt waren gerade noch die Umrisse eines parallel zur Küste verlaufenden Gebirgszuges zu erkennen. Kastor, unser Steuermann, erklärte mir, dass in diesen Bergen die für den Schiffsbau so begehrten Zedern und Pinien wachsen würden. Ich fragte ihn, aus welchen Gründen wir nicht näher an die Stadt heranfahren könnten, worauf er antwortete, dass es gemäß Vaters Aussagen mehrere Argumente gäbe. Einer davon wäre ein noch nicht allzu lange zurückliegender Überfall durch Piraten, während die Stadt geplündert und teilweise niedergebrannt worden war. Gegenwärtig befände sich dort alles im Wiederaufbau und Vater zog es vorsichtshalber vor, auf einen Besuch verzichten. Zudem wäre der sidonische König momentan gegenüber Fremden ziemlich misstrauisch und wir würden bei einer Landung das Risiko eingehen, dass große Teile unserer Ladung konfisziert werden könnten.