Echte Camper - Ella Kaspar - E-Book

Echte Camper E-Book

Ella Kaspar

0,0

Beschreibung

Ein großes Urlaubs-Dilemma Benni kann es kaum erwarten – er fährt das erste Mal mit seiner Familie im nigelnagelneuen Campingbus ans Meer! Papa hat ihm versprochen, dass das der beste Urlaub seines Lebens wird. Und der muss es wissen, schließlich war er damals als Zwölfjähriger auch im Campingbus unter-wegs. Das Problem ist nur: Campen entspricht so gar nicht Bennis Vorstellungen. Gelsen im Bus, Dreck im Bett, kein Klo weit und breit. Bald ist seine Toleranz ausgereizt: Ekelstufe 900! Für Benni beginnt ein Kampf: Einerseits will er sich nicht die Blöße geben und Papa enttäuschen. Andererseits bringt ihn diese ganze Campingsache an den Rand der Verzweiflung. Was soll er nur tun? In ihrem feinen Debut-Werk gelingt Autorin Ella Kaspar eine herzerwärmende Geschichte über die Beziehung zwischen einem in verklärten Erinnerungen schwelgenden Vater und seinem Sohn, der sich einfach schnell vor Vielem ekelt. Sie zeigt den Druck auf, den auch gut gemeinte Erwartungen manchmal machen und erzählt von der Erlösung klärender Gespräche, von Verständnis, Empathie sowie von dem Mut, zu sich selbst zu stehen. Mit frechem, interpretierendem Strich bringt Illustratorin Sonja Stangl Bennis verzwickte Situationen aufs Papier und zeigt so augenzwinkernd wie augenfällig, vor welch großen Hürden er zuweilen steht. Humorvoll und warmherzig – ein beeindruckender Kinderroman. Irgendwann platzt es aus Benni raus: "Ich hasse Campen!"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 162

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ella Kaspar | Sonja Stangl

ECHTECAMPER

Für meine Campingkinder Mira & Yannis.

Danke, dass ich das mit euch erleben darf!

2024

© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck

Umschlagbild: Sonja Stangl

Grafische Gestaltung und Satz: Nele Steinborn, Wien

Schrift: Frutiger Serif LT Pro, Uniform Condensed

Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien

ISBN 978-3-7022-4193-3 (gedrucktes Buch)

ISBN 978-3-7022-4194-0 (E-Book)

E-Mail: [email protected]

Internet: www.tyrolia-verlag.at

Social Media: Tyrolia Verlag Kinderbuch

Gefördert von der Stadt Wien, Kultur

Ella Kaspar

Sonja Stangl

ECHTE CAMPER

oder wie Benni Papas

Traumurlaub überlebte

Inhalt

1 LOS GEHT’S!

2 POLIZEI-EINSATZ

3 MEER, WIR KOMMEN!

4 VIEL MEHR MEER

5 CAMPINGHORROR

6 STURMALARM

7 IMMER WIEDER KLOPROBLEME

8 NEUSTART

9 CAMPINGPARADIES

10 GRIMASSENGRUSEL

11 LUXUSRETTUNG

12 NOTLÜGEN

13 SCHLAUCHBOOT-GLÜCK

14 GRILLPARTY

15 ABSCHIEDSWALZER

Bennis Ekelliste

Bennis Playlist

Annas Campingplatzwunschliste

1 LOS GEHT’S!

Wie ein vakuumverpacktes Würstel sitzt er hier. Eingequetscht zwischen seiner kleinen Schwester Anna und einer Mini-Küche.

Trotzdem ist Benni glücklich. Er thront im nigelnagelneuen Campingbus direkt in der Mitte der Rückbank. Mit perfektem Ausblick zur Windschutzscheibe raus.

Anna hat nur das rechte Seitenfenster. Sie rutscht so nah an Benni ran, dass ihr Atem seinen Hals kitzelt. Aber das stört ihn heute nicht.

»Alle bereit?« Papa sieht mit glänzenden Augen zu Benni und Anna.

»Jaaaaaa!«, jubelt Anna.

»Na dann: Los geht’s!« Er küsst Mama am Beifahrersitz und startet den Motor. Ein leises Brummen ertönt. Sie ruckeln über den Bordstein der Einfahrt und fahren die Wohnstraße entlang: Nachbarhäuser, Schule, Lieblingsmetzgerei Schrammböck mit den besten Pikantwurstsemmerln von ganz Wien, Spielplatz. Dort steht Sebs, Bennis bester Freund. Papa hupt zweimal und lässt die vorderen Fenster runter.

»Bis in drei Wochen!«, ruft Sebs. Er hüpft mit winkenden Armen auf und ab. Benni winkt zurück. Seine linke Schulter zuckt vor Aufregung wie verrückt. So muss sich Harry Potter gefühlt haben, als er das erste Mal im Hogwarts Express gefahren ist.

Papa hat Benni prophezeit: »Campen ist das Außergewöhnlichste, was einem Zwölfjährigen passieren kann. Du wirst so viel erleben! Das wird mit Abstand der beste Urlaub deines ganzen Lebens, genau wie bei mir damals!«

Er war als Kind mit Onkel Herbert in einem umgebauten Campingvan unterwegs. Damals war er auch zwölf.

Seit sie das mit dem Campingbus erfahren haben, redet Papa von nichts anderem mehr. Den hat er nämlich bei einem Gewinnspiel gewonnen. Mama war ursprünglich dagegen, dass Papa daran teilnimmt. »Niemand gewinnt bei Preisausschreiben, Schatz«, hat sie gesagt. »Die wollen doch nur deine Daten!« Aber Papa hat sich nicht davon abbringen lassen, den Gewinnschein mit zusammengekniffenen Augen abgebusselt und ihn dann in die Box geworfen.

Als sie den Gewinn drei Monate später in diesem Autohaus abgeholt haben, hat Mama immer wieder gemurmelt: »Unglaublich. Das ist wirklich unglaublich«, und abwechselnd Papa und den Bus getätschelt. Während Papa gestrahlt hat wie drei Sonnen gleichzeitig.

Und jetzt sitzen sie tatsächlich drin. In ihrem ganz eigenen Campingbus. »Campster!« steht in grau-weißer Schrift auf der Schiebetür. Wenn man die aufmacht, riecht alles neu.

Benni freut sich. Es wird bestimmt toll. Und lustig. Und abenteuerlich. Er hat noch nie in einem Campingbus übernachtet. In einem Zelt schon, aber erst einmal. Das war ihm damals zu ungemütlich und eng.

Anna steht hingegen voll auf Zelten. In einem Campingbus hat sie allerdings auch noch nie übernachtet. Glaubt Benni zumindest. Er würde ihr zutrauen, dass sie heimlich irgendwann, irgendwo in einen Camper reingekommen ist. Weil Anna immer irgendwelche schrägen Dinge macht. Fremde Häuser und Gärten ausspionieren oder Schatzkisten im Bach verstecken.

Anfang des Sommers ist sie drei Stunden zu spät nach Hause gekommen, da war es schon finster. Weil sie sich eingebildet hatte, am Dachboden der Nachbarn Fledermäuse beobachten zu müssen. Sie steht voll auf den ganzen Fledermaus- und Vampirkram. Woraufhin Mama den Urlaub fast abblasen wollte.

»Wenn ich mich nicht auf dich verlassen kann, machen wir keinen Campingurlaub!«, hat Mama gesagt. So sauer war sie. Papa hat sie dabei aber so schockiert angesehen, dass Mama sofort einen Rückzieher gemacht hat.

Benni war bis jetzt nur in Kärnten auf Urlaub. In der Pension Sonnblick am Ossiachersee, um genau zu sein. Dort kennt er die Zimmer und Betten, er weiß, dass das Essen schmeckt, und es gibt einen großen Swimmingpool.

Aber heuer wird alles anders. Heuer wird Benni ein richtiger Camper, wie die ganzen coolen Typen in den Youtube-Videos! Und er wird das erste Mal das Meer sehen.

Schwimmen wird er da drin aber sicher nicht. Das tut er weder im Ossiachersee noch in irgendeinem anderen Fluss oder Teich. Das tut er nur in sauberen Pools.

Vor dem Urlaub ist Onkel Herbert extra mit seinem VW California aus Kärnten angereist. Er hat Papa links und rechts auf die Wange geschmatzt und ihn dann ganz fest an seinen Bier- und Bohnen-Bauch gedrückt, so sehr hat er sich gefreut. Benni ist zwei Schritte zurückgewichen, damit er ihn nicht auch umarmen muss. Er mag Onkel Herbert wirklich gern, aber seine T-Shirts sind immer ein bisschen dreckig und miefen.

Jedenfalls hat ihnen Onkel Herbert alle seine Geheimtipps verraten. Benni hat ganz genau aufgepasst und sogar mitgeschrieben. Wie Oma Ludmilla ist er sich dabei vorgekommen. Die schreibt auch alles auf, was sie nicht vergessen will.

Onkel Herbert hat im Garten seine Campingausrüstung ausgepackt und jedes einzelne Ding erklärt. Deshalb sind im Kofferraum vier Metallkisten und keine Koffer. Eine mit Küchenzeug, eine mit Badesachen, eine mit warmem Gewand für kalte Nächte und eine mit Eltern-Kram.

»Die Kisten kannst du draußen stehen lassen, Lukas, da wird nichts feucht. I-de-al als Tisch, Sessel, Planenbeschwerer. Eine Plane brauchst du unbedingt, das sag ich dir gleich. Wegen dem Dreck.«

»Dreck!« – Benni hat damals schlucken und beim Schreiben innehalten müssen. Unbedingt wollte er Papa zu einer zweiten Plane überreden. »Du sagst doch selber immer: Doppelt hält besser!«, hat er argumentiert. Aber Papa hat abgewunken und gemeint, eine solche würden sie notfalls bestimmt unterwegs nachkaufen können. Seitdem hofft Benni, dass sich das mit dem Dreck in Grenzen hält.

Im Camper ist alles wie in einer Wohnung. Nur viel, viel kleiner und mit minimalem Stauraum. Wobei, das stimmt eigentlich nicht. Weil der Bus hat kein Klo und auch kein Bad. Nur das klitzekleine Waschbecken, das zum Küchenblock gehört. Es ist also gleichzeitig Abwasch und Waschbecken.

Wie das ohne Klo und Dusche funktionieren soll, weiß Benni nicht. Papa hat ihm versprochen, dass das kein Problem wird, weil es auf Campingplätzen Sanitäranlagen mit Duschen und Klos gibt. Trotzdem hat er Annas rotes Topferl von früher mitgenommen.

Für Benni ist das jedoch alles andere als beruhigend. Ganz im Ge-genteil! Allein beim Gedanken daran bekommt er Herzklopfen. Da sieht man ja alles! Und riecht es! Und muss es vielleicht auch noch herumtragen! Mindestens Ekelstufe 900 ist das. Wenn nicht sogar höher. Seine persönliche Ekelliste geht bis 1000. Was danach kommt, will er sich gar nicht vorstellen. Schnell schiebt er den Gedanken weg.

Außerdem sollte man mit 12 Jahren wirklich kein Topferl mehr benutzen müssen. Er wird einfach immer auf Campingplätzen aufs Klo gehen. Oder in Restaurants. Definitiv!

Mittlerweile sind sie aus der Stadt draußen und schon seit einer Weile auf der Autobahn. Bis auf das Gequetsche sitzt es sich gut hier. In Papas Steinzeitauto wird Benni bei jedem kleinen Kieselstein durchgerüttelt. Hier ist es eher wie bei der Wolfgangseeschifffahrt zu Oma Ludmillas 70er. Kein Schaukeln, kein Wackeln.

Beim Abholen vom Campingbus hatte Benni geglaubt, dass er extra viel Platz haben würde. Vor allem, weil Mama groß angepriesen hat: »Campen bedeutet Minimalismus«, und bestimmt dreimal darauf hingewiesen hat, dass sie nur das Wichtigste mitnehmen können.

Das ist jetzt ein bisschen anders. Bei den Füßen steht ein vollbepackter Schuhsack, darauf Bennis schwerer Rucksack, daneben der Korb mit Essensvorräten und Annas Spielzeugsack, links von Benni auf dem Glasdeckel vom Küchenblock liegen seine Ukulele, die Sommerjacken, Toiletttaschen und allerlei weitere Beutel und Sackerl und Zeug. Eigentlich eh logisch, weil in den Mini-Kästen ganz hinten nicht viel Platz ist. Dort hat jeder ein Mini-Fach für Gewand zugewiesen bekommen.

Benni kramt in seinem Rucksack: Taschenbücher, Comics, Desinfektionsmittel, Schmuggel-Süßigkeiten, Notizbuch, Feuchttücher, Kopfhörer … Er zieht die Landkarte heraus. Er könnte zwar auch am Handy nachschauen, aber auf der Karte hat er die komplette Route auf einen Blick. Er hat sie mit gelbem Leuchtstift markiert: Ungarn, Serbien, Nordmazedonien, Griechenland. Zwölf Stunden Fahrzeit sind es bis zur griechischen Grenze. Inklusive Übernachtung im Bus.

Kurz nach Budapest fährt Papa von der Autobahn ab.

»Zeit für eine Pause!«, sagt er und bleibt im Nirgendwo stehen. Hier sieht es genau so aus wie in Kärnten. Nur mit mehr Müll. Die Bäume rauschen, ein Bach plätschert, die Vögel zwitschern. Eigentlich schön.

Bennis Magen knurrt mitten in die Naturgeräusche. Mmmmm, eine Pikantwurstsemmel vom Schrammböck mit extra viel Gurkerl wäre jetzt super.

»Was gibt’s zum Essen?«, fragt er.

»Jause. Holst du den Käse aus dem Kühlschrank?«, bittet Mama, die sich die Beine vertritt.

Benni kramt in der Kühlbox zwischen den Vordersitzen. Den Käse und die Butter reicht er Mama. Außerdem findet er Salamisticks. Die öffnet er sofort und beißt kräftig ab.

»Benni, ich brauche deine Hilfe!«, ruft Papa verzweifelt. Benni stopft sich die restliche Salami in den Mund und stapft ums Auto.

Papa kämpft mit dem Campingtisch. Der klemmt im Kofferraum fest und lässt sich nicht rausziehen. Benni hebt die Abdeckplatte mitsamt der Faltmatratze an. Der Tisch knallt Papa aufs Schienbein. Er macht einen Hüpfer nach hinten und reibt sich die schmerzende Stelle. »Das müssen wir wohl noch üben«, stöhnt er.

Dann tragen sie gemeinsam den Tisch, die Campingsessel und die Alu-Küchenbox in den Schatten eines Baumes und bauen alles auf. Mama legt noch ein Geschirrtuch als Tischdecke drauf und Anna schmückt mit ein paar Gänseblümchen. Sieht gemütlich aus. Wie ein richtiges Luxus-Picknick.

Benni lässt sich in den gemütlichen Campingsessel plumpsen und streckt sich durch. Die Beinfreiheit tut gut. Sie weihen die neuen Plastikteller ein. Nur die Getränke trinken sie aus der Dose, weil die perfekt in die Getränkehalter der Campingsessel passen.

Nach dem Essen würde Benni am liebsten sofort weiterfahren. Er ist schon so gespannt auf die erste Nacht im Bus und noch mehr freut er sich auf Griechenland! Sebs war letzten Sommer dort und hat ihm ein paar Wörter beigebracht. Und er hat ihm von den Loukoumas vorgeschwärmt: »Das ist wie ein Donut, nur viiiiiieeel größer und mit massig Kristallzucker außen. Das knirscht richtig auf den Zähnen! Soooo gut!« Genau so etwas hätte Benni jetzt gerne.

Aber an Weiterfahren ist nicht zu denken. Mama macht noch Yoga, Anna sucht nach Kaulquappen im Bach und Papa sitzt bei weit geöffneter Schiebetür auf Bennis Platz. Er hat den Glasdeckel der Miniküche nach hinten geklappt. Verliebt schaut er der brodelnden Kaffeekanne am Gaskocher zu und seufzt: »Das. Ist. Freiheit.«

2 POLIZEI-EINSATZ

Bis Serbien sitzt Mama hinter dem Lenkrad. Jetzt geht es schneller voran. Immer, wenn Mama auf der Überholspur nach vorne zieht, räuspert sich Papa. Die Autobahnschilder sind hier zweisprachig. Benni ist begeistert. Er versucht, die fremden Schriftzeichen zu entziffern, und kommt sich dabei vor wie ein Forscher. Aber es gelingt ihm nicht. Zum Glück steht auch alles in den Buchstaben, die Benni von zuhause kennt.

»Das eine ist kyrillisch und das andere lateinisch«, erklärt Papa. »In Serbien gibt’s zwei Schriftsysteme. Kyrillisch ist eigentlich offiziell, aber …« Jaja, Benni hört nur mehr mit halbem Ohr zu und schaut weiterhin auf die Straßenschilder, die an ihnen vorbeisausen. Velika Plana kann er erkennen.

»Ich glaube, hier suchen wir einen Schlafplatz«, sagt Mama und setzt den Blinker. Mittlerweile dämmert es und Benni ist müde, obwohl er den ganzen Tag eigentlich nur gesessen ist.

Gleich werden sie irgendwo stehen bleiben und übernachten. Nicht auf einem Campingplatz, sondern eben IRGENDWO!

Benni findet das aufregend und gleichzeitig unheimlich. Weil ganz erlaubt ist es offenbar nicht, das Übernachten außerhalb von Campingplätzen. »Wild campen« nennt man das und in jedem Land ist das ein bisschen anders geregelt. Onkel Herbert meint, dass das in Griechenland eigentlich nicht kontrolliert wird, und in Serbien meistens auch nicht.

»Wenn ihr euch ordentlich aufführt, dann ist das überhaupt kein Problem. Da sind alle recht entspannt. Ich mach das schon seit Jahren so«, hat er erklärt und Papa auf die Schulter geklopft. »Wie damals, erinnerst du dich? Zum Übernachten sucht ihr euch einfach einen Sportplatz oder das Freibad. Oder Wiesen und Felder. Dort ist Platz und ihr fallt nicht auf.«

Mama biegt von der großen Hauptstraße ab, kurvt durch Wohnstraßen, fährt an Geschäften, kleinen Lokalen und einer Kirche vorbei. Die Häuser werden weniger, die Wiesen mehr.

Das letzte Stück knirschen sie über einen Schotterweg, bis Mama auf einer Wiese unter einem Baum stehen bleibt. Rundherum sind Felder. In einigen hundert Metern Entfernung stehen Villen mit Türmchen, perfekt geschnittenen Büschen und Gittern vor den Fenstern.

Papa starrt Mama mit weit aufgerissenen Augen an: »Wie hast du das jetzt gemacht?«

»Ähm … na ja … ich hab eine gute Intuition.«

Das ist geschwindelt! Benni hat Mama gestern Abend dabei beobachtet, wie sie heimlich auf Google Maps die Satellitenbilder der Strecke angesehen und Stellplätze zum Übernachten aufgeschrieben hat. Für eine Großpackung Mannerschnitten hat er versprochen, dass er Papa nichts verraten wird.

Benni klettert nach Anna aus dem Auto.

»Dann richten wir alles fürs Übernachten her!« Papa reibt sich die Hände und schaut sich um. »Womit starten wir?«

Benni will das Heft mit den Anleitungen aus dem Handschuhfach holen, da funkt Anna dazwischen: »Zuerst das obere Bett, Papi.« Sie klettert auf den Fahrersitz und öffnet die Sicherheitsschnallen oberhalb der Windschutzscheibe. Benni will die zweite Seite aufmachen, aber Papa kommt ihm zuvor: »Ui, warte, das wird euch zu schwer. Das mache ich mit Anna. Kümmerst du dich derweil bitte um das untere Bett?«

Also werkelt Benni mit der Rückbank rum. Zuerst montiert er die Kopfstützen ab. Er kann sich noch genau erinnern, wie es der Mann im Autohaus vorgezeigt hat. Benni will die Rückenlehne nach hinten klappen. »Geht ruckizucki«, hat der Typ gesagt.

Benni ruckelt und zieht. Ohne Erfolg. Dafür hört er, wie sich die Zeltplane mit einem Zischen öffnet und das Aufstelldach hochklappt. Das obere Bett ist also schon fertig. Noch einmal drückt Benni kräftig an. Irgendetwas stimmt hier nicht.

Da erkennt er, dass die Rückenlehne hinten zu wenig Platz hat. Stimmt, die Rückbank muss zuerst nach vorne geschoben werden. Jetzt weiß er es wieder. Also zieht er nun unten, aber die Bank bewegt sich keinen Millimeter. Wieso …

»Du musst den Hebel da unten hochziehen.« Anna steht plötzlich neben ihm und tut klug.

»Hab ich eh gemacht.« Benni ärgert sich, dass er das allein nicht hinbekommt. Und Anna ihm dabei auch noch zuschaut und gute Tipps abgibt. Dabei ist sie ganze vier Jahre jünger als er und hat gerade erst richtig lesen gelernt.

»Warte kurz«, sagt Papa. Er drängt sich dazwischen, setzt sich auf die Rückbank und schiebt sie ohne Probleme ein Stück nach vorne. Im letzten Moment rettet Benni den Lebensmittelkorb vor dem Zerquetschen. Dann legt Papa die Rückenlehne nach hinten und klopft sich zufrieden in die Hände: »Ge-schafft.«

Benni klappt die Faltmatratze auseinander und breitet sie über die Abdeckplatte und die nun flachen Rücksitze aus. Mama stopft das ganze Zeug, das während der Fahrt zwischen Annas und Bennis Beinen gestanden ist, nach vorne und spannt ein Leintuch auf die Matratze. Dann verteilt sie die Decken und Pölster auf die beiden Mini-Betten und sagt: »Alles bettfertig, oder?«

Am liebsten würde Benni sofort schlafen. Aber nicht, weil er so müde ist, sondern weil er sich so sehr auf die erste Nacht im Campingbus freut.

Mama sucht bei den Vordersitzen herum und hält dann triumphierend die Toilettsachen hoch. Mit Zahnbürsten im Mund stehen sie am Feldrand hinter dem Baum nebeneinander: Benni, Anna, Mama und Papa.

Benni ist kribbelig. Er hat noch nie unter dem Sternenhimmel Zähne geputzt. Die Campinglampe wirft schwach ihre vier Schatten auf den Boden, die sich kaum bewegen. Benni atmet die frische Luft ein. Der Geruch von Feld und Wiese vermischt sich mit dem Pfefferminzgeschmack der Zahnpasta. Neben sich spürt er Annas kitzelige Haare. Die Grillen zirpen und Benni hört das Rascheln der Blätter über ihm. Er fühlt sich irgendwie speziell. Aufgeregt und wohlig zugleich.

Da zerstört Anna die Ruhe. »Weitspucken!«, ruft sie und flatzt ihre Zahnpasta-Spucke ins Gras. Die von Mama landet genau daneben.

Benni ist sich nicht ganz sicher, ob er das eklig oder auch ein bisschen lustig findet. Schließlich holt auch er Schwung und schießt seine Ladung mit voller Wucht raus. Einen halben Meter fliegt sie. Mindestens! Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen.

Fehlt nur noch Papa. »Aftung, aftung, jetscht kommt der Champion«, nuschelt er, holt tief Luft, beugt sich nach hinten und … spuckt den ganzen Schlatz auf seine Zehen.

Papa flucht und wischt seine Füße im Gras ab.

Igitt! Das ist jetzt definitiv grauslich. Ekelstufe 400! Benni will das nicht mitansehen. Und schon gar nicht will er da reintreten!

Er muss ohnehin aufs Klo und sieht sich nach Pinkelmöglichkeiten um. Ein Baum, drei Büsche oder das freie Feld.

Benni verzieht sich hinter die Büsche. Zum Glück ist es dunkel genug und die Häuser sind auch zu weit entfernt, als dass ihn jemand beobachten könnte. Dennoch hat er ein eigenartiges Gefühl. Machen das wirklich alle Camper so?

Und was er auch nicht weiß: Wo ziehen sich Camper in einem Minibus um? Im Freien ist es schon zu kalt und innen zu eng. Außerdem mag er sich nicht vor seiner Familie ausziehen. Am besten er klettert nach oben, dort ist er ungestört. Alle anderen sind gerade beschäftigt. Papa und Anna beobachten Glühwürmchen, Mama macht Ordnung.

Benni wirft den Pyjama rauf und will hochklettern. Zu Hause haben Anna und er das mehrmals probiert. Man muss sich nur seitlich mit dem Fuß am Vordersitz abstützen, dann kann man sich ganz leicht hochziehen.

Zu Hause lag da aber nicht Papas Handtuch. Benni rutscht ab und bleibt mit dem Fuß im Lenkrad hängen. Die Hupe dröhnt in voller Lautstärke durch die Nacht.

»Benni!«, schreit Mama.

»Tschuldigung.«

Nach dem zweiten Anlauf ist er oben. Zusammengekauert schält er sich aus Hose und Shirt und zieht den Pyjama an. Zu Hause würde er alles über den Sessel hängen. Hier gibt es keinen guten Platz dafür, also wirft er alles auf den Fahrersitz.

Benni kuschelt sich unter die Decke und testet, auf welcher Seite er am besten liegt. Er entscheidet sich für die linke, weil er hier beim Plastik-Planen-Fenster besser raussehen kann. Auf der anderen Seite ist das Moskitonetz, das mag er nicht so gerne. Papa hat dort die Plane, die man drüberzippen kann, offen gelassen. Angeblich soll es heute Nacht warm bleiben und auch nicht regnen. Aber Benni ist sich da nicht so sicher. Er spürt die frische Luft, die durch das Netz zu ihm rüberzieht.

Der Vollmond beleuchtet die Pinkelbüsche und die Umgebung. Schön sieht das aus. Dunkel, aber trotzdem kann er alles erkennen. Ein Auto fährt zu einem der beleuchteten Häuser.

Wenn Benni zu Hause in seinem Bett liegt, blickt er nur auf die Wand mit dem Bücherregal. Wer weiß, was er hier in der Wildnis alles beobachten kann? Vielleicht Rehe? Oder Füchse? Oder …

Huuuuuuuuuuuuup. Huuuuuuup.

»Entschuldigung«, sagt Mama, »bin schon fertig.«

Das Auto wackelt, kurz darauf liegt Anna neben ihm. Benni spürt ihren Körper unangenehm nahe, obwohl sie sich nicht berühren. Er presst sich eng an die Zeltplane.

»Papi, erzählst du uns noch einmal, wie du früher mit Onkel Herbert campen warst?«, bettelt Anna.