Ein Schlachtplan für Miss Winter - Kathryn Miller Haines - E-Book

Ein Schlachtplan für Miss Winter E-Book

Kathryn Miller Haines

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Beschreibung

Keine Feldpost vom Exfreund, dafür Fleischrationierung und zwei linke Füße beim Vortanzen: Die Laune von Rosie Winter, Broadway-Schauspielerin ohne Engagement, ist in diesem Frühjahr 1943 nicht die beste. Und dann wird auch noch Al verhaftet, Rosies treuer Kumpel aus der New Yorker Unterwelt.

Broadway-Starlet Paulette Monroe wurde erschlagen. Al, ein Muskelprotz im Dienst der Mafia, gesteht die Tat. Klar, dass ihm jeder glaubt. Doch Rosie Winter kennt Al und weiß, dass er kein Mörder ist. Als für die Show, in der Paulette die Hauptrolle hätte spielen sollen, noch Tänzerinnen gesucht werden, sieht Rosie ihre Chance. Zusammen mit ihrer Freundin Jayne macht sie sich daran, Als Unschuld zu beweisen. Mit Witz, Verstand und dem Herz auf der Zunge ermittelt Rosie Winter wieder in der kriegsgeplagten New Yorker Theaterwelt der 40er Jahre.

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Kathryn Miller Haines

Ein Schlachtplan für Miss Winter

Rosie Winters zweiter Fall

Aus dem Amerikanischen von Kirsten Riesselmann

Insel Verlag

Für Rebecca Margot und Christopher Claude.

Tut Großes. Seid gute Menschen.

Und für Garrett, der immer noch liest, obwohl es keine Drachen und Trolle gibt.

1 Gleich um die Ecke

März 1943

Manche Männer bringen einem Blumen mit; Al brachte Fleisch.

»Was zur Hölle ist das denn?«, fragte ich ihn. Er stand auf der Vordertreppe des George Bernard Shaw House und wiegte zwei in blutgetränktes Metzgereipapier gewickelte T-Bone-Steaks im Arm, als wären es Welpen, denen er gerade dabei geholfen hatte, auf die Welt zu kommen.

»Hab gehört, dass es dir nicht so gut geht«, sagte er. »Da hab ich gedacht, dass du eine Stärkung gebrauchen kannst.«

»Und du meinst, Fleisch wäre da genau das Richtige?«

»Nicht Fleisch, Rosie, Steak! Hier!« Er warf mir das Päckchen zu, als würde bei näherer Bekanntschaft meine Begeisterung für die blutige Masse deutlich steigen.

Ich hielt das Paket in sicherem Abstand zu meinem Mantel. Durch das Papier sickerte Blut und malte die Karte unbekannter Länder auf den Boden. »Das ist wirklich eine freundliche Geste, aber ich habe auch ohne Rindfleisch vom Schwarzmarkt schon genug Probleme am Hals.«

»Das Zeug ist astrein.«

Al war mit meinem früheren Chef befreundet gewesen, einem Detektiv namens Jim McCain. Außerdem arbeitete er als Eintreiber für Tony B., seines Zeichens einer der Vizes von Mafiaboss Vince Mangano. Was auch immer einer von ihnen anfasste, war mit Sicherheit illegal, unmoralisch oder zumindest ein direkter Verstoß gegen die Auflagen der Preisaufsichtsbehörde.

Seitdem rationiert wurde, blühte der Schwarzmarkt, weil eben nicht alle dauernd nur verzichten wollten und deswegen für Mangelware auch mal ein bisschen draufzahlten. Die Times war voll mit Geschichten über Mafiosi, die sich auf den Schwarzhandel in ähnlicher Weise verlegt hatten wie Backfische auf Bing Crosby. Wenn man sich dann einmal auf das Niveau der Mafia herabließ und ihre Waren kaufte, wurde das in den Zeitungen gleich so dargestellt, als habe man nicht nur das Gesetz gebrochen, sondern sei sozusagen schon zum Nazi geworden. Im Laufe des letzten Jahres war Rindfleisch derart knapp geworden, dass mittlerweile schon so darüber gesprochen wurde, als hätte es niemals wirklich existiert. Wie über Einhörner. Natürlich hätte ich nicht das Geringste gegen ein großes, saftiges Steak nur für mich alleine einzuwenden gehabt, aber im Grunde meines Herzens war ich eben doch ein gutes, rechtschaffenes Mädchen.

Außerdem gab es in meinem Wohnheim keinen für alle zugänglichen Kühlschrank.

»Davon mal abgesehen, Al, was soll ich denn jetzt damit machen? Soll ich sie auf meiner kleinen Kochplatte köcheln lassen oder auf die Feuerleiter stellen und hoffen, dass es kalt bleibt und die Katzen nicht drangehen?«

Er zuckte mit den Schultern und hob resignierend die Arme. Hinter seinem Kopf ging die Sonne unter. Al war eine kolossale Erscheinung mit der Größe und der Masse eines durchschnittlichen Wolkenkratzers. »Dann wirf sie halt weg«, sagte er. »Ist jetzt nicht mehr meine Angelegenheit.«

Ich legte eine Hand auf seinen übergroßen Bizeps und spürte, wie unter meiner Berührung ein Berg erbebte. »Jetzt hab dich nicht so. Mir gefällt dein Geschenk, wirklich, aber jetzt noch mal zum Mitschreiben: Strümpfe wären mir lieber gewesen.«

Wieder zuckte er mit den Schultern, und seine winzigen Äuglein hüpften von hier nach dort: vom Haus zum Bürgersteig zu einem Taxi, das gerade mit abgeblendeten Lichtern an uns vorbeifuhr. Er schien fest entschlossen, alles andere anzusehen, bloß mich nicht. »Wie geht’s denn?«, fragte er dann.

»War schon mal besser.«

Er hob die Augenbrauen und erwartete, dass ich weitersprach, aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, mehr Worte zu verlieren. Es war schließlich so: Der Krieg war jetzt auch bei uns angekommen. Er war nicht länger eine dieser ähnlich traurigen, aber fernen Angelegenheiten wie der Tod von Carole Lombard, über die man zwar las, die man dann aber nicht weiter ernst nahm, weil sie einfach zu weit weg waren, um einen wirklich etwas anzugehen. Ich konnte weder die Nazis noch die Japsen leiden. Genauso wenig wie die Eilmeldungen, die das laufende Radioprogramm mit Geschichten über versenkte Schiffe, abgeschossene Flugzeuge und Bomben über dem Himmel von London unterbrachen. Ich konnte es auch nicht ausstehen, dass wir alles, was früher selbstverständlich gewesen war, opfern sollten und jede Stunde mindestens einmal daran erinnert wurden, dass die Dinge, nach denen wir uns sehnten, da drüben von größerem Nutzen waren. Aber am allerwenigsten gefiel mir, dass mein Freund Jack (okay: Ex-Freund) vermisst wurde und ich keine Gelegenheit mehr bekommen würde, ihm zu sagen, dass ich ihn immer noch liebte.

Nein, das alles war für mich ohne Worte. Und selbst wenn ich welche gefunden hätte, über die Lippen gebracht hätte ich sie sowieso nicht. »Was gibt’s Neues bei dir?«, fragte ich stattdessen.

»Alles in bester Ordnung.« Auf der Suche nach einem Päckchen Luckys klopfte Al seinen verdreckten Mantel ab. Seine von der Kälte geröteten Finger bewegten sich über den Stoff wie Krabben auf der hektischen Suche nach ihren Panzern. »Es soll wohl schneien.«

Wenn ich weniger mit mir selbst beschäftigt gewesen wäre, hätte ich vielleicht gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Aber ich bekam ja kaum mit, dass es noch eine Welt jenseits meiner Gedanken gab.

»Stell dir das mal vor«, sagte ich mit dem Einfühlungsvermögen der SS, »Schnee im März.«

Er ließ die Fluppe fallen und trat sie mit der Schuhspitze aus. Die Sohle hatte sich abgelöst und gab den Blick frei auf Als zerschlissene braune Socken. »Lass dir das Fleisch schmecken.« Nachdem er sein Geschenk abgeliefert und ein dürftiges Gesprächsangebot gemacht hatte, drehte Al sich um und verschwand in der Straße.

Aus meiner Handtasche zog ich eine Ausgabe der Variety, um sie um die Steaks zu wickeln. Einige umkringelte Vorsprechtermine wurden dunkel vom Blut. Ich wohnte mitten im Village, 10.Straße, Ecke Hudson Street, im George Bernard Shaw House, einem Wohnheim für junge Frauen, die ihrer schauspielerischen Berufung folgten. Das Haus zeichnete sich durch günstige Mieten und noch günstigeres Essen aus, mit den Dramen, die sich in seinem Inneren abspielten, hätte man locker die stundenlangen Sendepausen von Radio WNBC füllen können. Ich wohnte gern im Shaw House, aber noch lieber beschwerte ich mich darüber. Über eine Situation zu nörgeln, in die ich mich selbst gebracht hatte, fand ich überaus tröstlich. Immerhin war das eine der wenigen Konstanten in meinem Leben, auf die ich mich verlassen konnte.

Mein Fleisch und ich betraten das Haus und hielten vor den Messingbriefkästen an der Wand. Stumm sprach ich ein Gebet und betastete das kleine, mit Filigranarbeit versehene Türchen, auf dem WINTER, ROSALIND stand – als ob eine Berührung den Brief, auf den ich so sehnsüchtig wartete, wie von Zauberhand erscheinen lassen könnte. Aber so viel Glück hatte ich nicht. Einen Fluch murmelnd, der mir das Gewünschte ganz sicher am nächsten Tag bringen würde, warf ich den Briefkasten wieder zu.

Im Salon saß Norma Peate am Klavier und drehte »For Me and My Gal« durch die Mangel. Ella Bart spreizte auf dem Boden sitzend ihre langen Rockette-Beine zum Spagat und beugte ihren Rumpf so weit vornüber, dass sie das Manuskript lesen konnte, das vor ihr lag. Beide beachteten mich nicht weiter, als ich den Raum durchquerte und die Treppe hochstieg. Auf dem Absatz unterbrachen Minnie Moore und Ruby Priest, meine langjährige Erzfeindin, ihr Gespräch. Das Lächeln auf ihren Gesichtern hätte nicht künstlicher wirken können, wenn es auf Plastik aufgemalt gewesen wäre.

»Warum machst du denn so ein Gesicht, Rosie?«, fragte Ruby. Einen solchen Ton, voller Betroffenheit und aufrichtig zugleich, war ich von ihr nicht gewohnt. Ruby ohne die übliche Gehässigkeit war wie Abbott ohne Costello.

»Alles in bester Ordnung«, sagte ich. »Mir ging’s nie besser.«

»Sicher?«, fragte Minnie, die hier neu und aus der ich bislang noch nicht wirklich schlau geworden war. Eigentlich machte sie einen netten Eindruck, aber in welche Gesellschaft sie sich begeben hatte, sagte eben auch etwas aus.

»Absolut. Aber danke der Nachfrage.«

So schnell ich konnte, ohne dabei wie auf der Flucht zu wirken, eilte ich in mein Zimmer. Jayne Hamilton, meine Zimmergenossin und beste Freundin, saß auf dem Bett und lackierte sich die Nägel rot, wozu sie das Radio mit »He Wears a Pair of Silver Wings« begleitete. Neben ihr lag Churchill, unser Kater. Um seinem Missvergnügen ob des Nagellackgestanks Ausdruck zu verleihen, kräuselte er die Nase und nieste, immer schön abwechselnd.

»Wie lief’s?«, fragte sie, als ich hinter mir die Tür verriegelte.

»Jämmerlich. Ich gelte anscheinend ganz offiziell als berüchtigt.« Das letzte Stück, in dem ich gespielt hatte, war ein gefundenes Fressen für die Titelseiten geworden, nachdem der Autor ermordet worden war. Mein erster und einziger Auftritt in diesem Stück fand in der Nacht statt, als der Mörder Mord Nummer drei und vier begehen wollte. Und die Geschichte seines Wahnsinns verbreitete sich fast ebenso schnell wie die allgemeine Ansicht, dass die Inszenierung lahmer Mist war.

Normalerweise war ich dankbar für jede Form von öffentlicher Wahrnehmung, aber irgendwie schienen seitdem alle zu glauben, dass mein Mitwirken bei einem Stück nicht nur den Ruin der Produktion, sondern auch den Tod für jede daran beteiligte Person mit sich bringen würde.

Jayne fuchtelte mit ihrer Nagelfeile herum wie mit einem Schwert. »Du warst doch nur bei einer Vorstellung dabei! Wie kommt es dann, dass alle davon wissen?«

»Was glaubst du denn?« In dieser letzten, schicksalhaften Vorstellung war ich die Zweitbesetzung für Ruby gewesen, aber während sie sich damit hätte zufriedengeben können, dass ich meine Karriere in Eigenregie in den Sand gesetzt hatte, hatte ich sie im Verdacht, alle Welt bei jeder sich bietenden Gelegenheit an das zu erinnern, was damals passiert und wer daran beteiligt gewesen war.

»Das würde sie doch niemals tun.« Jayne klang in etwa so überzeugend wie ein Reden schwingender Pantomime. »Du hast ihr doch praktisch das Leben gerettet.«

»Indem ich ihr ihre Rolle weggenommen habe.« Ich legte das Fleisch auf die Frisierkommode und schüttelte mir den Mantel von den Schultern. »Sie handelt nicht rational, Jayne. Sie weiß, dass ich einen guten Job gemacht habe. Hätte es den Mord nicht gegeben, würde ich jetzt vielleicht besser dastehen als sie. Die schiere Möglichkeit erträgt sie nicht.«

Jayne zupfte ein Katzenhaar von einem noch feuchten Nagel. »Irgendwann wird sie die Lust daran verlieren, dich zu schikanieren.«

»Natürlich, aber bis dahin bin ich alt, fett und vollkommen unbesetzbar.«

»Soll ich mal mit ihr reden?«, fragte Jayne.

Ich drehte das Magnavox leiser und ließ mich aufs Bett fallen. Mit Ruby würde ich schon auf meine Art fertig werden. Es machte keinen Spaß, andere die Drecksarbeit erledigen zu lassen. »Nein, du sollst nur das Thema wechseln.« Auf dem Rücken liegend bewegte ich die Arme, als ob ich einen Schneeengel in meine Bettdecke machen wollte. Jayne hatte entweder keine Lust, die Sache einfach fallen zu lassen, oder ihr fiel kein neues Gesprächsthema ein; auf jeden Fall hielt sie den Mund. »Was ist hier eigentlich mit allen los? Im Salon konnte mir keine in die Augen sehen, und Ruby und Minnie haben so getan, als ob ich gerade ein Beileidstelegramm bekommen hätte.«

Jayne setzte die Malerarbeiten fort und hielt sich, um meine Anwesenheit auszublenden, die Hand sehr nah vors Gesicht.

Ich schlug auf ihr Bett. »Hast du ihnen etwas gesagt?« Keine Antwort. »Hast du!«

»Sie haben sich Sorgen gemacht.«

»Weswegen?«

Sie sah mir in die Augen. »Wegen dir.«

Ich trat mir die Schuhe von den Füßen und zog einen Stapel Groschenromane unter meinem Bett hervor. Auf dem Cover der jüngsten Ausgabe der Astonishing Stories flogen Aliens mit schönen, ohnmächtigen Frauen in ihren Armen gen Heimat. Auch wenn das komisch klingt: Ich wünschte mir in diesem Moment, eine von ihnen zu sein. Schlafend unbekannten Kreaturen ausgeliefert zu sein schien mir einfacher, als in meinem Zimmer zu sitzen und das hier durchstehen zu müssen.

»Da habe ich so meine Zweifel«, sagte ich. »Aber sie brauchen sich so oder so keine Sorgen zu machen. Mir geht’s gut.«

»Rosie …« Jaynes Stimme verkümmerte zu einem Wimmern.

»Wirklich.«

Churchill sprang von Jaynes Bett und lief zwischen uns eine Acht. Bei jedem seiner bedachtsamen Schritte überstreckte er eines seiner Beine, die in Sachen Eleganz denen der Ballerina Margot Fonteyn in nichts nachstanden. Auch wenn er den Teufel im Leibe trug: Seine Schönheit und Anmut musste man einfach bewundern.

»Sieht so aus, als ob immer noch kein Brief gekommen ist, oder?«, fragte Jayne.

»Stimmt.«

»Die Post ist langsam.«

»Ein Umstand, der oft überbetont wird, wenn einem sowieso niemand schreibt.« Dass Jack vermisst wurde, hatte ich aus dem Brief eines Matrosen namens Corporal Harrington erfahren. Ich hatte ihm zurückgeschrieben und um mehr Informationen gebeten, und jetzt machte mich das Warten auf die Feldpost halb wahnsinnig. Es war nicht auszuhalten, wie wenig man tun konnte. Jack war einer von Millionen verloren gegangener Soldaten in einem Krieg, der in mehr Ländern tobte als ich auf einem Globus mit Namen zu nennen imstande gewesen wäre. Ich konnte noch so entschlossen sein, ihn zu finden: Dieses Problem war zu groß, als dass ich es hätte bewältigen können.

Vor ein paar Wochen hatte die Times einen Cartoon gedruckt, in dem ein Mann hinter jeder Ecke, um die er biegt, das Ende des Krieges zu finden hofft. Und hinter jeder Ecke stößt er auf ein Pappschild, das eine gute Nachricht der letzten Monate verkündet: Rommels Rückzug, Sieg der Russen, Vormarsch der Russen. Aber trotz aller optimistischer Meldungen folgt auf jede Ecke eine weitere, bis der Mann ganz am Ende vor der schlechten Nachricht dieses Monats steht: Rommel geht in die Offensive. Die Botschaft war klar: Ein Ende war nirgendwo in Sicht. Es würde ewig so weitergehen – hinter jeder guten Wendung lauerte die Möglichkeit einer neuen Katastrophe.

Jayne klatschte in die Hände. »Runter, Churchill! Sofort!«

Der Kater stand auf meiner Kommode, die Schnauze nur Zentimeter über den Schlagzeilen der Variety. Ich schnappte mir eine braune Lederpantolette und warf sie nach ihm. Er hüpfte von der Kommode zur Heizung und beobachtete mit Freude, wie das Fleisch und mein Kosmetik-Chaos auf den Boden fielen.

Langsam näherte Jayne sich der blutigen Masse. »Was ist das?«

»Sogar Al hat schon mitbekommen, dass ich nicht so gut drauf bin. Das, meine Liebe, ist eine frisch geschlachtete Stärkung.«

»Er hat dir Steaks mitgebracht? Wer macht denn so was?«

»Ein Mann, der nicht die geringste Ahnung von Frauen hat.« Ich zog meinen Handkoffer unter dem Bett hervor, stopfte das Fleisch hinein und schloss die Schnallen. »Meinst du, die halten sich draußen?«

»Ich würd’s auf den Versuch ankommen lassen.«

Ich bugsierte den Koffer durchs Fenster. Mit einem Knall, der einmal nach unten und wieder zurück hallte, landete er auf der Feuerleiter. Die Nacht brach schnell herein. Wegen der Verdunklung konnte man so viele Sterne sehen, dass man sich, wenn man die Gebäude, den Lärm und die Müllberge ignorierte, wie auf dem Land fühlen konnte.

»Vielleicht solltest du Jacks Familie anrufen«, sagte Jayne.

»Die haben bestimmt auch einen Brief von Corporal Harrington bekommen.« Ich ließ mich auf den Bauch plumpsen und versuchte, mich auf mein Groschenheftchen zu konzentrieren.

»Schon, aber vielleicht haben sie noch etwas anderes gehört, du weißt schon, irgendwas Offizielles.« Was sie sagen wollte, war, dass die Familie vielleicht ein Telegramm von der Armee bekommen hatte, das Jacks Schicksal vermeldete, ein Schicksal, von dem M. Harrington eventuell noch gar nichts gewusst hatte oder das er mir einfach nicht hatte mitteilen wollen.

»Ich gebe Corporal Harrington noch eine Woche«, sagte ich. »Dann schicke ich die Kavallerie.«

»Den Anruf könnte auch ich für dich übernehmen.«

Ich rollte mich auf die Seite und sah ihrem Gesicht an, wie gern sie mir helfen wollte, Erkundigungen einzuholen. Aber es ging ja nicht einfach nur darum, zu wissen, was mit Jack passiert war. Momentan war ich noch in einem Zustand seliger Ahnungslosigkeit und konnte mir einreden, dass es ihm gut ging. Und ich brauchte das, denn an dem Tag, an dem ich erfahren hatte, dass er vermisst wurde, hatte ich auch herausgefunden, dass er immer noch an mich dachte. Es war nämlich so: Seitdem er in See gestochen war, hatte Jack mir nicht ein einziges Wörtchen geschrieben, und ich war davon ausgegangen, dass ich nie wieder etwas von ihm hören würde. Aber in dem Brief von Corporal Harrington wurde mir nicht nur mitgeteilt, dass Jack etwas zugestoßen sein könnte. Darin hatte auch gestanden, dass Jack mich benachrichtigt wissen wollte, falls ihm etwas zustoßen sollte. So bizarr das klingen mag: An diese Tatsache klammerte ich mich wie an einen Strohhalm. Er liebte mich noch immer, und niemand, einfach niemand sollte dieses wunderbare Gefühl zerstören, indem er mir sagte, dass Jack tot war oder so schwer verletzt, dass er wünschte, er wäre tot.

»Ich möchte noch warten«, sagte ich zu Jayne. »Man hat mich informiert, dass er als vermisst gilt, also werde ich es auch mitbekommen, wenn es andere Neuigkeiten gibt.«

Als wäre der sehnsüchtige Klang in meiner Stimme nicht zu ertragen, drehte sie den Kopf weg. Sie hätte sicher noch weiter mit mir diskutiert, wenn nicht im selben Moment Ruby an die Tür geklopft und verkündet hätte, dass Al wegen Mordes verhaftet worden sei.

2 Der Gefangene

»Al ist im Hotel ohne Klinke?«, fragte ich Ruby.

»Im was?«

»Im Kittchen. Knast. Bau. Hinter schwedischen Gardinen.«

»Wenn das alles Bezeichnungen fürs Gefängnis sind, dann ja, da ist er wohl.« Ruby war wieder sie selbst, hochmütig und stolz trug sie das Kinn weit oben, ihre Stimme klang gepresst vor Ärger, weil sie sich dazu herablassen sollte, mit mir zu sprechen.

»Warum hast du uns nicht früher geholt?«, fragte Jayne.

Ruby wickelte sich eine dunkle Locke um den Finger, für deren Spitzen sie weitaus mehr Interesse aufbrachte als für uns. Sie trug ihre Haare vorne toupiert und hinten offen – eine Frisur, die die Hochglanzgazetten für den neuen Look hielten, die aber sogar Ginger Rogers unansehnlich gemacht hätte. »Ich wollte gerade selbst telefonieren, und er schien mehr als glücklich, nur etwas ausrichten zu lassen.«

»Wer er?«, fragte ich.

»Hat er nicht gesagt, und ich habe nicht gefragt.«

Jayne sprang vom Bett und schob Ruby aus der Tür. Auch ich trennte mich von den Science-Fiction-Geschichten und folgte ihr in den Flur hinaus, wo auf einem kleinen, wackeligen Marmortischchen unser Gemeinschaftstelefon stand. Jayne nahm den Hörer ab und bat die Telefonistin um eine Verbindung zu Tony B.

»Bist du dir sicher, dass du mit ihm reden willst?«, fragte ich sie.

Sie zuckte mit den Schultern. Tony war nämlich nicht nur Als Boss, er war auch Jaynes Freund. Vor ein paar Wochen hatte er ihr versprochen, sauber zu werden – zumindest so sauber, wie ein Gangster auf Lebenszeit werden konnte. Aber es wurde schnell offenkundig, dass er genau das ganz und gar nicht vorhatte, und Jayne zeigte ihm seitdem die kalte Schulter, weil sie dachte, so würde er am ehesten merken, was sie von seinem gebrochenen Versprechen hielt.

Sobald sie ihn am Apparat hatte, wurde ihre Stimme so leise, dass es unmöglich war, etwas von dem einseitigen Gespräch mitzubekommen. Ich ging also im Flur auf und ab und versuchte, mich zu erinnern, ob irgendetwas an Al komisch gewesen war. Klar, er hatte nicht viel geredet, aber das tat er nie. Er war ganz er selbst gewesen, grüblerisch und grobschlächtig.

Dann klatschte ich mir vor die Stirn. Was hatte ich da für eine Gelegenheit verstreichen lassen! Da hatte ich Al wochenlang nicht gesehen, und als er mit einem Geschenk in den Händen bei mir auftauchte und versuchte, mir etwas mitzuteilen, war ich zu schwer von Begriff. Und das, obwohl die Zeichen überdeutlich gewesen waren.

Jayne legte auf.

»Und, was sagt er?«, fragte ich.

»Tony sagt, dass es stimmt. Vor zwanzig Minuten hat die Polizei Al abgeholt und auf das 19.Revier gebracht.«

»Und wen soll er umgebracht haben?«

Jayne holte tief Luft. »Seine Freundin.«

»Al hatte eine Freundin?« Als ich Al kennenlernte, hatte er gerade drei Jahre wegen Scheckfälschung abgesessen. Er hatte sich dieses schmutzige Hobby zugelegt, weil er Geld brauchte, um irgendeinem Flittchen den Lebensstil bieten zu können, den es gewohnt war. Soweit wir wussten, war die Frau verschwunden, als Al zu drei bis fünf Jahren verurteilt wurde. »Mit wem war er denn zusammen?«

»Keine Ahnung«, sagte Jayne. »Aber sie wurde vorgestern Abend gefunden, zu Tode geprügelt.« Ich dachte an diese namenlose Frau, zermatscht und blutig wie das Fleisch, das er mir mitgebracht hatte, und fing an zu zittern. Das konnte nicht Al gewesen sein. Er mochte sein Geld damit verdienen, Leute aufzumischen, aber er war kein Killer.

Oder doch?

Auch wenn ich Al sehr mochte – ich kannte ihn nicht wirklich. Er war ein netter Typ, der mir einen Gefallen getan hatte. Damit konnte ich vielleicht als Leumundszeugin auftreten, zu seiner Verteidigung würde es kaum reichen.

»Was sollen wir tun?«, fragte ich.

Jayne schürzte die Lippen und kräuselte die Stirn. »Tony hat gesagt, wir sollen uns da raushalten.«

»Willst du mich vergackeiern? Soll das heißen, er ist schuldig? Oder dass Tony ihm hilft? Oder was?«

Jayne zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht – er hat nur gesagt, dass das Gefängnis gerade der beste Ort für ihn ist.«

»Unglaublich.« Tony hatte schon früher anklingen lassen, dass er keine besonders gute Meinung von Al hatte, aber ich konnte es nicht fassen, dass er ihn einfach so im Kittchen schmoren lassen wollte. Ich marschierte in unser Zimmer und schnappte mir den Mantel.

»Wo willst du hin?«, fragte Jayne.

»Al besuchen.«

»Und Tony?«

»Wie, Tony? Hör mal, Jayne, Al war nicht ohne Grund heute Abend hier. Er braucht meine Hilfe, und ich will verflucht sein, wenn ich noch ein zweites Mal die Gelegenheit verpasse, etwas für ihn zu tun.« Ich band mir mein rotes Kopftuch um und wickelte mir den Schal um den Hals. »Kommst du mit?«

Jayne trat von einem Fuß auf den anderen. Sie hatte erst vor kurzem damit begonnen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, und man sah ihr noch an, wie in ihrem Kopf das Einfache ständig gegen das Richtige kämpfte. »Na gut«, sagte sie dann, »aber gib mir noch eine Sekunde, damit ich mir die Haare richten kann.«

Und so hat sich das alles ergeben: Vor einem Monat waren Jayne und ich bei dem Versuch herauszufinden, wer meinen früheren Boss – den Privatdetektiv Jim McCain – und den bereits erwähnten Schriftsteller ermordet hatte, ein bisschen zu tief in die Sache hineingeraten. Noch vor seinem Tod hatte Jim befürchtet, dass ich meine Nase in Angelegenheiten stecken würde, die mich nichts angingen. Er hatte Al, der ihm noch einen Gefallen schuldete, gebeten, sich an meine Fersen zu heften und zu verhindern, dass ich mich in Schwierigkeiten brachte. Ich schaffte es trotzdem – nicht, weil ich unbedingt besonders kompliziert sein wollte, sondern weil mir Schwierigkeiten einfach hinterherlaufen. Und anstatt mich während dieser schweren, gefährlichen Wochen als hoffnungslosen Fall abzuhaken, gab Al alles, um Jayne und mich zu beschützen – er schlief nicht, er aß nicht, er verzichtete sogar auf die wohlverdiente Zigarette. Angesichts dessen, was er für uns tat, zeigte ich mich nicht gerade dankbar. Ich sah nicht ein, weshalb er uns bewachen sollte, und versuchte dummerweise immer wieder, ihn loszuwerden. Al spielte mein Spielchen mit, war aber im entscheidenden Moment, als Jayne und ich als rote Flecken auf einer weißen Wand zu enden drohten, zur Stelle und rettete uns.

Anders gesagt: Wir schuldeten ihm etwas. Und zwar einiges.

Jayne und ich liefen zur Subway-Station Christopher Street und nahmen einen Zug nach Uptown. Die Rushhour war schon vorbei, in der Bahn herrschte eine gedämpfte, schläfrige Stimmung, die anderen Fahrgäste kauerten schweigend auf ihren Sitzen. Jemand hatte die aktuelle Ausgabe der Times liegengelassen. Wir hockten uns eng nebeneinander und überflogen die Seiten auf der Suche nach der Vermeldung eines Mordes. Solcherlei Meldungen gab es nicht zu knapp, allerdings waren die betreffenden Morde in Nordafrika, Europa und im Südpazifik passiert. Die neuen Gefallenenzahlen waren veröffentlicht worden: 435 für die Armee, 71 für die Marine. Allein die Liste mit den Toten und Verwundeten aus New York füllte eine ganze Seite, sieben Spalten Trauer nebeneinander.

Als Jayne merkte, was meinen Blick gefangen hielt, blätterte sie um und setzte sich so, dass ich nicht mehr über ihre Schulter hinweg mitlesen konnte. Ich starrte also auf die letzte Seite. Sogar das eigentlich immer so amüsante »Vermischte« war nicht so richtig amüsant. Orson Welles hatte seine Musterung mit Bravour bestanden. Metro-Goldwyn-Mayer setzten alles daran, dass Mickey Rooney nicht eingezogen wurde.

»Und, hast du was gefunden?«, fragte ich Jayne. Sie verschwand fast völlig hinter dem Politikteil und sah aus wie ein Kind, das erwachsen tut.

»Krieg hier, Krieg da. Obwohl, warte mal …« Sie stach mit dem Zeigefinger in den Falz. »Schauspielerin zu Tode geprügelt aufgefunden in Haus auf der Upper West Side.« Jayne hielt sich die Seite näher ans Gesicht. »Sie hieß Paulette …« Um den Nachnamen unter dem fettigen Fingerabdruck des vorherigen Lesers entziffern zu können, kniff sie die Augen zusammen. »Monroe.«

»Nein!« Ich klang wohl so entsetzt, dass sich die Leute zu uns umdrehten. Ich lächelte sie entschuldigend an und wandte mich wieder der Zeitung zu. Paulette Monroe war unsere Vormieterin im Shaw House gewesen, dann waren sowohl ihr Ego als auch ihre Karriere zu groß geworden für unser bescheidenes Heim. Sie hatte tolle Sachen gemacht auf dem Broadway, bevor sie schließlich nach Kalifornien zog und beim Film anfing. Bis jetzt hatte sie dort noch keinen allzu aufsehenerregenden Erfolg gehabt – aber natürlich immer noch hundert Mal mehr Grund zum Angeben als ich.

»Ich dachte, sie ist in Hollywood«, flüsterte ich.

Jayne wedelte mich weg und las weiter. »Sie ist gerade erst für Walter Fridays Stück gecastet worden. Er macht anscheinend ein neues Musical, Nach Süden. Offenbar ist sie deswegen zurückgekommen.« Walter Friday war mal ein Produzent gewesen, dessen Name für Erfolg stand. Es war immer allen egal gewesen, was für ein Stück er sich gerade vornahm und welche Schauspieler er engagierte – man wollte eben dabei sein, einfach nur, weil es sich um eine Walter-Friday-Produktion handelte. In letzter Zeit hatte er es aber nicht gerade leicht gehabt: Eine ganze Reihe von Vorfällen im Zusammenhang mit Alkohol, Frauen und Fehlinvestitionen hatte ihn aus dem Rampenlicht gerückt. Im letzten Herbst hatte es Gerüchte gegeben, dass er kurz vor einem Comeback stand, mit einer großen Show und noch größeren Geldgebern. Es gab niemanden, der nicht dabei sein wollte.

Jayne tauchte hinter der Zeitung auf und warf mir einen kurzen Blick zu. Es war hartherzig, aber wir dachten es trotzdem beide: Wenn Paulette tot war, würde Friday nach einer neuen Hauptdarstellerin suchen.

»Konzentrier dich«, sagte ich. »Erst Al, dann der Job.«

Als wir in der 67. Straße Nummer 153 ankamen, erzählten wir der Dame an der Anmeldung, dass wir Als Schwestern seien. Sie musterte uns eindringlich – ich groß und brünett, Jayne klein und blond – und fand dann wohl, dass wir, auch wenn wir logen, nicht weiter gefährlich wirkten. Wir sollten uns setzen, bis man das Personal aufgetrieben hätte, das uns zum Besuchszimmer geleiten sollte. Seit’ an Seite sanken Jayne und ich in die von tausenden Hinterteilen ordentlich abgewetzten Sitze. Wir vertrieben uns die Zeit, indem wir die Gangsterbraut- und Gaunerparade des Abends und den neuesten Verbrechertypus bestaunten: den Wehrdienstverweigerer. Die Zeitungen waren voll von Geschichten über Männer, die religiöse und moralische Gründe vorschützten, um den Krieg auszusitzen. Einigen war es durchaus ernst damit, bei vielen anderen aber stellte sich heraus, dass ihr Glaube doch nicht stark genug war, um sie zu entschuldigen. Und es gab auch diejenigen, die zwar gern das Geld der Regierung einsteckten, das sie mit der Herstellung von Waffen verdienten, die aber fanden, dass man diese freiwillige Kriegsbeteiligung nicht auch noch auf das Schlachtfeld ausweiten müsse. Es war witzlos, sie wegen Lügen und Scheinheiligkeit einzusperren. Die Gesellschaft hatte ihren eigenen Weg gefunden, mit solchen Männern umzugehen.

»Mir gefällt’s hier nicht«, flüsterte Jayne. Ein ungewaschener Gentleman, der mit Handschellen an die Wand gekettet war, leckte sich beim Anblick meiner Freundin die Lippen. Ihr Mantel, der noch vollkommen in Ordnung gewesen war, als wir das Haus verlassen hatten, war plötzlich zu klein, um sowohl Beine als auch Brüste zu bedecken.

»Dann kannst du dir ja denken, wie’s Al geht.« Ich kämpfte immer noch mit der Vorstellung, dass Al jemanden umgebracht haben sollte. Natürlich war er ein imposanter Kerl, aber genau das war der Punkt: Er wurde losgeschickt, damit den Leuten klar wurde, was für einen Schaden er gegebenenfalls anrichten könnte, nicht, um ihn auch wirklich anzurichten.

Al würde schon Licht in die Sache bringen. Es musste für all das eine simple Erklärung geben.

»Hier entlang, die Damen«, sagte ein Bulle in blauer Uniform. Er heftete den Zettel mit unseren Namen an ein Klemmbrett und führte uns schweigend durch einen betonierten Flurtrakt. Schließlich landeten wir in einem kleinen Raum, der mit jeder Sekunde kleiner wurde. Der Gesetzeshüter wies uns an, an einer Seite des Tisches Platz zu nehmen, und gab mit mahnendem Zeigefinger Regel Nummer eins bekannt: Der Tatverdächtige sei unter keinen Umständen zu berühren.

Fünf Minuten später war Al bei uns.

Er trug noch immer seine Straßenkleidung, die jetzt aber zu groß an ihm wirkte – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, immerhin reichte ein handelsüblicher Fallschirm nicht aus, um ihn von Kopf bis Fuß zu bedecken. Seine Hände lagen in Handschellen vor seinem Körper und sahen dadurch aus wie Flossen. Beim Betreten des Raums winkte er dem Wachmann zu – eine Geste, die unterstrich, dass er die Kunst der Bewegung in Fesseln bereits bestens beherrschte.

Ich war froh, ihn zu sehen, und erwartete, dass er über unseren Anblick genauso erleichtert war. Ich hatte ihn nicht hängen lassen. Auch wenn ich nicht angemessen reagiert hatte, als er am Vormittag vorbeigekommen war – jetzt war ich da.

Doch wenn Dankbarkeit Benzin war, dann fuhr Al auf Reserve. Er setzte sich zu uns an den Tisch und knurrte mehr als dass er flüsterte: »Was macht ihr denn hier?«

»Wir wollen dir helfen.« Ich passte meine Lautstärke der seinigen an und zog meinen Stuhl nah an den Tisch. »Tut mir leid, ich habe eben nicht begriffen, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber jetzt bin ich da, um das wiedergutzumachen. Also, was können wir tun?«

Die Antwort war ein Schulterzucken. Ich hatte mir eine andere Reaktion erhofft.

»Das alles ist ein Irrtum, oder? Du bist hier, weil es eine Verwechslung gegeben hat.«

Mit einem langen Blick in die Augen ließ er mich wissen, dass der einzige vorliegende Irrtum mein Erscheinen war. Er gab dem Wachmann an der Tür ein Zeichen. Der Polizist steckte ihm eine Zigarette zwischen die Lippen und gab ihm Feuer.

Immerhin hatte er hier einen Freund. Das war gut zu wissen.

»Weiß Tony, dass ihr hier seid?«, fragte er, die Zigarette zwischen den Zähnen.

»Nein, der findet, dass wir dich besser nicht besuchen sollten – wir nicht und auch sonst niemand«, erklärte ich ihm. Auf diese Nachricht zeigte Al keinerlei Reaktion. Er war entweder einer Meinung mit Tony oder wusste es besser, um anderer Meinung zu sein. »Und habt ihr eine Ahnung, warum das so ist?«

Er fuhr einige Initialen nach, die in die hölzerne Tischplatte geritzt worden waren. »Wenn das Fleisch schon schlecht ist, dann lass es im Kühlschrank besser nicht neben der frischen Milch liegen.«

Ich musste lächeln. Es kam nicht gerade häufig vor, dass Al Metaphern gebrauchte. »Sollen wir jemanden für dich anrufen?«

»Tony kümmert sich drum.«

»Sollen wir dir Zigaretten holen? Zeitschriften? Ein Kartenspiel?«

»Hab alles, was ich brauche.«

»Jetzt komm schon, irgendwas gibt’s doch sicher.«

Er hob eine Augenbraue, als ob er mich dafür tadeln wollte, dass ich mir einbildete, mehr tun zu können, als mich nachträglich für mein Handeln zu entschuldigen. »Was passiert ist, ist passiert. Ihr seid nicht für mich verantwortlich, ist das klar?«

»Wir sind auch nicht hier, weil wir uns verantwortlich fühlen.«

»Warum dann?«

»Weil wir deine Freunde sind. Du hast dich um uns gekümmert, jetzt kümmern wir uns um dich.«

Er lachte, griff mit den gefesselten Händen nach der Zigarette und aschte auf den Boden. »Ihr schuldet mir gar nichts. Wir sind quitt.«

»Wer war sie?«, fragte Jayne.

Die Augenbraue blieb oben, als er seinen Blick auf sie heftete. Ich hatte mich schon oft gefragt, ob Al auf Jayne scharf war, aber so wie er jetzt aussah, konnte man sich nicht vorstellen, dass er sich für irgendjemanden erwärmen konnte. »Niemand«, sagte er.

»Niemand?« Bei diesem Wort grollte mein Magen. Wenn es Al so leicht fiel, einem Mordopfer jegliche Individualität abzusprechen, konnte er sie dann nicht doch auf dem Gewissen haben? »Hast du es getan?«

Er sah mir nicht in die Augen. Sein Schweigen konnte ich hinnehmen, aber seine Weigerung, mich anzusehen, wirkte auf mich wie eine bewusste Täuschung. Was verbarg er vor mir? Ich griff über den Tisch hinweg an sein quadratisches Kinn.

»Hey!«, rief der Wachmann.

»Hast du es getan?«, fragte ich Al noch einmal.

Er hob den Kopf und starrte auf einen Punkt direkt über mir. Ein alter Schauspielertrick: Das etwas entfernt sitzende Publikum bekommt so den Eindruck eines direkten Blickkontakts. Seine Äuglein schauten trübe, jede Lebendigkeit war auf merkwürdige Weise aus ihnen gewichen. Ein Lächeln spielte ihm um die Mundwinkel, gleichermaßen hintergründig wie spöttisch. »Ich bin hier, oder nicht?«

Der Wachmann griff nach meinem Arm und riss ihn von Al weg. »Nicht anfassen, habe ich gesagt.«

Ich schnappte nach Luft. »Schon gut.«

»Und, gefällt dir mein Geschenk?«, fragte Al plötzlich.

Er log uns an und gab uns das Gefühl, unerwünscht zu sein – das sollte er jetzt mit gleicher Münze zurückbekommen. »Tut mir leid, aber ich wusste nicht, warum ich es hätte behalten sollen. Da ich keine große Freundin von Eigentum fragwürdiger Herkunft bin, hab ich’s weggeworfen, sobald du um die Ecke gebogen warst.«

Der Bulle hielt mich weiterhin fest und zog mich vom Stuhl und weg vom Tisch, mit einer Derbheit, derer es noch nicht mal bedurft hätte, wenn ich doppelt so schwer gewesen wäre. »Ihre Zeit ist um.«

Jaynes Absätze klackerten hinter mir her. Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich Al in den Zigarettenrauch starren, ein trauriges Lächeln lag ihm auf den Lippen. »Passt auf euch auf, ihr zwei«, flüsterte er, als der Wachmann mich durch die Tür schob.

Diese Nacht konnten wir nicht schlafen. Besser gesagt: Ich konnte nicht einschlafen und ließ auch nicht zu, dass es Jayne ohne mich gelang. Deswegen saßen wir uns schließlich in einer mit rotem Vinyl ausgeschlagenen Fensternische bei Louie’s gegenüber – einer Kneipe mit langen Öffnungszeiten und niedrigen Preisen – und nahmen alles, was wir gerade erlebt hatten, so lange auseinander, bis kein Stein mehr auf dem anderen stand.

»Ich versteh’s einfach nicht«, sagte ich zum hundertsten Mal. »Das war doch nicht Al.«

Jayne seufzte und schaute mich abwesend aus ihren schlaftrunkenen blauen Augen an. Sie rührte Kondensmilch in ihre Kaffee-Zichorie-Mixtur, wohl in der Hoffnung, wieder munterer zu werden, wenn sie mit dem Löffel in der Tasse herumfuhrwerkte. »Wir kennen ihn doch kaum, Rosie. Klar, er hat uns mal geholfen, aber das heißt noch lange nicht, dass er nicht in der Lage ist, jemanden kaltzumachen.«

Das war eine beängstigende Aussage, der keine von uns weiter nachgehen wollte, vor lauter Furcht, was herauskommen würde, wenn wir sie auf unsere anderen Beziehungen übertrugen. Wenn Al ein Mörder war, welche dunklen Geheimnisse hütete dann erst Tony B.?

»Er ist für eine Frau ins Gefängnis gegangen«, überlegte ich. »Ein Mann, der für eine Frau ein Verbrechen begeht und dann brav seine Zeit absitzt, kann kein Mörder sein.«

Jayne hielt den Atem an und stürzte ihren Kaffee runter, als ob es sich um reines Rizinusöl handeln würde. Die leere Tasse stellte sie klappernd auf der Untertasse ab. »Warum nicht? Wenn er zum Dieb wird, damit sie ihn nicht verlässt, kann er ihr doch aus dem gleichen Grund auch etwas antun.«

Dazu fiel mir nichts weiter ein. Die Türglocke ging leise, und ein Soldat kam mit seiner grell zurechtgemachten Verabredung herein. Sie war mehr oder weniger Anfang zwanzig und hatte die Haare auf Rita-Hayworth-Art rot gefärbt. Das Kleid, das sie trug, war so eng, dass es einer Meerjungfrau gerade so gepasst hätte, und wenn sie sich bewegte, traten ihre Kurven in einer grotesken Parodie von Weiblichkeit hervor. Während der Soldat nur Augen für sie hatte, suchte sie den Raum schon wieder nach dem Nächsten ab, bei dem sie landen konnte, wenn sie diesen hier aufgebraucht haben würde.

»Aber wie gerät ein Typ wie Al an jemanden wie Paulette Monroe?«, fragte ich mich.

Jayne hob eine Augenbraue und beugte sich nervös zu mir herüber. »Wenn es stimmt, was ich gehört habe, dann hatte sie keinerlei Skrupel, alles zu tun, um ganz nach oben zu kommen.«

Na und, für welche berufstätige Frau gilt das nicht?

»Ist ja alles gut und schön, aber Al hat doch nicht ein Fitzelchen Ahnung vom Theater. Wie soll er ihr denn für ihre Karriere nützlich gewesen sein?«

Jayne wischte den Tisch mit einer Serviette ab, faltete diese dann sorgfältig zusammen und legte sie neben ihrer Tasse ab. »Vielleicht hat Al Verbindungen, von denen wir nichts wissen. Oder er hat sie angelogen, um ihr Interesse zu wecken.«

Ich versuchte, mir vorzustellen, wie er die Bekanntschaft mit uns als Aphrodisiakum einsetzte. Ach ja, Schauspielerin? Zwei Bekannte von mir sind auch Schauspielerinnen. »So was macht er nicht. Er ist … Al.«

Jayne blickte zur Decke, als könne sie nur so die Geduld aufbringen, mir weiter zuzuhören. »Wir sollten gehen«, sagte sie dann. Draußen schob schon die Sonne ihren Kopf über den Rand der Nacht, und ich fühlte mich plötzlich, als könnte ich direkt auf dem Tisch einschlafen. Aber ich hakte dann doch Jayne unter, wir traten aufs Trottoir und kamen ins Bett, als die Sonne gerade aufgegangen war.

Paulettes Bild hatte im Shaw House einen Ehrenplatz. Zwar hingen von uns allen Setkarten in der Diele, ihre Visage aber sah man als allererste, wenn man durch die Tür trat. Sie war mit Abstand die Hübscheste von uns, das aber auf eine Art und Weise, die einen immer an eine andere denken ließ. Mehr als nur einmal war jemand vor ihrem Foto stehen geblieben und hatte versucht, sich zu erinnern, woher er sie kannte. Hatte sie in »Moon Over Miami« mitgespielt? Nein, das war Betty Grable gewesen. Oder in »Skyline Serenade«? Nein, das war June Haver. Auch wenn man also nicht darauf kam, wer sie war, war doch eines sonnenklar: Falls dieses Mädchen noch kein Star war, dann würde sie mit Sicherheit noch einer werden.

Obwohl ich Paulette nie kennengelernt hatte, waren meine Gefühle ihr gegenüber schon seit längerem gemischt. Für einen Teil von mir war sie ein Vorbild, eine, deren Erfolg ich nacheifern sollte. Ein anderer Teil von mir nahm es ihr und ihrem blasierten Lächeln sehr übel, mich ständig daran zu erinnern, dass sie es aus dem Shaw House bis nach Hollywood geschafft hatte. Ich war schon so manchen Abend betrunken ins Haus gestolpert und hatte ihrem Foto eine höhnische Bemerkung mitgegeben, einfach nur, weil es mich still und leise immer wieder auf etwas stieß, womit ich mich nicht auseinandersetzen wollte: Sie war dabei, etwas aus sich zu machen, und ich war ein großes, fettes Nichts und würde das sehr wahrscheinlich auch immer bleiben. Paulettes Tod hatte daran nichts geändert. Es war auf gewisse Weise sogar noch schlimmer geworden. Wenn noch nicht mal jemand wie Paulette ein glückliches Ende nahm, wie konnte es da noch Hoffnung für den Rest von uns geben?

Am nächsten Tag wurden Jayne und ich von Rubys Freudenschreien geweckt. Normalerweise hätte ich diese Geräusche ignoriert, aber Ruby hatte sich dazu entschieden, sie in unserem Zimmer von sich zu geben, während sie die Vorhänge aufzog und die Nachmittagssonne hereinließ.

»Wacht auf, ihr Schlafmützen, es gibt Neuigkeiten.« Sie schlug mit einer zusammengerollten Zeitung gegen das eiserne Fußteil meines Betts.

»Und hier gibt es gleich Tote«, murmelte ich.

»Es ist ein Uhr«, sagte Ruby, und das Entsetzen darüber, dass wir so spät noch im Bett lagen, raubte ihrer Stimme fast alle Fröhlichkeit. »Während ihr beiden den ganzen Tag verpennt habt, habe ich gerade eine Rolle in Walter Fridays Nach Süden bekommen.«

Ich warf Jayne einen Blick zu, und stillschweigend dämmerte uns, was passiert sein musste: Während wir Als Schicksal beklagten, hatte Ruby Wind von Paulette Monroes Tod bekommen und sich deren Rolle geangelt, noch bevor der Leichnam unter der Erde war.

Rubys Schachzug war kaltherzig, berechnend und bar jeden Mitleids. Und ich konnte einfach nicht glauben, dass sie ihn getan hatte, bevor ich selbst dazu gekommen war.

»Ich dachte, du machst bei der Tournee mit«, sagte Jayne. Sie hatte in den letzten sechs Wochen gemeinsam mit Ruby in einem Stück gespielt, das das theatralische Pendant von Eis auf Apfelstrudel war: ein süßliches, furchtbar heimeliges proamerikanisches Machwerk, das ein leichtes Gefühl von Übelkeit erzeugte. Als es mit dem Krieg schlimmer wurde, rasten die Besucherzahlen schneller in den Keller als die Bomben im Blitzkrieg. Deswegen hatte der Verfasser befunden, sein Stück solle über Land und durch Kleinstädte touren, wo man dessen Botschaft besser zu schätzen wusste. Ruby hatte dann sehr viel mehr Presse bekommen als Jayne, und da meine Mitbewohnerin zu diesem Zeitpunkt noch in gutem Kontakt mit Tony und dessen finanziellen Ressourcen stand, war sie einfach ausgestiegen.

»Ich habe mich gegen die Tournee entschieden«, erzählte Ruby jetzt. »Mein Part war furchtbar klein und, mal ehrlich, ich konnte es mir absolut nicht vorstellen, vor Leuten zu spielen, die mit einer wirklich professionellen Produktion nichts anzufangen wissen.« Sie hatte sich aufgetakelt und steckte in einem grünen Wollkostüm. Churchill merkte, dass dieser Garderobe noch das gewisse Etwas fehlte, stieg vom Bett und rieb seinen Kopf an ihrem Bleistiftrock.

»Und was sagt Lawrence dazu?«, fragte ich. Lawrence Bentley, Dramatiker und ein Liebling des Broadway, war Rubys Mal-ja-mal-nein-Liebhaber. Ihr Gesichtsausdruck sagte deutlich, dass im Moment wieder mal nein angesagt war.

»Ist mir egal. Es ist höchste Zeit, dass ich diesen selbstverliebten Schmock nie mehr wiedersehe.«

Wenn ich die Kraft dafür gehabt hätte, hätte ich die Augen verdreht. »Hast du das nicht schon das letzte Mal gesagt, als ihr Schluss gemacht habt?«

»Dieses Mal gilt es.« Sie legte sich die Hände auf die Brust, ein Zeichen, dass sie gedachte, etwas Wichtiges von sich zu geben. »Ich habe jemand Neuen kennengelernt.«

Vor meinem inneren Auge tauchte das Bild einer Fliege auf, die sich in den seidigen Fäden ihres Netzes verfangen hatte. »Lawrence wird dich doch bestimmt nicht ungestraft ziehen lassen. Ob dir das gefällt oder nicht: Er hat eine Menge Einfluss in der Stadt.«

»So unglaublich viel Einfluss, dass sie ihn jetzt eingezogen haben.« Ruby stieß Churchill mit der Schuhspitze an, und der Kater schlich davon. »Ich bezweifle, dass er Zeit hat, sich über mich zu äußern. Und er weiß auch, dass ich nicht so blöd bin, auf einer Tournee zu versauern, wenn sich so viele andere Möglichkeiten für mich ergeben. Außerdem …«

»Ja?«, hakte ich nach.

Sie blinzelte auf eine gänzlich unvorteilhafte Weise. Ich dachte schon, sie hätte Verstopfung, als ich in ihrem Augenwinkel eine Träne glitzern sah. Besonders gerührt war ich nicht. Ruby konnte Tränen schneller hervorpressen als General MacArthur es schaffte, ein Taxi anzuhalten. »Es ist nur angemessen, dass eine Freundin für Paulette einspringt. Ich würde mir das auch so wünschen, wenn mich ein derart schreckliches Schicksal ereilen würde.«

»Wie taktvoll von dir.«

Mit einer zackigen Handbewegung wischte sie die Träne fort. »Mach dich nicht lustig. Immerhin werde ich bloß nach Tarif bezahlt.«

Das war allerdings wirklich eindrucksvoll. Normalerweise verdiente Ruby bei einer Produktion immer mehr Geld als alle anderen. Dass sie sich auf eine Gage nach Tarif eingelassen hatte, konnte nur zweierlei bedeuten: Entweder handelte sie tatsächlich im Gedenken an eine gute Freundin, oder sie wusste, dass ein Engagement bei Walter Friday ihrer Karriere einen Schub verpassen konnte, der einem Freifahrtschein nach Hollywood gleichkam.

»Ich wusste gar nicht, dass du Paulette gekannt hast«, sagte ich.

»Wir sind uns nie persönlich begegnet, aber wir haben viele gemeinsame Freunde. Und ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft mich Leute mit ihr verglichen haben.« Das wunderte mich nicht. Genau wie Paulette war auch Ruby eine junge, aufstrebende Schauspielerin, die sich ihren jetzigen Erfolg mit einem ellenlangen Lebenslauf hart erarbeitet hatte. Sie würde noch ganz groß rauskommen, falls niemand sie vorher umbrachte.

Jayne warf die Hände in die Luft. »Na dann … Glückwunsch.«

»Denkt dran, auch Minnie zu gratulieren, wenn ihr sie seht.«

»Ist sie auch engagiert worden?«, fragte Jayne.

»Ja, für eine kleine Rolle«, sagte Ruby. »Aber wir müssen unsere Erfolge feiern, wie sie fallen.«

Darauf schnaubte ich wütend. »Über solche Hurrarufe von Herzen freut Minnie sich sicher sehr. Was für ein Stück ist das denn eigentlich?«

»Etwas Brandneues und sehr Aufregendes. Ein Musical über vier Schwestern, die eine Plantage neben einer Militärbasis in South Carolina erben. Die Lieder sind sehr clever, Friday hat vor, damit das Musical zu revolutionieren.«

»Und wie das? Lässt er die Musik weg?«

»Nein.« Ruby schnalzte verärgert mit der Zunge. »Er nimmt eine Ballettgruppe mit dazu.« Sie zog die Zeitung unter ihrer Armbeuge hervor und blätterte zu den »Neuigkeiten aus dem Rialto«. »Tatsache ist: Morgen Mittag gibt es ein offenes Casting für Tänzerinnen und Tänzer. Volle Gage für jeden Proben- und jeden Aufführungstag.« Sie warf die Zeitung auf mein Bett. »Ich bin natürlich sicher, dass ihr beide daran nicht interessiert seid – wäre ja deutlich unter eurer Würde.« Hätte es sich bei Ruby um eine Normalsterbliche gehandelt, wäre es nett und sogar großzügig gewesen, diese Information mit uns zu teilen. Aber wir kannten sie besser. Sie rechnete sowieso nicht damit, dass wir zu diesem Vortanzen gehen würden, aber sie hoffte, dass wir jetzt, nachdem sie uns davon erzählt hatte, den Rest des Tages mit der bangen Frage verbringen würden, ob wir wirklich nicht zu mehr als zu einem armseligen Part in einem Tanzensemble taugten. Man musste diese Dame schon bewundern: Es so beiläufig hinzubekommen, dass andere sich schlecht fühlten – dazu brauchte es schon eine Menge Schneid.

»Danke für den Hinweis«, sagte ich zu ihr. »Aber wir wollen dich ungern in den Schatten stellen.«

Ihre Antwort war ein höhnisches Lächeln. Dann scharwenzelte sie durch die Tür, der Saum ihres Rocks war voller Katzenhaare.

»Wie kommt sie bloß immer an diese Rollen?«, fragte ich Jayne.

Die setzte sich an den Frisiertisch und begann seufzend, ihre blonde Vogelnest-Frisur zu entwirren. »Du musst zugeben, sie hat Talent.«

»Nichts muss ich zugeben.«

Während Jayne sich fertig machte, lümmelte ich träge herum und hatte keine Lust, aufzustehen und einen Tag zu beginnen, der uns sowieso schon längst überholt hatte. Ich dachte an Al in seiner Vier-Quadratmeter-Zelle, mit einer einzigen Verbindung zur Außenwelt, nämlich einem Fenster in der Größe eines Esstellers. Wahrscheinlich drückte er sich in dem bisschen dort hindurchbrechenden Sonnenlicht herum – wie Churchill hier – und versuchte gierig, in den wenigen Stunden, in denen sich die Möglichkeit bot, ausreichend Wärme zu horten.

Mein Blick fiel auf die Zeitung, die Ruby liegengelassen hatte. Da stand es schwarz auf weiß: »Walter Fridays Nach Süden verliert Hauptdarstellerin.«

»Es könnte Spaß machen«, sagte ich.

»Was?«

»Nach Süden.«

»Es ist ein Ballettensemble, Rosie.«

Es war klar, worauf sie hinauswollte. Revue-Tanzgruppen waren eine Sache – fast jede Schauspielerin, die ich kannte, hätte sich dort durchmogeln können. Aber ein Ballettensemble? Das hatte nichts zu tun mit einer guten alten Tanzgruppe, der man einfach nur einen aufgeblasenen französischen Namen verpasst hatte. Hier waren seriöse Tänzerinnen gefragt, solche mit jahrelanger Ballettausbildung.

Ich hatte schon einigen Revuegruppen angehört, und obwohl ich sicherlich keinen Preis für mein Getanze bekommen würde, war ich einigermaßen passabel. Aber wenn ich versuchen würde, mich in einem Ballettensemble zu behaupten, sähe ich aus wie Mickey Rooney, der bei den Marines mitmachen will.

»Du sagst es«, meinte ich zu Jayne.

Auch wenn ich für ein Ensemble gänzlich ungeeignet war, war Jayne eine der wenigen, die es geschafft hatten, die unsichtbare Kluft zwischen Schauspielerei und Tanz zu überwinden. Sie war eine verdammt gute Tänzerin – was ihr oft genug auch zum Nachteil gereichte. Sie war so hübsch, dass wegen ihr Autos auf offener Straße anhielten, und sie hatte eine Menge naturgegebenes Schauspieltalent. Aber ihr war eine derart hohe Stimme in die Wiege gelegt worden, dass die Hälfte von allem, was sie sagte, nur von Hunden gehört wurde. Daran arbeitete sie, so gut sie konnte, und viele Regisseure waren wegen ihres einnehmenden Wesens bereit, ihr trotz der stimmlichen Beschränktheit eine Chance zu geben. Sobald aber ein Regisseur Wind davon bekam, dass ihre Beinarbeit keine solchen Defizite aufwies, wurde sie gerne mal von einer Sprechrolle auf einen Tanzpart abgeschoben.

»Du hast doch im Moment nichts anderes«, sagte ich.

Jayne überlegte, die Bürste in der Hand. »Rosie …«

»Was?«

Als sie sich zu mir umdrehte, zerschnitt eine grimmige Falte zwischen den Brauen ihr Gesicht in zwei Hälften. »Ich ahne, was du vorhast. Du willst, dass ich mich bei der Show bewerbe, und zwar aus einem einzigen Grund: Al.«

»Es gibt noch einen zweiten Grund: Ruby ärgern.«

Die Produktion, aus der Jayne gerade ausgestiegen war, hätte eigentlich ihr großer Karrieresprung werden sollen, aber daraus war nichts geworden, weil sie von Ruby, der Lawrence Bentley noch in letzter Minute eine kleine Rolle auf den Leib geschrieben hatte, in den Schatten gestellt worden war. Anstatt Ruby das übel zu nehmen, reagierte Jayne, wie sie in solchen Situationen immer reagierte: Sie litt schweigend und war überzeugt davon, dass sie es sowieso nicht anders verdient hatte.

Trotzdem ließ sie die Aussicht auf Rache jetzt richtig lebhaft werden. »Wenn ich da allen erzähle, wie sie wirklich ist, wird ihr das gehörig auf den Wecker gehen, oder?«

»Das steht zu hoffen. Außerdem gibt’s da ja auch noch Walter Friday, und es schadet sicher nicht, ihn mal kennenzulernen.«

Jayne grinste spitzbübisch. »Ich mach’s … aber nur unter einer Bedingung.«

»Rück raus.«

Ihr Lächeln verschwand. »Du kommst mit.«

»Du weißt, dass ich nicht den Hauch einer Chance habe. Warum also soll ich einen ganzen Tag verschwenden und mich bei so einem Massenauflauf mit in die Schlange stellen, hm?«

Jayne bürstete ihre Korkenzieherlocken in weiche Wellen aus. »Um mich bei Laune zu halten. Ich mache das schließlich für dich. Und ich brauche jemanden, der mir dabei hilft, die Zeit totzuschlagen.«

3 Frisch voran

Am nächsten Morgen waren wir schon um zehn Uhr auf den Beinen, was uns genügend Zeit ließ, etwas zu frühstücken, uns aufzubrezeln und immer noch so pünktlich am Theater zu sein, dass einerseits die Auswahlkommission noch keine müden Augen hatte, wir aber andererseits auch nicht wirkten, als suchten wir verzweifelt nach Arbeit. Die Aufführung sollte am Sarah-Bernhardt-Theater stattfinden, einem großen Gebäude im byzantinischen Stil, das westlich des Broadway auf der 45. Straße lag. Es war nach der gefeierten französischen Bühnenschauspielerin benannt, die außerdem als Vaudeville-Darstellerin und Stummfilmstar berühmt geworden war. Im Foyer hing über dem Künstlereingang ein in Stein gemeißeltes Zitat von ihr: »Leben zeugt Leben. Energie gebiert Energie. Reich beschenkt werden diejenigen, die zur Hingabe fähig sind.« Sie war wohl ein ziemlich handfestes Mädchen gewesen.

Das noch relativ junge Theater war genauso bekannt für die künstlerische Gestaltung des Foyers wie für seine Bühnenarbeiten. Es war eines dieser Theater, an dem sich jeder Schauspieler ein Engagement erträumte, in das aber kaum einer seinen Fuß setzte, weil er sich noch nicht mal den Eintritt zur Sonntagsmatinee leisten konnte. Ich war schon einmal da gewesen, weil ich Shirley Booth in »Meine Schwester Ellen« hatte sehen wollen. Die Hälfte der Vorstellung hatte ich dann allerdings gar nicht mitbekommen, da mich das Gefühl völlig übermannt hatte, dies hier sei richtiges Theater und alles, was ich tat, eine armselige Nachahmung dessen. Natürlich entschieden Größenordnung und Aufführungsort nicht automatisch über die Bedeutung der Stücke, in denen ich mitspielte, aber es war nicht einfach, sich wirklich für ein Stück zu begeistern, wenn man zu jedem Aufführungstermin schon im Kostüm erscheinen musste, weil man sich, wenn man das nicht tat, zum Umziehen in die Schlange vor den öffentlichen Toiletten einreihen durfte.

In der 45. Straße standen Männer und Frauen bereits in einer langen Reihe im Foyer. Sie waren sämtlich damit beschäftigt, die Dehnbarkeit ihrer Turnanzüge und Trikots zu testen, und spreizten unmenschlich lange Beine gen Himmel, während sie den Rücken derart durchbogen, dass sie mit den Köpfen fast zwischen den Pobacken klebten. Wir nahmen unseren Platz hinter den Schlangenmenschen ein, und ich besah mir ausführlich diese Körper, die hochwahrscheinlich zur gleichen Spezies gehörten wie meiner, aber trotzdem gänzlich andere Dinge vermochten als dieses große, unbeholfene Paket, in dem ich mich durch die Stadt schleppte.

»Ich würde einiges dafür geben, einen von ihnen in der Mitte durchbrechen zu sehen«, sagte ich zu Jayne. Als Antwort grummelte ihr Magen. »Ganz ruhig, Tiger. Erst die Arbeit, dann das Essen.«

»Riechst du das?«, fragte sie mich.

Jemand hatte eine der Foyertüren sperrangelweit offen gelassen. Kalte Winterluft kam herein. Über die sinnenfrohe Mischung aus Pariser Abend und Eau de Schweißtrikot legte sich ein Geruch, der mich an die Küche meiner Großmutter erinnerte. Sie war nie eine große Köchin gewesen und schaffte es, jedes schöne Stück Fleisch und herrlich frisches Gemüse mit ihrem antiken Eisenofen zu ruinieren, einem Gerät, mit dem ihrer Überzeugung nach kein neueres Modell mithalten konnte. Wenn man den Braten gern schwarz hat und die Kartoffeln bis auf die Schale zerkocht, hatte sie Recht.

Ich ortete den Ursprung des Gestanks. »Das kommt von dem Restaurant auf der anderen Straßenseite. Wenn das das Angebot des Tages sein soll, verzichte ich gern.« Es sollte unter Strafe stehen, Fleisch in Zeiten, in denen es so wenig davon gab, derart zugrunde zu richten.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder von meinem Magen auf die Menge vor uns. Alles an diesen Männern und Frauen sprach von Stärke und Kontrolliertheit, jede ihrer Bewegungen wirkte instinktiv und mühelos. Und auch wenn sie den anderen Tänzern meist nur bis an die Schulter reichte, war Jayne eindeutig eine von ihnen. Im selben Moment, in dem wir das Foyer betraten, nahm sie Haltung an, ihre Bewegungen bekamen etwas Bewusstes, Choreografiertes. Ich versuchte, sie so gut wie möglich zu imitieren, konnte mich aber abmühen, so viel ich wollte: Der Anmut, die in jeder ihrer Bewegungen lag, kam ich einfach nicht nahe. Unser beider Verrenkungen hatten eindeutig keinerlei Ähnlichkeit.

Zum Glück bemerkten die anderen den Eindringling in ihrer Mitte nicht. Um fünf nach eins betraten die Besetzungschefs das Foyer und gaben jedem Tänzer entweder ein Ja oder ein Nein, so schnell, dass sie mehrfach wiederholen mussten, was sie gerade gesagt hatten. Jayne und ich beobachteten mit wachsendem Schrecken, wie die Männer und Frauen, die wir für absolute Top-Kandidaten gehalten hatten (groß, geschmeidig, das Haar zum perfekten Nackenknoten gebunden), ihre Entlassungspapiere bekamen, während die im engeren Sinne weniger nach Tänzer Aussehenden in der Reihe stehen bleiben sollten. Ich dachte schon, dass das Ganze ein grausamer Scherz war: Die Tänzer, die weggeschickt worden waren, wurden sicher gerade für das eigentliche Vortanzen auf Bühne Nummer zwei geführt, während die, die ein Ja bekommen hatten, gleich von der Kommission zu hören bekommen würden: »Ihnen fällt aber schon auf, dass wir uns gerade einen kleinen Spaß erlaubt haben, oder?«

Falls es irgendwo eine Pointe gegeben haben sollte – wir bekamen sie nicht mit. Bevor ich verkünden konnte, dass ich lediglich zur moralischen Unterstützung anwesend war, rauschten die Besetzungschefs auch schon an Jayne und mir vorbei und gaben uns beiden ein Ja, so schnell hintereinander, dass nur ein einziges Wort zu verstehen war. Es blieb keine Zeit, auf den Irrtum hinzuweisen. Kaum waren die Chefs aus dem Foyer, erschien ein elfenhafter Mann in einem grünen Turnanzug, verteilte Nummern, die wir uns an die Brust heften sollten, und wies uns an, unsere Siebensachen mit in den Probenraum im zweiten Stock zu nehmen.

Während die Menge die Treppe hinaufströmte, zog ich Jayne zur Seite.

»Was soll ich machen?«

»Was meinst du?«, fragte sie.

»Ich bin gerade durch die erste Phase eines Vortanzens gekommen, bei dem ich nicht vortanzen wollte. Findest du das nicht problematisch?«

»Nicht wirklich. Hast du denn heute noch etwas anderes vor?«

Punkt für sie.

Vortanzen war kein bisschen wie Vorsprechen. Bis auf jahrelanges Training oder vererbtes Können bereitete einen nichts auf ein Vortanzen vor. Und darum ging es auch. Die Regisseure wollten nicht nur sehen, was man schon draufhatte, sondern auch, wie schnell man etwas Neues lernen konnte. Man ging da nicht mit irgendeiner vorher eingeübten Choreografie rein, die man so gut auswendig konnte wie einen Monolog. Nein, man schaute zusammen mit den anderen armen Tölpeln einem sich mit der Geschwindigkeit eines zu schnell abgespielten Films bewegenden Vortänzer bei Schrittfolgen zu, die bei ihm lächerlich einfach wirkten, die aber wie von magischer Hand in der Sekunde, in der man sie selbst probierte, sehr viel komplizierter wurden. Das Schwierigste daran war, sich die Schrittkombination zu merken, denn der Vortänzer zeigte sie selten häufiger als zwei Mal. Manche Tänzer schienen ein spezielles Gedächtnis für Bewegungsabläufe zu besitzen, aus dem sie schlagartig alles abrufen konnten, was sie in welcher Reihenfolge gesehen hatten, und machten alles perfekt nach. Ich gehörte nicht zu ihnen.

Jayne zum Glück schon. Wir sollten uns in vier Reihen hintereinander im Probenraum aufstellen. Um mir bei meiner besten Freundin alles abschauen zu können, suchte ich mir schnell den Platz direkt hinter ihr. Ich dachte dabei nicht nur an mich. Wenn ich es versaute, stand sie als meine unmittelbare Nachbarin sicher besonders gut da.

Der Elfenmann baute sich direkt vor uns auf. In dem raumbreiten Spiegel hinter ihm war sein schmaler Rücken genauso zu sehen wie unsere gewöhnlichen Hungergesichter. Er legte ein kurzes, sehniges Bein auf die Stange und dehnte sich, was nicht so aussah, als würde er sich auf das Kommende vorbereiten, sondern als wollte er lediglich seine Beweglichkeit vorführen. Sobald er sich ausreichend produziert hatte, nickte er der Korrepetitorin zu, einer steinalten, grauhaarigen Lady, die seit Urzeiten die Kunst zu beherrschen schien, gleichzeitig Klavier spielen und Kette rauchen zu können. Sie hob ihre knotigen Finger hoch in die Luft und ließ sie für ein misstönendes Vorspiel auf die Tasten herunterkrachen. Der Elf sprang und streckte, dehnte und reckte sich in einer Bewegungsabfolge, die ihm außerhalb dieses Raums einen langen Aufenthalt in der Klapse beschert hätte.

»Gut«, sagte er, nachdem er in seine Miniaturhändchen geklatscht hatte, »jetzt sind Sie dran.« Wir versuchten, seine Ausgangsposition einzunehmen, warteten, dass die Korrepetitorin ihre Lucky Strike abgeascht hatte, und stürzten uns in die ersten Takte wie Fallschirmjäger aus einem Flugzeug. Die eine Hälfte konnte sich erinnern, was sie gesehen hatte, und schaffte einigermaßen spielend, es nachzuahmen. Der Rest von uns fing ungefähr nach dem fünften Schritt an, einfach irgendetwas zu machen, das einigermaßen nah an dem dran war, was der Elf dargebracht hatte. Diese Bemühungen wurden eine nach der anderen mit einem scharfen »Nein!« quittiert, was unserem Gedächtnis aber auch nicht wieder auf die Sprünge half.

Das Stück kam zum Ende. Der Elf legte die Fingerspitzen an die Lippen, als müsste er seine nächsten Worte erst physisch verorten, bevor er sie aussprechen konnte. »Ich zeige es noch einmal. Schauen Sie diesmal aufmerksamer zu.« Er zeigte, ich schaute, aber es brachte nicht viel. Die anderen Tänzerinnen und Tänzer hatten diesmal ihre Lektion gelernt, aber ich schaffte es einfach nicht, die Sache ernsthaft anzugehen. Auch wenn ein Wunder geschehen sollte und ich es hinbekam, mir den Ablauf der Übung ins Hirn zu meißeln, irgendwo am Ende der Strecke würde ich doch wieder aus der Kurve fliegen. Das war der natürliche Lauf der Dinge.

»Sie da, großes Mädchen«, sagte der Elf, als die zweite Runde Demütigung vorbei war. Da diese Beschreibung auf die Hälfte aller Frauen im Raum zutraf, schauten alle umher, um die gemeinte Riesin ausfindig zu machen. »Nein, Sie«, sagte er und zeigte mit dem Finger in meine Richtung. Das war’s, man würde mir endlich die Tür weisen. Gott sei Dank.

»Ich hole nur noch schnell meine Sachen.« So beschämt, wie ich es gerade vorgaukeln konnte, ließ ich den Kopf sinken.

»Nein, nein«, sagte er. »Wir versuchen es noch einmal – ich sage jeden Schritt an.«

Ich wurde nicht schlau aus dem, was der kleine Mann da tat. Wollte er mich als Rache an all den langen Lulatschen, die es in seinem Leben nicht gut mit ihm gemeint hatten, weiterquälen oder hatten meine schlappen Tanzversuche bei ihm eine Art Helfersyndrom ausgelöst?