Eine Geschichte der Welt in 10,5 Kapiteln - Julian Barnes - E-Book

Eine Geschichte der Welt in 10,5 Kapiteln E-Book

Julian Barnes

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Beschreibung

Ein Klassiker von Julian Barnes – genial und witzig In 10½ miteinander korrespondierenden Episoden schreibt Julian Barnes davon, wie es ist, wenn man sich in die Fluten des Lebens stürzt. Auf den Spuren des Arche-Noah-Mythos nagt er sich, einem seiner kleinsten Protagonisten gleich, durch das Leben und die Geschichten, die es schreibt. Er berichtet von einem blinden Passagier, der mit ansehen muss, wie seine Mitreisenden einer nach dem anderen von der hungrigen Mannschaft der Arche Noah verspeist werden, von den sonderbaren Irrfahrten einer jungen Frau, von einer beschwerlichen Reise zum Berg Ararat, einem Filmdreh in Südamerika, der furchtbar in die Hose geht, von einer Geiselnahme auf hoher See, von Géricaults »Floß der Medusa« und wie aus einer Katastrophe Kunst wird.»Eine Geschichte der Welt in 10½ Kapiteln« ist ein meisterliches Spiel mit Erzählformen und Perspektiven, eine Reise durch die Jahrhunderte und durch die Möglichkeiten der Sprache.

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Seitenzahl: 534

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Julian Barnes

Eine Geschichte der Welt in 10 ½ Kapiteln

Aus dem Englischen von Gertraude Krueger

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Julian Barnes

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Abbildung - Das Floß der MedusaWidmungEins Der blinde PassagierZwei Die BesucherDrei Die ReligionskriegeVier Die ÜberlebendeFünf SchiffbruchEinsZweiSechs Der BergSieben Drei einfache GeschichtenEinsZweiDreiAcht Stromaufwärts!In KlammernNeun Projekt AraratZehn Der TraumAnmerkung des Autors
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J.L.T. Géricault, Das Floß der Medusa, 1819. Musée du Louvre, Paris

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Für Pat Kavanagh

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EinsDer blinde Passagier

Die Behemoths haben sie mit den Nashörnern, den Flusspferden und den Elefanten zusammen in den Laderaum gesteckt. Es war eine vernünftige Entscheidung, sie als Ballast zu verwenden; aber ihr könnt euch vorstellen, wie es da stank. Und es war niemand zum Ausmisten da. Die Männer waren schon mit dem Fütterdienst überlastet, und ihre Frauen, die unter den lodernden Feuerzungen ihrer Duftwässer bestimmt genauso schlimm rochen wie wir, waren viel zu zart dafür. Wenn also überhaupt ausgemistet werden sollte, mussten wir das schon selbst machen. Sie haben alle paar Monate den dicken Lukendeckel auf dem Achterdeck hochgekurbelt und die Putzvögel reingelassen. Na ja, erst mussten sie mal den Geruch rauslassen (und es meldeten sich nicht sehr viele freiwillig zum Kurbeln); dann sind sechs oder acht nicht gar so zartbesaitete Vögel etwa eine Minute lang vorsichtig um die Luke rumgeflattert, bevor sie da reintauchten. Ich kann mich nicht erinnern, wie die alle hießen – und eins von diesen Pärchen gibt es auch gar nicht mehr –, aber ihr wisst schon, was für welche ich meine. Habt ihr schon mal Flusspferde mit offenem Maul gesehen, und muntere kleine Vögelchen picken ihnen wie wild gewordene Dentalhygieniker zwischen den Zähnen rum? Stellt euch das so ähnlich vor, nur viel größer und dreckiger. Ich bin eigentlich nicht zimperlich, aber selbst mich hat’s geschüttelt bei dem Anblick unter Deck: Eine Reihe schielender Monster lässt sich in einer Kloake maniküren.

Es herrschte strenge Disziplin auf der Arche: Das ist schon mal der erste Punkt. Es war nicht so wie bei diesen Kindergartenausgaben aus angemaltem Holz, mit denen ihr früher vielleicht auch gespielt habt – allenthalben glückliche Pärchen, die aus der Behaglichkeit fein geschrubbter Boxen fröhlich über die Reling lugen. Ihr dürft euch das nicht wie eine Mittelmeerkreuzfahrt vorstellen, wo wir träge Roulette spielten und alle sich zum Dinner umzogen; auf der Arche gingen nur die Pinguine im Frack. Denkt daran: Das war eine lange und gefährliche Seereise – gefährlich, auch wenn die Regeln zum Teil vorher festgelegt worden waren. Denkt auch daran, dass wir das gesamte Tierreich an Bord hatten: Hättet ihr etwa die Geparden in Sprungweite der Antilopen untergebracht? Ein gewisser Sicherheitsstandard war unerlässlich, und doppelt verriegelte Schlösser, Boxeninspektionen, eine nächtliche Ausgangssperre nahmen wir hin. Doch leider gab es auch Bestrafungen und Isolierzellen. Irgendwer ganz oben kriegte einen Informationensammeltick; und gewisse Mitreisende ließen sich als Lockvögel einspannen. Ich muss zu meinem Bedauern berichten, dass das Verpfeifen bei der Obrigkeit mitunter weitverbreitet war. Das war kein Naturschutzpark da auf unserer Arche; bisweilen war das eher so etwas wie ein schwimmendes Gefängnis.

Also, ich weiß ja, dass die Darstellungen auseinandergehen. Eure Spezies hat ihre vielfach wiedergekaute Version, die auch Skeptiker noch immer entzückt; und die Tiere haben ein Kompendium sentimentaler Mythen. Aber die werden euch schon nicht den Wind aus den Segeln nehmen, nicht wahr? Wo man sie doch als Helden gefeiert hat, wo es doch mittlerweile Ehrensache ist, dass der Hinterste und Letzte seinen Stammbaum stolz direkt bis zur Arche zurückverfolgen kann. Sie waren auserwählt, sie haben durchgehalten, sie haben überlebt: da ist es nur normal, dass sie verfängliche Episoden vertuschen, dass ihr Gedächtnis sie im geeigneten Moment im Stich lässt. Aber ich bin frei von solchen Befangenheiten. Ich war niemals auserwählt. Genau genommen war ich, wie diverse andere Arten, ausdrücklich nicht auserwählt. Ich war ein blinder Passagier; ich habe gleichfalls überlebt; ich bin entwischt (von Bord zu gehen, war kein bisschen leichter, als an Bord zu gehen); und ich floriere. Ich stehe etwas außerhalb der übrigen Tiergesellschaft, die noch immer ihre nostalgischen Zusammenkünfte hat: da gibt es sogar einen Club der Seefesten für Arten, denen kein einziges Mal schlecht geworden ist. Wenn ich an Die Reise zurückdenke, fühle ich mich niemandem verpflichtet; mir verschmiert keine Dankbarkeitsvaseline die Linse. Meiner Darstellung könnt ihr vertrauen.

Dass die »Arche« mehr als nur ein einziges Schiff war, habt ihr vermutlich erfasst? Wir haben die ganze Flottille so genannt (man konnte wohl kaum hoffen, das gesamte Tierreich in einen Kasten von gerade mal dreihundert Ellen Länge zu pferchen). Es regnete vierzig Tage und vierzig Nächte? Ha, natürlich nicht – das wäre ja nicht mehr gewesen als ein gewöhnlicher englischer Sommer. Nein, es regnete ungefähr anderthalb Jahre lang, nach meiner Rechnung. Und die Wasser waren auf Erden hundert und fünfzig Tage? Macht da mal ruhig an die vier Jahre draus. Und so weiter. Im Umgang mit Daten war eure Spezies immer schon ein hoffnungsloser Fall. Ich erklär mir das mit eurem komischen Tick mit der Sieben.

Am Anfang bestand die Arche aus acht Schiffen: Noahs Galeone, die das Proviantschiff im Schlepptau hatte, dann vier etwas kleinere Schiffe, auf denen jeweils einer von Noahs Söhnen das Kommando führte, und dahinter, in sicherer Entfernung (da die Familie, was Krankheiten anging, abergläubisch war) das Hospitalschiff. Das achte Schiff sorgte kurze Zeit für Rätselraten: eine pfeilschnelle kleine Schaluppe mit filigranem Sandelholz-Prunkheck, die Hams Arche hinterherscharwenzelte. Wenn man leewärts kam, wurde man bisweilen von seltsamen Düften gekitzelt; nachts, wenn der Sturm nachließ, konnte man ab und zu flotte Musik und schrilles Gelächter hören – überraschende Töne für uns, da wir angenommen hatten, alle Frauen von allen Söhnen Noahs seien auf ihren eigenen Schiffen in sicherer Hut. Doch dieses parfümierte, lachende Boot hielt nicht viel aus: Es sank bei einer jähen Sturmbö, woraufhin Ham wochenlang Trübsal blies.

Das Proviantschiff ging als Nächstes verloren, in einer sternenlosen Nacht, als der Wind abgeflaut war und der Ausguck döste. Am Morgen zog Noahs Flaggschiff nichts als einen dicken Tampen hinter sich her, der durchgenagt war von etwas, das scharfe Schneidezähne besaß und ein Geschick, sich an nasse Taue zu klammern. Das hat heftige Auseinandersetzungen zur Folge gehabt, kann ich euch sagen; ja, vielleicht war das der erste Fall, dass eine Art über Bord ging. Nicht lange danach ging das Hospitalschiff verloren. Es wurde gemunkelt, dass es zwischen den beiden Ereignissen einen Zusammenhang gebe, dass Hams Frau – der es etwas an Gelassenheit gebrach – beschlossen habe, an den Tieren Rache zu üben. Offenbar war ihr Lebenswerk an gestickten Bettdecken mit dem Proviantschiff untergegangen. Aber bewiesen wurde nie etwas.

Trotzdem, das weitaus schlimmste Desaster war, dass wir Varadi verloren. Ham und Sem und der andere, dessen Name mit J anfängt, sind euch ja bekannt; aber von Varadi wisst ihr nichts, oder? Er war der jüngste und stärkste von Noahs Söhnen, was ihn bei der Familie natürlich nicht allzu beliebt machte. Humor hatte er auch – er hat jedenfalls viel gelacht, was eurer Spezies im Allgemeinen als Beweis genügt. Ja, Varadi war immer fröhlich. Man konnte ihn mit einem Papagei auf jeder Schulter über das Achterdeck spazieren sehen; den Vierfüßlern klapste er immer liebevoll aufs Hinterteil, was sie mit einem dankbaren Brüller quittierten; und es hieß, dass auf seiner Arche lange nicht so ein tyrannisches Regime herrschte wie auf den anderen. Aber da habt ihr’s: Eines Morgens wachten wir auf und sahen, dass Varadis Schiff vom Horizont verschwunden war und ein Fünftel des Tierreichs mit ihm. Ihr hättet, glaube ich, eure Freude gehabt an dem Simurgh mit seinem Silberkopf und seinem Pfauenschwanz; doch der Vogel, der im Baum der Erkenntnis nistete, war gegen die Wogen nicht besser gefeit als die Scheckige Wühlmaus. Varadis ältere Brüder sprachen von Navigationsfehlern als Ursache; sie meinten, Varadi habe viel zu viel Zeit dabei vertrödelt, mit den Tieren zu fraternisieren; sie deuteten sogar an, vielleicht habe Gott ihn für irgendein obskures Vergehen bestraft, das er als 85-jähriges Kind begangen habe. Doch egal wie die Wahrheit über Varadis Verschwinden aussehen mag, er war jedenfalls ein schwerer Verlust für eure Spezies. Seine Gene hätten euch sehr gutgetan.

Für uns hatte das ganze Theater mit der Reise so angefangen, dass man uns aufforderte, uns zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu melden. Das war das Erste, was wir von dem Vorhaben erfuhren. Von dem politischen Hintergrund hatten wir keine Ahnung. Der Zorn Gottes auf seine eigenen Geschöpfe war uns neu; wir wurden da einfach mit reingezogen, ob wir wollten oder nicht. Wir waren überhaupt nicht schuld (diese Geschichte mit der Schlange glaubt ihr ja nicht wirklich, oder? – das war nichts als Adams Gräuelpropaganda), und trotzdem waren die Konsequenzen für uns genauso schlimm: jede Art bis auf ein einzelnes Zuchtpaar ausgelöscht, und dieses Pärchen auf hoher See ausgesetzt und einem alten Gauner anvertraut, der gerne mal einen über den Durst trank und bereits im siebten Lebensjahrhundert stand.

So wurde der Befehl ausgegeben; bezeichnenderweise hat man uns aber nicht die Wahrheit gesagt. Habt ihr etwa gedacht, dass in unmittelbarer Nähe von Noahs Palast (oh, er war ja nicht arm, der gute Noah) praktischerweise je ein Exemplar von jeder Art dieser Welt gewohnt hat? Na, na. Nein, es bedurfte einer Ausschreibung, und dann war unter denen, die sich vorstellten, das beste Pärchen zu selektieren. Da sie keine weltweite Panik auslösen wollten, kündigten sie einen Paarwettbewerb an – so was wie eine Mischung aus Schönheitskonkurrenz, Intelligenztest und Wahl des Glücklichsten Goldenen Hochzeitspaars – und sagten, die Bewerber sollten sich bis zu einem bestimmten Monat an Noahs Tor einfinden. Ihr könnt euch vorstellen, was das für Probleme gab. Erst mal ist nicht jeder von Natur aus wettbewerbsorientiert, also kamen vielleicht nur die größten Gierhälse. Tiere, die nicht clever genug waren, um zwischen den Zeilen zu lesen, wussten einfach nicht, wozu sie eine Luxuskreuzfahrt für zwei gewinnen sollten, alles inklusive, besten Dank auch. Außerdem hatten Noah und seine Mitarbeiter die Tatsache nicht bedacht, dass manche Arten zu einer bestimmten Jahreszeit ihren Winterschlaf halten; geschweige denn die noch offensichtlichere Tatsache, dass gewisse Tiere langsamer zu Fuß sind als andere. Da war zum Beispiel ein besonders lässiges Faultier – ein vortreffliches Geschöpf, ich kann mich persönlich dafür verbürgen –, das gerade mal am Fuße seines Baumes angelangt war, als es auch schon in dem großen Aufwasch der Rache Gottes ausgelöscht wurde. Wie nennt ihr das – natürliche Zuchtwahl? Ich nenne das berufliche Inkompetenz.

Die Organisation war, ehrlich gesagt, das reinste Chaos. Noah wurde mit dem Bau der Archen nicht planmäßig fertig (als den Handwerkern aufging, dass es nicht genug Kojen gab, um sie selbst ebenfalls mitzunehmen, war das auch keine Hilfe) mit dem Ergebnis, dass man der Auswahl der Tiere nicht hinreichend Aufmerksamkeit schenkte. Das erste einigermaßen ansehnliche Paar, das daherkam, erhielt den Zuschlag – das war allem Anschein nach das System; auf jeden Fall wurde die Untersuchung des Stammbaums mehr als flüchtig gehandhabt. Und natürlich, sie sagten zwar, sie würden zwei von jeder Art nehmen, aber als die Sache dann konkret wurde … galt für manche Geschöpfe einfach: Teilnahme unerwünscht. Das war bei uns der Fall; darum mussten wir als blinde Passagiere reisen. Und es gab jede Menge Tiere, die rechtlich einwandfrei belegen konnten, dass sie eine eigene Art sind, und deren Antrag abgewiesen wurde. Nein, von euch haben wir schon zwei, hieß es. Was macht das schon für einen Unterschied, ob da ein paar Ringe mehr um den Schwanz oder so Büschelschöpfe auf dem Rücken sind? Wir haben euch. Tut uns leid.

Es gab prachtvolle Tiere, die ohne einen Gatten eintrafen und zurückgelassen werden mussten; es gab Familien, die sich nicht von ihren Sprösslingen trennen lassen wollten und lieber gemeinsam in den Tod gingen; es gab ärztliche Untersuchungen, oftmals von brutaler Zudringlichkeit; und die ganze Nacht lang war die Luft vor Noahs Palisade dicht erfüllt vom Wehklagen der Abgewiesenen. Könnt ihr euch die Stimmung vorstellen, als schließlich bekannt wurde, warum wir uns diesem Witz von einem Wettbewerb hatten unterziehen sollen? Es gab eine Menge Neid und mieses Verhalten, wie man sich vorstellen kann. Einige der vornehmeren Arten trotteten einfach in den Wald davon: Sie verzichteten auf ein Überleben zu den beleidigenden Bedingungen, die ihnen von Gott und Noah geboten wurden, und gaben der Vernichtung und den Wogen den Vorzug. Harte und neidvolle Worte wurden über die Fische gesprochen; die Amphibien machten eine ausgesprochen selbstzufriedene Miene; Vögel trainierten, so lange wie möglich in der Luft zu bleiben. Gelegentlich wurde beobachtet, wie gewisse Affenarten versuchten, sich ein eigenes primitives Floß zu bauen. In einer Woche gab es im Lager der Auserwählten einen mysteriösen Ausbruch von Lebensmittelvergiftung, und für weniger widerstandsfähige Arten musste der Selektionsprozess zum Teil von vorne anfangen.

Es gab Zeiten, wo Noah und seine Söhne regelrecht hysterisch wurden. Das deckt sich nicht mit eurer Darstellung des Ganzen? Ihr habt immer in dem Glauben gelebt, Noah sei weise, gerecht und gottesfürchtig gewesen, und jetzt hab ich ihn schon als einen hysterischen Gauner hingestellt, der sich gerne mal einen auf die Nase goss? Die beiden Anschauungen schließen sich gegenseitig nicht unbedingt aus. Sagen wir’s mal so: Noah war ziemlich schlimm, aber ihr hättet erst die anderen sehen sollen. Es hat uns nicht weiter überrascht, dass Gott reinen Tisch zu machen beschloss; das einzig Verwunderliche war, dass er überhaupt etwas von dieser Spezies erhalten wollte, deren Erschaffung kein besonders günstiges Licht auf ihren Schöpfer warf.

Zeitweise stand Noah durchaus auf der Kippe. Die Arche wurde nicht planmäßig fertig, die Handwerker mussten ausgepeitscht werden, Hunderte von verstörten Tieren biwakierten bei seinem Palast, und keiner wusste, wann der Regen kommen würde. Gott wollte ihm nicht mal ein Datum angeben. Jeden Morgen sahen wir nach den Wolken: würde wie üblich ein westlicher Wind den Regen bringen, oder würde Gott seinen Spezialwolkenbruch aus einer ungewöhnlichen Richtung schicken? Und als sich das Wetter langsam eintrübte, wuchsen die Möglichkeiten einer Revolte. Einige der Abgewiesenen wollten die Arche besetzen und sich selbst damit retten, andere wollten sie schlicht zerstören. Spekulativ veranlagte Tiere fingen an, alternative Kriterien der Selektion zu unterbreiten, die sich auf Größe oder Nützlichkeit der Tiere statt allein auf deren Zahl gründeten; doch Noah lehnte jede Verhandlung hochmütig ab. Er war ein Mann, der seine eigenen kleinen Theorien hatte, und wollte von denen anderer nichts wissen.

Als die Flottille sich der Vollendung näherte, musste sie rund um die Uhr bewacht werden. Es gab viele Versuche, sich als blinder Passagier einzuschmuggeln. Eines Tages wurde ein Handwerker bei dem Versuch ertappt, sich zwischen den unteren Spanten des Proviantschiffes einen Pfaffenwinkel auszukehlen. Und es bot sich manch ein Bild des Jammers: ein junger Elch, der an der Reling von Sems Arche baumelte; Vögel, die im Sturzflug die Schutznetze angriffen, und so weiter. Blinde Passagiere wurden bei ihrer Entdeckung unverzüglich hingerichtet, doch ließen sich die Verzweifelten durch solch öffentliche Spektakel nie abschrecken. Unsere Art gelangte, wie ich mit Stolz berichten kann, ohne Bestechung oder Gewaltanwendung an Bord; andererseits sind wir nicht so leicht zu entdecken wie ein junger Elch. Wie wir das geschafft haben? Wir hatten einen vorausschauenden Ahn. Während Noah und seine Söhne die Tiere, wenn sie die Gangway hochkamen, roh filzten, mit derben Händen durch verdächtig zottelige Vliese fuhren und Prostatauntersuchungen durchführten, die zu den ersten und unhygienischsten ihrer Art zählten, waren wir ihren Blicken bereits entronnen und sicher in unseren Kojen. Einer der Schiffszimmerleute hatte uns in Sicherheit gebracht, ohne zu ahnen, was er da tat.

Zwei Tage lang blies der Wind aus allen Richtungen gleichzeitig; dann begann es zu regnen. Wasser ergoss sich aus einem galligen Himmel, auf dass die verderbte Welt rein werde. Große Tropfen zerbarsten auf dem Deck wie Taubeneier. Die selektierten Vertreter einer jeden Art wurden vom Lager der Auserwählten auf die ihnen zugewiesene Arche gebracht: Es sah aus, als sei eine Massenhochzeit angeordnet worden. Dann machten sie die Luken dicht, und wir hatten uns nun an die Dunkelheit, die Enge und den Gestank zu gewöhnen. Nicht, dass uns das anfangs viel ausgemacht hätte, dafür waren wir von der Aussicht auf unser Überleben zu beschwingt. Der Regen fiel und fiel, ging gelegentlich in Hagel über und prasselte gegen das Holz. Manchmal konnten wir draußen das Krachen des Donners hören und oft das Wehgeheul des verlassenen Getiers. Nach einiger Zeit wurde das Geschrei seltener: Wir wussten, die Wasser hatten zu steigen begonnen.

Schließlich kam der ersehnte Tag. Zuerst hielten wir es für eine Wahnsinnstat der letzten übrig gebliebenen Dickhäuter, die sich gewaltsam Zugang zu der Arche verschaffen oder sie zumindest umschmeißen wollten. Doch nein: Das Schiff legte sich deshalb auf die Seite, weil das Wasser es langsam vom Stapel hob. Wenn ihr mich fragt, war das der Höhepunkt der Reise; das war der Punkt, wo Brüderlichkeit unter dem Getier und Dankbarkeit gegen den Menschen strömten wie der Wein an Noahs Tisch. Später … aber vielleicht war es naiv von den Tieren, dass sie Noah und Gott überhaupt je vertraut hatten.

Schon bevor die Wasser stiegen, hatte es Anlass zum Unmut gegeben. Ich weiß ja, dass eure Spezies gern auf unsere Welt herabblickt, weil sie uns für grausam, kannibalisch und hinterlistig hält (wogegen sich mit Verlaub einwenden ließe, dass das den Abstand zu euch nicht größer, sondern kleiner macht). Bei uns galt aber stets, von Anfang an, das Gleichheitsprinzip. Ja, sicher, wir haben uns gegenseitig aufgefressen und so; die schwächeren Arten wussten nur zu gut, was sie zu erwarten hatten, wenn sie etwas Größerem über den Weg liefen, das noch dazu Hunger hatte. Aber das war für uns einfach der Lauf der Dinge. Die Tatsache, dass ein Tier ein anderes töten konnte, machte das erste Tier dem zweiten nicht überlegen, nur gefährlicher. Es mag für euch vielleicht schwer vorstellbar sein, aber wir hatten Respekt voreinander. Dass man ein anderes Tier auffraß, war kein Grund, es zu verachten; und das Gefressenwerden flößte dem Opfer – oder der Familie des Opfers – keine übertriebene Bewunderung für die speisende Spezies ein.

Noah – oder Noahs Gott – hat das alles geändert. Ihr hattet euren Sündenfall, und wir auch. Wir sind aber nicht von selbst gefallen, uns hat man geschubst. Als die Selektionen für das Lager der Auserwählten vorgenommen wurden, da haben wir es zuerst gemerkt. Das ganze Gerede von wegen zwei von jeder Sorte stimmte (und auf einer simplen Stufe hatte es ja auch was Einleuchtendes), doch war es noch nicht die ganze Wahrheit. Im Lager fiel uns mit der Zeit auf, dass manche Arten nicht auf ein Pärchen zurückgestutzt worden waren, sondern auf sieben Tiere (wieder dieser Tick mit der Sieben). Zuerst dachten wir, die zusätzlichen fünf seien vielleicht als Ersatz vorgesehen für den Fall, dass das Originalpaar auf der Reise krank würde. Aber dann kam es langsam heraus. Noah – oder Noahs Gott – hatte verfügt, dass es zwei Klassen von Viechern gibt: die Reinen und die Unreinen. Von den reinen Tieren kamen je sieben in die Arche, von den unreinen aber je ein Paar.

Es kam, wie man sich denken kann, zu heftigem Unwillen über das Spalterische von Gottes tierpolitischen Maßnahmen. Ja, zunächst waren selbst die reinen Tiere von dem Ganzen peinlich berührt; sie wussten, sie hatten wenig getan, um diese besondere Protektion zu verdienen. Allerdings war das »Reinsein«, wie ihnen rasch klar wurde, kein ungeteilter Segen. »Rein« zu sein bedeutete, dass sie aufgegessen werden konnten. Sieben Tiere waren an Bord willkommen, doch fünf waren für die Kombüse bestimmt. Eine komische Ehre, die ihnen da angetan wurde. Doch zumindest bedeutete es, dass sie bis zum Tag ihrer rituellen Schlachtung so komfortabel wie möglich untergebracht wurden.

Ich konnte der Situation öfter mal was Lustiges abgewinnen, als Ausgestoßener hatte ich gut lachen. Doch unter den Arten, die sich selbst ernst nahmen, kam es zu allen möglichen verzwickten Eifersüchteleien. Dem Schwein war das alles wurscht, da es von Natur aus keine gesellschaftlichen Ambitionen hatte; doch einige der anderen Tiere empfanden den Begriff der Unreinheit als persönliche Kränkung. Und es muss gesagt werden, dass das System – wenigstens so, wie Noah es verstand – sehr wenig sinnvoll war. Was war so Besonderes an paarhufigen Wiederkäuern, fragte man sich? Warum sollten das Kamel und das Kaninchen als zweitklassig eingestuft werden? Was sollte eine Unterteilung in Fische, die Schuppen, und Fische, die keine hatten? Der Schwan, der Pelikan, der Reiher, der Wiedehopf: Gehören sie nicht zu den edelsten Arten? Und doch wurde ihnen das Reinheitsabzeichen nicht zuteil. Warum musste man die Maus und die Eidechse – die eh schon genug Probleme hatten, sollte man meinen – herunterputzen und ihr Selbstvertrauen noch weiter untergraben? Hätten wir nur einen Funken Logik hinter dem Ganzen erkennen können; hätte Noah es nur besser erklärt. Aber er tat nichts, als blind zu gehorchen. Noah war, wie man euch wohl schon oft erzählt hat, ein sehr gottesfürchtiger Mann; und bei dem Naturell, das Gott hatte, fuhr man damit wohl auch am besten. Doch wenn ihr das Weinen der Krustentiere gehört hättet, das würdevolle und verstörte Klagen des Hummers, wenn ihr die trauervolle Scham des Storches gesehen hättet, dann hättet ihr begriffen, dass es unter uns nie wieder so werden würde wie früher.

Und dann war da noch ein kleines Problem. Durch einen unglücklichen Zufall hatten wir sieben Artgenossen an Bord schmuggeln können. Jetzt waren wir nicht nur blinde Passagiere (was manche übelnahmen), wir waren nicht nur unrein (was manche bereits zu verachten begannen), sondern noch dazu machten wir uns über jene reinen und gesetzestreuen Arten lustig, indem wir ihre heilige Zahl nachäfften. Es wurde rasch beschlossen, dass wir verheimlichen sollten, wie viele wir nun waren – und wir traten nie zusammen am gleichen Ort auf. Wir fanden heraus, auf welchen Teilen des Schiffs wir willkommen waren und welche wir lieber meiden sollten.

Ihr seht also, es war von Anfang an ein unglücklicher Konvoi. Manche von uns trauerten denen nach, die wir hatten zurücklassen müssen; andere ärgerten sich über ihren Status; wieder andere machten sich, auch wenn sie theoretisch durch den Titel der Reinheit begünstigt waren, zu Recht Sorgen wegen der Bratpfanne. Und obendrein waren da noch Noah und seine Familie.

Ich weiß nicht, wie ich euch das am besten beibringen soll, aber Noah war kein netter Mensch. Es ist mir klar, dass das ein unangenehmer Gedanke ist, da ihr ja alle von ihm abstammt; trotzdem, es ist halt so. Er war ein Ungeheuer, ein aufgeblasener Patriarch, der den halben Tag damit zubrachte, vor seinem Gott zu kriechen, und den anderen halben damit, seine Wut an uns auszulassen. Er hatte einen Tannenholzknüppel, mit dem … na ja, manche Tiere haben die Streifen heute noch. Es ist erstaunlich, was Angst alles bewirkt. Ich habe gehört, bei eurer Spezies kann ein schwerer Schock innerhalb von Stunden die Haare weiß werden lassen; auf der Arche hatte die Angst sogar noch dramatischere Folgen. Zum Beispiel gab es ein Eidechsenpaar, die brauchten nur Noahs Tannenholzsandalen die Treppe – oder wie das auf einem Schiff heißt: den Niedergang – herunterkommen zu hören, da wechselten die auch schon die Farbe. Ich hab es selbst gesehen; die Haut legte ihren Naturton ab und verschmolz mit dem Hintergrund. Noah hielt immer inne, wenn er an ihrer Box vorbeikam, fragte sich kurz, warum sie wohl leer war, dann spazierte er weiter; und wenn seine Tritte verhallten, kehrten die verschreckten Eidechsen langsam zu ihrer normalen Farbe zurück. Anscheinend hat sich das über die Nachflutjahre als nützlicher Trick erwiesen, doch angefangen hat das alles schon als chronische Reaktion auf den »Admiral«.

Bei den Rentieren war es komplizierter. Sie waren ständig nervös, aber das war nicht nur Furcht vor Noah, das saß tiefer. Ihr wisst doch, dass manche von uns Tieren in die Zukunft schauen können? Das ist schließlich sogar euch aufgefallen, nachdem wir euch jahrtausendelang unsere Lebensgewohnheiten vorgeführt haben. »Ach, guck mal«, sagt ihr, »die Kühe setzen sich auf die Weide, das heißt, es gibt Regen.« Na ja, natürlich ist das alles viel subtiler, als ihr euch überhaupt vorstellen könnt, und es hat ganz bestimmt nicht den Sinn, eine billige Wetterfahne für die Menschen abzugeben. Jedenfalls … die Rentiere plagte etwas, das tiefer saß als Noah-Angst, seltsamer war als Gewitterhysterie; etwas … Langfristiges. Sie schauderten in ihren Boxen oben, bei drückender Hitze wieherten sie neurotisch; sie schlugen gegen die Tannenholzwände aus, wenn es keine offenkundige – und auch keine nachträglich erwiesene – Gefahr gab und wenn Noah sich, für seine Verhältnisse, ausgesprochen zurückhaltend benommen hatte. Doch die Rentiere spürten etwas. Und es war etwas, das über unseren damaligen Kenntnisstand hinausging. Als ob sie sagen wollten: »Ihr meint, schlimmer wird es nicht mehr? Freut euch nicht zu früh.« Trotzdem, was immer es war, nicht mal die Rentiere konnten es genauer erklären. Irgendwas Fernes, Schwerwiegendes … Langfristiges.

Wir Übrigen machten uns, verständlicherweise, viel mehr Gedanken um die unmittelbare Situation. Zum Beispiel wurde gegen kranke Tiere stets erbarmungslos vorgegangen. Dies sei kein Hospitalschiff, ließ die Obrigkeit uns immer wieder wissen; Kranksein war untersagt, Krankfeiern ebenso. Was wohl kaum als gerecht oder realistisch bezeichnet werden kann. Aber man wäre schön dumm gewesen, wenn man sich krank gemeldet hätte. Ein Anflug von Räude, und du warst über Bord, bevor du noch die Zunge zur Untersuchung rausstrecken konntest. Und was meint ihr wohl, was dann mit eurer besseren Hälfte geschah? Was soll man mit fünfzig Prozent eines Zuchtpaars anfangen? Noah war jedenfalls nicht sentimental genug, den trauernden Partner zu beschwören, er möge weiterleben bis zum natürlichen Ende seiner Tage.

Anders ausgedrückt: Was zum Teufel glaubt ihr, haben Noah und seine Familie auf der Arche gegessen? Uns, natürlich. Ich meine, wenn ihr euch heutzutage im Tierreich umseht, dann glaubt ihr doch nicht etwa, das sei alles, was es je gegeben habe? Eine Menge Tiere, die mehr oder weniger gleich aussehen, und dann eine Weile nichts und wieder eine Menge Tiere, die mehr oder weniger gleich aussehen? Ich weiß schon, ihr habt da eine Theorie, um das Ganze auf die Reihe zu kriegen – irgendwas mit Beziehung zur Umwelt und ererbten Fähigkeiten oder so –, aber die rätselhaften Sprünge im Spektrum der Schöpfung lassen sich viel simpler erklären. Ein Fünftel aller Arten dieser Erde ist mit Varadi untergegangen; und was die übrigen Verschollenen angeht, die hat Noah mit seiner Clique aufgegessen. Aber ja. Zum Beispiel gab es da ein Polarschnepfenpärchen – ausgesprochen schöne Vögel. Als sie an Bord kamen, war ihr Gefieder bläulich-braun gesprenkelt. Ein paar Monate später kamen sie in die Mauser. Das war ganz normal. Mit dem Verschwinden der Sommerfedern zeigte sich allmählich ihr Winterkleid von reinem Weiß. Zwar befanden wir uns nicht in arktischen Breiten, sodass das technisch überflüssig war; aber die Natur lässt sich nun mal nicht aufhalten, nicht wahr? Noah aber auch nicht. Kaum sah er die Schnepfen weiß werden, da befand er, dass sie kränkelten, und in zärtlicher Sorge um die Gesundheit des übrigen Schiffes ließ er sie mit etwas Seetang dazu in den Kochtopf wandern. Er war in vieler Hinsicht ein Ignorant und auf jeden Fall kein Ornithologe. Wir setzten eine Petition auf und machten ein paar Dinge klar von wegen Mauser und so. Am Ende hat er’s wohl auch kapiert. Aber da war die Polarschnepfe schon hinüber.

Natürlich war damit nicht etwa Schluss. Für Noah und seine Familie waren wir nichts als eine schwimmende Cafeteria. Rein oder unrein war denen auf der Arche egal; erst kommt das Fressen, dann die Moral, das war das Motto. Und ihr könnt euch gar nicht vorstellen, um welche Mannigfaltigkeit der Tierwelt Noah euch geprellt hat. Oder doch, denn genau das tut ihr ja: Ihr stellt sie euch vor. Die ganzen Fabeltiere, die sich eure Dichter in früheren Jahrhunderten zusammenfantasiert haben: nicht wahr, ihr nehmt an, die seien entweder bewusst erfunden oder aber angstverzerrte Darstellungen von Tieren, die man nach einer allzu üppigen Jagdvesper im Wald nur undeutlich vorbeihuschen sah? Die Erklärung ist einfacher, fürchte ich: Noah und sein Stamm haben sie weggeputzt. Am Anfang der Reise gab es, wie ich bereits sagte, ein Behemoth-Paar bei uns im Laderaum. Ich selbst hab ja nicht viel von ihnen zu sehen bekommen, aber ich hab mir sagen lassen, dass das imposante Tiere waren. Doch Ham, Sem oder der, dessen Name mit J anfängt, hat scheint’s beim Familienrat gemeint, wenn man den Elefanten und das Flusspferd habe, könne man auch ohne den Behemoth auskommen; und außerdem – sein Argument verband praktische mit grundsätzlichen Erwägungen – hätte die Familie Noah mit zwei so großen Fleischkolossen für Monate ausgesorgt.

Natürlich hat das so dann nicht geklappt. Nach ein paar Wochen kamen Beschwerden darüber, dass es jeden Tag Behemoth zum Abendessen gab, und so wurde – bloß um Abwechslung in den Speiseplan zu bringen – irgendeine andere Art geopfert. Ab und zu erinnerte man sich mit schlechtem Gewissen an die Notwendigkeit einer sparsamen Haushaltsführung, aber ich kann euch eins sagen: Am Ende der Fahrt war noch eine Menge gepökelter Behemoth über.

Der Salamander ging den gleichen Weg. Der richtige Salamander, meine ich, nicht das unscheinbare Tier, das ihr noch so nennt; unser Salamander lebte im Feuer. Das Tier war eine einmalige Nummer, lasst euch das gesagt sein; doch Ham oder Sem oder dieser andere erklärten immer wieder, auf einem Schiff aus Holz sei das einfach ein zu großes Risiko, und daher mussten die Salamander samt den Doppelfeuern, in denen sie wohnten, weg. Das Karfunkel verschwand ebenfalls, bloß weil Hams Frau so eine alberne Geschichte gehört hatte, dass da ein kostbarer Edelstein in seinem Schädel wäre. Sie hat sich immer sehr herausgeputzt, die gute Frau Ham. Also nahmen sie ein Karfunkel und hackten ihm den Kopf ab; sie spalteten den Schädel und fanden absolut nichts. Vielleicht findet man den Edelstein nur im Kopf von dem Weibchen, meinte Hams Frau. Also machten sie das andere auch auf, mit dem gleichen negativen Resultat.

Die folgende Vermutung äußere ich mit einigem Zögern; aber ich meine, aussprechen muss ich es doch. Zuweilen hatten wir den Verdacht, da würde nach einem gewissen System getötet. Es wurde ganz gewiss mehr vertilgt, als zu Nahrungszwecken streng genommen nötig war – viel mehr. Und gleichzeitig war an manchen Arten, die umgebracht wurden, sehr wenig Essbares dran. Überdies wussten die Möwen gelegentlich zu berichten, sie hätten gesehen, wie Kadaver mit einwandfreiem Fleisch dick an den Knochen vom Heck geworfen wurden. Langsam argwöhnten wir, dass Noah und sein Stamm bestimmte Tiere auf dem Kieker hatten, einfach weil die so waren, wie sie waren. Der Basilisk zum Beispiel ging sehr bald über Bord. Nun war er sicher kein besonders erfreulicher Anblick, doch fühle ich mich verpflichtet festzuhalten, dass da sehr wenig Essbares unter diesen Schuppen saß und dass der Vogel zu der Zeit eindeutig nicht krank war.

Ja, im Rückblick wurde für uns ein Schema erkennbar, und angefangen hatte die Sache mit dem Basilisken. Ihr habt natürlich nie einen gesehen. Doch wenn ich euch einen vierbeinigen Hahn mit einem Schlangenschwanz schildere, wenn ich euch sage, dass er einen ganz gemeinen Blick hatte und ein missgestaltetes Ei legte, das er von einer Kröte ausbrüten ließ, dann begreift ihr sicher, dass er nicht gerade das anziehendste Tier auf der Arche war. Trotzdem, er hatte Rechte wie alle anderen auch, nicht wahr? Nach dem Basilisken war der Greif dran; nach dem Vogel Greif die Sphinx; nach der Sphinx das Flügelross. Ihr habt wohl gedacht, das seien nichts als überkandidelte Fantasiegebilde? Keine Spur. Und seht ihr, was sie alle gemeinsam hatten? Es waren alles Kreuzungen. Wir meinen, es war Sem – obwohl es durchaus Noah persönlich gewesen sein könnte –, der auf das mit der Reinheit der Arten verfiel. Spinnerei, natürlich; und wie wir unter uns sagten, brauchte man sich ja bloß Noah und seine Frau anzuschauen, oder ihre drei Söhne und deren drei Frauen, da sah man schon, was für ein genetisch verschlampter Haufen mal aus der Menschheit werden würde. Was sollten die sich also plötzlich wegen Kreuzungen so haben?

Trotzdem, das Einhorn machte uns am meisten Kummer. Diese Geschichte hat uns monatelang deprimiert. Natürlich gab es das übliche schmutzige Gerede – Hams Frau habe sein Horn zu schändlichen Zwecken missbraucht – und die übliche postume Verleumdungskampagne seitens der Obrigkeit über den Charakter des Tieres; aber das widerte uns nur noch mehr an. Unumstößliche Tatsache ist, dass Noah eifersüchtig war. Das Einhorn war bei uns allen hoch angesehen, und das konnte er nicht ertragen. Noah – weshalb sollte ich euch nicht die Wahrheit sagen? – war übellaunig, unzuverlässig, missgünstig, feige und roch schlecht. Noch nicht mal seefest war er: Wenn die See hochging, zog er sich in seine Kabine zurück, ließ sich auf sein Tannenholzbett fallen und stand nur auf, um sich in seinem Tannenholzwaschbecken auszukotzen; was da rauskam, war noch ein Deck weiter zu riechen. Das Einhorn dagegen war stark, ehrlich, furchtlos, tadellos gepflegt und ein Seemann, dem nie auch nur für einen Moment übel wurde. Einmal, bei einem Sturm, verlor Hams Frau nahe der Reling den Halt und war drauf und dran, über Bord zu gehen. Das Einhorn – dem eine breite Lobby eine Sondergenehmigung für Deckspaziergänge verschafft hatte – galoppierte hinüber, stieß mit dem Horn in ihre Umhangschleppe und nagelte sie dadurch an Deck fest. Großartig, wie man ihm seine Tat gedankt hat: zum Einschiffungssonntag gab es bei Noahs Einhorn-Schmortopf. Dafür kann ich mich verbürgen. Ich habe persönlich mit dem Lastfalken gesprochen, der einen Topf davon heiß an Sems Arche geliefert hat.

Ihr müsst mir natürlich nicht glauben; aber was steht denn in euren eigenen Archiven? Nehmen wir mal die Geschichte mit Noahs Blöße – ihr erinnert euch? Es geschah nach der Landung. Noah war, was nicht weiter überrascht, noch mehr von sich eingenommen als vorher schon – er hatte die Menschheit gerettet, er hatte den Bestand seiner Dynastie gesichert, er hatte von Gott einen förmlichen Bund gewährt bekommen –, und da beschloss er, in den letzten 350 Jahren seines Lebens eine ruhige Kugel zu schieben. Er gründete an den unteren Berghängen ein Dorf (das ihr Ahira nennt) und verbrachte seine Zeit damit, sich neue Orden und Ehrenzeichen für sich einfallen zu lassen: Heiliger Ritter vom Sturm, Großkomtur des Ungewitters und so weiter. Euer heiliger Text teilt euch mit, er habe auf seinem Anwesen Weinberge gepflanzt. Ha! Man braucht wahrlich nicht viel Scharfsinn, um diesen Euphemismus zu entschlüsseln: Ständig betrunken war er. Eines Nachts, nach einer besonders wüsten Sause, hatte er sich gerade fertig ausgezogen, da klappte er auf dem Schlafzimmerboden zusammen – kein ungewöhnliches Ereignis. Zufällig kamen Ham und seine Brüder gerade an seinem »Zelt« (sie nahmen immer noch das alte sentimentale Wüstenwort zur Bezeichnung ihrer Paläste) vorbei und schauten mal nach, ob ihrem trunksüchtigen Vater auch nichts passiert war. Ham ging ins Schlafzimmer und … na ja, ein nackter Mann um die 650 im Vollrausch ist kein schöner Anblick. Als guter Sohn tat Ham, was sich gehört: Er holte seine Brüder, um den Vater zuzudecken. Als Zeichen der Ehrerbietung – obwohl die Sitte schon damals allmählich außer Gebrauch kam – traten Sem und der, der mit J anfängt, rückwärts in ihres Vaters Kammer und schafften es, ihn ins Bett zu bringen, ohne dass ihr Blick auf die Fortpflanzungsorgane fiel, die eure Spezies mysteriöserweise mit Scham erfüllen. Eine durch und durch fromme und ehrenwerte Tat, sollte man meinen. Und wie reagierte Noah, als er mit so einem bohrenden Heurigen-Kater aufwachte? Er verfluchte den Sohn, der ihn gefunden hatte, und verfügte, Hams Kinder sollten alle zu Knechten der Familien der beiden Brüder werden, die mit dem Arsch voran in sein Zimmer gekommen waren. Wo, bitte sehr, ist da der Sinn? Eure Erklärung kann ich mir schon denken: Sein Verstand war vom Alkohol angegriffen, und drum sei eher Mitleid als Kritik angebracht. Na gut, mag ja sein. Aber ich möchte nur eins sagen: Wir haben ihn auf der Arche erlebt.

Er war ziemlich groß, der Noah – ungefähr so wie ein Gorilla, obwohl die Ähnlichkeit damit aufhört. Der Flottillenkapitän – er beförderte sich selbst auf halbem Weg zum Admiral – war ein hässlicher alter Kerl mit plumpen Bewegungen und wenig Sinn für Körperpflege. Er brachte es noch nicht mal fertig, sich eigene Haare wachsen zu lassen, außer um das Gesicht herum; drum war er zwecks Bekleidung auf die Häute anderer Arten angewiesen. Stellte man ihn und den Gorilla nebeneinander, wäre leicht zu erkennen, welches das höherstehende Geschöpf ist: das mit den anmutigen Bewegungen, der überlegenen Stärke und dem Entlausungstrieb. Auf der Arche haben wir uns ständig den Kopf zerbrochen, warum Gott sich statt der näherliegenden Kandidaten ausgerechnet den Menschen zu seinem Protegé erkoren hatte. Die meisten anderen Arten hätten sich ihm weitaus ergebener gezeigt. Hätte er von vornherein auf den Gorilla gesetzt, dann möchte ich bezweifeln, dass es auch nur halb so viel Ungehorsam gegeben hätte – womöglich hätte man überhaupt keine Sintflut zu veranstalten brauchen.

Und gerochen hat der Kerl … Das nass gewordene, lebendige Fell einer Tierart, die Wert darauf legt, sich zu putzen, das ist eine Sache; aber ein klammer, salzverkrusteter Pelz, der ungeputzt am Hals einer schlampigen Spezies hängt, der er noch nicht mal gehört, das ist etwas ganz anderes. Selbst als die ruhigeren Zeiten anbrachen, wurde unser alter Noah anscheinend nie ganz trocken (ich gebe hier wieder, was die Vögel gesagt haben, und auf die Vögel war Verlass). Er trug die Feuchtigkeit und den Sturm mit sich herum wie eine schuldbelastete Erinnerung oder die Verheißung von noch mehr schlechtem Wetter.

Abgesehen davon, dass man zum Mittagessen verbraten werden konnte, gab es noch andere Gefahren auf der Reise. Nehmt zum Beispiel mal unsere Art. Nachdem wir einmal an Bord und gut verstaut waren, waren wir ziemlich zufrieden mit uns. Das war, wohlverstanden, lange vor der Zeit dieser feinen Spritze mit alkoholischer Phenollösung, vor Kreosot und metallischen Naphthalinen und Pentachlorphenol und Benzol und Paradichlorbenzol und Orthodichlorbenzol. Glücklicherweise sind wir auch nicht der Familie Cleridae begegnet oder der Milbe pediculoides oder Schmarotzerwespen aus der Familie Braconidae. Aber einen Feind hatten wir doch, und der war geduldig: die Zeit. Was, wenn die Zeit uns die unvermeidlichen Veränderungen abverlangte?

Es war uns eine ernsthafte Warnung, als wir eines Tages feststellen mussten, dass Zeit und Natur bei unserem Cousin xestobium rufovillosum ihre Wirkung taten. Das löste eine ziemliche Panik aus. Es war gegen Ende der Reise, als es ruhiger wurde und wir nur noch die Tage absaßen und auf Gottes Wohlgefallen warteten. Mitten in der Nacht, die Arche lag in einer Flaute, und es herrschte Stille überall – eine Stille, die so ungewöhnlich und dicht war, dass alle Tiere innehielten, um ihr zu lauschen, wodurch sie noch tiefer wurde –, hörten wir zu unserer Überraschung das Ticken von xestobium rufovillosum. Vier- oder fünfmal ein scharfes Klicken, dann eine Pause, dann eine ferne Antwort. Wir, das bescheidene, das diskrete, das missachtete, aber vernünftige anobium domesticum, wir wollten unseren Ohren nicht trauen. Dass aus dem Ei die Larve wird, aus der Larve die Puppe und aus der Puppe die Imago, ist das unerbittliche Gesetz unserer Welt: Verpuppung ist an sich nichts Tadelnswertes. Doch dass unsere Cousins, nach ihrer Transformation ins Erwachsensein, sich diesen Moment, ausgerechnet diesen aussuchten, um ihre amourösen Absichten anzuzeigen, war beinahe nicht zu glauben. Da waren wir, den Gefahren der See ausgesetzt, Tag für Tag der endgültigen Vernichtung gewärtig, und xestobium rufovillosum konnte an nichts anderes denken als Sex. Vermutlich war es eine neurotische Reaktion auf die Angst vor der Vernichtung oder so. Aber trotzdem …

Einer von Noahs Söhnen kam nachsehen, was das für ein Geräusch war, während unsere blöden Cousins, hoffnungslos in den Fängen der erotischen Werbung, die Kiefer gegen die Wand ihrer Gänge schlugen. Zum Glück hatte der Spross des »Admirals« nur wenig Ahnung von dem ihnen anvertrauten Tierreich und hielt das schematische Klicken für ein Knarzen der Schiffsbohlen. Bald kam wieder Wind auf, und xestobium rufovillosum konnte seine Rendezvous in Sicherheit abwickeln. Wir anderen aber waren durch diese Affäre sehr viel vorsichtiger geworden. Anobium domesticum beschloss, mit sieben zu null Stimmen, sich nicht zu verpuppen bis nach der Landung.

Man muss schon sagen, dass Noah bei gutem wie bei schlechtem Wetter ein äußerst mittelmäßiger Seemann war. Er war seiner Frömmigkeit, nicht seiner navigatorischen Fähigkeiten wegen ausgewählt worden. Bei Sturm taugte er gar nichts, und wenn die See ruhig war, taugte er auch nicht viel mehr. Woher ich das beurteilen will? Ich gebe auch hier wieder, was die Vögel gesagt haben – die Vögel, die sich wochenlang in der Luft halten können, die Vögel, die mindestens so hoch entwickelte Navigationssysteme haben wie die von eurer Spezies erfundenen und damit von einem Ende des Planeten zum anderen ihren Weg finden. Und die Vögel haben gesagt, Noah habe keinen Schimmer gehabt – große Töne spucken und beten, das war alles. War doch gar nicht so schwer, was er zu tun hatte, oder? Während des Unwetters musste er überleben, indem er dem heftigsten Teil des Sturms davonfuhr; und bei ruhigem Wetter musste er dafür sorgen, dass wir nicht allzu weit von unserem ursprünglichen Bezugspunkt abtrieben und dann in irgendeiner unbewohnbaren Sahara landeten. Man kann Noah bestenfalls zugute halten, dass er den Sturm überlebt hat (wobei er sich kaum um Klippen und Küstenlinien zu kümmern brauchte, was das Ganze erleichterte) und dass wir uns nicht aus Versehen mitten auf einem großen Ozean wiederfanden, als die Fluten schließlich zurückgingen. Wer weiß, wie lange wir sonst noch auf See geblieben wären.

Natürlich hatten die Vögel angeboten, Noah ihre Fachkenntnisse zur Verfügung zu stellen; aber er war zu stolz. Er gab ihnen ein paar einfache Erkundungsaufgaben – nach Strudeln und Tornados auszugucken –, aber ihre wahren Fähigkeiten zu nutzen, verschmähte er. Außerdem schickte er mehrere Arten in den Tod, indem er sie bei entsetzlichem Wetter aufsteigen ließ, obschon sie gar nicht die Konstitution dafür hatten. Als Noah die Trillergans bei Windstärke neun losschickte (es stimmt ja, der Vogel hatte eine aufreizende Art zu schreien, besonders wenn man schlafen wollte), bot die Sturmschwalbe sich freiwillig als Ersatz an. Das Angebot wurde jedoch verächtlich abgelehnt – und das war das Ende der Trillergans.

Schon gut, schon gut, Noah hatte auch seine Qualitäten. Er war ein Überlebenskünstler – und das gilt nicht nur für Die Reise. Er hatte auch das Geheimnis des langen Lebens heraus, das eurer Spezies späterhin verloren ging. Aber ein netter Mensch war er nicht. Habt ihr gewusst, dass er den Esel einmal kielholen ließ? Ist das in euren Archiven? Das war im Jahre zwei, als die Regeln ein ganz klein wenig gelockert worden waren und ausgesuchte Reisende miteinander Kontakt haben durften. Na ja, Noah hat den Esel dabei erwischt, wie er die Stute besteigen wollte. Da ist er echt an die Decke gegangen, hat gegeifert, so eine Verbindung würde zu nichts Gutem führen – was unsere Theorie über seinen Horror vor Kreuzungen so ziemlich bestätigte –, und gesagt, er werde an dem Tier ein Exempel statuieren. Also haben sie dem Esel die Hufe zusammengebunden, ihn über Bord geworfen und, während die See am Durchdrehen war, unter dem Schiff durch- und auf der anderen Seite wieder hochgezogen. Die meisten von uns haben das auf sexuelle Eifersucht zurückgeführt, ganz einfach. Das Erstaunliche aber war, wie der Esel die Sache genommen hat. Von Duldsamkeit verstehen sie ja was, die Burschen. Als sie ihn über die Reling hievten, war er fürchterlich zugerichtet. Seine armen alten Ohren sahen wie glitschige Seetangwedel aus und sein Schwanz wie ein aufgeschwemmter Tampen, und dann haben sich von den anderen Tieren, die Noah mittlerweile auch nicht mehr so toll fanden, ein paar um ihn versammelt, und ich meine, es war der Ziegenbock, der ihn sanft in die Seite stupste, ob er noch am Leben sei, und da machte der Esel ein Auge auf, ließ es im Kreis der besorgten Mäuler herumwandern und sprach: »Jetzt weiß ich, wie das ist, ein Seehund zu sein.« Nicht schlecht unter den Umständen? Aber ich muss euch sagen, da hättet ihr fast schon wieder eine Spezies verloren.

Ich nehme an, es war nicht alles Noahs Schuld. Ich meine, dieser Gott, den er da hatte, war ein echt repressives Rollenvorbild. Noah konnte nichts tun, ohne sich erst mal zu fragen, was Er wohl denken würde. Also, das ist ja nun kein Zustand. Sich ständig nach Bestätigung umzusehen – das ist doch nicht erwachsen, oder? Und Noah hatte noch nicht mal die Entschuldigung, er sei ja noch so jung. Er war um die 600, nach dem System eurer Spezies gerechnet. 600 Jahre sollten doch eine gewisse geistige Flexibilität hervorgebracht haben, eine gewisse Fähigkeit, eine Angelegenheit von mehr als einer Seite zu betrachten. Keine Spur. Nehmen wir mal die Konstruktion der Arche. Was macht er da? Er baut sie aus Tannenholz. Tannenholz? Sogar Sem machte Einwände, aber nein, das wollte er, und das musste er haben. Dass da nicht viel Tannenholz in der Gegend wuchs, wurde als unerheblich abgetan. Sicher hat er nur die Anweisungen seines Rollenvorbildes befolgt; aber trotzdem. Jeder, der auch nur ein bisschen was von Holz versteht – und ich spreche gewissermaßen als Autorität auf diesem Gebiet –, hätte ihm sagen können, dass ein paar Dutzend andere Baumarten genauso gut, wenn nicht besser geeignet gewesen wären; und obendrein ist der Gedanke, alle Teile eines Schiffes aus ein und demselben Holz zu bauen, lächerlich. Man wählt sein Material je nach dem Zweck, für den es gedacht ist; das weiß doch jeder. Aber so war er nun mal, der alte Noah – kein Funken geistige Flexibilität. Sah immer alles nur von einer Seite. Badinstallationen aus Tannenholz – hat man je so was Lächerliches gehört?

Er hatte das, wie gesagt, von seinem Rollenvorbild. Was Gott wohl dazu meint? Das war die Frage, die er ständig auf den Lippen hatte. Noahs Gottergebenheit hatte ein bisschen was Linkes; was Gruseliges, falls ihr versteht, was ich meine. Aber der wusste natürlich, wo Barthel den Most holt; und ich nehme an, wenn man so zum Vorzugsüberlebenden erkoren wird und weiß, dass die eigene Dynastie bald die einzige auf der Welt ist – das muss einem ja zu Kopf steigen, nicht wahr? Und was seine Söhne betrifft – Ham, Sem und den, der mit J anfängt –, deren Egos hat das bestimmt auch nicht sonderlich gutgetan. Haben sich an Deck aufgeplustert, als wären sie die Königliche Familie.

Eines möchte ich nämlich ganz klarmachen. Diese Sache mit der Arche. Ihr meint vielleicht immer noch, dass Noah, bei all seinen Fehlern, im Grunde so etwas wie ein früher Naturschützer war, dass er die Tiere eingesammelt hat, weil er sie nicht aussterben lassen wollte, dass er es nicht ertragen konnte, nie wieder eine Giraffe zu sehen, dass er es für uns getan hat. Das war absolut nicht der Fall. Er hat uns zusammengetrommelt, weil sein Rollenvorbild ihm das aufgetragen hatte, aber auch aus Eigennutz, ja Zynismus. Er wollte etwas zu essen haben, wenn die Sintflut zurückgegangen war. Nach 5½ Jahren unter Wasser waren die Gemüsegärten zum größten Teil weggeschwemmt, das kann ich euch sagen; da gedieh nur noch Reis. Und daher wussten die meisten von uns, dass wir in Noahs Augen einfach nur künftige Abendessen auf zwei, vier oder sonst wie vielen Beinen waren. Wenn nicht jetzt, dann später; wenn nicht wir, dann unsere Nachkommen. Ihr könnt euch vorstellen, dass das kein angenehmes Gefühl ist. Es herrschte eine Atmosphäre von Paranoia und Terror auf dieser Arche Noah. Wer von uns würde als Nächster drankommen? Wenn du Hams Frau heute nicht gefällst, bist du morgen Abend vielleicht schon frikassiert. Eine derartige Unsicherheit kann die merkwürdigsten Verhaltensweisen hervorrufen. Ich weiß noch, wie ein Lemmingpaar dabei erwischt wurde, wie es Richtung Reling rannte – sie sagten, sie wollten der Sache ein für alle Mal ein Ende machen, sie könnten die Ungewissheit nicht länger ertragen. Sem schnappte sie aber gerade noch und sperrte sie in eine Packkiste. Wenn er sich langweilte, zog er zuweilen den Deckel von der Kiste auf und fuchtelte innen mit einem großen Messer herum. Er fand das lustig. Aber es sollte mich sehr wundern, wenn das nicht die gesamte Art traumatisiert hat.

Und als Die Reise vorbei war, hat Gott Noah natürlich offiziell einen Freitisch verschafft. Der Lohn für all seinen Gehorsam war die Befugnis, uns für den Rest seines Lebens nach Belieben aufzuessen. Das gehörte alles zu irgendeinem Pakt oder Bund, den die beiden miteinander zusammengeschustert hatten. Ein ganz schön nichtiger Vertrag, wenn ihr mich fragt. Schließlich musste Gott, nachdem er alle anderen vom Erdboden verschwinden ließ, sehen, wie er mit der einen Verehrerfamilie zurechtkam, die er noch hatte, nicht wahr? Konnte ja nicht gut sagen, Nein, ihr lasst auch noch zu wünschen übrig. Noah hat wahrscheinlich begriffen, dass er Gott in der Hand hatte (es wäre ja ein ganz schönes Armutszeugnis, wenn man erst die Sintflut loslässt und sich dann gezwungen sieht, seine First Family abzuservieren), und unserer Ansicht nach hätte er uns sowieso gegessen, Vertrag hin oder her. Für uns sprang bei diesem sogenannten Bund absolut nichts heraus – außer unserem Todesurteil. Ach ja, einen winzigen Brocken hat man uns hingeworfen – Noah und seine Clique durften keine trächtigen Weibchen essen. Ein Hintertürchen, das ein hektisches Treiben im Umkreis der gestrandeten Arche und außerdem ein paar merkwürdige psychologische Nebenwirkungen zur Folge hatte. Habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht, wo die hysterische Schwangerschaft herkommt?

Dabei fällt mir diese Sache mit Hams Frau wieder ein. Alles nur Gerüchte, hieß es, und ihr könnt euch denken, wie solche Gerüchte möglicherweise entstanden sind. Hams Frau war auf der Arche nicht sonderlich beliebt; und weite Kreise meinten, wie ich bereits sagte, der Verlust des Hospitalschiffs ginge auf ihr Konto. Sie war noch sehr attraktiv – erst an die 150 zur Zeit der Sintflut –, aber auch eigensinnig und aufbrausend. Sie hatte den armen Ham eindeutig unter dem Pantoffel. Also, die Tatsachen sind wie folgt. Ham und seine Frau hatten zwei Kinder – das heißt, zwei männliche Kinder, so haben die nämlich gezählt – namens Chus und Mizraim. Sie hatten noch einen dritten Sohn, Put, der auf der Arche geboren wurde, und einen vierten, Kanaan, der nach der Landung kam. Noah und seine Frau hatten dunkles Haar und braune Augen, genau wie Ham und seine Frau, und im Übrigen auch Sem und Varadi und der, der mit J anfängt. Und die Kinder von Sem und Varadi und von dem, der mit J anfängt, hatten alle dunkles Haar und braune Augen. Genau wie Chus und Mizraim und Kanaan. Aber Put, der, der auf der Arche geboren wurde, hatte rotes Haar. Rotes Haar und grüne Augen. Das sind die Tatsachen.

An dieser Stelle begeben wir uns nun aus dem sicheren Hafen der Tatsachen hinaus auf die offenen Meere des Gerüchts (so pflegte sich Noah übrigens auszudrücken). Ich selbst war ja nicht auf Hams Arche, also gebe ich nur wieder, ganz nüchtern und sachlich, was die Vögel zu erzählen wussten. Es gab im Wesentlichen zwei Geschichten, und davon könnt ihr euch selbst eine aussuchen. Ihr erinnert euch an den Fall mit dem Handwerker, der sich auf dem Proviantschiff einen Pfaffenwinkel herausgehauen hatte? Also, es wurde erzählt – wenn auch nicht offiziell bestätigt –, bei einer Durchsuchung der Räumlichkeiten von Hams Frau habe man eine Kammer entdeckt, von der keiner wusste, dass es sie gab. In den Plänen war sie jedenfalls nicht eingezeichnet. Hams Frau bestritt jegliche Kenntnis davon, doch wurde offenbar eins von ihren jakledernen Unterhemden dort an einem Haken hängend gefunden, und bei der peinlich genauen Untersuchung des Fußbodens stieß man auf mehrere rote Haare, die sich zwischen den Planken verfangen hatten.

Die zweite Geschichte – die ich wiederum kommentarlos weitergebe – tangiert heiklere Dinge, doch da sie einen beträchtlichen Prozentsatz eurer Spezies direkt betrifft, fühle ich mich verpflichtet fortzufahren. Es gab auf Hams Arche ein ganz außerordentlich schönes und gepflegtes Menschenaffenpaar. Sie waren, nach allem, was man hört, hochintelligent, stets aufs Perfekteste geputzt und hatten so lebhafte Gesichter, dass man hätte schwören können, sie seien drauf und dran, sich sprachlich auszudrücken. Außerdem hatten sie einen wallenden roten Pelz und grüne Augen. Nein, eine derartige Spezies existiert nicht mehr: Sie hat Die Reise nicht überlebt, und die Umstände ihres Todes an Bord sind nie völlig geklärt worden. Da war irgendwas mit einer Spiere, die herunterfiel … Aber was für ein merkwürdiger Zufall, haben wir immer gedacht, dass eine Spiere herunterfällt und dabei gleich beide Angehörige einer ausgesprochen flinken Art auf einen Schlag getötet werden.

Die offizielle Erklärung war natürlich ganz anders. Es gab keine geheimen Kammern. Es gab keine Rassenmischung. Die Spiere, welche die Menschenaffen getötet hatte, war ein riesiges Ding, das gleich noch eine Purpur-Bisamratte, zwei Pygmäenstrauße und ein Paar Plattschwanz-Erdferkel mit wegputzte. Die merkwürdige Farbgebung von Put war ein Zeichen Gottes – was es zu bedeuten hatte, überstieg allerdings zu jener Zeit die Dechiffrierfähigkeit des Menschen. Später wurde der Sinn klar: Es war ein Zeichen, dass die erste Halbzeit der Reise vorbei war. Daher war Put ein gesegnetes Kind und kein Grund zu Besorgnis oder Strafmaßnahmen. Noah selbst hat etwas in dem Sinn verkündet. Gott sei ihm im Traum erschienen und habe ihm befohlen, nicht Hand zu legen an den Knaben, und da Noah, wie er hervorhob, ein gerechter Mann sei, habe er gehorcht.

Ich brauche euch wohl nicht zu erzählen, dass die Meinungen darüber, was man nun glauben sollte, bei den Tieren ziemlich auseinandergingen. Die Säugetiere zum Beispiel weigerten sich, die Idee, das Männchen der rothaarigen, grünäugigen Menschenaffen könnte fleischliche Beziehungen zu Hams Frau unterhalten haben, auch nur in Betracht zu ziehen. Nun wissen wir zwar nicht einmal, was im innersten Herzen unserer engsten Freunde vorgeht, doch waren die Säugetiere bereit, bei ihren Eutern und Zitzen zu schwören, das hätte es nie gegeben. Dafür hätten sie das Menschenaffenmännchen zu gut gekannt, sagten sie, und sie könnten sich für seine hohen Ansprüche bei der Körperkultur verbürgen. Er habe sogar, deuteten sie an, etwas von einem Snob an sich gehabt. Und angenommen – nur mal angenommen –, ihm hätte der Sinn nach schärferer Kost gestanden, so gab es viel Verlockenderes im Angebot als Hams Frau. Warum nicht eins von diesen süßen kleinen Gelbschwanzäffchen, die für eine Pfote voll Muskatnussbrei jeder haben konnte?

Damit bin ich schon fast am Ende meiner Offenbarungen. Meine Absichten – damit wir uns recht verstehen – sind durchaus freundschaftlicher Art. Falls ihr meinen solltet, ich sei dabei auf Streit aus, dann liegt das höchstwahrscheinlich daran, dass eure Spezies – ich hoffe, es macht euch nichts aus, wenn ich das sage – so hoffnungslos dogmatisch ist. Ihr glaubt, was ihr glauben wollt, und dabei bleibt ihr. Aber schließlich habt ihr, natürlich, allesamt Noahs Gene in euch. Daran liegt es bestimmt auch, dass ihr oft so merkwürdig wenig Neugier zeigt. Eine Frage zu eurer Frühgeschichte stellt ihr beispielsweise nie: Was ist mit dem Raben passiert?

Als die Arche oben auf dem Berg landete (es war natürlich komplizierter, aber lassen wir die Einzelheiten beiseite), schickte Noah einen Raben und eine Taube aus, um zu sehen, ob die Fluten vom Erdboden zurückgegangen seien. Nun hat der Rabe in der Version, die euch überliefert ist, eine sehr kleine Rolle; so werdet ihr zu dem Schluss verleitet, der sei nur hierhin und dorthin geflattert, ohne dass viel dabei herausgekommen sei. Die drei Ausflüge der Taube dagegen werden als Heldentat hingestellt. Wir weinen, wenn sie nicht findet, da ihr Fuß ruhen kann; wir sind überglücklich, wenn sie mit einem Ölblatt zur Arche zurückkehrt. Ihr habt diesen Vogel, so weit ich weiß, zu etwas von symbolischem Wert erhoben. Ich möchte jetzt nur auf eines hinweisen: Der Rabe hat stets darauf bestanden, er habe den Ölbaum gefunden: er habe ein Blatt davon zur Arche zurückgebracht; doch Noah habe entschieden, es sei »angemessener« zu sagen, die Taube habe ihn entdeckt. Ich persönlich habe immer dem Raben geglaubt, der, von allem anderen mal abgesehen, in der Luft viel stärker war als die Taube; und es hätte Noah ähnlich gesehen (wieder mal nach dem Vorbild von seinem Gott da), dass er unter den Tieren Streit anzettelte. Noah ließ verbreiten, der Rabe habe sich, statt so schnell wie möglich mit Beweisen von trockenem Boden zurückzukehren, herumgetrieben und sei dabei ertappt worden (von wessen Blick? So eine Verleumdung hätte sich nicht mal die aufstiegsorientierte Taube zuschulden kommen lassen), wie er sich an Aas gütlich getan habe. Der Rabe, das brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, fühlte sich durch diese Instant-Geschichtsklitterung verletzt und verraten, und manche – die bessere Ohren haben als ich – sagen, man könne bis zum heutigen Tag ein trauriges Krächzen der Unzufriedenheit aus seiner Stimme heraushören. Die Taube hingegen klang vom Moment unserer Ausschiffung an geradezu unerträglich blasiert. Sie sah sich bereits auf Briefköpfen und -marken abgebildet.

Bevor die Rampen heruntergelassen wurden, hielt der »Admiral« eine Ansprache an die Tiere auf seiner Arche, und seine Worte wurden denen auf den anderen Schiffen übermittelt. Er dankte uns für unsere Mitarbeit, er entschuldigte sich für die gelegentliche Kargheit der Rationen, und er versprach, da wir alle unseren Teil der Vereinbarung eingehalten hätten, werde er bei den anstehenden Verhandlungen mit Gott beste Gegenleistungen herausschlagen. Manche von uns lachten da etwas ungläubig: Wir dachten an das Kielholen des Esels, den Verlust des Hospitalschiffs, die Vernichtungspolitik gegenüber Kreuzungen, den Tod des Einhorns … Für uns war klar, jetzt tat Noah so, als könne er kein Wässerlein trüben, weil er nämlich ahnte, was jedes klar denkende Tier tun würde, sobald es einen Fuß auf dem Trockenen hätte: sich in die Wälder und Hügel absetzen. Er wollte uns offenbar so einseifen, dass wir nahe bei Noahs neuem Palast blieben, dessen Errichtung er gleichzeitig bekannt zu machen beliebte. Die Annehmlichkeiten hier würden unter anderem kostenloses Wasser für die Tiere und Zusatzfutter in harten Wintern umfassen. Er hatte offenbar Angst, dass die Fleischversorgung, an die er sich auf der Arche gewöhnt hatte, so schnell ein Ende nähme, wie die zwei, vier oder sonst wie vielen Beine die Lieferanten davontragen konnten, und dass die Familie Noah dann wieder auf Beeren und Nüsse angewiesen wäre. Erstaunlicherweise hielten manche Tiere Noahs Angebot für fair: Schließlich, so argumentierten sie, kann er uns nicht alle aufessen, vielleicht merzt er nur die Alten und Kranken aus. Also blieben einige – nicht die Gescheitesten, das muss man schon sagen – da und warteten darauf, dass der Palast gebaut werde und das Wasser fließe wie Wein. Die Schweine, die Rinder, die Schafe, ein paar von den dümmeren Ziegen, die Hühner … Wir haben sie gewarnt, zumindest haben wir es versucht. Wir haben immer spöttisch »Gekocht oder gebraten?« gemurmelt, aber vergebens. Wie gesagt, sie waren nicht sonderlich gescheit und hatten womöglich Angst davor, in die freie Wildbahn zurückzukehren; sie waren von ihrem Kerker und ihrem Kerkermeister abhängig geworden. Was dann die nächsten Generationen über geschah, war eigentlich vorherzusehen: sie wurden Schatten ihrer selbst. Die Schweine und Schafe, die ihr heutzutage rumlaufen seht, sind im Vergleich zu ihren quicklebendigen Ahnen auf der Arche die reinsten Zombies. Ihr »Leben« ist eine hohle Farce. Und manchen von ihnen, wie dem Puter, widerfährt die zusätzliche Schmach, dass man sie dann noch farciert – bevor sie gekocht oder gebraten werden.

Und dann natürlich, was hat Noah denn wirklich herausgeholt bei seinem berühmten Landungsvertrag mit Gott? Was hat er für die Opfer und den Gehorsam seines Stammes (von den noch beträchtlicheren Opfern des Tierreiches ganz zu schweigen) bekommen? Gott hat gesagt – und da legt Noah die Sache so günstig wie irgend möglich aus –, dass er verspricht, keine Sintflut mehr zu schicken und dass er als Zeichen dieser seiner Absicht uns den Regenbogen schafft. Den Regenbogen! Ha! Sicher, der sieht sehr hübsch aus, und der erste, den er für uns hergestellt hat, ein irisierender Halbkreis mit einem bleicheren Bruder daneben und beide an einem indigoblauen Himmel schillernd, ließ uns allerdings von unseren Weiden aufblicken. Man konnte die Idee dahinter erkennen: Wenn der Regen zögernd der Sonne Platz machte, erinnerte dieses strahlende Symbol uns jedes Mal daran, dass der Regen nie mehr endlos weitergehen und sich zu einer Sintflut entwickeln würde. Aber trotzdem. Ein besonders gutes Geschäft war das nicht. Und war es einklagbar? Seht mal zu, ob ein Regenbogen einer richterlichen Beweisprüfung standhält.

Die gewitzteren Tiere durchschauten Noahs Halbpensions-Angebot; sie setzten sich ab in die Hügel und Wälder, und was Wasser und Winterfutter anging, da verließen sie sich