Ellen - Melanie Schmitt - E-Book

Ellen E-Book

Melanie Schmitt

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Beschreibung

Als Bill und Ellen sich kennenlernen treffen zwei verschiedene Welten aufeinander. Trotz der unterschiedlichen Lebensumstände entwickelt sich eine enge und tiefgründige Freundschaft. Es beginnt ein spannendes Versteckspiel vor Freunden und Eltern, doch es gelingt Ellen nicht ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Als dann noch ihr kleiner Bruder Andrew verschwindet, Drohungen wie Regen vom Himmel fallen und Freunde zu Verrätern werden scheint alles auf der Kippe zu stehen.

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Ähnliche


Melanie Schmitt

Ellen

Spuren der Vergangenheit

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Straßenkinder

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Impressum neobooks

Straßenkinder

Straßenkinder In der Dämmerung ein Gesicht zwischen Schatten und Licht. Auf staubigem Asphalt so viele Spuren und das Neonlicht verwischt die Konturen. Großstadtnacht, müde und blass. Erschöpfung, Angst, Hunger und Hass. Glühende Augen, riesige Münder. Der Weg ist so lang. Wir sind doch nur Kinder...

Klaus-D. Heid

Dieses Gedicht stammt aus der Feder meiner Frau Anita.

Kapitel 1

Ellen

Hunger. Jeder kennt dieses Gefühl und weiß wie es sich anfühlt. Jeder hat es schon mal erlebt, wie es ist dann endlich dieses Bedürfnis nach essen zu stillen. Bei anderen Leuten jedoch überwiegt das Hungergefühl der Sättigung gegenüber. So auch bei Ellen. Ihr Magen knurrt und macht Geräusche als befände sich ein Bienenschwarm in ihrem inneren und wäre kurz vorm Ausbrechen. In all den Jahren hat sie gelernt mit ihrem Hunger umzugehen. Sie vergisst ihn nicht, das ist unmöglich aber sie versucht nicht darauf zu achten, um sich so besser konzentrieren zu können und irgendwie an Essen zu gelangen.

Ihr kleiner Bruder hält sich die Hand auf den Bauch und sagt: „Ich habe so Hunger, Ellen.“

„Ich weiß ich auch.“, gibt sie zurück.

Leute laufen an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten oder auch nur eines Blickes zu würdigen. Reiche Leute, Leute die denken, Müssen diese bescheuerten, ausgemergelten Straßenkinder ausgerechnet hier in meinem Blickfeld sein. Man muss keine Gedanken lesen können, die stehen den Leuten nämlich ins Gesicht geschrieben. Ellen setzt Andrew auf eine Bank im Central Park und geht zum Mülleimer, auf der Suche nach etwas Essbarem. Eine Bananenschale, leere Bierdosen, verrotzte Taschentücher und anderes aber nichts zum Essen. Mit leeren Händen geht sie zurück zu ihrem Bruder und setzt sich. Anfangs hat sie sich davor geekelt in die Mülleimer zu greifen, doch mittlerweile hat sie begriffen, dass es nur so eine Überlebenschance auf der Straße gibt. Eine ganze Weile schweigt sie und überlegt wie sie etwas zu Essen für Andrew bekommt. Solang das Essen, welches sie finden nicht für Beide reicht gibt sie alles Andrew. Ellen hat sich daran gewöhnt mit wenig Essen aus zu kommen. Plötzlich merkt sie, dass Andrew zittert.

„Hast du kalt?“, fragt sie ihn. Es wäre kein Wunder, schließlich bringen die Klamotten die er trägt nicht wirklich etwas, so zerrissen wie die sind.

„Nein nur Hunger. Wie viel Uhr haben wir?“, entgegnet er.

„Ich habe dir doch beigebracht wie man die Uhr liest. Dort oben an der Kirchturmspitze versuch es.“ Das Wissen der Beiden ist stark zurückgeblieben, aber wie soll es denn auch anders sein, wenn man auf der Straße lebt. Der kleine Junge betrachtet lange die Uhr.

„ Fünf nach sechs?“, sagt er schließlich mit fragendem Unterton.

„Andrew, du hast schon wieder den großen und den kleinen Zeiger verwechselt. Es ist halb zwei.“

„ Entschuldigung.“

„ Du musst dich doch nicht entschuldigen. Du brauchst einfach noch etwas Übung. Nicht hingucken Andrew das macht es nicht besser.“, sagt Ellen, als ein Eisessendes Ehepaar an ihnen vorbei läuft. Ellens kleiner Bruder versteckt sein Gesicht unter ihrem Arm. Erst jetzt merkt sie wie hungrig er ist. Ungefähr 20 Meter neben ihnen auf der Bank sitzt eine etwas ältere Frau mit grauen Haaren, die streng nach hinten gebunden sind, in einem hell rosa Blümchenkleid und liest Zeitung.

„ Ich bin gleich wieder zurück. Vielleicht haben wir Glück und die Frau dort vorne gibt uns etwas Geld.“, erklärt Ellen ihrem Bruder und macht sich auf den Weg. Das Gesicht der Frau ist mit Falten überzogen.

„Entschuldigen Sie, dass ich störe. Aber mein Bruder und ich haben solchen Hunger. Könnten Sie uns etwas Geld geben?“

„Ungezogene Göre. Du kannst mich doch nicht einfach um Geld ansprechen.“, erwiderte sie empört, steht auf und geht schnellen Schrittes davon. Dem jungen Mädchen kommen die Tränen und sie murmelt leise vor sich hin: „Fuck! Ich habe keine Erziehung dann kann ich doch nichts dafür das ich ungezogen bin!“ Enttäuscht geht sie zurück zu ihrem Bruder, wischt sich aber vorher die Tränen weg.

„Nichts. Aber ich verspreche dir ich finde heute noch was.“, sagt sie auf seinen fragenden Blick hin. Obwohl erst Mittag ist kuschelt sich Andrew an seine Schwester und schließt die Augen. Ellen tut es ihm gleich aber nicht um sich auszuruhen sondern um sich Vorzustellen wie ein Leben in Luxus wäre. Sie sieht sich mit ihren Eltern, ihrem Bruder am Pool einer riesigen Villa lachen und essen was das Zeug hält.

Als sie die Augen wieder öffnet sieht sie eine Gruppe Jugendliche, etwa 16, also ihr Alter, die ihr entgegenkommen. Wahrscheinlich irgendwelche Kinder, deren Väter einen Haufen Geld verdienen und dieses jetzt während einem schönen, gemütlichen Shoppingtrip ausgeben. Sie will schon aufstehen und mit Andrew verschwinden, bevor sie sich dumme Sprüche anhören müssen, doch dann sieht sie, dass einer der zwei Jungen ein Brot aus seiner Tasche holt und es einem der Mädchen geben will. Beide Mädchen sind behängt wie ein lebendiger Tannenbaum, geschminkt bis zum geht nicht mehr und tragen garantiert irgendwelche superteuren Markenklamotten. Jetzt ist die Gruppe auf Hörweite für Ellen.

„Hier ess das. Ist zwar schon ein bisschen trocken aber was solls.“, sagt der Junge, der das Brot rausgeholt hat und hält es dem einen Mädchen hin.

„Was solls?! Ich esse nicht das trockene Brot.“, reagiert sie übergeschnappt. „Trockenes Brot ist was für solche da.“, sagt sie und nickt in die Richtung der beiden Geschwister. Das Mädchen macht einen noch unfreundlicheren Eindruck als die anderen. Ihr Gesichtsausdruck ist grimmig, ihre roten Haare passen überhaupt nicht zu dem blauen T-Shirt, das sie trägt und sie ist etwas kräftig um die Hüften.

Das ist ihre Chance denkt Ellen und steht auf. Kurze Zeit ist sie noch unentschlossen ob sie das tun soll, doch dann gibt sie sich einen Ruck und läuft mit weichen Knien auf die Gruppe zu. Als diese ihr Vorhaben bemerkt ruft das Mädchen mit den roten Haaren: „Siehst du aber Schick aus. Hast du auch noch ganze Klamotten?“ Der Spott in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Daraufhin fängt der Rest der Gruppe an zu lachen. Kurz vor dem Jungen bleibt sie stehen und fragt mit schüchterner Stimmer: „Kriegen wir es?“

Vorsichtig guckt sie ihn an. Er ist ein gutes Stück größer wie sie und hat braune Haare, die ihm etwas ins Gesicht fallen. Vor ihm fühlt sie sich so klein wie eine Erbse. Er trägt eine ausgewaschene Jeans und dazu ein kariertes Hemd, das er offen über ein weißes T-Shirt anhat. Auch die Schuhe lässt Ellen nicht aus. Schwarze Chucks. Chucks. Früher waren das ihre Lieblingsschuhe, eigentlich sind sie das immer noch. Aber sie kann sich keine mehr leisten. Jetzt sieht Ellen ihm wieder ins Gesicht. Er hat Wahnsinns blaue Augen. Es ist ein dunkles blau aber doch so hell, dass sie richtig funkeln und glänzen. Er hält ihrem Blick stand, dann nickt er, obwohl es auch nur ein nervöses, unsicheres Zucken sein könnte. Der Junge gibt ihr das Brot.

„Danke.“, haucht sie, zum Sprechen ist sie vor Freude nicht fähig. Keine Erbse, sie fühlt sich wie etwas viel Größeres.

„Äh ja… bitte.“, stottert er.

Die Mädchen kreischen auf: „Ah, du gibst doch nicht ernsthaft der da dein Brot.“

„Sieht aber so aus.“, meldet sich der andere Junge zu Wort. Ellen geht zurück und gibt Andrew das Brot.

„Und du?“, fragt er, beißt aber direkt in das Brot, welches nicht sehr groß ist. „Ich finde schon noch was für mich. Ess du das, aber langsam wer weiß wann wir das nächste Mal etwas bekommen. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben.“ Andrew strahlt sie an und isst weiter das Brot. Erst jetzt merkt Ellen das die Gruppe immer noch da steht.

„ Ich hätte es weggeschmissen. Die zwei haben sich jetzt drüber gefreut.“, sagt der Junge von dem das Brot stammt. Sehr sogar fügt Ellen im Stillen hinzu und unterdrückt das Knurren in ihrem Bauch.

„Lass uns abhauen“, sagt das Mädchen, welches das Brot nicht essen wollte. Gemeinsam geht die Gruppe weiter den Weg entlang. Andrew isst zu Ende und fragt: „Wo schlafen wir heute?“ „Wir werden sehen. Noch ist Zeit bis heute Abend.“, entgegnet seine Schwester.

Kapitel 2

Bill

„Warum hast du ihnen das Brot gegeben?“, fragt Phillip nun schon zum tausendsten Mal. „Wie oft noch ich hätte es weggeschmissen.“, entgegnete Bill, nun langsam wirklich genervt. Bill guckt zurück, das Mädchen und der Junge sitzen immer noch da. Sie sind so dünn. Die langen hellbraunen Haare des Mädchen, der er das Brot gegeben hat sind ganz zerzaust, die des Jungen auch, die Kleidung zerrissen und dreckig. Ob sie wohl Straßenkinder sind, zu Hause nichts geboten bekommen oder was sonst noch alles inNew Yorkmöglich ist. Bill kann es sich überhaupt nicht vorstellen, wie es ist auf der Straße zu leben. Sein Vater ist Finanzmakler an der Börse vonNew York City.Bill bekommt immer alles was er möchte, ob es jetzt ein neues iPhone ist, neue Markenklamotten, das alles spielt keine Rolle.

„Du hättest es den Enten geben können am Ufer vom Hudson River.“, wendet Jessica ein und streicht ihre roten Haare hinters Ohr.

„Die Enten werden täglich von den Touristen vollgestopft.“, argumentiert Bill und ignoriert Jessicas schmachtende Blicke.

„Du scheinst ja richtig stolz auf deine Tat zu sein.“, sagt Phillip. Himmel, es war Bills Entscheidung gewesen, auch wenn er es selbst nicht ganz verstand, warum er so gehandelt hat. Er verstand auch nicht warum er jetzt das sagt: „ Geht ihr Nachhause, ich…äh muss noch meinen Vater anrufen.“

„Ich dachte der mag es nicht, wenn du ihn während der Arbeit anrufst.“, sagt Jessica.

„Ist eben dringend.“, kontert Bill und wirft einen Blick zurück über die Schulter. Er weiß nicht wie lange sie noch da auf der Bank sitzen bleiben. Wenn er noch zu ihnen will, muss er sich beeilen. Bill ist über sich selbst etwas verwirrt, aber irgendwas in ihm sagt, dass er nochmal zurück gehen sollte.

„Na okay. Wir sehen uns Kumpel.“, sagt Phillip und klopft seinem Freund Bill auf die Schulter. Bill verabschiedet sich von Sarah, die sich komplett aus der Diskussion rausgehalten hat und von Jessica, die ihn länger als nötig umarmt. Er hasst ihre Anhänglichkeit. Jess ist nicht sein Typ. Warum kapiert sie das nicht? Er weiß, dass viele Mädchen auf ihn stehen. Doch die Richtige war noch nicht dabei. Bill wartet bis die Drei abbiegen und aus seiner Sicht verschwinden. Der junge Mann dreht sich um und läuft zurück zu den zwei, die noch immer auf der Bank sitzen. Er schätzt dass das Mädchen so zwischen 15 und 17 Jahren ist, der Junge wird 8 sein. Abrupt bleibt Bill stehen. Was soll er denn überhaupt sagen? Vielleicht, „Hey, hat euch das Brot geschmeckt?“ So eher nicht, denkt er. Bisher hat so etwas noch nie getan. Sonst wirft er Straßenkindern immer Sprüche an den Kopf und lacht sie aus. Die zwei scheinen ihn zu beobachten, wie er langsam zu ihnen hingeht. Sein Geldbeutel steckt in seiner hinteren Hosentasche, er holt ihn hervor und zieht 10 Dollar raus.

„Äh… ich weiß ja nicht ob….ja…ähm hier.“, stottert er und legt den Schein auf den Schoß des Mädchens. Sie guckt nur auf das Geld und gerade als Bill wieder gehen möchte hebt sie den Kopf und sagt: „Nein.“

„Warum? Wir können das doch gut gebrauchen.“, fragt der kleine Junge.

„Er hat uns schon das Brot gegeben, da muss er uns nicht auch noch Geld geben.“, sagt sie zu ihm, steht auf und hält Bill das Geld entgegen. Doch er schließt nur die Hand des Mädchens um den Schein, obwohl es ihn Überwindung kostet sie anzufassen.

„Behalte es.“, sagt Bill. „Deinem Bruder zuliebe. Seit ihr überhaupt Geschwister?“, fügt er hinzu.

„Ja. Ellen ist meine Schwester. Die tollste die man sich nur wünschen kann.“, antwortet ihr Bruder wie aus der Pistole geschossen. Bill grinst. Er hat keine Schwester, auch keinen Bruder. Wahrscheinlich ist sie wirklich eine tolle Schwester, denkt er. Ellen hat ihrem Bruder das Brot komplett gegeben und dabei höchstwahrscheinlich ihr eigenes Verlangen unterdrückt.

„Schöner Name.“, sagt er und lässt ihre Hand los.

„Danke, aber bitte behalte du das Geld . Andrew komm wir müssen gehen.“ Er ignoriert ihren ausgestreckter Arm mit dem Geld und murmelt „ Ich dachte Straßenkinder wären dankbar.“ vor sich her. Unglücklicherweise hat er es nicht leise genug gesagt. Erst ein paar Sekunden später begreift er, dass das wohl kein Kompliment war. Richtig bewusst wird es ihm auch dann, als Ellens Augen sich mit Tränen füllen, sie ihm das Geld vor die Füße schmeißt, Andrew am Arm nimmt und wegrennt.

„Ja. Ja verdammt nochmal. Wir sind zwei von den 1000 beschissenen Straßenkinder inNew York.“, ruft sie. Hätte sie doch wenigstens das Geld genommen.

Bill macht sich auf den Nachhauseweg um dort die Hausaufgaben zu erledigen. Hausaufgaben bedeutet Schule, Andrew und Ellen sind garantiert nicht in der Schule. Bills Vatersagt immer wieder, andere wünschen sich in die Schule gehen zu können und er würde sich nur beschweren. Das stimmte es war nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung. Ob die zwei Straßenkinder gerne in die Schule gehen würden? Er weiß es nicht. Obwohl Bill auch mit der U-Bahn fahren könnte, entscheidet er sich für den Weg zu Fuß, da er noch etwas frische Luft braucht bevor er sich den Hausaufgaben widmen kann. Er braucht auch frische Luft um auf andere Gedanken zu kommen, doch es klappt nicht. Immer wieder hat er das Bild vor Augen wie Ellen weint, nur weil er den einen Satz gesagt hat. Sicher, es wird nicht schön sein, auf der Straße leben zu müssen, deswegen tut es ihm auch leid.

Daheim angekommen versucht er seine Hausaufgaben zu erledigen. Ordentlich und detailliert klappt mal wieder nicht, also gibt er es auf und schreibt irgendeinen Schrott hin. Immerhin kann ihm jetzt keiner vorwerfen er hätte nichts getan. Anschließend lässt er sich auf sein Bett fallen und schaut Fern.

Kapitel 3

Andrew

Es macht ihn traurig, dass Ellen weint. Er will das nicht und außerdem steht ihr Lächeln viel besser. Mittlerweile gehen sie wieder in einem normalen Tempo. Vorsichtig sagt er: „Wir hätten das Geld nehmen sollen er hat es uns doch angeboten.“

„Wir brauchen es nicht. Wir schaffen das auch so.“, entgegnet seine Schwester und wischt sich mit der Hand über das Gesicht.

„Natürlich brauchen wir Geld. Wie sollen wir denn sonst leben?“

„Andrew, hör auf damit.“ Der Wortwechsel gefällt ihm nicht, er merkt wie er wütend wird und die Enttäuschung in ihm hoch kommt. Die Enttäuschung , dass er nicht den Mut aufgebracht hat, das Geld an zu nehmen. Streit mit Ellen geht nicht. Denn wenn man auf der Straße lebt muss man zusammen halten, sonst gibt es keine Chance. Auch er hat manche Sachen gelernt seitdem sie kein zu Hause mehr haben.

„Weil du es bist.“, murmel er. Ellen zaubert ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie biegen in eine Straße, in der Supertolle Angebervillen stehen. Andrew wird ganz schwach von dem Anblick.

„Wenn wir hier schlafen, auf irgendeiner Bank, können wir schauen ob es morgen nachdem die Leute gefrühstückt haben, etwas zu Essen in den Mülleimern gibt. Es darf uns nur niemand vertreiben. Ich denke das es den Leuten nicht so gut gefallen wird, wenn zwei Straßenkinder vor ihrem Haus schlafen.“, erklärt Ellen ihre Theorie. Andrew nickt, sagt aber nichts. Seine Schwester hat sowieso immer die besseren Vorschläge, doch das liegt wahrscheinlich nur daran das sie Älter ist. Weiter hinten in der Straße steht eine Bank, vor einem weißen Haus. Schon von weitem ist Andrew dieses Haus aufgefallen. Es hat irgendetwas das es hervorstechen lässt. Auf den ersten Blick sieht die Villa wie ein Würfel aus. In dem oberen Teil sind große Fenster. Weiter unten eher kleinere. Das Haus hat einen “kleinen“ Vorgarten, in dem Blumen in vielen Farben blühen. Das wird sicher viel Arbeit gewesen sein, obwohl Leute, die in Geld schwimmen, meistens einen eigenen Gärtner haben. Von der Straße führt ein geschotterter Weg zur Eingangstür. Andrew erkennt, dass ein weiterer Weg links ums Haus führt, wahrscheinlich ist hinter dem Haus erst der eigentliche Garten. Ein Haus, indem Andrew gerne leben würde, obwohl er sich nicht vorstellen kann, wie es wohl von innen aussieht.

„So.“, sagt Ellen und setzt sich auf die Bank „du kannst deinen Kopf auf meine Beine legen.“ Der kleine Junge weiß, dass sie so nicht gut schlafen kann, aber zu liegen ist bequemer, also nimmt er das Angebot an. In der Nähe ist keine Uhr, doch da es schon dunkler wird, schätzt er das so ungefähr halb acht ist. Wer weiß ob sie morgen etwas zu essen bekommen, wenn nicht braucht er Kraft. Er schießt die Augen und während er einschläft wird ihm bewusst, dass Ellen den ganzen Tag noch nichts gegessen hat.

Von einem lauten Donnergeräusch wird Andrew wieder geweckt. Sekunden später fängt es an zu regnen. Er schaut zu Ellen hoch und sieht, dass sie sich umschaut.

„Ich fürchte wir müssen trotz Gewitter und Regen hier bleiben. Ich sehe nichts wo wir uns unterstellen könnten.“, sagt sie etwas verzweifelt. Das ist immer ganz leicht an ihrem verzehrten Gesicht abzulesen.

„Wir schaffen das.“, ermutigt er sie und versucht seine Angst vor dem Gewitter zu unterdrücken. Ellen merkt es und nimmt ihn sofort in den Arm.

„Ich gebe dir meine Jacke. Soweit man die noch so nennen kann.“, sagt sie und legt die Jacke über Andrew´s Schultern.

„Können uns ja unter die Bank legen!“, witzelt er.

„Gar keine so schlechte Idee.“ Beim Sprechen bemerkt Andrew das ihre Stimme zittert. Wenn Andrew die Jacke behält, würde Ellen wahrscheinlich kranken werden. Aber ihm selbst ist kalt, wenn er krank werden würde wär das auch nicht schön. Sie bleiben auf der Bank, denn am Boden wäre es nur noch kälter, wie es sowieso schon ist. Ellens Bruder ist hin und her gerissen, was in dieser Situation, die beste Lösung ist. Jacke behalten oder Ellen zurück geben und riskieren krank zu werden. Doch bevor Andrew zu Wort kommt sagt seine Schwester schon: „Kein schlechtes Gewissen. Mir geht es gut.“ Ellen umwickelt den kleinen Jungen mit den Armen und er schläft ein. Andrew träumt viel Geld zu besitzen und in die Schule gehen zu können. Er würde so gern Lesen und schreiben können. Andrew lebt schon solange auf der Straße, man könnte auch sagen er ist auf der Straße auf gewachsen, dass er sich kaum noch an das Leben im Luxus oder das normale Leben in einem Haus, mit genügend Essen und allem drum und dran erinnern kann. Er kann es sich nur noch vage vorstellen und von träumen. Mitten in seinem Traum wird er unsanft von einem Husten geweckt. Er macht die Augen auf und sieht das Ellen ihn losgelassen hat. Sie hat einen Hustenanfall.

„Nicht…. so schlimm. …Wird gleich besser.“, krächzt sie. Ach du Scheiße was war das denn jetzt bitte? Ist Ellen krank? Aber so schnell geht das doch nicht. Andrew hat keine Ahnung was er machen soll. Er legt seine Hand auf ihren Rücken, doch Ellen schüttelt sie ab. Ellen hustet weiter und weiter. Statt besser zu werden wird es schlechter. Das einzig Gute, der Regen hat aufgehört.

Kapitel 4

Bill

Bill schläft gerne mit geöffnetem Fenster und dies ist auch der Grund warum er jetzt wach wird. Bill hört jemanden Husten. Doch es ist nicht nur so ein leichtes Hüsteln, sondern richtig Husten.Warum ausgerechnet jetzt?Ein Blick auf den Wecker sagt ihm das es viertel vor zwei ist .Mitten in der Nacht. Naja, wahrscheinlich kann der oder diejenige nichts für den Hustenanfall. Seufzend schwingt er die Beine aus dem Bett und geht zum Fenster. Auf der Bank sitzen zwei Gestalten. Erst als er genauer hinsieht wird ihm bewusst, dass es sich bei den zwei Gestalten um die Straßenkinder handelt. Draußen muss es doch verdammt kalt sein. Warum gehen sie nicht rein? Weil sie STRAßENkinder sind ruft er sich ins Gedächtnis. Das Mädchen sitzt gekrümmt auf der Bank und hustet wie verrückt, als ob sie nicht mehr lange lebt.Was hast du für Gedanken?fragt sich Bill. Doch im Prinzip liegt die Antwort auf der Hand. Seit sein Opa, der für ihn eine große Bedeutung hatte, Anfang des Jahres gestorben ist, denkt er viel an den Tod. Er kann sie doch nicht einfach da sitzen lassen, schon allein wegen der Kälte. Aber es gibt ein Problem, wenn er durch die Haustür geht, werden seine Eltern wach. Die würden nur Fragen stellen. Zum Glück hat er einen eigenen Balkon an dem ein Gitter ist. Um dieses Gitter wickeln sich Blumen, doch er hat es schon oft als Leiter genommen um sich heimlisch weg zu schleichen. Bill schmeißt sich schnell in Pulli und Jogginghosen. Mühelos klettert er das Gitter runter und läuft Richtung Bank. Kurz vor den Zwei bleibt er stehen und fragt: „Alles in Ordnung? Mein Fenster war offen und ich hab dich Husten hören.“ Das Husten ist weniger geworden, doch weg ist es noch nicht. Ellen schüttelt den Kopf, doch Bill versteht nicht was sie damit sagen will.

„Wir haben den ganzen Tag nichts getrunken. Ich hab zwar keine Ahnung aber vielleicht kommt der Husten daher.“, sagt ihr Bruder. Müsste Bill auf der Straße leben würde er wenigstens Wasser aus dem Fluss trinken, doch diesen Gedanken behält er für sich.

„Wartet ich komm gleich wieder!“, entgegnet Bill schnell. Er macht sich wieder auf den Weg nach oben. Den ganzen Tag nichts getrunken?! Das muss doch eine Qual sein, anderseits sie werden es gewohnt sein. Leise schleicht er sich zum Kühlschrank. Wasser wird wohl am besten sein. Mit einer Flasche Sprudel kehrt er zur Bank zurück. Bill will Ellen die Flasche geben doch sie nimmt sie nicht. Ihr Bruder sagt: „Ellen er hat dir Wasser gebracht. Trink was.“ Sie schluckt und kriegt ihren Husten völlig unter Kontrolle dann sagt sie: „Ich weiß. Aber ich brauch nichts zum Trinken. Ich komm auch ohne dich und dein Scheiß Geld klar!“

„Habs verstanden. Wollt doch nur helfen!“, entschuldigend hebt er beide Hände.

„Darf ich was trinken?“, fragt der kleine Junge und nickt zur Sprudelflasche. „Sicher. Wie heißt du?“

„Andrew und du?“ Andrew trinkt gierig und strahlt dabei.

„Bill. Deine Schwester heißt Ellen, oder?“ Ohne die Flasche abzusetzen nickt Andrew. An Ellen gewandt fragt Bill: „Geht’s dir wieder gut?“

„Ja und wie du siehst ganz ohne deine Hilfe.“

„Ich glaub ich geh mal wieder. Wer weiß sonst merken meine Eltern noch was.“, beschließt er.

„Tschüss Bill.“, ruft Andrew, Ellen hingegen bleibt stumm. Das Trinken lässt Bill stehen, jetzt würde er davon ohnehin nichts mehr trinken.

Wieder im Bett überlegt er, ob er ihnen vielleicht eine Decke hätte bringen soll. Einerseits hatte Ellen noch nichts von ihm genommen, aber Andrew schon und seine Schwester hat diese schreckliche Gänsehaut. Nochmal steht er auf und geht zum Fenster. Die beiden sind halb liegend, halb sitzend auf der Bank aneinander gekuschelt. Sie sehen süß aus.

Bill weiß, dass er jetzt eh nicht einschläft, also geht er noch kurz in Facebook. Wie zu erwarten war um diese Zeit niemand mehr von seinen engsten Freunden online. Natürlich kennt er mehr wie nur seine Klassenkameraden aber im Moment hat er einfach keine Lust. Er loggt sich wieder aus, legt sich ins Bett, doch anstatt zu schlafen wälzt er sich hin und her und überlegt ob die Geschwister morgen immer noch da sind. Überraschenderweise schläft Bill doch nochmal ein. In dieser Nacht träumt er zum ersten Mal davon, wie es ist ein Straßenkind zu sein.

Er sitzt auf dem Bürgersteig sein Magen knurrt und der Hals ist trocken. Als er an sich runter schaut bemerkt er, dass seine Hose total zerrissen ist, genauso wie sein T-Shirt. Eine Jacke hat er überhaupt nicht. Leute laufen an ihm vorbei, Leute die ihn auslachen, mit dem Finger auf ihn zeigen oder einfach nur angewidert wegschauen. Es ist verdammt einschüchternd, die Leute so zu sehen. Man hat das Gefühl man ist nichts. Er wird zwar nicht wie Luft behandelt aber Anerkennung erhält er auch keine. Um Geld zu betteln traut er sich nicht, aus Angst dass die Leute ihm nichts geben. Aus Angst zu begreifen, dass er verloren ist, kein Leben hat. Er lehnt sich an eine Mauer und dann sieht er sie. Er sieht Ellen, die gegenüber von ihm aus dem Haus schwebt. Wie ein Geist. Zuerst hängt sie nur in der Luft und schaut Bill an. Danach schwebt sie auf Bill zu, durch die anderen hinzu und den Blick immer noch auf ihn gerichtet. Sie grinst und dann lacht sie. Ein hämisches, schadenfrohes Lachen. Bill drückt sich gegen die Wand. Ellen hat ein rotes Sommerkleid an und sieht aus als würde sie Milliarden besitzen. „Bill.“ Sie lässt den Namen auf der Zunge zergehen. „Hast du vielleicht jetzt eine Ahnung, wie es ist so zu leben wie wir. Wie man sich fühlt und was für eine Überwindung es kostet zu betteln. Dieses Gefühl von nichts. Man nimmt nichts an, weil man doch einen gewissen Stolz besitzen will.“ Von ihr geht eine Drohung aus. Bill weiß nur nicht wie sie gemeint ist. Pfeifend geht sie zurück. Schweißnass wacht Bill auf und realisiert dass das Pfeifen sein Wecker ist. Er schaltet ihn aus, dreht sich um und denkt es war doch gut gemeint, ich wollte nur helfen. Nimmt Ellen seine Sachen nicht an, weil sie Stolz besitzen will?

Dienstag, noch nicht mal die Hälfte der Woche ist rum. Schule ist doch so langweilig. Vor seinem Kleiderschrank überlegt er was er anziehen soll. Gerade als er in seinem Hollister T-Shirt und den Versage Hosen die Treppe runter gehen möchte, denkt er an Andrew und Ellen. In diesem Moment erscheinen ihm seine Klamotten unpassend oder unangenehm.

Schließlich verlässt er das Haus, mit einer anderen Hose und anderem T-Shirt, diesmal keine besonderen Marken. Seine Schultasche hängt lässig über der rechten Schulter. Nach einem Blick auf die Bank stellt er fest, dass die Beiden immer noch da sind. Es ist ja auch erst sieben Uhr ruft er sich ins Gedächtnis. Doch beidem Anblick von Ellen und Andrew erschrickt er. Ihre Gesichter sind blass, wenn Bill sich nicht täuscht ist sogar ein tick Blau mit drin. Kälte gar keine Frage. Eine Decke. Decke. Decke. Ohne zu überlegen geht er schnellen Schrittes auf die Bank zu. Er hätte in der Nacht doch noch eine Decke bringen sollen. „Andrew? Ellen?“, sagt er und berührt den kleinen Jungen vorsichtig am Arm. Es widert ihn an, so dreckig, wie er ist. Jedoch verschwindet das Gefühl sofort wieder, als Bill durch die Jacke merkt, dass Andrew total durchgefroren ist. „Ellen. Bill ist da. Ellen mir ist so kalt.“, sagt Andrew. Es war Anfang Sommer, doch der Regen gestern, dem sie ausgeliefert waren, hat Kälte mit gebracht. „Ich hab´s bemerkt. Bevor du was sagst, mir ist es recht.“, sagt sie und ihre Stimme zittert. Bill grinstmir ist es recht.Das er da war? Ellen blickt ihn an, dann sagt sie: „Was grinst du so? Mir ist es recht, dass Andrew dich fragt, ob wir eine Decke kriegen. Sonst. Gar. Nichts. Verstanden?“ Mit einem Mal ist sein Lachen verschwunden, wieder sieht er sich selbst auf der Straße sitzen. Ist es der eigene Stolz oder warum verhält sie sich so? Bill weiß es nicht. „Ja, ich geb euch eine Decke. Moment ich hab eine Idee. Ihr seid total durchgefroren. Eh, also… meine Eltern sind schon auf der Arbeit ihr könnt ins Gartenhäuschen. Zum aufwärmen. Kommt.“ Abwartend schaut er sie an. Andrew steht sofort auf, ihm fällt es wesentlich leichter Sachen anzunehmen. Was wahrscheinlich daran liegt, dass er jünger ist. Ellen zögert doch schließlich gewinnt die Kälte überhand und sie steht auf. Bill führt sie durch den Garten. Komischer Weise, ist es ihm Peinlich. Peinlich, dass es für ihn eine Selbstverständlichkeit ist Geld zu Besitzen und was für einen Eindruck haben die Geschwister jetzt wohl von ihm. Werden sie ihn einfach nur beneiden? Neid kann sich aber auch negativ auswirken. Bill hält ihnen die Tür auf und sieht zu wie sie Strahlend eintreten. Das Gartenhaus ist irgend so ein Designerbau. Größer als ein normales. Im hinteren Eck stehen einige Gartengeräte, doch ein kleines, altes Sofa steht auch drin. Noch bevor er drauf zeigen kann, setzten sich Ellen und Andrew. Ellen macht den Mund auf, schließt ihn wieder, schluckt und sagt schließlich: „Danke. Das ist lieb von dir.“

„Ach, keine Ursache. Wartet hier ich hol schnell Decken.“ Er läuft über die Wiese zurück. Der selbstfahrende Rasenmäher, fährt seine Runden. Bill freut sich darüber, dass Ellen nicht schon wieder abgelehnt hat.

Kapitel 5

Ellen

Ellen schaut sich genauer um. Die Gartengeräte sind ordentlich aufgestellt. Was das Sofa hier soll, ist ihr ein Rätsel. Vielleicht um Partys zu feiern. Partys, wie es dort wohl war? Ellen war noch nie auf einer richtigen gewesen, nur auf diesen Klein- Mädchen- Prinzessinnen- Geburtstagsfeiern. Wie sollte sie denn auch auf coolen Partys sein? Sie hat schließlich keine Freunde, die sie eventuell einladen würden.

Bills Haus sieht von der anderen Seite noch toller und schöner aus. Durch eine große Glasschiebetür kann man ins Wohnzimmer gehen. Außerdem befindet sich im Garten ein Teich um den Palmenartige Pflanzen stehen. Doch das Beste, was Ellen gesehen hat ist der Pool. Zu gern wäre sie einfach rein gesprungen.

Warum sie sich Bill gegenüber so abwehrend verhält, weiß sie selbst nicht. Er ist hilfsbereit und gutaussehend. Das Gefühl, was sich in ihr regt, wenn sie an ihn denkt oder ihn sieht, ist ihr unbekannt.

„Bill ist voll nett zu uns.“, sagt Andrew und kuschelt sich in die Ecke des Sofas. „Jaja.“ Er ist wirklich nett, doch Ellen darf auch nicht vergessen, was für Lasten auf ihren Schultern liegen. Doch vielleicht tut es auch gut zu vergessen. Nein! Nicht vergessen. Aber auf später verschieben. Ihr kleiner Bruder fragt sie zwar immer aus, aber es ist zu schwer, die Wahrheit zu verstehen. Irgendwann wird er alles über seine Eltern erfahren. Mum und Dad. Ellen merkt wie ihre Augen nass werden und kurz vorm Überlaufen sind. Andrew darf es nicht mitkriegen, sonst fängt alles von vorne an. Sie blinzelt die Tränen weg und beschließt netter zu Bill zu sein. Wer weiß, vielleicht tut es gut, mit jemand andrem zu reden. Aber nicht über ihre Eltern, das würde sie nicht übers Herz bringen. Auf jeden Fall noch nicht. Reden über normale, alltägliche Dinge. Alltäglich? Es ist lachhaft. Alltäglich ist für Ellen, dass Hungern und Durstig sein.

Es bleibt keine Zeit sich weiter Gedanken zu machen, denn just in dem Moment kommt Bill zurück. In der Hand hält er zwei Decken und eine Thermoskanne. Dankbar nimmt Ellen die Decken entgegen. Sekunden später ist Andrew in die Decke eingewickelt. Dann legt sie sich selbst die Decke um die Schultern. Sofort durchströmt sie Wärme und ihr geht es direkt besser. Als sie die Decke noch enger um sich legt steigt ihr ein angenehmer Duft in die Nase. Die Decke riecht frisch und sauber. Man kann ruhig sagen, im Prinzip das Gegenteil von ihr. Garantiert stinkt sie und dreckig ist sie auch. Aber dafür kann sie nichts, weil wie soll man sich auf der Straße sauber halten?

„Ich hab noch Tee mitgebracht. Danach ist euch bestimmt wieder warm“, sagt Bill. Ellen hat seit gestern, eineinhalb Tage, nichts mehr getrunken. Die Sprudelflasche hat sie kein einziges Mal angerührt. Jetzt trinkt sie, wie eine bekloppte. Danach reicht sie die Tasse weiter an Andrew, der genießerisch die Augen schließt. Ellen bemerkt Bills Tasche, höchstwahrscheinlich seine Schultasche.

„Musst du nicht zur Schule?“, fragt sie interessiert.

„Doch schon aber mein Bus hab ich jetzt eh verpasst. Lust hab ich sowieso nie, also egal.“ In dem Moment piepst sein Handy. Er zieht es heraus und nach einem kurzen Blick auf das Display zuckt er mit der Schulter. „Mein Kumpel, wo ich bleib.“ Zu Andrews bewundertem Blick auf das Handy fügt er hinzu: „Wenn du willst kannst du mal mit spielen.“ Bill reicht ihm das Handy. Mit strahlendem Gesicht fängt er an zu spielen.

„Pass auf, dass es nicht kaputt geht.“, sagt Ellen.

„Oer Ellen. Keine Angst, ich bin schon groß.“, verteidigt er sich. Bill wirft ein: „Genau Ellen. Andrew ist kein Baby mehr. Jetzt lass ihn doch mal spielen.“ Als er dann noch lächelt, kann sie nicht anders und erwidert sein Lächeln. „Nochmal zur Schule du kannst mich Vokabeln ab hören. Seite 210, du sagst die rechte Spalte ich die linke.“, erklärt Bill und reicht dem Mädchen ein Buch. Eine Zeit lang fragt sie ihn Vokabeln ab. Bill kann die meisten Vokabeln perfekt, nur bei wenigen muss er überlegen oder Ellen ihm helfen. Später schaut Ellens kleiner Bruder auf.

„ Darf ich dich was fragen, Bill?“

„Klar, schieß los kleiner“, antwortet Bill.

„Nenn mich nicht so. Wie ist es in so einem großen und tollem Haus zu wohnen?“ Was fragt Andrew da nur, aber unterbrechen tut Ellen ihn trotzdem nicht. Denn in gewissermaßen interessiert es sie ja selbst. Sie merkt das Bill nur kurz zögert. Ob er sich überlegt zu sagen was das für eine Frage ist oder angemessen zu antworten.

„Äh, wie soll ich das beschreiben. Eigentlich genauso wie in einem anderen, vielleicht kleineren Haus auch. Nur das man mehr Platz hat.“

„ Danke.“, sagt Andrew.

„Kein Problem“, erwidert Bill. Andrew scheint sich wohl zu fühlen, doch immer wieder kehren Ellens Gedanken zu den Eltern zurück.

„Wir waren schon viel zu lang hier. Komm lass uns gehen, Andrew.“

„Das war doch höchstens eine halbe Stunde. Draußen ist es kalt. Bitte Ellen noch ein bisschen, wenn Bill nichts dagegen hat.“, protestiert er prompt.

„Ich hab nichts dagegen und ich biet es euch jetzt auch nur an, wenn ihr wollt könnt ihr die Nacht hier im Schuppen verbringen. Hier kommt eh niemand hin, außer es findet eine Party statt oder der Gärtner kommt, was erst wieder am Montag ist und heute ist Dienstag.“, wirft Bill ein.

„Nein das geht nicht. Aber danke.“, bestimmt Ellen.

„Aber warum Ellen, es ist doch besser hier zu schlafen als auf irgendeiner harten Bank.“ Anscheinend hat Andrew im Moment vergessen, was los ist, aber eigentlich ist es doch gut. Ellen lässt sich drauf ein.

„Also gut.“, sagt sie seufzend.

„Danke, danke, danke.“, sagt ihr kleiner Bruder und wirft sich in ihre Arme. Ellen hält ihn fest. Ihm darf nie etwas passieren sonst ist sie ganz allein, dass würde sie nicht ertragen. Nicht auch noch das. Andrew setzt sich zurück auf seinen Platz und spielt am Handy weiter. Bill, der vor ihr auf dem Boden sitzt, meldet sich zu Wort: „Wie alt seid ihr eigentlich?“

„Ich bin 16 und Andrew ist 8, du?“

„ 17“ Über was sollen sie denn reden. Ellen hat keine Ahnung. Doch dann fällt ihr etwas ein.

„Erzählst du mir was über Schule? Ich war nicht lang in einer.“, bittet Ellen. Die vierte Klasse schloss sie noch erfolgreich.

„Also ich find Schule ziemlich langweilig. Du musst erstens früh aufstehen. In der Schule erzählen dir Lehrer dann irgendwas über den Satz des Pythagoras und der Zusammensetzung von Molekülen. Quälst dich also durch den Unterricht, wo eigentlich hört niemand zu, abgesehen von den Nörds. Mittags, nach der Schule, musst du Hausaufgaben machen und lernen. Nicht so spannend was?“

„Doch! Ich find du kannst froh sein in der Schule zu sein. Ich bin so dumm wie eine 11 Jährige und bin 16. Allein das Wort Molekül hab ich noch nie gehört. Ich würd gern in die Schule gehen, obwohl mich wahrscheinlich alle mit so scheiß Sprüchen beschmeißen würden, weil ich nix kann.“

„Würd drauf ankommen, was für Mitschüler du erwischt.“, gibt Bill zu bedenken.

„Sowieso unnötig, weil ich nie die Chance bekomme in die Schule zu gehen.“ Ellen wirft einen Blick auf Andrew, er ist ganz vertieft in irgendein Spiel auf Bills Handy.

„Ich komm mir voll doof vor, ich sitze hier auf der Couch in deinem Gartenhaus und ich kenn dich nicht mal.“, sagt Ellen.

„Wir können uns ja kennenlernen.“ In diesem Moment steht Bill auf und streckt Ellen die Hand hin. Reflexartig greift sie zu. Seine Hand ist warm und fühlt sich stark an.

„Gestatten, mein Name ist Bill Anderson, wohne in der Vanderbilt Avenue 39. Habe keine Geschwister. Am 11.08 habe ich Geburtstag. Mein Vater ist Börsenmakler und heißt John. Meine Mutter ist Rechtsanwältin und heißt Madison. Und mit wem habe ich die Ehre?“ Ellen kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Bill hat seine Eltern erwähnt, was soll sie bloß an dieser Stelle sagen. Nach kurzem Überlegen beschließt sie diese Stelle auszulassen und sagt: „ Mein Name ist Ellen Gilbert und …..-“ Sie bricht ab, dass Andrew ihr Bruder ist, weiß Bill längst. Wohnen tut sie auf der Straße. Verdammt, ihre Augen laufen über und schnell rennt sie aus dem Gartenhaus Richtung Straße.

„Was ist los?“, ruft Bill und läuft ihr nach. Die Anweisung von Bill an Andrew, er solle im Haus bleiben, bekommt sie nur nebenbei mit. Was macht sie eigentlich hier? Das Mädchen lässt sich auf der Bank, auf der sie die letzte Nacht verbracht hatte nieder und lässt ihren Tränen freien Lauf. Bill setzt sich neben sie.

„Warum hast du nicht weiter gesprochen?“, fragt er. Ellen guckt ihn nicht an, sondern weint einfach weiter.

„ Oh. Weil… weil.“, stottert er weiter, findet aber nicht die richtigen Worte. Ihm ist klar geworden warum, doch Ellen hat das Bedürfnis es Bill trotzdem zu erklären.

„Mein Name ist Ellen Gilbert. Ich wohne auf der Straße. Außerdem habe ich einen Bruder. Andrew. Um ehrlich zu sein, weiß ich nur, dass ich am 19.03 Geburtstag habe. Ich weiß ja nicht mal den wievielten wir heute haben.“ Sie schluchzt auf.

„Es tut mir leid, ich wollt doch nur einen Spaß machen. Ich hab nicht richtig nachgedacht.“, gesteht Bill.

„Ist… ist ….schon okay.“, schnieft Ellen.

„Bei deiner Vorstellung hast du deine Eltern nicht erwähnt.“ Es ist ihm aufgefallen und es macht ihm auch nichts aus nach zu fragen. Sprich, schüchtern ist er auf keinen Fall.

„Versprech mir eins frag mich niemals, hörst du niemals, nach meinen Eltern und Andrew schon gar nicht.“ Ihre Stimme klingt schärfer als beabsichtigt. „Okay, ich versprech es.“, sagt Bill und rückt ein Stück von Ellen weg. Danach wühlt er in seiner Tasche und zieht ein Taschentuch raus und hält es Ellen hin.

„Hier. Ist nur verknittert.“, sagt er und zeigt sein Jungenhaftes Grinsen. Das Mädchen putzt sich die Nase und wischt ihre Tränen weg.

„Danke.“ Gemeinsam gehen sie wieder zurück. Ein Blick von Ellen lässt Andrew verstehen, dass er nichts fragen soll.

Abends nachdem Bill gegangen ist sagt Ellen:„ Bleib du auf dem Sofa liegen. Ich schlaf hier unten.“ Andrew geht auf ihren Vorschlag ein und sagt: „Du magst ihn.“

„Wen?“ Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit von wem die Rede sein kann, doch Ellen fragt trotzdem nach.

„Na Bill.“, sagt Andrew.