Energieräuber in Familie, Beziehung und Job erkennen und abwehren - Ingalill Roos - E-Book

Energieräuber in Familie, Beziehung und Job erkennen und abwehren E-Book

Ingalill Roos

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Beschreibung

Viele Menschen kennen das: Im Leben gibt es Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder, bei denen man oft das Gefühl hat, sie rauben einem Energie. Nach Verabredungen fühlt man sich erschöpft und frustriert. Oder hat das Gefühl, nicht wertgeschätzt zu werden. Hier sind "Energieräuber" am Werk: Menschen, die ihre Probleme bei uns abladen und uns Freude nehmen. Ingalill Roos zeigt in ihrem Buch, wie wir diese kraftraubenden Beziehungen erkennen und zu einem ausgeglichenen Geben und Nehmen zurückfinden können.

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Ingalill Roos

Energieräuber in Familie, Beziehung und Job erkennen und abwehren

Aus dem Schwedischen übertragen von Annika Göbel-Lutz

Wir müssen nicht fürchten, zu weit zu gehen,denn dort liegt die Wahrheit.

Marcel Proust

Impressum

Titel der schwedischen Originalausgabe:

Energitjuvar i familjen, i relationen och på jobbet

Erschienen im Bokförlaget Forum, Stockholm

© Ingalill Roos

Für die deutschsprachige Ausgabe

© KREUZ Verlag im Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Agentur IDee

Umschlagmotiv: © by-Studio / Fotolia_102421829

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-81234-7

ISBN (Buch): 978-3-451-06850-8

Inhalt

Einleitung

TEIL I

Energieraub – ein aggressives Verhalten

Wie formt sich unser Verhalten?

Energieräuber in der Familie und Eifersucht unter Geschwistern

Energieräuber am Arbeitsplatz

TEIL 2

Muster in Liebes- und Paarbeziehungen

Die Last des Partners tragen

Die Sehnsucht nach einer gegenseitigen Beziehung

Die Liebe wiederfinden

Was steht einer liebevollen Beziehung im Weg?

Unsere Lebensreise

Quellen und Inspiration

Einleitung

Alles, was uns umgibt, ist von Energiefeldern eingefasst, und so kommunizieren wir auch über emotionale Kraft- und Informationsfelder miteinander. Wenn wir einem unbekannten Menschen begegnen, haben wir keine Ahnung, was dieser Mensch in seinem Energiefeld mit sich trägt, und wir wissen noch nicht, was uns im Umgang mit diesem Menschen erwartet und was uns begegnen wird. Da wir nur über ein begrenztes Maß an Energie verfügen, sollten wir wach sein und darauf achten, wohin wir unsere Energie fließen lassen.

Sich in einen anderen Menschen hineinfühlen zu können, an seiner Welt teilzuhaben und selbst ebenso verstanden zu werden ist ein großes Geschenk – dann fließt die Energie frei und unbehindert. Wenn wir ernst genommen werden, entstehen Lebenswille und Lebenskraft, wir sind zufrieden und fühlen uns wohl. Wir sind erfüllt von Harmonie und echter Freude. Der Mensch strebt nach Wohlbefinden und dem, was ihm guttut. Wonach wir uns am meisten sehnen, sind Beziehungen, in denen wir Respekt, menschliche Nähe und Wärme erfahren: Wir sehnen uns danach, Liebe zu geben und zu empfangen.

Aber wie kommt es dann, dass wir manchmal so unfähig sind, einander nahezukommen und miteinander glücklich zu werden? Warum lassen manche Menschen uns so frustriert und erschöpft zurück? Was spielt sich da unsichtbar ab, in diesem Spannungsfeld zwischen uns und dem anderen – was liegt hinter den Worten und Handlungen?

Wir müssen uns darüber bewusst werden, was genau passiert, wenn wir verletzt und enttäuscht werden, wenn man uns nicht glaubt oder uns falsch beurteilt – in der Paarbeziehung, in der Familie und am Arbeitsplatz. Wir müssen uns die Frage stellen, wer uns Kraft gibt und wer sie uns nimmt. Wenn Menschen in unserer Umgebung mehr nehmen, als sie geben, entsteht ein Ungleichgewicht. Häufig erkennen die Betroffenen das nicht, verstehen nicht, was passiert ist; sie fühlen nur ein Unwohlsein, das müde macht und viel von ihrer psychischen Energie verbraucht: Ein Energieraub hat stattgefunden.

Viele Menschen haben das Bedürfnis, diese Zusammenhänge zu erkennen und zu begreifen. Ich möchte in diesem Buch meinen Beitrag dazu leisten, häufig vorkommende Verhaltensweisen und Beziehungsphänomene näher zu untersuchen und besser zu verstehen. In unserem Alltag begegnen uns häufig Menschen, die Masken tragen. Um die Wahrheit zu verbergen, haben sie Verteidigungsbollwerke errichtet, die oftmals undurchdringlich sind. Nicht alles ist so, wie es aussieht. Nicht selten stehen wir staunend und verständnislos vor den Verhaltensweisen anderer und fragen uns, was wohl dahinterstecken mag, wenn jemand einem anderen das Leben schwer macht. Gelingt es uns, einen Blick hinter die Fassade zu werfen, erkennen wir, dass wir in unserer Sehnsucht nach Liebe und Verständnis im Grunde alle gleich sind. Jeder will bestätigt werden, sich wertvoll und heil fühlen, denn Liebe ist der Grundstein, auf dem unser Ich aufbaut.

Wenn wir die Zusammenhänge in unserem Leben erkennen und psychologisches Verständnis entwickeln, wird vieles im Leben leichter, die Beziehungen zu anderen werden besser. Wir schulen unseren Blick und erkennen klarer, was uns guttut und was uns schadet. Alle haben die Möglichkeit der Wahl. Sie können sich dafür entscheiden, das zu verändern, was in ihrem Leben nicht gut läuft – das ist zwar mühsam, aber es lohnt sich. Eine der großen Fragen in diesem Kontext ist die nach den Mechanismen, die unser Verhalten steuern. Für mich war die Suche nach einer Antwort auf diese Frage eine wichtige Konstante in meiner Tätigkeit als Sozialwissenschaftlerin und Gesprächspsychotherapeutin. Das Wissen um die Persönlichkeitsentwicklung und die eigene Identität hat eine zentrale Bedeutung im Leben vieler Menschen: Was fühle ich, was denke ich, was erlebe ich? Warum ist das so? Ich hoffe, dass dieses Buch Ihnen Impulse gibt und Sie inspiriert, eigene Antworten zu finden, um so die Zusammenhänge in Ihrem Leben zu verstehen.

Jeweils am Ende eines wichtigen Abschnitts gibt es einen kleinen Fragenkatalog zu Verhaltensweisen und Gefühlen, mit dem Sie die Erkenntnisse auf das eigene Leben übertragen und vertiefen können.

TEIL I

Energieraub – ein aggressives Verhalten

Jede Wahrheit durchläuft drei Stadien, zunächst wird sie verlacht, dann wird sie bekämpft, schließlich wird sie als selbstverständlich angenommen.

Arthur Schopenhauer

In diesem Buch habe ich mich darauf konzentriert, ein Verhalten zu erforschen, das viel Leid, Frustration und große Enttäuschung verursacht. Aus meiner Sicht ist dieses Verhalten auch die Hauptursache dafür, dass es den Menschen so schwerfällt, einander nahezukommen. Es geht also nicht um gut funktionierende, überwiegend harmonische zwischenmenschliche Beziehungen, in denen es möglich ist, sich auszutauschen, auszusprechen und Dinge auf Augenhöhe zu klären, sondern um Konstellationen, in denen ein starkes Machtbedürfnis und Machtgefälle herrscht, in denen Menschen leiden und Schaden nehmen. Für diejenigen, die im Zentrum des Phänomens stehen, habe ich den Ausdruck Energieräuber gewählt. Ich meine damit Menschen, die ihre eigenen belastenden Gefühle an anderen abreagieren, um sich Erleichterung zu verschaffen und Energie zu gewinnen. Ich nenne sie deshalb Räuber, weil sie sich ungefragt und manchmal sogar durchaus aggressiv aneignen, was beim rechtmäßigen Besitzer bleiben sollte und diesem nachher fehlt.

In diesem Buch werde ich abwechselnd von Energieräubern und von Menschen mit räuberischem Verhalten reden – in Bezug auf die Energie, versteht sich. Im Zusammenhang mit Beziehungen wird vom nehmenden Part oder vom Nehmertyp beziehungsweise vom gebenden Part und vom Gebertyp die Rede sein.

Energieräuber finden sich in allen gesellschaftlichen Gruppen, in allen sozialen Schichten, völlig unabhängig von Status und Besitz, von Beruf, Ausbildung und Religionszugehörigkeit. Ich nenne den Energieräuber aus grammatischen Gründen »er«, aber es versteht sich von selbst, dass ein Energieräuber sowohl männlich als auch weiblich sein kann.

Es ist nicht immer leicht zu erkennen, wann ein Energieräuber seine inneren Konflikte an der Umgebung auslässt. Deshalb ist es wichtig, sich die Mechanismen hinter dem räuberischen Verhalten klarzumachen.

Ausgehend von den Grundlagen der Erforschung der menschlichen Psyche – hierbei spielen für mich vor allem Sigmund Freuds und Carl Gustav Jungs Theorien eine große Rolle –, stütze ich mich auf meine Arbeit und langjährige Erfahrung als psychodynamische Gesprächspsychotherapeutin sowie auf die Kenntnisse, die mir während meiner Psychotherapieausbildung vermittelt wurden.

Um das Verständnis dafür zu erleichtern, wie es sich anfühlen kann, in einer Beziehung zu leben, in der ein Partner ein räuberisches Verhalten an den Tag legt, habe ich mich für einige einleuchtende Fallbeispiele entschieden, die später im Buch vorgestellt werden.

Diese Beispiele zeigen, wie es ist, wenn einer alleine die ganze Last der Schuld tragen muss, sobald Probleme in der Beziehung auftreten. Ziel des Buches ist es auch, übliche Muster und typische Verhaltensweisen von Energieräubern deutlich werden zu lassen. Ich schildere Beispiele für räuberisches Verhalten, aber auch für andere häufig vorkommende Verhaltensweisen, von denen ein typischer Energieräuber Gebrauch macht. Selbstverständlich variieren die Muster von Individuum zu Individuum und bei einigen Menschen sind sie auch nicht eindeutig auszumachen.

Projektion

In der Psychologie wird die in diesem Buch behandelte Problematik als Projektion bezeichnet, was bedeutet, dass jemand seine unerwünschten, negativen, teils unbewussten Gefühle und seine Unlust auf andere Menschen projiziert und sich so Entlastung verschafft.

Ein Mensch mit räuberischem Verhalten möchte sich seine Fehler und Schwächen nicht eingestehen, sondern bei sich nur das sehen, was gut ist. Er wird von alten Mustern gesteuert – meist unbewusst –, die ihn die Energie anderer zum eigenen Vorteil nutzen lassen. Durch seine Art schafft er eine Situation ohne Austausch und Beziehungen, in denen es kein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen gibt. Ein Energieräuber leugnet die Gefühle, die ihn von innen bedrohen, und lebt in einer permanenten Verteidigungshaltung, um sich nicht selbst konfrontieren zu müssen. Die verleugneten Gefühle suchen sich ein Ventil als undefinierte Wut, die nach außen gerichtet wird. Er gibt ungefragt negative Kommentare ab, kritisiert andere in der Absicht, sie abzuwerten, widerspricht, sagt, wo es lang geht, und will immer das letzte Wort haben. Auf diese Weise verbreitet er Unlust und Unbehagen. Der Energieräuber bekommt einen Energiekick, während der »Beraubte« geschwächt wird, sich kraftlos und matt fühlt und am Ende sogar völlig erschöpft zurückbleiben kann. Oftmals scheinen diese Gefühle und das Unbehagen an der Situation unbegreiflich und unerklärlich, man fühlt nur diffus, dass etwas nicht stimmig ist … den Zusammenhang erkennt man nicht.

Streit und Missverständnisse im Alltag haben ihren tieferen Grund häufig in Projektionen. Weil der Ablauf der Konflikte darauf basiert, dass der Energieräuber Macht gewinnen und andere unterwerfen möchte, ist die Situation oft schwer zu klären und mit Worten und Argumentation kaum zu bereinigen.

Oftmals hat die Person mit dem räuberischen Verhalten eine Situation aus ihrer Vergangenheit nicht bewältigt. Die treibende Kraft für ihr Verhalten ist der Wille, sich gegen frühere Gefühle aufzulehnen. Der kleinste Wunsch eines Mitmenschen kann dann zum Beispiel als unzumutbare Forderung erlebt werden, weil frühere Verstimmungen als Gefühlsaufwallung plötzlich in die Jetzt-Zeit hineinreichen. Manche kanalisieren ihre Gefühle ganz offen, andere eher subtil – mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht kann ein Energieräuber die giftigsten Pfeile abschießen, um sich selbst in eine Position der Überlegenheit zu bringen.

Projektion ist ein Machtverhalten und kann viele kraftvolle, verdrängte Gefühle transportieren, oftmals Hass oder Wut. Wenn die Projektionen sich in Worten äußern, sind diese häufig hoch emotional und treffen die Menschen, an die sie gerichtet werden, tief und wirken verletzend. Die Jung’sche Analytikerin Marie-Louise von Franz beschreibt in ihrem Buch Spiegelungen der Seele, dass ein Mensch, der seinen Schatten auf jemanden projiziert, von einem inneren Zwang getrieben ist, seinen Hass verbal zu kanalisieren. Die Worte, die das Gegenüber treffen, sind wie Projektile – von kleineren Sticheleien bis zu grob kränkender Kritik – und symbolisieren einen negativen Energiestrom, den der Projizierende gegen andere richtet. Wird man zur Zielscheibe von negativen Projektionen eines anderen Menschen, spürt man den Hass oft geradezu körperlich.

Das Projizieren auf das Gegenüber ist keine singuläre Verhaltensweise, sondern geschieht immer wieder. Wenn der Energieräuber in Gefahr gerät, von seiner Umgebung konfrontiert zu werden, schützt er sich hinter den dicken Mauern seiner Verteidigungsmechanismen. Ein Gebertyp oder eine vermittelnde Person sollten deshalb keine allzu hohen Erwartungen haben, die Problematik oder den Konflikt mit einem Energieräuber besprechen oder klären zu können. Er bringt alles Erdenkliche zu seiner Verteidigung und zur Rechtfertigung seiner Handlungsweisen vor und weigert sich, eigene Schuld einzugestehen.

Innere Entwicklung und Reifung wird aber nur möglich, wenn sich der Betreffende bewusst macht, was die unangenehmen Gefühle verursacht und warum es ihm so schlecht geht. Er reflektiert und verarbeitet dann seine Konflikte, anstatt sie nach außen zu tragen.

Wenn quälende Erinnerungen und Gefühle aus der Vergangenheit unter der Oberfläche liegen, tauchen sie in den unterschiedlichsten Situationen wieder auf. Alte Erinnerungen haben eine starke innere Dynamik, die es schwer macht, die Welt im Hier und Jetzt richtig wahrzunehmen. Menschen, die viele negative Erinnerungen mit sich herumtragen und diese auf ihre Umgebung projizieren, haben sich noch nicht zu Erwachsenen entwickelt, die in der Lage sind, Verantwortung für ihr Verhalten zu übernehmen und zu tragen.

Jeder, der sich selbst mit klarem Blick betrachten kann und nicht mehr in seinen Mustern gefangen ist, kann sich selbst und anderen gegenüber aufrichtig sein. Dann werden Vorstellungen nicht mehr mit der Wirklichkeit vermischt, der Blick auf die Realität wird klarer und der Mensch kann sich zu einer bewussten Persönlichkeit entwickeln.

Psychische Altlasten

Im Unbewussten des Menschen, in seinem inneren Raum, gibt es Dinge, die er seit seiner Kindheit und Jugend mit sich trägt: Schicht auf Schicht lagern dort Verdrängtes, Verleugnetes und emotionale Erinnerungen. Ich nenne diese Dinge »Altlasten«. Es geht dabei um verdrängte, schmerzhafte Gefühle, die unter der Oberfläche lagern, aber heimlich das Ruder führen. Jeder trägt solche Altlasten unterschiedlicher Art und Ausprägung mit sich, alle müssen sich mit inneren Konflikten auseinandersetzen. Keiner von uns ist in den Jahren seines Aufwachsens immer in seiner ganzen Persönlichkeit gesehen und bestätigt worden und der unterschiedlich ausgeprägte Mangel an nährender Fürsorge und Achtsamkeit hat Verteidigungsmechanismen als Schutzmaßnahmen auf den Plan gerufen. Wenn die mitgebrachten Altlasten – also Dinge, die nicht zur eigentlichen Beziehung gehören – beispielsweise zwischen zwei Partnern stehen, entsteht eine große innere Distanz. Die Grundlage für eine gute Beziehung fehlt, nämlich, dass beide Partner ihr Leben klar sehen können und zur Selbsterkenntnis gelangt sind. Das hindert die Liebe daran, frei zu fließen und zu gedeihen. Streit und Missverständnisse sind vorprogrammiert. Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen.

Personen mit räuberischem Verhalten können weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit die Wahrheit erkennen. Sie haben ihr Dasein ganz auf Vorstellungen aufgebaut, darauf, wie es hätte sein sollen oder können; wie es heute sein sollte. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass sie alles Negative verdrängen und nur die positive Seite des Lebens – und vor allem ihrer selbst – sehen wollen, im Jetzt wie in der Vergangenheit. Ein ungelöstes Problem aus der Vergangenheit kann in einer ähnlichen Situation erneut in Szene gesetzt werden und sich beispielsweise gegen den Partner oder einen Arbeitskollegen richten. Der Energieräuber versucht, sein Problem zu lösen, indem er eine andere Person seine Last tragen lässt. Oft geht es darum, einen anderen geringer erscheinen zu lassen, um selbst besser und überlegen dazustehen.

Um die Wirklichkeit so sehen zu können, wie sie tatsächlich ist, müssen wir einsehen, dass alles zwei Seiten hat: Wir alle haben eine Licht- und eine Schattenseite. In vielen Fällen ist die helle Vorderseite die soziale Seite eines Menschen; er kann als sozial kompetent, umgänglich und nett empfunden werden und gleichzeitig eine ungeheuere Wut verbergen. Der Zorn der schattenhaften Rückseite kann sich explosiv entladen oder sich nach und nach subtil auf unbeteiligte Personen der näheren Umgebung richten. Den Kampf mit einem Menschen aufzunehmen, der seine inneren Konflikte auf die Außenwelt projiziert, ist sehr schwierig. Die Verteidigungsmauern sind oft meterdick und der Mensch mit dem räuberischen Verhalten baut seine Gedankengebäude stets so auf, dass sie schließlich bestätigen, dass der Fehler beim anderen liegt. Er projiziert seine inneren Konflikte auf andere, statt sie zu bearbeiten.

In unserer inneren Welt, hinter all den Schutzmauern und Verteidigungsanlagen, finden wir das, was uns im Weg steht und uns daran hindert, einander wirklich nahezukommen. Auf der seelischen Ebene streben wir alle nach Verständigung und möchten im gegenseitigen Vertrauen mit anderen Menschen zusammenleben.

Hinterlassenschaften des gelebten Lebens

Viele Menschen möchten gerne verstehen, was hinter ihren Beziehungen liegt. Was ist nötig, damit wir so heil und ausgeglichen wie möglich ohne Selbstbetrug leben können? Schlimme Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren, Hinterlassenschaften, die bearbeitet werden müssen, um uns nicht im Weg zu stehen, während positive Erlebnisse einen weniger großen Einfluss auf unsere Reaktionsmuster haben. Man kann sich einfach an sie erinnern und das Erlebte ein weiteres Mal genießen. Nicht umsonst gibt es die Redewendung »in alten Erinnerungen schwelgen«.

Die meisten von uns haben schon erlebt, dass ein altes Gefühl aus der Kindheit bei einem ähnlichen Ereignis im Jetzt wieder auflebt und wirksam wird – im Guten wie im Schlechten. Meistens jedoch taucht das Negative im Leben eines Erwachsenen als etwas Unangenehmes und Destruktives wieder auf, oftmals völlig unbewusst. Etwas wird im Inneren nochmals durchlebt und verursacht Unbehagen und Ängste. Deshalb ist es wichtig, sich mit solchen Wiederholungen auseinanderzusetzen. Solange wir keine Lösung dafür finden, werden alte Ursprungsmuster uns unbewusst steuern. Das Negative wiederholt sich Mal um Mal, bis das Signal aus dem Unbewussten endlich wahrgenommen und das damit verbundene Problem angegangen wird. Wenn wir genau hinsehen und herausfinden, was unserem Glück wirklich im Wege steht, können wir viel Energie gewinnen, die uns im weiteren Leben zugutekommt.

Ein wichtiges Ziel ist es, uns bestimmte Muster bewusst zu machen, die wir in unserem Leben wiederholen, um allmählich Zugang zu unseren tiefsten Erfahrungsebenen zu bekommen, sie zu benennen und darüber sprechen zu können. In unserem Unbewussten schlummern ungeahnte, ungenutzte Potenziale. Wenn uns klar wird, was uns anzieht, was uns wirkliche Freude und Lebenslust verschafft, können unbewusste Veranlagungen und Talente zutage gefördert werden. Nach und nach werden Teile der Persönlichkeit zugänglich, die bislang verschüttet waren, und das eigene Ich übernimmt das Ruder.

Um uns vor Menschen mit räuberischem Verhalten zu schützen, reicht es nicht zu wissen, wie der Energieraub vor sich geht. Mindestens ebenso wichtig ist Selbsterkenntnis: Was liegt an mir und was gehört zum anderen? Wenn wir keine oder nur eine geringe Selbstachtung haben, wenn wir uns unseres eigenen Wertes nicht wirklich bewusst sind, werden wir leicht zur Zielscheibe für den Zorn und die Projektionen eines anderen. Fehlt es am Respekt für uns selbst, sind wir bereit, jederzeit Schuld auf uns zu nehmen, und erkennen nicht, wohin sie wirklich gehört. Wenn wir aber lernen, hinter die Fassaden zu blicken und zu vermeiden, in gewisse Muster hineingezogen zu werden, kann ein Energieräuber frühzeitig erkannt und durchschaut werden. In dem Maße, wie wir nach und nach achtsamer mit uns selbst umgehen und das Verhalten anderer Menschen verstehen lernen, wachsen unsere Möglichkeiten, mit ihnen angemessen umzugehen. Wir können dem räuberischen Verhalten auf konstruktive Weise begegnen und Grenzen setzen: Der Energieräuber kann seine Mitmenschen nicht länger ungestört manipulieren und ausnutzen. Wenn klar und deutlich wird, dass das Problem nicht beim Beraubten liegt, dass wir selbst keine Verantwortung für das Geschehen tragen, wird die Schuld auch nicht mehr verinnerlicht. Natürlich geht es uns schlecht, wenn wir respektlos behandelt werden, aber es hilft, wenn man die Schuld an der Situation richtig zuordnen kann. Die Projektionsprojektile dürfen sich nicht bei uns festsetzen, sie müssen zurück zum Ausgangpunkt befördert werden. Die Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie herkommen, und es ist die Aufgabe des Energieräubers, sich damit auseinanderzusetzen.

Verantwortung für das eigene Leben übernehmen

Alle Veränderungen geschehen aus dem Inneren des Menschen heraus. Wenn wir lernen, Menschen zu erkennen, die uns Energie abziehen, leisten wir gleichzeitig unseren persönlichen Beitrag zu einem respektvollen und positiven Miteinander im Alltag. Niemand hat das Recht, einen anderen zu verletzen.

Das Ideal ist, dass alle sich selbst und andere respektieren können, weil sie ihren eigenen Gefühlen und denen anderer trauen. Wenn wir unser Leben in die Hand nehmen und unseren Problemen mutig begegnen, können wir Schlechtes zum Guten verändern.

Carl Gustav Jung, einer der Begründer der analytischen Psychologie, meinte, dass der einzig mögliche Weg, die Gesellschaft zum Besseren zu verändern, über die innere Veränderung und persönliche Reifung des Einzelnen führt. Wenn jeder Mensch Verantwortung für seinen Schatten übernähme, das heißt die negativen Gefühle in seinem Unbewussten klären würde, anstatt diese nach außen in die Welt zu tragen, könnten positive Ergebnisse für alle erzielt werden. Man könnte sagen: Wer bei sich selbst aufräumt, sorgt für mehr Ordnung im Ganzen und dient der Gesellschaft insgesamt.

Das funktioniert aber nicht, wenn wir ein solches Bemühen mit Anspruchslosigkeit und Anpassung gleichsetzen oder wenn wir an einer Wunschvorstellung festhalten, anstatt der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Das kann zwar vorübergehend erleichtern, führt aber über längere Zeit zu einer inneren Leere – man kann auf Dauer nicht von einer geschönten Fantasie leben. Wenn wir keine Forderungen stellen und uns weigern, die Wahrheit zu sehen, übernehmen Menschen mit räuberischem Verhalten die Macht, sie bekommen zu viel Spielraum. Wir haben das Recht, uns zu verteidigen. Wenn wir mit Selbstachtung Abstand nehmen von Personen, die uns nicht guttun, spüren wir wieder unsere Kraft und können intensiver leben. Zusammen mit Menschen, die zuhören und verstehen, können wir Freude und Nähe in unseren Herzen spüren.

Das Selbstbehauptungsbedürfnis und die Strategien des Nehmertyps

Sich in scheinbarer Überlegenheit zu befinden, während das Gegenüber gleichzeitig an Kraft verliert, gibt dem Energieräuber ein Gefühl des Triumphs. Hier handelt es sich um ein Macht- und Selbstbehauptungsverhalten, das oft mit Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen und Ansichten der Mitmenschen einhergeht. Menschen mit einem übertriebenen Selbstbehauptungsdrang wollen den Ton angeben und genießen es, nein zu sagen – denn wer nein sagt, hat die Macht. Sie verdrehen gern die Wirklichkeit und sehen nicht ihren eigenen Anteil an einer problematischen Situation.

Wer es mit einer solchen Person zu tun bekommt, kann auf verschiedene Weise gekränkt werden. Ein Energieräuber tut zum Beispiel so, als hätte er gar nicht gehört, was sein Gegenüber gesagt hat, und beschäftigt sich anderweitig, während der andere spricht – oder aber seine Reaktion bleibt völlig aus, der andere bekommt gar keine Rückmeldung und wird so quasi unsichtbar gemacht. Eine andere Strategie des Energieräubers ist, immer alles infrage zu stellen, was gesagt wird – er sträubt sich, stellt sich quer und hat ganz allgemein eine negative Einstellung. Die Rolle des »Spielverderbers« entspricht ihm. Oft nimmt dieses Verhalten dem Gegenüber jegliche Freude, weil er oder sie weder gesehen, gehört noch verstanden wird. Der Energieräuber hingegen bekommt einen Energiekick, fühlt sich gestärkt und ist zufrieden.

Am schwierigsten zu durchschauen sind die Strategien des Energieräubers mit doppelbödiger Botschaft. Die Frustration verbirgt sich hier hinter einer freundlichen, lächelnden Fassade. Wenn man aber Ansprüche an diese Person richtet, kann es zu Wutausbrüchen kommen. Diese Art, mit der einen Hand zu geben und mit der anderen wieder zu nehmen, schafft emotionale Verwirrung und Energieverlust bei denjenigen, die damit umgehen müssen.

Alte Muster erneut erschaffen

Trotz aller Schwierigkeiten ist es möglich herauszufinden, was hinter dem Verhalten des Energieräubers steckt. In der Psychologie gibt es ein umfassendes Wissen über das sogenannte Projektionsverhalten. In der dynamischen Psychologie ist auch von Übertragung die Rede. Dieser Begriff bezeichnet unsere unbewusste Verlagerung von Gefühlen und Haltungen auf Menschen unserer Umgebung, als wären sie neue Versionen von wichtigen Bezugspersonen unserer Kindheit.

Das Unbewusste beeinflusst also unsere Auffassung vom Jetzt. Hat beispielsweise eine positive Übertragung der elterlichen Gefühle auf das Kind stattgefunden, besteht Hoffnung, dass das Kind ein Mensch wird, der zuhören, verstehen und anderen Menschen entgegenkommen kann. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die Eltern ihre eigenen Konflikte und ihre negativen Gefühle bei ihrem Kind abgeladen haben. Es ist möglich, dass diese Person später ein nach außen agierender Mensch wird, der seinerseits unbewusst die Taktik der Eltern verwendet, um ungelöste Probleme auf einen anderen abzuwälzen, indem er mit Menschen seiner Umgebung ähnliche Situationen in Szene setzt, wie er sie aus seiner Kindheit kennt.

Man reagiert mit den gleichen Gefühlen wie gegenüber einer bestimmten Person in der Vergangenheit; weil man aber einen starken Widerstand gegen diese Gefühle spürt, überträgt man sie auf Personen im Hier und Jetzt. Auf diese Weise wird der eigene innere Konflikt nach außen verlagert in der unbewussten Annahme, ein anderer könne die Last für einen tragen. Man erhofft sich so einen Ausweg aus der unangenehmen Situation. Das aber ist unmöglich. Probleme müssen durch Bewusstmachung der wirklichen Ursachen gelöst werden.

Mangelnde Bestätigung in der Kindheit

Das Verhalten des Energieräubers ist die Folge von mangelnder Fürsorge und Achtsamkeit in seiner Kindheit und Jugend. Da grundlegende Bedürfnisse nicht beachtet und befriedigt wurden, hat der Mensch mit räuberischem Verhalten sich schon früh dazu entschlossen – bewusst oder unbewusst −, sich das zu verschaffen, was er nicht bekommen hat. Er hat oft auch den inneren Antrieb, sich für erlittenes Unrecht zu rächen. Ein Ausdruck dieser Rachelust ist der Wunsch, andere zu beherrschen, ja, sie besitzen zu wollen. Solches Verhalten zeugt nicht von Liebe, sondern von Unreife.

Emotionale Mangelzustände in der Kindheit liegen auch hinter einem Verhalten, das darauf abzielt, andere Menschen abzuwerten: Der andere soll sich genauso missachtet und wertlos fühlen wie der Energieräuber sich in seinem Innersten tatsächlich fühlt und fühlte. Als er in der Kindheit gekränkt wurde, setzte sich das Gefühl in ihm fest, nicht gut genug zu sein. Als Erwachsener hat er das Bedürfnis, sich dafür zu rächen, und setzt daher Personen in seiner näheren Umgebung der gleichen erniedrigenden Behandlung aus, die er selbst erfahren hat. Er schafft Situationen, die den Ärger seiner Mitmenschen erregen, was ihm wiederum die Gelegenheit bietet, seine Wut auszuleben.

Haben sich die Eltern der persönlichen Integrität des Kindes gegenüber übergriffig verhalten, das heißt das Kind und seinen Willen nicht respektiert, kann dies eine hasserfüllte Einstellung gegenüber der Umwelt zur Folge haben, die andauert, wenn die verletzten Gefühle im Erwachsenenalter nicht geklärt werden. Wenn der Energieräuber seine Umgebung fortwährend mit gehässigen und ungerechtfertigten Attacken aus heiterem Himmel überfällt, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass er nicht bereit ist, Verantwortung für das zu übernehmen, was er in seinem Inneren mit sich herumträgt. Stattdessen werden die vorhandenen Spannungen nach außen gekehrt und auf Menschen verlagert, die nicht den geringsten schuldhaften Anteil an den Konflikten haben, die sich daraus entwickeln. Der Energieräuber merkt auch nicht, dass die Betroffenen darunter leiden und Schaden nehmen, er kann in dieser Situation nur sich selbst sehen. Seine mangelnde Empathie hindert ihn daran zu bemerken, dass diese Lebensumstände für die Menschen in seiner Nähe zerstörerisch sind und mit der Zeit unerträglich werden.

Machtbedürfnis

Bei vielen Energieräubern gibt es einen dominanten Zug, der der Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen dient und sich als ein Streben nach Macht äußert. Jemand mit räuberischem Verhalten möchte andere beherrschen und Menschen in seiner Umgebung kleiner erscheinen lassen, damit er selbst größer, besser und tüchtiger dastehen kann. Auch hat er Angst vor Niederlagen bei einem Konflikt oder in einer Auseinandersetzung, weil das seinen Wert infrage stellt. Er ist ein schlechter Verlierer und das wiederum führt dazu, dass er immer das letzte Wort haben will. Durch negative Bewertungen oder indem er rigide Standpunkte vertritt, zeigt er wenig Respekt für die Grenzen seiner Mitmenschen. Die anderen werden gering geschätzt. Wenn es sich um eine längerfristige Beziehung handelt, schrumpft der psychische Bewegungsraum des Partners, weil er sich nicht entfalten kann und sich nichts mehr zutraut.

Viele Energiediebe entwickeln eine ausgeprägte Fähigkeit, überzeugend und glaubhaft zu wirken, sie sind geschickt darin, andere zu manipulieren. Einigen ist ihr Verhalten bewusst und sie fühlen sich dabei sogar im Recht, weil sie ja früher zu kurz gekommen sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Mensch, der als Nehmertyp bezeichnet werden kann, seine Mitmenschen als Zuhörerschaft zur Stützung seines Egos missbraucht. Sein mangelndes Einfühlungsvermögen führt dazu, dass er sich selten für die Belange oder Gedanken anderer interessiert. Schnell führt er das Gespräch auf sich selbst zurück, hat viel zu erzählen, fühlt sich bestätigt und belebt von einem Gespräch, das in Wirklichkeit recht einseitig verläuft und ganz zu seinen Bedingungen stattfindet. Der Gesprächspartner verliert Energie, weil er nicht gehört wird und nicht zu seinem Recht kommt. Jeder möchte wahrgenommen werden und im mitmenschlichen Austausch echtes Engagement spüren.

Kennzeichnend für Energieräuber ist auch, dass es ihnen sehr wichtig ist, sich zu verteidigen und zu rechtfertigen. Sie sehen schnell die Schwachpunkte anderer und finden geistesgegenwärtig passende Gründe und Umstände, die sie von der Verantwortung befreien. Dem Gegenüber verschlägt es häufig die Sprache. Manchmal fühlt er oder sie sich sogar schuldig; dann hat der Energieräuber sein Ziel erreicht, nämlich seine eigene Schuld auf den anderen abzuwälzen, um sie selbst nicht spüren zu müssen. Menschen, die andere auf diese Weise überfahren, legen ein stark ausgeprägtes Selbstbehauptungsverhalten an den Tag. Dass sie dabei kein schlechtes Gewissen empfinden, liegt an ihren starken Verteidigungsmechanismen, die verhindern, dass sie die eigenen Anteile in einem Konfliktzusammenhang erkennen können. Für sie gibt es keinen Grund, sich zu entschuldigen, weil das eigene Fehlverhalten so stark geleugnet wird. Doch auch wenn mangelnde Zuwendung in der Kindheit dieses Verhalten erklärt, kann keiner, der seinen Mitmenschen in dieser Art Schaden zufügt, von der Verantwortung für sein eigenes Handeln befreit werden.